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2. Kapitel.

Drückend lag die pralle Mittagssonne auf der kleinen Bahnstation, als Dr. Cornelius den Berliner Zug verließ. Am liebsten wäre er sofort wieder in das immerhin schattige Abteil zurückgestiegen, so unerbittlich stachen jetzt die Strahlen auf ihn herab. Doch es half nichts, er mußte hinaus in die tropisch durchglühte Landschaft.

Hoffentlich ist der Wagen zur rechten Zeit gekommen! dachte er und sah sich seufzend um.

»Herr Doktor Cornelius?« klang da hinter ihm eine Stimme. Die Gestalt eines glattrasierten herrschaftlichen Dieners löste sich aus dem Schatten des Schutzdaches.

Der Angeredete ließ einen schnellen Blick über die Erscheinung des anderen gleiten. Guter Eindruck. Dunkelbraune Livré, wie angegossen. Stramme militärische Haltung. Den runden, lackierten Hut mit schwarz-weiß-roter Kokarde in der Hand.

»Karl – Sie heißen doch sicher Karl? Na also. Hier mein Gepäckschein, wenn Sie die Güte haben wollen – großer, grauer Koffer mit hellrotem Streifen.«

Die beiden Füchse griffen aus, als ob ihnen der Teufel im Nacken säße. Einen solchen Trab hatte der Fahrgast schon lange nicht mehr erlebt. Und wie der Kutscher die Kurven nahm! Der verstand etwas vom Fahren.

Dr. Cornelius beschloß, mit einigen anerkennenden Worten eine Unterhaltung anzuknüpfen. Er pflegte jedes Mittel zu benützen, um einem »Fall« zuleibe zu gehen. Dienstboten sind verschlossen und für gewöhnlich äußerst zurückhaltend gegenüber recherchierenden Personen, die in amtlicher Eigenschaft auftreten. Die Scheu vor dem Gericht spielt eine Rolle, die die Polizei und andere Untersuchungsführer sehr oft nicht genügend würdigen. Kutscher, Kammerdiener, Zimmermädchen, die von dem gestrengen Blicke eines nervösen, brillenbewaffneten Herrn durchbohrt, sich hinter ein »ich weiß gar nichts« oder »ich kann mich wirklich nicht entsinnen« zu verschanzen pflegen, können oft ganz reizend plaudern, wenn man sich auf ihre Stufe stellt, als Privatperson mit ihnen ein Schwätzchen anknüpft, ihnen irgendwie schmeichelt. Jeder Sterbliche hat einen Punkt, wo er zu fassen, eine Achillesferse, an der er zu verwunden ist ...

Dies waren so die Gedanken des Fahrgastes, den seine Freunde – post festum, wenn auch widerwillig, seine Feinde – als einen »mit allen Hunden Gehetzten« bezeichneten.

»Famose Gäule, die Ihr da habt,« sagte er zu dem kerzengerade vor ihm aufgerichteten Rücken. Nicht etwa: die Ihre Herrschaft hat, sondern »Ihr«. Das klang persönlicher, bezeichnete einen gewissen Anteil an dem Gespann, seiner Wartung und Führung.

Ein Schmunzeln war die erwartete Quittung. Der hochherrschaftliche Karl drehte sich sogar halb nach hinten, was vielleicht nur einmal im Jahre sich ereignen mochte.

»Fünfjährige aus Graditz, der Herr Hauptmann hat sie vor 3 Wochen selbst geholt.«

Auf Gäule hat Hintze sich immer verstanden, dachte der andere, hat auch einen Schwiegervater, der's kann! Der alte Puttlitz wurde auf mehrere Millionen geschätzt. Trotzdem konnte man seinem Schwiegersohne nicht den Vorwurf machen, daß er mit Vorbedacht und nüchterner Berechnung seine Frau gesucht hätte. Gisela von Puttlitz war damals ein reizendes, taufrisches Geschöpf. Die Photos, die der glückliche junge Ehemann dem Freunde im Unterstand beim Flackerscheine der Kerze strahlend gezeigt, bestätigten dies. Jedenfalls hat er das Angenehme mit dem Nützlichen vereint, meinten die Regimentskameraden.

»Da drüben beginnen unsere Felder!« Die ausgestreckte Peitsche wies auf eine goldgelb schimmernde Fläche Sommerweizen zur Linken, in die der sanft aufkommende Nachmittagswind weiche, wiegende Wellen hineinstreichelte. »Unsere« Felder, konstatierte Dr. Cornelius mit innerer Befriedigung; das Echo der vorhin von ihm angeschlagenen Saite kam zurück.

»Wie steht's denn mit der Ernte?«

»Raps, Ernte Ia. Winterweizen könnte besser sein, meint der gnädige Herr.«

»Sagen Sie mal, wie geht es denn jetzt dem Herrn Hauptmann? Ich hörte, er habe einen Unfall erlitten ...«

»Danke gehorsamst, es macht sich schon wieder.«

»Nanu! Doch noch nicht ganz in Ordnung? Da wird wohl nicht viel aus unserem Rehbock werden?« sagte Cornelius und beugte sich leicht vor.

»Ich glaube, der Herr Doktor werden insoweit zufrieden sein. Der Herr Hauptmann hat mich gestern abend schon wieder mit auf den Anstand genommen.«

»Sehr erfreulich!«

»Zu Befehl. Der Herr Hauptmann sagte, die Luft im Schlosse bekäme ihm nicht gut. Wir haben bis früh draußen gesessen.«

Da hat er recht, dachte der Fahrgast, einem so gewalttätigen »Schloßgespenst« weicht man am liebsten aus. »Wie ist das mit dem Unfalle eigentlich gewesen? Der Herr Hauptmann hat mir gar nichts darüber geschrieben.«

Der Kutscher zog die Zügel an. Es ging sowieso gerade bergan. Wieder drehte er sich herum. Diesmal aber nahm sein Gesicht einen wichtigen Ausdruck an, wie man ihn bei einfachen Leuten findet, die über besondere, außergewöhnliche Vorfälle zu berichten haben. Bevor er sprach, sah er sich aber mit einem scheuen Blicke um, wie um sich zu vergewissern, ob auch kein unberufener Lauscher in der Nähe sei.

»Herr Doktor müssen wissen: es spukt bei uns!«

Der andere lehnte sich zurück und brach in ein herzhaftes Gelächter aus.

»Was Sie nicht sagen! Es spukt, das ist ja köstlich!«

»So wahr ich hier sitze,« beteuerte Karl, »der Geist hat ihm sogar tüchtig vor den Kopf gehauen.«

»Und an solchen Unsinn glauben Sie?« Cornelius brannte sich eine Zigarette an.

Der auf dem Bocke zuckte beleidigt die breiten Schultern. »Glauben oder nicht glauben. Mein gnädiger Herr hat gestern gesagt: es gibt mehr Dinge, als ich mir auf der Schule an Weisheit geträumt habe.«

Wiederum lachte der andere. »Da, nehmen Sie! – Sie rauchen doch?«

»Zu Befehl. Danke gehorsamst!« Der Rücken des Kutschers straffte sich für einen Augenblick beängstigend, dann verschwand die dargebotene Zigarette unter dem lackierten Hut, dem Aufbewahrungsorte aller Rauchwaren, deren sofortige Vertilgung die Befangenheit oder Ehrfurcht verbietet – wenigstens bei Kutschern und Soldaten.

»Im Felde gewesen?« fragte Cornelius bei dieser Gedankenverbindung unvermittelt.

»Bis November.« Es klang wie ein halber Seufzer.

»Truppenteil?«

»Leichte Munitionskolonne. Zuletzt bei Reims.«

»Na, da haben Sie wohl fahren gelernt?!«

»Nich zu knapp,« grinste Karl geschmeichelt.

Wieder hörte der andere eine angeschlagene Saite klingen. Nun konnte er den Kreis um das Ziel enger ziehen. »Und wenn schon Geist oder Gespenst – wie war die Sache eigentlich?«

Der Kutscher setzte sich behaglich zurecht. Die Gäule lagen schwer in den Strängen und bedurften für die nächsten Minuten keiner besonderen Aufmerksamkeit.

»Viel is es ja nicht, was ich erzählen kann. War ja auch nicht dabei. Jedenfalls hörten wir vorgestern Nacht einen furchtbaren Schrei aus dem linken Flügel, wo der alte Turm draufgebaut ist. Geschrien aber hatte der Herr Hauptmann. Er blutete tüchtig am Kopfe, sah am nächsten Tage noch kreidebleich aus und sagte, der Schloßgeist habe ihn im Turmzimmer überfallen.«

»Sagte er, womit er geschlagen worden sei?«

Karl sann einen Augenblick nach. »Das weiß ich nicht mehr. Er meinte bloß, ich sei ein altes Kamel und solle ihn nicht so anglotzen. Nachher tat ihm »das alte Kamel« wohl leid, denn er gab mir eine Zigarre, klopfte mich auf die Schulter und sagte, wenn ich den Geist zu fassen kriegte, gäbe es mehr als einen bloßen Taler ...«

»Und Sie wollen sich die zwei Taler verdienen?«

Bestürzung mischte sich mit abergläubischer Furcht in dem glattrasierten Gesicht. »Ich? Nee, davon laß ich die Hände; mit Geistern is nicht gut Kirschen essen.«

»Wenn es aber gar kein Geist wäre?«

»Wieso?« Die grauen, runden Augen hingen erstaunt an dem Munde des anderen.

»Ich meine, richtige Geister können doch bloß flüstern oder winseln,« versetzte Cornelius ernsthaft; »wenn einer aber so wild um sich schlägt ...«

»Sagen Sie das nicht, Herr Doktor. Im Dorfe erzählen sie noch ganz andere Dinge. Und was meiner Großmutter einmal passiert ist ...«

»Lebt die alte Dame noch?«

»Die is schon lange tot.«

»Schade. Ich hätte sie gerne selbst gesprochen.«

Der Kutscher wurde unsicher. Foppte der Herr ihn etwa? Das Handpferd gab ihm willkommenen Anlaß, seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn zu richten.

Die Anhöhe war erreicht. Auf wenige Kilometer Entfernung tauchte Unzingen, das Reiseziel, auf. Das Schloß liegt am Ende eines langgestreckten Höhenrückens der Thüringer Berge. Von dort oben schweift der Blick des Beschauers über Felder und Waldparzellen wohl bis hinüber nach dem Kyffhäuser. Keine pfeifende, fauchende Eisenbahn durchschneidet das liebliche, fernab von der großen Heerstraße gelegene Tal. Nur der Silberstreifen eines schmalen Baches glitzert in der Sonne.

Eine halbe Stunde später zogen die Füchse schnaubend den Wagen den steilen Schloßberg hinan. Von Zeit zu Zeit warfen sie die zierlichen Köpfe hoch und ließen ein unterdrücktes Wiehern hören: der Stall war nahe!

Schwer mit Obst beladene Zweige hingen auf den schmalen Weg herab. Der Birnbaum da drüben bog sich förmlich unter der Last leicht getönter Früchte. Im Schatten des breiten Torweges, wo leise quakend eine Schar Enten um einen Tümpel herum paddelte, stand der lange Hintze. Er hob die Hand und lächelte dem Freunde entgegen, wobei sich sein schmales, ernstes Gesicht belebte.

»Willkommen auf Unzingen! Nun aber schnell ins Kühle!«

Die Pferde zogen ein letztes Mal kräftig an. Die Enten schrien gellend auf, ließen sich in den Tümpel plumpsen, und der Wagen donnerte in den gepflasterten Hof, dessen Wände ein schallendes Echo zurückwarfen.

Als die beiden Freunde Arm in Arm die Freitreppe hinaufschritten, kletterte Karl, der Kutscher, von seinem hohen Sitze. Betrachtete nachdenklich die Fesseln der ihm anvertrauten Vierhufer. Wollte sich hinter dem Ohre kratzen. Da schien ihm etwas einzufallen. Mit bedächtiger Miene nahm er den Schwarzlackierten von den kurzen Haaren und besah kritischen Auges etwas weißes, längliches, leicht durchschwitztes.

»Die Marke is jut!« murmelte er anerkennend.

Dann flammte ein Streichhölzchen auf.

Karl Engelke war mit sich und der Welt zufrieden ...

*


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