Jeremias Gotthelf
Die Wassernot im Emmental
Jeremias Gotthelf

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Einer, dem man es ansah, daß sein Geldsäckel bei weitem nicht so groß sei wie sein Durst, sagte, wenn man ihm einen Schoppen zahle, so wolle er verzählen, was das sei. Er hätte es oft von seiner Großmutter erzählen hören; die hätte aber auch mehr gewußt als andere Leute und es allemal voraussagen können, wann die Emme groß kommen werde. Des Handels wurde man bald einig, und folgendes vernahm man:

»Vor vielen tausend« («hundert« wollte er wahrscheinlich sagen) »Jahren ist das Schloß Brandis nicht da gestanden, wo das, welches im Übergang (1798) verbrannt ist, sondern auf dem darüberliegenden Hügel ob dem Burgacker, von wo man weit hinaussah ins Land und in viele Gräben hinein. Zur selben Zeit wohnte in dem Schlosse ein gar grausamer Zwingherr, der seine Leute ärger behandelte als das Vieh. Das ganze Jahr durch mußten seine Lehensleute oder Leibeigenen für ihn bauen, jagen, pflügen, fischen, holzen usw. Er war grausam reich, und alles Land weit und breit gehörte ihm. Er saß ganze Tage auf hohem Turme und schaute über all sein Land weg, wie seine Bäuerlein arbeiteten für ihn; und wenn er eins nicht emsig genug glaubte, so geißelte er es abends im Schloßhofe mit eigener Hand oder sprengte flugs auf seinem fuchsroten Hengst an ihns hin und schlug es, daß die Steine hätten schreien mögen. Nicht halb genug gab er ihnen dazu zu essen; sie mußten dann noch zu Hause den Weibern und Kindern wegessen, was diese mit Not und Mühe für sich gepflanzet hatten. Selten einen Tag hatte ein Mann, um für sich zu arbeiten, und doch sind sie ihm das laut ihren alten Pergamentbriefen nicht schuldig gewesen. Aber wenn einer ein Wort nur redete von diesen Briefen, oder daß ihm sonst etwas nicht recht sei, so warf ihn der Zwingherr ins Turmloch und ließ ihn dort unter Kröten und Schlangen verrebeln. Man soll diese Gefangenen oft bis ins Tal hinab haben schreien und lamentieren hören.

So hätten die armen Leute auch einen ganzen Winter nichts für sich arbeiten können, nicht einmal holzen, geschweige denn schwellen an der Emme; und doch sei die Schwelle ganz weggewesen, und schon im vergangenen Herbst hätte die Emme großes Unglück angerichtet und den Leuten alle ihre Erdäpfel verderbt. (Der nimmt, wie viele, die Erdpäfel auch als eine Naturnotwendigkeit an, die so wenig je hätten fehlen können als die Sonne.) Das sei gerade obenher gewesen, wo jetzt die Farb und Bleiche ist.

Da hätte der Müller eines Abends gemerkt, daß der Flühluft komme über die Berge vom warmen Italien her, und daß der Steigrad von oben bis unten sein schwarz Wegli bekommen hätte, das sicherste Vorzeichen hilben Wetters. ›Marei‹, habe er seiner Frau gesagt, ›morgen soll ich für den Herrn Steine führen von Oberburg, aber das darf ich nicht. Schon schmilzt der Schnee, grausam viel liegt in den Flühnen; wenn nicht geschwellt wird, so nimmt die Emme mir Haus und Mühle weg. Ich will aufs Schloß und es dem Herrn sagen; soviel Verstand wird er doch haben, daß er das begreift, ist die Mühle doch soviel sein als mein.‹ ›Uli‹, habe seine Frau gesagt, ›dahin gehe mir bei Leib und Sterben nicht; es ist besser, die Emme nehme dir die Mühle weg, als der Herr schlage dir den Gring ein. Mühlene gibt es noch viele, aber Kopf bekömmst du keinen andern mehr.‹

So disputierten sie die halbe Nacht miteinander, aber der Müller gab der Frau nicht nach. Am Morgen zeitlich machte er sich auf und betete noch in der Kirche zu Lützelflüh zwei Vaterunser; denn zur selben Zeit beteten nicht nur die Müller noch, sondern sogar die Wirte. Der Müller war ein mächtiger Mann mit Achseln wie Tennstore, aber doch wurden ihm die Beine schwer, als er den Schloßberg aufging. Im Hofe bellten Hunde, Pferde wieherten, die Knechte waren gerüstet mit Spieß und Schwert, und ein Bäuerlein stund unter ihnen. Der hatte Bericht gebracht, daß er zwei Bären gesehen hätte in der Nacht beim Mondschein draußen auf der Egg, wo jetzt Neuegg, nicht weit von der Hölle, liegt. Der Herr war aufgefahren aus dem Bette, hatte Jagd befohlen, befohlen, soviel Bäuerlein zusammenzutreiben, als in der Eile möglich wäre; denn er lechzte nach Bärenstreit und Bärenfleisch, und an Bauernfleisch war ihm nicht viel gelegen.

Zugleich mit dem Müller kam er in den Hof, rasselnd mit Schwert und Sporen, fast sieben Schuh hoch und mit roten Augenbraunen fast fingerslang. Mit seinen grauen Augen blitzte er durch den Schloßhof, und mit seiner Löwenstimme ließ er manches Donnerwetter erkrachen über die Knechte, die ihm zu langsam geschienen hatten in seiner Bärenbrunst.

Da trat ihm bescheiden der Müller ins Gesicht und bat drungelich, daß der hohe Herr ihn doch an diesem Tage möchte zu Hause lassen mit noch einigen, um zu schwellen; der Flühluft gehe, und der Steigrad habe ein schwarzes Wegli, breit fast wie der Schloßweg, und schon regne es warm von den Bergen her, und Schwelle sei keine mehr, wie der gnädige Herr wisse.

Mit dem eisernen Handschuh schlug der Ritter dem Müller aufs Maul und befahl ihm, statt Steine zu führen, die Bären treiben zu helfen. Der Müller wollte einreden demütiglich; aber der Ritter, schon zu Roß, schlug ihn auf den Kopf mit der Eisenfaust, trieb ihn mit bäumendem Roß zum Tor hinaus, und voran durch den schmelzenden Schnee mußte der Müller dem Ritter. Mit altem Buchenlaub wischte der Müller sein blutend Gesicht ab, aber sein wutblutendes Herz konnte er mit keinem Laub abwischen.

Die Bärenspur war bald gefunden, sie führte gerade in die Hölle. Die Schlucht ward umgangen, die Jäger verstellten sich, die Bäuerlein fingen an zu treiben; die Hunde blieben gekoppelt. Der Ritter wagte lieber Bauern als Hunde an die gefährliche Jagd. Die Bären hielten hart, wie kein Wild gerne ein trocknes Lager verläßt, wenn der Sturm beginnt. Endlich stürzten ganz nahe vor den Treibern beide aus dem finstern Schlund und beide schnurstracks auf den Ritter zu. Der stellte sich ihnen entgegen wie eine Mauer und wehrte sich handlich mit Schwert und Spieß. Aber zwei wütende Bären sind doch mehr als ein Ritter, der, abgesessen vom Pferd, darhalten muß. Der Müller sah des Ritters Drangsal, und als biederer Schweizermann gedachte er nicht an das Vergangene, sondern nur, daß ein Mensch in Bärennot sei; er sprang dem Ritter zu Hülfe, und schnell waren die Bären gefällt.

Der Ritter saß wieder hoch zu Roß; auf Schlitten waren die Bären gelegt, die Bäuerlein zogen die Schlitten; der Müller zog mit an den Schlitten, und kein Wort des Dankes hatte ihm der Ritter gesagt. Sie hatten ein mühselig Ziehen; der mit warmem Winde gekommene Regen hatte nicht nur den Schnee geschmolzen, sondern auch den Boden aufgeweicht, und des Müllers Kraft war nötig. Als sie diesseits Schaufelbühl hervor gegen die Hochwacht kamen, sahen sie wütend die Emme und bereits eingebrochen durch den Farbschachen niederfluten. Da ließ der Müller ungefragt seinen Schlitten fahren, stürzte durch den Wald ins Tal nieder den nächsten Weg seiner Mühle zu. Aber schon fand er seine Mühle nicht mehr, fand oben an der Halde Weib und Kinder, aber der Säugling fehlte. Nachbarn hielten das verzweifelnde Weib, das in die Fluten sich stürzen wollte dem ertrunkenen Kinde nach. Lautlos, mit gerungenen Händen stund der Müller an der Halde Rand über dem wilden Wasser. Da kam auf fuchsrotem Hengst der Ritter angesprengt und drang mit Toben und harten Reden auf den Müller ein, daß er unbefugt den Schlitten verlassen. Der aber hob seine geballten Fäuste zum Ritter auf und nannte ihn Kindesmörder und des Teufels leibhaftigen Sohn. Da schmetterte des Ritters Streitaxt auf seinen Retter nieder, und rücklings mit gespaltenem Schädel stürzte dieser die Halde hinab in die wilde Flut. Da hob die Müllerin ihre Hände zum Himmel auf und verfluchte den Ritter, daß er keine Ruhe im Grabe haben solle, sondern Emme auf und ab schwellen müsse in dunkler Nacht bei drohender Wassergröße, und stürzte sich dann ihrem Mann und ihrem Kinde nach in die Wellen. Lange noch sah die betäubte Menge blutige Kreise von des Müllers gespaltenem Schädel das Wasser niederziehen und neben ihnen hoch aufgereckt die fluchende Hand der Müllerin. Aber trotzig, würdig seines trotzigen Geschlechtes, ritt der Ritter heim, und trotzig gebärdete er sich je einen Tag wie den andern. Aber eine unsichtbare Gewalt schien den mächtigen Leib zu verzehren, er fiel alle Tage sichtbarlich zusammen, und ehe das Jahr um war und der Flühluft wiederkam von den Bergen her, ward der trotzige Freiherr von Brandis begraben zu Lützelflüh. Dort liegt er tief in der Kirche Chor, sein Grabmal sieht man nicht. Aber wenn der Flühluft über die Berge weht, wenn der Steigrad den schwarzen Streifen zeigt, wenn heiße Dünste wettern wollen in den Bergen, so regt es sich und stöhnt in des Ritters Grabe. Er muß auf, muß fassen mit seiner knöchernen Hand die schwere Streitaxt, muß in seinem eisernen Gewande die Emme auf und ab, die roten Augenbraunen flatternd im Nachtwinde. Wo er lockere Pfähle sieht, da muß er hämmern mit seiner Streitaxt, muß neue einschlagen, wo die Not es will, der Mensch sie nicht gewahrt, muß durch sein Hämmern, das schauerlich widerhallt an den Felsen durch die Nacht, die Anwohner warnen, zu wehren und zu wahren zu rechter Zeit der Emme Schwellen und ihr Eigentum, und muß dann stehen da, wo er den Müller erschlagen, bis er wittert Morgenluft, bis von der Mühle herauf der Hahn kräht; dann erst darf er wieder in seines Grabes Moder.

Die Familie schmerzte dieser Bann; um schwer Geld sollte ein kundig Mönchlein ihn lösen; denn der Glaube, daß mit Geld und Gewalt alles zu machen sei, hatte sie so trotzig gemacht. Der aber sprach nach langem Forschen: ›Dieser Fluch löst sich nicht, bis die Emme zahm wird, bis sie keine Schwelle mehr braucht, bis kein Herr einen Müller drückt, bis kein Müller sich ob fremdem Mehl vergißt.‹

Da erschrak die Familie, verkaufte Haus und Hof und verließ das Land; sie wollte den grauenvollen Ahnherrn nicht schwellen und hämmern hören von hohem Schloß in dunkler Nacht an den Schwellen und Wehren ihrer Leibeigenen. Aber dableiben mußte der Alte und schwellt fort und fort, denn wann wird wohl der Fluch sich lösen?«

So sprach der Bursche, der unterdessen mehr als einen Schoppen getrunken hatte, aber viel weitläufiger, als es hier zu lesen ist. Seinen Zuhörern war mancher kalte Schauer über die Haut gelaufen, aber doch gar wohlig wars ihnen ums Herz geworden, und die Schoppen, die sie bezahlten, zählten sie nicht. Wenn nur der Bursche die ganze Nacht durch erzählt hätte, die ganze Nacht durch hätten sie Schoppen bezahlt ungezählt. Aber er endigte; die Türe ging auf, und den alten Ritter glaubten sie unter derselben zu sehen, die roten Augenbraunen flatternd im Nachtwinde; da ward ihnen gar schaurig zumut, und weit weg von der Türe floh jeder. Doch es war nur ein Postillion, der zu der zurückgebliebenen Post sehen wollte.

Da eilten sie zu Hause; aber manchem fröstelte es den Rücken auf, bis er heim war und den Kopf auf dem Hauptkissen hatte. Der Schlaf fehlte keinem; aber wohl allen schwamm bald das Bett in der Emme, bald kam die Bäurin auf dem Wägeli dahergefahren, bald ein ungeheurer Tannenbaum, oder er jagte Bären, fühlte des Ritters Handschuh im Gesicht oder gar dessen Streitaxt auf seinem Schädel. Alle konnten schlafen in weichem Bette, keine Schuttstatt war ihr Bett, keinem war ein teures Haupt verlorengegangen, und wem kein Engel Gottes an der Haupteten wachte, dessen selbsteigene Schuld war es.

Am folgenden Morgen zeigte die Sonne ihr Antlitz nicht am Himmel, sie verbarg es hinter dichtem Wolkenschleier; sie wollte das Elend nicht sehen, welches der gestrige Tag gebracht, nicht sehen den Jammer aller Art, der zutage trat in dem dreizehn bis vierzehn Stunden langen Tale, welches die Wasserflut durchtobt hatte.

Dieses Tal, durch welches die Emme fließt, bis sie in die Aare sich mündet, also das eigentliche Emmental, ist eines der schönsten und lieblichsten im Schoße der Schweiz; und gar manches Kleinod des Landes erhebt sich auf den mäßigen Emmenhügeln und luegt freundlich übers Land oder steht keck auf der Emme abgewonnenem Schachen oder Moosgrunde und erntet in reicher Fülle da, wo ehedem die Emme Steine gesät und Steine gewässert. Wer kennt nicht die üppige Wasservogtei im Solothurnergebiet mit ihren schönen Matten, dem fruchtbaren Ackerland, den herrlichen Bächen, den schönen Kirchtürmen stattlich und stolz über den finstern Strohdächern, der Dörfer kotigem Wesen, dem lustigen, aufgeräumten Völkchen, das vor lauter Aufgeräumtheit nicht immer alles sieht, was noch aufzuräumen wäre?

An der Emme liegt Landshut, erniedrigt vom hohen Altisberg, wo es ehedem stund, auf niedern Felsen ins ebene Land, dem Rittertum eine fünfhundertjährige Vorbedeutung. Auf dem jenseitigen Ufer erheben zwei Türme sich aus der Bätterkinder reichem Dorfe. Der eine weiset nach dem Wirtshause mitten im Dorfe, wo bei beschränkter Aussicht es laut hergeht unter den vielen Leuten, der andere nach dem einsamen Kirchlein auf dem einsamen Hügel, wo endlich des Dorfes Bewohner lautlos schlafen um das Kirchlein herum, um sie eine der schönsten Ebenen der Schweiz, begrenzt von niedern Bergen, hinter ihnen die hehren weißen Häupter, über allem weit und tief der unergründliche Himmel.

An die Emme stößt der Utzenstörfer großes Gebiet und ihr in weitem Gefilde liegendes, unendliches Dorf, in welchem der Fremdling alles findet, was er sucht (doch selten den rechten Weg), nicht nur Heu und Stroh, Eier und Tauben, sondern auch Gutes und Böses, den Sinn, das Herz zu schmücken, und die Sucht nach eitelm Narrenwerk.

Auch Fraubrunnen läßt sein Moos bis an die Emme gehen, und die Emme hörte deutlich der Gugler Fluchtgeschrei, aber auch das unglückliche Treffen anno 1798, wo die in Schußweite unbedeckt vor einem Walde hirnlos aufgestellten Schweizer sich tapfer wehrten gegen die übermächtigen Franzosen, doch umsonst. Dort rannte ein hochgewachsenes Mädchen heldenmütig drei Franzosen an und fand, Pardon verschmähend, den Tod [siehe »Elsi die seltsame Magd«]. Dort lief aber auch ein arm Mannli über Hals und Kopf davon, und auf dem Moose über einen Maulwurfhügel stolpernd, rief es fallend aus: »Ach, meine armen Kinder!« Er glaubte in seiner Herzensangst, von einer Kugel zum Tode getroffen niedergeworfen zu sein.

Über die Emme hin auf Fraubrunnen nieder sieht das wohlbekannte Kirchberg, dessen Kirchturm schön und schlank weit umher gesehen wird in der reichen Gemeinde, ein Finger Gottes, aufgehoben den reichen Magnaten zur Erinnerung, von wem der Segen komme in Feld und Haus.


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