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In jeder Kunst ist schwerer als man glaubt zu bestimmen was lobens- oder tadelnswert sei; um einiger maßen eine Norm für unsere Urteile über Baukunst zu finden mache ich folgende Deduktion: und bemerke nur vorläufig daß einiges, was ich sagen werde allen Künsten gemein ist; um aber nicht in Zweifel zu geraten spreche ich davon bloß vorzüglich auf die Baukunst.
Die Baukunst setzt ein Material voraus welches zu dreierlei Zwecken stufenweise angewendet werden kann.
Der Baukünstler lernt die Eigenschaften des Materials kennen und läßt sich entweder von den Eigenschaften gebieten z. B. daß der Stein bloß vertikal trägt und getragen wird, das Holz hingegen auf eine große Weite horizontal trägt – hierbei ist das gemeine Handwerk hinreichend – oder er zwingt das Material wie den Stein durch Gewölbe, durch Klammern, den Balken durch Hangwerke und hierzu ist schon mechanische Kenntnis und Einsicht nötig.
Wir wenden uns nun zu den drei Zwecken, diese sind: der nächste, der höhere und der höchste.
Der nächste, wenn er bloß notwendig ist läßt sich durch eine rohe Naturpfuscherei sinnlich erreichen, wird diese Notwendigkeit mannigfaltiger, was wir nützlich nennen so gehört schon eine Handwerksübung dazu um ihn zu erreichen, dieser nächste Zweck und dessen Beurteilung ist dem mehr oder weniger gebildeten Menschenverstand überlassen das Notwendige mit Bequemlichkeit vollbringen zu können.
Soll aber das Baugeschäft den Namen einer Kunst verdienen, so muß es neben dem Notwendigen und Nützlichen auch sinnlich harmonische Gegenstände hervorbringen. Dieses sinnlich harmonische ist in jeder Kunst von eigner Art und bedingt; es kann nur innerhalb seiner Bedingung beurteilt werden. Diese Bedingungen entspringen aus dem Material aus dem Zweck und aus der Natur des Sinns, für welchen das Ganze harmonisch sein soll.
Man sollte denken, die Baukunst als schöne Kunst arbeite allein fürs Auge; allein sie soll vorzüglich, und worauf man am wenigsten Acht hat für den Sinn der mechanischen Bewegung des menschlichen Körpers arbeiten, wir fühlen eine angenehme Empfindung wenn wir uns im Tanze nach gewissen Gesetzen bewegen; eine ähnliche Empfindung sollten wir bei jemand erregen können den wir mit verbundenen Augen durch ein wohlgebautes Haus hindurch führen. Hier tritt die schwere und komplizierte Lehre von den Proportionen ein, wodurch der Charakter des Gebäudes und seiner verschiedenen Teile möglich wird.
Hier tritt nun aber bald die Betrachtung des höchsten Zweckes ein, welcher wenn man so sagen darf die Überbefriedigung des Sinnes sich vornimmt und einen gebildeten Geist bis zum Erstaunen und Entzücken erhebt, es kann dieses nur durch das Genie das sich zum Herrn der übrigen Erfordernisse gemacht hätte, hervorgebracht werden; es ist dieses der poetische Teil der Baukunst in welchem die Fiktion eigentlich wirkt. Die Baukunst ist keine nachahmende Kunst, sondern eine Kunst für sich aber sie kann auf ihrer höchsten Stufe der Nachahmung nicht entbehren; sie überträgt die Eigenschaften eines Materials zum Schein auf das andere wie z. B. bei allen Säulenordnungen die Holzbaukunst nachgeahmt ist; sie überträgt die Eigenschaften eines Gebäudes aufs andere wie sie z. B. Säulen und Pilaster mit Mauren verbindet, sie tut es um mannigfaltig und reich zu werden und so schwer es hier vor den Künstler ist immer zu fühlen ob er das schickliche tue, so schwer ist es für den Kenner zu urteilen ob das schickliche getan sei.
Diese Absonderung der verschiedenen Zwecke wird uns sowohl bei Betrachtung der verschiedenen Gebäude sehr zu statten kommen als auch in der Geschichte der Baukunst zum Leitfaden dienen.
So lange man nur den nächsten Zweck vor Augen hatte und sich von dem Material mehr beherrschen ließ, als daß man es beherrschte, war an keine Kunst zu denken und es ist die Frage ob die Etrurier in diesem Sinne ehemals Baukunst gehabt haben; so lange man große Steine, wie man sie findet in allen Gestalten und Richtungen zusammen fügt kann noch nicht einmal der Zufall den Handwerker auf Simetrie hinweisen, er wird erst eine Weile viereckte Steine in horizontaler Lage über einander gemauert haben bis es ihm einfällt daß er jene aussondern gleich und gleich zusammen bringen sie simetrisch legen oder wohl gar zu einerlei Maß behauen sollen.
Bei Betrachtung der Geschichte der Baukunst unter den Griechen sieht man, daß es ihr Vorteil war, daß sie sich unablässig in einem engen Kreise herumdrehten und dadurch ihren Sinn übten und verfeinerten; die dorischen Tempel von Sicilien und groß Griechenland sind alle nach einer Idee aufgebauet und sind doch so sehr verschieden von einander.
Es scheint als wenn in den frühern Zeiten der Baukunst der Begriff des Charakters den das Gebäude haben soll über das Maß geherrscht habe denn der Charakter läßt sich eigentlich durch Maß nicht ausdrucken und wir sehen bei Ausmessungen wirklicher Gebäude wie schwer es sei ihre Teile auf Zahlverhältnisse zu reduzieren; es war gewiß kein Vorteil für die neuere Baukunst als man anfing an statt auf den Charakter aufmerksam zu machen die Zahlverhältnisse zu lehren nach welche die verschiedenen Ordnungen aufgestellt werden sollen.
Am meisten aber ist man in dem Hauptpunkte zurückgeblieben; man hat das Eigentliche der Fiktion, das Schickliche der Nachahmung selten verstanden da man es doch am nötigsten brauchte indem man das, was sonst nur Tempeln und öffentlichen Gebäuden angehörte auf Privatwohnungen herüber trug um ihnen ein herrliches Ansehn zu geben.
Man kann sagen daß in der neuern Zeit auf diese Art eine doppelte Fiktion und zweifache Nachahmung entstanden ist welche sowohl bei ihrer Anwendung als bei der Beurteilung Geist und Sinn erfordern.
Hierinne hat niemand den Palladio übertroffen, er hat sich in dieser Laufbahn am freiesten bewegt und wenn er ihre Grenzen überschritt so verzeiht man ihm doch immer was man an ihm tadelt. Diese Lehre von der Fiktion von ihren geistigen Gesetzen ist nötig um gewissen Puristen zu begegnen die auch in der Baukunst gern alles zu Prosa machen möchten.
Wenn wir die verschiedenen Teile der Baukunst einzeln werden durchgegangen haben so kann das bisher gesagte bestimmter ausgedruckt und besser verstanden werden.
Basen ganzer Gebäude
woraus in der Folge die Zocken und Postamente entstehen.
Die Basen der ältesten Tempel waren Stufen; diese Gebäude waren rings herum zugängig. Nur daß diese Stufen proportionierlich zum Gebäude in den ältern Zeiten so hoch waren, daß der Mensch sie nicht erschreiten konnte; es wurden also an der Vorderseite der Tempel diese hohen Absätze nochmals durch kleinere Stufen durchschnitten.
Bei andern Tempeln waren die Stufen ringsum von dem Maße, daß man hinaufsteigen konnte.
Der Auftritt der Stufen hatte einen scharfen Winkel; die vorspringenden Glieder an denselben kommen erst zu Augusts Zeiten vor. Wenn die Tempel so zu stehen kamen daß sie nur von der Vorderseite gesehen wurden; oder daß sie von der Art waren die man in Antis nennt, ward die Base vorgerückt und zwischen derselben ging die Treppe hinauf.
Es kommt auch ein Fall vor, wo einige Stufen zwischen den Säulen selbst hinauf gehen, wie bei dem Tempel zu Assisi der Fall; ich glaube aber daß man es nur aus Notwendigkeit getan, weil der Tempel an dem Berg liegt und kein Platz zu einer vorliegenden Treppe war. Es wäre zu untersuchen ob mehr solche Fälle vorkommen und ob der Text des Vitruvs den Galiani berechtigt die Grund- und Aufrisse der dorischen Tempel wie sie Tab. V vorgestellt sind, zu entwerfen.
Auf diese Weise scheinen die Säulen auf Piedestalen zu stehen; allein sie stehen wirklich auf dem Boden der Vorhalle der durch die Treppe nur eingeschnitten ist.
Paladio muß daher die Tempel nur aus Hörensagen gezeichnet haben wie die Vergleichung desselben Lib. IV Cap. 26. und Monumenti antiqui inediti fürs Jahr 1786 Fol. 20 überzeugen kann.
Fragt sich wann kommen zuerst Säulen auf völlig freistehenden Piedestalen vor.
Piedestale als Vorsprünge der Basen im Fall wo keine Stufen vorkommen Palladio Lib. IV Cap. 29.
Der Übergang sind offenbar durchschnittene Basen Palladio Lib. IV Cap. 25 wo man deutlich dedutieren kann, wie der Architekt, der ohne dies gewiß nicht sehr gewissenhaft war zu dieser Art von Piedestal ist genötiget worden.
So hat auch Palladio bei Stadtgebäuden, wo er Freiheit hatte, immer gehandelt.
Fragt sich ob wirklich freistehende Piedestale von ihm sich finden; gewöhnlich hat er sie nur als Vorsprünge der Basen angebracht.
Bei Landhäusern, wo er größere Freiheit hatte, finden sie sich ein einziges mal aber doch als idealische Kontinuation einer Base; die nähern Umstände des Lokals und der Bestimmung wird die Ursache dieser Abweichung zeigen und an keiner seiner ernsthaften Anlagen findet sich nur eine Spur davon.
In oben erwähnten Fällen ließ er gern in der Höhe des Säulenfußes einen Zockel um das Gebäude herumlaufen um immer auf eine gewisse horizontale Folge hinzudeuten.