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Charakterzüge und Anekdoten.

Es ist eine falsche, wenigstens eine einseitige Theorie, welche überall nur Harmonie, Versöhnung und Weltklugheit als ein Letztes hinstellen will. Für ein Erstes und Letztes hielt mein Vater dagegen die Wahrhaftigkeit, nämlich die Wahrheit der Person, des Charakters. Er konnte darum nichts Falsches und Halbes, nichts Überkleibtes und Gemachtes ertragen, und forderte vor allen Dingen von jedem Ding und Verhältnis nur dasjenige zu scheinen, was es in Wirklichkeit und mit Naturnotwendigkeit sei.

Alles Vertuschte und Maskierte, aller übermalte Quark, alle prätentiöse Impotenz war ihm so sehr ein Greuel, daß er nichts leiden konnte, was auch nur entfernt ein solches Schein- und Lügenleben vorbildete oder daran erinnerte.

So riß er ein kleines Loch in einer dünn gewordenen Stelle seines Kleidungsstücks auf eine maliziöse Weise recht weit auseinander, um keinen Zweifel darüber zu lassen, daß rund herum alles mürbe und Lumpenzeug sei, und so brach er auch ein eingeplatztes Geschirr bei nächster Gelegenheit vollends entzwei, wie wenn es ihn verschnupfte, daß eine Scherbe als Topf renommieren solle.

Eine untereiterte Wunde in jeglichem Verhältnis operierte mein Erzeuger unbarmherzig mit dem Kreuzschnitt, und jedes Halbwesen machte er, so weit sein Witz und seine Machtvollkommenheit reichte, mit der innersten Genugtuung zu Schanden. Das Ärgernis vor Gott und vor der Wahrheit bestimmte ihn dabei unendlich mehr, als das vor der Welt, der er nur so viel Raum gab, als sie Fug und Recht hatte; aber diese neunundneunzig kluge, feine und galante Welt konnte ihn empören, in Ingrimm verzehren und rasend machen, wenn er machtlos zusehen, wenn er selbst sich's gefallen lassen mußte, wie das Wesen durch den Schein übertragen, das Zeichen für die Sache verausgabt und honoriert, wie nur die Façon und die Balance konserviert, wie von der Null geborgt, der Quark parfümiert, oder dem Stank aus dem Wege gelaufen ward, nachdem man ihn selbst zum besten gegeben hatte. Seine für Wahrheit glühende Seele ließ ihn darum alle Konvenienzrücksichten mit Füßen treten, wo man seiner Geradheit und Wahrhaftigkeit zumutete, einen Ekel da mit Worten zu affektieren, wo man ihn nimmer in Werken offenbarte, da eine Säuberlichkeit mit Formen zu verführen, wo die Sache selbst zum Himmel aufstank. Und es war seine stehende Indignation, daß und wie dieselben Leute, deren Gewissen einem Straußenmagen ähnlich alle Steine des sittlichen Anstoßes verdaut, so spröd und geschmackseitel mit den nichts bedeutendsten Verstößen gegen die leidige Tageskonvenienz und mit ein paar Sandkörnchen so giftig thun, die ihnen der keckliche Mutterwitz eines guten Gewissens in das falsche Gebiß wirft, mit dem sie ihrer Mitmenschen unbequeme Ehrlichkeit durch die Zähne ziehen.

Bei all solcher geschmacksekeln Affektation und Lügenunmacht mit Worten wie mit Werken sagte mein alter Vater: »Quark soll stinken, man soll ihn nicht schminken.« Gewiß, wer die schlimme Sache nicht scheut, der hat nimmer das heilige und jungfräuliche Recht, vor ihrer natürlichen Benennung zu erröten. Es ist was Köstliches um die Verschämtheit, um eine Delikatesse in Formen und Worten, die der Seele entstammt; aber sie ist eine Grimasse, eine Lüge und Prätension von solchen Leuten, die nimmer in Werken und zur Sache zart und gewissenhaft sind.

Wer mag wohl die wahrhaftige Unschuld und Verschämtheit mit einem unheiligen, unzüchtigen, oder nur mit einem zu derben und natürlichen Ausdruck verletzen und schamrot machen wollen? Eine Ewigkeit fern lag das dem heiligen und verschämten Sinn, dem jungfräulichen Geiste meines ehrenfesten Vaters; aber den geschmacksverbuhlten Ästhetikern, den gestanksparfümierten, distinguierte Schreib- und Lebensarten prätendierenden Leuten mit und ohne Extraktion fuhr der derbe Alte mit den allernatürlichsten Redensarten durch den Sinn und mit dem pikantesten Extrakt unter die Nase, der ihm eben in den Griff kam.

So war mein Vater. Er brach lieber entzwei, als daß er sich durch eine Verbeugung gerettet hätte, die wider sein Gewissen verstieß, und ich möchte wohl wieder eine Probe von so einem Manne antreffen, die keine Karikatur und kein wohlfeiler Nachdruck ist; denn der Klugheit und affektierten Säuberlichkeit, die alles mit Handschuhen anfaßt, ist bald zu viel in der Welt. Aber mein Vater pflegte auch zu sagen: »die Grobheit muß sich auf ein gutes Recht gründen, und nur ein ordinärer Grobian bricht sie vom Zaun.« Mein Vater war aber kein ordinärer, sondern ein extraordinärer, ein herzlicher, liebenswürdiger Grobian im schönsten Sinne des Worts; denn er war zu den Leuten nur grob in ihrem eigenen Interesse und er konnte selbst Anstandsdamen hart anfahren, wenn sie seinen Rechtsbeistand haben und gleichwohl weder Raison annehmen noch Order parieren wollten, bloß weil diese Order gegen ihren distinguierten Geschmack, gegen ihre Dameneitelkeit, Damencaprice und Frauenzimmervernunft verstieß, von welcher letztern ihnen der alte Rechtsmann sagte, daß sie das unvernünftigste und inkonsequenteste Unding unter der Sonne sei. Dafür war der alte Mann aber auch wieder um den Finger zu wickeln, wo er wahrnahm, daß mit seinem allgemeinen Vorurteil gegen Frauenzimmervernunft einer bestimmten Dame in casu concreto Unrecht geschehen sei. So hatte mal eine Offizierswitwe, die den vielbeschäftigten Mann zur ungelegensten Zeit mit ihren Angelegenheiten überlief, und die er darüber sehr unwirsch anließ, den Mut, ihm zu sagen, daß sie seiner berühmten Grobheit mehr herzlichen Takt zugetraut habe, als der sei, mit dem er einer verlassenen Witwe undelikat begegne, bloß weil sie weniger Geschäftsverstand beweise, als bei einem Advokaten verfluchte Schuldigkeit sei. Da diese Worte von Thränen der Verzweiflung bewahrheitet wurden, so widerstand ihrem Rechtsgrunde der sonst so heftige Mann keinen Augenblick, küßte der Dame vielmehr für ihre Strafpredigt zur Abbitte die Hand, bat sie höflichst und herzlich, einen Augenblick in meiner Mutter Zimmer zu verweilen, machte, was er außer der festgesetzten Stunde nie that, Hals über Kopf Toilette, lief mit seiner Schutzbefohlenen so aufmerksam und diensteifrig wie ein junger heiratslustiger Vormund mit seiner schönen Mündel überall umher, wo es Not that, und wußte sich so sanft und liebenswürdig zu gebärden, daß die von seiner Art und Weise und von dem so schnellen wie erwünschten Erfolg der Operation entzückte Dame beim Abschiede feierlichst erklärte, meines Vaters gefürchtete Unart habe sie tausendmal förderlicher und artiger gefunden, als die liebenswürdigste Feinheit und Artigkeit, die ihr bis jetzt vorgekommen sei, und sie gedenke von nun an, in allen Verlegenheiten zu den gröbsten Leuten zu gehn.

Von meines Vaters wahrhaft liebenswürdiger Art, einer irgend berechtigten oder auch nur zu entschuldigenden Unart zu begegnen, selbst wenn sie gegen seine eigne Person und die Achtung verstieß, die man seinem Charakter und seiner Stellung, gleichwie seinem Alter, schuldig war, will ich noch eine erbauliche Kleinigkeit erzählen, weil ich zufällig ihr Zeuge war.

Ich mußte als junger Mensch eine Zeitlang meines Vaters Schreiber abgeben, weil dieser zu seinen Eltern auf Besuch gereist war, was der herzensgute Mann seinen Untergebenen von selbst antrug, im Fall er sie zu einem Urlaubsgesuch zu blöde und bescheiden fand.

Während wir nun eines Morgens beide mit Eifer unsern Skripturen obliegen, wird mit Hast die Thür aufgethan, und ins Zimmer tritt mit unternehmendem Schritt und zornfunkelnder Gebärde ein Schneider, und gleichwohl hieß eben dieser sonst sehr gelassene und gutherzige Mann Leisegang. Mein alter Vater, der ihn schon kannte und das Recht erworben hatte, alle guten Bekannten und Pflegebefohlenen mit einem herzlich spaßigen »Er« zu titulieren, sagte in bester Laune und indem er sich einen Augenblick auf seinem Schreibsessel herumwendete: »Für einen Leisegang tritt Er ja viel zu hastig auf, was ist Ihm denn so früh über den Weg gelaufen?« Der Schneider schien aber viel zu aufgebracht, um sich diesmal auf Scherzreden einzulassen, und haranguierte den Alten, der seinerseits wieder ruhig weiterschrieb, nach Art geschäftsunkundiger Leute, gleich aus der Mitte heraus mit dem Lieblingsanfang » Und« ungefähr folgender Gestalt: »Ja und das sag' ich Ihnen, Herr Justizdirektor, die Vormundschaft übernehme ich nicht! Nein, das thu' ich nicht! I, da müßt' mich ja der Teufel holen, wie soll dabei meine Profession bestehn, und das sag' ich Ihnen auch, Herr Direktor, wenn das einmal sein soll, so jag' ich mir die Kugel durch den Kopf, ja, das sag' ich Ihnen bloß, thun Sie jetzt, was Sie wollen; denn mir ist mein Leben nicht mehr lieb, wenn ich's mit der Vormundschaft haben soll.«

Bei dem angemeldeten Schuß war mein Vater ganz ruhig aufgestanden, jetzt maß er sich den Sprechenden ganz gemächlich vom Kopf bis zu Fuß, wie wenn man sich eine kuriose Erscheinung so recht mit Zeit und Weile zu Gemüte führt, und als der erbitterte Mann noch mit stummen und zugleich sprechenden Gebärden seinen eben geäußerten Worten das letzte Geleite gab, da klopfte ihm der Papa so unerwartet derb auf die Achsel, daß der Selbstmörder in perspective zusammenfuhr, wie wenn's losgegangen wär', indem er treuherzig lachend zu ihm sagte: »Na Leisegang, ich hätt' doch nimmermehr geglaubt, daß ein Schneider so viel Courage hat.«

Die Wirkung war der herzlichen Ursache entsprechend. Der ehrliche Humor und die gute Art meines Vaters hatten die Unart und die Ungebärdigkeit des verzweifelten Schneidermeisters rasch umgestimmt, durch das Austoben war sein Trotz und seine Lebensverachtung so wie so gebrochen. Mit den Worten: »Das weiß der liebe Gott, Herr Direktor, Ihnen kann man schon nichts abschlagen, Sie machen mit 'nem Menschen schon immer, was Sie wollen,« nahm der Mann die verschworene Vormundschaft meinem Vater zuliebe ohne Weitläufigkeit und ohne Widerwillen an, und wurde hinterdrein ein sehr diensteifriger und mit seiner erlangten Wichtigkeit vollkommen zufriedner Vormund, statt dessen alles verkehrt, verdrießlich und weitläufig gegangen sein würde, wenn mein Vater der zu entschuldigenden Ungebärdigkeit des Mannes nur eben den in seinem Hausrecht und in seiner Amtsgravität touchierten Herrn Justizdirektor und nicht den spaßig-treuherzigen Nächsten zu kosten gegeben hätte. So war mein herrlicher Alter überall und immer, im kleinen wie im großen, nicht bloß ein Justizbeamter, sondern zugleich ein natürlicher Mensch, so schlecht und recht, wie er die Herzen anzieht, wie er dem Geschäfts-Pedantismus und dem Hochmutsteufel den Hals bricht, der sich heute überall in der Welt, besonders aber im Geschäfts- und Offiziantenleben, so patent und unausstehlich machen darf.

Infolge seiner herzlichen Lebensart und seines natürlichen Menschentums haßte mein Vater, ein so pünktlicher, rigoroser und gewissenhafter Geschäftsmann er auch im großen und kleinen war, gleichwohl alle überflüssige Förmlichkeit und wichtigtuerische Pedanterie so sehr, daß die Anekdoten von seiner kurzangebundenen, den Nagel auf den Kopf treffenden, überall im kürzesten Prozeß verfahrenden Geschäftsmanier und prägnanten Lebensart nie ausgingen, und daß heute noch des Mannes Arbeiten und Randglossen in Aktenstücken jedem gesunden und guten Menschensinn eine erbauliche Lektüre sind.

*

Jede Zuthätigkeit von Menschen oder von Dingen, daher selbst ein unerwartetes Glück, konnte den selbständigen Mann verstimmen, war ihm unleidlich, erschien ihm aufdringlich, naseweis und unbequem, weil seine Freiheit beeinträchtigend.

Seine unverkümmert ausgebildete Persönlichkeit und sein entschieden ausgesprochener Charakter litten kein anderes Leben und Geschick, keine andere Objektenwelt und Umgebung, als die von seinem Witz und seiner Kraft ins Dasein gerufen und beherrscht ward.

Kleines Unglück machte ihn verdutzt und so betroffen, daß der alte Mann mitunter wie ein Kind dastand; ein großes Unheil und Mißgeschick fand ihn aber gefaßt und hartnäckiger auf seinem Sinn und Willen bestehend, als je.

Kleine Gunst des Zufalls wies er barsch zurück, wie ein alter brummender Eheherr die kleinen zärtlichen Liebkosungen der Eheliebsten, oder er nahm sie halbverschämt, schmälend, blöde und verlegen an, wie etwa die Zärtlichkeit eines jungen, hübschen Weibes. Sentimental von Natur, zerstörte er eben drum jede Rührung, die ihn selbst und die Seinigen überraschen wollte, oder vollends seine Umgebung in aller Unschuld mit ihm förmlich beabsichtigte.

Menschen, Dinge, Verhältnisse und das Geschick selbst mußten sich durchaus passiv gegen ihn verhalten, wollten sie wohlgelitten sein und ein Geschäft mit ihm machen. Die Charakteristik Hermanns, des Freundes J. Pauls, paßt durchaus auf meinen Papa. So widerhaarig, so spröde und ungalant, so halsstarrig und barsch gegen die größern und kleinern Liebkosungen des Glückes hab' ich nie einen Menschen gesehn. Kaum zeigte sich eine günstige und leichte Gelegenheit, eben das zu erlangen und zu verwirklichen, um dessentwillen der unausgesetzt thätige Mann eigentlich arbeitete, seufzte und alles um sich her ins Zeug setzte, so trat auch schon der entschiedenste Widerwille gegen die sichtbare Gunst des Zufalls ein, und er erwehrte sich ihrer mit beiden Händen, wie einer Hure und Kupplerin, womöglich schreiend, fluchend, tobend und erbost. Das zeigte sich bei den geringsten Dingen auf eine tragikomische Art. Kaum stand ein Lieblingsessen auf dem Tisch, oder es hatte ein Freund vom Lande bei dem schönsten Wetter einen Wagen für ihn zur Stadt geschickt, so daß eben nur losgegessen und resp. losgefahren werden durfte, so sah man dem wunderlichen Manne die Seelenangst an, daß alles so ohne Anstoß und wie von selbst vor sich gehn solle. In solcher Verlegenheit um einen ordentlichen Anlaß zu Spektakel und Fatalität war's denn kein Wunder, daß sich der gesuchte Artikel alsbald vorfinden oder vom Zaune brechen ließ; und wenn nun solchergestalt erst ein kleines Elend und Donnerwetter voraufgegangen war, dann ward auch der Sonnenschein gut gethan, früher aber nicht. Hatte dem schroffen Manne aber das Glück wiederum den Rücken zugekehrt, so schien er ganz verdutzt und beklagte sich sehr leidend und naiv, fast mit der Art und Weise eines Kindes, das bedauert sein will, aber doch nicht recht sicher vor Schelten ist über sein Malheur oder auch über seine Ungebärdigkeit, und dann war auch der Zeitpunkt gekommen, wo man ihm unverblümt die Wahrheit sagen konnte. Genug, der Mann konnte keine Gegenwärtigkeit und keine Verwirklichung seiner Poesie und Wünsche, keine schöne Façon finden und keinen Himmel auf Erden sehn. War das lang ersehnte Glück einer Stunde und eines Augenblicks wirklich da, trat es dicht vor ihn hin und sollte er es in seine Arme fassen, so stieß er es von sich, wie wenn er in der schönen Erscheinung eine Trug- und Lügengestalt erblickte und einem Laster verfallen sollte.

Er konnte und mochte sich einmal in nichts finden, was plötzlich, unmittelbar und fertig vor ihm stand, so daß es seinerseits nur eines Zugreifens bedurfte. Selbst was er von Speisen genießen sollte, mußte still vor ihn hingesetzt und er dabei von niemand mit den Augen fixiert oder irgendwie in Aufmerksamkeit genommen sein. Ganz entschieden verschnupften ihn aber vollends Dinge, Menschen und Verhältnisse, die ihn sans façon und schlechtweg zu irgend einer Art von Thätigkeit, Replik und Wechselwirkung herausnötigten, oder auch nur ins Gewehr zu rufen schienen. In solchem Falle konnten die Leute und die Verhältnisse sicherlich nicht so lange auf ihn passen und warten, als der Herausgeforderte obstinat an sich hielt. Jede Art und Weise, die nur im entferntesten und augenblicklich die Freiheit und Willkür dahin beschränkt, daß sie uns zu einer kleinen Entschließung, zu einem bestimmten Thun und Lassen nötigt, war meinem Vater schon so sehr eine Widerwärtigkeit, daß er z.B. selbst von Personen, die er sonst leiden mochte, keine förmlichen Bedienungen annahm, daß er ungeduldig wurde, wenn man ihn zum Essen und Trinken nötigte, sich angelegentlich und wiederholentlich nach seinem Befinden, nach seiner Familie erkundigte, oder ihm irgend einen Gegenstand darreichend und nahe bringend, von ihm erwartete, daß er ihn aus der Hand und mit Dank an- oder abnehmen werde. So einer konnte lange stehn oder er ward mit ironischer Höflichkeit sofort ersucht, ihm schönstens drei Schritte vom Leibe zu bleiben.

Wer ihn nur ein wenig kannte, der präsentierte ihm sicherlich keine Tasse Thee oder Kaffee, sei's mit oder ohne Affektation; denn wenn er nicht bei Laune und schlecht gesattelt war, schlug er der aufdringlichen, in ihre unnützliche Courtoisie verliebten Dame, wenn er sich ihrer nicht anders erwehren konnte, die dargebotene Labung womöglich aus der Hand. Denn der alte Herr hatte einen unvergleichlichen Takt und Scharfblick, überall sogleich herauszufühlen, ob die Leute eigentlich mehr mit sich selbst schön thun wollten oder mit seiner Person, und wo er nun eine mit sich selbst kokettierende Konvenienz zu blamieren vermochte, da ließ er nicht lange auf sich warten. Mit wohlfeiler Lockspeise trieb ihn keiner ins Garn; wo er sich aber mal überlistet sah, da riß er, ähnlich einem Walfisch, jedes Netzwerk entzwei, und teilte ringsum Schläge aus, daß die Leute, die ihn zu fangen und zu harpunieren gedachten, mitsamt ihrem Schifflein um und um kegelten.

Am schlimmsten fuhren aber sicherlich diejenigen mit ihm, die bei einer solchen Affaire dem derben Mann mit ihrer Delikatesse und überlegenen Bildung zu imponieren versuchten. Dieser Sorte wußte der im Gewissen sichere Mann mit einer Charakterüberlegenheit und einem Mutterwitz durch den Sinn und durch den seinen Haarpuder zu fahren, daß sie, Perücke und Toilette im Stiche lassend, das Weite suchten und nicht so leicht wieder Delikatessen affektierten.

Was aber vollends mit seinem unbändigen Wesen und seiner rauhen Außenseite versöhnen mußte, das war die Konsequenz, mit welcher er sich selbst zum mindesten ebenso quälte und mit Ironie traktierte, wie dies seine Umgebung von ihm erfuhr.

Er ertappte sich kaum auf einer sentimentalen Glückseligkeit, als er auch schon mit einem erfinderischen und maliziösen Witz das eigne Herz verwundete und quetschte, bis es blutete, und dann setzte er seine Angriffe als echter Fakir eben an der Stelle fort, welche die verwundbarste und schmerzhafteste war. Er konnte die Personen am meisten kränken, die er am innigsten liebte, und mit dem Unrecht und den Schmerzen, die er jemand zufügte, wuchs nicht selten eine Unbarmherzigkeit, von der er selbst am meisten erlitt, bis endlich, wenn alles menschliche Maß überschritten war, die Reaktion eintrat und all' die Scheinhärten sich in Reue und Schmerz auflösten und zum weichsten Gemüte bildeten. Allen Bäumen kann nicht dieselbe Rinde wachsen, und mein Vater hatte nun einmal eine rauhe und harte Rinde, gewiß aus dem richtigen Instinkt, daß er ein nur zu weiches Herz behüten mußt'.

*

Alle Situationen, und mochten sie durch die vornehmste Konvenienz geboten sein, in denen man irgend etwas mit sich vornehmen, geschehn und machen lassen muß, ohne sich dabei seinerseits aktiv und rückwirkend zu verhalten, also: Feierlichkeiten, Anreden, Komplimente, lange Relationen, Eröffnungen, Lobhudeleien, Schönthuereien, Zeitungsfirmelungen und Nachweihen, Publikationen und alle Ostentationen waren ihm aufs äußerste verhaßt, und es dünkte ihm nicht minder unausstehlich, der Gegenstand einer besondern Verehrung und Feierlichkeit, oder auch nur einer auszeichnenden Aufmerksamkeit, als der einer Lächerlichkeit, eines Tadels oder irgend einer zweideutigen Beobachtung zu sein.

Ein richtiger männlicher Takt und Stolz ließ ihn bei aller Gelegenheit alles vermeiden und bekämpfen, wodurch seine eigne Freiheit oder die seines geringsten Nebenmenschen, ja selbst eines Untergebenen, im mindesten beeinträchtigt ward. Der Mann mochte sich ebensowenig irgendwie imponieren und genieren lassen, als er dies von andern für seine eigne Person prätendierte oder nur irgendwie litt.

Was im mindesten nach Schaustellung und Effektmacherei, nach leerer Illusion und Komödie, nach Lüge und Prahlerei, kurz, nach eitelm Schein schmeckte, wo sich irgend eine Art von pretiöser Unmacht und Unverschämtheit auf fremde Kosten, auf Unkosten des bescheidenen, werkthätigen Verdienstes der niedern Klassen geltend machen wollte, da war mein alter Papa, wie schon gesagt, der erste, der das aufgeblasene Monstrum demaskierte, indem er ihm Wind oder Wasser abzapfte. Bei ihm galt kein Maulspitzen; es mußte gepfiffen werden. Falschen und wohlfeilen Ruhm honorierte er nicht.

Solchen Grundsätzen blieb mein Vater getreu, auch wo ihm die geringfügigste Abweichung und Nachgiebigkeit einen entschiedenen bürgerlichen und weltlichen Vorteil gewährt hätte. Als ihn daher, da er noch Justizdirektor in Warschau war, bei einer schicklichen Gelegenheit ein sehr hochgestellter Mann nicht ohne Mäcenatenair merken ließ, er wolle ihm zu dem Prädikate eines Geheimerats behilflich sein, so replicierte ihm der würdige alte Mann, der sofort das Unschickliche und Unwürdige der ihm zugemuteten Schützlingsrolle, gleichwie des hohlen und sublimen Titels für sein gerades, festgepacktes und offenes Wesen begriff, mit dem ihm ganz eigentümlichen freisinnigen Humor:

»Wie Ew. Excellenz ersehn, so habe ich nichts Geheimes an mir und will also auch nichts Geheimes werden!« Und dabei verblieb es denn auch bis an sein End'.

Die herzbrechenden Feierlichkeiten, welche die Jubilargreise aller Grade und Sphären, in allen Takt- und Tonarten zumal jüngst mit sich vornehmen, und hinterdrein stillschweigend in allen Zeitungen ausposaunen und in allen Konversationen nachweihen, nachschwächen und wiederkäuen lassen, erschienen meinem Papa immer als ein so ärgerlicher Verstoß gegen die persönliche Würde, als eine solche tragikomische Profanation des Heiligtums, der Verschämtheit und der Selbstgenugthuung eines echten Verdienstes, als eine solche Beleidigung des erlaubten Charakterstolzes, der keinem Fürsten und keinem Publiko eine Gnade oder Censur und Belobigung zugesteht, als ein so abgedroschenes Dutzendceremoniell, als eine so prätentiöse, eitel ostensible und verletzende Aufdringlichkeit von seiten der Gratulierenden gegen den par ordre de mufti kreierten Jubilar, daß er seinerseits sich zu dem leidenden Gegenstand einer solchen affektiert forcierten, selbstgefälligen und sich selbst traktierenden Begeisterung nicht hergegeben haben würde, und wenn es eine hundertfünfzigjährige Dienstfeier gegolten hätte und Serenissimus ihn in allerhöchsteigener Person zur Prozession abzuholen gekommen wär', oder es müßte denn gerade ein »Friedrich Wilhelm« gewesen sein.

Es verlohnt sich auch in der That, einen dergleichen Jubel mit seiner Wandelleiche vornehmen, sich vom jubellustigen Bataillon herausvexieren, angratulieren, ansingen, andeklamieren, antrinken, mit Champagner anknallen und totschießen zu lassen, um hinterdrein, wenn man das dumme Vehikel für andrer Leute halberzwungne Ekstase und Jubellust abgegeben hat, sich mit den ausgetrunkenen Champagnerbouteillen und den verbrauchten Transparenten in die Rumpelkammer geworfen zu sehn! Mir steht der alte Herr heute noch vor dem Sinn, wie er bei dergleichen Jubiläums- und Zeitungsspektakel, wenn derselbe eben seine Freunde anging, mit kuriosem Ingrimm und nimmer zu kopierendem Gebärdenspiel folgendes, bei Gelegenheit der Vermählungsfeier einer braunschweigischen Prinzessin, zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts gereimtes Hochzeitscarmen und im Recitativ zum besten gab:

»Eitler Wahn, Dummerjahn!
Siehst du denn die Königskronen
Nur für leere Vicebohnen
Und für Puppenkränze an?
Horch, die schmetternden Kanonen
Brummen freudig ihr Bumm, Bumm!
Und die Infantrie von hinten
Löset die geladnen Flinten
Um das Schloß herum, Bumm, Bumm!«

Solchergestalt accompagnierte mein alter Papa – Gott hab' ihn selig – die Jubiläumseitelkeit seiner Zeit, und er konnte es mit gutem Gewissen thun, denn er ist, wiewohl in königlichen Diensten und Privatinteressen und in noch viel wichtigern vieler seiner Nebenmenschen, viele Jahre hindurch gebraucht und verbraucht, gleichwohl ohne Dekoration und ohne andre Betitelung oder Gratifikation zur Grube gefahren, als welche die dankbaren Herzen seiner Freunde und Klienten ihm stillschweigend gezollt haben, und die ihm von Amts und Rechts wegen zugesprochen worden sind.


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