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»Buch der Kindheit.«

Kindersonntag.

O Sonne, die du freundlich, hell und warm,
auf meine Jugend niederblicktest, ach wo bist du!
Thomas Moore.

Haben wir großen Leute ihn auch, noch diesen Tag, an dem Gott der Herr ausruhte, diesen Kindersonntag, diesen zauberischen Tag, an dem sich alle Poesie und alle Andacht mitsammen vermählt, und der Himmel auf Erden zu Gast geladen ist?

Ist sie noch unser diese Sabbathfeier, der alle Natur zustrebt, wie alle Lebensbewegung einem Ruhepunkt?! Haben wir sie gewißlich bei Predigt und Glockenklang oder in Saus und im Braus?

Nein, es ist nicht mehr Sonntag wie sonst! Nur die Kindheit hat einen Sonntag, denn sie hat ihn inwendig voller Sonnen, es mag draußen schön Wetter sein oder nicht. Am Sonntag war in meiner Kindheit immer schön Wetter, in jeder Witterung und Jahreszeit; wie konnte ein Sonntag häßlich sein, wie war das möglich an dem Tage, da man mit dem entzückenden Bewußtsein erwachte, daß wirklich Sonntag und nicht etwa Schulmontag sei!

O über dieses Erwachen an dem immer sonnigen Sonntag! Wo die Wirklichkeit uns so heilig und schmeichelnd umfing wie der Morgentraum selbst; ach und so erwartungsvoll, wie wenn sich Wunder und Überraschungen in jedem Winkel versteckt hätten! Nur eine kleine Geduld und sie kamen hervor.

Ach an diesem Sonntage war nichts so wie am Schul- und Werkeltage; man sog ihn aus den Lüften, man trank ihn im bloßen Wasser, man erging ihn sich auf dem Erdboden, die Sonnenstrahlen blitzten ihn in die Seele, die Sperlinge zwitscherten ihn unter den fernen Orgeltönen der Kirche, die im Laub flüsternden Bäume erzählten ihn sich, der Morgenwind trug ihn im Aufgang der Sonne auf seinem Fittich, und überlieferte schon im Morgengrauen dem auserwählten Erdentage die herannahende heilige Zeit!

O Herr, mein Gott, nun war es wirklich Sonntag! Sonntag den ganzen, langen Tag, in allen Stunden und Minuten, Sonntag in jedem, Augen- und Sonnenblick! Sonntag in allen Pulsen und Blutstropfen, Sonntag in Sinn und Gedanken, in allen Kisten und Kasten, gleich wie in Seele und Leib. Man konnte nichts hören und sehen, nichts fühlen und empfinden, nichts wollen und denken, als eben ihn diesen Sonntag, diesen heiligen Tag! Er war Mensch, er war Kind geworden, oder wir Kinder waren zu lauter Sonntag verwünscht; ich kann's nicht so eigentlich sagen, aber so ungefähr mußt' es sein, nur viel schöner und wunderbarer, als man es aussprechen kann.

Mir schauerte jede Fiber am Sonntag Morgen in stiller Wonne und Andachtslust; mir war es immer, als wenn am Sonntage Engel unsichtbar zwischen Himmel und Erde auf und niederführen, als wenn der liebe Gott selbst allenthalben umherwandeln müßt'. An diesem Tage empfand ich mit hellsehenden Sinnen das süße Geheimnis des Lebens, und die Schönheit der Welt; der Sonntag hatte mir Augen und Ohren, Seele und Leib und alle Organe verwandelt, wie das etwa mit der christlichen Taufe einem Mohren und Heidensohn geschieht. Dieser siebente Tag blitzte mir im Eingeweide und in der Seele umher, daß ich nicht zu bleiben wußte, es war mir allzu heilig und allzu schön in der Welt. Man mochte ansehen und erleben, was man wollte, es war das anders wie am andern Tag. Es war das alte und doch nicht das nämliche Ding, es war vom Sonntag verklärt und gefeit, von seiner Magie umflossen, alles wie in einem seligen Traum. Nicht nur die Menschen und Tiere, die Häuser, die Gassen, die Bäume, die Winde, die Wasser, die Wolken, die Lüfte, die Wetter und Jahreszeiten – vor allem Himmel und Sonnenschein –; sondern auch die Stuben, die Hausgeräte, die alten Tische, Stühle und Bettstellen in unsrer Kinderstube hatten eine unsagbare Bedeutung, eine Sonntagsphysiognomie! Es hatte sie der Erdboden unter den Füßen und ich empfand es, der Gassenkot hatte sie auch. Totes wie Lebendiges wußte und bezeugte, daß Sonntag sei! Am Sonntag gab es nichts Gemeines, nichts Totes und Garstiges auf Erden und im Leben, alles war sinn- und bedeutungsvoll, war heilig wie im Himmel, webte und schwebte im heiligen Geist.

Die Glorie, die Weihe des Sonntags, umduftete und durchschauerte, sie verwandelte, belebte und heiligte alles von Anfang bis zu End'. Ein Jegliches konnte auch ohne Sprache vom Sonntag erzählen, die lauterste, die sprechendste Symbolik umfing alle Dinge und Lebensarten, alle Kreaturen und alle Spielwerke an diesem auserwählten und hochheiligen Tag. So war mein Gefühl und meine Empfindung vom Sonntage! o wollte Gott, es könnte heute so sein!


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