Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Achtzehntes Kapitel.
Savonarolas Märtyrtum.

Die furchtbare Tragödie zu Florenz ging ihrem schreckenvollen Schlusse entgegen. Nach dem Sturme von San Marco, welcher die Gefangennahme Savonarolas zur ersten Folge hatte, gewannen die Feinde des kühnen Reformators die Oberhand und sie wußten ihren Vorteil wahrzunehmen. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre der unglückliche Prior mit seinen beiden Leidensgefährten auf dem Wege zum Gefängnisse von der wutschnaubenden Menge mißhandelt worden, und an ihm bewährte sich nun in vollem Maße die Wandelbarkeit der Volksgunst.

Girolamo Savonarola, Domenico von Peschia und Silvestro Maruffi wurden in einen neuen Kerker geschleppt, der sicherer, aber auch schauerlicher als die früheren Gefängnisse war. Bald nach seinem Eintritt in den gewölbten dunklen Gang, wendete der Prior den Kopf, um sich nach seinen Schicksalsgenossen umzusehen, aber dieselben waren schon nach andern Richtungen von ihm entfernt worden, und sein nachgerufener Abschiedsgruß verlor sich in den finstern Hallen wie der Ruf eines Schiffbrüchigen auf einsamem Felsen.

Aus den Händen der Kriegsknechte, die ihn gefangen genommen hatten, war er nun in diejenigen seiner Kerkermeister übergegangen, von welchen keiner ein Wort mit ihm sprach, während sie ihn mit großen Schritten, einen rohen Ausdruck in den grob geschnittenen Zügen, durch einen langen unterirdischen Gang führten. Sie trugen Windfackeln in den Händen, welche sie an die Wände schlugen, wenn der Brennstoff heruntertropfte und der rote Schein sich verdüsterte. Es war, als durchschritten sie niedrige Höhlen, bis sie an den Fuß eines Turmes gelangten, in dessen gewaltigen Fundamenten die Kerker angebracht waren, kleine Löcher von sieben bis acht Fuß im Quadrat, worin kaum ein einzelner Mensch Platz finden und sich ausstrecken konnte. Einzelne dieser Kerker waren sogar so niedrig, daß der Gefangene nur gebückt oder liegend die 278 Zeit darin verbringen konnte, und dabei waren sie sämtlich völlig dunkel. Zuletzt erhoben die Führer eine Fallthür, gingen eine steile Treppe hinab und nachdem sie etwa zehn Stufen hinuntergestiegen waren, traten sie durch eine niedrige Öffnung, deren Thüre mit großen Schlössern und einer starken eisernen Stange, die in der steinernen Einfassung verankert war, verwahrt wurde, in einen sechseckigen Raum und schoben den Unglücklichen mit sich hinein.

Beim Eintritt enthüllten die Fackeln eine Höhle aus großen Quadersteinen; hier und dort hingen schwere Ringe in Gliedern von Eisen und an einzelnen davon waren Handschellen und Halsringe befestigt. In einer Ecke befand sich ein Steintisch und auf dem Boden lag ein Strohsack, welcher ganz zerrieben und mit verfaultem Stroh ausgefüllt war.

Ohne ein Wort zu reden verließen ihn die Kerkermeister; er hörte die Schlösser in ihren Angeln klirren und vernahm, wie sie die eiserne Stange am Fußboden befestigten und dann fortgingen. Schauerliche Finsternis umgab ihn. Seine Denkkraft war stumpf, sie glich einer Sonne ohne Strahlen, und er fühlte einen schmerzlichen Druck im Gehirn. Er drückte das Kreuz an sich, welches er unter der Kutte trug, und dachte an die Martern und das Ende, welche ihn gleich dem Gekreuzigten erwarteten. Es flossen Thränen von seinen Wimpern, es war kein eigentliches Weinen, aber leise, leise wie eine Wasserader, welche unter einem Stein hervorrieselt, fielen die Tropfen zur Erde. Es waren kurze Augenblicke der Verzagtheit.

Aber er bekämpfte dieselbe und bald erhob er das Haupt wieder, um die Gedanken zu verscheuchen, welche ihn quälten. An den Wänden umhertastend, suchte er eine Öffnung zu erreichen, die er beim Eintritte bemerkt hatte. Sie ging nach oben und war mit großen eisernen Stangen versperrt, aber sie brachte so wenig Licht, daß er nicht einmal die Richtung erkennen konnte. Unverwandt richtete er den Blick aufwärts und suchte seine Sehkraft zu schärfen. Obgleich die Nacht fortdauerte, sah er starr nach jener einzigen Stelle, wo er einen Schein des Himmels zu sehen hoffte, den er so sehr liebte, dem seine Seele vertraute und den er oft als Zeugen für die Reinheit seines Willens angerufen hatte. Seltsame Wünsche stiegen in ihm auf. Er glaubte einen Stern zu sehen, so strahlend und schön wie die Freiheit, die er dem Volke zu bringen gehofft, es klang ihm im Ohr wie das Gemurmel der Wellen des Arno, er wähnte die frische Morgenluft zu fühlen, welche sein erhitztes Blut kühlen und seine glühende Stirne umfächeln sollte, aber bald erkannte er wieder, daß ihn dichte Finsternis und Grabesstille umgab und die Luft schwer und erstickend auf ihm lastete.

Zuweilen fürchtete er, daß er zur Strafe des Ugolino verurteilt sei; indessen drang nach und nach doch der Schimmer eines grauen Lichtes in seinen Kerker und wenn er auch weder den Himmel noch die Erde schauen und bewundern konnte, weil die Öffnung, durch welche er den Lichtstrahl empfing, in schräger 279 Form zu einem dunklen Gange führte, so fiel doch noch ein schwacher Schimmer aus der Höhe und verlor sich nicht ganz zwischen Mauern und Säulen.

Nun vernahm er auch ganz aus der Ferne einen Ton, ein Wimmern; er strengte das Ohr an und erkannte, daß es die Glocke von San Marco war.

Wie viele Male hatte der Ton dieser Glocke das Volk zu seinen Predigten gerufen, wie feierlich tönte ihr Klang, als sie den Beginn der neuen Ordnung eingeläutet hatte! Er beugte überwältigt das Haupt und überdachte die Geschicke der Menschheit. Fast mußte er daran zweifeln, daß eine göttliche Vorsehung über den Ereignissen und Thaten auf der Erde wache. Wieder versank sein Geist so tief in Nachsinnen, daß er erstaunt auffuhr, als der Kerkermeister ihm eine kärgliche Mahlzeit hereinschob.

Von nun an schwankte seine Stimmung oft zwischen ruhiger Ergebung und verzweiflungsvoller Niedergeschlagenheit. Wußte er doch, daß Räuber und Mörder mehr auf Rücksicht und Menschlichkeit zu rechnen hatten als die unglücklichen Opfer des politischen und religiösen Fanatismus. In finstern und dunklen Kerkern, zwischen feuchten Mauern, mit elender Kost genährt, mußten solche Gefangene oft jahrelang auf den Richterspruch harren, und wenn ihre Sache nicht verschleppt oder völlig vergessen wurde, fielen sie willkürlichen Verhören anheim, die meistens durch die Folter zu dem gewünschten Ende führten.

Savonarolas Los entschied sich schneller. Schon nach kurzer Zeit kamen eines Tages vier verhüllte Männer in langen schwarzen Gewändern, den Kopf bis zu den Augen mit einer gleichfalls schwarzen Kapuze verdeckt, zu ihm herein, um den Gefangenen in den Verhörsaal zu bringen.

Es war ein weites Gewölbe, ganz mit Schwarz ausgeschlagen und an dem einen Ende desselben stand ein großer halbmondförmiger Tisch, gleichfalls ganz schwarz verhüllt. Schwarz war das Leder der Stühle, schwarz der Samt des Baldachins, welcher sich über dem Stuhle des Präsidenten erhob. An der Wand hing ein lebensgroßes Kruzifix in Holz geschnitzt, aber mit einer starren Ausdruckslosigkeit, welche mehr geeignet war, Furcht einzuflößen, als Trost und Hoffnung in die Seelen der Unglücklichen zu gießen, die vor Gericht standen. Rechts vom Präsidenten stand auf dem Tische eine Klingel, links lag ein großes offenes Evangelienbuch, und in der Mitte, zwischen Leuchtern, auf welchen Kerzen von gelbem Wachs brannten, stand ein Kreuz von Bronze, das einen besondern Zweck hatte. Zuweilen wurde dasselbe glühend gemacht und den Angeklagten zum Kusse vorgehalten; wenn sie dann vor Schmerz das Kreuz fallen ließen, war der Beweis ihrer Schuld erbracht, weil sie Abscheu gegen den Erlöser gezeigt oder dieser sich ihrem Kusse widersetzt hätte.

Im Hintergrunde des Saales standen Mönche aus verschiedenen Orden und dort befanden sich auch die Zeugen; die Richter nahmen auf Lehnstühlen Platz, an ihrer Seite der Kommissar des Papstes, der Ankläger Francesco von Arone und siebzehn Examinatoren.

280 Man ließ Girolamo hereinkommen. Aufgerichtet, die gefurchte Stirne erhoben, das Auge offen und frei, trug seine ganze Erscheinung das Gepräge der Schuldlosigkeit, und die gänzliche Ergebung milderte den Ausdruck der Bitterkeit und den Schmerz, die sein Antlitz verschleierten. Aufgefordert, sich zu setzen, sah er sich forschend um, und da er nichts erblickte als einen Stein, verzogen sich seine starken Lippen zu einem bittern Lächeln. Indes er setzte sich, so gut es ging und richtete alsdann seinen klaren, durchdringenden Blick mit ungezwungener Würde auf seine Richter. Aber wie die Schriftgelehrten und Pharisäer einst gegen Christus verfuhren, so wollten diese Richter nicht nach Gerechtigkeit entscheiden, sondern nur verurteilen. Befragt, bedroht, mit Roheiten überschüttet, blieb Savonarola stets ruhig und gelassen und beantwortete alle Fragen mit überlegener Sicherheit. Im Verlaufe des Verhörs erhob sich einer der Examinatoren, dessen Gewissen sich regte und verweigerte seine weitere Teilnahme, indem er laut erklärte, er wolle keinen Teil an diesem Morde haben.

Dieser Zwischenfall vermehrte den Starrsinn der Richter. Der Kommissar des Papstes machte dem Präsidenten ein Zeichen und dieser klingelte. Der schwarze Vorhang, welcher die rechte Seite des Saales bedeckte, wurde zurückgeschlagen und enthüllte einen großen Raum, der von zwei matten Fackeln so dürftig erhellt war, daß man sein Ende nicht absehen konnte. Auf Tüchern von blutroter Farbe, welche dort die Wände bedeckten, erblickte man die Folterwerkzeuge; mancherlei Gestelle, Schuhe von Eisen, große Nägel, Stricke von jeder Stärke, Haken und Schnallen, und überall waren große Pfähle mit einem Querbalken aufgerichtet, an dessen Ende sich eine Winde mit Rädern und Stricken befand, während auf dem Boden Bleiklumpen lagen, um sie an die Füße zu hängen und dadurch den an Stricken hängenden Körper zu beschweren; Trichter, Holznägel, Stränge, geteerte Fackeln, Holzbänkchen, Peitschen, Geißeln mit eisernen Kugeln an den Enden, Sägen, Zangen, Messer, Hämmer, Räder und hunderterlei andre Instrumente, um Barthaare auszuziehen, Fingernägel herauszureißen, die Haut abzuschinden, Löcher in das Fleisch zu bohren, um siedendes Öl, Pech oder Blei hineinzugießen. An einzelnen Stellen war der Fußboden durchfurcht, damit das Blut besser abfließen könne; in den Wänden befanden sich Löcher und Öfen, um darin auf Kohlen eiserne Roste und Spieße glühend zu machen, durch welche menschliche Körper gemartert und verkohlt wurden. Am Ende des Gemaches befand sich ein Becken mit brennenden Kohlen, welches mit dem Scheine seiner Glut die Tiefe dieses Gewölbes düster erleuchtete.

Der Inquisitor gab ein Zeichen. Die vier Vermummten, welche sich bis zu diesem Augenblicke bewegungslos an Girolamos Seite gehalten hatten, traten vor, ergriffen den Unglücklichen, hoben ihn auf ihre Arme und gingen mit ihm in die Folterkammer. Der Bischof von Sorrent, an der Spitze der Mönche, und mit ihm der Inquisitor Torriani machten das Zeichen des Kreuzes und sämtliche Mönche stimmten einen düstern Psalm an, in welchem 281 sie den barmherzigen Gott anriefen, diesem Verirrten, welcher von den Nebeln und Schatten der Sünde umfangen sei, Licht zu verleihen.

Zwei der Henkersknechte nahmen hierauf Savonarola bei den Händen und banden ihm diese, eine auf die andre, mit dem Ende jenes Strickes, der von oben herabhing, auf den Rücken, dann prüften sie den andern Teil des Strickes, um sich zu versichern, ob er auch glatt durch die Winde rollte; nun zogen sie den Unseligen langsam bis zur Höhe der Wölbung empor, nahmen den Schemel, auf welchen er hatte steigen müssen, unter ihm fort und ließen ihn dann plötzlich bis vier Finger hoch vom Boden herunterfallen. Die Erschütterung war schrecklich und man hörte die Gelenke knarren und die Muskeln zerreißen. Ein dumpfer Seufzer und ein unterdrückter Schrei entrangen sich der Brust des Gepeinigten.

»Bekennet, Pater«, sprach Torriani mit heuchlerischer Stimme, die sanft und doch eindringlich klingen sollte.

»Ich bekenne«, sagte Girolamo – und während er redete, herrschte die tiefste Stille umher – »daß ich das Volk geliebt und ihm die Freiheit gebracht habe – daß ich die Kirche geehrt und sie gereinigt zu sehen gewünscht habe.«

»Zieht ihn von neuem auf!« rief ergrimmt der Kommissar des Papstes, und die Henkersknechte zogen ihn abermals in die Höhe und ließen ihn mit stärkerer Erschütterung von oben herabfallen. Diese Qual wurde viermal wiederholt, bis er von Schmerz überwältigt die Worte murmelte.

»Herr, sei meiner armen Seele gnädig!«

Die Richter hofften, der Augenblick sei gekommen, um den Stolz des Unseligen zu brechen und sie riefen im Chore.

»Bekenne, daß du dem Bösen gehuldigt hast und durch deine Predigten das Volk verführen wolltest.«

Aber er antwortete nicht und schüttelte nur verneinend den Kopf.

Dreimal noch wurde er in die Höhe gezogen. Nach dem letzten Male traten die Augen aus ihren Höhlen heraus, er öffnete krampfhaft den Mund, ein trocknes Röcheln entrang sich seiner Kehle, man hörte ganz leise die Worte.

»Ich bekenne, daß –«, aber das Ende des Satzes wurde unterbrochen durch ein dumpfes Gurgeln, wobei blutiger Schaum auf seine Lippen trat.

Sie ließen ihn nun von den Stricken befreien und die Henker legten ihn ohnmächtig auf eine blutbefleckte Matratze nieder.

Domenico von Peschia und Maruffi wurden ebenso mitleidslos gepeinigt und auch sie ertrugen alle Qualen, ohne ihre Überzeugung zu verleugnen.

Als Girolamo Savonarola aus seiner Ohnmacht zu sich kam, mußte er hören, wie sein Ankläger, der Notar Francesco von Arone, den er einst im Kloster San Marco vor der Wut des Volkes geschützt hatte, ein Protokoll über die Bekenntnisse vorlas, die der Gefangene unter der Tortur gemacht haben sollte.

282 Savonarola grübelte lange Zeit nach, aber er konnte sich auf gar nichts besinnen, denn er wußte nur, daß er unsägliche Schmerzen gelitten hatte. Unter den Mönchen, welche ihn umgaben, entdeckte sein irrer Blick nun auch einige aus seinem eignen Kloster und seine Seele litt unter ihrem Anblicke fast ebensoviel wie sein Körper unter der Nachwirkung der ausgestandenen Qualen.

Mit gebrochener Stimme sagte er:

»Alles, was ich früher gesagt und gepredigt habe, ist wahr, aber wenn ich das, was hier geschrieben steht und was ich unter den Schmerzen der Folter bekannt haben soll, wirklich gesagt habe, so ist es falsch und mir nur durch die gräßlichen Qualen erpreßt worden. Was ich gelehrt und dem Volke verheißen habe, bleibt ewig wahr, aber ich bin ein schwacher und unbeständiger Mensch, der die Qualen der Tortur nicht ertragen kann und ich werde daher alles bekennen, was man von mir verlangt, so oft die Folter angewendet wird, aber ich protestiere gegen die verlesenen Aussagen.«

Der Kommissar des Papstes redete ihm ernsthaft zu, und da die Henkersknechte auf Befehl des Inquisitors den Unglücklichen abermals ergreifen wollten, willigte er ein, einen Teil des Protokolls, den er annähernd den Thatsachen entsprechend fand, zu unterschreiben, indem er mit erloschener Stimme sagte.

»Ich empfehle meine Seele dem Herrn und bringe mich als Brandopfer für die Freiheit des Volkes dar.«

Der Gefangene wurde darauf in seinen elenden Kerker zurückgebracht, wo er ohne Teilnahme und Trost seinen körperlichen und geistigen Leiden überlassen blieb. Inzwischen versammelte sich die Signoria im großen Saale des Palastes, woselbst außerdem ein zahlreiches Publikum aus allen Ständen anwesend war. Der Notar Francesco von Arone, genannt Ceccone, las das Protokoll des Prozesses und sagte am Schlusse seiner Mitteilung:

»Ich habe diese wenigen Worte aus dem ganzen Protokolle gezogen, denn wenn ich alles, was der Gefangene bekannt hat und hier aufgezeichnet steht, lesen wollte, würden noch ganz andre Dinge offenbar werden. Aber ich übergehe den Rest, weil es nicht wohlgethan erscheint, jeden Menschen in die Geheimnisse unsrer Stadt einzuweihen.«

Diese Erklärung war sehr schlau ausgedacht, um dem Volke den letzten Rest von Anhänglichkeit an Savonarola zu nehmen. Man deutete nämlich den Sinn derselben dahin, daß der Angeklagte mancherlei Beichtgeheimnisse von großer Wichtigkeit verraten habe. Überhaupt wurde ein systematisches Verfahren angewendet, um die Geltung der Lehren des Reformators völlig zu untergraben. Von den Qualen, die man ihn hatte erdulden lassen, wurde absichtlich geschwiegen und nur fortwährend darauf Gewicht gelegt, daß er seine Schuld bekannt habe. Die rohe und unwissende Menge grollte ihm noch immer wegen des vereitelten Gottesurteils und selbst seine Anhänger konnten nicht fassen, daß ein Mann, der im Namen Gottes die Medici 283 verjagt und den Ehrgeiz Karls VIII. gedemütigt hatte, nicht durch Wunder beglaubigt wurde.

Der Verteidiger des Savonarola war Angelo Pandolfini und dieser gab sich die größte Mühe, seinen Klienten zu retten, aber die Gegner des unglücklichen Mönches waren zu zahlreich und zu mächtig. Von Rom kamen fortwährend Breven und es regnete Versprechungen und Drohungen, während das Geld der Familie Medici nicht geschont wurde. So geschah es, daß endlich sein Todesurteil gefällt und am 22. Mai 1498 vor Gericht verlesen wurde. Auch das gleiche Urteil über seine beiden Schicksalsgenossen wurde mit dem seinigen verkündet. Mit Heiterkeit im Gesichte vernahm Girolamo den Spruch des Gerichts. Er ermutigte seine beiden Genossen und umarmte sie, indem er Standhaftigkeit bis zum letzten Augenblicke gelobte. Dann erhob er den Blick zum Himmel und flehte gleich Christus, dem Gekreuzigten, um Vergebung für die Verblendung seiner Feinde und um Segen für das irregeleitete Volk.

Für Florenz folgten nun Tage ungeheurer Aufregung und gespannter Erwartung. Diejenigen, welche noch immer im Herzen überzeugt waren, Savonarolas Bestrebungen seien Gott wohlgefällig, hofften auf ein Wunder, während andre, die ihn im Bunde mit dem Satan wähnten, die Erwartung hegten, er werde sich durch Zauberkraft noch im letzten Augenblicke retten.

Inzwischen bereitete sich das unglückliche Opfer zum Tode vor. Zuweilen träumte er sich zurück in die Tage seiner Kindheit, als er auf den Knieen seiner Eltern sich wiegen und mit Blumen spielen durfte und dann als Knabe in seiner hochstrebenden Seele bereits jene Empfindungen pflegte, die seinen Namen später mit Ruhm bedecken sollten. Süße Erinnerungen hefteten sich an die Zeit, die er in Ferrara verlebte, darauf gedachte er des Aufenthalts in Bologna und der schweren Kränkung, die er dort erfuhr und welche seinem Leben eine neue Wendung gab; dann erinnerte er sich an seine Übersiedlung nach Florenz, wo ihn die Begeisterung seines Volkes, für welches er zehnmal sein Leben geopfert hätte, so hoch erhob.

So warf denn die freundliche Vergangenheit noch einen goldnen Schimmer auf die traurige Gegenwart und erhellte seine Stirn, welche schon von den dunklen Schatten des Todes umschleiert war.

Noch eine schwere Prüfung wurde ihm durch die Roheit und den Unverstand der Soldaten bereitet, welche im Gefängnisse den Wachtdienst hatten und in deren Gewalt er sich befand. Sie traten wiederholt dreist und rücksichtslos bei ihm ein, verhöhnten ihn und drohten mit Mißhandlungen, wenn er ihnen nicht eine Probe seiner Zauberkraft gebe. Er sollte Steine in Gold verwandeln oder allerhand kindische Spielereien als Wunderthäter ausführen. »Nun«, sagten sie, »da dir der Tod an der Kehle sitzt, wird es Zeit, Wunder zu thun.« Gepeinigt und verspottet, entkräftet durch die entsetzlichen Folterqualen, sah er mit Ungeduld dem Augenblicke seiner Hinrichtung entgegen.

284 Endlich erschien dieser ersehnte Tag. Früh am Morgen öffnete sich die Pforte und seine beiden Genossen, bleich und leidend wie er, riefen ihn in die Kapelle, wo jeder von ihnen dem andern das Abendmahl reichte. Gleich darauf wurde Savonarola mit seinen Gefährten zur Hinrichtung geführt.

Auf dem Platze angelangt, nahm ihnen der Bischof Paganotti nach der üblichen Vorschrift die priesterliche Weihe, indem er zu Savonarola sagte. »Ich stoße dich aus der streitenden und triumphierenden Kirche«, worauf der Verurteilte entgegnete. »Aus der streitenden wohl, aber nicht aus der triumphierenden, denn das liegt nicht in deiner Gewalt.«

Torriani entkleidete sie hierauf alle drei von der Dominikanerkleidung, so daß sie nur im Untergewand und in bloßen Füßen blieben.

Girolamo verlangte für einen Augenblick das Dominikanergewand zurück und küßte es, indem er mit lauter Stimme sagte.

»O, heiliges Kleid, wie habe ich dich einst erwünscht! Als ich dich hatte, habe ich dich rein und unbefleckt erhalten bis zu diesem Augenblicke, und ich würde dich auch jetzt nicht lassen, aber du bist mir mit Gewalt entrissen worden.«

Bischof Ramolino, als Abgesandter des Papstes Alexander VI., absolvierte die drei Todesgefährten von den Kirchenstrafen und erteilte ihnen die volle Absolution. Seltsamer Widerspruch! Alexander VI. versprach ihnen das Paradies, aber sie sollten durch die Flammen des Scheiterhaufens zu demselben eingehen!

Auf dem Platze der Signoria waren drei Tribünen errichtet. Die erste für den Bischof Paganotti, die zweite für den apostolischen Kommissar und die dritte für acht Wachen. Das Gerüst für die Hinrichtung war hoch aufgebaut; es begann von dem goldnen Löwen vor der Signoria und endigte in der Mitte des Platzes, wo es sehr hoch emporstieg. Dort war der Scheiterhaufen von leicht brennbarem Holze mit Öl und Stroh vermischt, damit das Feuer rascher um sich griffe. Aus seiner Mitte erhob sich ein Balken, ungefähr zwanzig Ellen hoch, welcher oben in der Form des Kreuzes Querhölzer hatte. Die Henker standen bereit, um dem Holze Pech und Schwefel beizumischen.

Die Hinrichtung Savonarolas. Nach einem Gemälde in der Zelle des Savonarola.

Die drei Verurteilten hatten kaum die Hinrichtungsstelle betreten, als sie sich das letzte Lebewohl sagten und sich versicherten, daß sie willig leiden wollten, um die Palme des Märtyrtums zu erreichen. Sie hielten sich aus der Entfernung noch ihre Kruzifixe entgegen.

Der Mönch, welcher Savonarola begleitete, fragte ihn, ob er noch irgend etwas zu sagen habe und Savonarola erwiderte: »Ja, daß ich allen von Herzen verzeihe, – daß ich wünsche, das Volk möge an meinem Tode keinen Anstoß nehmen, – daß ich nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft in mir trage, die Zukunft, die ihre Früchte bringen wird.«

Die Stimme Savonarolas war bis an das äußerste Ende des Platzes vernehmlich, denn die ungeheure Menge, welche dort versammelt war, um dem schrecklichen Schauspiele beizuwohnen, verhielt sich in tiefster Stille.

285 Der Henker legte zuerst die Schlinge um den Hals des Silvestro Maruffi und befestigte den Strick an dem einen Arme des Kreuzes. Darauf gab er ihm einen Stoß und legte noch einen weitern Reif um seinen Hals, der an einer Kette am Mittelpunkte des Kreuzes hing.

Dasselbe geschah mit Domenico.

Zuletzt kam Girolamo, welcher mit lauter Stimme beim Ersteigen der Treppe das Credo sprach. Als er auf der Höhe angelangt war, ließ er seine Blicke über das Volk schweifen. Und dieses Volk, obgleich zu entfernt, um seinen Blick zu verstehen, fühlte doch im Herzen die Bedeutung desselben und jeder glaubte das Wort »Undankbare!« zu vernehmen.

Die Glocke von San Marco begleitete mit langsamen Schlägen die Sterbeszene des Priors Girolamo Savonarola.

Sein Körper hing zwischen seinen beiden Gefährten.

Es war die zehnte Morgenstunde des 23. Mai 1498.

286 Lange Flammen züngelten bald darauf in roter Glut gegen den Himmel, aber ein heftiger Wind trieb sie herab, ohne daß sie die drei Körper berührten, welche noch in Todesqualen zuckten. Bald darauf aber stiegen sie wieder in die Höhe und verhüllten lange Zeit den schrecklichen Anblick. Todesstille herrschte unter dem Volke. Selbst die Feinde der Hingerichteten fühlten sich zum Schweigen gezwungen. Nur die Mönche stimmten einen düstern Gesang an, welcher das Aufzüngeln der Flammen und das Verzehren der Körper begleitete, die Glied für Glied verbrannten.

Der Kommissar des Papstes wendete sich darauf zu Torriani und sie drückten sich die Hände, als wollten sie sich mit heiliger Freude sagen: So sind drei Seelen mehr im Paradiese und drei Feinde unsres Heiligsten Vaters weniger auf der Erde.

Die Flamme erlosch nach und nach und verzehrte die letzten Reste des Scheiterhaufens, eine lauge Rauchsäule stieg empor, darauf nur Kohlen und Asche.

Alles war zu Ende.

Der Kommissar des Papstes und die Signoria hatten angeordnet, daß die Asche gesammelt und vom Ponte vecchio aus in den Arno geworfen werde. So trugen die Wellen des Arno die unkenntlichen Überreste des Girolamo Savonarola fort, aber weder der Wind noch die Wellen konnten das Gedächtnis seines Wirkens und seines Geistes vernichten und sein Wort nicht ertöten, welches sich als heiligstes Vermächtnis von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzte. 287

 

 


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