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[An Gabriel Johannes Schleusner]
Hier schicke ich, wertester Herr Doktor, einen kleinen Aufsatz über die Grundlage zu einer architektonischen Bibliothek, wie ich ihn heute früh diktiert habe, er enthält freilich zu wenig und zu viel. Wenigstens aber wird Ihren Korrespondenten keines dieser Bücher angeschafft zu haben reuen. Wir sprechen darüber, und es läßt sich wohl noch manches zweckmäßig in der Kürze hinzutun, und man kann, wenn man nur erst sieht wo Ihr Korrespondent hinauswill, nach und nach, mehr darauf bauen. Ich wünsche recht wohl zu leben und hoffe Sie heute Abend zu sehen.
Jena am 22. Febr. 1797.
Goethe.
Die Anfrage Ihres H[errn] Korrespondenten, wertester Herr Doktor, deutet auf eine Lücke in der Kunstliteratur, dergleichen sich leider noch mehrere finden mögen; ein Buch wie er es wünscht ist nicht geschrieben und ist auch sobald noch nicht denkbar. Um ein Bücherverzeichnis aufzusetzen aus welchem sich eine Kunst mit Zeitersparnis studieren ließe, müßte man mit sich und anderen schon über die Methode, und also gewissermaßen über die Theorie einig sein, das ist hier nun leider keineswegs der Fall, und jeder Liebhaber und Künstler muß zu seinem großen, oft unersetzlichen Nachteil, den Weg einer halb raisonnierten Empirie gehen und sich in den Irrgarten hinein und heraus finden so gut er kann. Da dies aber der Fall mit mehr andern hochgepriesenen Wissenschaften ist, so wollen wir uns darein ergeben und Ihrem Herrn Korrespondenten wenigstens unsern guten Willen zeigen.
Das wünschenswerteste wäre freilich daß der Liebhaber, der sich ausbilden will, die Gebäude selbst am Platze sähe, um nicht allein ihre architektonischen, sondern auch ihre optischen Verhältnisse kennen zu lernen. Ein verständig gewählter oder geschaffener Ort ist der Hauptvorteil eines Gebäudes und die wirkliche Größe des Kunstwerks ist eine unerläßliche Forderung wenn es wirken soll.
Will man aus Büchern sich entweder zu dieser Anschauung vorbereiten, oder sie im Gedächtnis wieder auffrischen, und sich mit den äußeren Gesetzen der Kunst bekannt machen, so wird man wohltun eine Bibliothek um sich zu versammeln, die uns mit der Geschichte der Baukunst nach und nach bekannt macht. Zu diesem Studio ist im allgemeinen Doktor Stieglitzens Geschichte der Baukunst ein recht brauchbares Werk.
Die Entdeckung und nähere Bekanntmachung der älteren griechischen Monumente, in groß Griechenland, Sicilien und dem eigentlichen Griechenland, hat viel Einfluß auf unsere Begriffe von der Baukunst gehabt, und diese Muster wirken auch schon stark auf die Ausübung, indessen ist mir kein Lehrbuch bekannt, wo sie an der Stelle die ihnen gebührt aufgeführt wären, da alle bisherigen ältern Schriften dieser Art, dem von Vitruv eingeschlagenen Weg gefolgt sind. Ein wahrer Liebhaber der Kunst kann daher diejenigen Bücher, worin diese Monumente aufgestellt sind, nicht entbehren und es wären daher folgende vor allen Dingen anzuschaffen.
Le Roi Reise nach Griechenland.
Die Ruinen von Pestum.
Die Altertümer von Athen.
Houels Reise durch Sicilien.
St. Non Reise durch Sicilien.
In diesen Werken kann man den reinen großen und soliden Styl kennen lernen, in welchem jene glücklichen Menschen arbeiteten, obgleich auch manches spätere darinne vorkommt, das der gute Geschmack abzusondern hat.
Houels Werk macht uns besonders anschaulich, wie jenes kluge Volk in den Mitteln zu seinen großen Zwecken haushälterisch gewesen, wie sie Felsen und Berge nicht allein als Fundament sondern auch als Teil des Gebäudes benutzt, der rohen Masse in ihrer Naturlage eine bequeme und schöne Form gegeben, und durch die Kunst das Fehlende nur gleichsam suppliert, wie sie die Aussichten herrlich genutzt und was sonst noch alles zu ihrem Ruhm gereichen mag.
Von römischen Altertümern ist eine Menge gestochen und herausgegeben. Im vorigen Jahrhundert arbeiteten verschiedene Künstler an solchen Werken, die in dem Verlag des de Rossi herauskamen, sie enthalten, außer den perspektivischen Ansichten, des gegenwärtigen Zustandes am untern Teil des Blattes kleine Grundrisse und Profile auch restaurierte Ansichten, sie sind recht gut und architektonisch zweckmäßig radiert.
Nolli und andere arbeiteten auf diesem Wege fort.
In dieser Schule bildete sich Piranese aus dessen Werken nur ein Teil herauszunehmen wäre, da er oft zu viel dem Effekt aufgeopfert. Sein Werk della Magnificenza di Roma ist für die Verzierung einzelner Glieder sehr schätzbar.
In der Mitte des 16ten Jahrhunderts stach Labacco verschiedene Monumente nebst ihren Teilen in Kupfer; wenn man das Original und gute Abdrücke erhalten kann so bleiben sie Muster der Behandlung dieser Gegenstände mit dem Grabstichel.
Vorerst würde ich einem Liebhaber anraten sich die Anciens edifices de Rome par Desgodez anzuschaffen.
Die Lehrbücher der verschiedenen Meister, aus dem 15ten und 16ten Jahrhundert, kann man nicht entbehren, sie enthalten Ausmessungen der alten Monumente, Abbildungen der vorzüglichen Gebäude, welche jeder Meister aufführte, oder entwarf, und jeder stellt nach seiner Art die Grundsätze der Kunst auf, wobei sie alle den Vitruv im Auge hatten, von dem die neueste deutsche Übersetzung von Rode in Dessau anzuschaffen ist.
Serlios Werk ist in mehreren Teilen sehr brauchbar, besonders sind seine Substruktionen, seine Rustika und dergl. sehr zweckmäßig und gut und wenn man von seinen übrigen Aufrissen eine gewisse falsche Art von Verzierung wegdenkt, so liegen meist gute Verhältnisse zum Grunde.
Palladio ist geistreich und gratios und wohl in schicklicher Anwendung architektonischer Fiktionen der erste; sein Werk über die Baukunst ist um so merkwürdiger da es auch Risse von Gebäuden enthält, die nicht fertig geworden sind, worunter das Kloster della Carita in Venedig gehört, welches er nach dem Muster eines antiken Gebäudes, wie uns die Beschreibung davon durch Vitruv überliefert ist, aufführen wollte und das, dem Risse und dem fertig gewordenen Teile nach, gewiß eines der merkwürdigsten Gebäude der neuen Welt geworden wäre. So ist auch sein Vorschlag zum Ponte Rialto außerordentlich schön und die jetzige Ausführung dagegen nicht zu vergleichen. Auch kann man aus diesem Werke seine vorzüglichsten Vicentinischen Gebäude kennen lernen. Diese sind jedoch nachher teils in kleinerem, teils in größerem Format, mit vieler Sorgfalt und Aufwand herausgegeben worden. Auch existiert ein Band seiner Kirchen und ein Band antiker Bäder von ihm. Seine Gebäude haben in der Lombardei das Übergewicht. Seine Ausmessungen und Zeichnungen antiker Gebäude sind nicht immer richtig.
Scamozzis Werk ist das vollständigste, solideste und trefflichste das die Architektur aufzuweisen hat, dieses Werk allein genugsam durchzustudieren würde einen Freund der Kunst schon weit genug bringen. Das wenige was ihm an der Methode fehlen möchte, weiß ein guter Kopf leicht zu ersetzen.
Aus diesen drei Büchern kann man auch kennen lernen was in Venedig für eine Bauart geliebt worden sei.
Die Florentiner schlugen sich lange mit dem Gespenste des gotischen Geschmacks herum, und entfernten es nur mit Mühe, bis sie sich auch zur edlen Einfalt erhoben. Dem Bruneleski hängt immer noch etwas Gotisches an, dann kommt der zierliche Alberti, der solide Michelozzo, endlich Cronaca dessen Kirche S. Francesco in Monte wegen Simplizität, Adel und angemessener Zierraten rühm würdig ist. Die bürgerlichen Häuser bauten die Florentiner so wie die Sieneser anfangs in einem sehr schweren Geschmack, sie sehen Festungen und Staatsgefängnissen gleich. Ich will mich nach einem Werk erkundigen aus dem man diese neuere Toskanische Bauart sich bekannt machen kann.
Vignola ist ein sehr angenehmer und geniereicher Baukünstler, wenn er gleich in einigen Sachen schon zu weit geht. Sein Werk muß mit Beurteilung gebraucht und gelesen werden. Man hat einzelne Gebäude desselben, das Schloß zu Caprarola, das Lusthaus Papa Julia, die kleine Kirche die vor der Porta del Populo steht, mit allen deren Teilen in Kupfer gebracht, die ein Liebhaber der Kunst besitzen sollte.
Um sich von den römischen neueren Gebäuden im allgemeinen einen Begriff zu machen, kann man den Teil der Santratischen Akademie der sie enthält, sehr gut nutzen. Besonders finden sich einige von Bramante, die sehr merkwürdig sind.
Man fängt jetzt in Rom an wieder aufs neue, sowohl Grundrisse, als Profile und Aufrisse, der merkwürdigsten neueren Gebäude herauszugeben, wovon ich mir viel Gutes verspreche.
Die Geschichte der Erbauung der Peterskirche, der verschiedenen Vorschläge, Risse und Modelle, ist eines eigenen Studiums wert, wie denn auch ein eigenes Werk darüber existiert.
Weinlichs Briefe über Rom sind ein sehr gutes Buch, das ein Liebhaber nicht entbehren kann.
Von französischen Schriften wollte ich nur vorerst das Werk des Franz Blondel empfehlen. Es ist manches daraus zu lernen und gibt Gelegenheit, da er hier und da mit einem gewissen skeptischen Raisonnement, das sich in die Beurteilung der Kunst einschleichen wollte, polemisiert, auch diese Vorstellungsart, die sich von Zeit zu Zeit in Künsten wieder sehen läßt näher kennen zu lernen.
Des Abbé Laugier Werk über die Baukunst sollte ein Freund der Kunst auch kennen, seine Grundsätze leiten auf einen guten Weg, sind aber zu einseitig und ihre Anwendung muß beurteilt und geprüft werden.
Wenn man auf die Muster des sinkenden Geschmacks auch einiges Geld verschwenden will, so wären die Ruinen von Palmyra und die Altertümer von Spalatro, die Clerisseau herausgegeben hat, anzuschaffen.
Mit den ägyptischen Altertümern mache man sich, aus Reisebeschreibungen, mit so wenig Kosten als möglich bekannt.
Dieses wäre wertester Herr Doktor was ich aus dem Stegreife und aus dem Gedächtnis niederschreibe. Die ausführlichen Titel der Werke will ich hinzusetzen sobald ich wieder nach Weimar komme, wo sich die meisten befinden.
Ich wünsche daß dieser unvollkommene Aufsatz Ihrem Herrn Korrespondenten nützlich sein und ihm Anlaß geben möge uns seine Bedürfnisse näher anzugeben, ich werde mit Vergnügen das weitere, was mir bekannt ist, mitteilen.
Jena den 22ten Febr. 1797
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