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5. Kapitel.

Hintze winkte auf der Treppe den Freund in sein Zimmer herein.

»Woldemar, auf einen Augenblick, wenn du nicht zu müde bist ...«

»Ich habe keine Zeit, müde zu sein, wenn du mich rufst, vorausgesetzt, daß es wirklich der Mühe wert ist.«

Der andere mußte über diese Einschränkung lachen. »Darüber steht mir kein Urteil zu. Weißt du, ich bin ein etwas schwerfälliger Mensch. Ihr Großstädter seid ja fixer in jeder Hinsicht. Kurz gesagt: wie gefällt dir Neuling?«

»Hm!« machte Cornelius und vergewisserte sich vorsichtig, ob die Tür auch fest ins Schloß gedrückt war. »Du gehst wenigstens aufs Ziel los. Meine Antwort ist: ja und zugleich nein.«

»Das ist gewunden, doppelsinnig.«

»Wenn du wissen willst, ob ich ihm zutraue, daß er hier ein bißchen »Geist« gemimt hat, so sage ich: ja. Wenn ich mich aber prüfe, ob die Begleitumstände auf ihn hinweisen und ich mir sein Verhalten heute abend in die Erinnerung zurückrufe, so sage ich ebenso bestimmt: nein. Wenn er auch bodenlos leichtsinnig ist – wir kennen ihn ja vom Regiment her zur Genüge –, so ist er doch ein so anständiger Charakter, daß er über die Folgen seiner Tat Gewissensbisse empfinden würde.«

»Das ist auch mein Gefühl. – Streichen wir ihn also von der Liste der Verdächtigen!«

Der Detektiv, der sich behaglich mit dem Rücken gegen das Fenster in einen bequemen Korbstuhl niedergelassen hatte, sagte nichts. Der andere hielt sein Schweigen für Zustimmung. Er atmete auf. Man sah ihm deutlich an, daß der Gedanke, der frühere Regimentskamerad könnte die Hand wider ihn erhoben haben, ihn gequält und beunruhigt hatte.

Nach einer Pause, während der Hintze in lebhafter Bewegung am Fenster gestanden, sagte Cornelius bescheiden: »Kann ich jetzt zu Bett gehen?«

»Aber natürlich!« lachte der andere, wie aus einem Traum erwachend, »verzeih, ich vergaß ganz ... Es ist ja schon spät. Also eine recht gute erste Nacht unter unserem Dache!«

»Wir hoffen doch. Ich taxiere, mein Bettchen auf Unzingen ist behaglicher als ein Granattrichter an der Somme ...« –

»Erst werde ich aber als alter Soldat noch ein bißchen auf Posten ziehen,« murmelte Cornelius vor sich hin, als er allein auf dem halbdunklen Korridor stand.

Sein Zimmer befand sich dem des Freundes gegenüber. Er öffnete es, bewegte die Tür etwas nach innen und schlug sie ziemlich heftig wieder zu.

»So!« sagte er befriedigt, »jetzt ist der Hauptmann der Reserve von Cornelius da drinnen zu Bett gegangen – und der Privatdetektiv Cornelius wird noch ein bißchen den Schlaf der ihm anvertrauten Herrschaften bewachen. Ach ja,« gähnte er lautlos vor sich hin, »das sind so die Annehmlichkeiten des Berufs.« Nach diesem Dialog mit seinem – wie er meinte, besseren Ich – drehte er die Gasflamme über seiner Tür aus und streifte die Halbschuhe von den Füßen. »Deine Schuhchen mußt du immer hübsch vor die Tür stellen, Hauptmann, sonst wundert sich Jean, ach nein, Karl heißt ja die Bedientenperle meines Freundes!«

Behutsam schlich er nun weiter, an verschiedenen Türen horchte er. Nicht ganz ohne ein peinliches Gefühl, war er doch ehrenwerter Gast bei Freunden. Aber gerade deshalb wollte er sich vergewissern, ob die Rückzugslinie frei war, um unangenehme Begegnungen auszuschließen. Der »Jagdgast« in Strümpfen zu mitternächtiger Stunde unterwegs – die Damen des Hauses hätten mindestens erstaunte Augen gemacht.

Im oberen Stockwerke war alles dunkel. Der Schein seiner elektrischen Taschenlampe zeigte ihm den Weg. Durch ein offenstehendes Fenster strich die kalte Nachtluft herein. Behutsam schloß er es, »damit es nicht hereinregnet!« Es lief nämlich draußen eine schmale Holzgalerie entlang. Ob dies der Anmarschweg des »Geistes« war? »Soll morgen bei Tageslicht untersucht werden!«

Aha! Da war ja die berühmte Treppe nach dem Turm. Weitausholend vermied er die erste Stufe. Das war die, die immer so verräterisch knarrte.

Nach einer Wendung stand er endlich vor der Tür des »Spukzimmers«. Sie war verschlossen. Er fühlte nach der Tasche. Dort war der altertümliche Schlüssel, den er sich von dem Hausherrn noch hatte aushändigen lassen. Schon wollte er ihn vorsichtig in das Schloß einführen, besann sich aber noch anders. »Besser Horchposten in äußerster Sappe!« und ließ sich mit einem kleinen Seufzer in sitzender Stellung auf den Boden nieder. Den Rücken stemmte er gegen die Tür. »Fühlung mit dem Feind,« murmelte er vor sich hin. »Leider ist die Aufklärung noch nicht restlos herbeigeführt. Immerhin, wenn Gefechtsberührung erfolgen sollte, so ist die Gesamtlage entscheidend, ob zum Angriff geschritten werden soll, sagt das gute, alte Exerzierreglement. Ist dies der Fall, so ist schnelles Zufassen am Platze.« Hierbei vergewisserte er sich, ob der kleine Browning zur Hand war.

Ein Treppenabsatz ist auch in einem Schlosse kein bequemer Untergrund. Der einsame Lauscher beruhigte sich aber mit dem Gedanken an ähnliche Situationen. »Im Felde hatte man doch wenigstens eine Zeltplane,« sinnierte er. Schon wollte er sich wieder erheben, um aus seinem Zimmer leise ein Sofakissen oder etwas Aehnliches zu holen, da wurde unter ihm irgendwo ein Geräusch hörbar. Es war ein ganz leises Geräusch, das selbst sein scharfes, geschultes Ohr nur undeutlich aufgefangen hatte. Wie ein Knarren oder Knacken ...

Dann wieder Totenstille im ganzen Hause.

Hatte nur eine Diele in dem alten Bau geächzt oder war der Fuß eines menschlichen Wesens über sie geglitten? Auf einmal strich es wie ein leichter Luftzug an ihm vorbei. Blitzschnell drückte er auf den Knopf seiner Laterne. Der grelle Schein beleuchtete aber nur die Holztäfelung des Treppenhauses. Ein Mensch hätte auch kaum an ihm vorbeihuschen können, denn die langen Beine des Horchers ragten über die ganze Breite des schmalen Absatzes hinweg. »Hm!« sagte er, »so ein alter Kasten ist wirklich eine unheimliche Geschichte. Wenn jetzt der alte Puttlitz mir in seinem grünlichen Lichte erscheinen würde, ein bißchen Kribbeln würde mir wahrscheinlich doch den Rücken hinunterlaufen. Armer Hintze, ich kann dir einige Gefühle nachempfinden!«

Nach mehreren Minuten weiteren Horchens erhob er sich und schlich weiter nach oben.

Richtig, die Luke der Plattform war aufgeklappt.

Daher war sicherlich jener Lufthauch gekommen. Nein, sagte er sich aber sofort. Ein Zug entsteht immer durch »Gegenzug«, das heißt, wenn man eine zweite Tür öffnet. Er bedauerte, nicht sofort sich Sicherheit über diese zweite Tür verschafft, sondern sich von dieser Quelle entfernt zu haben, sagte sich aber, daß es jetzt zu spät war. Die Gelegenheit war nun verpaßt.

Mit einem Seufzer betrat er die Plattform.

Da konnte er allerdings die Vorliebe des Ahnherrn, der sich das Turmzimmer als liebsten Aufenthaltsort gewählt, verstehen. Der Anblick, der sich ihm auch zu dieser nächtlichen Stunde bot, war wundervoll.

Trotzdem am dunklen Himmel nur eine dünne Sichel stand, war die Landschaft unter ihm von einem silbergrauen Lichte erleuchtet, wenn auch nur ganz schwach. Die um das Panorama gelagerten Berge glichen gewaltigen Ungeheuern, deren gezackte Rückensilhouetten sich kantig vom Himmel abhoben und die ihre ungeschlachten Arme dräuend um die Täler legten.

Da und dort ein winziges, flackerndes Lichtchen, wohl in einer dumpfigen Bauernstube brennend, an einem Krankenlager?

Ganz von fern her drang ein leises, rollendes Geräusch an das Ohr von der Eisenbahn, die über rotaufleuchtende Schienen ihren eisernen Weg entlang donnerte. Zur Linken war der Himmel rosig gefärbt. Nicht vom Widerschein der untergegangenen Sonne – die stand jetzt bereits der abgekehrten Seite der unendlichen Weltkugel gegenüber und strahlte dort über Gerechte und Ungerechte. Die Hüttenwerke lagen dort, wo jener Schein den Himmel färbte. Stätten der auch in dieser Stunde nicht rastenden, unermüdlichen Arbeit.

Deutschland arbeitete an seinem Wiederaufbau. Wie ein Kranker, der in monatelangem Dämmern dahingebrütet und jetzt endlich wieder die abgezehrten Arme, die das Fieber durchraste, nach Beschäftigung ausstreckt ...

Die Brust gedehnt von dem frischen, belebenden Odem der Nachtluft, stieg nach einer halben Stunde Cornelius die ausgetretenen Stufen wieder in das schweigende Haus hinab.

Wie alte, liebe Bekannte begrüßte er seine Schuhe, die noch unberührt vor der Tür standen.

Behutsam drückte er die Tür seines Zimmers ins Schloß. Und bald hatten ihn Träume umfangen. Da tauchte ein junges, sonnenverbranntes Ding in einem Dirndelkostüm auf, das – merkwürdig! – auf dem Kopfe ein seidenes, grünes Mützchen trug. Und dieses Mützchen setzte es jetzt mit schelmischem Lächeln dem alten Kuno von Puttlitz auf die greisen Haare. Der war darüber weder erstaunt, noch böse, obwohl das Mützchen wie eine Zipfelhaube ihm über der mageren Hakennase hin und her baumelte. Er machte nur mit heiserer, eingerosteter Stimme »Ki–hi!« – und wand sich, als ob man ihn mit spitzem Finger irgendwo kitzle.

Auf einmal saß das junge Ding auf einem silbernen Trapez ganz hoch oben in der Luft und angelte mit einer Pfauenfeder nach dem Mützchen.

Die Sache sah eigentlich sehr gefährlich aus; denn das Trapez hing nur an einer fadenschwachen Schnur an der Mondsichel, die da hinten über dem Dorfe Tutzingen hing. Jawohl. Tutzingen hieß das Nest; denn der Name war ganz deutlich auf dem Schild am Bahnhof zu lesen. Und kleine, dreckige Kinder spielten in der Gosse. Und alle hatten sie die magere Hakennase des alten Puttlitz, die gar greulich-komisch mitten in den jungen Gesichtern saß. So komisch, daß der Mond sogar lachte. Dabei klappte er den Unterkiefer auf und zu. »Machen Sie gefälligst Ihre Klappe zu!« rief da der Hauptmann der Reserve, der mit einem kleinen Nachtlichte auf der Plattform des Turmes stand und bekam Angst, Angst, die ihm den kalten Schweiß auf die Stirne trieb. Natürlich! Der dumme Mond hörte nicht. Der dünne Faden riß, warum sollte er auch nicht reißen?, denn er hing doch seit dem 16. Jahrhundert da ... Trapez und Mädchen sausten nach unten. Der alte Puttlitz zog erschrocken den krummen Rücken ein – man bedenke: vier Jahrhunderte lagen schon auf ihm! – ... und nun auch noch ein junges, kräftiges Ding nebst Trapez dazu!

Ganz deutlich hörte der Schläfer das morsche Rückgrat knacken, einmal, zweimal, jeder Rückenwirbel gab für sich einen besonderen Knacks von sich ... Ganz scheußlich war es anzusehen und noch mehr anzuhören. Einen entsetzlichen Schrei stieß Cornelius aus ... richtete sich in seinem zerwühlten Bett auf und ...

*


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