Jeremias Gotthelf
Hans Joggeli der Erbvetter
Jeremias Gotthelf

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Gegen solche Mutterliebe zu kämpfen, war dem Vetter Kirchmeier schon anfangs schwer, denn Mutterliebe ist so schön, und mütterliche Pläne sind so verzeihlich, daß einem das Herz unwillkürlich weich wird, und wem es nicht weich wird, der scheut sich doch, die heilige Flamme der Liebe mit kaltem Wasser zu begießen. Darum sagte der Alte gewöhnlich, es werde ihm schier wunderlich, er müsse gehen und sich ein wenig hinlegen. Vielleicht, daß dann der Schlaf komme, da solle sie ihm doch recht nicht zürnen, wenn er nicht wiederkomme. Der Doktor habe gesagt, Schlaf sei die Hauptsache, und schlafe er einmal, so solle man ihn bei Leben und Sterben nicht wecken. Darum wolle er sie nicht aufhalten, danke für alles Gute und werde daran sinnen; auch die Anerbieten vergesse er nicht und werde Bescheid machen, sobald er davon Gebrauch machen könne. War er aber besser aufgelegt, so flackerte die alte Schalkheit wohl wieder auf, und er erwiderte: es täte ihm leid, daß sie zu spät gekommen, aber gestern sei die oder die Base dagewesen, die meine es absonderlich gut und sei fast über den andern Tag da, um zu sehen, wie weit es mit ihm sei. Diese habe einen Ausbund von Tochter, wie sie sage, und er habe ihr versprochen, ihr Bescheid zu machen, wenn er sie nötig hätte. Vielleicht, daß dann der Base Bruderssohn auch mitkomme, für auf dem Lande zu regieren, das solle auch ein Ausbund sein, das Land auf und ab keiner so. Er hätte so schier merken können, daß das am Ende eine Heirat abgeben könne. Nun, darwider wolle er nicht sein; wenn zwei einander wollten, so müsse man sie machen lassen.

Was das dann für ein Blähen und Zischen gab, akkurat, als ob man einer Klapperschlange auf den Schwanz getreten wäre! Ganz langsam fing die erboste Base an mit einigen Seufzern und Püffen; aber mit jedem Atemzug ward das Feuer lebendiger, prasselte heftiger, donnerte am Ende wie ein Dutzend Batterien Vierundzwanzigpfünder, daß an der erwähnten Base ihrer Tochter, ihres Bruders Sohn längst kein guter Fetzen mehr war, und das Feuer prasselte fort, wie es geschieht, wenn der Eifer einen Kommandanten so blind macht, daß er noch immer schießen läßt, wenn längst die Feinde alle niedergewettert sind.

Nachgerade aber ward dem Alten der Zudrang und das Gerede äußerst peinlich, er sehnte sich nach Ruhe. »Hört, Doktor!« sagte er einmal zu seinem Arzte; »daß man einen armen König nicht ruhig sterben läßt, sondern mit Höfeln und Hofieren ihn quält bis an sein, so Gott will, seliges Ende, dünkt mich nichts anders, und eine so große Plage wird es für ihn auch nicht sein. Hat der arme Teufel doch keine Ruhe gehabt lebenslang, hat nie gewußt, wie wohl und behaglich man es sich auf der Welt könne sein lassen. Aber ein anderes, Doktor, ist es mit dem Bauer im Nidleboden, der sollte doch, dünkt mich, an ein ruhig Sterben Anspruch haben. Während seinem Leben hat er sich an die Ruhe gewöhnt, ein ruhig Gewissen gesucht und jede Sache zu rechter Zeit getan, solange er es vermocht. Jetzt, dünkt mich, solle man mich auch das letzte Werk, das Sterben, in Ruhe vollbringen lassen. Es wäre doch wohl eine strenge Sache nicht Ruhe zu haben zum Sterben, absonderlich für einen Bauer, der Leib und Seele im trocknen hat und niemand mehr was nachzufragen als Gott. Nun, Doktor, was fange ich an, um zum ruhigen Sterben zu kommen? Dazu könnt Ihr mir helfen mit Euerm Rat; daß Ihr mir nicht vom Tode helft mit Euerm Zeug, das wisset Ihr und ich. Wie halte ich mit Manier die Verwandten ab, die mir ärger zusetzen als Flöhe einem Pudelhunde?«

»Das Gestürm war mir schon lange zuwider«, sagte der Arzt, »aber sagen durfte ich nichts, aus Furcht, es gehe übel. Nichts ist leichter, als sie alle zu verjagen, ich sage bloß, Ihr hättet ein ansteckendes Nervenfieber gekriegt, und wem das Leben lieb sei, solle sehen, was er mache. Potz Blitz, wie werden die Auszug geben, denn Euer Testament erlebten doch noch alle gar zu gerne. Höchstens bis dort zum Holzhaufen kommen sie mehr und gucken hinter ihm hervor, ob die Fenster noch nicht offen seien. Oder ich sage jedem ins Ohr: ich hätte guten Grund, zu glauben, Ihr würdet wiederkommen nach dem Tode, und wer wiederkomme, plage die am meisten, welche zuletzt bei ihm gewesen seien.«

»Ihr seid immer der gleiche«, sagte der Kirchmeier, »aber weder das eine noch das andere ist mir anständig. Wer einen Fuß im Grabe hat, darf nicht mehr lügen, nicht mehr Spaß treiben. Ich habe während meinem Leben zu manchem Spaße geholfen und manchen zum besten gehabt, mehr, als mir jetzt lieb ist. Freilich könnte ich sagen, die Leute hätten es so gewollt, aber wenn mir eben die Ruhe nicht zu lieb gewesen, so hätte ich Ernst auch brauchen können. Vielleicht schadete es Euch auch nichts, wenn Ihr ein wenig, von den Flausen ließet und an das Abreisen dächtet. Mir scheint am besten, wenn Ihr unter der Hand andeuten würdet, ich liebte die Besuche nicht, ich sei ein mißtrauischer Mann und hielte dafür, all das Gelaufe gelte nicht mir, sondern entweder der Neugierde, zu sehen und zu hören, auf welchem Loche ich pfeife, oder aber meinem Geldsack, um sich gleichsam wie ein Wurm ins Holz darein einzubohren. Ich könnte Ähnliches zwar selbst andeuten, aber Ihr wißt, Doktor, ich liebe das Durchgreifen nicht. Das sachte Abschüsseln und leise von der Hand Weisen ist meine Sache.«

»Mir recht, Kirchmeier«, sagte der Doktor, »will schon Euer Sündenbock sein. Allweg hilft das Mittel. Es ist schade, daß solche Schlauköpfe sterben, die sollte man wieder jung machen können.« »Trüge nichts ab«, sagte der Alte, »wächst ja doch unter alten Bäumen nicht gerne das junge Holz; gewinnt erst, wenn das alte fort ist, den unverkümmerten Wachstum. Ich mache gerne Platz, aber in aller Ruhe, welche ich erworben und, wie ich glaube, auch verdient. Das angegebene Mittel, hilft es, was meint Ihr?« »Allweg«, sagte der Arzt, »bin Euch gut dafür. In wenigen Tagen seid Ihr so ungestört wie eine Nonne im Kloster. Denn vor dem unwert Werden haben Eure Vettern und Basen Respekt, wie die, welche in die Regierung wollen, vor dem Vorwurf, sie seien Jesuiten oder Aristokraten. Mancher, den seine Frau anhergejagt, ist froh darüber, daheim bleiben und seine Hühneraugen pflegen zu können.«

Das Mittel erprobte sich, die Besuche blieben nach und nach aus; einsam wurde es im Nidleboden, und ruhig konnte der alte Kirchmeier seine letzten Tage zubringen. Aber ruhig waren deswegen die Verwandten nicht geworden, und aus den Augen ließen sie den Vetter nicht. Wenn sie auch nicht geradezu hinter dem Holzhaufen sich postiert hatten, wie der Arzt gesagt hatte, von dort hervorguckten, so konnten die einen sich doch nicht enthalten, zwischen Tag und Nacht um das Haus zu spionieren; fremde Gestalten sah man im Mondschein durch die Bäume sich bewegen. Andere stellten Kundschafter an, das wandernde Gesindel, christliche Zigeuner; denn soviel Kesselflicker, Korber, Schwefelhölzler, Bettler von allen Sorten waren im Nidleboden noch nicht gesehen worden, obgleich er von je mit solchen Leuten gesegnet gewesen. Alle weilten länger, als nötig war, frugen das möglichste, suchten vor allem durch eigenen Augenschein sich zu vergewissern, der Alte lebe noch. Wer von seinem Angesicht reden konnte, der hielt seine Sendung für eine glückliche und sehr belohnenswerte. Die angesehensten Verwandten gaben sich diese Mühe nicht, sie kannten die Wahrheit, daß, wenn der König sterbend sei, das Hofgesinde sich dem Thronfolger zuwende und gefällig sei auf das möglichste. Sie steckten sich daher hinter Nachbarsleute, und diese versprachen sehr willig, es ihnen alsobald ansagen zu lassen, wenn es eine Änderung gebe im Nidleboden, damit sie alsobald auf dem Platze sein könnten und die Mäuse aus dem Bienenstocke jagen. Sie gehörten unter die Leute, welche durchaus an keine Ehrlichkeit glauben können, sondern meinen, jeder mache, was er könne, wozu die Gelegenheit sich ihm biete. Sie haben guten Grund zu diesem Glauben, obgleich sie ihn nie werden angeben können; denn derselbe liegt in ihnen selbst, wohinein bekanntlich gar viele Augen nie klar sehen. Er liegt im dunkeln Bewußtsein, zu was allem sie selbst fähig wären eben bei schicklicher Gelegenheit.

Vetter Hans Joggeli brachte nun ungestört noch freundliche Tage zu, wenn auch bei täglich abnehmender Lebenskraft. Er war leidlos und gefaßt, sein Haus war bestellt, seine Seele freute sich abzuscheiden, und freundlich war über ihm in den letzten Tagen der Himmel. Alle seine Leute taten, was sie ihm an den Augen absahen, und mieden auf das sorgfältigste, was irgendwie ihm Verdruß machen konnte, und das alles nicht in eigennützigem Sinne, sondern aus warmer Liebe; denn bei niemand im Hause hatte er die geringste Hoffnung erweckt, welche mit seinem Tode in Erfüllung gehen sollte, sondern bloß dafür gesorgt, daß es allen wohl war bei ihm im Leben, daß in allen das Gefühl wach war, es gehe ihnen übel mit seinem Tode. Er stand alle Tage noch auf; wenn leicht das Wetter leidlich war, so ging er noch vor das Haus, besuchte die Ställe, sah wenigstens dem Tränken des Viehes zu oder tat einen Blick in seine Besitzungen. War es schlimm draußen, so saß er auf der warmen Ofenbank in der Gesindestube, ließ sich da erzählen, was draußen vorging, und erteilte seine Befehle. War was Besonderes, so berichtete ihm Benz im Stübchen, gab über alles Rechenschaft und zeigte eine Sorgsamkeit, welche dem Alten den üblichen Kummer, es gehe draußen nicht gut, nahm und ihn recht ordentlich erquickte. Bäbeli dagegen war seine getreue Abwart oder Pflegerin, soweit er es bedurfte. Gern hätte das Mädchen mehr getan, aber besondere Dienstleistungen duldete der Alte nicht. Solange der Mensch sich selbsten helfen könne, müsse er es tun. Der Schwachheit, dem tödlichsten Feinde, dürfe man sich erst ergeben, wann es sein müsse. Desto größern Fleiß hatte Bäbeli mit Kochen und machte seine Sache trotz den Verleumdungen der Base recht gut. Sein Lehrmeister war der Arzt. Derselbe sagte nicht bloß, was es kochen solle, sondern auch, wie; und was es gekocht, wies Bäbeli, sooft es konnte, dem Arzte vor, um zu vernehmen, ob es gut sei so oder nicht. Eine halbe Köchin sollte jeder Arzt sein, freilich fände er nicht viele gelehrige Schülerinnen. Es gibt Weiber, welche viel lieber der ganzen Haushaltung den Tod an den Hals fütterten als von ferne eingestehn, daß sie nicht recht kochen und von einem Arzt etwas lernen könnten. Ach, es ist ein liebenswürdiges Geschlecht, das weibliche, aber verflucht eigensinnige Geschöpfe gibt es darunter, das ist wahr! So eins war Bäbeli nicht, es tat das möglichste und plagte doch den Vetter nicht mit der Liebe; es zeigte sie bloß, daß der Vetter in stillem Wohlgefallen sie inneward, wußte, er könnte auf eine Liebe zählen, die da nicht das Ihre sucht, nicht ungeduldig wird, sich nicht aufbläht, sondern alles erträgt und alles erduldet. Nie störte es den Abendschlummer, nie den Morgenschlaf, und doch ging es nie zu Bett, ohne am Bette des Vetters auf seine Atemzüge gelauscht zu haben, und sein erster Gang des Morgens war hin zu des Vetters Bette.

Bäbeli, welche den lieben Paten stündlich sah, nahm das Schwinden seines Lebens nicht wahr, desto besser er selbst; da er aber gleich heiter im Gemüte blieb, täuschten sich die andern desto eher über seinen Zustand. Er sah dem Schwinden seines Lebens zu wie ein Wanderer, der nach harten Wanderungen müde auf eines Hügels Spitze sich gesetzt hat, dem Untergehen des schönen Abendsternes. Als seine Schwäche merklich hervorgetreten war, hatte er einmal des Abends alle seine Leute versammelt und ihnen gesagt: es wisse keiner, wann er sterbe, ein Alter besonders müßte auf alles gefaßt sein; darum, wenn ihm was Menschliches begegne, so hätten sie alsbald den und den zu rufen, sie sollten es ja nicht versäumen, damit sie nicht in große Verlegenheit kämen und üblen Verdacht. Seitdem sprach er nicht mehr vom Tode, ängstigen wollte er seine Leute nicht.

Viel las er nicht, aber es war nicht öde in seiner Seele; die schreckliche Öde, welche in den letzten Stunden bis zur Verzweiflung ängstigt, welche man in Todesangst noch ausfüllen möchte, Tag und Nacht, Weib um Weib, Mann um Mann am Bette schreiend lesen läßt, daß die Wände seufzen und knarren, diese schreckliche Öde kannte er nicht. Er hatte Schätze gesammelt, als er bei guten Kräften gewesen, an diesen Schätzen nagte der Tod nicht.

Wenn er an stillen, hellen Tagen an der Sonne saß, so sonnte er diese seine Schätze, legte sie aus vor Gottes Augen und sah fragend in den blauen Himmel hinauf, zu forschen, ob sein Gott Wohlgefallen hätte daran, ob er das Feld seines Herzens weiß und reif finde zur Ernte, den Weizen gut für die himmlischen Scheuren. Und wenn er in stiller Nacht auf seinem Lager ruhte, so ließ er an seinem innern Auge vorübergleiten die vergangenen Zeiten, prüfte wohl den Zusammenhang der Aussaat mit der Frucht, prüfte das eigene Tun und untersuchte, ob alles nun wohlbestellt, nichts gutzumachen sei. Dann lauschte er wohl, ob er nicht höre des Todes leises Schleichen, sein Tappen an den Wänden der Kammer, in welcher sein Herz verwahrst lag; dann sah er wohl nach dem hellen Himmel zu den flimmernden Sternen auf, ob sich von keinem ein Lichtstrahl löse, zum Engel sich verklären schwebe in sein Kämmerlein, löse aus irdischen Banden seine unsterbliche Seele und sie geleite in das himmlische Land.


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