Rudolf von Gottschall
Parasiten
Rudolf von Gottschall

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Drittes Kapitel

Ein eleganter Salon – das Lokal des hauptstädtischen Schachklubs! An den Wänden Bilder der berühmten Meister – ein geöffneter Schachschrank mit einer reichhaltigen Bibliothek, mit dünnen und dicken Bänden, in denen die Schachweisheit der Jahrhunderte ihre gesammelten Erfahrungen niedergelegt hatte. Auf dichten Rauchwolken schien die rätselhafte Schachgöttin Caissa zu thronen, nach der Ansicht vieler eine Art von Glücksgöttin, welche die Siegespreise nach Gunst oder Ungunst verteilt, während andere in ihr eine streng waltende Göttin der Gerechtigkeit sehen, welche nur das Verdienst, nur den siegreichen Scharfsinn belohnt.

Das Tombolaturnier, das im Gange war, neigte sich dem Ende zu; eine große Zahl von Siegern brachten bereits ihre Preise in Sicherheit; andere kämpften noch auf dem Schlachtfelde, mit sehr gelichteten Truppen; nur hinter wenigen Bauern war hier noch ein König verschanzt; dort mußte ein letzter alleinstehender Turm die Majestät verteidigen, und auf einem dritten Schlachtfeld trieben Läufer und Springer den Roi denué in die todbringende Ecke.

Die Gesichter der Spieler zeigten die Erregung der Gemüter vor großen letzten Entscheidungen; sie sahen und hörten nicht, was um sie her vorging; nur ein Erdbeben hätte ihre Aufmerksamkeit von dem Brett ablenken können. Einige glaubten, durch einige Gläser Kulmbacher sich zu künftigen Offensivtaten stärken zu können. Die Vorsichtigen begnügten sich mit einer 43 Tasse Kaffee, welche zu geistvollen Kombinationen anregt oder mit einer Tasse Tee, welche die Urteilskraft schärft.

»Donnerwetter!« rief der alte Obrist von Goehlen, »das hab' ich übersehen! Muß mir das noch passieren, und meine Partie stand so gut. Nun, ich gebe sie auf!«

Und er erhob sich vom Tisch mit einem ärgerlichen Ruck, daß die wenigen Figuren, die noch aktiv auf dem Brette waren, zusammenstürzten, vor allem aber die zahlreichen Gefangenen, welche die beiden Parteien gemacht und die neben dem Brett aufmarschiert standen, übereinanderfielen, wie bei einem Massacre, bei dem kein Pardon gegeben wird.

Der Obrist trat seinen Rückzug an, in die eine Plauderecke, wo eine nicht allzu rücksichtsvolle und leise Unterhaltung im Gange war. Auf allzu zarte Nerven der Spieler wurde dabei nicht Rücksicht genommen; ein abgehärteter Jünger der Caissa war so in sein Spiel vertieft, daß die Schallwellen sich vergeblich bemühten, in sein Gehörorgan die Laute und Worte von Gesprächen zu tragen, die nicht einmal durch einen Flüsterton verschleiert wurden.

Der Obrist hatte eine für einen Schachspieler unangenehme Eigenschaft; er verlor immer und das vermochte sein Selbstgefühl nicht zu erschüttern. Wer sich näher unterrichten wollte, der konnte von ihm erfahren, daß seine Partie stets so gut wie gewonnen war, bis er in der Übereilung einen unglücklichen Fehlzug gemacht, und wenn er geduldige Zuhörer fand, so erläuterte er dies an einem zur Disposition gestellten Schachbrett und er hatte ein gutes Gedächtnis und wußte die kritischen Augenblicke des Kampfes stets 44 wieder ins Leben zu rufen. Und er triumphierte, denn sein Fehlen war immer sehr einleuchtend.

»Sie hätten nicht Gambit spielen sollen,« sagte der Oberlehrer Schlüter, »Ihr Gegner, der junge Doktor, kennt den ganzen Bilguer auswendig.«

»Larifari,« sagte der Obrist, indem er sich seinen Schnurrbart strich, »die ganze Theorie, das ganze auswendig gelernte Zeug, ist keinen Heller wert. Ich schöpfe alles aus mir selbst; eine einzige geniale Kombination zerreißt diese ganze Filigranarbeit, die sie sich da in den Buchläden gekauft haben.«

Eben war eine Partie zu Ende gegangen, welche schlagend bewies, daß die Göttin Caissa keine gesellschaftlichen Unterschiede respektiert. Die große Gemeinde des Schachspiels macht das Ideal wahr, das Klopstock und seine Gelehrten vergeblich aufgestellt haben. Der eine Herr, der sich vom Platze erhob, war Graf von Rücker, Königlicher Kammerherr; sein Mitspieler der Markthelfer Grobert aus dem großen Geschäft am Markt, und dieser war Sieger im Kampf geblieben und begab sich an den Tisch, wo der Schriftführer und Kassierer des Klubs die gewonnenen Preise verteilten.

»Das ist ein korrekter Spieler, der Grobert,« sagte der Graf, »es ist nicht gegen ihn aufzukommen, er hat für jeden Angriff die richtige Parade bereit.«

»Alles Defensive,« brummte der Obrist, »und zwar schlechte Defensive, die beste Verteidigung ist doch immer der Angriff.«

»Wenn er möglich ist,« meinte Edgar, welcher sich auch in dieser Gruppe der Plauderecke befand; er war ein leidenschaftlicher Schachspieler und hatte seine Kunst in Havanna und anderen transatlantischen Orten im 45 Kämpfen mit den Meistern des anderen Weltteils erprobt. Doch er blieb immer ein genialer Dilettant und hatte keine Turnierberühmtheit errungen; er spielte, weil es ihm Vergnügen machte, nicht um Preise zu erringen und in den Weltblättern genannt zu werden. Jetzt trat ein Mitglied des Schachklubs ein, das wenig spielte, aber es sich zu besonderer Ehre rechnete, dieser geistvollen Gemeinde anzugehören. Es war der Kommerzienrat Sauber, ein kleiner beweglicher Herr mit funkelnden Augen, Vorsitzender der Handelskammer, eine der Finanzgrößen der Stadt. Dicht an der Tür befand sich ein großes Bild des letzten Schachkongresses, an dem auch er sich beteiligt hatte, und er ging niemals vorüber, ohne einen befriedigten Blick auf das Bild zu werfen; denn da sitzt auch er an einem Tische links im Vordergrund neben den berühmten Meistern, wohlgefällig lächelnd, und da die Photographie auch in einem Kasten der besuchtesten Straße ausgestellt war, so wußte die ganze Stadt: »Das ist Sauber, unser Sauber; er ist auch ein hervorragender Schachspieler!« Die Auszeichnung, unter den Teilnehmern des Kongresses eine bevorzugte Stelle einzunehmen, verdankte Sauber weniger seinem Schachspiel als seinem Gelde; denn er hatte das Zustandekommen des Kongresses durch eine sehr namhafte Summe gesichert; er war ein Schutzherr des königlichen Spiels und alle Schachblätter sangen sein Lob. Ein Geizhals war er überhaupt nicht; ein Witwer ohne Kinder, verwendete er einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Einkünfte zur Unterstützung gemeinnütziger Unternehmungen und stellte auch sonst sein Licht nicht unter den Scheffel, wenn es galt, künstlerische oder andere Interessen zu fördern, welche von 46 sich reden machten. Seine Eitelkeit kam auf ihre Kosten; aber es war auch sonst für ihn eine angenehme Beschäftigung; er hatte einen regsamen Geist, der stets über das öde Einerlei der Kontorarbeit hinausstrebte.

Er schüttelte den Bekannten in der Plauderecke die Hand, nur Edgar war ihm fremd. Der alte Obrist, der eben dem Grafen die Position aufstellte, wie er hätte gewinnen müssen, übernahm es, dem Mäcen des Schachspiels den jungen Doktor der Weltweisheit vorzustellen.

»Sie haben sich schon einen Namen erworben,« sagte der Kommerzienrat, »wir kennen Sie alle als einen jungen Gelehrten, der die Wissenschaft mit den Resultaten einer großen Weltreise bereichert hat. Es freut uns sehr, Sie in unserer Schachgemeinde begrüßen zu können.«

Er sprach verbindlich und liebenswürdig und Edgar fühlte alsbald Sympathie für den kleinen Mann mit den funkelnden Augen. Sie sprachen lange miteinander und die geographischen und ethnographischen Kenntnisse des Kommerzienrats flößten Edgar einen gewissen Respekt ein.

Inzwischen hatten die letzten Sieger und Besiegten des Tombolaturniers die Wahlstatt verlassen und es hatten sich mehrere Kreise gebildet, in denen über die verschiedentlichsten Dinge, über das Königsspringer-Gambit und die neueste Oper, über das letzte Problem der illustrierten Zeitung und über den letzten Leitartikel der politischen Tageszeitung gesprochen wurde. Und wenn von dem König und der Königin die Rede war, so mußte man genau hinhören, um zu entscheiden, ob der Landesfürst und seine Gemahlin oder der 47 hörnerne und elfenbeinerne König und seine so einflußreiche, das ganze Spiel beherrschende Dame gemeint sei.

Da wurden die Gespräche durch das Eintreten eines Herrn unterbrochen, der mit einer gewissen Ehrerbietung empfangen wurde, obschon seine äußere Erscheinung durchaus nichts Glänzendes hatte. Es war der junge Schachmeister Murner, der soeben in dem letzten internationalen Turnier einen der ersten Preise gewonnen. Wenn er den Schachklub mit seiner Gegenwart beehrte, so geschah dies stets zu sehr später Stunde; denn wäre er früher gekommen, so hätte dies den Anschein haben können, als wolle er mit dem einen oder andern Herrn ein Spielchen machen, doch zu solcher Herablassung fühlte er sich zu groß und erhaben: es gibt Virtuosen in jeder Kunst; es gibt heutzutage auch Virtuosen des Schachspiels. Berühmte Schauspieler wissen indes durch ihre Erscheinung zu blenden; berühmten Schachspielern gelingt das weniger. Bei ihrer grüblerischen Tätigkeit, bei ihrer sitzenden Lebensweise haben sie bisweilen etwas Verhocktes wie große Gelehrte und es fehlt ihnen die Grazie der die Photographie herausfordernden Attitüden und der vornehmen Handbewegungen. Doch ein Virtuose, auf welchem Gebiete es sein mag, verleugnet sich nie; ein unsagbares Etwas, ein gewisses Parfüm von Weltruhm umschwebt ihn, und auch Murner sah auf die Zöllner und Sünder ringsum mit einem sich an die Brust schlagenden Selbstgefühl herab. Die ganze Welt bestand für ihn aus Meistern und sogenannten Korksern, zu denen alle gehörten, die keine Preise errungen hatten. Nur eine Ausnahme gab es unter den letzteren, das waren die Mäcene – da beugte sich der Stolz des Preisgekrönten und vor dem 48 Kommerzienrat Sauber wurde er klein und demütig. Der wußte das Genie zu würdigen und greift ihm unter die Arme. Hatte doch das Schachgenie oft Ähnlichkeit mit dem Roi denué – und da bedurfte es der Sterblichen, die mit überflüssigen Mitteln ausgestattet waren, welche Darlehen gaben, ohne sie zurückzuverlangen. Und das Schachgenie, das im stillen daran arbeitet, sich zu immer neuen Triumphen auszubilden, hat es nicht auf schnöden Geldgewinn abgesehen; mühselig fristet der Meister sein Leben mit kleinen Gastreisen, mit Ensemble- und Blindlingsspielen, wobei er die Korkser en masse abschlachtet. Und wenn's an den großen Festtagen Brei regnet, dann hat er immer seinen Löffel zur Hand. Doch das reicht nicht für die lange tote Saison. Sauber hatte das eingesehen und Murner war ihm dankbar dafür. Den schuldigen Zoll dieses Dankes nahm der Kommerzienrat wie immer mit wohlwollendem Lächeln entgegen. Immerhin war Murner eine Berühmtheit und er hatte ihn bei seiner Schwester, der Frau Geheimrat eingeführt, wo er allerdings mit seiner meist schiefsitzenden Krawatte und seinem schmutzigen Hemdkragen nicht zu den Zierden des Salons gehörte. Doch mit einer Berühmtheit, die nicht bloß in den Photographiekästen, sondern auch in den illustrierten Blättern ausgestellt war, durfte man es so genau nicht nehmen. Ein großer Schachspieler mußte überdies einen ganz enormen Verstand haben und das schätzte man hoch in den Salons, wo der Verstand sonst keine große Rolle spielte.

Sauber wandte sich inzwischen dem Doktor Guttmann zu. Seine Schwester würde es ihm nie verziehen haben, wenn er den vielgenannten Reisenden 49 nicht für ihren Salon eingefangen hätte, denn in diesem Salon mußte man den Eindruck haben, wie wenn man eine Nummer der »Woche« in die Hand nahm – so viele berühmte Gesichter.

»Sie sind hier,« sagte der Kommerzienrat, »noch fremd in unserer Gesellschaft. In der Tat, ich möchte Ihnen raten, im Vorübergehen bei meiner Schwester, der Frau Geheimrat Schweiger, eine Visitenkarte abzugeben; sie würde sich sehr darüber freuen und auch ich. Da ich ein alter Junggeselle bin, so macht meine Schwester gleichsam die Honneurs für unsere Familie. Sie finden dort sehr viele geistreiche Leute, die alle Ihre Verdienste zu würdigen wissen.«

Edgar verbeugte sich dankbar, ohne eine bestimmte Zusage zu geben.

»Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Rat!«

Edgar, der keine langatmigen, lärmenden Erörterungen, sondern nur ruhige Partien liebte, verließ dann den Salon, der sich inzwischen mit dichten Rauchwolken gefüllt hatte, aus denen bei lebhafter Schachdebatte die Orakelsprüche der Besserwisser pomphaft hervortönten, und mehrere bebrillte Stirnen und durch langjähriges Nachdenken geschaffene Glatzen hervorleuchteten.

Edgar fand seinen Freund, den Doktor Biesner, noch bei der Arbeit an seinem Pult in einer Bibliothek, in welcher alle Wände bis hoch hinauf mit schön eingebundenen Werken bedeckt waren. Es waren meistens philosophische Schriften, und diese luxuriösen Einbände wollten nicht zu den schlichten, großartigen Gedankenbauten der Denker passen; doch Doktor Biesner liebte den Luxus und war reich genug, sich ihn gestatten zu können.

50 Groß war der Gegensatz zwischen den beiden Freunden, der sich schon in ihrem Äußeren aussprach. Doktor Biesner war schlank, aber von jener dürftigen Schlankheit, welche den Eindruck macht, als ob der Geist den Körper ausgesogen hätte; er hatte eine hohe Stirn, an welcher die semmelblonden Haare weit nach hinten zurückwichen, dünne Augenbrauen, doch ein forschendes tiefes Auge und um die schmalen Lippen einen wehleidigen Zug, welcher oft einem spöttischen Lächeln wich. In seinem ganzen Wesen hatte er etwas Müdes, während sich bei Edgar eine überströmende Lebenslust aussprach.

»Du störst mich gerade zur rechten Zeit,« sagte Biesner, »diese Psychophysiker und Seelenmesser machen mir Kopfschmerzen. Komm, steck' dir eine Zigarre an und laß uns plaudern!«

»Das war meine Absicht, ich wollte einige Fragen an dich stellen!«

»Um eine Antwort sind wir Philosophen nie verlegen. Darin beruht ein großer Teil unserer Weisheit und unseres Ansehens. Und niemand kann diese Antworten kontrollieren. Es gibt bekanntlich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt, und gerade nach diesen Dingen wird gefragt und gerade über diese Dinge geben wir ein endgültiges Urteil ab.«

»Um solche tiefsinnige Fragen handelt es sich nicht,« sagte Edgar, sich eine Zigarre anzündend, »im Gegenteil, um sehr weltliche profane Angelegenheiten. Kennst du die Geheimrat Schweiger?«

»Allerdings.«

»Was ist das für eine Dame?«

»Eine Dame, von der sich unsere Schulweisheit 51 nichts träumen läßt; wir wüßten sie in keiner Rubrik unterzubringen.«

»So erzähle mir, was du von ihr weißt!«

»Sie ist die Witwe des berühmten medizinischen Professors, den du ja wohl gekannt hast. Er war ein Original und nur glücklich, wenn er Frösche skalpieren oder zum Heil der kranken Menschheit einen armen ehrlichen Hund zu Tode martern konnte. Ob er seine Frau auch so grausam behandelte, weiß man nicht genau; sie gehörte nicht zu den stillen Dulderinnen, die sich zu Experimenten hergeben. Sie war siebzehn oder achtzehn Jahre alt, als sie heiratete und ist jetzt noch eine schöne Frau von vierzig Jahren und großer Jugendlichkeit in ihrem Aussehen und Wesen. Der Gatte ist seit mehreren Jahren tot. Die Witwe lebt herrlich und in Freuden. Du erläßt mir wohl, einen Steckbrief von ihr zu entwerfen; du siehst ihr Bild in jedem Photographiekasten, in der Regel in der Mitte, stattlich und groß, so daß alles andere daneben verschwindet. Doch da zur Mutter auch die Töchter gehören: o matre pulchra filia pulchrior, so kann ich auch die Erbinnen ihres Geldes, ihrer Schönheit und ihrer etwaigen Tugenden nicht mit Schweigen übergehen. Es sind sehr hübsche Mädchen – das ist eigentlich alles, was in die Öffentlichkeit gehört. Die Ältere soll klug sein, gebildet; doch sie ist sehr zurückhaltend, eine feine Dame; sie könnte allenfalls die Mutter bemuttern, was diese wohl bisweilen nötig hätte. Die Verehrer wagen sich kaum an sie heran; die jüngere ist frischer, flotter, zugänglicher; sie hat das Temperament der Mutter.«

»Ich danke dir – so bin ich orientiert.«

»Oberflächlich allerdings! Es gibt überall 52 Geheimnisse, die mit Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt werden. Doch davon weiß ich nichts und will auch nichts wissen; ich bin ein seltener Gast der Frau Geheimrat; ich wundere mich nur über das Interesse, das diese Dame dir auf einmal einflößt.«

»Ihr Bruder ist der Kommerzienrat Sauber –«

»Ja, sie stammt aus einer sehr reichen Familie und hat dem Tierquäler, der auch an gestundeten Honoraren litt, eine sehr komfortable Existenz bereitet.«

»Dem Kommerzienrat bin ich heute im Schachklub vorgestellt worden und er hat mich aufgefordert, bei seiner Schwester eine Karte abzugeben; sie werde sich freuen, mich in ihrem Salon begrüßen zu können.«

»Ihr Salon . . . Ja, lieber Freund, das ist eine Blüte unseres gesellschaftlichen Lebens. In der kleinen Universitätsstadt, von welcher sie erst seit einem Jahre hierher übergesiedelt ist, konnte sie nicht solchen Glanz entfalten. Sie gab große Gesellschaften, doch sie sahen mehr der Versammlung eines akademischen Senats ähnlich, lauter in Fachkreisen anerkannte Fachgelehrte und außerdem ein paar junge, eben aus dem Ei gekrochene Privatdozenten, die meist eine schöne Zukunft vor sich hatten, während die Gegenwart durch leere Auditorien einen bösartigen Eindruck machte. Andere Sterbliche, mit denen man Staat machen konnte, gab es nicht in dem gelehrten Nest! Wie anders hier, wo die Genies wild wachsen; wo in Künsten und Wissenschaften immer neue interessante Persönlichkeiten auftauchen, wo Berühmtheiten aus dem Reichstage auf der Straße spazieren gehen, wo Weltmänner von Ruf aus den Salons in Paris, London und St. Petersburg gelegentlich Station machen!«

53 »Und so rätst du mir, mich bei der Frau Geheimrat anzumelden?«

»Gewiß – ein Naturforscher, wie du, wird dort auf seine Kosten kommen. Da gibt es allerlei merkwürdige Menschenexemplare, da gibt es Phanerogamen und Kryptogamen und Schmarotzerpflanzen verschiedener Art. Und da du noch Lebemann bist, was ich mir längst abgewöhnt habe, so wirst du dich an seltenen Gerichten und kostbaren Weinen erfreuen, elegante Toiletten bewundern, dich von reifen und unreifen Schönen entzücken lassen können und bei jedem Schritt über deine Berühmtheit stolpern. Und du wirst selbst Eroberungen machen – du hast das Zeug dazu.«

»Und du wirst mich begleiten?«

»Meinetwegen! Nach den Bocksprüngen der neuesten genialen Gedankenriesen, welche den Ossa auf den Pelion wälzen, hat der alltägliche Stumpfsinn etwas Beruhigendes, Tröstliches. Wenn man zehn Bände Nietzsche durchstudiert hat, wird man abgespannt; das Mühlrad geht einem im Kopfe herum und man sehnt sich nach einer jungen hübschen Frau, welche jenseits von Gut und Böse steht.«

»Wohlan denn, so will ich meine Visite machen!«

»Ich kenne das Terrain; es gibt da viele Falleisen, doch auch unsichtbare Strohwische sind aufgepflanzt vor verbotenen Wegen – ich werde dich rechtzeitig warnen. Ich bin, wie gesagt, ein seltener Gast; doch du wirst dich wundern, welches Ansehen ich dort genieße. Nicht meiner philosophischen Studien und der paar Schriften wegen, die ich veröffentlicht habe, sondern weil ich für einen reichen jungen Mann gelte. Und dem Reichtum verzeiht man alles. selbst den 54 Hochmut, den ich zur Schau trage gegenüber den anderen Sterblichen. Man glaubt, er kommt von meinem Gelde her – und das findet man in der Ordnung. Doch er entspringt aus einer Verachtung dieses ganzen geistlosen Gesindels – und das würde man nicht in der Ordnung finden.«

»Nun, wenn man dich in diesen Kreisen so hoch stellt – denkst du dann nicht daran, dir eine Lebensgefährtin zu suchen? Du hast doch die Wahl!«

»Ich denke zwar nicht über die Frauen wie Schopenhauer, doch bei meinen Lebensgewohnheiten kann eine Frau mir nur eine störende Beigabe sein. Ich bin nicht abgehärtet gegen den Eindruck weiblicher Schönheit; aber ich möchte mich nicht kontraktlich verpflichten, ihren allmählichen Verfall jahrelang mit ansehen zu müssen! Das würde mir ein gewisses Mißgefühl bereiten; man kann ja den traurigen Wandel der irdischen Dinge auch wo anders studieren, als in seinem eigenen Hause. Und was kann ich einer Frau bieten? Ich bin ein Bücherwurm; ich habe meine Launen und Grillen und wenn ich über die unsinnigen Resultate, zu denen ein berühmter Denker kommt, in Zorn gerate, so könnte ich denselben leicht an dem schwachen Geschöpf auslassen, das da ahnungslos an meiner Seite wandelt und nicht begreift, daß man auch über etwas anderes außer sich geraten kann, als über einen verbrannten Braten und ein ungeschicktes Dienstmädchen, welches alles aus der Hand fallen läßt. Es gibt Momente, in denen das Leben mir so aschgrau vorkommt, daß auch ein holdselig lächelndes Weib nur einen sehr tristen Eindruck auf mich machen würde – und dann wär's schade um solche verschwendete Holdseligkeit! Dabei wollen sie geliebt sein, immer 55 geliebt sein – und uns erscheint diese Liebe oft als eine jämmerliche Bagatelle.«

»Da denke ich doch anders,« sagte Edgar, »Liebesleidenschaft erscheint mir als ein großes Glück, das ich heiß ersehne.«

»Nun, dann getrost zu Mutter Schweiger! Da kannst du gehörig im Irrgarten der Liebe umhertaumeln; über das große Glück können wir uns dann später einmal unterhalten. Es tut mir aufrichtig leid, daß du deinen Vater nicht hast bestimmen können, zu uns zu kommen. Das ist ein ruhiger seßhafter Mann, den ich durch meine Sammlungen hier festgehalten hätte. Das seh' ich schon, du selbst wirst mir untreu werden. Du wirst dich verlieben und den Hausschlüssel für deine Mondnächte immer in der Tasche tragen. Dann sitz' ich wieder allein, hier bei der nächtlichen Lampe und meinen dicken Philosophen. Dein Vater hätte mir Gesellschaft geleistet!«

»Es war mir leider unmöglich, ihn loszureißen – ihn den gefährlichen Einflüssen zu entziehen, die ihn zum Sklaven eines launenhaften Weibes machen.«

»Können wir dieser Xanthippe nicht irgendeinen Streich spielen, daß sie ihn freiläßt?«

»Schwer, ja unmöglich! Die Hexe ist wie mit einer Zaubersalbe bestrichen, gefestigt gegen Hieb und Stich!«

»Sollte sie nicht irgendeine Vorgeschichte haben, die man ans Licht ziehen könnte, um sie zu stürzen?«

»Mein Vater würde nicht daran glauben, und kämen wir selbst mit juristischen Dokumenten, er würde sie für gefälscht erklären. Und wann rücken wir ins Feld?«

56 »Gib du nur morgen deine Karte ab – das andere wird sich bald finden.«

Edgar zog sich in das elegant ausgestattete Zimmer zurück, das sein Freund ihm eingeräumt hatte; er studierte einige Pflanzentafeln, welche einer Reisebeschreibung beigeheftet waren; doch seine Gedanken schweiften bisweilen abseits in den Salon der Frau Schweiger, der schönen Mutter mit den zwei schönen Töchtern – das wurde die Victoria regia seiner Träume.

 


 


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