Luise Adelgunde Victorie Gottsched
Die Pietisterey im Fischbein-Rocke
Luise Adelgunde Victorie Gottsched

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Siebender Auftritt.

Fr. Glaubeleichtin, Jfr. Luischen. (setzen sich.)

Frau Glaubeleichtin. Luischen! ich habe dich lieb; und bishero hast du allezeit genungsame Proben davon gehabt. Du hast mich den Augenblick sehr erzürnt; aber ich will es dir alles verzeihen, wenn du deinen Fehler verbessern willst. Ich suche dich glücklich zu machen. Aber mein liebes Luischen! nicht auf die Art, wie die Welt es insgemein auslegt. (Indem sie so redet, sitzet die Tochter immer in Gedancken.) Beliebt es dir wohl mir zuzuhören?

Jungfer Luischen. Ja, Mama.

Frau Glaubeleichtin. Hast du mich zum Narren?

Jungfer Luischen. Behüte GOtt! nein.

Frau Glaubeleichtin. So siehe mich an, und höre zu. Hast du mir nicht vor einer Stunde gesagt, daß du gerne möchtest verheyrathet seyn?

Jungfer Luischen. Es ist wahr, Mama. (Bey Seite:) O mein GOtt!

Frau Glaubeleichtin. Nun, meine Tochter! ich will hierinnen deiner Neigung folgen.

Jungfer Luischen. Ich bin der Mama unendlich verbunden.

Frau Glaubeleichtin. Ich gebe dir einen jungen Menschen, der viel Verdienste hat.

Jungfer Luischen. Herr Liebmann hat ihrer sehr viel.

Frau Glaubeleichtin. Wie? der von seinem heiligen Vetter selbst erzogen worden ist? Er hat die süsse Milde der Christlichen Sitten-Lehre und Religion schon als ein Kind eingezogen; und man sagt, daß er die rechte Krone aller Männer seyn wird? Ist das noch dein Liebmann?

Jungfer Luischen. In gewissem Verstande kommt ihm das alles zu.

Frau Glaubeleichtin. Nun, so will ich dirs sagen, daß ers nicht ist. Die Mädgens sind doch rechte Tierchen! Wenn sie einmahl jemanden im Kopfe haben; so dencken sie, es sey kein anderer mehr in der Welt.

Jungfer Luischen. Aber liebe Mama – – –

Frau Glaubeleichtin. Schweig! Der junge Mensch, von dem ich rede, ist der junge Herr von Muckersdorff. (Luischen entsetzt sich:) Es ist dir gewiß nicht recht? Du Närrin! ist dir der Nahme zuwider? Mit einem Worte, es ist der Vetter des heiligen Mannes GOttes, mit dem du den Augenblick geredet hast.

Jungfer Luischen. Ach, Mama! verzeihen sie: Ich habe mich schon bedacht.

Frau Glaubeleichtin. Nun, wie denn?

Jungfer Luischen. Ich will gar nicht heyrathen.

Frau Glaubeleichtin. So? die geschwinde Veränderung ist gewiß recht artig, und kan eine Probe deines Gehorsams ablegen. Wenn ich dich nicht verheyrathen will; denn willst du: Und wenn ich will; so willst du nicht. Das gefällt mir.

Jungfer Luischen. Wir haben unsern Willen nicht allemahl in unserer Gewalt. Ich habe oft gehört, die Mama sagen, daß alles, was wir wollen, von der Gnade herkäme, die uns zum Wollen zwinget; und wir könnten nicht widerstehen. Herr Scheinfromm hat mir eben dasselbe gesagt.

Frau Glaubeleichtin. So! so! du fängst an zu raisonniren! Nun weil du denn Lust darzu hast; so frage ich dich: Weisst du auch wohl, was eine Mutter vor Gewalt über ihre Tochter hat?

Jungfer Luischen. Ach, ja!

Frau Glaubeleichtin. Weisst du auch wohl, daß der Papa mir bey seiner Abreise alle seine Rechte übertragen hat? Damit ich dir also die Mühe erspahren möge, dir den Kopf zu zerbrechen; so sage ich dir, daß ich es haben will, und daß ich dirs befehle – – –

Jungfer Luischen. Ach Mama! um GOttes willen! was ist das vor ein Befehl?

Frau Glaubeleichtin. Ja, ich will! daß du noch heute Abend verheyrathet seyn sollst.

Jungfer Luischen. Noch heute?

Frau Glaubeleichtin. Ja! noch heute.

Jungfer Luischen. O Himmel! (Sie wirft sich vor der Mutter auf die Knie:) Allerliebste Mama! lassen sie sich durch meine Thränen bewegen!

Frau Glaubeleichtin. Schweig! und stehe auf! Was ich thue, das thue ich zu deinem Besten.

Jungfer Luischen. Ich werde aber den Tod davon haben.

Frau Glaubeleichtin. Ach! was wirst du doch den Tod davon haben? Dein Fleisch wird gecreutzigt; deine natürliche Lust erstickt, und der alte Adam begraben werden; und alsdenn wird die Liebe den Sieg erhalten.

Jungfer Luischen. Was wird aber mein Vater sagen, daß ich einen andern Mann nehme, dem er mich nicht versprochen hat.

Frau Glaubeleichtin. Dein Vater war in der Lehre der rechten Creutzigung des Fleisches gar schlecht unterrichtet: Er gab, da er dich dem Liebmann versprach, eurer beiderseitigen Neigung gar zu viel Gehör, und meinte, daß diese zum Ehestande nöthig wäre. Aber Herr Magister Scheinfromm erkläret das Ding gantz anders.

Jungfer Luischen. Unsere Liebe ist von beyden Seiten allezeit untadelich gewesen; und ihr Endzweck war allezeit erlaubt und Christlich. Mein Vater hat sie gestifftet, und – – –

Frau Glaubeleichtin. Man sehe doch die erschreckliche Unwissenheit! bey allem Unterichte, den sie empfängt! Weisst du denn nicht, daß alles, was Sünde ist, nicht unsträfflich seyn kan: Und alles, was aus der Natur kömmt, das ist Sünde? Begreiffst du das nicht?

Jungfer Luischen. Nein, Mama!

Frau Glaubeleichtin. Nicht? gut! du wirst Zeit genung kriegen, es zu untersuchen. Ich will gehen, und dem Herrn Scheinfromm noch einmahl schreiben, daß er ja nicht ermangeln soll seinen Vetter mitzubringen. Siehe zu, daß du ihn wohl empfängst. (Sie gehet ab.)


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