Johann Wolfgang von Goethe
Kurze Schriften zu Kunst und Literatur 1792 - 1797
Johann Wolfgang von Goethe

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[Kunst und Handwerk]

Alle Künste fangen von dem Notwendigen an; allein es ist nicht leicht etwas Notwendiges in unserm Besitz oder zu unserm Gebrauch dem wir nicht zugleich eine angenehme Gestalt geben, es an einen schicklichen Platz, und mit andern Dingen in ein gewisses Verhältnis setzen können. Dieses natürliche Gefühl des Gehörigen und Schicklichen, welches die ersten Versuche von Kunst hervorbringt darf den letzten Meister nicht verlassen welcher die höchste Stufe der Kunst besteigen will, es ist so nahe mit dem Gefühl des Möglichen und Tulichen verknüpft, und diese zusammen sind eigentlich die Base von jeder Kunst.

Allein wir sehen leider daß von den ältesten Zeiten herauf die Menschen so wenig in den Künsten als in ihren bürgerlichen, sittlichen und religiösen Einrichtungen natürliche Fortschritte getan haben, vielmehr haben sich gar bald unempfundene Nachahmung, falsche Anwendung richtiger Erfahrungen, dumpfe Tradition, bequemes Herkommen, der Geschlechter bemächtiget, alle Künste haben auch von diesem Einfluß mehr oder weniger gelitten, und leiden noch darunter, da unser Jahrhundert zwar in dem Intellektuellen manches aufgeklärt hat, vielleicht aber am wenigsten geschickt ist reine Sinnlichkeit mit Intellektualität zu verbinden wodurch ganz allein das wahre Kunstwerk hervorgebracht wird.

Wir sind überhaupt an allem reicher was sich erben läßt, also an allen Handwerksvorteilen an der ganzen Masse des Mechanischen, aber das was angeboren werden muß, das unmitteilbare Talent wodurch der Künstler sich auszeichnet scheint in unsern Zeiten seltner zu sein. Und doch möchte ich behaupten daß es noch so gut wie jemals existiere, daß es aber als eine sehr zarte Pflanze weder Boden noch Witterung noch Wartung finde.

Wenn man die Denkmale betrachtet welche uns vom Altertum übrig geblieben sind, oder die Nachrichten überdenkt welche sich davon bis auf uns erhalten haben; kann man leicht bemerken daß alles was die Völker bei denen die Kunst geblühet auch nur als Geräte besessen, ein Kunstwerk gewesen und als ein solches geziert gewesen sei.

Eine Materie erhält durch die Arbeit eines echten Künstlers einen innerlichen, ewig bleibenden Wert, anstatt daß die Form welche durch einen mechanischen Arbeiter selbst dem kostbarsten Metall gegeben wird immer in sich bei der besten Arbeit etwas unbedeutendes und gleichgültiges hat, das nur so lang erfreuen kann als es neu ist und hierinnen scheint mir der eigentliche Unterschied des Luxus und des Genusses eines großen Reichtums zu bestehen. Der Luxus bestehet nach meinem Begriff nicht darinnen daß ein Reicher viele kostbare Dinge besitze, sondern daß er Dinge von der Art besitze, deren Gestalt er erst verändern muß um sich ein augenblickliches Vergnügen und vor andern einiges Ansehen zu verschaffen. Der wahre Reichtum bestünde also in dem Besitz solcher Güter welche man zeitlebens behalten, welche man zeitlebens genießen, und an deren Genuß man sich bei immer vermehrten Kenntnissen immer mehr erfreuen könnte. Und wie Homer von einem gewissen Gürtel sagt: er sei so vortrefflich gewesen daß der Künstler der ihn gefertiget, zeitlebens habe feiern dürfen, ebenso könnte man von dem Besitzer des Gürtels sagen: daß er sich dessen zeitlebens habe erfreuen dürfen.

Auf diese Weise ist die Villa Borghese ein reicher, herrlicher, würdiger Palast mehr als die ungeheure Wohnung eines Königes, in welcher wenig oder nichts sich befindet, das nicht durch den Handwerker oder Fabrikanten hervorgebracht werden könnte.

Der Prinz Borghese besitzt was niemand neben ihm besitzen was niemand für irgend einen Preis sich verschaffen kann, er und die Seinigen durch alle Generationen, werden dieselbigen Besitztümer immer mehr schätzen und genießen je reiner ihr Sinn, je empfänglicher ihr Gefühl, je richtiger ihr Geschmack ist und viele Tausende von guten, unterrichteten und aufgeklärten Menschen aller Nationen werden durch Jahrhunderte eben dieselben Gegenstände mit ihnen bewundern und genießen.

Dagegen hat alles was der bloß mechanische Künstler hervorbringt weder für ihn noch für einen andern jemals ein solches Interesse. Denn sein tausendstes Werk ist wie das erste und es existieret am Ende auch tausendmal. Nun kommt noch dazu daß man in den neueren Zeiten das Maschinen und Fabrikwesen zu dem höchsten Grad hinaufgetrieben hat und mit schönen, zierlichen gefälligen, vergänglichen Dingen durch den Handel die ganze Welt überschwemmt.

Man sieht aus diesem daß das einzige Gegenmittel gegen den Luxus wenn er balanciert werden könnte und sollte die wahre Kunst und das wahr erregte Kunstgefühl sei, daß dagegen der hochgetriebene Mechanismus, das verfeinerte Handwerk und Fabrikenwesen der Kunst ihren völligen Untergang bereite.

Man hat gesehen worauf in den letzten zwanzig Jahren der neu belebte Anteil des Publikums an bildender Kunst, im Reden, Schreiben und Kaufen hinausgegangen ist. Kluge Fabrikanten und Entrepreneurs haben die Künstler in ihren Sold genommen und durch geschickte mechanische Nachbildungen die eher befriedigten als unterrichteten Liebhaber in Kontribution gesetzt, man hat die aufkeimende Neigung des Publikums durch eine scheinbare Befriedigung abgeleitet und zu Grunde gerichtet.

So tragen die Engländer mit ihrer modern antiquen Topf und Pasten Ware, mit ihrer schwarz, rot und bunten Kunst ein ungeheures Geld aus allen Ländern und wenn man es recht genau besiehet hat man meist nicht mehr Befriedigung davon, als von einem andern unschuldigen Porcellain Gefäße, einer artigen Papiertapete oder ein paar besonderen Schnallen.

Kommt nun gar noch die große Gemälde Fabrik zu Stande wodurch sie, wie sie behaupten, jedes Gemälde durch ganz mechanische Operationen, wobei jedes Kind gebraucht werden kann geschwind und wohlfeil und zur Täuschung nachahmen wollen; so werden sie freilich nur die Augen der Menge damit täuschen aber doch immer eben dadurch den Künstlern manche Unterstützung und manche Gelegenheit sich emporzubringen rauben.

Ich schließe diese Betrachtung mit dem Wunsche daß sie hier und da einem einzelnen nützlich sein möge, da das Ganze mit unaufhaltsamer Gewalt forteilt.

 


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