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7. Kapitel.

Wehte gestern abend bereits in diesem trotz der Massigkeit der Einrichtung behaglichen Raume eine heitere, freiere Luft als während der letzten Monate, so schwebten heute mittag lauter Frohsinn und geräuschvolle Heiterkeit zwischen den holzgetäfelten Wänden.

Die blanken Zinngeräte auf den langen Regalen blitzten heute noch einmal so hell und die grünen Kacheln des ungeheuren Ofens in der Ecke warfen die durch die gestickten Fenstervorhänge gedämpft hereinfallenden Sonnenstrahlen blinkend und wie vor lauter Wonne grinsend zurück.

Unverkennbar ging all diese belebende Kraft von einem Mittelpunkt der langen Tafel aus. Ein Mittelpunkt pflegt sonst immerhin eine bedeutsame Sache zu sein ... Ist aber ein siebzehnjähriges Geschöpf mit lachenden Augen und scherzendem Munde nicht stets eine bedeutsame Sache, zumal in der jetzigen Welt des Trübsinns und der Verzagtheit?

Diese Antwort glaubte Dr. Cornelius aus vollem Herzen geben zu können, wenn er, zur Linken eben dieses jungen, hübschen Geschöpfes, in unbeobachteten Augenblicken mit schnellen Blicken seine Tischnachbarin streifte.

Er hatte in seinem Leben schon viele blendende Frauenerscheinungen gesehen. Venus und Juno hatten in Menschengestalt nicht selten seinen Weg gekreuzt. Heute aber schienen Ceres und Eros zugleich an seiner Seite zu sitzen.

Ceres – die Göttin alles natürlichen Lebens, Wachsens und Gedeihens. Denn einen Kranz goldgelber Aehren hatte sich Genia in die lichten Haare gesteckt und ihre blauen Augen leuchteten wie die Blüten der Kornblume.

Eros – lachten nicht tausend Liebesgötter zugleich aus den Grübchen zu beiden Seiten des frischen, roten Mundes, wenn dieser sich scherzend öffnete, und zwei Reihen tadelloser, blitzender Zähne sehen ließ?

So schwelgte Dr. Cornelius zwischen Suppe und Braten in der alten Mythologie – soweit sie ihm aus der Schulzeit her noch geläufig war – und vergaß nicht, dem kühlen Rheinwein zuzusprechen, dessen Duft ihm aus dem dunkelgrünen Römer entgegenstieg. Denn gehörte nicht auch Bacchus in jene illüstre Gesellschaft?

Seine Tischnachbarin hatte sich bisher allerdings noch wenig um ihn und seine träumerischen Gedanken gekümmert. Sie unterhielt sich lebhaft nach der anderen Seite, wo sie in dem waschechten Berliner Neuling einen Gegenstand eifrigen Studiums und reichliche Gelegenheit zum Austausch des in den letzten Wochen mit Hingebung angenommenen Idioms gefunden hatte. Nur zu Beginn der Tafel war von ihr eine landläufige schmeichelhafte Redensart ihres Tischherrn mit einem gedehnten: »Wat Sie nich sagen!« erwidert worden.

Nun wandte sie aber mit einem energischen Ruck sich zu ihm herum und sagte mit einer gewissen Hast:

» Pater peccavi. Sollte ich Sie heute vormittag wissentlich oder unwissentlich verletzt haben, so bitte ich alleruntertänigst mir einen Deckelschoppen zu dedizieren.«

Cornelius lachte und neigte sich leicht zu ihr.

»Ich lege keinen Wert auf nur korrekte Beziehungen, gnädiges Fräulein. Im übrigen wüßte ich nicht ...«

»Na, mein Schwager hat mir den Kopf schön gewaschen. Es war schon beinah Justizmord, wie er mir zugesetzt hat. Menschenskindchen, Sie haben ja keene blasse Ahnung, wie er mir als Scheusal vor mir selber hinjemalt hat.«

Ihre blauen Augen senkten sich für eine Sekunde in die seinen. Sie blickten ernst und prüfend.

Der Besitzer der grauen Augen lächelte vergnügt vor sich hin.

Oben aber am anderen Ende der Tafel hatte das scharfe Ohr einer Mutter das Wort »Menschenskindchen« aufgefangen. Die Dame schob etwas irritiert das Messerbänkchen hin und her und sagte mit erhobener Stimme: »Eugenia. Ich hoffe, du unterhältst Herrn von Cornelius auch passend ...!«

Die Tochter hatte aber nur das eine Wort gehört. »Wat flüstert da ma chère maman vernehmlich über die janze Tafel herüber?« raunte sie Cornelius zu, »sin Sie wirklich ein »von«?«

»Ich kann wirklich nichts dafür,« versuchte sich der zu entschuldigen.

»Da haben Sie recht, Name is Schall und Rauch. Hauptsache is, daß ein Kerl dahinter steckt!« versicherte die junge Dame mit dem Brustton der Ueberzeugung, war aber doch vorsichtig genug, das Wort »Kerl« etwas gedämpft erklingen zu lassen.

So vernahm es wohl nur der gegenübersitzende Hintze. Er blickte schnell von seinem zarten Kalbsbraten auf, musterte das Pärchen kritisch und mußte eilig einen Schluck Wein nehmen, um ein Schmunzeln nicht allzu sichtbar werden zu lassen.

Aber auch Schwestern haben Ohren. Gisela tastete mit ihrem Fuße nach dem des Mannes, trat aber unter dem Tische fehl mit dem Erfolg, daß Genia außerordentlich verbindlich über den Tisch zu ihr äußerte:

»Mein Fräulein, wenn Sie mir lieben, sagen Sie mir's ruhig nachher im Jarten, aber machen Sie mir nicht die ...«

»Eugenia!« klang da noch eben zur rechten Zeit die Stimme der Mutter. Sie wurde aber abgelenkt, da der Hausherr sich erheblich verschluckt hatte.

»›Eugenia‹ hat sie gesagt,« murmelte die junge Dame, »jetzt heißt's fünf Minuten lang stille sein, sonst bricht's aus. Kennen wir.«

Unbefangen machte sie sich über ihren Teller her und ihr Tischherr konnte den glänzenden Appetit einer Siebzehnjährigen bewundern. Wenn er dabei feststellte, daß diesem Appetit ein paar runde Wangen entsprachen, die von Luft und Wind braun gebrannt waren, daß die schmalen, aber festen Unterarme, von denen die Aermel des mit kostbarer Stickerei besetzten weißen Kleides zurückfielen, von ebenderselben gesunden Farbe waren und daß zuletzt das bloße Hälschen eine reine, edle Linie aufwies – all diese Feststellungen konnte man ihm wirklich nicht übel nehmen.

Er vergaß bei dieser Betrachtung ganz den eigentlichen Zweck seines Aufenthaltes auf Unzingen, und Gedanken, die einen gräulichen, spukenden Schloßgeist in einen lieblichen, reizenden Hausgeist unbewußt umwandelten, zogen ihm durch den Kopf.

Der Gegenstand dieser Metamorphose führte ihn aber jäh in die Wirklichkeit zurück.

Genia hatte nämlich jetzt ihren Teller bis auf die letzte Krume gesäubert und schob ihn mit einem behaglichen Seufzer zurück. »So, das wäre jeschafft! Nach der Arbeit 's Vagnügen! Was denken Sie denn über unsere neueste Errungenschaft?«

Der Gefragte überlegte sich, was seine Dame wohl mit diesem Ausdruck meinen möge. Dachte sie an den Volontär? Doch dieser war wohl kaum als Errungenschaft zu bezeichnen, wenigstens nicht auf landwirtschaftlichem Gebiete. So sagte er denn höflich: »Wie befehlen, gnädiges Fräulein?« wie man so zu fragen pflegt, wenn man verdecken will, daß man nicht recht aufgepaßt hat.

»Nu, den alten Herrn da oben!«

»Ihren Herrn Vater?« wäre dem Ratlosen beinah entfahren. Er biß sich aber schnell auf die Zunge.

»Ne eigne Meinung scheinen Sie nich zu haben, bester Herr,« sagte sie etwas von oben herab, »so will ich Ihnen meine sagen: warum soll es in einem so alten Kasten denn nicht spuken. Ich habe wenigstens seit meinem ersten Milchzahn auf dieses Ereignis gewartet.«

Nun war Cornelius im Bilde. Er legte sein Besteck auf den Teller und räusperte sich vorläufig einmal.

»Sehr richtig!« bemerkte die junge Dame, »aber das ist nicht viel. Eine bescheidene Frage: glauben Sie noch an den Weihnachtsmann?«

»Hi!« machte der Volontär aus Berlin und beugte sich interessiert vor. Genia gab ihm aber ungeniert einen Stoß mit ihrem runden Ellbogen: »Sie sind jar nich jefragt, Landsmann, essen Sie erst mal Ihren Teller auf.« Neuling gehorchte schmunzelnd. Denn ein Stoß mit einem appetitlichen Ellbogen ist immer etwas Erfreuliches. Er spitzte aber sichtlich die Ohren, als er den Kopf über den Rest seines Kalbsbratens beugte.

So fühlte sich Cornelius beobachtet und meinte nachlässig: »Gott! spuken ist ja eigentlich nicht einmal mehr modern. Der Witzbold, denn nur ein solcher kann als »Geist« in Frage kommen, dünkt mir reichlich geschmacklos zu sein.«

»Und ich habe seit meinem ersten Milchzahn auf ihn gewartet,« sagte Genia bekümmert, »nun muß ihm Papa womöglich zum nächsten Ersten schon wieder kündigen.«

»Es gibt aber in der Gesindeordnung für Geister auch sofortige Kündigungsgründe,« spann Cornelius behaglich den Faden weiter.

»Kriegt denn der arme Jeist wenigstens sein Monatsjehalt weiter?« erkundigte sich Neuling interessiert, »oder kann er das Jeisterschiedsgericht anrufen?«

»Quatsch nich, Krause!« lehnte Genia eine weitere Debatte über diese Streitfrage ab und nahm dann Cornelius wieder ganz für sich in Anspruch. Diesmal aber sprach sie leiser.

»Sie meinten vorhin, da oben treibe ein »Witzbold« sein Spiel ...«

»Sehr richtig!« versetzte der Gefragte bestimmt.

»Na, denn kieken Se man bloß meinem Schwager seine Beule an, die sich übrigens ganz lieblich entwickelt hat seit Donnerstag, – das geht doch übern Spaß!«

Cornelius war genau derselben Ansicht, hütete sich aber, dies auszusprechen. Wozu sollte er auch das kleine Fräulein ängstigen?

»Die Herrschaften sollen damals eine sehr gute Pfirsichbowle getrunken haben ...«

»Ohne mich! Det jeht über de Hutschnur! Doch das bloß nebenbei. Glauben Sie wirklich, daß Curt von son bißchen Bowle mit 'm Kopp den Türpfosten vom Spukezimmer einrennen wollte ...?«

»Daß er es gewollt hat, nehme ich nicht an ...«

»Gewollt oder nicht gewollt. Jedenfalls ist mein holdes vis-à-vis für solche Mätzchen doch zu ausgepicht, 'n aktiver Offizier ... ich bitte Sie! Da müßte doch das Kasino in Bernstadt nich mehr stehen!«

»Vielleicht verträgt er jetzt wirklich nicht mehr so viel wie früher ...« versuchte Cornelius seinen angeblichen Standpunkt zu begründen.

»Sag' mal, Curtchen,« wandte sich da Genia mit ungedämpfter Stimme an den Hauptmann, »wieviel Liter Pfirsichbowle kannst du ohne zu schwanken hinter die Binde schütten?«

Aller Augen richteten sich bei dieser Frage auf Hintze, der halb verlegen, halb wütend über den Tisch blickte. Er begriff den Sinn dieser plötzlichen Inquisition nicht, außerdem befanden sich die beiden Engelkes im Zimmer.

»Aber Eugenia!« sagte Frau von Puttlitz wiederum und Engelke senior blickte verstohlen nach dem Hausherrn.

Unterdessen hatte Cornelius dem Freunde einen leisen Wink gegeben, und dieser Wink begleitet von einer flüchtigen Handbewegung über die Stirn, da, wo bei dem andern bis gestern der Verband gesessen, orientierte den Hauptmann. So lachte er herzhaft, wenn auch dieses Lachen gezwungen klang, und sagte:

»Du bist indiskret, liebe Schwägerin. Kleine Kinder brauchen nicht alles zu wissen.«

Mit einer triumphierenden Handbewegung wandte sich Genia wieder an ihren Tischherrn, vor Eifer ganz das »kleine Kind« überhörend.

»Sehen Sie, hab' ichs nicht gesagt! Ne tüchtige Naht verträgt er immer noch ...«

In diesem Augenblick hob Frau von Puttlitz die Tafel auf. Sie sah etwas verkniffen aus. So etwa wie ein Rennstallbesitzer, dessen bestes Pferd statt »Sieg« höchstens, allerhöchstens »Platz« gemacht hat.

»Sie müssen doch meine Tochter abscheulich finden, lieber Herr von Cornelius!« sagte sie leise zu diesem, als er sich über ihre Hand beugte.

»Aber ich bitte Sie, weshalb denn nur? Wir haben uns ganz prächtig unterhalten ...«

»Diese entsetzliche Sprache, die sie aus Berlin mitgebracht hat!«

»Wird sich sehr bald wieder verlieren, ich versichere Sie. Uebrigens ist mir dort der Dialekt bei Ihrem Fräulein Tochter ganz der Situation entsprechend vorgekommen,« lächelte er.

Die Augenbrauen seines Gegenübers hoben sich erstaunt. »Wie, Sie haben sich dort bereits kennen gelernt?«

Cornelius erzählte mit Behagen sein kleines Abenteuer am Wannsee. Er unterließ auch nicht, ein gewisses, grünseidenes Mützchen zu erwähnen, wenn er auch verschwieg, welche Rolle dieses Mützchen in seinem letzten Traume gespielt hatte.

»Ach, noch eins, gnädige Frau,« hielt Cornelius sie zurück. »Ihr Fräulein Tochter war in bester Gesellschaft ... ein junger Herr ...« er stockte verlegen, denn in demselben Augenblick war er sich seiner Indiskretion bewußt ... man konnte doch nicht wissen!

»Ach,« sagte die Hausfrau leichthin, »das war sicher der Sohn meiner Schwester, bei der Genia auf Besuch im Grunewald war. Ein sechzehnjähriger Junge.«

Die nähere Beschreibung stimmte. Und Cornelius atmete auf. Er wußte selbst nicht weshalb.

Aber dieses Aufatmen war dem Mutterauge nicht entgangen. Ihre abgeirrten Gedanken faßten wieder festen Fuß. Ob das kleine Füllen nicht doch noch »Sieg« machte? –

»Bitte bedienen Sie sich, meine Herren!« sagte im Jagdzimmer nebenan Puttlitz, »eine Tasse Mokka ... schwarz wie der Teufel, süß wie die Sünde und heiß wie die Hölle. Aber Genia, du rauchst ja! Ist das auch eine Errungenschaft aus Berlin?«

Die junge Dame hatte sich in einen Schaukelstuhl gesetzt und wippte, zwischen spitzen Fingern eine Zigarette haltend, träumerisch auf und nieder.

»Pöh!« sagte sie wegwerfend, »Errungenschaft? Ich habe viel nachzuholen, was ich bisher versäumt habe ...«

»Seit meinem ersten Milchzahn,« klang es von hinten in ihr Ohr. Irgend einer der Herren mußte sich da placiert haben. Vor Lachen verschluckte sie sich an dem Rauch.

»Ja, das Studium ist schwer, kleines Mädelchen!« meinte ihr Schwager mitleidig und goß sich ein Glas Kognak ein.

»Wer Sorgen hat, hat auch Likör!« versetzte sie schlagfertig und wollte noch mehr sagen, aber ihre Schwester umschlang sie und meinte ablenkend:

»Erzähl' doch ein bißchen aus Berlin, Kleines. Was habt ihr denn so den ganzen Tag angestellt?«

Und Genia erzählte. Von dem herrlichen, »pikfeinen« Grunewald und seinen Villen und Seen. Von Segelpartien, bei denen der fixe Vetter aber eine nicht allzubedeutende Rolle zu spielen schien, nur die eine Keilerei mit ihm gleich hinter Hundekehle sei wirklich »klotzig fein« gewesen.

Die Museen, in die die Tante sie hin und wieder geführt, wurden schneller erledigt. Nur der heilige Antonius von Murillo im Kaiser-Friedrich-Museum und der achthundert Jahr alte Goldschmuck der Kaiserin Gisela im Kunstgewerbemuseum erhielten auch in dieser Erzählung einen Stern.

Die lebende Gisela seufzte ein klein wenig, als die Schwester mit glänzenden Augen ihr die Pracht dieses Schmuckes schilderte.

Die Tauentzienstraße und ihr »Bummel« waren natürlich erheblich gewürdigt und frequentiert worden. Denn dieser Straßenzug ist es ja vor allem, den der Eingeborene aus Berlin W. seinen Gästen neuerdings vorzuführen pflegt.

Das Zuendeklingen des Gesprächs im Jagdzimmer war mit Rücksicht auf den anwesenden Besuch unterdessen in einigermaßen glatten, verbindlichen Formen zuwege gebracht worden.

Nachdem Frau von Puttlitz angedeutet hatte, daß man bis zur Teestunde Gelegenheit zu einem kleinen Schläfchen habe, zerstreute sich die Gesellschaft nach den verschiedensten Richtungen.

*


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