Johann Wolfgang von Goethe
Kurze Schriften zu Kunst und Literatur 1792 - 1797
Johann Wolfgang von Goethe

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[Vorschlag zur Einführung der
deutschen Sprache in Polen.
Um eine höhere Kultur
der niederen Klassen zu bewirken
]

Wenn man ein Land zu erobern gedenkt, so nimmt man keinen Anstand Truppen marschieren zu lassen, man ruckt in die Provinzen ein, verzehrt was man vor sich findet, verwüstet gelegentlich ein paar Dörfer, verbrennt eine Stadt und schont keine Menschen, wie es Gebrauch und Notdurft des Krieges mit sich bringt; ist aber das Land in Besitz genommen und gehört es nun, durch Übereinkunft und Friedensschluß, dem neuen Fürsten, so glaubt man sogleich mitten im Frieden zu sein und alles auf die gewöhnlichste Friedensweise behandeln zu können, obgleich ein innerer Krieg noch lange fortdauert, besonders wenn der eroberte Staat von dem erobernden an Sprache und Sitte verschieden ist.

Man hat in Schriften und auch in Zeitungen die Frage aufgeworfen: auf welche Weise wohl der Polnischen Nation die deutsche Sprache einzuimpfen sein möchte? und es sind dabei die Schwierigkeiten der Operation, wenn sie auf dem gewöhnlichen pädagogischen Wege eingeleitet werden soll, nicht verborgen geblieben.

Wir wagen daher einen zwar nicht gewaltsamen, doch vielleicht seltsam scheinenden Vorschlag und bitten dabei zu bedenken daß, wie der Krieg, so auch der Friede seine außerordentlichen Fälle hat und deshalb auch außerordentliche Mittel nötig sind. Also zur Sache!

Man errichte mehrere herumziehende Theater Gesellschaften, in solcher Anzahl daß sie des Jahrs einigemal an bedeutenden Orten kurze Zeit spielen können. Es müßte ihnen durchaus untersagt sein irgend eine Art von vorhandenem Schauspiel zu geben. Ihnen würde von höchster Behörde eine Sammlung Dialogen, oder wenn man will kleiner Stücke überliefert, auf welche sie sämtlich verpflichtet würden, diese wären in der Art geschrieben wie die Gespräche in den Grammatiken und enthielten alles was gewöhnlich im Leben jenes Volkes vorkommt, in reiner fließender deutscher Sprache. Was die Imagination, was die Leidenschaft anspricht würde vermieden, so wie alle sentimentale Gesinnungen und Zwecke. Nur die realen Äußerungen der Sittlichkeit würden dargestellt und ausgesprochen. Man sähe die mittlere und geringe Klasse, von Morgen bis Abend, von der Kindheit bis zum Alter, in den gewöhnlichsten Zuständen, denen niemand ausweicht und alle diejenigen Ausdrücke deren man sich im gemeinen Leben am öftesten bedient würden mit Sorgfalt angebracht und nützlich gestellt.

Wir haben an den Familienszenen auf dem deutschen Theater die Erfahrung gemacht, wie schon das beinahe gleich lautende des gemeinen Lebens, wenn es mit Sinn und Talent auf der Bühne dargestellt wird, ein großes Interesse erregen könne. Wir lesen bei Kämpfer daß der japanische Kaiser sich sehr unterhalten gefunden als ihm die Holländer ihre gewöhnlichen Reverenzen, Begegnungen und täglichen Handlungen vorgespielt. Wenn man nun dem ungebildetern Volke, mit Erfindung und Geist, teils seine eigene Sitte und Unsitte, teils die gebildetere Sitte der herrschenden Nation darstellte, dergestalt daß die Handlung schon als Pantomime verständlich wäre und die Sprache sich nur als Komplement hinzufügte, so würde schon manches gewonnen sein.

Eine Sammlung solcher kleiner Dramen würde alsdann gedruckt und zum Schulbuche gemacht und zwar dergestalt daß Namen und alle Handlungen polnisch, der Dialog aber deutsch wäre, woraus ein sehr vielfacher Gebrauch entstände. Der polnische Teil des Buches würde zum Lesebuch in der Nationalsprache dienen, es sei nun für eingeborne oder deutsche Kinder, er würde für sie nichts totes enthalten, sondern eine lebhafte Erinnerung dessen was sie gesehen, oder ein Verlangen nach dem was sie zu sehen wünschen aufregen, der deutsche Teil würde denn nun ganz eigentlich zum Endzweck dienen die nächsten Sprachbedürfnisse zu befriedigen.

Bei Komposition solcher Dialogen hätte man sich vor Frechheit und Leichtfertigkeit so sehr als vor Pedanterie zu hüten. Die äußere Achtung welche Kinder ihren Eltern, Untergebene ihren Vorgesetzten zu beweisen haben, wäre mit Gebärden und Worten auszudrücken, die Folgen von Reinlichkeit und Unreinlichkeit, von Nachlässigkeit oder Aufmerksamkeit, von Nüchternheit und Trunkenheit, wären mit Maß und Sinn darzustellen. Auch was man auf Kleidung und sonstiges äußeres Betragen wirken wollte, [wäre] mit in Betracht zu ziehen. Da sich ja, in so mannichfaltig ausgebildeten Staaten, Mode sowohl als Betragen von dem Theater herab mit Schnelligkeit ausbreiten.

Es ließen sich dergleichen Stücke auf mancherlei Weise variieren und beleben. Man sähe z. B. einen Polen von geringem Stande, der aber gedient hat und neben einem guten äußerlichen Betragen auch deutsch kann. Man brächte ihn in Situationen wo er sich und andern durch diese Sprachkenntnis wichtige Dienste leistet und so ist ein auffallendes Beispiel dargestellt. Was er mit sich selbst, oder zu den Zuschauern spräche könnte polnisch sein, der übrige Dialog deutsch.

Es gibt gewiß geistreiche Männer in jenen Staaten, denen die Erfindung und Ausführung solcher Arbeit gelingen müßte.

Hätte man solche Dialogen, wie es ohnehin mit jeder Grammatik geschieht, der Jugend in die Hände gegeben, so würde vielleicht bald daraus folgen daß die Schulkinder geneigt wären die Handlungen selbst vorzustellen wodurch ein großer Gewinn sowohl für äußeres Betragen als für die Sprache zu hoffen wäre. Haben die Jesuiten, die gewiß wußten wie man Menschen zu behandeln hat, das Schauspiel mit in den Plan ihrer Erziehung aufgenommen, verschmäht die neuere Pädagogik keines Wegs die Einwirkung dramatischer Darstellung, haben wir Deutsche für Kinder eigens eingerichtete kleine Stücke, wird durch das Sprüchwortspiel unsere Sozietät öfter zum Dramatisieren aufgerufen, haben Sprüchwörter den Franzosen Gelegenheit zu anmutigen Scherzen gegeben, mag man in großen und kleinen Städten, selbst neben wohl eingerichteten öffentlichen Bühnen, sich auf Privattheatern üben und zeigen; warum sollte man einen so wirksamen Hebel nicht auch zweckmäßig da gebrauchen wo er, und vielleicht allein, so viel in kurzer Zeit zu würken im Stande ist. Freilich zeigt sich sobald man die Ausführung überdenkt manche Schwierigkeit; aber ist nicht eben Schwierigkeiten zu heben das Lebensgeschäft des Staats- und Weltbürgers. Entsetzt sich unsre Zeit vor neuen Einrichtungen und Organisationen? und wird der nicht vorzüglich geschätzt der das unmöglich Scheinende möglich zu machen weiß. Man erinnere sich unsers vom Kriege oben hergenommenen Gleichnisses! dort fragt man nicht was bei den größten Anstrengungen fällt und zu Grunde geht, sondern was erlangt wird.

Will man aber unserm Vorschlag alle Ausführbarkeit absprechen; so betrachte man ihn auch als Gleichnis, das weiterdeuten und zu fernerem Nachdenken Anlaß geben mag, wie die Kunst, wenn sie erst in ihrer Tiefe, Fülle und Gewandtheit bestünde und anerkannt würde, sich willig und geistreich, zu großen und würdigen äußeren Zwecken hergeben könnte und dabei für sich zugleich unendlich gewinnen müßte.

 


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