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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Ein seltsames Begebnis.

Das erste, was ich vornahm, war die Besichtigung des Raumes, in welchem ich mich befand. Es war, wie gesagt, ein behagliches, gut möbliertes und doch bescheidenes Gemach, wie man es häufig in den Landhäusern der Mittelklasse findet. Ich begann nun, jeden einzelnen Gegenstand genau zu untersuchen, die Photographien auf dem Kaminsims, die Bücher auf dem Regal, die Noten auf dem Pult und das Arbeitskörbchen, welches auf dem Tisch neben mir stand. Letzteres war mit Gegenständen aller Art angefüllt, und unter denselben entdeckte ich auch ein Paar Strümpfe, die mir zu klein und zu schadhaft erschienen, als daß sie Frau Belden gehören konnten. Als ich genauer hinschaute, sah ich deutlich den Buchstaben H hineingestickt. Ich legte sie sorgfältig in den Korb zurück, that einen tiefen Atemzug der Erleichterung und blickte zum Fenster hinaus nach dem gegenüber liegenden Mietshause, als ich in einer der Scheiben einige offenbar mit einem Diamant eingekritzelte Buchstaben bemerkte. Anfänglich beachtete ich sie nicht, doch zogen sie immer wieder meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich las:

gnirevalC yraM.

Was bedeuteten diese Schriftzüge? Ohne mir etwas dabei zu denken, las ich die Buchstaben von rückwärts nach vorwärts, und der geneigte Leser mag sich mein Erstaunen vorstellen, wenn er diesem meinem Beispiel folgt.

Erfreut über meine Entdeckung, setzte ich mich nieder, um meine Briefe zu schreiben, und kaum hatte ich sie beendigt, als Frau Belden mit der Ankündigung eintrat, die Abendmahlzeit sei fertig. »Was Ihr Zimmer anbelangt,« fügte sie hinzu, »so habe ich Ihnen mein eigenes hergerichtet, da ich vermutete, es würde Ihnen angenehm sein, im ersten Stock zu wohnen.« Mit diesen Worten öffnete sie eine Seitenthür und zeigte mir eine kleine, aber behagliche Stube.

»Es ist etwas altmodisch möbliert,« entschuldigte sie sich, indem sie nach dem Speisezimmer voranging; »aber ich denke, Sie werden es sich bequem darin machen können.«

Das Abendbrot, zu welchem wir uns nunmehr setzten, mit seinen einfachen, aber vorzüglich zubereiteten Gerichten, wobei Frau Belden mit größter Liebenswürdigkeit die Wirtin machte, werde ich so leicht nicht vergessen. Ich konnte ein Gefühl der Beschämung nicht los werden, daß ich mich als heimlicher Späher bei ihr eingeschlichen hatte. Meine Erregung nahm zu, als ich die Bemerkung machte, daß ihr irgend etwas auf dem Herzen lag, was sie gern abwälzen wollte; doch kam sie immer nicht mit der Sprache heraus, so oft sie auch dazu ansetzte.

Wie schrak sie zusammen, wenn eine Katze vom Küchendach auf den Rasenplatz hinter dem Hause hinabsprang, und wie klopfte mein Herz, wenn ich das Knarren einer Diele zu unsern Häupten hörte, oder zu hören glaubte.

Wir befanden uns in einem langen, schmalen Raum, der quer durch das Haus lief, auf der einen Seite in das Wohnzimmer, auf der andern in die mir angewiesene Schlafstube mündend.

»Fürchten Sie sich nicht davor, allein in diesem Hause zu wohnen?« fragte ich, als Frau Belden mir ein Stück kaltes Huhn vorlegte, »haben Sie hier keine Landstreicher, die eine so alleinstehende Dame wie Sie belästigen könnten?«

»Mich wird niemand belästigen,« antwortete sie; »wer hier Speise oder Quartier begehrt, dem wird es gegeben.«

Wie seltsam, daß eine solche Freundin und Beschützerin der Armen und Unglücklichen auf irgend welche Weise in ein dunkles Verbrechen verwickelt war! Bei diesem Gedanken kam es mir in den Sinn, daß, wenn sich wirklich eine Person wie Hannah im Hause befand, meine Wirtin ihr doch wohl etwas zum Nachtimbiß hinauftragen würde. Ich warf einen berechnenden Blick auf die vor mir stehenden Teller, vielleicht, daß es mir hinterher gelang, zu sehen, ob nicht ein Teil der Ueberbleibsel verschwunden wäre.

»Ich will meine Zigarre auf der Veranda rauchen,« sagte ich, »und dann hoffe ich, daß Sie Muße haben werden, ein wenig mit mir zu plaudern.«

»Mit dem größten Vergnügen,« erwiderte sie, und das Verlangen, mir eine für sie wichtige Mitteilung zu machen, zeigte sich deutlicher als je. »Aber auf die Veranda brauchen Sie deshalb nicht zu gehen; ich kann den Rauch einer Zigarre recht gut vertragen.«

»Ich ziehe aber doch die Veranda vor,« beharrte ich, »etwas frische Luft ist gerade, was ich wünsche.«

In Wahrheit sehnte ich mich nach Spürnase; denn ich fühlte, das geringste Zeichen von seiner Anwesenheit im Orte würde für mich sehr ermutigend sein; doch es hatte ganz den Anschein, als ob mir selbst diese kleine Genugthuung nicht zuteil werden würde. Vergeblich schritt ich die Veranda von einem Ende zum andern ab; ich sah und hörte nichts von ihm; ich vernahm nicht das ihm eigentümliche kurze Lachen, und wenn er sich irgendwo in der Nähe befand, so mußte er eben im Hinterhalte liegen.

Nach einer Weile kam Frau Belden mit einem leeren Teller, wie ich deutlich bemerkte, die Treppe herunter, stellte das Geschirr in die Küche und setzte sich dann zu mir. »Sie sind ein Rechtsanwalt, wie ich höre,« begann sie nach einigem Zögern, ihr Strickzeug zur Hand nehmend.

»Ja,« antwortete ich, »das ist mein Beruf.«

Einen Moment schwieg sie, dann hob sie mit stockender Stimme wieder an: »Vielleicht würden Sie die Güte haben, mir einen Rat zu geben. Ich befinde mich nämlich in einer seltsamen Lage, aus der ich mich nicht herauszufinden weiß, und doch fordert die Angelegenheit schleunige Erledigung; würden Sie wohl die Güte haben, mir auf kurze Zeit Gehör zu schenken?«

»Sehr gern; es würde mich freuen, Ihnen einen Dienst erweisen zu können, falls es in meiner Macht steht.«

Sie atmete tief auf und erzählte: »Ich kann es Ihnen mit wenigen Worten sagen. Es befindet sich nämlich in meinem Besitz ein Päckchen Papiere, welches mir zwei Damen unter der Bedingung anvertrauten, daß ich es weder zurückgeben, noch es vernichten dürfe ohne Vorwissen und Einverständnis beider Parteien. Bis dahin sollten die Dokumente in meinen Händen bleiben, und ich dürfe sie mir weder durch List noch Gewalt entreißen lassen.«

»Bitte, fahren Sie fort,« bat ich, als sie eine Pause machte.

»Nun erhalte ich aber von einer der beiden Damen, und zwar von derjenigen, die am meisten bei der Sache beteiligt ist, die bestimmte Weisung, jene Papiere unverzüglich zu vernichten, da ihr Seelenfrieden und ihre Sicherheit davon abhinge.«

»Und Sie wollen nun von mir wissen, was Ihre Pflicht in diesem Falle ist?«

»Ja,« antwortete sie zagend.

»Sie müssen unter allen Umständen die Schriftstücke so lange behalten, bis man Sie von Ihrer Pflicht von beiden Seiten entbindet.«

»Ist das Ihre Meinung als Rechtsanwalt?«

»Ja, und als Mensch auch. Sie haben sich einmal verpflichtet, und es giebt für Sie keine Wahl; es wäre ein Vertrauensbruch, wenn Sie der Forderung des einen Teiles nachgäben, während Sie den andern übergingen. Die Thatsache, daß Verlust oder Unglück eintreten möchten, wenn Sie die Papiere behalten, ändert nichts an Ihrer Verbindlichkeit; außerdem sind Sie ja nicht einmal dessen sicher, ob die Darstellung der am meisten beteiligten Partei wirklich die richtige ist; Sie würden durch die Vernichtung der Dokumente ein großes Unrecht begehen, da dieselben ohne Zweifel für beide Teile von hohem Wert sind.«

»Aber die Umstände, – Umstände ändern oft eine Sache, – kurzum, es scheint mir, daß die Wünsche der am meisten dabei interessierten Dame berücksichtigt werden müssen, zumal zwischen beiden eine Entfremdung eingetreten ist, welche vielleicht die andere veranlaßt, ihre Zustimmung niemals zu erteilen.«

»Nein,« erwiderte ich, »ein doppeltes Unrecht giebt niemals ein Recht. Sie müssen die Papiere auch ferner noch aufbewahren, Frau Belden.«

Sie ließ das Haupt trostlos sinken; offenbar war es ihr Wunsch gewesen, jener Dame zu helfen. »Das Gesetz ist sehr hart,« seufzte sie, »sehr hart!«

»Hier kommt nicht nur das Gesetz in Betracht, sondern die einfache Pflicht,« erklärte ich. »Nehmen Sie einmal den entgegengesetzten Fall an, Ehre und Glück der andern Partei hingen von der Aufbewahrung dieser Papiere ab, was würden Sie alsdann thun?«

»Aber –«

»Kontrakt bleibt Kontrakt!« sagte ich, »daran läßt sich nicht deuteln; Sie haben das Unterpfand erhalten und Ihr Wort dafür verpfändet, folglich müssen Sie alle Bestimmungen des Vertrages bis auf den letzten Buchstaben erfüllen.«

Ein düsterer Zug glitt langsam über ihr Gesicht. »Ich glaube wohl, daß Sie recht haben,« meinte sie und wurde sehr schweigsam.

Indem ich sie beobachtete, dachte ich bei mir: »Wenn ich Gryce oder auch nur Spürnase wäre, so würde ich von diesem Platze nicht eher weichen, als bis ich der Sache auf den Grund gekommen wäre, als bis ich herausgebracht hätte, wer die beiden Damen sind, und wo die Papiere, die ja von ganz besonderer Wichtigkeit zu sein scheinen, verborgen liegen.« Da ich jedoch keiner von beiden war, so konnte ich weiter nichts thun, als sie bei demselben Gesprächsgegenstande erhalten, vielleicht daß mir eine ihrer weiteren Aeußerungen Aufklärung geben würde.

Ich wandte mich ihr daher wieder zu in der Absicht, ihr eine auf dies Thema bezügliche Frage vorzulegen, als meine Aufmerksamkeit durch das Erscheinen einer Frau abgelenkt wurde, welche in diesem Augenblick aus der Hinterthür des Nachbarhauses trat, und deren Zerlumptheit und Unreinlichkeit sie als echte Landstreicherin erscheinen ließ. Sie nagte an einer Brotkruste, welche sie, auf der Straße angekommen, wegwarf, und schlenderte langsam nach unserem Hause hin, während der Frühlingswind mit ihren zerrissenen Kleidern spielte und ihr gänzlich abgetragenes Schuhwerk sehen ließ.

»Da kommt eine Ihrer Kundinnen,« bemerkte ich, »für welche Sie vielleicht Mitleid empfinden.«

Frau Belden schien aus einem Traume zu erwachen; sie stand langsam auf, schaute sich um und maß das elende Geschöpf, das sich ihr näherte, mit den Augen. »Armes Ding,« murmelte sie, »gewiß ist sie des Erbarmens wert; aber heute abend kann ich nicht viel für sie thun,« fügte sie hinzu, als das Weib an der Gitterthür Halt machte, »ein gutes Abendbrot ist alles, was ich ihr zu verabfolgen vermag.«

Sie forderte die Bettlerin auf, um das Haus herum in die Küche zu kommen, und bald darauf hörte ich eine Stimme »Gott segne Sie!« sagen, wahrscheinlich infolge der einladenden Mahlzeit, die Frau Belden der Landstreicherin vorgesetzt hatte.

Aber das war nicht alles, was letztere verlangte; nach einiger Zeit, in welcher sie wohl ihren Hunger gestillt haben mochte, bat sie um ein Nachtquartier. »Die Scheune,« hörte ich sie sagen, »oder der Holzstall, oder irgend ein Winkel, wo ich vor dem Winde geschützt bin,« und nun begann sie eine lange Litanei von Mangel und Krankheit, so jammervoll anzuhören, daß ich gar nicht überrascht war, als Frau Belden, wieder auf die Veranda tretend, mir erzählte, sie habe ungeachtet ihrer anfänglichen Abneigung der Bettlerin erlaubt, die Nacht am Küchenfeuer zuzubringen.

Die Unterbrechung, welche dieser Zwischenfall veranlaßt hatte, endete unsere Unterhaltung; Frau Belden stieg die Treppe hinauf, und ich war allein, so daß ich über dasjenige nachdenken konnte, was ich vernommen hatte, um meine zukünftige Handlungsweise danach einzurichten. Ich war gerade zu der Ueberzeugung gekommen, daß meine Wirtin ebenso fähig sein würde, sich durch die Macht ihrer Gefühle zur Vernichtung der ihr anvertrauten Papiere hinreißen, wie sich durch meine Auseinandersetzung leiten zu lassen, als ich sie verstohlen die Treppe hinabsteigen und das Haus durch die Vorderthür verlassen sah. Da ich ihren Absichten mißtraute, setzte ich meinen Hut auf und folgte ihr schnell.

Sie schlug die Richtung nach der Hauptstraße ein, und mein erster Gedanke war, daß sie irgend ein Nachbarhaus oder vielleicht auch das Hotel aufsuchen wollte; aber das langsamere Tempo, zu welchem sie ihren eiligen Schritt bald mäßigte, ließ mich vermuten, daß sie einem entfernteren Ziele zustrebe, zumal sie an dem Gasthause und seinen Nebengebäuden, ja sogar an dem kleinen Schulhause, dem letzten Bau auf dieser Seite des Ortes, vorüberging und in das jenseits desselben sich ausdehnende freie Feld einbog. Wohin mochte sie wohl gehen?

Immer noch erblickte ich die rüstig voranschreitende Gestalt, die von einem Shawl dicht umhüllt war. In der hereinbrechenden Dunkelheit des Aprilabends wurde sie allmählich undeutlicher, doch verlor ich sie nicht aus den Augen. Ich folgte ihr auf dem Rasen zur Seite der Straße, damit sie nicht meine Tritte vernähme und sich nach mir umschaute.

Endlich erreichten wir eine Brücke; über diese hörte ich sie gehen; aber dann verstummte jeder Laut, sicherlich stand sie still und horchte.

Es wäre nicht gut gewesen, wenn ich das Nämliche gethan hätte, so nahm ich denn eine möglichst ungeschickte Haltung an und ging an ihr vorüber. Nachdem ich eine Strecke zurückgelegt, machte ich jedoch Halt und kehrte um, ihre Gestalt mit den Augen suchend, bis ich wieder an der Brücke angelangt war.

Aber Frau Belden war verschwunden.

Jetzt war ich überzeugt, daß sie meine Pläne durchschaute und mich von ihrem Hause weggelockt hatte, um Hannah eine Gelegenheit zur Flucht zu geben. Schon im Begriff, auf meinen so unvorsichtig verlassenen Posten zurückzukehren, vernahm ich zu meiner Linken einen seltsamen Schall, der mich veranlaßte stillzustehen. Er kam von dem Ufer eines Baches, welcher unter der Brücke wegfloß, und klang wie das Knarren einer alten Thür, die sich in abgenutzten Angeln dreht.

Es war schon ganz dunkel geworden, und ich eilte so schnell ich konnte vorwärts, als ich bei einem plötzlich über den Himmel zuckenden Wetterleuchten ein Gebäude erblickte, das wie eine alte Scheune aussah. Nach dem Rauschen des Wassers zu urteilen, war sie am Rande des Baches erbaut.

Ich zögerte, in der Finsternis weiter vorzudringen, als ich dicht neben mir ein schweres Atmen vernahm und dann ein Geräusch, als wenn jemand über einen Bretterhaufen wegschritte. Gleich darauf sah ich einen bläulichen Schein im Innern der Scheune aufblitzen und erblickte durch das verfallene Thor Frau Belden, die mit einem angezündeten Streichholz in der Hand dastand und die vier sie umgebenden Wände musterte. Ich wagte kaum zu atmen, beobachtete sie aber scharf, während sie ihre Blicke bald nach dem Dache richtete, durch welches der Himmel hineinschaute, bald nach dem Fußboden, der sich ebenfalls in schadhaftem Zustande befand. Endlich zog sie einen zinnernen Kasten unter ihrem Shawl hervor und setzte ihn vor sich hin auf den Boden. Jetzt wußte ich auf einmal, zu welchem Zwecke sie ihren nächtlichen Gang unternommen hatte; sie wollte verbergen, was sie nicht zu zerstören wagte, und schon machte ich eine Bewegung, auf sie zuzugehen, als das Streichholz in ihrer Hand erlosch. Während sie ein anderes anzündete, überlegte ich, daß es am besten sei, mich verborgen zu halten, um mich des Kastens später zu bemächtigen. Ich schlich mich an eine Seite der Scheune und wartete, bis die Frau sich entfernen würde. Durch das Thor durfte ich nicht spähen, weil häufige Blitze die Umgebung erhellten und meine Anwesenheit leicht hätten verraten können.

Minute nach Minute verrann; tiefes Dunkel wechselte jäh mit Tageshelle, und immer noch kam sie nicht. Schon wollte ich ungeduldig mein Versteck verlassen, als sie endlich erschien und auf die Brücke zuging.

Sobald sie außer Hörweite war, stahl ich mich aus meinem Hinterhalt und trat in die Scheune. Es herrschte natürlich dichte Finsternis, – aber ich bin als Raucher stets mit Feuerzeug reichlich versehen. Ich zündete ein Streichhölzchen an; aber es leuchtete nur sehr schwach und ging aus, bevor ich mehr als einen flüchtigen Ueberblick meiner Umgebung gewonnen hatte. Ich setzte daher ein zweites in Brand; indessen noch ehe ich den Fußboden einer genauen Forschung unterwerfen konnte, um eine Spur davon zu entdecken, wo der Kasten verborgen sein mochte, erlosch es ebenfalls.

Jetzt erst begriff ich die ganze Schwierigkeit meines Unternehmens. Jedenfalls hatte sich die Frau zum Versteck ihres Schatzes den sichersten Platz sorgfältig ausgewählt, und ich besaß keinen Faden, der mich hätte führen können; ich konnte weiter nichts thun, als Streichhölzer verbrennen. Ein Dutzend hatte ich schon verbraucht, bevor ich zu der Ueberzeugung gelangte, daß der Kasten nicht unter dem in einer Ecke befindlichen Trümmerhaufen steckte, und ich besaß nur noch ein einziges Zündhölzchen, als ich gewahr wurde, daß eine der zerbrochenen Dielen ein wenig aus ihrer ursprünglichen Lage gerückt war. Bei dem Scheine eines einzigen Streichhölzchens sollte ich nun das Brett emporheben, den Raum unter demselben untersuchen und den Kasten herausnehmen, vorausgesetzt, daß er dort vergraben lag.

Ich beschloß, dieses mein letztes Hilfsmittel nicht zu vergeuden, kniete daher in der Dunkelheit nieder, tastete nach dem Brett und fand, daß es ziemlich lose war. Ich riß es los und warf es beiseite; dann setzte ich mein Zündholz in Brand und leuchtete in die Höhlung hinein; aber ein plötzlicher Luftzug blies es aus, und so war ich genötigt, die Vertiefung im Finstern zu durchstöbern. Nach einiger Zeit wurde meine Mühe belohnt, und ich hielt den Gegenstand meiner Neugier in den Händen.

Höchst zufrieden mit dem Erfolg meiner Anstrengung, machte ich mich auf den Weg mit dem einzigen Wunsch, noch vor Frau Belden das Haus zu erreichen. Doch war das möglich? Sie hatte einen Vorsprung von mehreren Minuten; ich mußte ferner an ihr vorbei, und sie konnte mich leicht erkennen. Dennoch wollte ich es auf die Gefahr hin wagen.

Sobald ich wieder auf der Straße war, beschleunigte ich meine Schritte. Schon war ich eine Strecke weit gegangen, ohne irgend jemand zu begegnen, als ich plötzlich bei einer Wendung des Weges unerwartet Frau Belden sah, die mitten auf der Straße stand und rückwärts schaute. Ich eilte an ihr vorüber; aber sie schien mich weder zu sehen, noch zu hören.

Ueberrascht und noch mehr erstaunt darüber, daß sie gar keine Miene machte, mir zu folgen, kehrte ich mich um und begriff mit einem Male, warum sie wie angewurzelt schien und mich gar nicht beachtet hatte: die Scheune hinter uns stand in Flammen.

Augenblicklich wurde mir klar, daß die Brandstiftung das Werk meiner Hände sei; ich hatte ein noch glimmendes Streichholz in irgend einen leicht entzündbaren Stoff fallen lassen. Ich blieb stehen und starrte bestürzt nach der Feuersbrunst. Höher und höher stiegen die Flammen, immer röter färbten sich die Wolken oben und der Bach unten. In dem Banne, der mich fesselte, vergaß ich Frau Belden ganz, bis ihr lautes Stöhnen mich an ihre Gegenwart erinnerte. Ich näherte mich ihr und hörte sie ausrufen, als ob sie im Traum sei: »Mein Gott, das habe ich nicht gewollt!« Dann fügte sie leiser im Tone der Befriedigung hinzu: »Nun ist ja alles gut, und Mary wird glücklich sein, ohne daß jemand deshalb zu tadeln wäre.«

Mehr brauchte ich nicht zu hören; ich wanderte weiter, während sich in der Ferne bereits laute Rufe und schnelle Schritte vernehmen ließen, die der Stätte des Brandes zueilten.

Zu Hause angelangt, überzeugte ich mich, daß die Landstreicherin nicht meine Abwesenheit zu diebischen Zwecken benutzt hatte; dann zog ich mich auf mein Zimmer zurück und besichtigte den verschlossenen Kasten. Aus seinem geringen Gewicht zog ich den Schluß, daß er wohl nichts mehr enthielt als die von Frau Belden erwähnten Papiere, schob ihn unter mein Bett und kehrte in die Wohnstube zurück.

Ich hatte mich kaum hingesetzt und ein Buch zur Hand genommen, als Frau Belden eintrat. »Ist das eine Nacht!« rief sie, indem sie Hut und Shawl ablegte. Ihr Gesicht war von Anstrengung gerötet, zeigte aber doch einen Ausdruck der Erleichterung. »Es blitzt ganz fürchterlich,« fuhr sie fort, »und irgendwo muß ein Feuer ausgebrochen sein. Ich hoffe, Sie haben sich nicht einsam gefühlt, ich hatte einen notwendigen Gang, glaubte aber nicht, daß ich so lange ausbleiben würde.«

Ich entgegnete ihr irgend etwas Gleichgültiges, und sie eilte hinaus, um das Haus zu verschließen. Lange wartete ich, aber sie kam nicht zurück; vielleicht war sie aus Furcht, sich zu verraten, auf ihr Zimmer gegangen und überließ mich mir selbst.

Was mich anbetrifft, so fühlte ich nicht das Bedürfnis nach weiteren Aufregungen und beschloß deshalb, alle ferneren Schritte auf den nächsten Tag zu verschieben. Sobald das Gewitter vorüber war, legte ich mich zu Bett und versank nach einigen vergeblichen Anstrengungen, die ersehnte Ruhe zu finden, in einen tiefen Schlaf.


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