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Mein Vater.

Umrisse.

In meinem Erzeuger war Menschentum durch und durch, alles an ihm Herz, Witz und Nachdrücklichkeit, Eifer, Treue und zugfeste Kraft. Wenn's ihm die Leute zu bunt machten, so zackerierte er auch auf die ganze Menschheit, weil er wohl denken mochte, daß nicht viel davon auf den einzelnen käme; aber an seinem Nachbarn und Nebenmenschen hielt er das Heilige heilig.

Das Lieblingswort der deutschen Schulmeister, die Sittlichkeit, hat mein Vater aus Widerwillen, glaub' ich, vor den Heuchlern und Pedanten, die mit jener vertrackten Parole behaftet sind, nie im Munde geführt; aber ihn erbarmte ein Hund, und im bestimmten Falle gab er das Hemd vom Leibe. Heute ist umgekehrt die Menschheit und die Sittlichkeit, sind die Ideen, der Fortschritt, das Allgemeine, die Vernunft, die Objektivität, Licht, Freiheit und Recht, und wie die Tugendwohlfeilheiten weiter heißen, in alle Redensarten gefahren; in konkreten Lebensarten aber und auf dem Punkte ist überall Unmacht, Unvernunft und kalte Egoisterei.

Aus einem halbleeren Faß stürzt die Flüssigkeit mit mehr Spektakel als aus dem vollen, und wer sich auf Symbolik versteht, wird wissen, wie eben die spektakulöse Vereinshumanität durchaus naturgemäß der werktäglichen Herzlosigkeit, Perfidität, Knauserei und Selbstsucht entspricht.

Mein alter Papa verhandelte wenig von Politik und Perfektibilität, von Menschenrechten, von Liberalismus, Kirche und Staat; aber er liebte seinen König und den gemeinen Mann. Dazu war er leutselig und liberal gegen seine Untergebenen und Pflegebefohlenen, den Stiefelputzer und Barbierjungen mit eingeschlossen, deren Fortkommen und Lebensgeschick er gern im Auge behielt und denen er seine herzliche Teilnahme in Späßen und kleinen Geschenken bethätigte, ohne deshalb bei solcher Gelegenheit, oder bei einer andern natürlich menschlichen Art und Weise, irgend etwas von der Haltung zu verlieren, die seine Stellung und sein Alter erforderten, und doch war er weit mehr aufgelegt, sich etwas von seinen Untergebenen, als von seinen Vorgesetzten bedeuten und gefallen zu lassen, wo ihn mal eine Wunderlichkeit und Menschenschwäche gegen die vorgeschriebene Form verstoßen ließ.

Nie war ein Mensch bedürftiger und bereitwilliger, etwas wieder gut zu machen, wo er es bei Menschen und Dingen versehen hatte. Und ich habe ihn viel jüngere und ihm untergeordnete Leute wegen seiner Heftigkeit um Verzeihung bitten sehen, indem er sie so herzinnig umarmte, daß die ihm übel Gesinnten sich sehr oft in seine eifrigsten Freunde umwandelten.

Der in seinen Gedankenoperationen wie in all' seinem Thun und Lassen einfache, mehr auf Werktüchtigkeit und, schon vermöge seines Berufs, auf Wirklichkeit hingedrängte Mann war wohl nicht mit dem modernen Begriff des Absoluten in der Metaphysik, und ebensowenig mit vielen andern Begriffen der immanent-dialektischen, sich begrifflich selbst überkletternden Neuzeit vertraut; aber in ihm lebte und aus ihm handelte ein Absolutes, eine ungeteilte und unentzweite Kraft, denn er war friedfertig und zorneseifrig, langmütig und kurz angebunden, flüssig und fest, zart und derb zugleich, voll Liebe und Charakterenergie, voll Saft und Kraft, naturwüchsig und gleichwohl bis zur Pedanterie präcise in allen Formen und Begriffen, die zum Raison des Geschäfts gehörten, und zum Verkehr mit der Welt. Er war billig und strenge, vernünftig und mutterwitzig in einem, über den Widerspruch der Einzelerscheinungen und Partikularitäten hinweggetragen durch die Tiefe seines Gemüts, durch einen herzlichen Glauben an eine ideale Weltordnung. Er war über die Scholle und jede spießbürgerliche Trivialität hinweg, nicht durch eine moderne Weltbürgerlichkeit, wohl aber durch eine religiöse Weltanschauung, die ihn jeden Augenblick auf die Ewigkeit beziehen und alles Irdische im Himmlischen bewegen ließ, und dabei wußte der Mann doch mit praktischem Sinn und Verstand alles aus dem Leben und aus der Mitte zu greifen; war er doch ebenso rasch von der Wirklichkeit zu dem Prinzip seines Glaubens und Wissens orientiert, wie von seiner idealen Lebensfühlung und hehren Grundstimmung zu dem jedesmaligen gegebenen Punkt der Wirklichkeit, mochte es im Geschäfts- oder sonst einem andern Lebensverkehr sein.

Aus solcher absoluten Lebens- und Charakterkraft, aus solcher Unverletztheit, Unmittelbarkeit und Totalität eines Daseins, das alle wesenhaften Gegensätze und Lebensfaktoren in sich begriff und nicht minder polarisierte, als zu höherer Einheit zusammenfaßte, entsprang meines Vaters erbaulicher Humor, als ein Produkt der persönlichen Freiheit und einer natürlichen Notwendigkeit zugleich.

Der Humor dieses originellen Mannes war ebensowenig eine triviale Jovialität oder ordinäre Ressourcengemütlichkeit, mit der obligaten Portion von Grobheit angemengt, als etwa umgekehrterweise ein gewisser ins X sublimierter Litteratur- und Novellenhumor, der sich so lange die Sporen giebt, bis ihm der Witz zum Aberwitz, und das Göttliche zur Fratze wird, sondern ein von der unzweideutigsten Sentimentalität getragener, in einem natürlichen Wechselprozeß von Verstand und Seele, von Ironie und Liebe, von Idealismus und Realismus gezeugter Gemütswitz, den jedermann sofort als Macht empfand und freiwillig honorierte, da er aus dem Leben hervorgegangen, überall auf das Leben zurückwirkte und mit der Vernunftbewegung um den Himmel auch die Arrotation des Herzens hatte.

Mein Vater war kein Pedant, und doch überall ein Mann auf dem Fleck, absolut und liberal zugleich, präcise mit sich und nachsichtig gegen andere, falls sie ihre Unmacht nicht für Witz ausgeben wollten. Ein ängstlich prompter Zahler war er und ein vergeßlicher Gläubiger, der niemand mahnen und keinem Menschen etwas abdingen oder in den eignen Profit abtaxieren konnte; ein Mensch, der seine Sachen und Verdienste so gering, und andrer Leute Ehr' und Eigentum so hoch wie möglich veranschlagte und in Ehren hielt. Einem armen Handwerker oder Taglöhner was abzuhandeln und abzuzwacken, hielt er für eine Todsünde. Vor Witwen und Waisen brach ihm der Angstschweiß aus, wenn er ihnen nicht zu helfen und bevor er ihnen das Verlangte abzuschlagen vermochte. Mit Gesindelöhnungen und Trinkgeldern knauserte er keinen Augenblick; denn es war seinem Herzen alle Arbeit und Dienstleistung zu wohlfeil. Jedem Bettler, auch dem zweideutigsten und schlimmsten, gab er mit gutem Willen und mit verschämter Art, mit einem hastigen Griff in die Tasche, ohne viel nachzusehn, ohne Redensarten und ohne Kummer um kleines Geld. Heruntergekommene, zerlumpte und hungernde Leute irgendwie zu ermahnen, zu bevormunden und zu bemakeln, hatte er nie ein Herz; denn er war seiner Natur nach so demütig und wahrhaft bescheiden, wie ich in solcher Stellung und bei solchem Verdienst in meinem Leben kein Menschenkind gesehn habe. Darum hatte er denn auch kein sonderliches Geschick und Gelüst zum Befehlen, und es fiel ihm so sauer wie das Gehorsamen. Er legte durch nichts an den Tag, daß er sich für was Rechts oder für besser und bevorrechteter halte, als seine Mitmenschen; in ihm war der biblische Ausspruch lebendig: »Wir sind allzumal arge Sünder, und entbehren des Ruhms, den wir vor Gott haben sollen.« Er übte nur die Autorität und Überlegenheit, die ganz notwendig und natürlich in seiner amtlichen und hausväterlichen Stellung und Berufspflicht, die unabsichtlich in seiner angebornen Würde lag. Mein Vater citierte und liebte die Bibel wie ein altgläubiger Theolog; aber er war kein Frömmler in gottseliger Zerknirschung und Schwächlichkeit. Ein Lieblingsspruch von ihm waren Hiobs Worte: »Mein Gewissen beißt mich nicht meines ganzen Lebens halber,« und er durfte das sagen, er hatte recht. Der Mann war uneigennützig und gleichgültig gegen Geld und Gut bis zur Naivetät. Er forderte für seine Arbeit immer nur die Notdurft, und selbst diese mit geniertem Gefühl. Er nahm nur richtige und rechtliche Sachen zum Prozeß und ließ sich nur ungern ein bloß freundschaftliches Geschenk aufdringen, das weder durch seinen Belang, noch durch die Art, mit der es verehrt ward, den Anschein einer Bestechung und Abfindung haben konnte. Er hatte überhaupt eine förmliche Antipathie gegen Geldgeschäfte und gegen Geld. Er mochte es niemand aus den Händen nehmen, nicht bei sich tragen, nicht abzählen, nicht zuzählen, nicht nachzählen, nicht einstreichen und verwahren, nicht Buch oder Rechnung darüber führen, sich nicht berechnen, nicht nachfragen, nicht nachrechnen, nicht den Kostenpreis erörtern, nichts in der Welt von all dem; es genierte, es ängstigte, widerte und peinigte ihn, es war ihm in der Seele zuwider. Dies ist so wahr, daß die Mutter mit dem Gelde schalten und walten durfte, wie sie es immer für gut und angemessen fand, und daß sie meinen Vater keinen Augenblick gestimmt fand, ihm das Nähere und Bestimmtere über eine bedeutende Erbschaft auseinander zu setzen, die ihr von einer Großtante zugefallen war. Alles was er sich bei dieser Gelegenheit als Vorteil dringend auserbat, war dieses, daß die Mutter sich einen andern Sachwalter zur Regulierung dieser Erbschaft für ihr Geld annahm; denn er wollte keinen Groschen davon sehen, und dabei blieb es bis an sein Ende. O du güldner Mensch, du! wie rein, wie heilig stehst du vor meinem Sinn, wenn dieses dein Thun und Lassen mich gemahnt! Das Geld hat mir's auch nicht angethan; aber lieb hab' ich es doch wie du, und ich darf mich nur einen Nachgebornen, einen Lump fühlen im Vergleich mit dir. Verzeih' mir's Gott, verzeih' es mir dein gewaltiger Schatten, und Gott sei Dank, daß ich mir's selbst nicht vergeben kann!

Auch darin hatte mein seliger Vater einen heiligen Takt, daß er von sich und seinen Feinden nicht ein Wort sagte, und daß er seinen Schmerz tief in die Brust verbarg, wenn er zunächst seine Person anging. Aber als einer seiner Klienten, ein ihm durch vieljährigen Verkehr befreundeter Güterbesitzer, dessen Rechtsangelegenheiten er leitete, dem Bankerott entgegenging, da vergaß er die Sorge um das Geld, das er ihm selbst dargeliehen hatte, und ging Nächte lang in seinem Zimmer auf und nieder, weil ihn der Kummer um seinen Tobias, so nannte er seinen Freund, nicht schlafen ließ, und gleichwohl hatte er demselben Manne einmal im Zorn und Eifer zugerufen, als dieser ihm ein neues Projekt zu einem Gutskauf plausibel machen wollte: »Mache Er, daß Er fortkommt; möchte Er nicht noch im Monde Güter an sich bringen, denn auf Erden hat Er doch schon nicht genug!«

Jeder Zug, auch die unscheinbarste, unwillkürlichste Äußerung in Worten, wie in Werken, war natürlich, herzlich und wahrhaftig an dem durchaus unverstellten, unverhaltenen Manne; er selbst aber kannte die sittliche Macht nicht, die aus seiner ganzen Erscheinung jedermann unwillkürlich entgegentrat und zur Rede stellte, der nur irgendwie mit ihm zusammenkam. Er selbst war zu geistig verschämt, seine Tugenden und Verdienste irgendwie zu reflektieren, oder das Heiligtum seines innern Menschen zu analysieren, und welch einen natürlich schönen Takt hatte der Mann, mit jungen Leuten, mit Vorgesetzten und Untergebenen umzugehn, und wie herzlich gescheit waren hinwiederum die jungen Leute, die Auskultatoren, die Referendare und jüngeren Assessoren, daß sie die absonderliche, ungenierte und mitunter derbe, wenn auch immer herzliche und mutterwitzige Art des alten Herren so aufnahmen und erwiderten, wie es wirklich geschah.

Mein Vater redete die jüngeren Leute seiner Bekanntschaft fast ohne Ausnahme mit »du« und »mein Jungchen« an, aber in so herzlich spaßiger, vorsorglich väterlicher, so schön menschlicher Art und Weise, daß diese nie als ein ungewöhnliches sans façon, sondern wie die allernatürlichste und ansprechendste Lebensart, ja als eine herzehrende Umgangsweise empfunden und nie ohne die schuldige Rücksicht und Pietät zurückgegeben ward. Man konnte dem Manne nicht böse sein, selbst wenn man sich mitunter von seiner unwillkürlichen Sicherheit und von seiner Originalität pikiert fühlen mußte. Und wo der gutmütige Alte dergleichen augenblickliche Mißstimmung bemerkte, da klopfte er seinem Manne so väterlich auf die Wange, und sein: »Jungchen, das hab' ich nicht so gemeint,« gab sich als eine so ehrliche und ehrenfeste Abbitte, daß man ihn noch lieber gewann als zuvor. Gewiß, des Mannes Gebrechen entsprangen aus ebensoviel Tugenden, und darum löseten sich die Dissonanzen seiner Art und Weise zuletzt immer in der absoluten Harmonie und Schönheit seines Charakters. So herzlich und natürlich war die alte Welt, selbst im Geschäft mit Vorgesetzten und Untergebenen. Wie ist das heute geworden? Wie hat die leidige Form und der Hochmut so alle Gemütlichkeit über Seit' gebracht! Ein Herr Rat und Präsident ist gegenüber seinen Unterbeamten und im Geschäfte selbst mit seinesgleichen eben nichts, als was seine Charge und das Geschäft mit sich bringt. Ob dabei auch nur die Sachen sonderlich besser fortkommen, das werden diejenigen am besten wissen, die ihre Angelegenheiten in solcher kühler und kahler Geschäftspedanterie verhandeln gesehn.

Ich muß zuweilen lächeln, wenn ich moderne Größen so selbstgefällig und so weise seh', versteht sich weise in tugendwohlfeilen Manieren und immanent-dialektischen Argumentationen, die airs und das à plomb nicht zu vergessen, falls die Leute Personen von Extraktion sind.

Hier laufen ihre Manöver, ihre Männchen und ihre abstrakten Redensarten, dort sacken sich ihre malproperkompakten Lebensarten, und noch ein anderes und Apartes ist es wiederum mit ihrer unsterblichen Seele und mit ihrem eigentlichen Ich.

Wenn's nun harmonisch zugeht, so laufen die Redensarten den exekutiven Lebensarten parallel; denn andernfalls durchkreuzen sie sich auch beide, und die liebe Seele folgt dann ihrem Manne wie ein Schatten hintennach, bald größer und bald kleiner, wie es eben am Tag oder am Mondschein ist; und wenn gar kein Licht scheint, so ist auch nicht einmal ein Schattenspiel von einer Seele und Herzlichkeit, und je weniger man's in solcher dunkeln Periode inwendig hat, desto besser weiß man es auswendig, und wenn die Leute selbst ihres Schattens überdrüssig, ihn in den Hades verkauft haben, in den sie ja doch zuletzt mit Leib und Seele hinabfahren, so merkt das niemand.

Mein Erzeuger war nicht dies und nicht das, und er wußte eben nur, was er zum Leben und Sterben gebrauchte. Er studierte kein philosophisches, kein Staats-, kein Weltverbesserungs- und kein Kindererziehungssystem. Er erräsonnierte, erhärtete, hantierte und ventilierte kein Prinzip und keine Parole, kein Vorwärts oder Rückwärts, kein Oben oder Unten, keinen Rationalismus oder Supernaturalismus par préférence, weder für den allgemeinen noch zu seinem eignen Staate; aber ihm war in jeglichem Augenblick Zeit und Ewigkeit, Sein und Nichtsein, Gott und sein Herz zugleich gegenwärtig; sein Gewissen und sein Wissen, sein Können und Erkennen, Seele und Vernunft, Seele und Leib bei ihm aus einem Wuchs und Schoß; alles an ihm aus einem Guß und Stück, die Redensart und die That.

Am Vollständigsten aber und am Nachdrücklichsten konnte man den Mann in seiner immanenten Rechtlichkeit begreifen. Sie war zugleich der Gipfel und die Wurzel, die Blüte und die Frucht seines Wesens, der Herzpunkt und die Peripherie seines Lebens, seiner ganzen Erscheinung; sie war eine Kardinaltugend und Poesie, seine Religion, sein Witz und sein Gewissen. In ihr erweiterte und konzentrierte sich, in ihr kulminierte seine Persönlichkeit; sie war sein absoluter Punkt. In demselben erschloß und beschloß sich sein natürlicher und sein übernatürlicher Mensch für sich selbst gleichwie für andere, mit ihr orientierte er sich zu jeder Erscheinung, in jeder Lage und in allem Lassen und Thun; sie war ihm Steuerruder und Magnetnadel und der absolute Begriff. In der Rechtlichkeit ging sein ganzes Wesen auf.

Dies alles ist wahr und wahrhaftig in all' der Nachdrücklichkeit, in jedem Accente, mit dem es in kindlichem Stolze meine Worte gesagt haben; und so mißdeute und mißgönne man mir diesen meinen Stolz nicht; ich habe überdies nicht viel, das ich mein nennen könnte. Ich bin ein vereinsamter, auf mein bißchen natürlichen Witz gestellter Mann, und so bemakle man mir nicht meine Pietät und den öffentlichen Ausdruck, den ich ihr gegeben habe; denn das Recht dazu liegt, meine ich, allein in der sich selbst beglaubigenden Wahrhaftigkeit und Originalität der Darstellung, nicht aber in der vorzugsweise distinguierten bürgerlichen Stellung des Menschen, dessen Verdienst man zur Sprache gebracht hat, oder in seiner zeitgemäßen Berühmtheit und in einer welthistorischen Bedeutung allein, die nur zu oft eine sehr geringe und verlorne, vor Gott und vor dem Genius der Menschheit sein kann. Ruhmredig darf auch ein Kind nicht von seinem Erzeuger sprechen; aber die Wahrheit darf es verkünden; und wenn es sich zum Litteraten gebildet, mit seines Vaters Konterfei und Grabrede seine schriftstellerische Laufbahn eröffnen, nach einer direkten und ausschließlichen Vorbereitung von einem Vierteljahrhundert.

Das ist's nun, was ich gethan habe, und die rechten Väter, die guten Söhne werden das nicht für unberechtigt und tadelnswert halten, auch wenn sie Kritiker von Profession sind.

Bei seinem Leben faßte ich den Mann nicht nach seinem ganzen Werte, nach seiner sittlichen Bedeutung, in der Kolossalität seiner Rechtlichkeit; aber die Welt, die seine Wunderlichkeiten kannte, hatte auch das Wunder dieser seiner Rechtschaffenheit erkannt, in der eine Welt von Wahrhaftigkeit und Güte, in der der allerbeste Menschenwitz, eine unvergleichliche Charakterschönheit, eine Poesie und Religion abgefangen war, und diesem Anerkenntnis der Welt kam unser kindlicher Sinn und Instinkt so weit zu Hilfe, daß sich in meiner und der Geschwister Seele eine Vorstellung, ein Glaube und ein Gewissen von dem Wert und der Würde unseres Erzeugers bildete und befestigte, wodurch sich mehr Pietät und mittels derselben mehr Erziehung, d.h. mehr herzgeborene, anschauende und gläubige Erkenntnis von einer sittlichen Welt- und Lebensordnung, dazu von der Art und Weise, wie diese Welt in einem Menschencharakter Leib und Seele gewinnt, entwickelte und verwirklichte, als je durch tausend kluge Redensarten und zärtliche Ermahnungen, oder mit zehntausend herausgeklügelten und sublim komponierten Proceduren einer vergleichenden Experimentalpädagogik und weltbürgerlichen Erziehungspolitik zum Vorschein gekommen wär'.

Wie wir alltäglich und stündlich gewahrten, welcher Art und Weise unser Vater von den Leuten geehrt und geliebt ward, so blieben wir hierin als sein Fleisch und Blut nicht zurück; und wie wir heranwuchsen, fühlten wir uns in solcher Geltung unsers Erzeugers selbander, und unsere Pietät gegen beide Eltern trug uns über das Gemeine und Profane und über so manchen Stein des Anstoßes auf dem Lebenswege hinweg. Das war unsre Erziehung. Solche Erinnerung und Anmahnung ist heute noch unser guter Stern. Das ist der Segen und die Nachwirkung eines Lebens, das werktüchtig und gewissenhaft von Anfang bis zu Ende, das unverletzt und heilig, das jeden Augenblick und überall in Worten wie in Werken, in Thun und Lassen wahrhaftig war!


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