Jeremias Gotthelf
Hans Joggeli der Erbvetter
Jeremias Gotthelf

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Mit großer Teilnahme hatte der Kirchmeier der lieben Base zugehört und zuweilen leise links geblinzt, jetzt sagte er: »Großen, mächtigen Dank, Base, sollt Ihr haben, daß Ihr es so gut meint mit mir und so viel an mir tun wollt, aber helfen wollte ich, nicht zu sehr zu pressieren. Drei Weibsbilder haben in meiner Küche nicht Platz, ist sie doch manchmal für zwei zu eng. Ich möchte Lisabethli den Verdruß nicht gönnen, wenn es dabeisein müßte mit den andern.« Ja, sagte die Mutter, sie meine das auch nicht so, er müsse gleich das junge Mensch, welches hier sein solle, aber statt den Dienst zu machen in der Welt herumludere, fortjagen; neben dem zu sein, möchte sie allerdings keinem Hund gönnen, geschweige ihrem lieben Lisabethli.

Da habe sie ganz recht, vollkommen so sei es ihm auch, sagte der Alte. Darum eben hülfe er nicht pressieren, denn aus dem Jahre sende er nicht gerne Dienstboten, absonderlich wenn sie Pate zu ihm sagten, außer bei besonderen Anlässen, wo Ernst und Ausräumen nottäte. Gebe es einen solchen Anlaß, so wolle er alsbald Bescheid machen, unterdessen sollten sie grausam Dank haben, er wolle ihr Anerbieten als empfangen achten und es nicht vergessen. Der Mutter war das aber nicht recht, sie war darauf eingerichtet, Lisabethli da zu lassen, und Lisabethli selbst sagte endlich, dem Vetter zulieb wollte es sich leiden zu dreien in der Küche und sehen, wie es ginge, und wenn der Vetter ihm zur Seite stünde und den andern befehlen täte, daß sie ihm zu gehorchen hätten, so glaube es, es ginge.

»Nein«, sagte der Kirchmeier, »das darf ich dir doch wahrhaftig nicht zumuten, und wenn deine Liebe noch so groß wäre. Sie freut mich allweg und verdient, daß ich dir auch ein Zeichen tue.« Der Vetter stand auf, ging ins Stübchen (welchen Augenblick Mutter und Tochter zu raschem Winken und Flüstern benutzten), kam mit einigen Talern zurück, welche er dem lieben Lisabethli in die Hand drückte.

Mutter und Tochter bestürmten den Vetter aufs neue mit Liebe und Anerbieten, aber der Alte blieb fest und lenkte jeden Sturm freundlich und gelassen ab, wobei die Alte sichtbar saurer und giftiger, die Tochter bleicher und weinerlicher wurde. Da nichts half, so beeilten sie sich mit dem Aufbruch, trotzdem daß der Vetter sagte, sie sollten nicht pressieren, überdem sei Mondschein. Sie hatten guten Grund zur Eile, denn die Mutter gehörte zu den schnellkräftigen Geistern, welche, wenn sie einmal einen Plan entworfen und seine Ausführung begonnen haben, nicht erschrecken, wenn es auf eine Weise nicht geht, sondern alsbald eine andere Weise erdacht haben und rasch es auf diese probieren.

Kaum war sie dem Vetter aus den Augen, so suchte sie eine weibliche Bekanntschaft in der Nähe auf und erkundigte sich, wo Bäbeli wohl anzutreffen sein möchte. Zufälligerweise konnte diese die gewünschte Auskunft geben, und alsbald segelte die Mutter, gleichsam ein Linienschiff mit geblähten Segeln, dem bezeichneten Orte zu, die Tochter als schmächtige Fregatte hintendrein.

Bäbeli war einem Bade zugegangen, wo selben Tages getanzt wurde, und tanzte nun frisch und lebensfroh mit Leib und Seele. Alsbald hatte es die unternehmende Alte ausgekundschaftet und wußte es unter einem Vorwande abseits zu locken, ließ eine Flasche Wein kommen, schenkte ihm ein, machte Gesundheit, dann ein wichtig Gesicht, seufzte und sprach: sie möchte ihm was sagen, aber es solle nicht böse werden, sie vermöchte sich dessen nichts. Aber sie müsse es ihm sagen, nur damit es wisse, wie schlechte Leute es gebe, junge Mädchen wüßten das nie zu frühe. »Weißt, woher ich komme?« »Nein«, sagte Bäbeli, »wie wollte ich das wissen?«

»Aus dem Nidleboden komme ich, und denk, warum? Der Alte dort hat mir Bescheid machen lassen, wenn ich eine Tochter hätte, welche ihm die Haushaltung machen könnte und wollte, so sollte ich sie ihm heute bringen, er sei gar übel versorget, könne nicht mehr so sein. Am liebsten hätte er jemand aus der Verwandtschaft und besonders aus unserm Hause, von wegen er wisse, wie berühmt wir seien wegem Arbeiten und Haushalten. Wir wußten nicht, wie die Sachen sich verhielten, dachten, auf einen Gang komme es nicht an, zudem ist er Lisabethlis Pate, und anständig sei es allweg, wenn Lisabethli sich ihm einmal zeige. Nun hätte der Alte schrecklich gejammert, wie er mit dir übel versorget sei, du an nichts dächtest als an Buben und Lustbarkeit, und mit aller Gewalt wollte er Lisabethli behalten, sonderbar wohl gefiel es ihm; du könntest schon morgen gehen, hat er gesagt, er habe apart keine Abrede oder Akkord mit dir. Wie du hergelaufen seiest, könnest du auch wieder fortlaufen. Aber so wüst wie der Alte sind wir denn doch nicht, und wenn er es dir so macht, wie kann er es Lisabethli machen! Versündigen wollen wir uns also nicht, wollen dich nicht vertreiben. Wenn es sein muß später, so kann Lisabethli nicht wohl anders, von wegen er ist der Vetter und der Pate noch dazu. Aber allweg wollten wir es dir zuerst sagen, du kannst dann machen, was du willst, und weißt allweg, wie der Alte es mit dir meint, und was du für Dank hast für deine Mühe und Arbeit. Aber wenn ich dich wäre, keine Stunde bliebe ich länger, der müßte mir nicht aufsagen oder gar mich fortschicken; dem wollte ich es zeigen, daß ein Mädchen wie du noch an einem andern Orte sein kann als so bei einem alten Schelm, verzeih mir Gott meine Sünde! Ich bin alt und habe viel erlebt, aber das muß ich sagen, daß es ein Pate einem Patenkind so wüst gemacht, das ist mir nicht zu Ohren gekommen. Das wollte ich dir sagen, du armes Tröpfli, dieweil du mich sehr erbarmtest, damit du weißt, woran du bist. Mach jetzt, was du willst, aber dem Alten sage nicht, daß du uns gesehen hast, und was ich dir gesagt! Dir hülfe es nichts, uns würde er verfolgen und am Ende alles ableugnen, uns zu Lügnern machen wollen, denn beweisen könnten wir nichts; das wäre ein schlechter Dank für unser Gutmeinen mit dir.«

So sprach die Base, so sprach sie, daß wir zweifeln, ob ein russischer Diplomat oder ein propagandistischer Emissär es besser gekonnt hätten. Darauf wanderte sie weiter, und hintendrein segelte die Tochter.

Bäbeli hatte zu all diesen Eröffnungen wenig gesagt, einige dicke Tränen waren aus den Augen gerollt, die blassen Wangen herab, und waren auf den Tisch gefallen. Es war ihm gewesen, als rolle ein schwerer Stein ihm auf das Herz, oder als packe es eine gewaltige Faust, mit Mühe ging der Atem aus und ein. Als die Alte davongesegelt war mit dem edlen Bewußtsein in der Brust, einen kühnen Streich tapfer und staatsmäßig ausgeführt zu haben, machte Bäbeli sich auch fort; alle Freude war versunken, der Mut zum Tanze dahin. Seine Augen waren ihm dunkel geworden, seine Gedanken wirbelten formlos durcheinander, den Weg sah es nicht, es fand ihn bloß aus Instinkt. Wer an ihm vorüberging, bemerkte es nicht, es mußte vor sich hinsagen und immer wieder sagen: »So schlecht, nein, so schlecht hätte ich keinen Menschen geglaubt, und jetzt noch der Vetter, der Pate, der Pate selber, so falsch und so nichtsnutz!«

Es ist wohl keine Stunde bitterer im Leben als die, in welcher der Glaube an die Menschheit bankerott werden will, in welcher einem kindlichen Gemüte die, auf welche es sein kindlich Vertrauen gesetzt, zum ersten Male in ihrer nackten, schnöden, greulichsten Selbstsüchtigkeit erscheinen. Da wird es ihm, als ob über ihm schwarz der Himmel würde, das öde Nichts die Sterne verschlinge, unter seinen Füßen das Feuer der Hölle brenne, seine Flammen schlage ans Herz herauf.

Als Bäbeli in seinem stürmischen Lauf an den Waldsaum kam, an welchen der Baumgarten stieß, von wo man durch die Bäume das Haus sah, da war es ihm, als haue man ihm mitten durchs Herz; die Beine trugen es nicht mehr, es mußte sich setzen und weinte bitterlich, weinte, als seien die Brunnen der Tiefe aufgebrochen, als wollten die Wellen der Sündflut zusammenschlagen über dem Haupte. Als sie höher und höher schwollen, bereits über Bäbelis Sinne hinauf, klopfte ihm jemand auf die Achsel. In plötzlichem Schreck zuckte es empor, und hinter ihm stund, das Wasserschäufelchen auf der Achsel, der Pate. Bäbeli hätte keinen wehlicheren Schrei ausstoßen, die Arme nicht erschrockener vor sich hinstrecken können, wenn der leibhafte Satanas vor ihm gestanden wäre. »Meinst etwa, ich sei er, daß du erschrickst ob mir, als ob ich Schwanz und Hörner hätte?« frug der Alte. »Aber, Mädchen, was hast, daß du so weinst? Hat dir jemand was getan, oder hast du was verloren?« »N-e-ei, nei«, schluchzte endlich Bäbeli heraus. »Was hast dann, daß du da jammerst und nichts mehr siehst und nichts mehr hörst?« fragte der Alte ordentlich bekümmert. »Ich will fort, will fort, noch heute abend fort!« schluchzte das Mädchen herauf. »Mädchen, bist du unklug oder hast was Böses gemacht, gestohlen oder vielleicht noch was Ärgeres?« frug der Kirchmeier ernst. »Mädchen, gib ordentlich Bescheid, da wird wohl noch zu raten oder zu helfen sein.« »Nein, selb nicht«, sagte das Mädchen, während der Jammer in Zorn überging. Es wäre wohl gut, es hätte niemand was Schlechteres gemacht, denn was es getan, brauche es nicht zu verbergen vor Gott und Menschen. »Gut so«, sagte der Vetter, »so gib Bescheid, ich wills; was hast, warum willst du fort?« »Das braucht Ihr nicht zu fragen, das werdet Ihr ja selbst am besten wissen«, antwortete Bäbeli und brach in neues Schluchzen aus. »Dummheiten das!« entgegnete der Kirchmeier, ärgerlich werdend, »wenn ich es wüßte, früge ich nicht, und wie wollte ich daheim wissen, was dir diesen Nachmittag zugestoßen oder in den Kopf gefahren? Red, dann geh heim, es ist Zeit zum Kochen, und gemolken wird auch sein.« Das gehe ihns nichts mehr an, schluchze Bäbeli, es könnte es doch nicht recht machen, darum wolle es gehen. Selber gehen sei besser als sich fortschicken lassen. »Wer redet von Fortschicken, du dummes Mädchen, wer sagt dir, daß ich nicht zufrieden bin? Wer hat dir das in Kopf gesetzt und dich aufgewiesen?« frug der Alte, der begriff, daß da wieder Sündeneier seien, aber nicht wußte, wer sie gelegt.

»Niemand hat mich aufgewiesen«, klagte Bäbeli, »niemand! Aber wenn so ein arm Waischen, das keinen Menschen hat auf dem ganzen Erdboden, vernimmt, daß der einzige, von dem es glaubte, es sei ihm nicht unwert, falsch an ihm ist und hinter dem Rücken es ausmacht und verdächtigt, so ist es kein Wunder, wenn das ihm das Herz abdrücken will.«

»Bist du verrückt, oder wer hat dir so was vorgelogen?« fragte der Alte streng. »Oh, das braucht mir niemand zu sagen, daß das falsch ist, wenn man freundlich tut, einem einen Taler gibt als Zeichen der Zufriedenheit, daß mir fast das Herz zerspringt vor Freude, daß Ihr einmal zufrieden seiet, und das nur darum ist, um hinter dem Rücken Leute kommen zu lassen, welche man nicht merken soll, und diesen dann mich darzustellen als ein schlecht Mensch, welches in keinen Schuh gut ist.« »Meitschi, wer hat dir so was gesagt?« frug der Alte hart. »Daß so was falsch sei, das braucht mir niemand zu sagen, das hat schon der Pfarrer gesagt, welcher mich unterwies, und falsch ist falsch!« sagte Bäbeli zornig. Da wurde der Alte wirklich auch zornig und sagte: »Red die Wahrheit, was hat dir die Grauechbäurin, denn mit dieser warest du zusammen, von mir gesagt?« Bäbeli, an Gehorsam gewöhnt, aber auch ehrlich, war zwischen zwei Heuhaufen und stotterte endlich: »Ich darf es Euch nicht sagen, sie hat es mir verboten.« »Willst oder willst nicht?« frug der Alte mit Augen wie zwei Spieße und trieb sein Wasserschäufelchen in die Erde, daß diese zu zittern schien. »Nun, wenns sein muß, so will ich es sagen«, sagte Bäbeli. »Aus Erbarmen hat sie mir gesagt, wie Ihr sie beschieden mit ihrer Tochter, um diese an meinen Platz zu setzen, weil ich eine schlechte Person sei und nur Buben und der Lustbarkeit nachlaufe. Das wißt Ihr doch wohl, daß das nicht ist, und wer mich heute fortgeschickt hat; das hat mir so weh getan und will mir fast das Herz zerreißen«, und das Mädchen weinte laut auf.

»Jaso«, sagte der Alte zornig, »ist das so! Können denn die Hagle mich nicht ruhig lassen in meinem Hause, solange ich lebe? Wohl, denen will ich das Einmischen vertreiben und es ihnen verleiden in alle Ewigkeit! Du aber, Mädchen, schäme dich bis in das Herz hinein! Heute sahest du die alte Hexe zum erstenmal, mich kennst du seit Jahren, und mit ein paar Worten streicht die alles Vertrauen, alle Liebe zu mir aus deinem Herzen, und du siehst mich für einen alten Unflat an. Ist das recht von dir und etwa schön? Ein schlecht Mädchen bist du nicht, aber ein einfältiges, und aus einem einfältigen gibt es nur zu leicht ein schlechtes. Wer es gut mit ihm meint, den begreift es nicht, wer es aber böse meint, der weiß sich begreiflich zu machen, als ein Prophet im Schafskleide, während er ein reißender Wolf ist. Nun freilich kennst du Welt und Leute nicht, nimmst für bar Geld, was dir jedes Babi sagt, darum verzeih ich dir. Aber den Vorfall laß dir zur Warnung dienen, höre nicht auf bloße Worte, sieh die Werke und prüfe sie und vergiß nicht, wie es heißt, daß man wohl ohne Falsch sein solle wie eine Taube, aber auch klug wie eine Schlange! Übrigens laß dir auch nie zu Kopfe steigen, daß ich dich fürchte und hinter deinem Rücken machen müsse, was ich machen will! Schlechtes, was ich verbergen müßte, will ich nicht, und solange ich lebe, bin ich Meister im Hause und dulde darin keinen zweiten, den ich fürchten müßte. Jetz mach, daß du heimkömmst und gekochet sei, wenn ich nachkomme!«

Bäbeli ging es vor dem zornigen Vetter fast wie Lots Weib, als es in Sodoms zornige Flammen sah; mit offenen Augen glotzte es den Paten an, und als ihm endlich die Sprache wieder kam, konnte es lange nichts sagen als: »Aber nein, aber nein, ists möglich, können so schlecht die Menschen sein, so lügen, so falsch sein!« »Du dummes Bäbi!« sagte der Alte. »Erst glaubst du aufs erste Wort, daß dein Pate, welcher dir nichts als Gutes erwiesen hat, ein alter verdrehter Schelm sei, als volle Wahrheit nimmst du die Verleumdung an; aber daß die alte Hexe, welche du vorher nie gesehen hast, lügen könne, verleumden solle, das kömmt dir fremd vor, da sperrst du Maul und Nase auf, daß man mit Sonne, Mond und Sternen hineinkönnte. Willst du dich wundern, so wundere dich über dich selbst, und wie die Menschen so verkehrt und töricht sein können, den Bösen lieber zu glauben und das Zutrauen zu denen, welche sich mit Wort und Tat bewährt, durch die leiseste Verleumdung eines wildfremden oder als schlecht bekannten Menschen sich rauben zu lassen. Doch du bist nicht der einzige Kranke in diesem Spital. Gehe jetzt, mache deine Geschäfte, und diesen Tag vergiß nicht!«

Da der Vetter nichts mehr hören wollte, so mußte Bäbeli gehn, aber es ging mit zerknirschtem Herzen, und es konnte wirklich nicht begreifen, wie es so leichtlich sich habe betören lassen können.


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