Jeremias Gotthelf
Hans Joggeli der Erbvetter
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zurückkehrend brummte sie vor sich hin: »Das ist mir ein wunderlicher Heiliger, mit dem weiß man nie, wie man daran ist. Ein zäh Ketzers Mannli, der schlägt noch mit unsern Beinen Nüsse von den Bäumen. Aber geizige Leute – und ein wüsterer Kümmelspalter als der läuft nicht auf dem Erdboden herum – haben es alle so, sie können nicht sterben. Drei Tage nach dem jüngsten wird man sie noch totschlagen müssen. Man ist doch eigentlich nur ein Narr, daß man dem so viel anhängt. Wie hat er gesagt? Was einer wird, was einer kriegt, das steht in Gottes Hand. Der alte Schelm! Zuletzt hat man Speckseiten nach einer Wurst geworfen oder kriegt gar nichts als eine lange Nase! Das wäre der Teufel! Wohl, da würde mein Mann mir den Marsch machen!«

Unterdessen war der Alte bedächtig seines Weges gegangen, sorgfältig die Mitte der Straße haltend, zu seinem Säcklein Sorge tragend, damit das so gerühmte mürbe Backwerk nicht Schaden nehme. Trotz seiner Vorsicht stieß er sich und stolperte. Als er untersuchte, was ihn fast zu Falle gebracht, fand er einige hingeworfene Zaunstecken. Er brummte über die mutwillige Jugend, welche so die Arbeit der Alten zerstöre, steckte dieselben unter den Arm und trug sie heim, weil er, wie er sagte, es für nützlicher hielt, wenn er daheim damit einen Kaffee machen ließe, als wenn wilde Buben sie fänden und mit denselben sich die Köpfe zerschlugen.

Schwer bepackt also mit Pasteten und Stecken, wandte er sich einem großen Hause zu, welches etwas seitwärts vom Wege in einem prächtigen Baumgarten stand. Es war des Alten selbsteigenes Haus; denn der Vetter Hans Joggeli und Kirchmeier seines Titels war der reiche Bauer im Nidleboden, ein alter Knabe, welcher größern Hof hatte und mehr Liebhaber als manches schöne Mädchen ohne Hof und ohne Geld. In seinem Testamente obenan zu stehen, hätten so viele von ganzem Herzen sich selbst gegönnt. Es lohnte sich aber auch der Mühe, zu erben, denn das Erbe bestand nicht bloß in einigem zerbrochenen Geschirre, etlichen alten Strümpfen und mehreren alten Schuhen ohne Sohlen oder sonstigem Gerümpel, sondern aus einem der schönsten Höfe, nicht umsonst der Nidleboden genannt, und aus Kapitalien, deren Betrag niemand kannte, welcher aber sehr hoch sich belaufen mußte; denn wenn irgendwo ein Hausvater starb, dessen Nachlaß gerichtlich untersucht wurde, so fand es sich zumeist, daß er dem Kirchmeier im Nidleboden schuldig war. Ob der Kirchmeier bereits ein Testament gemacht habe oder nicht, darüber wurde viel disputiert, aber nie sicher ausgemacht; diese Ungewißheit eben unterhielt die Hoffnung der Liebhaber und mehrte den Eifer in ihren Bewerbungen. Zudem hatte er weder Brüder noch Schwestern, keine ganz nahen Verwandten. Daher die Konkurrenz um so freier, die Verwandtschaft aber um so größer. Vettern und Basen hatte er unzählige, wie Sand am Meer. Es war sich aber nicht zu verwundern, denn wenn auch nicht ganz bis zu Adam hinauf, so doch bis zu Noah wußte man ihm die Verwandtschaft herzuleiten, daß er oft ganz darüber erstaunen mußte. Der Nidleboden gewann daher fast das Ansehen eines berühmten Wallfahrtsortes, wohin es Hunderte zieht, bei einem Wundertäter ihr Heil zu suchen. Vetter Hans Joggeli war der wunderliche Heilige, um dessen Gunst man buhlte und nie umsonst, denn hoffnungslos entließ er nimmer eine Kreatur. Aber was dann so ein Wallfahrer, der sich erhört glaubte und freudigst heimzog, für saure Augen machte und häßliche Gesichter schnitt, wenn ihm, Wegziehenden, Dahinziehende begegneten, welche ihn um die gewonnene Gunst und Gnade bringen konnten möglicherweise! Zwischen Gottes Gunst und Gnade und eines Menschen Gunst und Gnade ist nämlich ein gar mächtiger Unterschied. Unendlich ist die Gnade Gottes und groß genug für alle, endlich und gar klein eines Menschen Gunst, und gar wenige vermögen daran sich zu ersättigen. Vetter Kirchmeier ließ kaltblütig das Ding sich gefallen, gab kein böses Wort von sich, nahm, was man ihm brachte, tat daneben, was ihm wohlgefiel.

Mit vielem Behagen legte der Alte, welcher, beiläufig gesagt, aus seinen Waldungen jährlich für einige hundert Gulden Holz verkaufte, in der Küche seine erbeuteten Stecken ab und sagte: »Sieh, Mareili, was ich dir gekramet habe, mit denen ist morgen gut Kaffee kochen.« Wenn es Kram hätte sein müssen, so wäre ihm gar manche Sache anständiger gewesen als solche unflätige Knebel, antwortete die angesprochene Person, ein großes, stattliches Mädchen mit breitem Gesicht, unangenehmem Ausdruck, aber schön farbicht und sonst überall schön nach selbsteigenem Urteile.

Um diese Staatsperson herum schoß eine andere Maid, die war nicht viel kleiner, aber um die Hälfte dünner, spärlich angetan, während die andere es staatsmäßig war, hatte ein viel weniger gefärbtes Gesicht, keinen Schild, breit wie eine Kuchenschüssel, Amors Pfeile herausfordernd, sondern bloß ein lebendiges, freundliches, zu welchem man alsbald das Zutrauen hatte, es könne mit andern fühlen und für andere denken – so eine schoß um die andere herum, nahm dem Alten seine Beute ab und legte sie, wo man am folgenden Morgen zuerst nach Feuerung griff.

Entlastet wandte sich der Alte der Stube zu, setzte sich hinter den Tisch und packte sein Säcklein aus. Ihm nach brauste Mareili, in der einen Hand die Kaffeekanne, in der andern den Milchhafen, herrschte über die Achsel: »Bäbi , bring die Röste!« Als Mareili sah, daß der Vetter für sich was anders gekramet als hölzerne Knebel, zog es ein noch schieferes Gesicht, meinte: »Oder soll ich es draußen lassen? Der Vetter hat mürbern Kram für sich, als er mir gebracht, solcher könnte mich auch gelüsten.« »Nimm, wenn du willst!« antwortete der Kirchmeier ruhig, »sie sind von der Base beim ›Bären‹; wie die macht sie keine und meint es so gut mit einem, nimm doch, nimm!« »Wer wollte von dieser was mögen, kein rechter Mensch sieht die ja mehr an, das ist die falscheste Frau, welche auf zwei Beinen läuft! Aber wenn es nur geschmeichelt ist, so ists vielen recht!« schnauzte Mareili und schoß zur Tür hinaus.

Der alte Kirchmeier blinzte dem davonfahrenden Mädchen nach, ließ die Dreizinke und den Kaffee sich wohlschmecken, frug Bäbeli, welches Mareili nachwollte, allerlei über den Verlauf des Nachmittags. Plötzlich fuhr Mareili wieder herein und Bäbeli an: ob es denn nichts mehr zu tun wüßte als dazustehen und Maulaffen feilzuhalten, und wenn er nicht mehr möge, so wolle es die Kanne und den Topf hinaustragen, um endlich fertig zu werden mit Abwaschen, das Feuer brenne bereits lange genug unnötigerweise, und Zeit wäre es auch, daß man an die Ruhe könnte. Am Ende sei man kein Hund, ein Mensch aber müsse geschlafen haben. »Nimm!« sagte der Alte, »ich kann es machen. Und wegen dem Schlafen, denke ich, könntest du es ebenfalls machen, wenn du nämlich die Zeit, welche du dazu hast, auch zum Schlafen brauchst.«

Pung, fuhr die Tür zu, daß die Fenster klirrten und bellend der Hund unter dem Ofen hervorfuhr. »Es ist wieder bös Wetter«, sagte der Alte gelassen und ergeben vor sich hin. »Der Liebeshandel mit dem Halunk verdreht dem Mädchen den Kopf; es ist Zeit, daß man dem Ding ein Ende macht, ehe es ein Unglück gibt.«

Dieser Halunk war nämlich ebenfalls ein Vetter, welchen der Alte lange im Hause gehabt, ja eigentlich erzogen hatte und am Ende genötigt war, ihn fortzujagen. Derselbe hatte sich in den Glauben verlaufen, er sei des Vetters unwiderruflicher Erbe, war stolz, ungehorsam, verschwenderisch geworden, trieb den dummen Übermut, der fast unerklärlich ist, wenn man nicht an die Verstockung denkt, an die Ohren, welche nicht hören, die Augen, welche nicht sehen, so weit, daß er die Ermahnungen des Alten nicht bloß in den Wind schlug, sondern ihnen förmlich Trotz bot. Wenn es aber nicht anders zu machen war, so wußte der Kirchmeier sich ernstlich und gründlich zu helfen; so hatte er den Jungen aus dem Hause gejagt, aber aus dem Kopfe konnte er ihm den Traum, Nidlebodenbauer zu werden, nicht jagen. Durch Mareili, ebenfalls eine ins Haus passierte Base, welche Erbin zu werden hoffte, meinte er, seinen Traum in Erfüllung zu bringen. Er unterhielt mit Mareili einen Liebeshandel, welcher dem Alten äußerst zuwider war. Aber Mareili hatte ebenfalls keine Ohren für das Alten Warnungen, es stand auf der Kulturstufe, wo man durch Vorgänge sich nicht warnen läßt, sondern sich berufen glaubt, sich selbständig in der Welt seine Geschichte zu machen, nach ganz neuen Grundsätzen und Regeln. Die guten Kinder begreifen nicht, daß es wohl alle Jahre neue Kinder gibt, die Welt aber die alte bleibt, daß die Kinder nagelneue Träume kriegen, die alte Welt dagegen im alten Trappe und Gange bleibt.

Nicht lange nach jenem Abend, an welchem Vetter Hans Joggeli in stillem Selbstgespräch uns seinen Entschluß verkündet hatte, sah man eine lange Frau auf das Haus zukommen. Sie hatte eine spitze Nase im Gesicht, ein Säcklein in der Hand. Noch war sie lange nicht beim Hause, als Mareili rasch ihr entgegenfuhr und sich bei ihr stellte und so lange bei ihr stand, daß man fast hätte glauben sollen, unser Herrgott hätte ein neu Wunder verrichtet und die beiden Weiber zu zwei Türlistöcken werden lassen. Süßes hatten sie nicht zu verhandeln, wie man von weitem merken konnte, denn sie machten Gesichter, als ob sie angestellt wären, um Pfefferkörner zu kauen. Endlich wurden beide wieder flott und bewegten sich langsam dem Hause zu. Mareili verwarf schrecklich die Hände, die Nase der Frau aber schien um ein sehr Bedenkliches länger und spitzer geworden zu sein.

Vetter Hans Joggeli wartete den Besuch gelassen in der Stube ab. »Gott grüße Euch, Vetter Kirchmeier!« sagte die eintretende Frau und reichte ihm die Hand. »Immer wohlauf, ganz jung noch«, fuhr sie fort, »das freut mich.« »Ja, ja, Gott Lob und Dank, wohlauf bin ich, und wenn es unseres Herrgotts Wille ist, so habe ich noch ein Weilchen zu leben und kann Gottes Güte genießen. Meine Großmutter wurde siebenundneunzig Jahre alt, und ich habe manchmal gehört, man schlage den Großeltern nach.« »He ja, ja«, sagte die Frau, »ein schönes Alter, ich möchte es Euch gönnen. Mir wäre es nur zu lang, kriegte Langeweile. Euer Großvater, wenn mir recht ist, der starb sehr jung.« »Ja«, sagte der Kirchmeier, »er fiel von einem Kirschbaume, aber die Leute, welche ihn gekannt, haben immer gesagt, wenn das nicht gewesen wäre, so hätte er hundertjährig werden können.«

Da machte die Base wieder ein Pfefferangesicht, sagte jedoch so freundlich als möglich: sie hätte gedacht, sie müsse doch mal sehen, was der Vetter mache, es stürben so viele Leute ungesinnet, man vergrabe fast alle Tage zwei bis drei Personen, daß es einem angst werde um seine Bekannten, besonders wenn sie so alt seien. Auch müsse sie einmal fragen, wie sich Mareili stelle, und ob es ihm noch immer anständig sei? »Danke, Base, meinetwegen brauchst du nicht Kummer zu haben, ich bin wohl, und Mareili geht es auch nicht bös, es dünkt mich, es werde alle Tage munterer und hübscher.«

Ein schlecht Aussehen habe es nicht, sagte die Mutter, doch werde das kaum vom Guthaben kommen, aber es sei von Art so, daß alle Speisen noch einmal so wohl anschlügen bei ihm als bei andern, während die Arbeit ihm nichts schade. »Das wird sein«, sagte der Vetter, hieß Mareili Wein bringen und zu essen, was es Gutes habe. Unterdessen packte die Base eine Züpfe aus und legte sie auf den Tisch; es war aber eine kleine, magere, so ein Ding, welches was vorstellen sollte, und zu dessen Herstellung das Kleinste einen gereut. Sie habe dem Vetter, sagte die Base, ein Zeichen ihrer Gutmeinenheit bringen wollen, so was recht Mürbes, welches so alten Leuten sonst am anständigsten sei. Jetzt müsse sie sich schämen, aber der Schelm, der Bäcker, sei schuld. Sie habe ihm zwei Mäß Korn gegeben, zwei Pfund Butter und zwei Dutzend Eier, und jetzt mache er ihr so ein klein, erbärmlich Ding, welches ein Huhn im Schnabel forttrüge. Der Vetter müsse den guten Willen für die Tat nehmen. Das wäre gar nicht nötig gewesen, sagte der Alte, er hätte ja längst Ursache, zu wissen, wie gut sie es meine. Und man solle ihn nur nicht verderben und ihm zu viel Gutes bringen. Da sei auch die Wirtin beim Bären zu Zinggiwyl, die meine auch, wenn sie was Gutes backe, so müsse er davon haben. Selb sei doch nicht nötig, am Ende könnte er noch essen, was die andern, der Magen sei gut, und das sei die Hauptsache. Auch mit dem Beißen gehe es nicht so bös, es sei mancher Junge, welchem mehr Zähne fehlten als ihm, sie solle nur sehen. Es war fast, als ob über die gut erhaltenen Zähne des Vetters der Base das Beißen verginge. Indessen erholte sie sich bald und ließ sich, was da war, wohlschmecken. Die Base war eine von den höchst interessanten Personen, welche die Kunst verstehen, Essen und Reden so zu vermitteln, daß nicht nur keins dem andern Eintrag tut, sondern das Reden Essen und Trinken gleichsam verdeckt. Essen und Trinken der Rede nach helfen ihr den gehörigen Nachdruck geben, gleichsam die wahre Interpunktion.


 << zurück weiter >>