Jeremias Gotthelf
Die Wassernot im Emmental
Jeremias Gotthelf

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Wer will es dem armen Mannli verargen, wenn ihm weh ward am Bache, das Weinen ihm im Herzen kochte, der Mut fast ausgehen wollte und die Kraft, mit dem Zweifel zu ringen, ob denn auch ein Gott für ihns im Himmel wohne? Ein Herr hat schwer, es zu fassen, was solche Striche durch die Rechnung für ein arm Mannli sind. Wenn einem Herrn ein Zins nicht eingeht zur Stunde, so wird er unwirsch und redet von bösen Zeiten und Abzwacken in der Haushaltung; und wenn ein Apotheker- oder Doktorkonto über sein Budget hinausgeht, so gibt er eine Mahlzeit, eine Soiree weniger, kauft sich keine neue Kalesche. Wird ein Kaufmann mit einer Spekulation hart geschlagen, wie viele neue Hoffnungen zu neuen Spekulationen breiten sich nicht vor ihm aus! Er versagt sich deswegen keine Ausfahrt, keine Badefahrt, höchstens unterschreibt er zu irgendeinem wohltätigen Zweck einige Franken weniger. Sie wissen nicht, wie diesem armen Mannli zumute ist. Es ist vielleicht eine einzige Art von Herren, die das Mannli in etwas begreifen können. Die stehen freilich nicht am Bache, schmutziges Korn zu waschen, aber sie sitzen am Bureau und erlesen Kontos, rechnen zusammen, rechnen wieder zusammen; aber, wie sie auch rechnen mögen, sie sind in diesem Jahre wieder ärmer, der unbezahlten Kontos mehr geworden, wieder ein Kapital ist aufgezehrt, wieder die Einnahme kleiner, und die Ausgaben wollen nicht abnehmen, wollen kein Ende nehmen. Ein solcher Herr sieht, daß in diesem Jahre es wieder mehr zurückgegangen als im vorigen; er sinnet, wo das wohl hinaussolle. Der arme Herr sieht keinen Ausweg. Sie leben bereits so schlecht als möglich; wenn es niemand sieht, nehmen sie für acht Personen zwei und ein halb Pfund Rindfleisch und ein halb Schöppli vierbatzige Nidle per Mal. Aber Aufwand vor der Welt müssen sie doch machen um der Kinder willen; der Frau darf die Toilette nicht geschmälert, verständiger kann sie nicht gemacht werden, und auch er hat nicht die Kraft, sich dieses oder jenes zu versagen. Es fühlt der arme Herr, wie er tiefer und tiefer rutscht einem bösen Ausgang zu. Er kann sich nicht zurückhalten, so wenig als ein Bube den fliegenden Schlitten an der mit Eis belegten Schütti; da macht er es wie der Bube, er macht die Augen zu. Er tut das Bureau zu, zieht den unbezahlten Rock an, stäubt noch einige Stäubchen sorgfältig mit dem Finger weg und geht in die Große Sozietät zu einer Partie Whist oder zum Distelzwang, etwas Solideres zu essen, als er zu Hause findet.

Trübselige Mannleni sah man das ganze Tal hinab, so weit die Emme übergelaufen war, und wüst und grau sah es aus durch die Schächen und an den Rändern der Emme.

Und doch wimmelte es von frühem Morgen an wieder so lustig durch die Schächen an den Rändern der Emme, auf dem Bette der Emme selbst und bei den Brücken. Von den Höhen aus allen Winkeln stoben Leute, die Holz witterten an der Emme, Leute, die Holz witterten wie Raben das Aas. Sie hatten nichts verloren oder Unbedeutendes, darum waren sie so lustig bei der Arbeit. Sie gedachten nicht an die Unglücklichen oben im Tale, sie gedachten nur an das Glück, soviel Holz umsonst zu erhalten, soviel Geld zu Branntewein zu ersparen. Und diesen Branntewein begannen sie zu trinken, Flasche um Flasche sich zutragen zu lassen und Gesundheit zu machen auf das viele Holz, das gute Geschick.

Unter ihnen freilich waren auch Leute, die diesen Sinn nicht hatten, die arbeiteten, um Brücken frei zu machen, das gewonnene Holz als Lohn ihrer Mühe betrachteten und später die milde Hand gegen die Unglücklichen auftaten. Es arbeiteten auch Leute, die gar kein Holz wollten, sondern nur, um der Emme freie Bahn zu machen, weiteres Unglück zu verhüten; aber diese beiden Arten waren in weit geringerer Zahl.

Ungeheure Holzhaufen waren überall aufgestaucht, Tannen lagen umher wie Kieselsteine, und darauf stürzte die Menge sich. Es wimmelte auf und an der Emme wie in einem Bienenkorbe, der stoßen will. Aber sie trugen das Holz nicht zusammen wie fleißige Bienen den Honig, die neidlos um die Blumen lustig surren, friedlich in die Blumen sich teilen und in den Korb es ablegen zu allgemeinem Gebrauch. Soviel des Holzes auch war, so hätte doch jeder alleine alles mögen. Wer kennt nicht die Fabel von jenem Hunde, der mit einem Stück gestohlenen Fleisches im Maul über einen Steg ging und unten im Wasser sein eigen Bild erblickte mit dem Fleisch im Maul, wie er nun das Fleisch fallen ließ, ins Wasser sprang, um seinem Bilde das Fleisch zu entreißen, weil er nicht dulden mochte, daß ein anderer auch Fleisch habe, oder weil er dessen Stück größer glaubte als das seine! So wartete giftiger Neid zwischen den Wimmelnden; keiner gönnte dem andern auch nicht ein kleines Stück, geschweige denn ein größeres, jeder suchte das beste für sich und glaubte doch sich übervorteilt. Die Beschädigten meinten, ihnen gehöre das Holz, die Unbeschädigten gehe es nichts an. Die Unbeschädigten, Hergelaufenen, die größere Menge, meinten dagegen, sie hätten das nächste Recht dazu, sie erhielten bei diesem ganzen Unglück nichts als Holz, während, wenn alle Überschwemmten entschädigt würden wie an einem gewissen Ort, wohin bei geringem Schaden wahrscheinlich die erste und reichlichste Steuer gekommen (Spaßvögel meinten, die dasige Bittschrift müßte schon am Abend vor der Überschwemmung gemacht worden sein), so hätten die Beschädigten großen Profit, sie rühmten sich ja selbsten dessen; und um diesen Preis würden sie sich recht gern alle Jahr ein paarmal überschwemmen lassen.

Ja, in vielen wohnte der teuflische Sinn, der über jedes Unglück, aus dem sie den kleinsten Nutzen ziehen, sich freut, dessen Wiederholung alle Tage sich wünscht, unbekümmert um die, welche dabei zugrunde gehen. So, wie Beschädigte und Unbeschädigte sich giftig ansahen, so machten die Armen auch nicht süße Augen denen, die vermöglich waren und doch Holz sammelten. »Der mangelte es nicht«, hieß es, »aber er ist der wüstest Hung, er gönnt armen Leuten nichts, man sollte solche bei den Beinen aufhängen, die nie genug sehen, aber das wird ihm kein Glück bringen, er wird hoffentlich nichts desto mehr haben.« So redeten sie. Der Neid zwang sie endlich zu gemeinsamem Arbeiten, und bei diesem Arbeiten tranken sie Branntewein und waren so preußisch, stolz und bösmaulig, daß, wer durch sie hinging, nicht nur keinen Dank auf einen Gruß erhielt, sondern froh sein mußte, wenn er ungeneckt von ihnen wegkam. Jeder Bettelbub streckte seinen Kopf bolzgrad auf und machte der ganzen Welt ein trotzig Gesicht. Hintendrein klagten dann alle bitterlich, daß ihre Ausbeute die Mühe nicht gelohnt, daß sie allein mehr geschafft hätten, daß die obern den besten Teil vorweggenommen, wurden gar noch böse über die Eggiwyler und Röthenbacher, daß sie für die Emme nicht mehr Holz zweggehabt hätten. Und doch sammelte mancher zwei bis drei Klafter und beklagte sich noch bitterlich. Und wo waren alle die, die für den ganzen Winter mit Holz sich versehen hatten, als es eine Steuer galt für die zugrunde Gerichteten? Welche gaben? Aber wie viele hatten keinen Kreuzer für sie! Sie waren freilich arm, aber das Unglück hatte ihnen doch für Franken Holz zugeworfen. Ach, es gibt Leute, mit denen man Mitleid haben sollte und es fast gar nicht kann! Leute, die meinen, sie seien nur da, um zu fordern, zu nehmen, unverschämt zu sein; andere Leute seien nur da für sie wie die Kirschbäume für die Spatzen, die aber selbst für niemanden da sind, sich aller Menschenpflichten enthoben glauben, die höchstens einem Saufbruder sechs Kreuzer leihen für einen Schoppen Branntewein. Das sind meist Leute ärmerer Art, doch nicht alle; o nein, auch Reiche haben Kieselsteine in der Brust statt Menschenherzen. Gab es nicht auch solche, die mit eigenen Rossen das erbeutete Holz zum eigenen Hause führen konnten, und welche wirklich die Ärmern vom Holzsammeln ganz ausgeschlossen wissen wollten, aus dem Grunde, daß sie auch nicht schwellten, oder welche das gesammelte Holz gerne auf sie Rechtsamene verteilt hätten? Gab es nicht einen, der schon nach der ersten Überschwemmung am verhängnisvollen Sonntag morgens während dem Gottesdienst von armen Leuten in seinem Schachen gesammeltes, zugeschwemmtes Holz zu seinem Hause führen ließ, wahrscheinlich um seine mit Wedelen verpalisadierten Fenster noch besser zu verschlagen.

Und dieser Mann besitzt Hunderttausende und Wälder, aus denen er für mehrere Tausende Holz schlagen lassen könnte zum größten Vorteil des Waldes; rings um sein Haus läßt er Schyterbygen unten abfaulen, und für etwas Gutes hat er nie einen Kreuzer, traut nie einem Menschen, nicht einmal unseres Herrgotts schöner Sonne, sonst würde er sie doch in seine Stube gucken lassen. Er behauptete, das Recht dazu zu haben, weil die Emme ihn geschädigt habe und nicht die armen Leute. Und hätte ihm die Emme noch hundert Fuder mehr sogenannten Sand, der aber mit Mergel an den meisten Orten reich geschwängert ist, auf sein schattig Moos getragen, wo er sich nicht satt wässern kann, weil ihn das Wasser reut, das er nicht aufreiset, so hätte er noch lange keinen Schaden, sondern großen Nutzen gehabt. Und hätte er wirklich großen Schaden gehabt, so hätte er nicht am Schweiße armer Leute sich erholen, sondern bedenken sollen, daß es Gott der Herr sei, der ihm eine Mahnung gegeben habe, daß, wem viel gegeben worden; von dem viel gefordert werden werde. Und wenn der Herr dein Gott Rechnung von dir fordert über das anvertraute Gut, was willst du antworten, Mann?

Doch es gab noch andere, die höher stehen, die einsehen sollten, daß ihre Existenz von der Achtung, in welcher sie bei dem Publikum stehen, abhange, die das Strandrecht auf die unverschämteste Weise in Anspruch nahmen, die Arbeiter bezahlten und tränkten, um Holz ans Land zu bringen und Holz aller Art zu zerstückeln, zu verstümmeln.

Diesem Zerstückeln von Bauholz trat endlich ein Verbot entgegen, wirkte aber nicht schnell genug. Ach du mein Gott, wer führt denn eigentlich die Befehle der Regierung aus? Wenn ich sie wäre, ich würde Extrabelohnungen aussetzen für alle die, welche mir zu Willen wären und an die Hand gingen. Hintendrein kam ein anderer Befehl, daß alles aufgefischte Holz zum Besten der Beschädigten verkauft werden solle. Und wie wurde jetzt dieser Befehl ausgeführt? Wie suchte man an Orten dieses Holz auf, und wer suchte es auf? Ich bin wieder überzeugt, die Herren von Roll werden aus Extragründen besser bedient. Ach, wenn ehrliche Leute im eigenen Hause so sicher wären als jenes aufgefischte Holz vor den Häusern und Bettlern auf den Straßen, sie wären glücklich. Welche unverschämte Rechnungen wurden nicht für das Herausziehen und Führen dieses Holzes eingegeben! Die Ortschaften und Gemeinden, die dieses taten, und ihre Rechnungen verdienten billigermaßen bekanntgemacht zu werden und besonders die Ortschaften, die reich entschädigt wurden, viel Holz vermeukt hatten und für das wenige Holz, welches sie zur Hand stellten, unverschämterweise eine Rechnung machten, welche den Wert des Holzes überstieg.

Wahrhaftig, man muß wenig Ehre im Leibe haben, um so handeln zu können, und sich ganz des Grundsatzes trösten: »Wer unverschämt ist, der lebt dest bas.« Und wenn man solche Menschen bei jeder Gelegenheit öffentlich stempelte, besserte es nicht? Und wenn Beamtete mit dem nötigen Ernst, mit gehöriger Schärfe statt Schwäche Hand obhielten, besserte es wieder nicht?

Es heißt, und wenn es wahr ist, so ist es merkwürdig, dieser Befehl sei auch auf die Gemeinden Eggiwyl und Röthenbach ausgedehnt worden; diese hätten sich aber widersetzt und mit Recht. Sie wollten nicht das eigene Holz (denn wem war es weggenommen worden als ihnen?) verkaufen lassen, um den Erlös mit allen Schächleren, denen die Emme kein Holz genommen, aber viel gebracht, trotz dem Befehl zu teilen. Und wie unbillig wäre es gewesen gegen die Besitzer der Klasse, die keine Entschädnis erhielt, denen es vielleicht das meiste Holz genommen, und die das auf ihrem Lande liegende hätten verkaufen müssen lassen für andere, die entschädigt wurden bei weit kleinerem Schaden!

Durch die Holzfischer eilten die Holzhändler, die Trämel gehabt bei den geschädigten oder weggerissenen Sägen oder Flöße an der Emme und suchten das verlorne Holz auf. Jeder wollte sein Holz kennen und zeichnete das erkannte an mit seinem Zeichen, und solcher Zeichen fand man viere von vier verschiedenen Holzhändlern an einem einzigen Trämel. Es wollte halt keiner zu kurz kommen.

So ging es Emme auf und ab, als ob Banden hungriger Irländer in unser Land eingebrochen wären, das bei ihnen übliche Strandrecht geltend zu machen. Oh, es waren gräßliche Gegensätze zwischen den betäubten Geschädigten und den so gierig Haschenden. Während die Überschwemmten ihre Hütte jammernd reinigten, machten Unbeschädigte jubelnd Beute. Betäubter ward der Menschenfreund am ersten Tage in dem Tosen der Emme, aber betrübter am zweiten Tage, als die Menschen losbrachen in ihrer tierischen Gier.


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