Jeremias Gotthelf
Die Wassernot im Emmental
Jeremias Gotthelf

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Mensch, wie wäre dir, wenn einst an einem Morgen keine Sonne aufstiege am Himmelsbogen, wenn es finster bliebe über der Erde? Wie wäre es dir ums Herz? Schauer um Schauer, immer todeskälter, würden es fassen, wenn deine Uhr schlüge Stunde um Stunde, Morgenstunden, Tagesstunden, Abendstunden, und die Finsternis wollte nicht weichen, schwarze Nacht bliebe unter dem Himmel. Was hülfen da alle Lichter und Laternen? Der Mensch könnte sie nicht einmal anzünden vor Grauen und Beben. Den Jammer, das Entsetzen auf Erden, wenn einmal an einem Morgen die Sonne ausbleibt, kann keiner sich denken. Am fürchterlichsten wird das Entsetzen dann die armen Sünder schütteln, in deren Herzen auch keine Sonne scheint. Oh, wie wird dann klein werden, was groß war, und groß, was so klein und armütig schien! In so manches Herz scheint Gottes Sonne nicht, scheint das Licht der Welt nicht hinein, das kam, die Menschen zu erleuchten. Lichter und Laternen von allen Sorten zünden die armen Schächer an in ihren Herzen, lassen Irrlichter flunkern darin herum; aber der trübe Dämmerschein erleuchtet den Graus, den Moder, die Totengebeine nicht, und der Geblendete, der nur in sein Laternchen sieht, brüstet sich noch mit demselben und den flunkernden Irrlichtern, rühmt sich, daß er sein trüb und verblendend Laternchen nicht gegen die Sonne tausche und ihr strahlend Licht. Der Arme wird mit Entsetzen innewerden, was für ein Unterschied es sei zwischen einer Laterne und der Sonne, wenn die Sonne seinen Augen erlöscht am Himmelsbogen.

Es begann der arme Menschenwurm mit Gott zu hadern; die Ungeduld des vergebenen Wartens verwandelte sich in Bitterkeit, fast in Verzweiflung.

Die Menschen dachten nicht daran, daß Gott ihnen auch einmal werde zeigen wollen, was Warten, was vergebens Warten sei, wie bitter es sei, jeden Hoffnungsschimmer in eine Täuschung sich verflüchtigen zu sehen. Und wie lange lassen die Menschen Gott warten auf das Bezahlen ihrer Gelübde, bis sie reimen ihre Tat mit dem Wort, bis sie erwidern seine Liebe? Ist nicht eben darin auch groß seine Liebe, daß er euch einmal so recht zeigte, wie angsthaft schon das Warten sei auf seine Sonnenblicke, damit ihr fühlen möchtet zur rechten Zeit, wie gräßlich einst ein vergeblich Warten auf seine Liebesblicke sein würde? In diesem Wartenlassen war also nicht der Zorn Gottes, sondern die Liebe des Vaters; er wußte wohl, daß, wenn es Zeit sei, seine Kraft in Tagen vermöge, wozu der Mensch Wochen nötig glaubt. Und als die Zeit da war, den 24. Mai, winkte er, und die Sonne brannte auf die Erde nieder, die düstere Wolkendecke fiel, der Schnee schmolz, und in den Feldern und auf den Wiesen ward ein Leben mächtig, das der Mensch nie gesehen hatte. Die Nächte schienen mit Himmelsgewalt ausgerüstet, und ans Wunderbare grenzt, um wieviel einzelne Pflanzen ausschossen in einer Nacht. Mit dem Beginn des Brachmonats kränzten sich die Bäume mit ihrem Blütenschmuck üppig und prächtig; aber, wie die große Welt die Jugend gerne um die Früchte des Alters bringt, so blühen die Bäume wohl schön in der Sommerhitze und den majestätischen Gewittern, aber die Blüten verwelken bald, und die Frucht bildet sich nicht oder fällt im Werden ab, weil ihr die Nahrung fehlt.

Wie die Kühe sich freuten über das duftige Gras, wie die Menschen jubelten über die Wärme, über den Schweiß, der ihnen von der Stirne rann, konnte jeder sehen und hören, der Luft schöpfte im freien Lande. Die trübe Zeit war vorüber, eine herrliche war eingekehrt, und Gottes Pracht und Macht wurden alle Morgen neu. Aber die trübe Zeit, der gräßliche Futtermangel, entstanden durch fünf trockne Sommer, wird hundertfältig Früchte tragen und besonders den Emmentalern. Am Ende ist denn doch Gott der beste Prediger, der gewaltigste Lehrer in allen Dingen; er macht in wenig Zeit den Menschen begreiflich, wozu Menschen lange, lange Zeit umsonst gebraucht. Er lehrt und predigt über alle Dinge, auch über weltliche; er ists, der den Bauern im Emmental gepredigt hat, wie gut der Klee sei und wie vorteilhaft die Esparsette auf ihren Grienbüggeln in allen Jahren, besonders in den trocknen. Was sie niemandem geglaubt, das glaubten sie endlich ihrem Gott, da er es ihnen handgreiflich zeigte an den hämpfeligen Rippen ihrer armen Kühe. Und wie das Sechzehnerjahr Erdäpfel pflanzen lehrte (dieses Jahr besonders und nicht das Branntenweinbrennen, wie ein unweiser Mann behaupten will, hat den vermehrten, so vorteilhaften Erdäpfelbau hervorgerufen), so werden diese Jahre Futter pflanzen lehren im Emmental, bis die Milch bachweis fließt. Es war Wetter, wie nur Gott es machen konnte: das schnell gewachsene Heu wurde prächtig eingebracht, und auch das Korn kam gut in die Scheuern.

Die große Hitze bei der feuchten Erde mußte starke Gewitter erzeugen; besonders gewitterhaft ging der erste Hundstag vorüber, der ein Vorbild sein soll für alle übrigen Hundstage. In der Tat witterte es auch die folgenden Tage gewaltig, den 20. Juli entlud sich ein Gewitter über die Egg zwischen Heimiswyl und Rüegsau, wie sie in dieser Gegend seit Jahren selten waren. Nicht von mächtigen Donnerschlägen will ich reden, in denen die Erde erbebte mit allem, was sie trug, sondern von den Wasserströmen, die sich über die Mannenberg-, Rachisberg-, Allmisberghöhen ergossen und zu beiden Seiten in die Täler stürzten. Was die Wasser auf den Bergen fanden, brachten sie zu Tale nieder, rissen Erdlawinen los, versandeten den Fuß der Berge und schwellten den Rüegsaubach, der sonst so bescheiden um die Füße der Rüegsauer sich windet, zu einer selten gesehenen Höhe. Er trug Holz, wälzte Felsenstücke, grub sich neue Läufe, ergoß sich über Matten, ließ zappelnde Fische zurück auf denselben, machte Straßen unfahrbar und wollte mit aller Gewalt dem Wirte zu Rüegsau in den Keller, um ihm Fuhren ins Welschland zu ersparen oder vielleicht dessen Wein dem durstigen Schachen zuzuführen. Der Wirt stund alle Leibesnot aus, den ungebetenen Gast, der weder Gold noch Silber, sondern nur Sand und Kieselsteine mit sich führte, vom Keller abzuhalten. Während das halbe Dorf teilnahm an diesem Kampfe für den Wein und gegen das Wasser – denn das ganze Dorf war dabei beteiligt – versuchte das Wasser heimtückisch einen andern Streich. Vor einem Spycher stund ein Fäßchen mit ungelöschtem Kalk; bis dorthin spülte das Wasser unbemerkt, schlich dem Fäßchen an die Füße. Da fing es an zu zischen und zu brausen in demselben, und noch eine Viertelstunde, so hätten die Leute mit Feuer zu tun und das Wasser im Keller freier Hand gehabt; aber ein kluger Mann, der seine Augen gerne in allen Ecken hat, sah den Rauch und rief zur nötigen Hülfe.

Auf der andern Seite der Egg, Heimiswyl zu, strömten die Wasser, was sehr merkwürdig ist, wieder feindselig besonders auf einen Keller los und zwar auf den oder vielmehr die Keller des Lochbachbades. Die Wasser in ihrer Bosheit und ihrer fanatischen Wut gegen die Keller dachten nicht daran, daß den Fundamenten des dortigen Hinterhauses so unsanfte Berührungen unangenehm sein möchten. Sie stürzten sich mit fürchterlicher Gewalt dem Hause, den Kellern zu, nicht nur, als ob kein Wein im Keller, sondern kein Stein auf dem andern bleiben sollte. Da war kein Wirt, der dem Wasser unschädliche Bahnen anwies, keine Dorfschaft, die, um den Wein besorgt, ihm mannlich zur Seite stund; aber beide ersetzte eine kuraschierte Hausfrau, die den Mut nicht verlor, dem Wasser sich entgegenstemmte, so gut es sich tun ließ, und schuld ist, daß der Schaden nicht größer wurde, als er ward.

Dieses Gewitter schädigte einzelne bedeutend, ängstigte viele Leute, gab Stoff zu mancher Rede; aber daran dachte man nicht, daß es nur ein ganz kleiner Vorbote eines Riesengewitters sei, mit dem der Schoß der Wolken schwanger ging.

Es blieb heiß, und den 4. August war ein stark Gewitter. Da schien auf einmal der Sommer zu schwinden, der Herbst einzukehren, und auf wunderbare Weise teilten sie den Tag unter sich. Der Morgen war herbstlich, man glaubte, der Kühe Läuten, der Hunde Jagdgebell hören zu müssen; dann ward der Abend wieder sommerlich, und von des Donners Stimme hallten alle Berge wider. Ganze Nebelheere hatten der Schweiz sich zugezogen, waren über die Berge gestiegen, hatten in die Täler sich gestürzt und lagerten sich grau und wüst über den Talgründen und an den Talwänden. Von allen Seiten waren sie hergekommen, als ob alle Mächte der ehemaligen sogenannten Heiligen Allianz, die rings uns umgürten, vereint in ihren Ländern alle Dünste und alles die Luft Trübende zusammengeblasen und fortgeblasen hätten über ihre Grenzen weg über unsere Berge herein, daß es sich da ablagere und niederschlage zu Graus und Schrecken der armen, arglosen Schweizer. Wirklich berichten Astronomen, daß in Deutschland und besonders im Norden desselben, wo die pfiffigen Preußen wohnen, die witzigen Berliner, die unsern Herrgott morgens und abends mitleidig bedauern, weil er nicht Witze zu machen verstehe wie sie, die Atmosphäre nie so lauter und durchsichtig gewesen sei als in jenen Tagen des Augusts, wo am Morgen Nebelmassen, am Abend Wolkenmassen schwarz und schwer den Schweizern, mit denen jeder unverschämte Bälli sein Bubenwerk treiben zu können meint, über die Köpfe hingen, den Gesichtskreis trübend, das Atmen erschwerend.

Diese Massen waren nicht arglose Wölkchen, die auf sanfter Winde leichten Fittigen reisen von Land zu Land und rosenrot in der Abendröte Schein lächeln übers Land herein; diese Massen bargen Verderben in ihrem Schoße und entluden sich unter Blitz und Donner gewaltig und zerstörend.

Zuerst schienen sie nur Spaß treiben zu wollen, etwas groben freilich, so wie man ihn um den Schwarzwald herum gewohnt ist und an der Donau rauhem Strande und an der Oder superfeinem Sande. Sie jagten die Kühe auf dem Leberberge in die Sennhütten und erschreckten die Längnauer, ihnen ihre Herzkäfer, mächtige Schweine, durchs Dorf schwemmend.

Dann zogen sie wie anno 1798 die Franzosen vom blauen Berge weg das Land hinauf der Hauptstadt zu, trüb und feucht. Sie wetterten zwei Tage über der Hauptstadt, daß ein Teil der Hauptstädter zu zagen begann, der andere sich erboste, daß es so laut hergehe im Lande ohne obrigkeitliche Bewilligung. Und ratlos zwischen beiden Teilen stund verblüfft ein Direktor oder Präsident mit seinen zwei müßigen Sekretärs und wußte nicht recht, sollte er erschrecken oder sich erbosen; er drehte mühselig und vorsichtig in steifer Krawatte den Kopf nach beiden Seiten, um zu erforschen, was am rätlichsten sei. Aber die Blitze zuckten feurigen Schlangen gleich, der Donner schmetterte seinen Schlachtenruf, die Winde brausten ihr Loblied, sie frugen nichts nach Landjägerkommandanten, nichts nach Polizeidirektoren, sie zuckten, schmetterten und brausten als die Herren des Landes, deren Ruf und Schelten alles untertan.

Bäume brachen, Häuser krachten, Türme wankten; bleich verstummte das Menschenkind und barg seinen Schrecken in des Hauses sichersten Winkel. Und als die zornigen Wolken den Herrlein und den Fräulein gezeigt hatten, wer Meister sei im Lande, wälzten sie sich, jeden Tag von neuen Dünsten schwerer, durch neue Nebelmassen gewaltiger, noch weiter das Land hinauf. Aber zu reich gesättigt, vermochten sie sich nicht zu schwingen über der hohen Berge hohe Firnen, dem trocknen Italien und dem weiten Meere zu. Schon an den Voralpen blieben sie hängen tobend und wild und sprühten mit gewaltigen Wassergüssen um sich. Die Truber, die Schangnauer, Marbacher, die Escholzmatter wurden tüchtig eingeweicht, die Röthenbacher glaubten, argen Schrecken erlebt zu haben. Menschenleben gingen verloren, Land wurde verwüstet. Die zwei wilden Schwestern, von ungleichen Müttern geboren, die zornmütige Emme und die freche Ilfis stürzten in rasender Umarmung brüllend und aufbegehrend das Land hinab, entsetzten die Zollhausbrücke, und überall ward ihnen zu enge im weiten Bette. Bebend stand der Mensch am allgewaltigen Strome. Er fühlte die Grenzen seiner Macht, fühlte, daß nicht er es sei, der die Wasserströme brausen lasse über die Erde und sie wieder zügle mit kühner, mächtiger Hand. So wild und aufgebracht hatte man die Emme lange nie gesehen. Unzählbare Tannen und viel ander Holz schwamm auf ihrem grauen Rücken und erschütterte die Brücken; aber diesmal ward ihrer Gewalt ein baldig Ziel gesetzt, und der grauende Morgen fand sie bereits ohnmächtig geworden.


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