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Vorwort

Der Titel »Altdeutsche Novellen« rechtfertigt sich durch seine Allgemeinheit, obgleich in den folgenden Dichtungen die ästhetische Grenze der Novelle vielfach überschritten wird. Zuweilen erweitert sie sich zu der dem deutschen Geiste sichtlich tief entsprechenden Form der Erzählung: So erscheint die Geschichte der Magelone hier in einer wenig gangbaren Fassung (Der Bussard), der Genovevastoff in einer besonders schönen, weniger dramatischen, aber um so reicheren und reineren Verarbeitung (Crescentia), das Thema zum »König Lear« ins Bürgerliche übersetzt, wodurch es zwar an tragischer Fallhöhe verliert, die Handlung sich aber um so leichter und natürlicher aus den Verhältnissen entwickelt (Der Schlegel), während die Motive zu der »Widerspenstigen Zähmung« in einer sehr eindringlichen Formulierung in der Doppelnovelle »Wie man Frauen zieht« für den späteren Bearbeiter vorbereitet liegen. Manchmal erreicht die Dichtung den Bereich der Novelle überhaupt nicht ganz und verengt sich dann zur Anekdote, manchmal wieder rückt sie deutlich in die Nähe der Ballade wie in dem weiten, trümmervollen Gedicht vom Sohne des Meiers Helmbrecht. Daneben stehen Legenden und Fabeln als mehr abseitige Spielarten.

Sämtliche Geschichten sind von ihren ursprünglichen Verfassern in Versen bearbeitet worden. Dennoch empfahl sich die Nacherzählung in Prosa schon aus äußerlich formalen Gründen: der Übersetzer hätte sonst all' die Nöte des Ausdrucks und Reimes, die den altdeutschen Autor bei der Abfassung plagten, bei einer wörtlichen Umschreibung ins Neuhochdeutsche noch einmal durchmachen und den Leser mit Langwierigkeiten und nicht zum wenigsten auch mit ungewollter Maniriertheit ermüden müssen. Zu dem schien die Prosa auch dem Zwecke dieses Buches besser zu entsprechen; jene Versnovellen waren zum mündlichen Vortrag, dieses zum Lesen bestimmt. So ergab es sich von selbst, die Art der Darstellung zu wählen, die dem Leser der Gegenwart in diesem Fall als die selbstverständlichere und natürlichere erscheinen mußte.

Leo Greiner


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