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Das Auge

Es lebte einmal ein Ritter, der war nicht nur wegen seines adligen Wesens und hohen Sinnes berühmt, so daß man ihn allenthalben zu den Besten zählte, die je gefunden worden, sondern auch durch Mannhaftigkeit und einen siegreichen Arm, der manchen Gegner im Turnier aus dem Sattel warf, so, daß er wahrlich jeden Makels frei gewesen wäre, wenn ihm nicht eines gemangelt hätte: Schönheit Gesichtes und Leibes. Denn schwarz, dünn und struppig war sein Haar, seine Gesichtsfarbe fahl und ohne Frische, sein Leib gar häßlich gewachsen.

Dieser Ritter nun besaß eine Frau, schöner als alle, die zu ihren Zeiten lebten, eine Blume reiner Weiblichkeit und licht wie das Glas eines Spiegels. Die liebte ihren Mann so sehr, daß sie keinen andern Gedanken hatte, als wie es ihm, nach dem Willen seines Herzens, wohl würde bei ihr, und er ein Gefallen an ihr fände. Auch war sie so rein von Sitten, daß man nie etwas von ihr sah, das besser vermieden worden wäre denn getan, so sehr lebte sie in einem wunderbaren Einklange mit sich selbst.

Deshalb achtete er ihren Besitz auch höher als alles auf der Welt, und war ihr mit der steten Liebe eines ungeteilten Herzens zugetan. Nur das war seine Furcht, daß sein mißwachsener Leib sie betrüben und sie darob an ihm wankend werden möchte. Aber dessen hatte es keine Not, denn ihre Treue war fester als ein Edelstein: stets wenn er, gewohnt, in fremden Ländern ritterlichen Ruhm zu suchen, vom Turnier oder Kriegsdienst als der Gepriesensten einer nach Hause kam, empfing sie ihn mit solcher Lieblichkeit, daß er sein Leben nicht um all der Welt Leben hingegeben hätte. Die Schöne vergalt ihm so viel Dankbarkeit, so daß ihre Herzen eines Sinnes waren, und sie eins am anderen froh und glückselig wurden.

Nun fügte es sich eines Tages, daß der Ritter des Ruhmes wegen zu einem Turniere ritt, wozu ihn die Schöne und Herrliche selbst auf ritterliche Art geschmückt hatte. Er kämpfte daselbst wider einen Gegner, an dem er einen Speer zerbrach, und verwundete ihn am Arme; dieser aber, auch nicht faul, traf ihn wieder und stach ihm dabei ein Auge aus. Da war keiner, der den schmerzlichen Verlust, der ihm geworden, um seiner hohen Mannheit willen nicht aufrichtig beklagt hätte. Als er nun zur Herberge kam und den großen Jammer hörte, der seinethalben überall erscholl, dauerte ihn sein Unglück mehr wegen seines Weibes, als um seiner selbst willen.

Er rief seinen Knappen, der ihm blutsverwandt und lieber war als jeder andere, denn er kannte ihn als treu und mutig im Dienst, hieß ihn sich zu ihm setzen und sprach: »Vetter, nun zeige mir einen Weg und rate mir, was unter den gegenwärtigen Umständen geschehen soll!« »Wie?« entgegnete der Knappe, »darin sollt Ihr mir einen Weg zeigen! Was immer Ihr wollt, dazu rate auch ich von Herzen.« Da sprach der freudelose Mann: »Du hast selber wohl gesehen, was Leides mir widerfahren ist. Ehe nun mein mißratener Leib fürderhin mein reines Weib betrüben sollte, eh' wünschte ich, daß man mich auf der Stelle töte. Sie hat mich in ihrem edlen Sinne auf mancherlei Weise geehrt und ist nie an mir wankend geworden. Wahrlich, das wäre niedrig gehandelt, ließe ich sie nun an mir sehen, wovon ihr Leid erwachsen und dessen sie sich um meinetwillen schämen müßte. Ich war schon ehedem nicht eben wohlgetan, jetzt möchte ich ihr leicht unangenehm und widerwärtig sein.« »Herr«, sprach der Knappe da, »Gott mit Euch, was redet Ihr denn da? Meine glückselige Herrin ist so gut, daß sie nimmer anders gegen Euch sein wird als vordem auch. Ihr sollt den Zweifel von Euch lassen und an Euch selbst nicht ganz verzagen! Laßt mich hingehen und ihr die Kunde bringen: und wie sie sich darauf verhält und Antwort gibt, danach handelt dann, das rate ich. Ich bitte Euch, laßt mich heim reiten, ihr die Mär anzusagen.« Das dünkte dem Ritter nicht minder gut, als dem Knappen.

So ritt denn dieser schleunig von dannen nach Hause. Als ihn die Frau kommen sah, rief sie ihm sogleich entgegen: »Sag an, wo ist mein Herr? Daß er in Freude lebe!« »Herrin, er will nun nicht mehr kommen.« »O weh, warum? Hat ihn Unglück getroffen?«

»Ja, Herrin, ihm ist ein Kleines am Leibe geschehen.« »O weh, mir armen Weibe«, sprach sie, »was ist ihm widerfahren? Das sage mir um Gottes willen!« »Reine Fraue, hochgeboren, er hat leider, da er bei dem Turniere mit ritterlicher Kraft um Ehre warb, ein Auge verloren.« Da sagte sie: »So möchte er doch wohl gekommen sein.« »Herrin«, entgegnete der Knappe, »es ist ihm Ernst und er will Euch nimmermehr wiedersehen. Ihr habt bisher all die Zeit so züchtig seinen mißratenen Leib ertragen, daß er Euch, reine, glückselige Frau, nimmer zur Last liegen will. Denn dies wäre zuviel Beschwer, solltet Ihr ihn nun immer sehen müssen als einen halberblindeten Mann. Sein Anblick, sagt er, sei so häßlich, daß er Euch von ihm und der Schande befreien will. Und dächtet Ihr auch anders, so müßte doch der Zweifel ihn quälen. Dessen will er Euch und sich verschonen, so gedenkt er denn sich abzukehren von aller weltlichen Ehre um Gottes willen, zum heiligen Grabe zu fahren und Leib und Leben fürderhin nur Gott zu weihen, damit Ihr beide die Seligkeit erwerbet. So hat er es beschlossen und mich in dies Land zurückgeschickt, es Euch anzusagen. Glaubt, sein Scheiden wird seinem Herzen alle Freude und Mut verbittern.«

Da sprach die reine, gütige Frau: »Habe ich ihm sonst nichts zu Leide getan, warum er mich verlassen will, als daß er fürchtet, ich möchte mich seines Anblicks schämen?« »Dem ist nun nicht anders«, erwiderte der Knappe. »So möchte doch wohl noch Rat werden«, sagte sie. »Geht es um nichts, als um diese Furcht, so will ich ihm den Mut wiederschaffen, daß er ohne Zweifel sei. Bleibe du hier und warte auf mich!«

Rasch ging sie hinaus, begab sich in eine abgelegene Kemenate, ergriff eine spitze Schere und stach sich, ihren Mann von den Schmerzen seines Zweifels zu befreien, das eine Auge aus, so daß sie Zeit ihres Lebens nicht mehr damit sehen konnte. So ging sie dann wieder zu dem Knappen zurück und sprach: »Sage deinem Herrn, er möge nun ohne Zweifel sein, da wir jetzt gleiche Waffen tragen. Wenn ich ihn immerdar geehrt habe, so geschah es ohne Scham nur um der Liebe willen, mit der ich ihm zugetan bin. Mahne ihn, daß er nun zu mir komme, er würde mir jetzt zwiefach so lieb sein, als er schon vordem gewesen.«

Dem Knappen wurde bitter weh, als er sah, was sie getan hatte. Rasch ritt er von dannen, bis wo er seinen Herrn fand, und erzählte ihm alles, was sich zugetragen. Der Ritter versank in Traurigkeit und klagte laut über das schreckliche Zeugnis ihrer Treue. Als er aber genesen war, fuhr er heim zu seinem lieben Weibe, und sie lebten fortan in unwandelbarer Freude zusammen bis an ihren Tod.


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