Rudolf Greinz
Aus'm heiligen Landl
Rudolf Greinz

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Der Jager-Martl.

In einem der einsamen Hochtäler, die vom Inntal abzweigen, haust der Martl. Er ist herrschaftlicher Jäger seines Zeichens. Eine stämmige, fast schon zur Korpulenz neigende Figur.

Er und sein Weib, die Stina, sind beide nicht mehr jung. Ein Menschenalter schier wohnen sie in dem engen Hochtal. Freilich nur während der Sommermonate. Im Winter könnte man sich da nicht halten, meint der Martl und zuckt bedenklich die Achseln. »Da geaht's da herinnen schiach zua. Alles Eis, Schnee, Stürm' und Lawinen!«

Der Martl hat einen anstrengenden Dienst. Es ist beinahe zu verwundern, daß ihm dieses Brot so gut angeschlagen hat. Sein Bäuchlein ist dabei ganz stattlich geworden. Und stets heiter ist er, der Jager-Martl, und guter Dinge.

Ein lustiges, pfiffiges Gesicht hat er und etwas spöttisch dreinschauende hellblaue Augen. Die können aber gar scharf sehen. In einer Entfernung, wo ein Ungeübter nur mit dem »Spektivi« oder »Spekuliereisen« was unterscheiden kann, sieht der Martl die Gamsen umadumkraxeln.

Jeden Abend vor Sonnenuntergang steht er breitspurig vor seiner Jagerhütt'n, bedeckt die Augen mit 264 der derben, von der Sonne rotgebrannten Hand und schaut hinüber zu den Felsenriffen, die sich am jenseitigen Ufer des schäumenden Wildbaches steil zu schwindelnder Höhe emporrecken.

Für diese wilde Gegend ist die Jagerhütt'n des Martl eigentlich ein stattliches Haus. Ein roher Holzbau, doch geräumig und freundlich. Wie kleine Höhlen nehmen sich daneben die paar Sennhütten aus, die in unmittelbarer Nähe des Jägerhauses stehen. An große, verstreut herumliegende Felsblöcke schmiegen sich diese Hütten an, als ob sie Schutz suchten gegen die Unbill des Wetters.

Der Martl fühlt sich wie ein König in seinem Reich. Hier herrscht er.

Jeder Stein ist ihm bekannt, jeder Fels. Die Gemsen in der Höhe sind seine Freunde und Untertanen. Die Senner schätzen ihn auch. Voll Achtung blicken sie zu ihm auf. Und wenn er ihnen ab und zu die Ehre erweist, von seinem hölzernen Schlößl in ihre niedere, enge Behausung zu steigen, so wissen sie das wohl zu würdigen. Dann sitzen sie in der Sennhütte beim Martl und rauchen und »losen«. Denn der Martl, der kann erzählen. Der hat viel erlebt und viel gesehen. Wenigstens viel für die Begriffe dieser einfachen Bergler.

Der Martl führte schon seit Jahren so eine Art Ausschank in seinem Jagerhäusl. Im Sommer, wenn die Touristen das Hochtal durchstreifen, um zu den Gletschern zu gelangen, war das eine ergiebige 265 Einnahmsquelle. Der Gehalt des Martl war nicht groß, und was er sich so nebenher mit Ausschenken verdiente, machte beinahe das Doppelte seines fixen Einkommens aus.

Diese Beschäftigung war auch gar nicht anstrengend. Der Martl selbst brauchte dabei überhaupt nichts zu tun. Die Bedienung der Gäste besorgte sein Weib, die Stina. Was brauchten auch solche Bergfexen Besonderes zu essen! Ein paar Eier, Speck, Salami, Milch und ein schmalziger Schmarrn. Damit war der ganze Speisezettel beisammen.

Die Stina ließ sich für ihre Mühe jedesmal ordentlich bezahlen. Das taten die Gäste auch gern. Die waren ja froh, daß sie hier was bekamen. Und dann hatten sie sich regelmäßig mit dem Martl prächtig unterhalten. Der machte seine Späße, daß die Fremden oft gar nicht aus dem Lachen herauskamen.

In dem kleinen Keller seines Jagdhauses hatte der Martl einen ansehnlichen Vorrat von Flaschenbier und Wein aufgespeichert. Auch der Schnaps fehlte nicht. Der Martl und die Stina taten freilich so, als ob sie keine geistigen Getränke ausschenken würden. Gewöhnlich war der erste Liter Wein, den der Martl aus dem Keller brachte, ein »aufg'wixter«. Er ließ sich dafür nichts bezahlen, sondern schenkte ihn nur ein, um den Gast zu ehren. Der Gast wiederum wollte sich natürlich nicht lumpen lassen und ließ einen Liter auf seine Rechnung kommen. Das war dann das Signal zu einer recht langen feuchtfröhlichen Sitzung.

266 Eigentlich durfte der Martl von Rechtswegen gar keinen Alkohol ausschenken, weil er keine Wirtsgerechtsame hatte und auch keine Steuern zahlte. Er war schon öfters von den Wirten im Tal draußen und von den Schutzhütten bei der Finanzbehörde verzündelt worden. Aber was lang bestanden hat, wenn auch zu Unrecht, gewinnt mit der Zeit regelmäßig den Schein irgendeines Rechtes. So hatte man auch dem Martl bisher durch die Finger gesehen.

Da war kürzlich im Tal draußen ein neuer Finanzwachrespizient gekommen. Ein diensteifriger Herr, »a grauslicher Klachl«, wie das allgemeine Urteil der Bevölkerung über ihn lautete. Der hatte sich nun den Jager-Martl aufs Korn genommen.

Da eine schriftliche amtliche Verwarnung offenbar nichts gefruchtet hatte und der Martl trotzdem Wein, Schnaps und Bier ruhig weiter ausschenkte, beorderte der Herr Respizient eines schönen Tages zwei Finanzwachleute nach der Jagerhütt'n. Die sollten dort den Keller inspizieren, kontrollieren und alles, was nicht als zum unmittelbaren Hausbedarf gehörend nachgewiesen wurde, mit Amtssiegel versehen und konfiszieren, bis eine weitere oberbehördliche Entscheidung erflossen wäre.

Die Stina wäre vor Schrecken bald umgefallen, als am späten Vormittag eines warmen Sommertages plötzlich zwei »Grüanaufg'schlagene« angerückt kamen und den Keller zu visitieren begehrten. Der Martl hatte ruhig und gleichmütig, den Hut am Kopf und die Hände in den Hosentaschen, den beiden 267 Finanzern zugehört und nur ab und zu ein bissel geschmunzelt.

Als der eine Finanzer, ein noch junger Mensch mit blondem, schneidig aufgezwirbeltem Schnurrbart, seine Rede beendet hatte, maß er den Martl vom Kopf bis zu den Füßen, offenbar um zu sehen, welchen Eindruck er in seiner amtlichen Würde gemacht hatte.

Der Finanzer war ein Steirer und bemühte sich eifrig, recht schön hochdeutsch zu reden. Sein Begleiter war auch noch ganz jung. Ein Wälscher aus Südtirol, so schwarz, wie der andere blond war.

Der Martl stand noch immer unbeweglich wie eine Bildsäule vor den beiden und blinzelte sie listig von der Seite an. »Wollt's nit a bissel in die Stub' einergiahn?« lud er sie dann freundlich ein und öffnete eine niedere Tür. Diese führte in das gemütliche Jagerzimmer, das als Gastzimmer benützt wurde.

Die beiden Finanzer sahen einander ratlos an. Sie wußten ersichtlich beide nicht, was sie tun sollten; denn keiner rührte sich vom Fleck.

Eine Weile weidete sich der Martl an ihrer Verlegenheit. Dann meinte er: »Tuat's, wia's wollt's! I hab' lei denkt, ös kunnt's müad sein. Es is woltern hoaß da aufer. Und ös seid's damisch derhitzt. 's rinnt enk der Schwitz lei a so awer!« meinte er mitleidig. »Aber mei! Dö jungen Leut' heutigstags! Leichtsinnig halt!« Bekümmert schüttelte er den Kopf. Dann zog er einen großmächtigen Schlüssel 268 aus der Hosentasche und ging zu einer Tür, die sich in entgegengesetzter Richtung befand. »Alsdann,« forderte er die beiden auf. »Giah'n wir in Keller abi!«

Wieder blickten sich die beiden Finanzer ratlos an.

»Ick glauben, wir gönnen sie suerst a bissele in das Stuben geh'n!« sagte der Wallische. »Geben Sie mir der Slussel!« wendete er sich barsch an den Martl.

Dieser gab den Schlüssel sofort bereitwillig ab. Die drei Männer gingen in das Jagerstübele und ließen sich dort nieder. Der Martl hockte ein wenig abseits und beobachtete die zwei Finanzer heimlich. Diese saßen würdevoll in der Ecke beim Tisch und sprachen keine Silbe.

Nach einer Weile des Schweigens fragte der Martl den einen von ihnen: »Du bist a Wallischer, gelt?«

»Si, si!« erwiderte dieser kurz, ohne den Jäger anzusehen. Abermals eine Pause. Der Martl dehnte sich behaglich auf seinem Sitz.

»Und du?« fragte er dann und deutete mit seinen dicken Fingern auf den zweiten Finanzer.

»Ich bin aus Steiermark!« antwortete der trocken.

»Oha!« machte der Martl mit ernster Miene.

Draußen war ein schwüler Sommertag. Die zwei Grüanaufg'schlagenen hatten einen tüchtigen Marsch hinter sich. Ein brennender Durst quälte sie. Wenn sie nur ein Wasser hätten.

Sie hatten draußen vor der Hütte nirgends einen 269 Brunnen erspähen können. Und diesen Kerl da mit den spöttisch dreinblickenden Augen mochten sie nicht darum fragen. Sich mit dem nur in kein Gespräch einlassen! Sonst würde er frech, dachten sie. Aber der Durst folterte sie immer ärger.

In ihren Feldflaschen hatten sie noch etwas Schnaps. Vielleicht half der über den ärgsten Durst hinweg. Nur so lange, bis sie hier ihre Pflicht erfüllt hatten und den Heimweg antreten konnten. Dann wollten sie schon Wasser genug finden.

Der Martl erriet ganz genau, wie es um die beiden stand. Als zuerst der Wallische und dann der Steirer nach seiner Feldflasche langte und einen herzhaften Schluck daraus tat, nickte der Martl wohlwollend. »So ist's recht!« meinte er beifällig. »Amerst an Schnaps und nachher a Wasser! Stina, bring' a frisches Wasser!« schrie er in die Kuchl hinaus.

Als die Stina einen Krug voll brachte, holte er selbst aus einem Wandschrank zwei Gläser herbei und schenkte seinen Besuchern das Wasser ein. »Da! Jatz mögt's trinken!« ermunterte er sie in väterlichem Ton. »'s tuat oan' heutigstags ganz wohl, wann man no junge Leut' antrifft, dö a bissel auf'n Gsund schaug'n,« meinte er dann. »Der Gsund is decht's Beste, was oaner hat. I zum Beispiel. I hab' alleweil auf'n Gsund g'schaugt. Und da schaugt's mi an! I bin schon mehr als sechzig und nia nit a Stund' krank g'wes'n im Leben!«

Breitspurig stellte er sich vor den beiden Männern 270 auf, die gierig das Wasser hinuntergetrunken hatten und sich nun wie neugeboren vorkamen.

Der Jager-Martl schien doch nicht so boshaft zu sein, wie ihn der Herr Respizient geschildert hatte, dachten die Finanzer bei sich und begannen den Martl mit viel freundlicheren Augen zu betrachten.

»Sein sie nit a bissele freddo in Winter da?« fragte der Wallische.

»Wohl! Sell wohl!« erwiderte der Martl. »Aber da bin i nit da. Da kann si koa Mensch halten da herinnen!«

»Gibt es auch Lawinen?« erkundigte sich der Steirer interessiert.

»Sell will i moanen!« entgegnete der Martl. Dann nach einer kleineren Pause: »Ös zwoa seids wohl no nit lang bei uns in der Gegend!«

»No! No!« rief der Wallische. »Solamente heiniger Monate!«

»Habts nit Hunger?« fragte dann der Martl über eine Weile in fürsorglichem Ton.

»Wir aben sie son Speck!« lachte der Wallische und legte, da es ihm für die Dauer zu warm wurde, Kappe, Gewehr und Seitengewehr neben sich auf die Bank. Auch der andre Finanzer tat alsbald desgleichen. Die Situation wurde entschieden gemütlicher. Der Martl betrachtete die beiden eine Zeitlang ganz wohlgefällig.

»Wie alt seids iatz ös?« fragte er dann.

»Fünfundswansig,« lachte der Wallische und ließ eine Reihe blendend weißer Zähne sehen,

271 »Zähnd hast guate!« lobte der Martl. Dann holte er aus der Kuchl ein Stück hartgeselchtes Fleisch, zwei Paar Boxelen und einen schwarzen Wecken und legte das vor die beiden auf den Tisch. »Da eßt's! Dös braucht's ja nit z' konfisziarn!« meinte er.

Die beiden jungen Leute hatten einen Bärenhunger. Der Jager-Martl war wirklich zu nett. Ihre amtliche Mission bei ihm begann ihnen schon völlig leid zu tun.

»Wir gönnen sie niente dafür!« entschuldigte sich der Wallische. »Sie wiss'n son . . .«

»Pflicht ist Pflicht!« sagte der Steirer mit Würde.

»Eßt's lei amal!« mahnte der Martl und lächelte gutmütig.

Das ließen sich die beiden nicht ein zweitesmal sagen. Wie die Drescher hieben sie drein. Der Martl, der nun bei ihnen in der Tischecke saß, sah ihnen wohlgefällig zu.

»Die Stina kocht heut' Knödel. Mögt's mithalten?« lud er sie über eine Weile ein.

»Ja – aber . . .« Verlegen sah der Steirer nach seinem Kameraden.

»Wir werden sie mussen bald eimgeh'n!« meinte der Wallische bedenklich.

»Jatz? Bei dera Hitz? Seid's narret?« rief der Martl. »Was versaumt's denn draußen? 's Giahn is ja viel feiner, bald die Sunn' unter is. Und wir haben soviel a guate Luft nachher. Vom Fearner 272 hear! Dös is a Luft! Geaht's, bleibt's da bis auf'n Abend!«

»Ja aber . . .« wandte der Steirer zögernd ein.

»Wir mussen sie eut Habend draußen heintreffen. Die Err Respizient spetta, spetta warten sie hauf uns,« sagte der Wallische ausweichend.

»Alsdann eßt's halt amal Knödel mit uns!« meinte der Martl gleichmütig und ging hinaus zur Stina, um das Mittagessen anzuschaffen.

Bis die Knödel kamen, unterhielten sich die drei Männer prächtig miteinander. Der Martl erzählte den Finanzern von seinen Erlebnissen und von den fremden Touristen, die da herein kamen. »Was da für Kampeln daherkommen a diabat! Koa Mensch glabet's! Einfäll' hab'n dö Hearrischen!« . . . Die beiden Finanzer hatten sich in ihrem Leben selten so gut unterhalten, wie jetzt mit dem Martl.

Als die Stina, die wieder ganz beruhigt aussah, die Knödel brachte, zwinkerte der Martl lustig mit seinen listigen Äuglein den Wallischen an und sagte: »Wann i iatz nit'n Kellerschlüssel hätt' abgeben müassen, aftn tat' i enk an Liter Wein aufwix'n! I hätt' a guats Tröpfl!« Dabei kratzte er sich wie nachdenklich hinter den Ohren und rückte sein Hüatl wie ein junger Bursch keck nach seitwärts.

Der Wallische kämpfte einen harten Strauß mit sich selbst. Die Aussicht auf einen guten Tropfen nach dem langen, anstrengenden Weg war sehr 273 verlockend. Aber sie sollten ja eigentlich den Wein konfiszieren!

Verlegen schielte er nach dem Steirer, der ganz ähnliche Empfindungen haben mochte. Der Martl aber war schlau. Er erriet wiederum ganz genau die Gedanken seiner Gäste.

»I tat's enk vergunnen!« meinte er. »'s tat' enk wohl so a Tröpfele! Und iatz könnts 'n ja no trinken. Jatz habts ja no nix konfisziart! Wenn halt oaner von enk mit abi gang' in Keller. I tua koan' Wein versteck'n nit. Ös könnts aa boade mitgiah'n!« schlug er vor.

Nach einem längeren Hin- und Herreden entschloß sich der Steirer, mit dem Martl in den Keller zu gehen und einen Liter Wein heraufzuholen.

Der Wein war tatsächlich köstlich. Wie Öl floß er durch die Kehle. Der Wallische verstand sich auf ein gutes Tröpfl. Sein Vater drunten in Südtirol, erzählte er, baute auch Wein. Die Stina mußte mittrinken. Das taten die zwei Finanzer nicht anders.

Als die Knödel vertilgt waren, stieg der Martl mit dem Steirer noch einmal in den Keller hinunter, um die Flasche frisch zu füllen. Die Stina mußte inzwischen einen saftigen Schmarrn kochen; denn der Martl erklärte, er habe sich noch nicht satt gegessen.

Nach dem Schmarrn wanderte der Martl abermals in den Keller. Diesmal begleitete ihn der Wallische. Der Martl füllte aber nicht mehr die Flasche, sondern nahm vorsichtshalber den riesigen Wasserkrug und ließ ihn bis zum Rande voll Wein 274 laufen. Wie viel Liter der Krug faßte, wußte der Martl selbst nicht. So mindestens vier.

Die Gesellschaft wurde immer lustiger. Der Martl holte die Guitarre herbei und begann zu singen. Auch der Wallische und der Steirer sangen abwechselnd.

Hie und da rührte sich wohl das Gewissen. Aber der Martl verstand es vortrefflich, diesen unangenehmen Mahner wieder einzulullen . . . »No habts nix konfisziart! No g'hört der Wein mein! Und i kann ihn verschenken, wem i will!«

Nach dem Schmarrn hatte nicht der letzte Gang in den Keller stattgefunden. Nur daß es den zwei Finanzern zu mühselig geworden war, den Martl zu begleiten. Sie ließen ihn daher allein gehen.

Der pfiffige Jager-Martl war während des ganzen Zechgelages so ziemlich nüchtern geblieben. Dafür schüttete er aber den beiden Finanzern um so fleißiger auf, so daß diese schließlich total »zua« waren.

Es war Abend geworden. Das frische, schneidige Fearnerlüftl begann im Freien zu blasen.

Davon bekamen der Wallische und der Steirer aber nichts mehr zu spüren. Die lagen bewegungslos wie die Holzklötze auf den Bänken im Jagerstübele und schliefen ihren Rausch aus. Der Martl jedoch freute sich damisch, daß er die zwei Finanzer drangekriegt hatte.

Als er zufällig wieder einmal vor seiner Hütt'n Ausschau hielt, sah er plötzlich, wie noch ein dritter Finanzer den steilen Weg heraufkrauchte. Ein dürres, 275 kleineres Manndl. Das war der gestrenge Herr Respizient. Der hatte offenbar auch noch selbst zum Rechten sehen wollen.

Der Martl empfing den Respizienten mit einem spöttischen Schmunzeln unter der Tür des Jagerhäusels. Dieser erkundigte sich kurz und barsch, ob nicht zwei Finanzwachleute dagewesen seien.

Die seien schon noch da, erwiderte der Martl, und führte den Respizienten ins Jagerstübele, wo der Wallische und der Steirer um die Wette schnarchten wie zwei Brettersägen.

Der Respizient überblickte gleich die ganze Situation und wurde springgiftig. Der Martl meinte aber lustig, die beiden Finanzer täten jetzt grad' Wein konfiszieren. Bis morgen in der Früh dürften sie mit dieser anstrengenden Beschäftigung schon vielleicht fertig sein.

Umsonst versuchte es der Respizient, seine Untergebenen zu wecken. Der Steirer schlug mit Händen und Füßen aus, als er ihn wachzurütteln unternahm. Und der Respizient hätte bei einem Haar ein paar ordentliche Fußtritte und Faustschläge abbekommen, wenn er nicht noch rechtzeitig ausgewichen wäre. Ebenso vergebens war es bei dem Wallischen. Der reagierte auf die Ernüchterungsversuche nur insoweit, als er im Schlafe mit einer gewissen Begeisterung lallend zu singen anhub: »Bella Italia, terra d'amore...«

Schimpfend verließ der Herr Respizient das Schlachtfeld. Auf die höfliche Einladung des Martl, 276 ob er nun nicht selbst den Wein konfiszieren wolle, hatte der diensteifrige Mann nur die Antwort, daß er dem Jager wütend mit der Faust drohte und ihm ankündigte, er würde schon noch weiteres hören.

Damit war er bei der Tür draußen und trat bei der hereinbrechenden Dämmerung den Rückweg an. Natürlich war es schon Nacht, als der wutschnaubende Respizient wieder heimkam.

Der Katzenjammer, mit dem der Wallische und der Steirer am Vormittag des nächsten Tages erwachten, ließ sich sehen. Dazu auch noch der moralische Kater.

In der Jagerhütt'n war niemand zu finden. Weder der Martl noch sein Weib. Alles Rufen nützte nichts.

Auch eine Nachfrage bei den Sennern blieb umsonst. Diese wußten nicht, wo der Martl und die Stina gerade umgingen, oder wollten es auch gar nicht sagen. Die hatten sich einfach aus dem Staub gemacht.

Den beiden Finanzern dämmerte nun allerdings allmählich ein Licht auf, daß sie einem perfiden Streich des alten Jagers zum Opfer gefallen waren.

Nun hieß es eben gute Miene zum bösen Spiel machen. Vor allem mußte man sehen, schleunigst wieder heimzukommen. In einer Sennhütte löschten die zwei Finanzer ihren scheußlichen Durst durch ein paar Schüsseln voll frischer Milch. Dann kehrten sie dem einsamen Hochtal den Rücken, nicht gerade mit erbaulichen Gefühlen.

Im weiteren Verlauf des Vormittags, als das 277 Nest leer war, kamen auch der Martl und die Stina wieder zum Vorschein. Der Martl rieb sich boshaft und zufrieden die Hände, als er von den Sennern erfuhr, wie eifrig die beiden Finanzer ihm nachgefragt hatten.

Herausgekommen ist bei der ganzen Sache nicht viel. Höchstens für den emsigen Respizienten. Die beiden Finanzer, der Wallische und der Steirer, bekamen von der Oberbehörde einen tüchtigen Verweis. Weiter geschah ihnen nichts. Offenbar hatte sich irgend ein vernünftiger Vorgesetzter gefunden, der auch einen gewissen Sinn für den Humor des ganzen Streiches besaß. Der Herr Respizient wurde jedoch bald darauf zu seiner nicht geringen Überraschung und Wut anderswohin versetzt. Man liebt die allzu scharfen Herren nicht immer. Besonders wenn durch ihr Vorgehen die »Grünaufg'schlagenen« noch mißliebiger unter der Bevölkerung werden, als sie es ohnedies schon sind.

Der Martl schenkt nach wie vor Alkohol in Form von Wein, Flaschenbier und Schnaps aus. Der neue Respizient hat ihm, wie die früheren, nichts mehr in den Weg gelegt.

Ob der Martl infolge seiner »hoach'n« Verbindungen, die er ab und zu unter seinen Gästen gewinnt, nicht mehr behelligt wird oder ob man es überhaupt nicht der Mühe wert findet, von ihm noch weitere Notiz zu nehmen, wollen wir dahingestellt sein lassen.

Die Stina ist seitdem mit den Preisen noch 278 beträchtlich in die Höhe gefahren und rechtfertigt dies den Fremden gegenüber, indem sie meint: »Wißt's, Hearr, dös Ausschenken da herinnen is koa Kloanigkeit nit. Man hat mit der Finanz grad' so viel Umständ' und Schererei und Kosten! Koa Mensch glabt's, was dös für Kosten sein. Völlig die Haut ziach'n sie oan' vom Leib ab wegen an jeden Lackele Wein oder Biar. Und schon gar der Schnaps. Der is schiar nimmer zu erschwingen. Wenn's der Martl und i nit den Fremden zuliab taten, wir hätten die Hütt' schon längst zuagsperrt und lasseten koan' Menschen mehr einer!«

Der betreffende Tourist wird dann meistens ganz gerührt, greift noch einmal extra zu einem Trinkgeld in die Tasch'n und schimpft gemeinschaftlich mit der Stina weidlich über die Finanz und die dadurch hervorgerufenen Mehrkosten. 279

 


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