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Die Komödianten.

Eines Sonnabends Nachmittag, wo jeder von uns überaus vergnügt und wohlgemut dem köstlichen Sonntag entgegenlebte, von dem gar nicht abzusehen war, was er alles für Überraschungen, Herrlichkeiten, Abenteuer und Hochgenüsse in sich bergen möchte, da erfüllten sich bereits unsre Ahnungen und es schlugen Trompetentöne an unser Ohr; so war denn auch kein Haltens mehr, und die gewöhnliche Ordnung der Dinge absolviert. Großer Gott, was erblickten unsere Augen: Reiter mit blanken Helmen und spanischen Mänteln, einer vorauf in einem goldenen Brustharnisch. Es waren keine Kürassiere, aber Komödianten. Komödianten! schrie die empörte Dorfjugend, die hinter dem Spektakel drein lief, und in die Trompetentöne mischte sich das entsetzliche Geheul der Dorfköter, die dergleichen in ihrem Leben so wenig erblickt hatten, wie wir selbst. Auch Frauenzimmer waren da zu Pferde in gestrickten Beinkleidern, und mit silber- und goldgestickten Tuniken. Ein prächtiges Weibsbild schlug die große Trommel, und eine spielte sogar die Klarinette mit allen zehn Fingern, während ihr kleines Pferdchen so zahm wie ein Hund ohne Leitung und Zügel ging. Dieser kleine Pony oder Gotländer, wie ihn mein Pflegevater nannte, hatte eine goldgestickte, scharlachne Decke. Alle anderen Pferde waren mit prächtigen Decken, mit Federbüschen, mit schlangenkopfbesetzten Zäumen und solchen Schwanzriemen geschmückt, mit einem großen Schlangenkopf, so groß wie eine Faust, vor dem Stirnriemen, ein Wunderding, dessen alleiniger Besitz unser einen reich und glücklich gemacht hätte. Und diese Leute sollten binnen weniger Stunden, heute am Abend schon, im Kruge Herkulesforcen, gymnastische Künste, Taschenspielerkünste und Balancen, morgen Nachmittag dagegen vor einem geehrten Dorfpubliko und hochwohlgebornen Landadel Bereiterkunststücke produzieren; einer aber zu morgen Abend, wenn die Einnahme großmütig ausfiele, aus Dankbarkeit gratis Feuer fressen, auf glühenden Pflugscharen tanzen, in geschmolzenem Blei stehn und glühend Eisen sogar mit der Zunge ablecken.

Jetzt war mein Verstand ruiniert, meine Einbildungskraft zehntausendmal überholt, überritten und von diesem Feuerfresser ins Maul gesteckt. Geschmolzen Blei, bloße Füße, glühend Eisen und eine nackte Menschenzunge, welche glühend Eisen wie Bonbon lutschen sollte, ich selbst aber erschaffen und annoch lebendig, um dies alles nach all' dem andern Wunder, falls es mich nicht vor Lust umgebracht hatte, mit diesen meinen beiden Augen zu sehen und zu erleben, das war zu viel.

Die Welt ging mit mir in die Runde, und als die Komödianten in den Krug zurückgeritten waren, lief ich wie rasend in das Feld hinein, um meine fünf Sinne zu examinieren und genau herauszubringen, ob ich denn wache oder träume, ob ich tot oder lebendig, oder was mir sonst widerfahren sei.

Die Erlaubnis, bei allem unter der Obhut unseres Nachbars, eines alten Tischlers, gegenwärtig zu sein, und alles in allem mit ansehn und erleben zu dürfen, war gleich vorneweg auf die ersten stürmischen und fußfälligen Bitten von unserm herzlieben und grundgütigen Pflegevater erteilt worden. Es kam jetzt nur noch darauf an, so lange leben zu bleiben, bis die Zeit und Stunde herankam, in der die erste Produktion losgehen sollt', was mir um so bedenklicher schien, da mein Busenfreund, ein Junge von ebenfalls sehr lebhafter Phantasie, mir alles Ernstes seine Besorgnisse dahin eröffnete: daß er sich nicht denken könne, wie wir das alles wirklich sehen und erleben sollten, und wie gewiß bis zum Abende, wo noch lange hin sei, weiß Gott was alles dazwischen kommen, und uns dieses Glück entführen könne, sei es, daß die Komödianten sich noch anders besännen, oder unsre Erlaubnis zurückgenommen würde, oder aber – der schlimme Prophet vollendete nicht; aber ich ergänzte stillschweigend aus seiner Unheil weissagenden Miene: oder daß bis dahin die Welt untergeht, die Sonne vom Himmel fällt, der Himmel selbst einfällt und uns alle totschlägt. Solches geschah indessen nicht. Der Abend kam, nachdem er, das kann ich beschwören, zehnmal so lange wie gewöhnlich auf sich hatte warten lassen, endlich heran, und wir zogen mit Herzklopfen den Abenteuern entgegen, die unser warteten. Wir gelangten an, ohne unterwegs die Beine zu brechen, oder zu verschwinden, wie ich fast fürchtete. Wir sahen, wir stierten, wir verschlangen mit sinnverwirrtem Gemüt so viel, wie kein Großer mit zwölf Paar Reserveaugen gesehen haben würde. Man muß es gesehen haben, um es zu glauben, nein, das half nichts, man sah es und glaubte es doch nicht. Unsre alte Köchin sagte, es ginge nicht mit rechten Dingen zu, die Komödianten hätten dem Publiko die Augen behext, sie wisse aus ihrer Jugend eine Geschichte, wo ein solcher Schwarzkünstler eine Ente hätte ein Fuder Stroh ziehen lassen, als ein Mädchen mit einem Bierkleber Vierblätteriger Klee. im Graskorbe gerufen hätte: Leute, was wundert ihr euch denn! Der Erpel hat ja nur einen Strohhalm am Fuße!

Was würde aber die Köchin gesagt haben, wenn sie vollends am andern Abend gesehen hätte, was wir noch obendrein sahen; wenn sie gesehen hätte, wie der Feuerkönig mit glühend Eisen und geschmolzen Blei so lustig familiär umging, wie mit Eis und Schnee. Ach hier machte ich schon als Kind die Erfahrung, daß allzuviel wieder zu wenig sei. Diese, allem Naturlauf zuwiderlaufenden, durchaus meinen Sinn und Verstand umkehrenden Feuerkünste verdummten und verstimmten mich ganz und gar. Ich wußte kaum mehr, was oben und unten, was rechts oder links war, und bezweifelte den Boden unter meinen Füßen, um so mehr, da mir niemand sagen konnte, wie die Sache zuging, und ob denn der Künstler anderes Fleisch und Bein habe als jede andere Kreatur. Die Köchin bestärkte mich vollends in meinem Glauben an Übernatürlichkeiten, da sie es gewissermaßen als eine Sünde erklärte, solchen Hexenkünsten nur zuzusehen; denn daß ein rechter Christ nicht Feuer fressen und so hantieren könne, müsse sie am besten wissen, da sie seit vierzig Jahren mit dem Herdfeuer zu thun habe. Was nun aber die Pferdekünste betraf, so hatten dieselben bei mir insofern einen Nachteil gehabt, als sie einmal hinter den für mich wunderbareren Taschenspielerstücken und Balancen, sodann vor den Feuerkünsten produziert worden waren, die mit ihrer höllischen Perspektive alle Gegenwart gewissermaßen verschlangen. Daß nichts destoweniger aber auch diese Pferdekünste mit offnem Munde und mit Wachsfigurenaugen und mit einem Pferdegedächtnis entgegen genommen wurden und heute noch darin leben, wie an jenem Zaubersonntage, das versteht sich von selbst.

Ich liebe diese Komödianten, diese Taschenspieler, Vagabunden und Tausendkünstler heute noch als Leute, die sich ein unschätzbares Verdienst um die Phantasie und Poesie, kurz, um die Biographie und Glückseligkeit des Volkes und der Kinder erwerben, und ich bedaure ihre allmähliche Verminderung seit meiner Kindheit, wo sich auch noch Zigeuner blicken ließen, die man in Preußen gar nicht mehr sieht.


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