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8. Kapitel.

Cornelius beschloß, die Zeit zu nützen und endlich mit Energie die Erörterungen in Sachen »Schloßgespenst« aufzunehmen. Anstatt sich auf sein Zimmer zu begeben, nach dessen weichem Divan es ihn, wenn er ehrlich sein wollte, bei der Mittagshitze außerordentlich gelüstete, machte er vor der Tür eine energische Linksumkehrtwendung und schlich sich die Hintertreppe hinab. Er hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Vielmehr der Wirt, sein Gastgeber, streckte bereits behaglich brummend die gewaltigen Glieder in seinem Zimmer aus. Des Wirtes Töchterchen war es, das mit einem Mal am Fuß der Treppe vor dem Gast auftauchte und ihm den Weg versperrte.

»Mein hoher Herr?« lachte sie über das ganze, hübsche Gesicht, »wohin des Wegs? Mama hat doch im Tagesbefehl ausgegeben: jetzt wird jepennt! Oder wollen Sie fahnenflüchtig werden? Was sagen Sie übrigens dazu, habe ich die alten Herrschaften nicht fein muntergekitzelt? Muttchen wäre doch im Jagdzimmer beinah eingenickt ...«

Der über ihr stehende zog eine strenge Miene auf. »Sie sind wirklich ...«

»Behalten Sie's bei sich, ich kann mir schon denken, was Sie meinen. Als Tochter meiner Mutter frage ich Sie aber nunmehr ein zweites Mal: Wohin wollen Sie zu mittagschlafender Zeit hinschleichen? Denn Sie kamen wie einer mit einem ganz schlechten Gewissen um die Ecke. Und ein Gesicht haben Sie gemacht, na ... Schade, daß ich Ihnen keinen Spiegel in dem Momang vorhalten konnte.«

»Auskneifen wollte ich schon,« gestand reumütig vor so viel Energie und sicherem Blick der Ertappte, »aber nicht für immer. Daran hindert mich augenblicklich jedenfalls Ihre holde Gegenwart als Schlagbaum ...«

»Halt, wenn die Schranke jeschlossen ist. Bei Widerstand erfolgt Waffengewalt!«

»Und ich warne Neugierige!«

»Die Treppe dient dem Verkehr, aber nur gegen Lösegeld.« Zwei runde Arme breiteten sich aus.

»Eine Schachtel Pralinés?« Was er eigentlich dachte, konnte er doch nicht gut verlangen.

»Bon, oder vielmehr: Bongbong,« die Arme sanken sehr schnell herab und Cornelius war frei.

Frei? Wiederum hatte er sich verrechnet.

»Nun müssen Sie mir aber auch sagen, was Sie vorhaben!«

»Nun, so 'n bißchen spazieren gehen.«

»Ich gehe mit.«

Da war nichts zu machen.

»Hinten im Garten haben wir feine Karnickel. Dann müssen Sie Papas Rosen bewundern. Nein, die zeigt er Ihnen lieber selber. Er ist nämlich etwas eigen, der alte Herr. Dann gehen wir in die Kapelle, da ist's himmlisch kühl. Uebrigens, um auf unseren Ahnherrn zurückzukommen, wissen Sie, den, der in Oel im Spukzimmer hängt, der ist auch in der Kapelle ...«

»Auch in Oel?«

»Nein, bloß Grabstein und schon etwas abgetreten.

Gisa und ich sind ihm nämlich als Gören immer beim Spielen auf der Nase rumgesprungen. Man sieht aber immer noch deutlich, daß sie früher einmal furchtbar lang gewesen sein muß.«

Unter solchem Geplauder hängte sie sich ungeniert in den Arm des Gastes ein. Aeußerst angenehm durchrieselte es bei dieser leichten Berührung jenen, und er hatte Not, bei diesem Rundgange seinen Kopf klar zu behalten und seinen Auftrag nicht aus den Augen zu lassen.

So besichtigte man die feinen Karnickel, ging ehrfurchtsvoll, aber schweigend an den Rosen des alten Herrn vorüber, fand, daß die Nase des Ahnherrn immer noch genügend lang war, um ihre frühere Form festzustellen. Dann sagte die kleine Führerin mit Stolz: »Jetzt die Ställe! Das heißt, wenn Sie's noch nicht dicke haben?«

Cornelius versicherte hastig das Gegenteil, wobei er wohl den runden Arm etwas zu begeistert gedrückt haben mochte, denn seine Dame löste sich kurzer Hand und sprang leichtfüßig ihm voran in den Pferdestall.

»Lassen Sie doch die alten dummen Geschirre!« drängte sie nach einiger Zeit, »gefallen Ihnen unsere Rösser selbst denn gar nicht?«

»Außerordentlich!« versicherte Cornelius etwas geistesabwesend, und hängte einen Herrnsattel wieder auf das Gerüst zurück, den er eingehend in Augenschein genommen.

»Hu! Was machen Sie denn für ein finsteres Gesicht?« fragte sie, als sie vor einem mächtigen Rappen standen, »sehr richtig, der Gaul ist liederlich gestriegelt!« und mit heller, gebieterischer Stimme rief sie durch den Stall: »Junior, kommen Sie mal aus Ihrer Kabuse da hinten raus und sehen Sie sich Ihr Werk an! Ist das etwa saubere Arbeit? Pfui Deibel, da kann ich es ja besser!«

Und bevor es die beiden Männer verhindern konnten, hatte sie das Tier zur Seite gedrängt, nach dem an der Wand hängenden Striegel gegriffen und fuhr nunmehr mit energischen Strichen über das glänzende Fell des Rappen, wo etwas wie eine kleine Druckstelle sichtbar war. »Uff!« sagte sie dann, »das hat nach dem fetten Essen wohlgetan. Ja, wenn man nicht hin und wieder selbst nach dem Rechten sehen würde, da ginge die ganze Wirtschaft schnell in Dreck – Verzeihung – in Gant.«

Auf dem sonnendurchglühten Hof blieb ihr Begleiter stehen.

»Gnädiges Fräulein, ich bewundere Sie!«

»Quatsch!« sagte sie kurz und energisch, und vielleicht hatte sie recht, denn man soll mittags zwei Uhr auf einem Gutshofe unter senkrechten Sonnenstrahlen keine Komplimente sagen, auch wenn sie aus vollem Herzen kommen.

Etwas mußte Cornelius aber doch noch sagen.

Er zog den Hut in die Stirn und meinte mit leichter Betonung: »Die Druckstelle, die Sie soeben im Schweiße Ihres Angesichts – jetzt muß ich das Wörtchen: Verzeihung! einschalten – zu beseitigen suchten, stammt von meinem Unfalle heute morgen her ... Wenn Sie auch diese kleine sichtbare Erinnerung daran verwischt haben. Die Druckstelle in meinem Inneren ...«

Sie blickte schnell auf. »Oh, haben Sie wirklich noch Schmerzen?«

»So meinte ich es nicht.« Er tauchte seine Augen in die vor ihm stehenden blauen Lichter, die einen ehrlichen Schein des Mitleids und der Sorge auf dem Untergrunde aufwiesen, »der Unfall hätte mir leicht das Leben kosten können ...«

Die blauen Lichter wurden mit einem Male dunkel, und das feine Gesichtchen erblaßte jäh trotz der braunen Farbe, die wie ein Schimmer darüber lag. Genia versuchte etwas zu sagen, brachte aber in ihrer Bestürzung kein Wort heraus.

»Sie versuchten, unbewußt mir einen Gefallen zu erweisen, als sie sich mit dem Striegel bewaffneten, darf ich Sie bitten, auch noch ein weiteres zu tun ...?«

»Sie dürfen ...« sagte sie langsam und wie aus einem Traume erwachend mit gesenkten Lidern.

»Doch treten wir unter dieses Dach, ich fürchte, es wird uns hier zu heiß, wenigstens mir,« setzte er hinzu.

»Sehen Sie mal, mein liebes gnädiges Fräulein, ich bin zwar, wie Sie wissen, als Jagdgast hier zu Besuch. Aber weshalb sollte ich meine Zeit nicht so nebenbei damit ausfüllen, dem Schloßgespenste ein bißchen nachzuspüren?«

Bei diesem Worte war sie wieder ganz die alte.

»Ei fein! M W M W, machen wir mit Wonne!«

»Hat er doch Ihren Schwager, meinen besten Freund, nicht unerheblich verletzt!«

»Der gemeine Kerl, ich meine den Geist natürlich. Aber wie, was und wo?« sie zappelte förmlich vor Eifer und Unternehmungslust, war aber dann ziemlich enttäuscht, als Cornelius ihr auseinandersetzte, daß die Hauptarbeit er als Mann allein machen müsse.

»Wenn Sie aber Lust haben, mir bei einigen Details hin und wieder zur Hand zu gehen ...«

»Lust is gar keen Ausdruck!«

»Denn Curt ist als der Verletzte doch immerhin befangen ...«

»Soll hübsch bei seiner Gisa bleiben und sich den wunden Kopf von ihr kühlen lassen. Wir drehen das Ding alleine!«

»Also, wie gesagt: nur Details, und da, wo es ungefährlich ist,« mahnte Cornelius

»Bange machen gilt nicht! Ich kann auch zuhauen!« Ein paar winzige braune Fäuste tauchten vor seinen Augen auf.

»Davon bin ich fest überzeugt. Ich würde es nur nicht gern sehen, wenn Sie etwa auch so ein häßliches Mal auf die Stirn bekämen. Denken Sie einmal, eine breite, rote Narbe, die man immer sieht!«

Etwas verblüfft fuhr eine Mädchenhand über das glatte, weiche Gesicht, eine Hand, der zwei graue Augen aufmerksam und interessiert folgten. Dann sagte sie seufzend: »Das wäre vielleicht doch schade, nicht? Da machen Sie lieber den forschen Kram und ich mime so 'n bißchen weiter rückwärts herum.«

»Einverstanden!«

»Topp, hier haben Sie meine biedere Rechte – Verschwörer!«

Mit dir könnte ich die Welt aus den Angeln heben, du goldiges Ding du! dachte der Verschwörer bei sich, weshalb sollte es mir da nicht gelingen, einen Schloßgeist zur Strecke zu bringen?!

Eine Minute später schlichen jetzt beide über die Hintertreppe. Genia mit brennenden Wangen und funkelnden Augen, ganz von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe durchdrungen. Cornelius mit leichtem, frohem Herzen.

Das ganze Haus mit seinen weitläufigen Gängen, Nischen und Treppen lag in tiefstem Frieden da. Nur aus der Küche im Erdgeschoß drang gedämpft leises Tellergeklapper herauf. Man war wohl mit dem »Abwasch« beschäftigt.

»Was haben Sie denn mit mir für große, geheimnisvolle Dinge vor?« fragte Genia ihren Führer, der leise auftretend bis in das oberste Stockwerk stieg.

Er legte den Finger auf den Mund und bedeutete ihr, ebenfalls jedes Geräusch zu vermeiden.

»Famos!« flüsterte sie begeistert, »wie die Sioux auf dem Kriegspfade. Mein »großer Bruder« hätte aber die gestickten Mokassins anziehen sollen, seine Schuhe klingen recht unbezahlt. Die Haut der Bleichgesichter, aus denen sie gefertigt sind, ist wohl schlecht gebeizt?«

»Die zierliche Heideblume soll ihre braune Hand vor den geschwätzigen Mund legen, der so rot ist wie die untergehende Sonne!« gab er ebenso zurück und legte sein Gesicht krampfhaft in die ehrfurchtgebietenden Züge des großen Mohikaners.

»Hug! wir sind da,« sagte er am Fuße der nach dem Turm führenden Treppe und verfiel wieder in seinen natürlichen Ton, »ich will jetzt etwas ausprobieren«.

Er wies Genia an, nacheinander alle Türen des obersten Stockwerkes kurz zu öffnen und wieder zu schließen. Wenn er leise pfeife, solle sie sich die betreffende Tür genau merken.

»Wenn ich auch nicht weiß, was Sie damit bezwecken, so will ich Ihnen doch gern das Vergnügen machen. Wenn mir aber aus Curts Zimmer etwas an den Kopf fliegt, so tragen Sie die Verantwortung. Er ist zwischen zwei und vier Uhr nicht der Liebenswürdigste. Sein Schlaf ist nämlich irgendwo mal heilig gesprochen worden.«

»Ich machte Sie ja unten schon darauf aufmerksam, daß unser Abenteuer nicht ohne Gefahr sein würde,« lächelte er.

»Die Heideblume lechzt nach Blut! – Nach welcher Richtung hin soll ich übrigens mein Ohr spitzen, damit ich Ihren Pfiff auch höre?«

»Nach hier oben,« erwiderte er und machte einen langen Schritt über die erste Stufe. Das war die, welche immer knarrte.

»Hu! Also mittenmang ins Kriegsgebiet. Denn man zu und gute Luft!« Sie drehte sich um ihre Achse und faßte die Reihe der Türen scharf ins Auge, erwägend, auf welche sie sich zuerst stürzen solle.

Cornelius stieg schnell die Stufen hoch bis zu dem berüchtigten Turmzimmer. Vor diesem ließ er sich in genau derselben Stellung nieder, in der er in der vergangenen Nacht längere Zeit verharrt und in der er jenen kühlen Luftzug wahrgenommen hatte. Das jetzige Unternehmen, zu dem er das junge Mädchen hinzugezogen hatte, sollte dazu dienen, die Tür unten ausfindig zu machen, die zu mitternächtiger Stunde jemand geöffnet haben mußte. Ein Jemand, der leise und vorsichtig im Obergeschoß herumschlich und der deshalb immerhin verdächtig war.

Er schloß die Augen, um sich möglichst von der Außenwelt abzusondern und um seine Sinne auf das höchste anzuspannen. In dieser Lage, wo er eher einem in sanftem Schlummer Versunkenen, als dem »großen« Privatdetektiv – von dem auf dem Kriegspfad befindlichen Mohikaner ganz zu schweigen! – glich, vernahmen zunächst seine Ohren verschiedenerlei. Das kleine Fräulein schien unten eifrigst an der Arbeit zu sein. Er hörte knarrende, winselnde und quietschende Türen. Familie Engelke könnte auch einmal wieder die Angeln nachsehen! sagte er vor sich hin. Auf einmal wurde eine dieser Türen jäh ins Schloß geworfen und man hörte einen harten Gegenstand auf den Korridor poltern. Ein Poltern, dem ein unterdrücktes Kichern folgte. Aha! das war Curts Gemach oder besser Curts Geschoß ... schmunzelte er. Seine Gehilfin kannte ihre Pappenheimer.

Jetzt aber riß er die Augen auf und vergaß in der Ueberraschung ganz das verabredete Zeichen. Ein ganz unverkennbarer Luftzug war an ihm vorbeigestrichen, noch viel merklicher, als in der Nacht zuvor. Es mußte also doch eine Türe da unten geöffnet worden sein, wo ... Schnell riß er sich zusammen, beugte sich über das Geländer, spitzte die Lippen, die wohl von der Hitze des Tages etwas trocken geworden sein mußten, und gab einen säuselnden Ton von sich, den ein wohlwollender Zuhörer immerhin noch als so etwas wie pfeifen bezeichnet hätte.

Die Kritik folgte auch sofort auf dem Fuße nach, sie war aber nicht sehr wohlwollend. Denn Genia wippte sich fröhlich auf der quietschenden untersten Treppenstufe und meinte vorwurfsvoll:

»Det nennen Sie wohl Pfeifen? Als unsere gescheckte Katze Junge kriegte, die haben's besser gekonnt ...«

Cornelius war aber nicht in der Stimmung, jetzt mit dem Nachwuchs der gescheckten Katze konkurrieren zu wollen, denn er führte die junge Dame sanft, aber nachdrücklich von der quietschenden Stufe herab und sagte kurz: »Lassen Sie die Hauszoologie, Verehrteste. Welche Tür haben Sie zuletzt geöffnet?«

Genia machte ob dieses energischen Tones große Augen und führte ihn nach dem Ende des Ganges, wobei sie auf dem Wege mit der Fußspitze verächtlich einen Gegenstand bei Seite stieß, der sich bei näherer Betrachtung als ein Hausschuh ihres in seiner Ruhe gestörten Schwagers erwies.

»Hier war es, mein hoher Herr ...«

»Hier?« Cornelius starrte verwundert und höchst betroffen auf – die Tür seines eigenen Zimmers.

»Ja, nu machen Se ein Jesicht, wie die Katze, wenn's donnert,« sie schien von den Katzen nicht loskommen zu können, »eigentlich schickt es sich wohl nicht, daß man bei fremden Herren in's Zimmer guckt, aber einmal hatte ich ja Ihren heiligen Befehl, alle Kabusen restlos zu öffnen ...«

»Ja, ja,« sagte er ungeduldig und strich sich mehrmals in tiefem Nachdenken über das Kinn.

»Wenn Sie sich jetzt rasieren wollen, bin ich wohl entlassen?« erklang vor ihm eine spöttische Stimme und Genia huschte mit flüchtigem Nicken ihres blonden Kopfes in das Halbdunkel des Treppenhauses.

Er aber drückte mit fester Hand die Klinke seines Zimmers nieder und eine tiefe, scharfe Falte stand mitten auf seiner Stirn.

Spähend blickte er in alle Ecken, als ob er irgend etwas suche, schritt schnell zum Fenster, aus dem er sich weit hinaus beugte. Dann warf er mit hastigen Bewegungen den Inhalt seiner Koffer, die übrigens stets, auch im Hause seines besten Freundes, wohlverschlossen abgestellt waren, durcheinander. Zuletzt ließ er sich mit einem tiefen Seufzer in einem bequemen Stuhle nieder, schob sich ein gesticktes Kissen in den Rücken, nicht ohne das bunte Muster mit einer gewissen Rührung betrachtet zu haben, brannte sich eine Zigarette an und zog das Fazit der letzten 24 Stunden.

Da war immerhin verschiedenes zu registrieren. Nummero eins: die Tatsache, daß die einfacheren Leute hier oben in ihrem Aberglauben an einen richtigen »Geist« glaubten – Beweis: Berichterstatter Engelke junior – und sich davon nicht einmal durch die doch sehr irdische und handgreifliche Verwundung des Hauptmanns abbringen ließen.

Nummero zwei: eben diese Verwundung widerlegte aber Nummero eins auf das Bestimmteste. Der Geist war also ein recht derb zufassender Mensch mit sicher bestimmten Absichten.

Nummero drei: ein Witzbold? Der Schlag ging doch über die Grenzen eines Scherzes hinaus. Mithin ein Verbrechen oder die Absicht eines solchen.

Damit schied der Volontär aus, an den Cornelius zunächst gedacht hatte.

Nummero vier: der gerissene Steigbügelriemen. Es war nicht schlechtes Kriegsmaterial. Sondern das scharfe Auge des Gestürzten hatte sofort gesehen, daß der kleine Metallbügel, an dem der Bügelriemen befestigt gewesen, mit einer Feile angesägt worden sein mußte! War dies unmittelbar vor dem Ausritte geschehen, so trachtete der Täter zweifellos danach, ihn für kürzere oder längere Zeit unschädlich zu machen. Da aber in dem Stalle verschiedene Personen freien Zutritt zu dem Zaumzeuge hatten, so spaltete sich der Verdacht sofort wieder nach verschiedenen Richtungen. Wenn es allerdings gelingen würde, eine solche Feile bei jemandem zu finden ...!

Nummero fünf: um Mitternacht, zur selben Zeit also, wo Cornelius vor dem Turmzimmer auf Wache gelegen hatte, war jemand in seinem Zimmer gewesen, das er unvorsichtiger Weise nicht verschlossen hatte. Nun standen aber seine Schuhe vor der Tür! Der Unbekannte mußte daraus doch eigentlich schließen, daß ihr Besitzer sich in dem Zimmer befand! Wenn seine Absicht aber gewesen wäre, sich dessen zu vergewissern?! Wer im Hause konnte daran ein Interesse haben? Hintze, der ihn noch einmal sprechen wollte? Kaum wahrscheinlich, denn der Hauptmann pflegte – er glaubte ihn wenigstens in dieser Hinsicht genau zu kennen – sich nicht noch einmal zu erheben, wenn er seine langen Glieder zur Ruhe ausgestreckt hatte ...

Der Geist war in der vergangenen Nacht nicht »erschienen«. Hing dies etwa damit zusammen, daß er, Cornelius, dort oben auf der Lauer lag und daß der Darsteller des Geistes dies aus seiner Abwesenheit im Zimmer schloß? Dann aber – und bei diesem Gedanken warf er die Zigarette mit einer jähen Handbewegung zum offenen Fenster hinaus – dann wußte der andere, weshalb Cornelius sich auf Unzingen aufhielt!

Und der am nächsten Morgen auf seine Person mit Hilfe des angesägten Steigbügels gemünzte Anschlag ging von diesem »Geist« und von keinem anderen aus!

»Verflucht!« brummte Cornelius ärgerlich vor sich hin, »wenn dem wirklich so wäre – das gibt einen Krieg bis auf's Messer. Der Gegner hat einen Vorsprung, da heißt es aufholen!«

Wenige Minuten später dröhnte der dumpfe Schall des Gongs durch das Haus. Man lud zum Tee ...

*

Der Nachmittag verlief ohne besondere Ereignisse.

Genia schien ihrem »Mohikaner« zu schmollen und tauschte mit dem »Landsmann« aus Berlin, dem vergnügten Volontär, eine Sturmflut schnoddriger Bemerkungen aus, die bei der Mutter ein kaum unterbrochenes Kopfschütteln und viele »aber Eugenias« hervorrief. Auch der Hauptmann hatte die junge Dame sichtlich auf die »schwarze Liste« gesetzt, denn er beschäftigte sich mehr als sonst mit seiner anmutigen jungen Frau und ließ hin und wieder Bemerkungen fallen wie: »ich bin doch furchtbar froh, daß Gisela so netten Umgang in ihrer Pension gefunden hat, weißt du, Woldemar, in der Schweizer Pension, wo auch das ruppigste Gör, zu einem »Engel« will ich nicht gerade sagen, aber doch zu einem brauchbaren Mitgliede der menschlichen Gesellschaft wird«. Daß die Schwägerin ihm hinter der Hand die rote Zunge zeigte, schien er mit Hartnäckigkeit zu übersehen. Und das ärgerte die Besitzerin dieser Zunge sehr. Ueberhaupt fühlte sie sich heute unglücklich, jawohl, sehr unglücklich und ließ von Zeit zu Zeit einen schmerzlichen Seufzer hören, was ihren Schwager zu der häßlichen Bemerkung veranlaßte: »Kindchen, du wirst dich doch beim Abendbrot nicht übernommen haben?« »Hab dich nich!« war die schnelle Entgegnung und Genia drehte ihm resolut den Rücken.

Dann zappelte sie, nervös tuend, mit den Händen und erklärte:

»Kinder, wer kommt noch ein bißchen mit, frische Luft schnappen? Ich halt's in dieser Treibhausatmosphäre nicht mehr aus ...«

Die »Jugend« erklärte sich sofort bereit, einen Gang um das Schloß zu machen, das heißt Neuling sowie Cornelius. Der Hauptmann nebst Gattin sahen sich fragend an und meinten dann, sie fühlten sich in der Luft hier oben ganz wohl, außerdem seien sie zu müde.

Frau von Puttlitz war mit dieser Lösung einverstanden. Sie dachte wohl, daß sie und das junge Ehepaar höchstens hinderlich sein würden bei diesem Rundgange, der in ihren mütterlichen Augen als kleines Vorgaberennen zwischen den beiden Junggesellen um einen gewissen Preis erschien. Ein Vorgaberennen, bei dem die gesicherte Position und das reifere Alter des einen Startenden die in ihre Erwägungen selbstverständliche Vorgabe war.

Und diesem Gedanken folgend, denn die Gedanken von Müttern mit heiratsfähigen Töchtern bewegen sich nun einmal in gerader Linie, meinte sie, nachdem sich die Tür hinter den dreien geschlossen hatte, zu ihrem Gatten:

»Nun, Kuno, wie gefällt dir eigentlich dieser Herr von Cornelius?«

»Einfach Cornelius,« verbesserte der Gefragte und blinzelte seine Ehehälfte an, »du hast es doch von ihm selbst gehört, daß er nicht mehr beansprucht ...«

»Na ja, das mag so eine kleine Marotte sein. Ich nenne ihn jedenfalls so. Außerdem ist er augenblicklich nicht zugegen. Also, wie gefällt er dir?«

»Gut.« Der Hausherr brannte sich umständlich eine Zigarre an. Sein Schwiegersohn betrachtete ihn aufmerksam und das schien er zu fühlen.

»Gut? Das klingt ja recht nach III a ...!«

»Wenn er während seines Hierseins nicht allzuviel Böcke schießt, gebe ich ihm bei seinem Abzuge II b, vielleicht auch noch besser.« Der Antwortende wechselte mit Hintze einen lächelnden Blick des geheimen Einverständnisses.

»Papa hat ganz recht,« fiel der andere Verschwörer ein, »das kommt ganz auf die Strecke an.«

Frau von Puttlitz war etwas ärgerlich. Daß die Herren so einseitig sein konnten! »Laßt doch endlich mal eure ewigen Jagdgeschichten. Einer ist als Jagdgast nebenbei auch doch noch Mensch. Und nach deiner Meinung über diesen wollte ich dich fragen.«

»Als Mensch? Na, da wollen wir einmal scharf nachdenken. Zunächst habe ich den Eindruck, daß dieser Herr Cornelius sich ganz propper anzieht ...«

»Das sind Aeußerlichkeiten. Außerdem Verdienst des Schneiders. Auch ein reich gewordener Schieber oder ein Hochstapler kann sich den leisten. Ich meine das Auftreten, das ganze Sichgeben ...«

»Mit dem Messer ißt er, glaube ich, nicht. Wenigstens habe ich noch nichts davon gemerkt ...«

»Kuno!«

»Ich bin schon wieder ganz artig, Muttchen. Denn zur Sache! Beruhige dich, der Herr sieht nicht nur ganz gut aus, er geriert sich auch passabel, wenigstens für meine bescheidenen Ansprüche. Macht den Eindruck von dem, was wir früher einen »Gardeassessor« nannten.«

»Papa hat nun mal ein Faible für Monokel,« bemerkte Hintze, erhielt aber einen Seitenblick von seiner Schwiegermutter, der es ihm ratsam erscheinen ließ, sich vorläufig nicht weiter an der Debatte zu beteiligen. In Ermangelung sonstiger Betätigung streichelte er mit Hingebung den Unterarm seiner jungen Frau, die mit behaglichem Lächeln sich in ihren Stuhl lehnte, und flüsterte ihr zu: »Mama ist doch gottvoll in ihrem »Bohren«. Ich ahne stark, wo sie hinaus will.« Gisela, die ihre Mutter kannte, zog ihn am Ohr: »Auch schon gemerkt? Ich gratuliere!«

»Wenn ich das Wort nicht haßte,« nahm Herr von Puttlitz wieder das Wort, »so würde ich deinen Günstling sogar einen »perfekten Gentleman« nennen.«

»Du bist immer gleich so plump. »Günstling«! Wie häßlich dies klingt ...!«

»Verzeihung. Ich stelle nur ein gewisses Interesse damit fest. Willst du dieses etwa leugnen?«

Hierauf brach Frau Irma die Unterhaltung ab und ließ den Teetisch abräumen.

Unterdessen waren die beiden »Rennpferde«, um bei diesem Bilde zu bleiben, nach Fallen des Startbandes – will sagen: nach Schließen der Tür des Jagdzimmers – das dröhnende Treppenhaus hinabgepoltert und suchten den »Siegespreis«, ein leichtfüßiges junges Ding, das jetzt über die Diele des Erdgeschosses durch die Haustür, über die Freitreppe in den Hof sprang, einzuholen.

Mitten auf diesem Hofe blieb Genia stehen. Nachlässig blickte sie über die Schulter zurück.

»Wenn Sie mir jetzt folgen wollen, meine Herren, der eine bitte rechts, der andere links ... ja so, etwas den Schritt verhalten ... nicht so vordrängeln, Herr Neuling! Sie wissen doch, der Adjutant muß stets einen halben Schritt hinter seinem Vorgesetzten zurückbleiben, wenn Parade abgenommen wird. Und diese Pflicht liegt mir jetzt ob, bevor wir uns ins Vergnügen stürzen können.«

Gehorsam nahmen die beiden Trabanten ihre anbefohlenen Stellungen ein und Genia nahm »Parade« ab.

Diese bestand darin, daß sie mit halbgeschlossenen Augen und äußerst kritischem Gesichtsausdrucke die in eine lange Reihe aufgefahrenen Wagen des Gutshofes auf »Richtung« prüfte. Der Hofmeister wurde als »Etatsmäßiger« zugezogen. Mit unverkennbarem Schmunzeln übernahm er dieses Amt, steckte vor lauter Ehrfurcht vor seiner gestrengen jungen Herrin, die er übrigens vor nicht allzuvielen Jahren noch auf dem Knie geschaukelt hatte, sogar die Pfeife in die Joppentasche.

»Nun bitt ich Sie, sehen Sie sich bloß einmal den einen Karren an. Was sich der wieder am Sonntagabend herausnimmt. Und wie die Deichsel geschrubbt ist! Ich bin mit Ihren Leuten wirklich nicht zufrieden, Kühenmann!« tadelte die kleine Dame und wirbelte einen gar nicht vorhandenen Schnauzbart, »ja, wenn man seine Augen nicht überall hätte!«

Dann drehte sie sich auf dem Absätze herum, stieß ein silbern klingendes Lachen aus und sagte aufatmend: »Uff! Nun kommt's Vagniegen!«

Dies bestand darin, daß sie wie der Wind davon flog, gefolgt von zwei vor Eifer und Lust laut aufjohlenden Doggen, in den Garten eilte, mit einem schnellen Blicke die Obstbäume musterte und wie eine Katze einen Pflaumenbaum erkletterte.

Die beiden »Adjutanten« standen noch immer auf dem Hof. Jetzt sahen sie sich an.

»Ob wir immer noch einen halben Schritt seitwärts, rückwärts ...?« meinte Cornelius und sah bedenklich an seinem hellen Sommeranzuge hinab.

»Gesagt hat sie noch nichts. Aber ich fürchte ...« erwiderte der andere ebenso.

»Aber meine Herren, wo stecken Sie denn?« kam es auch schon aus der Krone des Pflaumenbaumes, »die Dinger sind übrigens noch eklig unreif«.

Eine angebissene Frucht sauste aus der Höhe herab, so daß Cornelius gerade noch Zeit hatte, seinen hellen Sommeranzug in Sicherheit zu bringen.

»Wenn Sie so liebenswürdig wären, uns einige reife herunter zu bringen, wäre ich Ihnen sehr verbunden ...«

»Nu grade nich, wenn Sie sich so tun. Hier Neulingchen, fangen Sie mal auf, ne gelbe!«

Der »Berliner« grinste, griff zu und konnte bald gar nicht so schnell kauen, so eifrig hatte er mit dem Auffangen und mit der sofortigen Vertilgung zu tun.

Sein Gefährte fühlte sich bei diesem einseitigen Ballspiel ziemlich überflüssig. Mit elegischer Miene setzte er sich auf eine Holzbank und brannte sich eine Zigarette an. Er machte den Eindruck eines aus dem Paradiese Vertriebenen. Frau von Puttlitz hätte, wenn sie das ihr so am Herzen liegende Dreigespann hätte beobachten können, wohl etwas Beklemmungen über den Ausgang des von ihr protegierten »Rennens« empfunden.

Aber Eva war im Paradiese ja nicht nur auf Aepfel angewiesen – sie griff wohl nur aus dem Grunde zu dieser Frucht, weil die Pflaumenbäume im »Garten des Herrn« bei jener historischen Begebenheit zufällig »weiter hinten« standen – denn unsere Eva ging, nachdem ihre schlanken Füße wieder den sicheren Boden berührten, auf den oben erwähnten Vertriebenen zu, öffnete ihre kleine Hand und sagte leichthin:

»Die schönsten hab ich selber runtergebracht ... Neulingchen hat die grünen jekriegt.«

Cornelius blickte mehr auf die kleine Hand, als auf deren Inhalt, welcher tatsächlich aus drei wundervollen, prallen Reineklauden bestand, und sagte zögernd: »Die sollen wirklich für mich bestimmt sein ...?«

»Nu, wenn Sie sich auch noch zieren, futtere ich sie selber.«

Da griff Cornelius schnell zu und merkte, daß er sich doch noch innerhalb des Paradieses befand.

»So, jetzt Rundgang!« kommandierte Genia und setzte sich um die dicken Mauern des Schlosses in Bewegung, »darauf müssen Sie immer halten, auf einen kleinen, gemütlichen Gang um Ihre vier Mauern. Auch im höchsten Alter noch. Sonst wird man nämlich dick und pumplich. Ich habe es wenigstens immer so gehalten!«

Aeußerst vergnügt folgten die beiden Herren. Denn ihre Führerin war weder »im höchsten Alter«, auch schien ihre schlanke, elastische Figur für die nächsten Jahre dagegen gefeit, die geschmähte »Pumplichkeit« anzunehmen. Nebenbei bestand der kleine, gemütliche Gang in einem so forschen Tempo, daß zum Betrachten der entzückenden Abendlandschaft, die sich zu ihren Füßen ausbreitete, herzlich wenig Zeit blieb.

Genia, als ständige Schloßbewohnerin, kannte aber dort unten jeden Weg und Steg, jeden Baum und Busch, hatte wohl auch Hunderte Mal Berg und Tal in das rosige Licht der untergehenden Sonne getaucht gesehen, so daß sie höchstens mit dem Nicken des wohlorientierten Kenners an jeder Ecke die auftauchenden Neuerscheinungen registrierte und von Zeit zu Zeit besondere Sehenswürdigkeiten mit einer lässigen Handbewegung bezeichnete. So wie ein Fremdenführer, der die »Tour« jede Saison mehrere Dutzend Male erledigen muß und sich im Stillen über die »Achs« und »Ohs« der Gefährten mokiert.

»Da hinten liegt Bernstadt, das mit dem dicken Turm. Aus Curtchens geliebtem Kasino weht jetzt eine rote Fahne ...«

»Das da unten, was Sie so blendet, Herr Cornelius, ist die Leina. Eine von den vielen Leinas. Unsere edlen Vorfahren waren in dieser Hinsicht nicht sehr erfinderisch ...«

»Den Berg da drüben nenne ich »die Schildkröte«, wie er eigentlich heißt, weiß ich nicht mehr. Er sieht aber so aus ...«

»Und wenn Sie scharf hinsehen ... da vorn am Kopfe der »Schildkröte« ist der Anstand, wo Curt wohl mit Ihnen den berühmten Bock schießen will. Aber Sie sehen ja gar nicht nach der richtigen Seite! Auf unserem alten Turme, wo Sie hinzuschauen belieben, ist doch der Anstand nicht! Hier, folgen Sie einmal meiner Hand ...!«

Und Cornelius folgte dieser Hand, aber wiederum nach der falschen Richtung. Denn er stellte fest, daß dieser lebende Wegweiser über einen runden, braunen Unterarm nach einer sehr hübschen Mädchenschulter führte, deren rosige Haut unter der dünnen Seide der leichten Bluse für ihn augenblicklich mehr Beachtenswertes hatte, als der Anstand an der »Schildkröte« da unten im Tale.

»Haben Sie's jetzt ...«

»Ich habe!« sagte er mit Ueberzeugung.

Dann ging man weiter.

Bald standen sie wieder auf dem Hofe.

»Zur Belohnung, weil Sie beide so artig waren, zeige ich Ihnen etwas ganz besonderes, was Sie sonst bei Ihrem kurzen Aufenthalte nicht verdient hätten ... den Georgenflügel!« Sie machte eine Pause und sah ihre Begleiter erwartungsvoll an.

»Fein!« sagte Neuling, machte ein mutiges Gesicht.

Cornelius wiederholte: »Georgenflügel. Ich kenne Gänseflügel, Entenflügel, Flügeladjutanten. Alles pikfeine Sachen, soviel ich mich aus meiner Jugend erinnere. Aber diese Art Flügel ist mir bis jetzt noch nicht begegnet ...«

Statt einer Antwort ließ Genia einen hellen Pfiff erklingen und rief dem Hofmeister, dessen Kopf wie an Draht gezogen auf diesen Pfiff am Fenster des Inspektorhauses erschien, zu: »Kühenmann, das goldene Bund für den heiligen Georg, aber ein bißchen fix, ehe es zu dunkel wird!« Der Kopf verschwand so schnell, wie er erschienen.

Cornelius wunderte sich schon über gar nichts mehr. Die junge Dame verfügte über ein Geheimbuch rätselhafter Ausdrücke, deren Bedeutung ihm, dem Fernstehenden, unentwirrbar war.

Da kam der Hofmeister auch bereits mit einem Bunde klappernder Schlüssel, unter denen sich ein besonders schöner, uralter befand, dessen Griff starke Spuren ehemaliger Vergoldung aufwies.

Und diesen Bund erhob Genia hoch in ihrer Rechten, als sie den Herren voran mit feierlichem Gesicht über den Hof schritt.

Es ging durch ein Pförtchen an der linken Seite des Hauptkomplexes in einen engeren Hof, der, bereits in Abendschatten eingehüllt, von dem Wohngebäude, dem Wirtschaftsflügel und eben jenem Georgenbau umgrenzt wurde. Der letztere schien aber der älteste der ganzen Anlage zu sein. Sein schon länger nicht mehr abgeputzter Unterbau bestand aus mächtigen Steinquadern, in deren Fugen grünes Moos wucherte. Darüber erhoben sich zwei Stockwerke mit hohen gotischen Fenstern, die aber durch Holzläden verschlossen waren. Im First war eine Reihe kleiner, unverglaster Oeffnungen. Und von dort klangen zirpende leise Töne herab. Cornelius hemmte seinen Fuß und horchte.

»Eine Aeolsharfe,« erklärte Genia lächelnd und suchte in ihrem Schlüsselbund.

»Wie romantisch!« bekannte Cornelius und trat einen Schritt bei Seite. Er war beinah auf eine schillernde Eidechse getreten, die jetzt über das feuchte Gestein der Ecke huschte, in der sie standen.

Die reichbeschlagene Tür drehte sich mit einem ächzenden Wehlaut in ihren Angeln, als Genia sie aufstieß. Das spärliche Abendlicht erhellte nur den Anfang des untersten Raumes, weiter hinten lag alles in drückender Finsternis.

»Ob es nicht doch zu spät ist?« fragte Neuling und sah zögernd durch die noch offenstehende Tür in den Hof zurück.

»Die Sache wird gleich besser,« erklärte Genia und hantierte murmelnd irgendwo an der Wand herum. Mit einem Male erhellte strahlendes Licht eine riesige, hohe Vorhalle, »so, was sagen Sie nun?«

»Sie haben elektrisches Licht hier oben?« entfuhr es Cornelius und er suchte unwillkürlich nach der für ihn rätselhaften Lichtquelle.

Genia lachte vergnügt. »Da staunen Sie, nicht wahr? Ist aber nur ein kleiner technischer Scherz eines unserer erlauchten Vorfahren.« Ihr Finger wies nach der Wand, an der Cornelius einen schweren Hebel erblickte, mittels dessen man große, nach der Talseite zu gelegene jalousieartige Läden hochklappen konnte, durch deren Oeffnungen jetzt die wohl durch Spiegelvorrichtungen konzentrierten Strahlen der Abendsonne herabfielen und alles in ein sattes, rötliches Licht einhüllten.

»Oh!« sagte Cornelius noch einmal bewundernd und nickte anerkennend.

Selbst der Berliner vergaß in diesem Augenblicke seine üblichen schnoddrigen Redensarten.

Der Anblick, der sich ihnen bot, war allerdings überwältigend und seltsam.

Eine weite Halle tat sich vor ihnen auf. Von geschnitzten Galerien hingen prächtige, wertvolle Teppiche herab. Cornelius war wirklich schon weit in der Welt herumgekommen. Aber diese Sammlung überstieg alles, was er bisher im Besitz eines einzelnen Privatmannes gesehen hatte. Da waren gold- und silbernschimmernde, seidene, altpersische in allen Farben und Schattierungen.

Er gab seiner Bewunderung beredten Ausdruck.

»Der alte Pottlitz, der den Grundstock zu diesem Museum gelegt hat, soll mehrere Kreuzzüge mitgemacht haben,« meinte der blonde Nachkomme dieses weitgereisten Herrn mit sichtlichem Stolz.

»Aha! Requiriert!« entfuhr es da dem Berliner unwillkürlich, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit stand, den er auch in diesem ehrfurchtgebietenden Raume sehr bald wieder gefunden hatte.

Genia stieß ärgerlich mit dem zierlichen Absatze auf die eingelegten Steinfliesen auf. »Fatzke!« sagte sie vor sich hin, aber nicht allzu undeutlich, »nun bereue ich nicht die unreifen Pflaumen von vorhin. Sie werden noch an mich denken!«

Dann ging sie schnell auf eine zur Rechten gelegene Pforte zu, in deren Schloß sie den vergoldeten Schlüssel steckte. Es ging etwas schwer. Deshalb fühlte sich Cornelius verpflichtet, nachzuhelfen. Daß dabei sich ihre Hände mehrfach berührten, lag wohl nur an dem ziemlich verrosteten Schloß. Und daß die kleine Dame bis hinter die Ohren rot wurde, daran war sicherlich nur die bei dieser schwierigen Arbeit aufgewendete Kraft und Anstrengung schuld.

Endlich öffnete sich die Pforte und die drei traten in einen vollständig dunklen Raum, aus dem ihnen eine eisige Luft entgegenwehte.

»Prr!« machte Neuling und schüttelte sich erschauernd, »der reinste Eiskeller!«

»In den Felsen eingehauen,« sagte Genia kurz, machte aber bei dem »eingehauen« eine erklärende, energische Handbewegung. »Hier ist das Allerheiligste auf Unzingen, das Spötter Ihres Schlages, Neulingchen, eigentlich gar nicht wert sind, zu schauen ...«

»Da kann ich ja wieder nach Hause gehen. Außerdem glaube ich, hat man Sie soeben gerufen ...«

»Hier geblieben! Ich habe schon Beschäftigung für Sie. Im übrigen bin ich fest davon überzeugt, daß Mama ganz froh ist, mich einmal ein halbes Stündchen nicht zu sehen,« versetzte das kleine Fräulein resolut und mit Ueberzeugung und wies dann ihre Begleiter an, die Läden an den Fenstern aufzustoßen, »hier hat der Erfindungsgeist meines Ahnherrn schon versagt, wir müssen selbst Licht schaffen.«

Der schöne, langgestreckte Raum, den sie jetzt erst überblicken konnten, war, nach der Einrichtung zu schließen, ein Bankett- oder Festsaal.

Ueber den kunstvollen Holzverschalungen spannten sich an den Wänden die wundervollsten Gobelins aus, nur unterbrochen durch alte nachgedunkelte Oelgemälde in breiten, goldenen Rahmen.

»Hier stelle ich Ihnen das Geschlecht derer von, zu und auf Unzingen vor!« sagte Genia mit einer ausholenden Handbewegung ihres runden Armes, »lauter Männchen und Weibchen mit dem herrlichen Namen Pottlitz, die im Jahrhundert der Aufklärung allerdings den Namen Puttlitz annahmen. Der Pott klärte sich wohl aus Gründen der Aesthetik in einen Putt, wobei ich allerdings immer an einen Hühnerhof denken muß.«

Wie niedlich sie diese schwierigen Dinge sagt! dachte Cornelius und ließ zerstreut seine Blicke über die Bilder dieses alten Geschlechtes schweifen.

Finster, verwegen dreinschauende Männer in bläulich schimmerndem Kettenpanzer; Knebelbärte über Wallensteinschen Spitzenkragen: dort ein glänzender Ordensstern auf einem dunklen, engen Rocke aus der Zeit des großen Friedrich.

Dazwischen die Frauen und Mädchen, liebliche Gesichter aus vier Jahrhunderten. Schelmisch blickende Augen; rote, lächelnde Lippen; unter steifen, weißen Hauben, unter goldgestickten Mützchen, kokett sitzenden breitkrempigen Baretts.

Den meisten aber war eines gemeinsam. Die wohlausgeprägte Nase ihres Geschlechts. Und mit einem gewissen stillen Unbehagen dachte Cornelius an das nachgelassene Schriftstück jenes Kuno Franz von Pottlitz, der so fröhlich gelebt und so humorvoll aus dieser Welt gegangen und dessen Nase die kleinen dreckigen Gassenkinder in Tutzingen dort unten im Gesicht haben sollten, seine Nachkommen zur linken Hand. Deren Bilder würden einmal nicht hier oben hängen!

»Gute Rasse, was,« meinte Genia und blickte Cornelius von der Seite an, »lauter reines, blaues Blut. Obwohl ich mir aus dem Zimt nicht viel mache. Papa meint aber, die reine Rasse, das sei das eigentlich legitime.«

Du ahnungsloser Engel du! dachte der Gast und vermied, ihr in die reinen blauen Augen zu sehen.

So waren sie allmählich um die ganze Halle geschritten und befanden sich wieder am Ausgange.

»Was ist denn hier drin?« fragte Cornelius und warf einen interessierten Blick in eine tiefe, dunkle Nische, in der es geheimnisvoll blinkte und glänzte.

»Die sogenannte Waffenkammer, das heißt alte Rüstungen, Schwerter und ähnliche antike Mordwerkzeuge.«

»Auch das Schlachtschwert des Kuno Franz Pottlitz, Verzeihung, Puttlitz?«

»Sagen Sie's ruhig. Er hieß so. Ja, auch das.«

Sie deutete auf eine lange Stahlklinge, die an einem Haken an der Wand hing.

Cornelius mußte ein großer Freund alter Waffen sein, denn er konnte sich von diesem Stücke gar nicht mehr losreißen. »Sehr interessant!« hörte ihn Genia vor sich hinmurmeln. »Auf dem Knaufe stehen weiter keine Zaubersprüche als der Wahlspruch der Pottlitzens »Sans regret«; Sie brauchen dazu Ihre Lupe nicht einmal!« sagte sie mit einem leichten Gähnen und wunderte sich über die schwerfällige Gründlichkeit ihres Begleiters.

»Hübsche Devise, zweifellos,« meinte der und steckte das Vergrößerungsglas wieder in die Westentasche, »es spricht eine gewisse Rücksichtslosigkeit aus ihr ...«

»Gott, damals war man nicht so pimplig wie heutzutage!«

»Ich behaupte das Gegenteil,« versetzte Cornelius ernst.

»Meinen Sie etwa mir?« sagte Genia mit einem kleinen Lächeln der Verlegenheit. Es fiel ihr da manches aus den letzten Stunden ein. Sollte der Herr vor ihr wirklich noch böse über die ihm (so zum Beispiel auf der Straße) widerfahrene Behandlung sein?

»O nein. Ich bekenne allerdings reumütig, mich in diesem Augenblicke nicht mit Ihrer werten Person in meinem Inneren beschäftigt zu haben ... ich meinte unseren »Schloßgeist« und sein Opfer, Ihren Schwager ...«

»Der mit Bedauern an diese forsche Devise denkt,« lachte Neuling, der zuerst verstand.

»Da haben Sie recht,« meinte Genia nachdenklich, schüttelte aber schnell ein leichtes Grauen ab und trat weiter in die durch drei mächtige Schränke gebildete Nische, »... und hier sind die Kleider der alten Herrschaften da drüben, das heißt, so weit sie nicht die Motten und der Rost gefressen haben. Familie Engelke muß mal wieder mit Kampfer arbeiten, dünkt mich. Sehen Sie ... ein Jammer, wie zum Beispiel hier das Staatskleid zerfressen ist. Der Senior ist recht weitsichtig geworden. Und wo es jetzt bei uns auch noch »umgeht«, wird er sich schon gar nicht mehr hierüber getrauen ...,« plauderte sie mit einer Falte des Unmutes auf der weißen Stirn.

»Holla!« ries da mit einem Male Cornelius aus und zog etwas aus der hintersten Ecke des Schrankes hervor.

»Noch so'n Mottenröckchen?«

Wortlos hielt er ein reich mit Goldstickereien verziertes Wams in die Höhe und sah die beiden anderen bedeutsam an.

»Der Rock vom Spukgeist!« rief Genia überrascht, »keine Ahnung, daß wir den noch hatten!«

»Ich suchte ihn,« versetzte er trocken und trat mit dem Gewand an's Licht.

» Sie suchten ...?!« wiederholte sie erstaunt und sah ihn mißtrauisch an. »Bitte sehr, wer ist auf die Idee gekommen, im Georgenbau heute abend rumzukrauchen. Sie oder ich?«

»Gesprochen haben Sie davon. Wenn ich es Ihnen aber suggeriert hätte?«

»Davon verstehe ich nichts. Suggestion ist immer Schwindel. Zum mindesten eingebildete Eitelkeit auf Seiten dessen, der dem andern das Gegenteil einreden will.«

»Danke!«

»Bitte!«

»Kinder, vertragt euch wieder,« mahnte Neuling und brannte sich eine Zigarette an, »hängen Sie das alte Klüftchen in den Schrank zurück, Cornelius. Ich ahne so etwas wie Bowle im Jagdzimmer ...«

»Für Sie ist die Sache vielleicht langweilig, für mich beginnt von jetzt an erst der Tag. Wenn ich jetzt nur meine Thekla ...« er blickte sich suchend um.

»Wie heißt die junge Dame?« fragte Genia etwas scharf. Sie war nicht eifersüchtig, nein, wirklich nicht. Aber Mädchen jeden Alters, wenn sie auch noch so harmlos sind, haben es nicht gern, wenn in ihrer Gegenwart fremde Mädchennamen genannt werden und nun gar mit einem so vertraulichen Pronomen possessivum.

Doch Cornelius überhörte nicht nur die Schärfe dieses Tones, sondern die Frage überhaupt. Er hielt noch immer das goldene Wams unter dem Arme, als ob er gesonnen sei, sich diesen Abend jedenfalls nicht mehr von ihm zu trennen. Mit einem Male schien ihm ein rettender Gedanke zu kommen. Er schlug sich leicht gegen die Stirn, rief erfreut aus:

»Daß ich daran nicht dachte! Da muß Theklaersatz herhalten!« und eilte durch die Pforte in die Halle hinaus. Immer noch das Wams unter dem Arme.

Die beiden anderen sahen sich erstaunt an.

Neuling zuckte die Achseln.

»Total meschugge!« Ein rosiger Finger machte kreisrunde Bewegungen in der Luft.

»Vielleicht Kriegspsychose,« versuchte Neuling mit bekümmerter Miene zu trösten.

»Meinen Sie wirklich?« klang es gedehnt zurück. Und das andere Rennpferd rückte um eine bedeutende Halslänge im Felde vor.

Der Gegenstand dieses Zwiegespräches hatte unterdessen die Halle durchquert und sah sich in der auf den Hof führenden Tür wiederum suchend um.

»Da waren doch vorhin zwei Köter vorhanden! – Aha, hier ...« Wie ein Paar dräuende Wärter lagen vor ihm die beiden mächtigen Doggen, die vorhin an Genia hochgesprungen und die sie durch einen energischen Wink vom Betreten des Georgenbaues abgehalten hatte. Sie hoben mit einem Rucks den plumpen Kopf und starrten den Fremden mißtrauisch an. Langsam, aber gewichtig peitschten sie mit den Ruten den Boden. Cornelius begegnete fest und prüfend ihrem Blicke. Da wandte der eine Hund die Augen zur Seite, der andere begann gewaltig zu gähnen. Auf diesen ging Cornelius zu. Faßte ihn am Halsbande und schleppte ihn kurzer Hand in den Bau. Das Tier war wohl so erstaunt über diese eigenmächtige Handlungsweise, daß es nicht einmal einen Laut ausstieß. Erst vor der zweiten Tür begann es, mit dem Kopfe zu schütteln und sich mit den Hinterbeinen einzustemmen. Da war Cornelius aber mit ihm schon am Ziele.

»Ach!« machte das junge Mädchen, und dieses »ach« war weniger ein Ausdruck der Ueberraschung als der Erleichterung, »ich beginne zu begreifen ...«

»Sehr richtig,« pflichtete der Hundebändiger bei, »ich wollte mich nur nicht mit langen Erklärungen abgeben. Aber Hund ist immerhin Hund und dieses prächtige Tier lag draußen gerade bereit. Wir sind zwar noch nicht gute Freunde, sehen Sie mal, wie es mich mißtrauisch beschnuppert! Aber ich denke, das wird sich während der Zusammenarbeit schon noch geben.«

»Wollen Sie einen Zirkus mit dressierten Hunden auf Unzingen auftun?« versuchte Neuling zu raten.

Genia aber hatte längst erraten, was Cornelius, dem sie in ihrem Innern wegen des Verdachtes einer zweifüßigen Thekla Abbitte leistete, beabsichtigte. Sie hielt der Dogge erst den Knauf des alten Schwertes, dann das Wams dicht vor die Nase und sah dabei mit vor Eifer glänzenden Augen ihren Gast an.

»Sie sind ein vortreffliches Mädchen!« lobte sie dieser begeistert, auch seine grauen Augen funkelten. Und dieses Rennpferd holte mit mächtigen Sätzen wieder das verlorene Terrain auf. Frau Irma hätte ihre reinste Freude daran gehabt.

»Sieh mal, mein guter ... wie heißt er denn gleich ...?«

»Hektor ist die Töle getauft. Der Andromache draußen haben Sie anscheinend einen Korb gegeben.«

»Also sieh einmal, mein guter Hektor,« sagte Cornelius mit möglichst einschmeichelnder Stimme, »das hier sind zwei interessante Sachen, die du mit deiner dicken Nase beschnuppern sollst. Immer zieh die Luft ein ... wenn du auch niesen mußt, ja, Mottenpulver ist ne eklige Sache, da hast du recht. Es hilft aber nichts, du dienst einem höheren Zwecke. So, hast du nun genug geschnuppert? Jetzt such Spur, immer such schön Spur ... wo ist der Kerl, der zuletzt in dem Kittel gesteckt hat? Wo ist der gemeine niederträchtige Kerl?« Die Augen des Sprechers funkelten, seine verhaltene Stimme steigerte sich und es schien, als ob das Tier endlich begriffe, was man von ihm wolle. Denn es stieß ein kurzes Keuchen aus, drohend und unheilverkündend kam dieses Keuchen aus der breiten Brust, dann rannte es zur Tür hinaus. Die Nase tief auf der Erde.

Oft hatte Cornelius in seinem Berufsleben dieses Bild gesehen: nach einer dunklen, rätselhaften Tat endlich eine Spur, ein Anhalt. Ein paar kluge Hundeaugen, ein hastiges Schnobern an einem Gegenstand, den der Zufall den Verfolgern in die Hand gespielt. Dann ein Aufwinseln, ein Keuchen – eben jenes Keuchen – und ein rasender Wettlauf, der in den meisten Fällen damit endete, daß man am Ziele auf den Verbrecher stieß, der in höchster Angst oder wutverzerrten Gesichts (je nach seiner Veranlagung) in zwei blutunterlaufene Hundeaugen stierte. In Hundeaugen, deren siegreiches Aufflackern für den Gestellten Gefängnis, Zuchthaus oder gar das Schaffot bedeutete.

Solche Gedanken durchzuckten das Hirn des »Jagdgastes«, als er diesem Hunde, der sich so überraschend schnell und gut in die ihm zugedachte Rolle des Polizeihundes gefunden hatte, nacheilte.

Dicht hinter ihm Genia. Mit hochrotem Gesicht und vor Eifer und Erregung halb geöffnetem Munde. Nur mühsam hielt sie an sich, um nicht vor Entzücken über dieses Abenteuer, das sich vor ihren Augen abspielte, laut aufzujubeln. Ihre Pulse flogen und ihr junges Herz klopfte stürmisch.

Etwas weiter hinten und nicht ganz so eifrig folgte der »Berliner«. Diese wilde Jagd war nicht so besonders nach seinem Geschmack, hauptsächlich weil der andere die Führung und Hauptrolle übernommen hatte. Und das kränkte seine Eitelkeit und Eigenliebe, die er meist hinter der schnoddrigen Hülle verbarg. Außerdem hatte er einen leuchtenden Blick aus den blauen Augen des kleinen Fräuleins aufgefangen, das in der ersten Stunde bereits sein leicht entzündliches Herz in Flammen gesetzt, und dieser Blick hatte nicht seiner Person gegolten. Der ehemalige Regimentskamerad kam ihm recht in die Quere. Immerhin brachte ihn dieser atemlose Lauf dem Jagdzimmer näher, in dem er wohl nicht mit Unrecht eine kühle Bowle vermutete. Er gedachte dort für sich Halali zu blasen.

So ging es über den kleinen, quer über den großen Hof hinweg. Ein Bündel träger Enten stob schnatternd in höchster Aufregung auseinander. Eine Handvoll goldgelber Küken rannte piepsend strahlenförmig auf die schützenden Flügel der Glucke zu. »Andromache«, die nach der gewaltsamen Entführung »Hektors« mißtrauisch und mit schiefem Kopfe am Ende der Wagenreihe gestanden, machte vor Vergnügen über das Auftauchen des »Gemahls« einen kleinen Luftsprung, jaulte durchdringend auf und schloß sich in riesenhaften Sätzen der Jagd an, was Cornelius trotz mehrerer energischer Fußtritte nicht verhüten konnte.

Die Diele des Herrschaftshauses hallte wider von den vielen eilenden Tritten. Die alten Treppen dröhnten und gaben tiefe, singende Töne von sich. Und diese verschiedenartigen Geräusche, in dem Treppenhause gefangen, pflanzten sich weiter nach oben fort und platzten dann ungehemmt in dem ersten Stockwerk über die weite Fläche des breiten Flurs.

Engelke senior wollte gerade mit dem linken Ellbogen bedächtig die Klinke des Jagdzimmers niederdrücken. Seine beiden Hände balanzierten ein silbernes Tablett, auf dem ein halbes Dutzend geschliffener Gläser standen. »Ha!« rief bei diesem Anblicke Neuling, dessen Kopf soeben über dem Podest auftauchte. Und dieses unwillkürliche Ha! lenkte den Hund in seinem Laufe ab. Er beschrieb mit voller Wucht eine Kurve, die tangential die Kniekehlen des nichtsahnenden Senior berührte. Der Erfolg war ein unterdrückter Aufschrei, ein heftiges Schwanken des alten Mannes und ein betäubendes Klirren vieler Scherben auf den Steinfliesen.

Genia kreischte auf und sprang mit einem Satze über die auf dem Boden tanzenden Glassplitter.

»Albernes Vieh!« schrie jemand ärgerlich; das galt dem vierbeinigen Missetäter, der sichtlich betroffen über den ersten Erfolg seiner polizeilichen Tätigkeit sich auf die Hinterbeine niederließ und, wie es den Beteiligten erschien, den Blicken »Andromaches« auswich, die mit einem vorwurfsvollen Schütteln des Kopfes den Kampfplan betrachtete.

Und mit demselben vorwurfsvollen Kopfschütteln erschienen jetzt zwei Paare in der hastig aufgerissenen Tür des Jagdzimmers, Herr und Frau von Puttlitz, sowie Tochter mit Schwiegersohn.

»In Dreideubelsnamen!« polterte der Hausherr, »was geht denn hier vor?«

»Eugenia!« skandierte die Mutter mit Schärfe und faßte die Tochter, die mit fliegendem Atem und zerzausten Haaren vor ihr stand, ins Auge.

»Ihr spielt wohl Haschen mit Knalleffekten?« erkundigte sich der Hauptmann.

»So etwas ähnliches,« hastete Cornelius, dem dieser Aufsehen erregende Zwischenfall einen Strich durch die Rechnung zu machen drohte. »Verzeihung, wir haben keine Zeit! Such, Hektor, such, wo ist der schlechte, wo steckt der gemeine Kerl!«

Er schwenkte ein goldbesticktes Wams in der Hand (wie ein Mohikaner auf dem Kriegspfad das blitzende Beil, fand Genia) und zerrte dann »Hektor« auf dem Gange weiter fort. Und weiter ging die wilde Jagd, dem am anderen Ende des Ganges sich fortsetzenden Treppenhause zu.

»Daß dich die Motten ...!« schrie Puttlitz hinterher.

Seine Gattin bewegte ein paar Mal lautlos die Lippen, das war in diesem Augenblicke aber auch alles.

Und der Hauptmann umschlang die Hüfte seiner jungen Frau und meinte: »Die Abende sind seit einiger Zeit recht anregend geworden, meinst du nicht auch, Gischen?«

Dieser Meinung schien der Hausherr auch zu sein; denn er beschäftigte sich nunmehr in Ermangelung eines anderen Objektes sehr angeregt mit dem Senior, der noch immer betroffen an der Wand lehnte und bekümmert auf die Bescherung zu seinen Füßen sah. Aber Engelke senior war wirklich unschuldig an dem, was ihm widerfahren.

Doch kehren wir zu unserem bereits wieder in voller Fahrt befindlichen Rennen zurück.

Am Fuße der nach dem Obergeschoß führenden Treppe fühlte sich Hektor wieder zu einer nicht in dem Programm stehenden Handlung bewogen, denn er stutzte vor der ersten Treppenstufe, wandte den Kopf unschlüssig zur Seite, spähte in einen im Halbdunkel liegenden Seitengang und rannte in diesen pfeilschnell hinein. Bald hörten die anderen ein wütendes Gekläff.

»Er hat etwas,« rief Cornelius seiner Gefährtin zu, »befinden sich hier Zimmer?«

»Keine Rede, nur eine olle Säulengalerie,« gab sie zurück.

Rasch folgten sie den Lauten des Hundes, den sie nach wenigen Schritten mit erhobener Rute vor – einem steinernen Standbilde antrafen.

Ob dahinter jemand steckte? Cornelius ließ seine Taschenlampe aufblitzen und winkte das junge Mädchen mit der anderen Hand besorgt zurück. Man konnte doch nicht wissen! Aber der steinerne alte Herr verbarg keinen flüchtenden Verbrecher. Ein solcher hätte hinter dem in die Wand eingelassenen Bilde auch gar keinen Platz gehabt.

»Es war nichts,« sagte Cornelius nach kurzem Suchen und atmete auf, »Sie können näher treten. Wen stellt übrigens die Bildhauerarbeit dar?«

Genia lachte etwas nervös. »Den, den wir suchen: Kuno Franz Pottlitz ...«

»Ein merkwürdiger Zufall,« stimmte Cornelius bei und ließ nachdenklich den Schein seiner Lampe über die starren Züge des Ahnherrn gleiten, dessen Imitator ihm so viel Kopfzerbrechen verursachte.

»Hektor hat Animus, das muß ich sagen,« ließ sich der »Berliner« hören, der angesichts der zerbrochenen Bowlengläser sich entschlossen hatte, vorläufig doch an der Jagd weiter teilzunehmen. Auch war er nicht gesonnen, jetzt, wo die Geschichte sich doch in irgend etwas gipfeln mußte, seinem Partner das Feld allein zu überlassen.

Genia stand in ihrem Jagdeifer schon auf der Treppe. »Hektor, komm her! Hier geht es weiter. Mach deine Riecher auf und blamier die Innung nicht noch einmal!« Und widerwillig und verdrossen gehorchte der Hund. Der Tadel schien ihn zu verstimmen. Auch ließ die Sache mit den Gläsern da unten sein Fell ganz leise jucken. Andromache, die die Unbeteiligte sehr von oben herab spielte, sah ihn auch so merkwürdig an. Vielleicht aber gab es weiter oben etwas, wo man die verschiedenen Scharten wieder auswetzen konnte. Und neuer Feuereifer beseelte ihn. »Bläff!« machte er, sich und die anderen ermunternd, und setzte die Stufen hinauf. Wie auf dem grünen Rasen nach einem mehr oder weniger glücklich genommenen Hindernis das Feld allmählich wieder rascher in Bewegung kommt, so hatte auch hier die stürmische Startbewegung sehr bald wieder eingesetzt.

Von neuem tönten die alten Treppen, sang die Wandtäfelung und hallte das Haus von dem Tritt eilender Füße.

Das Obergeschoß war erreicht. »Hektor« strebte mit heraushängender Zunge, die Nase tief auf dem Fußboden, weiter. An Cornelius Zimmertür jaulte er kurz und hastig auf, ließ sich aber nicht aufhalten. Der Besitzer dieses Raumes ließ ein leises Pfeifen hören. Er dachte an die Theorie von Zug und Gegenzug und hatte das Gefühl der Befriedigung.

Die Tür gegenüber stand auf. Dort war Hintzes Schlafzimmer. Cornelius warf einen schnellen Blick hinein. Es war leer.

»Nun bin ich aber gespannt, wohin uns die Töle noch führen wird,« sagte Genia zwischen zwei Atemzügen, stieß aber dann einen halblauten Schrei der Ueberraschung aus, denn aus einer halbdunklen Ecke (dort befand sich die Wasserleitung, wie Cornelius später feststellte) löste sich eine menschliche Gestalt und kam ihnen näher. So unvermutet tauchte diese Gestalt auf, daß Hektor in seinem schnellen Laufe nicht mehr einhalten konnte, und es schien, als ob er den anderen über den Haufen rennen würde. Dieser andere bemerkte die Gefahr, ließ bestürzt eine volle Wasserflasche aus der Hand fallen und öffnete instinktiv die Beine, zwischen denen der Hund durchschnellte, dabei selbst einen Ton der Bestürzung ausstoßend.

»Sie haben uns schön erschreckt, Junior!« sagte Genia, »lassen Sie die Flasche ruhig liegen, Ihrem Papa ist schlimmeres widerfahren. – Die ganze Familie Engelke ist heute abend als Hindernis unterwegs,« lachte sie weitereilend, »ich würde mich gar nicht wundern, wenn auf dem nächsten Absatze die alte Engelke etwas hinschmisse.«

Doch diese Prophezeiung traf nicht ein, denn die alte Frau saß zu dieser Stunde gähnend über dem »Bernstädter Anzeiger« in dem kleinen mit Reben bewachsenen Häuschen am Fuße des Schloßberges und blickte von Zeit zu Zeit blinzelnd auf die Wanduhr, ob nicht bald ihr »Alterchen« zu ihr herabstiege. Denn nebenan waren die buntkarierten Betten schon aufgedeckt. Wenn sie geahnt hätte, daß ihre Angehörigen damit beschäftigt waren, der Jagd nach dem Schloßgespenst, an das sie mit angenehmem Gruseln erst heute abend wieder fünf Minuten lang gedacht hatte, ungewollt Hindernisse in den Weg zu legen!

»Ob der gemeine, niederträchtige Kerl da drin steckt?« fragte Genia jetzt etwas beklommen, als die drei vor der Tür des Spukzimmers standen und sie bemerkte, daß Cornelius einen kleinen Revolver aus der Tasche zog. Als Antwort bedeutete er ihr durch Gesten, die Turmtreppe zurückzugehen und an deren Fuße zu warten. Mit klopfendem Herzen gehorchte sie.

Unten stand noch immer Engelke junior und starrte auf die zu seinen Füßen liegende Wasserflasche. »Herrje, Junior, Sie sind ja ganz blaß geworden!« sagte seine junge Herrin und trat auf ihn zu, »Sie haben wohl einen bannigen Schrecken gekriegt, als wir so wie aus der Kanone geschossen vorhin auf Sie zutobten?«

»Allerdings,« meinte er, zog sein Taschentuch und wischte sich die Stirn.

»Schwitzen Sie oder ist es wirklich ›Bestürzungstranspiration‹?« erkundigte sich die kleine Dame verbindlich, die froh war, mit einem Gefährten über die Wartezeit hinweg kommen zu können.

»Ich dachte, ich kriegte einen Volltreffer an die Beine,« bekannte er mit einem treffenden Bilde.

»Das denk ich mir allerdings hundsgemein,« stimmte sie bei und betrachtete ihr Gegenüber, »Sie sind ja auch noch ganz zittrig. Leiden Sie etwa an Kriegspsychose?« Das im Georgenbau von dem »Berliner« gebrauchte Wort schien ihr mächtig imponiert zu haben.

»Was das ist, weiß ich nicht«, versicherte er glaubhaft, bückte sich und hob jetzt endlich die seinen Händen entfallene Flasche auf, »nu muß ich aber die Schlafzimmer vollends fertig machen!«

Genia setzte sich auf die knarrende Stufe und faltete die kleinen Hände. Ihr Gesichtsausdruck war im Dunkeln nicht zu erkennen. Wäre es aber hell gewesen und hätte der eine, der über ihr vor der Tür des bewußten Zimmers stand, dieses Gesicht sehen können, so wäre wahrscheinlich die Nebenhandlung dieser Geschichte rascher fortgeschritten, als sie es in Wirklichkeit tat.

Dieser andere dachte aber in diesem Augenblicke absolut nicht mehr an ein kleines, in Aengsten auf einer knarrenden Stufe sitzendes Fräulein, sondern er war ganz »Detektiv« und raunte seinem männlichen Gefährten zu:

»Haben Sie irgend etwas wie eine Waffe zur Hand, ich meine für alle Fälle ...?«

»Meine Fäuste. Ich pflege zwischen Abendbrot und Bowle nicht mit dem Revolver spazieren zu gehen, wie gewisse andere Leute.«

Cornelius lachte leise und steckte den Schlüssel in's Schloß. Das goldene Wams hatte er zu Boden gleiten lassen. Hektor benützte es während dieser kurzen Atempause mit tiefem Verständnis als Ruhekissen. Seine Flanken schlugen und er ließ ein Knurren hören, als Cornelius die Tür mit einem Rucke aufstieß.

Das Zimmer – war leer.

Der Schein der Taschenlampe fuhr die Wände entlang, huschte unter Möbel, hinter Schränke. Es war tatsächlich leer. Auch Hektor, dem sich seine vierbeinige Genossin anschloß, schnupperte überall vergeblich herum. Wie ein verhaltenes Drohen klang dieses Schnauben durch den Raum. Dann ging es in ein Winseln über und plötzlich schlug Hektor schallend an. Cornelius fuhr mit der bewaffneten Hand hoch, ließ sie aber sofort wieder sinken und brach in ein lautes Lachen aus. Ein Lachen, das nicht nur in diesem Zimmer, sondern auch außerhalb oder vielmehr unterhalb befreiend und erlösend wirkte. Denn die knarrende Stufe schnellte hörbar hoch und wenige Sekunden später stand Genia in der offenen Tür und blickte mit großen Augen auf das Bild, das sich ihr bot:

Vor dem Oelgemälde des alten Pottlitz stand in der Haltung des wütenden Eifers »Hektor« und »verbellte« den Ahnherrn, der mit seinem lebenslustigen Lächeln spöttisch aus dem goldenen Rahmen auf das geifernde Tier unter ihm herabzublicken schien.

Links davon standen die beiden Herren und sahen sich an. Der eine ärgerlich, der andere aus vollem Halse lachend.

»Et war wieder nischt!« bemerkte der Letztere, als er Genia erblickte, »Hektors Spur führt nu mal ins Jeisterreich 'nüber, da beißt keene Maus 'nen Faden ab.«

»Es scheint so,« sagte Cornelius und brannte sich eine Zigarette an. Mit dieser Handlung machte er einen Schlußstrich unter den heutigen Tag.

Genia aber setzte sich auf die »Birkenmaserbettstelle« ihres Ahnen und lächelte. Und wenn Cornelius nicht so mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre, hätte er wieder etwas sehen können, was für ihn immerhin von einigem Interesse gewesen wäre. Jenes Lächeln war nämlich durch eine kleine Träne zu einer Bedeutung erhoben, die ihre Begründung in einer Wartezeit von einer halben Minute auf einer knarrenden Stufe hatte.

»Was machen wir nun?« brach Neuling nach einiger Zeit das Schweigen, das schon mit Rücksicht darauf, daß Hektor noch immer in Absätzen vor dem Bilde dröhnend Laut gab, ein erzwungenes war.

»Kusch!« sagte Genia und winkte energisch mit der Hand, »du taugst doch nicht zur Polizeitöle. Ja, ja, sieh mich nur nicht so kläglich an! Trolle dich mit deiner ›Meda‹ in die Hütte runter. Wir haben genug von euch beiden!«

Nachdem die beiden Hunde mit gesenkten Ruten verschwunden waren, meinte Cornelius: »Und ich hatte mir die Sache so schön gedacht ...«

»War es denn nicht herrlich?« Genia lachte ihn voll an, »wenn ich nur das Fazit unserer Heerfahrt überblicke ...«

»Ein halbes Dutzend Bowlengläser ...«

»Mama hat noch mehr, beruhigen Sie sich, Neulingchen, Sie kommen schon noch auf Ihre Kosten!«

»Eine vergeblich gefüllte Wasserflasche ...«

»Wasser ist hier oben bezugsscheinfrei!«

»Einige ramponierte Schienbeine ...«

»Verbandkasten hängt im Erdgeschoß!«

»Eine Kriegspsychose ...« blinzelte Neuling mit einem Blick auf Cornelius.

»Zwei!« sagte Genia mit Betonung, sprach sich darüber aber nicht näher aus.

»Nun können wir ja das Wams und den alten Sabul wieder verstauen.« Neuling erhob sich.

Genia widersetzte sich aber mit Entschiedenheit diesem Vorschlage. Sie meinte, wenn man diese beiden Requisiten gut unter Verschluß nähme, hier im Hause, sie sei sogar erbötig, sie unter ihr eigenes Kopfkissen zu verstecken, so habe der »Geist« ja gar keine Möglichkeit mehr, zu erscheinen und die liebe Seele habe Ruhe und Frieden.

So passabel auch dieser Vorschlag Cornelius erscheinen mußte, er widersprach ihm doch. »Das hieße Kapitulation, meine Herrschaften. Ich für meine Person werde nicht ruhen, bis ich denjenigen, der in diesem Wams gesteckt hat und meinen besten Freund verwundete, zwischen meinen Fäusten habe. Und dies kann ich nicht erreichen, wenn man ihm die Möglichkeit nimmt, weiter zu ›spuken‹.«

Neuling zuckte die Achseln und sagte etwas, was wie »Hartnäckigkeit« klang. Genia aber löste ihre Augen von dem energischen Gesicht des Gastes, das sie, während er sprach, sehr befriedigt betrachtet hatte.

»Sie sind mein Mann! Immer feste druff, hat schon Blücher gesagt. Schleichen wir uns also zurück und verbuddeln das Zeug wieder, wo wir es hergeholt haben!«

Und nicht gerade schleichend, aber stiller und nicht in so gehobener Stimmung wie sie gekommen, begaben sich die Verschwörer wieder die Treppen hinab, an der Tür des Jagdzimmers vorbei, aus dem nur die eifrige Stimme der Hausfrau klang, über die beiden Höfe nach dem Georgenflügel.

Nachdem das noch auf dem Boden liegende Schwert des alten Pottlitz an den Nagel gehangen und sein Wams in den Schrank verstaut worden war, übergab Genia den »goldenen Bund« dem Hofmeister, drückte ihm in die andere Hand etwas, was man in früheren Zeiten als »blanken Taler« bezeichnet hätte, und sagte eindringlich: »Kühenmännchen, Sie schlafen heute nacht auf diesen Schlüsseln. Warum, das geht Sie nichts an. Sie wissen aber: ich bin an unbedingten Gehorsam gewöhnt!«

Kühenmann, dem man den langgedienten preußischen Unteroffizier an der Nasenspitze ansah, klappte die Absätze seiner Langschäfter knallend zusammen und versicherte: »Es kommt nichts vor, das gnädige Fräulein kann überzeugt sein. Ich werde die Schlüssel hüten wie meinen Augapfel!«

»Bong!« machte Genia befriedigt, drehte sich auf dem Absatze herum, und dann betraten die drei das Jagdzimmer.

Sie hatten dabei ein Gefühl wie Kinder, die auf dem Weg von der Schule nach Hause verschiedene Abstecher in fremde Gärten und auf fremde Bäume gemacht und darüber die Zeit versäumt haben. Trotzdem wünschten sie alle drei äußerst verbindlich und harmlos »Guten Abend!«

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