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Der Schlegel

(Rüdiger der Hunthover)

Es war einmal ein reicher Kaufmann, der seine drei Söhne und zwei Töchter schon zu seinen Lebzeiten mit so großem Gute ausstattete, daß ihnen nichts fehlte und sie ehrenvoll davon zu leben vermochten. Da kam der Tod mit seiner Kraft und nahm ihm sein braves Weib, so daß ihn, allein geblieben, seines Lebens verdroß. »Ich will meine Habe ganz unter meine Kinder verteilen«, dachte er, »und ohne Hausfrau allein mit ihnen leben. Denn ich bin ein alter Mann und meine Tage sind gezählt. Ich werde meine Kinder kommen lassen und ihnen meinen Vorsatz mitteilen. Was soll mir Ehre und Gut? Muß ich doch bald sterben und stehe schon mit einem Fuße im Grabe.«

Rasch berief er nun seine Kinder zu sich und verbarg ihnen nichts von dem, was er sich vorgenommen hatte. »Liebe Kinder«, sagte er, »laßt Eure kindliche Liebe an mir offenbar werden und helfet mir, daß ich mit Ehren in mein Grab kommen mag. Seht, ich muß mich auf meinen Stab stützen, wenn ich gehe, und Haus mag ich kein eigenes mehr führen. So will ich denn mein ganzes Gut Euch geben. Denn wenn ich nun ein Weib nähme, das ziemte mir nicht bei meinen alten Tagen, und würde vielleicht auch Euch bekümmern. Ich will als ein Witwer leben um der Sünden willen, die ich begangen habe. So beginnt es denn, Kinder, und seht zu, daß Ihr's mit Ehren endet, wie es Euch Euer Gewissen befiehlt.« Da sprach der älteste Sohn: »Lieber Vater, es ist billig, daß ich Euch bei mir bewirte und Euch alle kindliche Ehrfurcht erweise.« Er nahm ihn bei der Hand, führte ihn in sein Haus und pflegte seiner auf das beste. So verlebten sie die Zeit in eitel Freuden, bis sieben Wochen ins Land gegangen waren. Da sprach der Sohn: »Mein Herr Vater, folge meinem Rat! Mein Bruder möchte es vielleicht für übel nehmen, daß du so lange bei mir bist. Geh und verkürze dir die Zeit nun auch bei ihm, deine Schwiegertochter sieht dich gern, und wenn du eine Weile da gewesen, so komm und bleibe wieder bei mir.« »Es sei«, entgegnete der Alte, »dein Bruder möchte sonst vielleicht glauben, daß ich ihn verschmähe«, nahm Abschied und klopfte bei dem zweiten Sohne an.

Rasch wurde ihm geöffnet, Sohn und Schwiegertochter liefen ihm geschäftig entgegen und hießen ihn willkommen. Sie ließen ihm ein prächtiges Ruhebett mit Polstern und Daunen bereiten, pflegten ihn mit Ehren und warteten seiner bei Tisch, im Bette, dort und hier, wo er saß, lag oder ging. Als der Sohn ihn so vierzig Tage bei sich behalten hatte, sagte er zu ihm: »Liebes Väterchen, nun sollst du aber auch zu meinem jüngsten Bruder gehen, damit du siehst, wie er haushält und ob er zunimmt an Tugend und Ehren. Und wenn du einige Zeit da gewesen, so komm und bleibe wieder bei mir. Deine Zehrung will ich dir gerne auch fürderhin geben.« »Ich will es tun«, erwiderte der Alte, »und nun auch meinen jüngsten Sohn und seine liebe Hausfrau heimsuchen«, und nahm abermals Abschied.

Als er zu dem dritten Sohne kam, rührte er den Ring an der Tür. Drinnen erfuhr man bald, wer pochte. Der Sohn saß gerade beim Brettspiel, schlug es zusammen und lief dem Alten entgegen. Da wurden ihm prächtige Teppiche gelegt, gute Speisen, klarer Wein und was sonst Köstliches im Hause war, aufgetragen und auf diese Weise so lange mit dem Vater verfahren, bis sechs Wochen vorüber waren. Da sagte der Sohn: »Wende dich nun an meine beiden Schwestern und versuche es auch dort einmal! Doch nur, wenn du mir versprichst, bald wieder zurück zu sein.« »Du hast Recht«, sprach der Alte, »ich will so ein sieben Tage lang auch zu deinen Schwestern gehen und schauen, wie sie es treiben.« Man gab ihm seinen Gefährten in die Hand, das war ein harter Stab, mit dem er sich der Hunde erwehrte, wenn er unterwegs war. So schleppte er sich aus dem Hause und kam bald zu der älteren Tochter.

Dort klopfte er oben an der Wand und wurde sogleich eingelassen. Aber was man ihm auch hier an Ehren bot, als zwei Monate verstrichen waren, erging es ihm nicht anders wie bei seinen übrigen Kindern. Die Schwester habe gestern große Schweine und Rinder geschlachtet, sagte die Tochter, er möge nun zu ihr gehen. »Gott lohne Euch, Kinder«, entgegnete der Alte, »Ihr tut mir wohl, Gott lohne Euch!« Damit begab er sich zu der Jüngsten, die zumal im Vollen saß und Gut und Hausrat die Menge hatte. Sie ließ Teppiche vor die Sitzbänke legen und seidene Tücher über die Wände hängen, gab guten Wein und linde Speise, wohl gemischt, zu allen Mahlzeiten morgens und abends, aber schon nach sieben Tagen mochte sie nicht länger hergeben und schickte ihn fort. Da ward der Alte traurig und sprach: »Liebe, was soll ich nun?« »Ei, geht zu meinem ältesten Bruder, der hat eben wohl hundert Fuder Rheinweins bekommen, vom besten, der je getrunken ward, und bleibt ein Weilchen auch bei ihm!« Der Alte dachte: »Ich will es tun. Der Tochter hier bin ich ja doch zu viel, vielleicht hat mein Sohn ein besseres Einsehen.« Damit nahm er den Gefährten, der an der Wand lehnte und sein treuer Begleiter auf allen Wegen war, zur Hand, nahm Abschied und schlich von dannen bis an das Tor des ältesten Sohnes.

Vor dem Tore befand sich eine schöne Laube und ein Türlein daneben. Leise rührte er die Klinke und bat, ihn einzulassen. Der Wirt und seine Frau saßen gerade mit Freuden bei Tische und aßen köstlichen Fisch, da hörte der Sohn, sein Vater sei gekommen. Langsam sagte er: »Nun, so laßt ihn ein! Aber schnell ist er wieder da, bei Gott, ich glaubte, er würde mindestens ein Jahr fortbleiben.« Und als der Alte an den Tisch trat, rief er ihm höhnend zu: »Ei, Vater, was hast du nur getrieben, daß du gar so lange fortgewesen bist?« »Ich habe alle meine Kinder heimgesucht«, entgegnete der Alte, »und komme vielleicht ein wenig zu früh. Aber als ich sieben Tage bei meiner jüngsten Tochter gewesen war, sandte sie mich fort, daß ich zu dir gehe. Ich glaube, sie war meiner überdrüssig, so wollt' ich denn nicht länger bleiben.« »Rasch hat sie sich deiner entledigt«, sagte der Sohn. »Aber nun setze dich dort an den Glutherd, ich glaube, dich friert.« Als man ihm nun zu essen brachte, da war sein Silbergeschirr ein Krug und ein schmutziger Becher; verschwunden waren die reichen Mähler, an die er in dem Hause gewöhnt worden war. Der Sohn scherte sich den Satan um ihn, aufgeblasen wie ein gemästeter Pfau, der auf einer Tenne herumstolziert, und eine dicke Kropfhenne, die nicht mehr glucken mag, gingen er und seine Frau den ganzen langen Tag im Hause umher, um sich ein Ansehen zu geben. Den Alten grämte dieses Benehmen, er dachte: »Ich bin hier nicht am rechten Ort. Ich will lieber zu meinem zweiten Sohn hingehen, vielleicht gedenkt dieser besser seiner kindlichen Treue und gibt mir etwas Wein und schönes Brot. Denn ich sterbe noch Hungers hier. Ach, mein Sohn ist hoffärtig gegen mich; o wär' ich nie geboren! Habe ich darum all mein Gut meinen Kindern gegeben, daß ich nun selbst nichts haben soll? Ich bin alt und krank und abgeschabt. Wollte Gott, daß ich begraben wäre!«

Heimlich schlich er sich aus dem Hause: seine Sohlen waren zerrissen, seine Kleider abgetragen, der Mantel an den Ellenbogen durch- und durchgeschlissen, und niemand da, der ihm aus Erbarmen einen neuen geschenkt hätte. So ging der Arme, in sich gekrümmt, dahin, bis er zum andern Male zu dem zweiten Sohne kam. »Daß Gott dir lohnen möge«, sprach er, als er zu ihm in den Saal getreten war, »mir sind die Glieder erstarrt, laß mich an deinem Ofen sitzen! Mein Rock ist zerlumpt und die Schuhe unten durchlöchert.« »So setze dich hin und wärme dich«, sagte der Sohn. Da setzte er sich an den Ofen, man brachte ihm eine Schüssel Kesselkraut und ein Glas mit Bier, und der Sohn sah zu, wie er davon aß. Der Alte vermochte sich kaum mehr aufrecht zu erhalten, nur lose noch haftete die Seele an seinem Leib, denn er war solch elender Speise ungewohnt. Aber auch die Schwiegertochter tat nicht anders wie der Sohn. »O weh mir, weh«, dachte er da, »es wird mir übel ergehen! Die Beiden sitzen im gleichen Butterfaß.«

Nicht länger duldete es ihn da, er machte sich davon und ging zu dem dritten Sohne. Dort spielten sie gerade das Ringspiel, doch gelang es ihm, wenn auch nur schwer, bis in die neue Stube zu kommen. Als nun aber auch dieser Sohn, der ihm gleich ins Gesicht sagte, er habe schon davon gehört, daß seine älteren Brüder dem Vater nichts mehr geben wollten, ihn auf die Ofenbank niedersitzen und ihm ein elendes Gericht vorsetzen ließ, gedachte er mit Bitterkeit, was er getan, und daß er bei all seinem früheren Reichtum sich nun im Alter nicht einmal eine Labung kaufen könne. »Weh!« sagte er bei sich selbst, »verschmäht von den eigenen Kindern, bin ich allen Geschöpfen der Erde eine Last und ein Überdruß!« Da er, bald wieder weiter wandernd, zu der älteren Tochter kam, entkräftet von Leid und Hunger, tat sie, als habe sie ihn nie gesehen. Er möge, sagte sie, wenn er so gebrechlich sei, zu seinen Söhnen gehen, denen habe er bei seinen Lebzeiten Geldes genug gegeben: »Sind nun die Weiber nicht anders geartet wie die Männer«, dachte er, »so habe ich keine Kinder mehr.« Man brachte ihm ein Bohnenmus und einen Löffel, er setzte sich, aß und schleppte sich weiter, auf seinen treuen Stab gestützt. Die jüngste Tochter hatte sich eben auf ein seidenes Flaumenbett zur Ruhe gelegt, als er hinkam. Da sie ihn so an seinem Stabe, halb ohnmächtig, eintreten sah, grüßte sie ihn unwirsch und rief: »Du gehst ja nackend! Wo ist dein Gewand?« »Mich hungert«, entgegnete er, »was soll mir da Sorge um ein Gewand.« »So sitz und iß«, sagte sie unfreundlich und hieß ihm Käse und Brot geben. »Wie wunderlich ist doch der Tod, daß er dich nicht von hinnen nimmt! Dein elendes Leben macht uns nur Schande, wie du herumgehst, nichts in dir noch an dir!« Sie ließ ihm noch ein Glas Tropfbier zu dem Käse vorsetzen. Er trank davon und weinte bitterlich.

Nun hatte der redliche Mann vor Zeiten, als er noch vermögend gewesen, einen Freund gehabt, einen Bürger, der über die wilde See zum heiligen Grabe gefahren und ein Jahr und mehr fortgeblieben war. Der kam um diese Zeit wieder in die Stadt zurück, von Weib, Kind und allen Bekannten auf das prächtigste empfangen. Dieser nun stand eines Tages vor der Tür der Pfarrkirche, da kam gerade der Elende vorüber, den Hut tief über die Augen gesenkt. Als der Pilgrim ihn erblickte, erschrak er vor Scham und dachte: »Solltest du es wirklich sein, mein viellieber Gesell? Verhüte Gott, daß du kaum in Jahresfrist so arm geworden wärest!« Er wartete, bis der Alte zurückkam, da faßte er ihn sittsam am Mantel: »Vergebt«, sagte er, »wenn ich falsch gehe, doch wollt' ich Euch gerne fragen: Seid Ihr's, mein Gesell?« Da stürzten dem Alten die Tränen aus den Augen und auch der Pilgrim brach in bitteres Weinen aus: »Was hat dich so arm gemacht«, fragte er, »dein Leiden schmerzt mich, Gesell.« »Nicht hier«, sagte der Greis. »Ich will es dir einmal an besserem Orte erzählen.« »So komm mit mir in mein Haus, laß uns miteinander essen«, erwiderte der Pilgrim. »Ich will der Kameradschaft nicht vergessen, denn wir haben manches Jahr lieblich und in Freuden mitsammen gelebt.« Da ließ er ihn nicht länger stehen, nahm ihn mit sich und führte ihn in sein Haus, ob er mochte oder nicht. Dort erzählte ihm nun der Gast, wie er alles Gut seinen Kindern gegeben und sie ihn nun so elend und bresthaft leben ließen. »Des erbarme sich Gott«, erwiderte der redliche Bürger, »daß uns unsre Kinder mit Haß und Treulosigkeit lohnen, wenn wir ihnen alles, Leib, Leben und Seele, dahingegeben und unsrer überdrüssig werden, sobald es mit uns zur Neige geht und wir ihnen nichts mehr zu geben haben.« Dann setzte er hinzu: »Ich will dir einen Rat geben, wie du, wenn du mir nur folgst, mit Ehren bis an dein Ende leben magst.« Da küßte ihm der Arme die Hände, dankte Gott und versprach, in allem so zu tun, wie er ihm raten würde.

Sofort gab der Freund Auftrag, eine Truhe aus vier gewaltigen Blöcken herzustellen, einen festen Deckel darüber zu machen und sie mit eisernen Spangen um und um zu beschlagen. Das geschah. Die Truhe sah mit ihren eisernen Spangen aus wie gegossen und wurde mit fünf starken Schlössern versehen, dazu fünf kleine Schlüssel von reinster Arbeit mit innerlich hohlen Bolzen hergestellt. Als die Truhe beschlagen und fertig war, wog sie so schwer, daß zwanzig Männer genug an ihr zu tragen hatten. Man brachte sie, leer wie sie war, in ein Gewölbe und setzte sie so dahin, als ob sie schon zehn Jahre da gestanden hätte. Dann sprach der Bürger: »Nimm diesen Schlüssel hier, er wird dir von Nutzen sein. Befestige ihn unter deinem Oberkleid an einem Riemen und laß ihn niemand sehen außer deinen Sohn, doch mußt du tun, als ob es ohne dein Wissen geschähe.« Und gab ihm noch mancherlei Lehre und Rat, wie er sich verhalten solle.

Da ging der Alte unverzagt, wie sein Geselle ihm geraten hatte, hin zu seinem ältesten Sohn und bat, ihm aufzumachen. Man fragte, wer da wäre: »Ich bin es«, entgegnete er, »ich, der alte Landstreicher! Ich äße gern meines Sohnes Brot, mich hungert!« Der Sohn saß gerade mit all seinem Gesinde zu Tische. Der Torwart ging hinein und fragte, der Alte wäre da, ob man ihn hereinlassen solle? »An mir geht er selten vorüber«, sagte der Wirt, »warum schont er meine Brüder? Ich soll wohl entgelten, daß ich der Älteste bin! Nun geh hin und laß ihn herein, mich verdrießt sein ewiges Herumkriechen! Warum wohl der Tod die Gesunden hinmäht und läßt solch einen Siechen mit Ächzen leben?« So wurde der Arme denn eingelassen, ging, wo er früher gesessen hatte, hin zum Ofen und aß. Dabei aber ließ er seine linke Seite sehen, damit der Sohn da beim Ellenbogen des Schlüssels gewahr würde, der an dem Riemen hing. Der Sohn sah oftmals hin: denn der Riß, der durch den Mantel ging, war weit und ließ den Schlüssel mit lichtem Schein hervorblitzen, als ob er von Silber wäre. Als das Gesinde abgegessen hatte und man vom Tische aufstand, so daß niemand mehr in der Stube war, ging der Sohn hin bis an das Ende des Tisches, wo der Alte saß, lehnte sich nahe zu dem Schlüssel herab, ergriff ihn bei dem Riemen und betrachtete ihn mit blitzenden Augen. Der Alte tat, als wäre es ihm leid, daß der Schlüssel entdeckt sei, er zitterte und erschrak und wollte ihn verbergen. »Sei ohne Sorge, lieber Vater«, sagte der Sohn, »sag, hast du noch irgendwo ein Trühlein verborgen? Nie sah ich einen so schönen Schlüssel und von so reiner Arbeit.« Er rief seinem Knechte, dem schnellen Helmbrecht, einen silbernen Becher mit Maulbeerwein zu bringen: »Der soll dich bald lehren, den Kopf wieder hoch tragen«, sagte er, setzte sich zu dem Vater auf die Bank und hielt ihm den Becher an den Mund. »Trinke fest, lieber Vater, und schone des Bechers nicht, so wirst du wieder gesund! Und sag' mir noch ein klein wenig mehr, wie es sich mit dem Schlüssel verhält?« »Sohn«, entgegnete der Alte, »da du ihn nun einmal gesehen hast, so höre, was ich dir im Geheimen zu sagen habe: Ich bin ein alter Mann, bestimmt, gar bald zu Ruß und Asche zu werden, und wehre mich dessen auch nicht. Was soll mir noch Geld und Gut? Was ich habe, soll nach meinem Tode alles meinen lieben Kindern gehören. Ich besitze noch eine Truhe mit Ersparnissen, die seit langem bei einem meiner Freunde in einem Gewölbe gestanden hat, kaum je von irgend jemand aufgeschlossen, denn der Freund war weit fort in Jerusalem und ist erst jetzt wieder nach Hause gekehrt. Dies nun ist einer von den fünf Schlüsseln, die alle zugleich nötig sind, die fünf Schlösser der Truhe aufzusperren. Nach meinem Ableben aber soll Jedes von Euch Kindern einen Schlüssel haben, dann mögt Ihr den Schrein gemeinsam öffnen.« Da hieß der Sohn sofort seine Leute springen, und ihm seinen Fuchspelz, seinen kostbaren Marderhut und einen guten Mantel bringen. »Das«, sagte er, »lege an, lieber Vater, und wirf das alte Zeug von dir, denn du erbarmst mich sehr. Komm, laß uns ins Bad gehen, ich will dich gerne begleiten.« »Nein, Sohn«, entgegnete der Alte, »laß das Gewand wieder wegtragen! Wem so wie mir der Tod im Nacken sitzt, der hat sich längst aller Pracht und Hoffart begeben. Auch hatte ich wohl ein halbes Jahr kein Bad mehr und war mir nie weder so warm noch so kalt, daß ich Behagen daran gehabt hätte.« »Ei, Vater«, sagte der Sohn, »sprich mir nicht von dem! Aber das muß ich dir sagen: Zur Ehre eben gereicht's uns nicht, wenn man dich so herumgehen sieht.« Er zog ihm den alten Hut ab, desgleichen Mantel, Rock, Hemde, Schuhe und Unterkleid, legte ihm sein eigenes Gewand an, führte ihn zum Bade und ließ ihn dort auf das herrlichste waschen und pflegen. »Gott lohne dir Treue und Rat, mein lieber Gesell«, dachte der Alte. Aus dem Bade führte man ihn zu einem reichen Ruhebett, das mit Samt und allerlei Pelz- und Buntwerk überkleidet war, und ließ ihn ruhen. Das stärkte ihn bald, denn man pflegte seiner auch mit den auserlesensten Speisen so ehrenvoll, wie es einem Altherrn geziemt.

Am dritten Tage danach, als das Hochamt gesungen wurde und die Leute sich vor der Kirche drängten, wollten auch die Söhne des Alten zum Gottesdienste gehen. Da sahen sie dort ihren Vater stehen, in einem Kleide von herrlichstem Pelz. Der Jüngste erkannte ihn kaum, so hell strahlten dem Alten die Augen. »Guck«, sagte er zu dem zweiten Bruder, »da steht ja unser Vater! Was Teufel kann ihn nur so verändert haben? Sicherlich hat er ein erkleckliches Sümmchen Geld bei Seite gebracht, als er sein Gut an uns verteilte. Sieh nur, wie prächtig er da steht in seinem Marderhut!« »Ich denke mir etwas ganz andres dabei«, erwiderte der zweite. »Siehst du denn nicht, daß das unseres Bruders Kleid ist, das neue von Fuchspelz, was er da auf dem Leibe trägt?« »Wahrhaftig, du hast Recht.« »Nun, umsonst wird er's ihm nicht gegeben haben. Aber uns soll das nicht verdrießen, wir gehen hin und fragen geradezu, was denn das zu bedeuten habe?« Sie gingen sofort an die Stelle, wo der Vater soeben sein Gebet sprach, und boten ihm einen guten Morgen. Er dankte und nickte ihnen zu. Da stellten sie sich neben ihn, bis der Segen gegeben und das Amt zu Ende war. Als nun aber die Leute hinausdrängten und heim zum Essen eilten, hielten ihn die Söhne am Mantel fest: »Du sollst wieder heim zu uns kommen, lieber Vater«, sprachen sie, »wir sind doch, weiß Gott, ebenso gut deine Kinder wie unser ältester Bruder«. Er mußte mit ihnen gehen, ob er nun mochte oder nicht, die Söhne aber begannen miteinander zu streiten, zu welchem von Beiden der Vater nun kommen solle. »Zu mir!« sagte der eine. »Nein, zu mir!« entgegnete der andere. Da entschied denn der Vater, er wolle heute zu dem einen und morgen zu dem andern gehen, und so geschah es auch. Als man nun aber im Hause des Älteren den Vater wohl bewirtet und abgegessen hatte, traf es sich, Gott weiß, wie, daß der Sohn des Schlüssels gewahr wurde, zu dem der Alte außer dem Riemen noch eine hübsche Kette hatte schmieden lassen, damit er ihm nicht gestohlen würde. »Ei, ist der Schlüssel dein?« fragte der Sohn. »Allerdings«, erwiderte der Alte. »Ach, so mag ich es nicht länger verhehlen: Du hast sicher das Trühlein, zu dem er gehört, zu meinem ältesten Bruder getragen, und der will es nun für sich behalten. Du mochtest ja immer nur in sein Haus gehen und niemals zu mir! Nun, er weiß gar wohl, wie man die Karre zu fahren hat, und schenkt dir jetzt sein altes Gewand, nachdem er dich ein volles Jahr hat zu Tode frieren lassen! Aber er soll uns auch einen Brosamen davon abgeben, davor wird ihn weder List noch Heimlichkeit bewahren.«

Der Sohn war rot vor Zorn, als er dieses sprach, der Alte aber erwiderte: »Du irrst, und bist mir nicht minder lieb als dein Bruder«, und erzählte ihm mit ausführlichen Worten alles, wie es gekommen sei: daß er, gab er vor, noch eine Truhe besitze, die ihm schon von seinem Vater vererbt worden, und sich fünf solche Schlüssel dazu von einem Schmiede habe machen lassen, der nun auch längst verstorben sei, auch wie sein ältester Sohn den Schlüssel entdeckt und was es mit den Kleidern auf sich habe. »Ei«, rief der Sohn, als der Alte geendet hatte, »so laß doch die Lumpen, die du anhast, du sollst meine Kleider haben!« Rasch befahl er seinem Knechte Irnfried, er möge das Gewand mit den kostbaren Borten und die Kapuze mit dem edlen Pelzbunde herbringen, er meine nicht etwa den filzenen Hut, den möge er hängen lassen. Das alles mußte nun der Vater anlegen und ließ es sich wohl sein, im Innern wieder dem Freunde dankend, der ihm so gut geraten.

Des Morgens, als es hell wurde, hüllte ihm der Sohn das alte Gebein, das vordem fast erfroren war, hinten und vorn und drunten und drüben in die wärmsten Gewänder ein. Dann ging der Alte zur Kirche, und alles staunte, was Wunders ihm widerfahren sein müsse, daß er in wenigen Stunden aus einem Siechen ein so gesunder Mann geworden. Der jüngste Sohn, der noch nicht wußte, was sich zugetragen, suchte ihn überall und fand ihn, als das Amt zu Ende war, endlich in der Nähe des Chores stehen, wo er sein Gebet verrichtet hatte. »Nun aber kommt mit mir zu Eurer Schwiegertochter«, sagte er, »sie hat mir bei ihrer Liebe auf das strengste geboten, Euch mitzubringen, wenn sie mir nicht in alle Ewigkeit gram sein soll.« Er mußte unverzüglich mit, Tor und Tür wurden ihnen weit geöffnet und ein ehrenvoller Empfang bereitet. Die Schwiegertochter nahm ihn sogleich bei den Händen, zog ihn neben sich nieder und verwickelte ihn sofort in ein vertrauliches Gespräch. Zuletzt fragte der Sohn ihn, woher er denn die neuen Kleider bekommen habe? »Meine Brüder müssen Euch beide Gewänder geschenkt haben«, sagte er, »ich erkenn' es an den Borten. Aber ich will, weiß Gott, noch in Erfahrung bringen, was dahinter steckt.« Da rückte der Alte den Gürtel dergestalt, daß ihm der Schlüssel an dem Riemen auf das Bein herabfiel. Kaum wurde der Sohn des silbernen Scheins gewahr, so sagte er: »Ei, laßt doch mich und mein Weib diesen prächtigen Schlüssel betrachten!« Die Tafel war kostbar gedeckt mit allerlei Gerät, Wein, Brot und seinem Wildbret, der Sohn aber ließ das Essen lange stehen und betrachtete immer nur den Schlüssel, den der Alte ihm gereicht, und wie glänzend er gefeilt war. Nach dem Essen konnte er kaum erwarten, daß man das weiße Tischlaken von der Tafel nahm, um endlich nach Belieben Fragen stellen zu können, was es mit diesem Schlüssel sei. Da erzählte ihm der Alte die ganze Geschichte, von der Truhe, den fünf Schlüsseln, und wie jedes der Kinder nach seinem Tode einen davon erhalten solle. Auch verschwieg er nicht, wie es ihm bei den beiden älteren Brüdern ergangen war. »Ei«, sagte der Sohn, »meine Brüder glauben wohl, ich verstünde mich nicht ebenso gut aufs Schachspiel wie sie, daß sie mir hinterlistig den Bauern vorziehen wollten! Lege doch die alten Hadern ab, für dich geziemt sich Scharlach und Hermelin! Ich will dir einen nagelneuen Federhut geben, laß sehen, ob einer meiner Brüder je dergleichen besaß!« Sogleich rief er seiner Magd Prange: »Bring mir von meinem Gestell Gewand, Rock und Mantel her!« und hüllte den Alten sorgsam darin ein.

Indessen war das Gerücht, das niemals ruht, auch zu den beiden Töchtern Jeute und Hilde gedrungen. »Es ist uns ein Schaden und eine Schande,« sagte die eine Tochter zu ihrer Schwester, »daß unsere Brüder uns den Vater abspenstig gemacht und wir bei all dem verborgenen Reichtum das Nachsehen haben«. Kaum mochten sie den nächsten Tag erwarten, um zur Kirche zu kommen. Sie legten ihre festlichsten Gewänder und ihre Pfauenhüte an und erschienen so beim Kirchgang, geputzt und bunt wie Heideblumen. Bald sahen sie auch die Schar ihrer Freunde und inmitten ihren Vater stehen wie einen Bischof, umgeben von seinen Söhnen. Da gab es denn kein Zögern mehr, beide fielen sie sogleich den Alten an und überschütteten ihn mit Vorwürfen, daß er sie hinter seine Söhne stelle und ihrer nicht achte. Während des Amtes wichen sie keinen Schritt breit von seiner Seite, dann schleppten sie ihn mit sich und taten ihm schön, wie es Weiberart ist, herzten und betreuten ihn früh und spät, daß sein Überfluß wie ein Teig aufging; bis er ihnen zuletzt dasselbe sagte, was er auch den Söhnen erzählt hatte. Da wurden sie fröhlich, küßten ihn auf den Bart und behandelten ihn besser, als je ein Vater von seinen Kindern gehalten worden. Sie einigten sich, daß jedes Kind ihn ein Jahr in sein Haus nehmen und nähren und kleiden solle: so konnte er denn fürder in Ehren leben bis an sein Ende.

Als es nun dahin gekommen war und er seinen Tod nahen fühlte, berief er seine Kinder zu sich, dazu vier Bürger und einen Priester, um seinen letzten Willen zu bestellen. »Liebe Kinder,« sprach er, »hier sind vier Bürger und mein hochwürdiger Herr, der Pfarrer, zugegen, redliche und ehrenwerte Leute. Die bitte ich, die Schlüssel so lange zu sich nehmen und zu behalten, bis ich ein christlich Begräbnis in Ehren empfangen habe. Dann nehme Jedes von Euch seinen Schlüssel, gehe hin und öffne im Beisein der Andern die Truhe, das Gut zu teilen. Denn ich fürchte, es möchte vielleicht Streit unter Euch ausbrechen, wenn sie zu früh aufgetan würde, und ich nur mit neuer Last zur Grube fahren«. Damit übergab er ihnen die Schlüssel und starb. Mit großem Gepränge ward er zu Grabe gebracht. Das hätte er wohl entbehren müssen, wäre nicht seines Freundes Rat gewesen: Die Truhe nicht eher öffnen zu lassen, als bis er bestattet sei.

Kaum war die Grabrede zu Ende, so eilten auch schon die Kinder, Männer wie Frauen, zu der Truhe hin und schlossen sie in freudiger Erwartung mit ihren fünf Schlüsseln auf. Der Deckel wurde hochgehoben, da ragte aus der Truhe der Stiel eines großen Schlegels heraus. Sonst war nichts darin. An dem Stiel aber war ein Zettel befestigt, der unter den Anwesenden rasch von Hand zu Hand ging und auf dem geschrieben stand: »Jeder, der reich ist an Ehr' und Gut, aber närrisch genug, daß er all seine Habe seinen Kindern gibt, um selbst in Nöten und Gebresten zu leben, dem soll man zuletzt mit diesem Schlegel das Schädeldach einschlagen, daß ihm das Hirn auf die Zunge fällt, und ihn dann auf einen Rindsanger werfen.« Das war alles. Verdutzt sahen sie eins das andre an, als der Zettel gelesen war, und schlichen sich verlegen und möglichst unauffällig von dannen. So war all ihre Hoffnung wie ein Strohwisch erloschen, unter den Anwesenden aber war keiner, der nicht gemeint hätte, daß ihnen Recht geschehen sei.


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