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12. Kapitel.

Diese Nacht verlief ruhig und ungestört. Cornelius hatte es auch nicht anders erwartet. Denn das goldene Wams lag wohlgeborgen unter seinem Kopfkissen, mit dem grünen Mantel hatte er sich zugedeckt und die Schlüssel zum Georgenbau lagen im Papierkorb unter zerrissenen Briefumschlägen, wo sie sicherlich niemand gesucht hätte.

Er war daher äußerst betroffen, als er nach dem Frühstück die Rüstkammer im Georgenbau betrat und deutliche Spuren vorfand, die darauf schließen ließen, daß in der Nacht jemand hier gewesen sein mußte.

Cornelius hatte am Abend zuvor, von Genia und Neuling unbemerkt, über den unteren Rand der Tür des Kleiderschrankes, in dem Wams und Mantel gehangen, einen schmalen, braunen Papierstreifen in derselben Holzfarbe geklebt. Und dieser Streifen war jetzt zerrissen!

Der Schrank mußte also geöffnet worden sein. Von wem? Doch sicher von der Person, die wieder als »Geist« erscheinen wollte. Wie aber war sie in den Bau gelangt, zu dem Cornelius allein die Schlüssel hatte? Gab es hierzu ebenfalls Duplikate wie zu dem Turmzimmer?

Der Detektiv starrte finster vor sich hin. Aus seinem Grübeln riß ihn der helle Klang der über der Tür des Hauptgebäudes angebrachten Uhr. Mit einer unwilligen Gebärde zog er seine eigene Uhr aus der Westentasche und ließ den goldenen Deckel aufspringen. Wenige Minuten später verließ er in schnellem Schritte den Schloßhof.

Genia von Puttlitz hatte keine gute Nacht hinter sich. Wenn ihr früher einmal jemand gesagt hätte, daß man vor innerer Unruhe sich stundenlang hin und her wälzen könne, ohne Schlaf zu finden, so hätte sie diesem jemand mit ihrer siebzehnjährigen Unbekümmertheit ins Gesicht gelacht. Heute morgen aber war ihr nicht nach Lachen zu Mut. Sie hatte tatsächlich nicht schlafen können und wußte selbst nicht recht, weshalb eigentlich. Erst hatte sie es auf die schwüle Luft in ihrem Zimmer geschoben. Als sie aber beide Fenster weit aufgerissen und sich längere Zeit in die kühle Nachtluft hinausgebeugt hatte, auch da hatte ein Etwas in ihrer linken Brust sich nicht beruhigt, sondern in demselben beschleunigten Takte weitergepocht und sie gequält. So war sie unter einem kleinen Erschauern wieder ins Bett zurückgehuscht und hatte dort mit weit geöffneten Augen auf dieses unregelmäßige Pochen gelauscht. Lange, lange, bis ihr endlich die Augen zugefallen waren.

Ohne Appetit hatte sie in ihrer Tasse beim Frühstück gerührt und war dann mit benommenem Kopfe auf den Turm gestiegen, um sich die frische Morgenluft um die schmerzenden Schläfen wehen zu lassen. Doch kein Lüftchen regte sich.

Nachdenklich blickte sie über die sonnenbestrahlte Landschaft zu ihren Füßen. Die Höhenzüge mit ihren leuchtend grünen Farben waren dem Auge näher gerückt als sonst zu dieser morgendlichen Stunde. Wie Riesenspielzeuge lagen die Dörfchen mit ihren roten Dächern und weißen Giebeln in dem breiten Tale, gebettet auf saftig grüne Wiesenflächen und golden erglänzende Saaten. Der Himmel war tief dunkelblau. Ein unbestimmtes Drohen lag in dieser schweren, bleiernen Farbe. Im Westen schob sich ein fahles Gelb am Horizonte hoch. In den Baumkronen unter Genia bewegte sich kein Blatt. Es lag eine den Atem benehmende lastende Schwere in der Luft.

»Wenn das nur keinen Hagel gibt!« sagte die Landwirtstochter bekümmert halblaut vor sich hin und blinzelte mit halbgeschlossenen Augen über die Felder, deren reife Frucht nur zum Teil in die Scheunen eingebracht war.

Mit einem Male stutzte sie und beschirmte mit der Hand die Augen.

In der Richtung auf Bernstadt zu hatte sich auf der Landstraße eine kleine Staubwolke erhoben. Sollte dort schon der Wind, der hier oben noch nicht zu verspüren war, seine Wirbel ins Land senden, als Vorboten eines heranjagenden Unwetters? Nein, soweit war es noch nicht. Genia erkannte jetzt, daß ein Wagen dort rollte.

»Unsere neue ›Perle‹ naht!« sagte sie, etwas wegwerfend, »da wird Mama ja erlöst sein.« Das kleine Fräulein war noch nicht so tief in die Geheimnisse eines modernen Haushaltes eingedrungen, daß es die Ankunft eines neuen Stubenmädchens als ein Ereignis ansah.

Plötzlich aber weiteten sich ihre Augen. Sie hatte gesehen, daß die Staubwolke dort unten sich legte, daß ein Herr – in einem hellen Sommeranzuge, der ihr merkwürdig bekannt vorkam – an den Wagen, der hielt, herantrat und ersichtlich ohne weitere Formalitäten neben etwas in Weiß und Rosa Platz nahm.

Genia war sehr blaß und außer Atem, als sie wenige Minuten später vor ihren Schwager trat, der gemütlich in seinem Zimmer bei einer Morgenzigarre saß und alte Rechnungen sortierte.

»Curt, kann ich deinen Feldstecher haben?«

Der Hauptmann blickte auf. »Nanu? Hast du unseren Bock an der »Schildkröte« gesichtet?«

Eine schnelle Röte überflog das Gesicht des jungen Mädchens. Sie zögerte mit der Antwort. »Ja ... nein. So etwas ähnliches. Wo hast du denn das Ding, in deinem Schrank? Danke. Nein, komm nicht mit ... es ist wirklich nicht nötig ... laß dich nicht stören ...!« und schon war sie wieder aus dem Zimmer geeilt.

Hintze sah ihr erstaunt nach. Was hatte denn das Mädel? Es hatte ja am ganzen Körper förmlich gebebt vor Erregung. Nachdenklich stieß er die Asche seiner Zigarre ab. Dann zerriß er mit behaglichem Brummen die quittierte Rechnung über einen »alten Bären« aus dem Jahre 1914.

*

Zur selben Stunde klemmte sich der »Herr im hellen Sommeranzug«, der hinter dem Rücken des alten Engelke neben einem weiblichen Wesen in Weiß und Rosa ungeniert Platz genommen, sein Einglas in das linke Auge.

»Prächtig, prächtig, Fräulein Hanni. Erstens, daß Sie meinem Rufe so schnell gefolgt sind. Zweitens, daß Ihre äußere Aufmachung ganz meinen Intentionen entspricht. Nur etwas zu viel Puder für ein Zimmermädchen, meine Teuerste!« Er sprach mit gedämpfter Stimme, denn die Pferde gingen gerade Schritt und der Diener sollte nicht Ohrenzeuge der Unterhaltung sein.

Die verkappte Artistin senkte die vor Vergnügen und Unternehmungslust tanzenden Lichter ihrer großen Augen in die ihres Begleiters. »Oh, daran habe ich allerdings nicht gedacht. Ich bin das so gewöhnt, Sie wissen schon ... Außerdem: das liebe, gute, philiströse Deutschland! Da stempelt einen ein Gramm Reismehl ja tatsächlich zu einer Kokette. Als wir seiner Zeit in der »Olympia« in Paris auftraten ...« plauderte ihr roter Mund eifrig.

Cornelius holte schweigend einen kleinen Spiegel aus seiner Tasche und sagte trocken: »Paris liegt weit von hier. Wischen Sie ab, meine Gnädigste!«

Hanni lachte und arbeitete gehorsam mit einem Tüchlein in ihrem jungen, frischen Gesicht. »Sehe ich nun ehrpußlig genug aus, Herr Doktor?«

Er lehnte den Kopf zurück und betrachtete seine »Vigilantin« kritisch. Der kurze, weiße Rock saß prall um die geschmeidigen Hüften und ließ ein Paar gut gearbeiteter, aber nicht zu eleganter Halbschuhe sowie einfache Strümpfe sehen. (Cornelius nickte zustimmend. Das letzte Mal, als er der Artistin begegnet, saßen dort kokett durchbrochene Seidenstrümpfe über weit ausgeschnittenen Samtschuhen.) Die rosa Bluse schien aus der Hand einer soliden Hausschneiderin hervorgegangen zu sein und hatte an dem weißen, vielleicht etwas zu muskulösen Halse einen diskreten, viereckigen Ausschnitt. (Im Weinrestaurant der Alberthalle zu Bernstadt, wo Cornelius sich vor zwei Wochen von der Artistin verabschiedet, hatte schwarzer Chiffon dem Blick die Aussicht oder besser Durchsicht auf nackte Arme und Schulterblätter gewährt.)

Etwas schief und verwegen sah allerdings der breitkrämpige Matrosenhut mit dem dunklen Bande auf dem blonden Wuschelkopfe. Aber dies ließ sich bis unter die Mauern Unzingens ja noch in das »ehrpußlige« Gleichgewicht zurechtrücken.

Hanni hatte lachend dieser eingehenden Musterung standgehalten. »Hu! Wie Sie mich mustern, Herr Regisseur. Ich wußte gar nicht, daß Sie so böse Augen machen können!«

»Zum böse sein liegt kein Anlaß vor. Aber hinter dem Ohr haben Sie noch einen Strich Puder. Nein, weiter links ... Warten Sie einmal ...!« Er griff nach dem Tüchlein und wischte schnell selbst über die verräterische Stelle.

Auf der Zinne eines alten Turmes ließ in diesem Augenblick ein junges Mädchen den Feldstecher von den Augen sinken und sagte tonlos vor sich hin: »Jetzt hat er sie gestreichelt! Pfui ...!!« Und mit einem Wehlaute floh dieses junge Mädchen in sein Zimmer.

Der Feldstecher aber blieb einsam auf der Brüstung jenes alten Turmes zurück. Seine geschliffenen Gläser sandten einen reflektierenden Schein – wie anklagend – nach der Landstraße hinunter.

*

Das neue Stubenmädchen trat eine halbe Stunde später seinen Dienst auf Unzingen an.

Müde, erhitzt, aber seelenvergnügt langte nach geraumer Zeit der Herr im hellen Sommeranzuge zu Fuß auf dem Schloßhofe an.

Mittags erschien die jüngere Tochter des Hauses nicht zu Tische. Sie klage über »Migräne« und habe sich zu Bett gelegt, sagte die Mutter entschuldigend.

Herr von Puttlitz brummte: »Weiß der Deubel, was in die Genia gefahren ist. So ein gesundes Mordstück und Migräne. Ich kenn' die moderne Welt nicht mehr ...« Er schnitt ärgerlich seinen Braten durch, so daß es auf dem Porzellan einen quietschenden Ton gab.

Gisela zog nervös die Augenbrauen hoch und sah leidend aus.

Nur die Mutter strahlte. Sie hatte das neue Stubenmädchen einem eingehenden Verhör unterworfen und dieses Verhör war anscheinend zu ihrer größten Zufriedenheit ausgefallen. »Ihre Frau Tante hat mir wirklich eine Perle überlassen, Herr von Cornelius. Meinen herzlichsten Dank auch Ihnen für Ihre schnelle Vermittlung.«

Der Angeredete verbeugte sich. »Ich bin glücklich. Auch Tantchen wird sich freuen.«

»Ist denn die neue Type auch kräftig?« fragte der Hauptmann kauend.

»Sie hat bisher die schwersten Arbeiten verrichtet,« erwiderte Cornelius und dachte an den »Triple-Trick«, mit dem Hanni allabendlich die Bernstädter in Erstaunen versetzt hatte.

»Denn is ja gut.« Der Hauptmann trank sein Glas aus. »Ich kann nu mal so zimperliche Mamsells nicht leiden. In einer so großen Wirtschaft muß die Dienerschaft tüchtig ran. Nicht wahr, Mamachen. Außerdem steht doch wohl das berühmte Herbstscheuerfest vor der Tür?«

Die Hausfrau nickte mit einem kleinen Seufzer.

Cornelius konnte wiederum versichern, daß die neue Perle nach seinen bisherigen Erfahrungen sich vor keinem Zufassen scheute und daß sie auch bei der bevorstehenden Reinigungsarbeit auf Unzingen tüchtig »Auskehr« machen würde. –

Laut pfeifend ging er nach Beendigung der Mahlzeit über den oberen Korridor nach seinem Zimmer. Kurze Zeit danach schlüpfte das »Zimmermädchen« vorsichtig zur Tür herein. »Das Signal klappt,« sagte es und blitzte mit der goldenen Zahnplombe, »Sie brauchen das nächste Mal nicht mal so laut zu trillern ...«

Cornelius bot ihr mit einer höflichen Handbewegung wie einer Dame Platz an und verriegelte die Tür: »Für alle Fälle!« Dann klappte er sein Zigarettenetui auf:

»Ganz zu Ihrer Verfügung ... auch wenn ich einmal nicht im Zimmer bin.«

»Merci, mein lieber Herr Doktor. Das selbstverständliche Rauchverbot im Dienerflügel hat mir die letzten drei Stunden allerdings schon Qual bereitet.«

Mit kundigem Blicke musterte sie die angebotenen Zigaretten und brannte sich eine davon an dem Feuerzeuge des Detektivs an.

»Kennen Sie die englischen?« fragte dieser.

»Kennen ja. Aber schätzen nicht. Ist zu viel Ausschuß darunter.« Sie stieß eine dichte Rauchwolke aus ihrer Lunge heraus.

»Hm, Sie müssen sich aber gerade mit solchen Marken hier oben beschäftigen,« leitete Cornelius ernst die nähere Anweisung seiner neuen Vigilantin ein.

Er schilderte in knappen Umrissen und anschaulich seine bisherigen Feststellungen in und außer dem Hause.

»Ich wollte Ihnen gestern abend beinah wieder abtelegraphieren, denn ich glaube, meinen Mann schon gefunden zu haben ...«

»Bruno Kühenmann?«

»Wer sonst?«

Hanni schüttelte nachdenklich den blonden Kopf und sah schweigend aus dem Fenster. Ihr zierliches Profil mit der kleinen, kecken Nase zeichnete sich scharf gegen den hellen Hintergrund ab. Ein Gedanke schien ihr zu kommen. »Da kann ich ja wieder abreisen ...« Sie zögerte etwas und wandte langsam den Kopf Cornelius wieder zu. Dieser merkte, daß sie die roten Lippen aufeinanderpreßte. Er wich dem Blick aus den dunklen Augen aus, die müde und ernst, wie es ihm schien, an seinen Mienen hingen.

»Ich habe ja nicht telegraphiert, mein liebes Fräulein. Außerdem würde es sich doch schlecht machen, wenn Sie Frau von Puttlitz schon wieder fahnenflüchtig würden ...«

»Ach du lieber Gott!« meinte Hanni wegwerfend.

»Außerdem ...«

»Außerdem?«

»Sehen vier Augen mehr als zwei ...«

In die Mädchenaugen kehrte der frühere Glanz zurück. »Sie sind sich Ihrer Sache demnach doch noch nicht so sicher?«

Cornelius blickte wieder auf. »Ich gestehe: nein. Es fehlen mir noch zwei Glieder zur Kette. Wie ist es unserem Manne möglich, in den Georgenbau zu gelangen? Und was sucht er im Turmzimmer? Ich habe es sonst bei meiner Tätigkeit stets vermieden, zuzufassen, wenn ich insbesondere über das Motiv noch nicht ganz klar sehe ...«

Irgend wo im Hause schallte eine elektrische Klingel. Hanni schnellte aus ihrem Sessel in die Höhe. »Dreimal! Haben Sie gehört? Das bin ich, das Stubenmädchen Anna. Nun muß ich aber Beine machen, daß ich über die alten Treppen fix an den Klingelkasten komme. Wenn Sie also wünschen, Herr Doktor, daß ich Ihnen doch noch helfe, Ihre zwei fehlenden Glieder zu finden ...? Sie lächelte ihn unsicher an.

»Wünschen? Ich bitte Sie darum ...« sagte er bestimmt.

Sie drückte ihm fest die Hand. »Gut. Ich werde möglichst bald berichten ...« Ein Lächeln an der Tür und schon war die Vigilantin hinausgeschlüpft.

Als sie über den Gang im ersten Geschoß huschte, tauchte von unten kommend der Kopf eines jungen Mannes über dem Treppenabsatze auf. Dieser junge Mann stieß beim Anblick des »Stubenmädchens« einen Ausruf des ungläubigen Staunens aus und näherte sich ihm aus den Zehen von hinten.

Er tippte ihr mit steifem Finger in die Taille und sagte halblaut: »Wirklich Mademoiselle Hanni oder täuschen mich meine Augen?«

Das Mädchen fuhr mit einem kaum unterdrückten Schreie herum und starrte in das Gesicht des Mannes. Blitzartig war ein Erblassen über ihre Züge gegangen, doch sofort faßte sie sich wieder, sah den jungen Menschen von oben herab an und meinte mit verächtlicher Miene:

»Lassen Sie diese Unverschämtheiten, mein Herr! Ich kenne Sie nicht. Außerdem heiße ich nicht Hanni, sondern Anna und habe heute meine Stellung in diesem Hause angetreten.« Mit einer wegwerfenden Kopfbewegung wandte sie sich ab und schritt gelassen auf eine Tür zu.

Bruno Kühenmann, jener junge Mensch, blieb betroffen zurück. »Sollte ich mich wirklich geirrt haben? Vorhin wollte ich mich lebendig begraben lassen, wenn dies nicht die kleine Artistin aus der Alberthalle sei. Die Augen, das Mienenspiel, die Plombe ...! Und jetzt soll es das neue Stubenmädchen sein? Wandeln denn in diesem erlauchten Hause noch mehr Geister herum ...?« Zweifelnd sah er dem Mädchen nach, das soeben die Tür Genias öffnete.

In Hannis Kopfe hatte nur der eine Gedanke Raum: »Großer Gott, der freche Kühenmann! Da kann ich ja gleich wieder abreisen!«

Sie hatte ihr Gegenüber sofort wiedererkannt. Der junge Mensch, von dem sie wohl den Namen, aber sonst nichts näheres wußte, hatte in den letzten Tagen ihres Auftretens zu den aufdringlichsten Anbetern in Bernstadt gehört, die ihr täglich Billetts und Blumen in die Garderobe schickten. Erfolg hatte er allerdings so wenig wie die anderen gehabt. Und nun hier in demselben Hause mit ihr zusammen, womöglich das Wild, das sie zur Strecke bringen sollte! Was würde Cornelius zu diesem furchtbaren Fehlschlage gleich am ersten Tage sagen?

Verwirrt und beunruhigt betrat sie das Zimmer und blieb ungelenk an der Tür stehen.

Genia lag lässig auf dem Sofa. Ihre Füße steckten in roten Pantöffelchen und hielten nunmehr in ihrer ungeduldigen wippenden Bewegung inne. Sie richtete sich mit einer raschen Bewegung auf und sagte:

» So sehen Sie also aus!« Ihre Stimme klang kalt und schneidend. Sie hob den Kopf und sah sehr von oben herab auf die um mehrere Jahre Aeltere, die in ihrer Sorge kaum auf das Unfreundliche dieser Begrüßung achtete.

»Weshalb kommen Sie nicht schneller, wenn ich klingle?«

Hanni fuhr bei diesem befehlenden Tone zusammen und erwachte aus ihrer halben Betäubung. Sie machte einen Knicks, schwieg aber. Ihre Augen irrten über die Gestalt der anderen, um sich erst einmal einen Eindruck zu verschaffen, mit wem sie es hier zu tun habe und was eigentlich los sei.

»Das ist das Schuldbewußtsein!« dachte Genia, »natürlich. Und was das falsche Geschöpf für freche Augen hat und diese kokette Frisur. O Gott, was sind die Männer schlecht und besonders der eine!« Laut aber sagte sie: »Meine Mutter hat Sie als Stubenmädchen engagiert. Na! Das ist ja ihre Sache. Ich wollte Sie nur mal kennen lernen. Ich persönlich werde Sie nicht in Anspruch nehmen. Merken Sie sich das! Danke!«

Eine Sekunde später stand Hanni wieder vor der Tür. »Na ich danke, das kann ja schön werden! Da hat mich der gute Doktor ja in eine wahre Löwenhöhle gelockt. Ob ich es hier bis zum nächsten Kündigungstermin überhaupt aushalten werde?« Und mit der Miene eines gescholtenen, sehr echten Stubenmädchens schlich sich die junge Artistin über die Treppe nach oben, gar nicht mit dem Gefühle, das sie, die überall Gefeierte, sonst beseelte.

Doch das Zimmer dessen, den sie suchte, war leer. Cornelius mußte es bald nach ihrem Weggange verlassen haben. Das war allerdings unangenehm. Sie setzte sich auf den Tisch, schlenkerte mit den schlanken Beinen und sann nach. Oefters schüttelte sie bei dieser Beschäftigung den blonden Kopf. »Ach ja! Die Sache ist doch nicht so einfach!« Sie schaute sich suchend um. Aha, da waren ja die Zigaretten des Doktors! Seufzend griff sie nach der offenen Schachtel und brannte sich ungeniert eine »Manoli« an. Erstens hatte es der Besitzer ihr ja ausdrücklich zur Verfügung gestellt und zweitens konnte sie nicht lange ohne diese kleinen, weißen Dinger leben und sein. Das Milieu, in dem sie sich bisher bewegt und in dem sie aufgewachsen war, hatte das so mit sich gebracht.

Bald saß sie von lichten Wölkchen umgeben da und pfiff leise vor sich hin, das für und wider ihrer jetzigen »Stellung« erwägend. Auch an Bruno Kühenmann dachte sie und an den gegen ihn schwebenden Verdacht ...

Da wurde die Tür langsam, ganz behutsam aufgemacht und ein kurzgeschorener Kopf mit spähenden Augen schob sich herein. Allerdings, um im nächsten Augenblick sofort wieder zu verschwinden. Sein Besitzer mußte erkannt haben, daß sich jemand in dem Zimmer aufhielt. Doch bald wurde die Tür wieder geöffnet und Engelke junior trat in den Raum.

»Sieh mal! Die Anna! Das ist gut. Ich sehe, Sie haben die Situation richtig erfaßt.« Er lächelte spöttisch und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.

Hanni war erst einen Augenblick verblüfft, empört. Dann rückte sie gelassen etwas zur Seite und forderte ihn mit einer knappen Handbewegung auf:

»Genieren Sie sich nicht, Monsieur Karl. Was führt Sie übrigens her?«

»Dasselbe wie Sie, Schönste. Der Doktor führt eine ganz passable Marke.«

»Sind Sie öfters Nutznießer?« lachte Hanni.

»Er zählt nicht nach. Eine gute Eigenschaft wenigstens bei dem Kavalier. Meistens sind derlei Leute furchtbar knickerig.«

Der Junior griff in die Schachtel und nun hockten die beiden äußerst einträglich nebeneinander und vergnügten sich an des Doktors Zigaretten.

Im weiteren Verlaufe der Unterhaltung hatte Hanni Gelegenheit, ihrem Nachbarn einen derben Klapps auf die Finger zu verabreichen, was bei diesem ein anerkennendes »Au! Das schöne Geschlecht ist nicht nur mit dem Munde schlagfertig!« entlockte.

Auch die Geistergeschichte wurde gestreift. Karl tat aber sehr geheimnisvoll und blieb zurückhaltend, als Hanni ihm näher auf den Zahn fühlen wollte, wen er für den Täter wohl halte.

Mit den Worten: »Und ich laß mich hängen, es ist doch ein richtiger Geist!« beschloß er das Zwiegespräch und rutschte von dem Tische herunter, nachdem er noch einen tieferen Griff in die bewußte Schachtel getan hatte.

Nachher suchte Hanni den Detektiv überall. Sie war noch immer beunruhigt durch das Zusammentreffen mit Kühenmann. Doch Cornelius war nirgends zu finden, so sehr sie auch Haus, Hof und Garten nach ihm durchspähte.

Daß er zu derselben Zeit höchst gemütlich mit dem Urheber ihrer Unruhe auf einer Bank hinter der Fohlenkoppel saß, ahnte sie nicht.

Cornelius war bemüht, das Zutrauen des jungen Mannes zu erlangen. Er fing ihn durch Fragen nach seinem Studium, die den andern bald aus seiner ursprünglichen Zurückhaltung herauslockten. Seine spöttische Miene verschwand und ein Feuer der sachlichen Begeisterung blitzte in den etwas verschwommenen Augen auf, die den öfters nicht ganz ausgeschlafenen Bummler verrieten.

Cornelius merkte bald, daß er die Beleuchtungseinrichtung im Georgenbau kannte und sich mit ähnlichen Experimenten beschäftigte. Unmerklich lenkte er das Gespräch auf andere sinnreiche Einrichtungen in alten Gebäuden, indem er vorgab, als Kunsthistoriker sich insbesondere mit alten Burgen und Schlössern zu beschäftigen. Zu der Frage, die Cornelius auf den Lippen brannte, war nun nur noch ein Sprung. Und seltsam, Kühenmann ging von selbst auf dieses Thema über, als ob er die geheimen Gedanken des anderen errate.

»Ein besonderes, höchst interessantes Kapitel, Herr Doktor, sind dann auch die geheimen Gänge und Treppen in solchen alten Gemäuern,« sagte er harmlos.

Cornelius hob schnell den Kopf und blickte ihm in die Augen. Doch diese sahen ihn sonder Falsch und Verschlagenheit an.

»Allerdings, sehr interessant!« meinte er langsam, wie um Zeit zu gewinnen. Innerlich war er aber überrascht. Wollte ihn der andere aushorchen? Das hatte er nicht erwartet, daß Kühenmann, wenn er wirklich der Täter war, von selbst sich auf den für ihn doch so schlüpfrigen Boden begab.

»Da ist hier auf Unzingen zum Beispiel der Gang vom Georgenbau nach dem Hause herüber ...« fuhr Kühenmann fort.

Der Detektiv bezwang sich, um nicht aufzuspringen.

»Sie kennen ...?!« stieß er hervor, hastiger als er es wollte.

Kühenmann lächelte gefällig. »Ob ich ihn kenne? Ich kann mich rühmen, der einzige zu sein ... außer dem anderen.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause.

»Dem anderen?« Cornelius sah ihn betroffen von der Seite an. War dieser Mensch wirklich so harmlos, wie er sich gab, oder spielte er mit ihm?

»Nu ja: der, der hier oben den Geist mimt. Mein Vater hat mir diese Neuigkeit gleich am ersten Tage brühwarm vorgesetzt, nachdem Herr Hintze dem »Geist« in die Arme gelaufen war. Da habe ich gleich an den Gang gedacht. Ich dachte nur bis dahin, ich sei der einzige, der davon wisse.«

»Aber warum haben Sie der Herrschaft nicht gleich Ihr Wissen mitgeteilt?« fragte Cornelius erregt.

Kühenmann lachte wegwerfend. »Der Herrschaft? Weil ich absolut keinen Anlaß habe, den Leuten da oben irgendwie gefällig zu sein. Mein alter Herr hat mich im Herrenhause verpetzt. Der Puttlitz sieht mich seit einem halben Jahre nur noch von oben herab an, als ob er sagen wollte: »Bummler!« Und was ist daran Schuld? Ein Wechselchen, das mein Vater nicht einlösen wollte und das er drüben gepetzt hat. Als ob der Herr Schwiegersohn noch nie in seinem Leben quer geschrieben hätte!« – Die Herrschaft möge sich allein mit dem Gespenst herumschlagen. Ungefragt gebe er jedenfalls sein Wissen nicht preis.

Nun wußte Cornelius, was der wunde Punkt des jungen Technikers war, der mit ungenügenden Mitteln den Lebemann zu spielen versuchte.

»Wie wäre es denn, wenn Sie Ihr Wissen mir gegenüber als Kaufobjekt betrachten würden?«

Kühenmann stand plötzlich auf und ging mit schnellen Schritten vor der Bank auf und ab. Sein Gesicht hatte sich gerötet. Der Detektiv hatte dieses Erröten aber falsch eingeschätzt. denn als Kühenmann sich ihm wieder zuwandte, war er blaß geworden und seine Fäuste waren geballt.

»Sie halten mich für einen Lumpen!«

Bedächtig brannte sich Cornelius eine Zigarette an und meinte:

»Ich glaube nicht, Ihnen Anlaß zu einer derartigen Reaktion gegeben zu haben. Jedenfalls beabsichtigte ich es nicht. Es handelt sich um ein ganz einfaches Geschäft. Sie machen mir Mitteilung, wie der geheime Gang verläuft, dessen Wissen nicht einmal Ihr alleiniges Besitztum ist, wie Sie andeuteten, und ich ... na, sagen wir einmal ... tilge gewisse Verbindlichkeiten, die Ihr Herz vielleicht gerade bedrücken. Vorausgesetzt, daß diese nicht märchenhaft hoch sind.« Er maß den anderen vom Scheitel bis zur Sohle. Sehr hoch konnten die Schulden des jungen Technikers, der ihn noch immer mit einer nicht zu verkennenden ehrlichen Entrüstung anblickte, nach seinem Ermessen nicht sein. Da hatte er in seinem Leben wohl schon andere Kaufsummen bezahlt, um in den Besitz wichtiger Geheimnisse zu gelangen, deren er in einem »Falle« dringend bedurfte.

Kühenmann wandte sich wieder verlegen ab und sagte endlich halblaut: »Wenn nur die verfluchte Blumenrechnung in Bernstadt nicht wäre!«

»Auch das?« lachte der Detektiv.

»Nur das!« versetzte Kühenmann, »Frauen sind heutzutage teuer, wenn man ihre Liebe mit Blumen erkaufen will ...«

»Wenn der Kauf zu einem befriedigenden Abschluß geführt hat, weshalb sollte man da einer kleinen Blumenrechnung so böse sein ...« Ironie lag in seiner Stimme.

Der Techniker stampfte mit dem Fuße auf. »Hat sich was! Das kleine Luder hat nicht mal angebissen.«

»Das ist allerdings peinlich.« Cornelius betrachtete ihn mitleidig, »also ein Verlustkonto ohne Aktiva. Da ist der Konkurs unausbleiblich. Wenn man nicht zur rechten Zeit noch einen anständigen Zwangsvergleich anbieten kann. Ich hätte Lust, ein bißchen zu intervenieren ...«

Der andere ließ sich mit einem tiefen Seufzer wieder neben ihm nieder. »Eigentlich schäme ich mich furchtbar vor Ihnen, Herr Doktor, aber ...« er schwankte.

»Ach was! Greifen Sie doch nach dem Strohhalm. Gewissensbedenken brauchen Sie wirklich nicht zu haben. Ich habe doch, wie Sie sehen, auch keine.«

Kühenmann sah ihn an. Der elegante Herr in dem tadellos ausgebügelten Sommeranzug, dem sauberen, hohen Kragen und dem lächelnden Gesicht sah allerdings weder wie ein Wucherer, noch wie ein gerissener Geschäftsmann aus, der ihm skrupellos eine unsaubere Sache vorschlug.

»Fünfhundert Mark sind's!« stöhnte er.

Cornelius lachte hell auf.

»Um Gotteswillen, das ist Ihnen also doch zu viel.« Bruno zerknitterte seinen Hut zwischen den Händen.

»Zu viel? Menschenskindchen, haben Sie eine Ahnung von Geld! Ich hatte bei Ihrer Verzweiflung mit einer vierstelligen Zahl gerechnet ...« Er griff gelassen nach seiner Brieftasche.

Kühenmann wehrte verlegen ab. »Aber ich habe Ihnen doch noch gar nicht ...«

»Den Gegenwert geleistet? Zahlungsfähigen Kunden gebe ich gern Kredit. Doch wie Sie wollen. Also wo steckt der Gang?«

»Kommen Sie!«

Die beiden begaben sich nach dem Georgenbau. Als dessen Tür hinter ihnen ins Schloß fiel, erschien Hanni auf dem Hofe. Sie sah sich mit einem ratlosen Blick um, huschte durch die Ställe, und blinzelnd und mit verständnisinnigem Kopfnicken sahen ihr die Melker nach, als sie den ohnehin ziemlich kurzen Rock über den schlanken Fesseln noch höher schürzte. –

Cornelius klopfte sich den Staub von seinem Rock, rückte den Hut aus der Stirn und schob im Weinkeller des Hauptgebäudes behutsam das leichte Regal wieder vor die kaum sichtbare kleine Holztür, die in eine Nische eingelassen war. Die beiden Herren hatten soeben einen kurzen, dafür aber umso interessanten Weg hinter sich. Im Georgenbau angelangt, hatte Kühenmann den Detektiv in einen mächtigen, mit alten Kleidern angefüllten Schrank treten lassen. Die Rückwand dieses Schrankes drehte sich, wenn man an einem Holzzapfen zog, und ließ einen dunklen Gang sichtbar werden, der über steile Stufen in die Tiefe führte, sich unter dem Pflaster des hinteren Hofes nach dem Hauptgebäude hinüberzog und dort im Weinkeller endete.

Cornelius lächelte:

»Eigentlich furchtbar einfach. Aber trotzdem sollen Sie Ihre Blumenrechnung bezahlen können, Herr Kühenmann.«

Der Angeredete wischte sich einige Schweißtropfen von der geröteten Stirn und steckte, ohne ein Wort zu sagen, die Scheine in die Tasche. Er war sichtlich erregt und rang nach Luft. Nur mit der rechten Hand machte er eine unsichere Bewegung.

»Schon gut!« sagte Cornelius und drückte diese Hand, »eine Liebe ist der anderen wert. Nur schade, daß Ihr »kleines Luder« nicht sehen kann, was es mit seinem treulosen Korbe angerichtet hat.«

Kühenmann wollte etwas sagen, verbiß es sich aber noch. Die Geschichte war nun einmal erledigt. »Schwamm drüber!« dachte er, »was kümmert's mich, wenn sie wirklich zum Stubenmädchen herabgesunken sein sollte. Viel wert sind solche Frauenzimmer nun einmal nicht.« Und mit dieser Weltweisheit begrub er eine stürmische Liebe endgiltig.

Glaubte sie wenigstens begraben zu haben. Aber man soll nie der historischen Entwicklung der Dinge vorgreifen ...

Vorläufig gab es auf Unzingen noch verschiedene getrennte Lager. Genia glaubte, dem Doktor Cornelius wegen seines Benehmens gegenüber einem blonden Stubenmädchen erheblich zürnen zu müssen. Und dieser Zorn steigerte sich allmählich zur Entrüstung, ja Verachtung. Hierüber ist weiter unten noch zu berichten.

Hanni und Genia wiederum betrachteten sich mit scheelen Augen von der Seite. Beider Sinnen drehte sich um denselben Mann und dies ist immer ein sehr gefährliches, explosives Moment. Nicht als ob die Varietékünstlerin sich eingebildet hätte, der an Bildung sowie gesellschaftlich weit über ihr stehende Cornelius würde ihr bei gewissen positiven Gedanken entgegenkommen – so sehr er sie als »Dame« behandelte –, immerhin hatte er in ihrem Herzen einen Platz eingenommen, der beachtlich war. Dazu kam bei ihr das tiefe Gefühl der Dankbarkeit gegenüber ihrem Lebensretter und dieses ist bei dem Weibe stets ein wärmeres, persönlicheres, als unter Männern.

Dem jungen Techniker ging sie geflissentlich aus dem Wege. Nach der Theorie des Detektivs war er ein Verbrecher, nach ihrer eigenen Beobachtung aber ein leichtsinniger, verschwenderischer Mensch.

Herr von Puttlitz machte stets große, runde Augen, wenn das neue Stubenmädchen das Zimmer betrat und hatte dabei das Gefühl, den Augen seiner Gattin ausweichen zu müssen. »Dunnerwetter!« dachte er bei sich, »die Berlinerinnen haben eben doch Schmiß!« Dies dachte er aber nur.

Neuling, der Volontär, kam sich wie ein gewisses Tier zwischen zwei Heubündeln vor. Auch ihm hatte es die angebliche »Berlinerin« angetan, die den Jargon unter einem guten Hochdeutsch zu verbergen verstand und die mit einem angenehmen, aber nicht absichtlich wirkenden Wiegen der Hüften durch das Haus wandelte. Auf der anderen Seite stand die Tochter des Hauses, die ihn mit einer Geflissentlichkeit ins Gespräch zog und so deutlich auszeichnete, daß in seinem Herzen allerhand kühne Pläne sich zu bilden begannen.

Nur das junge Ehepaar war mit sich und der Welt zufrieden. Mit beobachtenden Augen überschaute es die Situation und stieß sich hin und wieder mit den Ellbogen an: »Hast du wieder gesehen? Bald muß die Bombe platzen!«

Vorläufig aber schürte noch der eine, der allein die Bombe zum Platzen bringen konnte, unwissentlich das darunter glimmende Feuer. Cornelius schlürfte bedächtig und nachdenklich seinen Tee und schien für seine Umwelt keine Augen zu haben. Der Gang unter dem Georgenbau ging ihm immer noch im Kopfe herum. Und so bemerkte er erst gegen Ende des Abendbrotes, daß Hanni, die im Verein mit den beiden Engelkes dabei aufzuwarten hatte, jede Gelegenheit benutzte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie räusperte sich leise, wenn sie hinter ihm stand; sie warf ihm verzweifelte Blicke zu, wenn sie auf der anderen Seite des Tisches die kalte Platte servierte.

Er spielte versonnen mit seinem Löffel und – sah nicht einmal, wie die Augen Genias kälter und kälter wurden. Erst beim Käse fing er einen Blick seiner »Vigilantin« auf und dieser Blick bedeutete: »Vorsicht! Ich weiß etwas!«

Da war er der Gegenwart wieder gegeben.

»Nun, was ist los, hochverehrte Komplizin?« fragte er lächelnd eine Viertelstunde später auf seinem Zimmer, in das Hanni wie ein flüchtiger Schatten ihm nachgehuscht war.

»Danke!« sagte sie und brannte sich seufzend aus der erschreckend geleerten Schachtel eine »Manoli« an, »ich bin geklappt. Am besten, ich schnüre morgen mein bescheidenes Dienstbotenbündel wieder.« Sie erzählte von ihrem Zusammentreffen mit Bruno Kühenmann, dem stürmischen Anbeter aus Bernstadt und schloß verzagt: »Und ausgerechnet dieser Mann ist das Wild, das ich zur Strecke bringen soll!«

Cornelius drückte sie sanft in einen Sessel nieder.

»Sollen Sie gar nicht. Wir hätten beinah auf der falschen Fährte »Halali« geblasen. Kühenmann ist nicht der »Geist« ..«

»Nanu!« Sie war erstaunt, aber auch sichtlich erleichtert. »Erzählen Sie!«

Und Cornelius schilderte kurz sein Erlebnis mit dem Techniker. Wer so unbefangen seine Geheimnisse preisgebe, könne nicht der Schuldige sein, denn dann wäre er ja sein eigener Totengräber gewesen.

Hanni nickte zustimmend. »Die Sache kam mir heute nachmittag gleich nicht so überzeugend vor. Es sah zu glatt, zu wenig kompliziert aus. Sie hätten sicherlich gestern abend mir abtelegraphiert, wenn Sie Ihrer Sache wirklich so sicher gewesen wären.«

»Richtig geraten. Sie haben eine kriminalistische Nase, Verzeihung: Näschen. Große »Fälle« löst man nicht en passant ... Donnerwetter! Meine Zigaretten haben aber Liebhaber gefunden ... nein, nein! nicht Sie ... Sie hatten ja plein pouvoir ...«

Hanni lachte. »Karl heißt der Knabe!«

»Ich ahnte es. Haben Sie ihn in flagranti erwischt?«

»Es war Mittäterschaft,« erwiderte sie, für eine Artistin äußerst sachkundig. Als sie aber schilderte, wie vorsichtig der Junior zu diesem Beutezuge ins Zimmer treten wollte, fiel dem Detektiv blitzartig etwas ein. Und dies war die Erinnerung an eine gewisse Nacht, wo ebenfalls ein Mensch vorsichtig und heimlich sein Zimmer betreten hatte. Die Theorie von Zug und Gegenzug. Und damals hatten aus der Schachtel keine Zigaretten gefehlt, dessen entsann er sich noch genau.

»Der Knabe Karl fängt an, mir fürchterlich zu werden!« meinte er und setzte sich Hanni gegenüber.

»Wie meinen Sie das?«

»Der Kreis scheint enger zu werden,« lachte er trocken.

*

Obwohl die Ausrüstung des alten Pottlitz für diese Nacht sorgsam wieder in den Georgenbau hinübergeschafft worden war, verlief sie ruhig und ungestört.

Die »Erscheinung« schien vorsichtig geworden zu sein. Es war klar, daß sie die Späher witterte, daß sie einen Teil der gespannten Atmosphäre, die über den Zinnen Unzingens lag und in den weiten Räumen des Hauses lastete, alle Bewohner nervös machte, auf sich und ihr Walten bezog.

Cornelius dachte: »Warten wir es ruhig ab! Es wird schon wieder spuken. Der Mann kann seinen Zweck noch nicht erreicht haben!«

Hanni spürte wie ein Jagdhund vom Keller bis zur Plattform des Turmes herum und seufzte mitunter etwas, wenn sie abends nach einer Plauderei mit Cornelius bei einer »Manoli« ihr bescheidenes Kämmerchen aufsuchte. Ihr schwebte da rauschender Applaus, sich türmende Blumen, prickelnder Sekt und einschmeichelnde Musik vor den Augen und lockte in den kleinen Oehrchen wie ein träumerischer Klang aus einer weiten, fernen Welt.

Bruno Kühenmann schlich des öfteren um das Haus und blickte verstohlen nach einem gewissen kleinen Fenster des Dienstbotenflügels in die Höhe. Ein Fenster, dessen Rahmen aber immer leer blieb. Und nachdenklich strich er mit der Hand über das runde Kinn, auf dem seit gestern die Stoppeln ungehindert sproßten. Er hatte nämlich beschlossen, sich einen Vollbart der Verzweiflung wachsen zu lassen. Am liebsten einen weißen. Ja, ja! Das Vergessen war doch nicht so leicht.

Das Ehepaar Hintze wartete noch immer auf das »Platzen der Bombe«. Er machte hin und wieder eine versteckte Anspielung auf den Bock an der »Schildkröte«, fand aber bei dem Freunde wenig Gegenliebe. Die Luft sei noch nicht sichtig genug für den Anstand. Außerdem wehe der Wind noch aus der falschen Richtung.

Auch Genia erinnerte sich allmählich, daß der Gast doch zur Jagd gekommen sei, zur Jagd, um deren Ausführung er sich in einer nachgerade schmählichen Weise zu drücken begann. Wahrscheinlich hatte er nie in seinem Leben eine Büchse in der Hand gehabt. Der ganze Mann war aus Schwindel zusammengesetzt. Ein »Blender!« sagte sie wütend und biß in ihr spitzenbesetztes Kopfkissen, abends wenn sie lange keinen Schlaf finden konnte und früh, wenn sie mit schmerzenden Schläfen erwachte und noch lange liegen blieb, obwohl draußen vor dem Fenster die Vögel triumphierten und lockten. Wozu überhaupt aufstehen? Wozu noch leben? Die Welt sah nicht mehr sonnig und heiter aus, sondern ein häßlicher, grauer Schleier war über sie gebreitet ...

In dem Busen ihrer Mutter glomm langsam die Ueberzeugung: »Ich habe mich doch geirrt. Er ist ein »Familientäuscher«, wenn er auch von ist und sein Vater Leibarzt des Prinzen Karl war.«

Cornelius aber wartete. Nicht untätig. Das ließ sein Ehrgefühl nicht zu, noch das Bestreben, endlich Licht in die dunkle Angelegenheit zu bekommen.

Er streifte unermüdlich durch das ganze Anwesen, machte weite Spaziergänge in die Umgebung, sprach – oft in den sonderlichsten Verkleidungen – bald auf den Feldern mit einem alten Bäuerlein, bald in einem Dorfe mit einem jungen Burschen, mit einem blanken Dirndlein. Und jedesmal, wenn er müde und abgespannt von einem solchen Erkundungszuge in das Schloß zurückkehrte, war seine Miene wiederum um einen Grad zuversichtlicher, seine Stirn entwölkter geworden. Was er auf diesen Gängen in Erfahrung gebracht, behielt er bei sich. Hanni sollte ganz unabhängig von ihm in Haus und Hof arbeiten und die klugen Augen offen halten. Getrennt marschieren und dann vereint schlagen! hatten sie als gegenseitige Parole ausgegeben.

Nur allabendlich fanden ihre geheimen Zusammenkünfte statt, von denen niemand wissen durfte. Dann strich der blaue Rauch der geliebten »Manoli« durch das Zimmer. Hanni saß in weiche Kissen eingekuschelt in dem bequemen Sessel, berichtete ihre Wahrnehmungen und nahm die Weisungen des »Meisters« entgegen.

Zu dieser Stunde hatte sie dann das unscheinbare Kleid der Dienenden abgestreift und sich in ihren faltigen Kimono eingehüllt, dessen mit Seide gestickte Blumen in dem Licht der Studierlampe matt glänzten.

Die übergeschlagenen Beine ließen durchbrochene Strümpfe sehen und das rote Samtpantöffelchen wippte bestätigend auf und nieder, wenn seine Trägerin einen Wink, einen Befehl ihres Gegenübers verstanden und für gut befunden hatte. Jetzt bedeutete ihr diese trauliche Stunde vor Mitternacht mehr, als eine ganze Nacht in einem raffinierten Weinrestaurant der Großstadt, in einer glänzenden Bar, wo die Paare sich in exotischen Tänzen umschlungen hielten.

Heute, am dritten Abend, hatte sie zwei Dinge auf dem Herzen.

Der eine Punkt betraf Genia. Sie klagte über deren Benehmen ihr gegenüber. Sie werde von dieser jungen Dame nicht nur schlecht, sondern mit einem Wort: verächtlich behandelt.

Cornelius war erstaunt, peinlich berührt. Er konnte diese Umwandlung nicht verstehen. Genia sei ihm doch nur als gebildetes, gutherziges Menschenkind bekannt. Er schüttelte den Kopf. Plötzlich aber sah er klar und holte tief Atem. Dies war, als Hanni ihm so nebenbei berichtete, daß sie am Nachmittag ihrer Ankunft ganz oben, auf der Plattform des Turmes, einen Feldstecher gefunden habe ... Cornelius kombinierte sehr richtig, daß dieser Feldstecher mit seinem kurzen Aufenthalt in dem herrschaftlichen Wagen und mit dem auch gegen ihn selbst veränderten Wesen Genias in Verbindung zu bringen sei.

Bei dieser Erkenntnis flog die erst halb gerauchte Zigarette mit einem jähen Ruck durch das geöffnete Fenster und er sah von diesem Augenblick an außerordentlich vergnügt und glücklich aus. Eine Veränderung, die die nichtsahnende Hanni nicht zu deuten vermochte.

Der andere Punkt aber war Bruno Kühenmann. Ueber den wollte Hanni näheres wissen. Er sei doch nicht so übel, wie es ihr zu Anfang vorgekommen. Er sei als Techniker wohl ganz tüchtig und strebsam. Daß sie mit diesem strebsamen Techniker am Nachmittag längere Zeit auf einer schmalen Bank hinter der Fohlenkoppel gesessen und zuerst widerstrebend, dann aufmerksamer zugehört hatte, wie vor ihren Augen zwar nicht Bauten aus Stein und Stahl, sondern ganz passabel erscheinende Luftschlösser aufgebaut wurden, verschwieg sie dem Doktor, der ihrer Versicherung nach doch »der Netteste« im ganzen Bau sei. Diese Versicherung klang aber nicht voll aufrichtig. Und der Doktor freute sich in seinem Inneren über diese Feststellung, obwohl sie für ihn nicht schmeichelhaft klang. Am Ende mußte doch jedes Töpfchen auf der Welt sein passendes Deckelchen finden ... Und die zierliche Artistin wäre seiner Meinung nach auch zu schade gewesen, um auf den Brettern einst als alternde, kaum mehr beachtete Soubrette zu enden.

*

Am vierten Tag seit Hannis Einzug auf Unzingen hatten sich die Dinge dahin geklärt:

Cornelius mied vor der »Oeffentlichkeit« das neue Stubenmädchen und machte der Tochter des Hauses auf Tod und Leben den Hof, was diese mit einem mißtrauischen Blick zuerst aufnahm, bald aber mit immer mehr gesteigertem Herzklopfen. Ob die Welt doch nicht ganz so grau war?

Bruno Kühenmann griff mit Energie zum Rasiermesser, trat seinem alten Vater mit Achtung, Ehrfurcht und Sittsamkeit entgegen, daß diesem vor Staunen öfters die kurze Pfeife ausging und die Knechte und Mägde sein Grollen immer seltener zu hören bekamen.

Neuling, der echte Berliner, sah plötzlich nur noch ein Heubündel in seiner Nähe. Aber auch das andere rückte erschrecklich schnell von ihm ab, so daß er einem alten Spruche getreu sich an die Schnäpse des Hausherrn zu halten begann.

Auch die von manchem im Hause schon lange erwartete Jagd, die richtige Jagd, fand endlich, an einem herrlichen Sommerabend statt. Mit der Flinte über der Schulter zogen Hintze, Cornelius und Neuling nach der »Schildkröte« hinüber. Genia hatte mit großer Beredsamkeit und Energie durchgesetzt, daß sie mit »von der Partie« sein durfte. Und mit klopfendem Herzen saß sie mäuschenstill hinter Cornelius auf dem Anstand. Als dann die kleine Gesellschaft um Mitternacht wieder den steilen Schloßberg hinaufstieg, die Rucksäcke schwer von der Jagdbeute, da war es ihr leicht, federleicht zu Mut. Denn der vor wenigen Tagen noch so gering geschätzte Gast hatte den Vogel abgeschossen: den so oft besprochenen Bock, dazu drei Hasen und einen mächtigen Fuchs hatte seine schnelle Kugel mit unfehlbarer Sicherheit zur Strecke gebracht. »Also doch kein »Blender«!« frohlockte Genia innerlich, »ich habe es doch gewußt!«

Das Ehepaar Hintze zog die Augenbrauen immer höher. Die so oft besprochene Bombe mußte jetzt aber in der nächsten Stunde, nein Minute, platzen.

Und Frau von Puttlitz begann aufzuatmen. Ob sie sich nicht doch geirrt habe? Wegen des »Familientäuschers« nämlich ...

Diese Entspannung der Luft auf der einen Seite schien auch dem »Geiste« nicht entgangen zu sein, wenn er auch merkwürdigerweise das Unwetter nicht beachtete, das sich von außen her, aus der Umgegend des Schlosses, auf dieses zuwälzte. Denn fünf Minuten vor Mitternacht, als Hanni sich gerade mit einem leichten Gähnen aus den gestickten Kissen im Zimmer ihres Doktors schälte und ihre Zigarette ausdrückte, vernahmen beide irgendwo im Hause ein polterndes Geräusch.

Mit einem Ruck fuhren ihre Köpfe herum und sie sahen sich bedeutsam in die Augen.

»Der Geist ist wieder da!« flüsterte Cornelius und legte den Zeigefinger auf seine Lippen.

»Endlich hat der Olle ausgestreikt und hat seine Tätigkeit wieder ausgenommen,« erwiderte Hanni und ballte angriffslustig die nervigen, kleinen Fäuste.

Wie zwei Diebe in der Nacht schlichen sie über den Gang, dem Turme zu. Hanni beherzt und ohne Zaudern einen Schritt voraus. Da war die Treppe ...

Mit einem schnellen Griff wollte Cornelius seine Begleiterin zurückziehen. Doch da war diese schon auf die knarrende unterste Stufe getreten. »Schade!« sagte Cornelius, denn in demselben Augenblick erlosch ein grünlicher Schimmer, der die Holzverschalung des Treppenhauses im Turm beleuchtet hatte.

»Was ist schade?« fragte Hanni und sah sich um.

»Daß Sie auf die Stufe getreten sind. Der Mann ist gewarnt worden. Wir werden zu spät kommen.«

Mit einigen Sätzen hastete er die Stufen hinauf, Hanni wie eine geschmeidige Katze hinterher.

Er sollte recht behalten. Die Tür des Turmzimmers war zu, verschlossen wie immer. Schnell öffnete Cornelius – kein Mensch befand sich in dem verstaubten, modrig riechenden Raum. Nur ein ganz, ganz leiser, kaum wahrnehmbarer Duft schwebte in der Lust.

»Ne englische Zigarette!« sagte Hanni und hob das Näschen.

»Sehr richtig! Sie riechen mehr, als »Hektor«,« lobte Cornelius, »bitte schnuppern Sie doch noch ein bischen weiter herum. Der Geist kann nicht durch die Luft geflogen sein ... irgendwo muß doch ein Loch, ein Spalt sein, das nicht gerade ein normaler Zimmermann geschaffen hat, sondern eher ein gerissener Vorfahre dieses ehrwürdigen Geschlechts derer von Puttlitz oder vielmehr Pottlitz, um streng historisch zu bleiben.«

Und Hanni schnupperte herum wie der feinst dressierte Polizeihund. Cornelius bekam tatsächlich Angst, daß das Näschen seiner Begleiterin bei dieser anstrengenden Tätigkeit seine Form verlieren möchte. Endlich richteten sie sich aus. Verstaubt, erhitzt, aber lachend.

»Ich kann nicht mehr!« bekannte die Artistin, »bisher dachte ich immer, meine Glanznummer, der Triple-Trick, sei das höchste der muskelknackenden Gefühle. Aber bei Ihnen, Herr Doktor, brauche ich wirklich keine Angst zu haben, außer Form zu kommen. Uff!«

»Uff! sage auch ich,« pflichtete er bei, »lassen wir für heute unser emsig Streben. Die Palme des Sieges hängt heute noch zu hoch. Aber morgen, da holen wir sie herunter. Und wenn sie an deiner mageren Nase selber hinge, verehrter alter Herr da drüben. Lächeln Sie nur nicht so spöttisch, ich habe schon mehr Würmer gezogen!«

Und mit dieser gräulichen Drohung zog Cornelius ab. Ein fester Händedruck, ein leises »Auf morgen!« und dann huschte ein seidengestickter Kimono eine dunkle Galerie entlang.

Ueber den nächsten Tag ist nicht viel zu berichten, das heißt solang es hell war. Nur kurz mag registriert werden, daß die verschiedentlichen persönlichen Beziehungen unter den Bewohnern des Hauses sich teils befestigten, teils immer deutlicher lösten in dem Sinne, wie es vom Vortage näher geschildert war.

Nur Hanni ging seit einem gewissen Ereignisse in der Küche, bei dem sie und eine andere Person die einzigen Akteure waren, mit einer tiefen Falte des Unmuts auf der weißen Stirn umher und suchte sichtlich nach einer Gelegenheit, um Cornelius ihr Herz über dieses Ereignis ausschütten zu können. Endlich nach dem Abendbrot, in einer flüchtigen Sekunde zwischen zwei Türen, gelang ihr dies.

»... das sollte ich auf Befragen bestätigen, hat das Scheusal von mir verlangt. Meine Vorgängerin sei nicht so albern und gierig gewesen,« schloß sie voller Empörung mit zornrotem Gesicht.

»Legen Sie's zu dem übrigen!« tröstete sie Cornelius, »an Ihre Ehre langt eine solche Zumutung nicht heran. Das Schuldkonto ist damit allerdings übergelaufen ...«

»Sein Schuldkonto? Ist er denn ...,« hastete sie zurück.

»Wer sonst?« seine grauen Augen funkelten, »doch genug für jetzt, man darf uns nicht zusammen sehen. Also wie verabredet: ein Viertel vor Mitternacht. Die Hilfstruppen sind gedungen ...«

*

Und ein Viertel vor Mitternacht bezog Cornelius wiederum den Posten, den er schon zweimal – bisher ohne Erfolg – eingenommen hatte: vor der Tür des Spukzimmers. In seiner Tasche steckte der kleine, handliche Revolver. Mit dem sollte der »Geist«, falls es nötig sein sollte, zur Ader gelassen werden.

Tief unten im Hause, dort, wo die Treppe in den kühlen Keller führte, standen die »Hilfstruppen«. Zwei an der Zahl, soweit sie zweibeinig waren. Ein junges, muskulöses Ding, deren Sehnen sich in der Erwartung anspannten, und das liebevoll einen derben Stock streichelte, den ihr der Gefährte in die Hand gedrückt hatte. Dieser hatte sich neben sie auf eine Holzbank gesetzt und trachtete danach, im Laufe des Lauschens und Wartens seiner Nachbarin mit Zielbewußtsein näher zu rücken.

Doch ein geflüstertes: »Bleiben Sie doch still sitzen, Herr Kühenmann. Da kann ich doch nicht aufpassen, wenn Sie immer so herumgeistern!« hielt ihn davon ab, den letzten Zwischenraum nach seiner Nachbarin mit einer zärtlichen Bewegung zu überbrücken.

Von zweibeinigen Hilfskräften hatten wir ausdrücklich gesprochen. Es war nämlich noch eine vierbeinige zur Stelle. Die gewaltige Dogge »Hektor« kauerte vor den beiden. Die Ohren gespitzt, die leuchtenden Augen auf die Treppe gerichtet und von Zeit zu Zeit ein leises »Miefen« ausstoßend, das die weibliche Hilfskraft mit einem energischen Fußtritt zum Schweigen brachte.

Als die Uhr im Hofe langsam und weitausholend die zwölfte Stunde schlug, vernahm Cornelius in dem Turmzimmer ein Geräusch. Es klang, als ob eine schwere, eiserne Tür sich in einer Angel drehe. Bei diesem Geräusche, über das er mit einem Kopfnicken quittierte, zog er sich zur Seite zurück und drückte sich möglichst eng an die Wand des Treppenhauses.

Dann wurde von innen ein Schlüssel in das Schloß der nach der Treppe führenden Tür gesteckt und diese vorsichtig geöffnet. Cornelius hielt den Atem an und griff nach seinem Revolver. Ein knirschender Laut wurde dicht vor ihm vernehmbar, den er sich aber nicht erklären konnte, und im nächsten Augenblicke floß ein grünliches, bleiches Licht aus dem Zimmer auf den Treppenabsatz heraus.

Nunmehr beugte sich der Späher vor und erblickte mit großen Augen folgendes Bild:

In dem Turmzimmer stand der alte Pottlitz. So, wie er im Bilde gemalt an der Wand hing. In dem goldenen Wams, den grünen Mantel nachlässig über die Schulter geworfen, an den Händen die alten, ledernen Stulpen. Das magere Gesicht glich in dem unsicheren, grünlichen Lichte beinahe auf jeden Zug dem des anderen, gemalten. Nur der spöttische Zug fehlte. Der war bei der »Erscheinung« ein verbissener, suchender. Und zu eifrigem Suchen beugte sich jetzt der »Geist« über die am Boden liegenden Pergamente, stieß sie dann mit einem halblauten, äußerst menschlichen Fluche mit dem Fuße bei Seite und riß hastig ein paar Folianten aus einem Regale, in denen er eifrig zu blättern begann. Wiederum nickte Cornelius draußen mit dem Kopfe. Mit einem Male stutzte er. Dann glitt ein Lächeln über seine Lippen, die er bis dahin fest aufeinander gepreßt hatte. Er hatte eine Entdeckung gemacht. Das Bild des alten, echten Pottlitz hing nicht mehr parallel mit der Wand wie vordem. Ein dunkler Spalt klaffte an der linken Seite. Und dieser Spalt sagte mit deutlicher Sprache: hier ist die gesuchte Tür, durch die die Erscheinung spurlos zu verschwinden pflegt!

Cornelius reckte sich hoch auf. Jetzt war die Zeit zum Handeln gekommen.

»Wollen Sie zur Abwechslung nicht mal eine Zigarette von mir nehmen, hochverehrter Herr von Pottlitz?« sagte er mit lauter Stimme und trat aus seinem Versteck heraus.

Der da drinnen fuhr wie vom Blitz getroffen in die Höhe und taumelte einen Schritt zurück. Sein Gesicht, auf dem Cornelius jetzt deutlich eine dicke Schicht Schminke erkannte, erblaßte trotz dieser. Er öffnete den Mund, als ob er einen Laut der Ueberraschung und des Entsetzens ausstoßen wollte. Doch schnell faßte er sich wieder. Ein häßliches Lachen kam aus seinem Munde, das aber wie aus weiter Ferne kommend zu Cornelius herausklang. Mit einer jähen Bewegung hob er die Hand und schüttelte die Faust gegen seinen Nachspürer.

»Hände hoch!« rief dieser entschlossen und zielte mit der Waffe.

»Genieren Sie sich ja nicht!« äffte der andere und riß das Bild zurück, hinter dem der verborgene Gang sichtbar wurde.

Dröhnend hallte der Schuß im Hause ...

Doch seltsam, unbegreiflich, die Kugel schlug, kaum daß sie den Lauf verlassen, mit hartem Klange gegen einen festen Gegenstand, der wie eine schützende Fläche den »Geist« von seinem Verfolger zu trennen schien, und rollte zu den Füßen des letzteren. In demselben Augenblicke erlosch in dem Zimmer das Licht und Cornelius stand im Dunkeln.

Verblüfft, betroffen, wie er es noch nie in seinem Leben gewesen. Hatte er wirklich ein Wesen aus einer anderen Welt gesehen? Was war das für ein unheimlicher Spuk, daß der andere, obwohl er ein Gebilde aus Fleisch und Blut zu sein schien, ja reden und sich bewegen konnte wie ein Mensch, doch unverletzlich war? Beseelten ihn überirdische Kräfte, die die auf ihn abgefeuerte Kugel in ihrem Laufe ablenkten und gegen den Schützen zurückspringen ließen?

Mit schwankenden Knieen stieg der sonst so entschlossene, furchtlose Mann die Stufen hinab. Mochte jetzt auch die unterste knarren und krachen. Er hatte nur das Bedürfnis nach Ruhe, Ueberlegung und auch Schlaf. Denn die Anspannung der letzten Zeit war wohl allzugroß gewesen.

Da kam ein flüchtiger Tritt den Gang entlang, ein schnelles, ängstliches Atmen. Schwach waren die Fließen von dem eben aufgegangenen Monde erhellt. Bevor er noch erkennen konnte, wer sich ihm näherte, hatte dieser andere ihn erkannt, denn mit einem gestammelten: »Woldemar ... bist du verletzt?« umfing ihn diese nächtliche neue Erscheinung mit weichen Armen, mit Armen, die zu der jüngsten Tochter des Hauses gehörten ...

Lassen wir in diesem Augenblicke den Vorhang über den folgenden Ereignissen auf dem oberen Korridor fallen!

Unten aber am Kellereingange hielten vier Fäuste eine Gestalt gepackt und ließen sie trotz alles Sträubens nicht mehr los. Wütend gab Hektar Laut und schlug in die dünnen Beine dieser Gestalt seine scharfen Zähne.

Und diese Gestalt benahm sich angesichts dieser dreifachen Attacke nicht sehr ritterlich, obwohl Wams, Mantel und Stulpenhandschuhe eines sehr alten, erlauchten Geschlechts sie zierten.

»Verdammt! Nehmt doch das Vieh weg!« rief eine den beiden Verfolgern sehr bekannte Stimme.

»Der Junior!« schrie Hanni und holte begeistert mit dem Knüppel aus, »nein, so 'ne Ueberraschung. Hier, mein Lieber! Wir haben ja von heute morgen her noch eine kleine Abrechnung miteinander. Das ist für die unverschämte Zumutung, ich solle bestätigen, daß Sie heute nacht in meinem Zimmer gewesen seien, damit Ihre Schliche nicht ans Tageslicht kommen. Und das ist dafür, daß Sie meinem Doktor so wehgetan haben, Sie feiger Schuft!«

Mehrmals sauste der Knüppel nieder Und ein handfester, gut ausgetrockneter Eichenknüppel ist immer eine bedenkliche Sache. Noch mehr aber, wenn ihn die kräftige Hand einer muskulösen Artistin schwingt. Daher fühlte Kühenmann nach einiger Zeit ein menschliches Rühren mit dem Verprügelten, dessen Schreien allmählich in ein Stöhnen übergegangen war, und erlöste ihn durch sanfte Ueberredung aus der Gewalt seiner Begleiterin.

Welche Ueberraschung und Entrüstung die Entlarvung des »Geistes« bei den übrigen Bewohnern des Hauses auslöste, die sich mehr oder weniger schnell – je nach der Tiefe ihres Schlafes oder nach der Leichtigkeit ihrer mitternächtigen Gewandung – in dem Treppenhause einfanden, brauchen wir im einzelnen wohl nicht näher zu schildern.

Auch mit einer anderen Tatsache hatte sich das Ehepaar Puttlitz zu so später Stunde noch abzufinden. Ihre jüngste Tochter versicherte nämlich mit Freudentränen im Auge, daß sie ohne einen gewissen Herrn nicht leben könne ...

»Hab ich dir nicht heute abend gesagt, Gischen, daß die Bombe es vor Platzen kaum mehr aushalten kann?« meinte der Hauptmann Hintze, als er sich wieder in seine Bettdecke einwickelte.

» Eine Bombe?« gähnte seine Ehehälfte, »soviel ich gesehen habe, sind's zwei gewesen!« sie dachte an ein anderes Paar, das während des erregten Durcheinanders der Familienmitglieder etwas weiter unten an der Kellertreppe sich zärtlich umschlungen gehalten hatte.

Und dann senkten sich wieder die Schleier der schweigenden Nacht über die stolzen Zinnen des Stammschlosses derer von Puttlitz ... des dermaßen gründlich von seinem »Geiste« gereinigten Schlosses zu Unzingen.

*


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