Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Zehntes Kapitel.
Das Reich des Minnesangs.

Schon unter König Ludwig XI. von Frankreich, dem Vater Karls VIII., hatte die französische Nation begonnen, sich in Macht und Ansehen zu heben. Noch kurz vor seinem Tode hatte Ludwig von dem Könige René die Provence und damit auch die Ansprüche auf den Thron von Neapel geerbt. Renés Name war nicht nur durch seine Herrschertugenden, sondern auch durch den romantischen Schimmer berühmt geworden, den seine poetische Begabung und die Pflege des Minnegesangs an seinem Hofe ihm verschafften. Wenn in Italien augenblicklich die bildenden Künste unter dem Einflusse der Ausgrabungen von Meisterwerken der antiken Welt eine herrliche Wiedergeburt erlebten, so hatte bereits früher die Dichtkunst daselbst durch Dantes »Göttliche Komödie« ihren höchsten Triumph gefeiert. Aber merkwürdigerweise waren die befruchtenden Keime für die Baukunst unter der Form gotischer Kathedralen von Frankreich nach Italien gekommen, und ebenso hatte früher Dante seine ersten Anregungen von dort geholt. Wohl verlieh alsdann die wiedergekehrte alte Welt in Italien den Künsten eine neue Blüte, aber Frankreich durfte doch den Anspruch erheben, an dieser Wiedergeburt einen großen Anteil zu haben.

Der Inhalt von Dantes Göttlicher Komödie bezieht sich zum größten Teile auf das Jahrhundert, in welchem die Guelfen und Ghibellinen sich in Florenz befehdeten. In seiner Jugend Guelfe, wurde er später Ghibelline und schrieb und dichtete für seine Partei, die auf die Ankunft eines deutschen Kaisers die kühnsten Hoffnungen setzte. In seinen Versen wurde zum erstenmal die italienische Sprache zum Unterschiede von den früher üblichen Dialekten klar und fest dargestellt. Sein Freund Giotto hat uns ein Bild von dem Kopfe des Dichters hinterlassen, dessen ernste Züge eine ahnungsvolle Seele verraten. Sowohl in Dante wie in Giotto zeigt sich ein neuer Aufschwung des italienischen Geistes. Dante hatte in Paris seine Studien gemacht, in Frankreich hatte auch Giotto gemalt. Dantes Porträt ist Giottos berühmteste Arbeit. 156 Seine Madonnen haben noch einen Nachklang des byzantinischen Madonnentypus. Auch er arbeitete bereits als Maler, Bildhauer, Architekt, führte in Neapel und Mailand große Werke aus und wurde von den Päpsten nach Rom und Avignon berufen.

Dante im Atelier Giottos. Nach H. Vogel.

Dante und Giotto blieben Freunde bis an das Ende ihres Lebens. Als Giotto nach Ferrara kam und Dante in Ravenna davon hörte, brachte er es dahin, daß jener nach Ravenna berufen wurde.

Das berühmteste Denkmal, das der Meister hinterlassen hat, bleibt der Glockenturm, der neben dem Dome Santa Maria del Fiore in Florenz steht, viereckig, und von oben bis unten mit Marmor bekleidet. Es war Giotto nicht vergönnt, diesen Turm zu Ende zu bauen, sowenig wie Arnolfo die Vollendung des Dombaues selbst erlebte. Giotto hatte den Auftrag erhalten, einen Turm aufzurichten, der alles überrage, was griechische und römische Kunst hervorgebracht habe. Die aus schwarzen und weißen Marmortafeln zusammengesetzte Bekleidung ist mit den schönsten Ornamenten und Bildhauerwerken bedeckt.

Er starb 1336, fünfzehn Jahre nach Dante, und sein Einfluß auf die florentinische Kunst erhielt sich bis zum Ende des Jahrhunderts. Mit dem Beginne des folgenden treten Ghiberti, Brunelleschi, Donatello und Masaccio auf, von denen jeder die künstlerische Hinterlassenschaft Giottos weiter ausdehnte.

Inzwischen entwickelte sich im südlichen Frankreich unter dem Einflusse der maurischen Poesie und Kunst ein wunderbares Leben in bezug auf die Sprache und die epische und lyrische Poesie.

Ob der Umstand, daß der päpstliche Hof während der Zeit des Schismas in Avignon residierte, auf die Entfaltung künstlerischer und poetischer Wirksamkeit in dortiger Gegend Einfluß übte, bleibt fraglich. Damals wurden die Mauren in Spanien hart bedrängt, und die mit ihnen stammverwandten Juden teilten ihr Los, aber die hohe Begabung dieser Stammesgenossen auf geistigen Gebieten übte nichtsdestoweniger sowohl in Spanien wie im südlichen Frankreich den mächtigsten Einfluß aus. Der Islam sowohl wie das hebräische Gesetz waren der Skulptur und Malerei feindlich gesinnt, aber um so üppiger regte sich das künstlerische Schaffen auf den Gebieten der Architektur und der Dichtkunst, und nach beiden Richtungen hin wurden durch maurischen Einfluß Werke geschaffen, welche die Bewunderung ihrer Zeit hervorriefen und von großem Einfluß auf die ganze Entwickelung des künstlerischen Lebens waren. Hand in Hand mit der Baukunst ging das Bestreben, durch geschmackvolle Gartenanlagen mit Terrassen, Teichen und Springbrunnen den prachtvollen Schöpfungen der Architektur eine entsprechende Umrahmung zu geben. Alles, was die Phantasie in freiem Schwunge auszudenken vermag, fand bei den Mauren seine schönste Entfaltung. Wie sie in ihren Bauwerken geschwungene Linien und buntes Farbenspiel liebten, so brachten sie in ihren Gärten lauschige Grotten und labyrinthische Gänge an, mit welchen wundervolle Blumenbeete und 157 rauschende Wasserkünste abwechselten. Auch die Tanzkunst fand gerade bei ihnen eine besondere Pflege, und die sogenannten »Moresken« waren lange Zeit an allen Höfen beliebte Bühnenspiele mit Tanzunterhaltungen.

Während ihres wiederholten Aufenthalts im südlichen Frankreich hatten die Mauren daselbst reichliche Spuren ihres geistigen Einflusses hinterlassen. Jene wunderbaren orientalischen Zaubermärchen, welche das heiße Klima Arabiens der menschlichen Phantasie eingibt, waren unter dem Einflusse der milderen und gerade darum so bezaubernden Luft Südfrankreichs zu poetischen Gebilden geworden, in denen die Tapferkeit und alle ritterlichen Tugenden, mit abenteuerlichen Vorgängen vermischt, eine Hauptrolle spielten. Dem Einflusse des Christentums mochte es zuzuschreiben sein, daß die glühenden Liebesabenteuer des Orients zu jener zarten Huldigung edler Frauenschönheit wurden, welche im Verlaufe der Zeit den Namen der Galanterie erhielt. Wie in der christlichen Kirche die 158 reine Himmelskönigin Maria die höchste Verehrung genoß, so wurde auch schönen und reinen Frauen eine Art von Anbetung gezollt, und vereinte eine solche Frau Anmut des Geistes mit körperlichem Reiz, hoher Geburt und reichem Besitz, so bildete sich ein ganzer Hof von schwärmerischen Rittern um sie, die sich teils darum bewarben, in ihren Dienst treten zu dürfen, oder freiwillig ihr Wappen und ihre Farbe trugen und sich auf diese Weise ihrem Dienste widmeten. Solche Ritter thaten alles, was sie unternahmen und vollbrachten, in der schwärmerischen Hoffnung, durch irgend eine Gunstbezeigung ihrer Dame, sei es auch nur das Geschenk eines Bandes, eines Handschuhs, durch ein liebreiches Wort oder einen zärtlichen Blick belohnt zu werden. Diese ritterlichen Gesinnungen und daraus entspringenden Huldigungen fanden auch in mancherlei friedlichen Festen ihren Ausdruck.

So versammelte sich an einem herrlichen Frühlingsabende auf einer Ebene nahe bei dem berühmten Orte, wo einst Petrarca seine herrlichen Sonette zu Ehren der schönen Laura dichtete, eine zahlreiche Versammlung von Herren und Damen mit stattlichem Gefolge von Zofen und Dienern; die Herren auf mutigen, schäumenden Rossen, die Damen auf schön gezäumten edlen Zeltern. Sie stiegen ab, denn sie waren am Ziele ihres Rittes angelangt, da sich auf der Ebene ein Zeltlager zeigte, welches zu ihrer Aufnahme bestimmt war. Man befand sich einige Stunden von dem Schlosse Vaudemont, woselbst Jolanthe, die Tochter des Königs René, mit ihrem Gemahl Jaufred wohnte. Schloß Vaudemont war seiner Gastlichkeit wegen berühmt, aber diesmal beherbergte es so edle Herren und Damen, wie es selten vorkam; König Karl VIII. hatte in Begleitung seiner jungen Gemahlin Anna von Bretagne seiner Base Jolanthe einen Besuch abgestattet, und ihm zu Ehren sollte ein Fest stattfinden, welches ganz an die alten Sitten der Provence und an den Hof des Vaters der Gräfin von Vaudemont erinnerte.

Es ging die Sage, daß Jolanthe als Kind blind gewesen sei und erst als Jungfrau durch die Kunst eines maurischen Arztes das Augenlicht erlangt habe. Sie war nun lange Jahre verheiratet und Mutter blühender Kinder, aber sie setzte das Leben, welches ihr Vater geführt hatte, in gewisser Weise fort, indem sie und ihr Gemahl der schönen Poesie huldigten und mit den größten Minnedichtern in regem Verkehr blieben.

Die Zeiten schwerer Drangsale waren für Frankreich vorüber. Fünfzig Jahre waren vergangen, seitdem das Wundermädchen Johanna d'Arc die französischen Truppen begeistert und gegen die Engländer von Sieg zu Sieg geführt hatte. Seitdem hatte sich unter mancherlei Kämpfen ein einiges und starkes Königreich gebildet, und Karl VIII. blickte auf ein mächtiges stehendes Heer, welches ganz seinem Willen gehorchte, so gut diszipliniert, wie es kein zweites in der Welt gab. Welche Pläne sein Ehrgeiz für die Zukunft ersinnen werde, war noch nicht vorauszusehen, denn sein junges Eheglück ließ ihn vorläufig 159 von allen Staatsgeschäften absehen, und so war denn auch gerade jetzt der geeignete Moment, um einmal als Gast der Gräfin Jolanthe eine Art Schäferspiel mitzumachen.

König Karl VIII. von Frankreich.

In jenem gesegneten Landstriche begünstigt das unveränderlich klare und schöne Wetter derartige Unternehmungen, und so waren denn schon tags vorher die prächtigen Zelte errichtet worden, in welchen die Gäste ihr Unterkommen finden und die Zusammenkünfte geschehen sollten.

Für das Königspaar war ein besonders geschmackvolles Zelt von blauer Seide mit goldenen Lilien bereit. Es war natürlich überall für die größte Bequemlichkeit gesorgt und alles derart geordnet worden, daß sich jeder einzelne Gast wohl und behaglich fühlen konnte. Vor den Zelten der vornehmsten Gäste, namentlich vor denjenigen, in welchen der König und die Königin wohnten, waren Wachen aufgestellt, welche jede Störung fernhielten. Diese Wachen sowie die Dienerschaft hatte man in phantastische Tracht gekleidet, und die Farbe ihrer Gewänder harmonierte jedesmal mit den Farben des Zeltes, zu welchem sie gehörten. Die Herrschaften selbst hatten sich nach Geschmack leicht und doch kostbar gekleidet, die Herren ohne Rüstung und die Damen statt des Goldes und der Edelsteine nur mit frischen, köstlich duftenden Blumen geschmückt. Überhaupt war für einen reichen Vorrat von Blumen aller Art gesorgt, so daß man sich fortwährend an deren lieblichen Farben und ihrem süßen Dufte erfreuen konnte.

Die ganze Zusammenkunft, welche nur einen Tag und eine Nacht, also bis zum folgenden Morgen währen sollte, hatte den Zweck, im Gegensatze zu den üblichen Ritterspielen einen poetischen Wettstreit vorzuführen, und der Graf von Vaudemont hatte sich angelegen sein lassen, eine Anzahl der gefeiertsten Dichter Frankreichs dazu einzuladen. Es sollten Preise der verschiedensten Art 160 verteilt werden, und wer von den Dichtern die andern alle übertraf, sollte aus der schönen Hand der jugendlichen Königin selbst den Lorbeerkranz und ein kostbares Kleinod empfangen. Für die Dichter war diese Preisverteilung natürlich der wichtigste Moment des ganzen Festes, denn ihr Ruhm wurde durch dieselbe begründet oder befestigt, weil alle Welt davon sprechen würde. Die übrigen Gäste setzten je nach ihrer Neigung auf die Freuden der Tafel und des Weins, oder auf die Unterhaltung mit den Damen ihre Erwartungen.

Nach dem Gebrauche war einem älteren Herrn das Amt des Festordners übertragen worden und ihm mußten sich alle andern Teilnehmer fügen, weil der König dies freiwillig zu thun erklärte und er allein die Berechtigung gehabt hätte, Änderungen zu treffen. Obgleich der Ritt vom Schlosse Vaudemont nicht sehr anstrengend war, wurde doch zuerst eine kurze Pause verkündigt, welche dazu dienen sollte, die Pferde beiseite zu schaffen, die Kleidung ein wenig zu ordnen und etwas der Ruhe zu pflegen. Die Damen legten ihre Kopfbedeckung ab und schmückten die teils frei herabwallenden, teils in Netze aufgefangenen Haare mit frischen Blumen, bei deren Auswahl sie ihren besondern Geschmack an den Tag legten. Auch die Herren trafen kleine Änderungen in der Kleidung, indem sie die schweren Reiterstiefel mit leichtem Schuhwerk vertauschten.

Zur festgesetzten Zeit versammelte man sich darauf in der Nähe des königlichen Zeltes, und als alle Gäste beisammen waren, erschien König Karl mit seiner Gemahlin. Darauf ging man zu dem großen offnen Zelte, welches zu den verschiedenen Mahlzeiten errichtet war, und in welchem sich reich gedeckte Tafeln befanden. Der König nahm neben Gräfin Jolanthe und der Graf von Vaudemont neben der Königin Platz, während sich die andern Herrschaften in bunten Reihen anschlossen. Es wurde nun ein leichtes Frühmahl eingenommen, wobei köstliche Früchte und seltene Weine die Hauptsache bildeten. Die heiterste Unterhaltung würzte das kurze Zusammensein, welches sein Ende fand, als der Festordner dem König eine Verbeugung machte, worauf Karl sich erhob und alle andern seinem Beispiele folgten.

Nun begab man sich in gleicher Ordnung auf einen freien Platz, woselbst die Vorrichtungen zum Wettstreit der Sänger getroffen waren. Unter einem prachtvollen Baldachin standen auf einem kostbaren Teppich zwei Thronsessel für die Majestäten, und rechts und links reihten sich Sessel und Taburetts für die übrigen Herrschaften an. Auch die Dienerschaft ward zugelassen und hatte sich in respektvoller Weise stehend hinter den edlen Gästen gruppiert.

Sechs der berühmtesten Dichter, alle dem Ritterstande angehörig, hatten sich eingefunden, und für diese waren besondere Sitze an der Seite aufgestellt. Ganz besonders neugierig war man auf zwei von ihnen, den Ritter Hugo von Marillac und den Herrn von Letellier, die beide in neuerer Zeit mit ihren kunstvollen Strophen viel Aufsehen gemacht hatten. Zwar wurde behauptet, 161 daß die Dichtungen des Herrn von Letellier eigentlich ihren Ursprung in einem Kloster hätten, wo ein gelehrter Mönch sie verfertigte, der seinen Namen nicht zu solchen weltlichen Schöpfungen hergeben dürfe und sie deshalb seinem Verwandten Louis Letellier völlig überlasse. Aber wer konnte wissen, ob dies Gerücht auf Wahrheit beruhte!

Unter den Rittern, welche im Kreise der Zuhörer saßen, zog besonders der junge Bayard die Augen der Damen durch seine kräftige Gestalt und den kühnen Schnitt seiner Gesichtszüge auf sich. Wußte man doch, daß er sich als Edelknabe bereits in allen Stücken als Muster bewährt hatte, und so mochte manche edle Dame die sanfte Klothilde von Limoges beneiden, welche er während des ganzen Festes zu seiner Herrin erkoren und an deren Seite er auch diesmal Platz genommen hatte.

Wiederum gab der König auf eine Verbeugung des Festordners das Zeichen zum Beginn, und die Vorträge nahmen ihren Anfang. Der erste Dichter war der Ritter Claude von Tournai, der in wohlgesetzten Reimen ein gefühlvolles Lied auf die Schönheit einer ungenannten Dame vortrug.

Die Zuhörer lauschten aufmerksam. Jede Unterhaltung wurde abgebrochen, die Damen bewegten leise ihre Fächer, und wenn einmal ein Herr es wagte, seiner Nachbarin eine zärtliche Bemerkung zuzuflüstern, verwies ihn meistens ein tadelndes Lächeln oder ein leiser Schlag mit dem zugeklappten Fächer zur Ruhe. Als der Vortrag beendet war, machte der Dichter eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und trat zurück.

Nun entwickelte sich ein lebhaftes Reden über die Vorzüge und Schattenseiten seines Liedes. Man kam darin überein, es sei in vieler Hinsicht lobenswert; die Damen hätten gern gewußt, an wen die Verse gerichtet waren, aber vorläufig mußten die Urteile zurückgehalten werden, da die andern Sänger der Reihe nach gehört werden sollten.

Herr von Letellier war der zweite Vortragende. Sein Gedicht behandelte die Liebe im allgemeinen, aber dasselbe war wieder derart mit gelehrten Reminiszenzen aus griechischen und römischen Dichtern geziert, daß ein allgemeines Lächeln und Flüstern des Zweifels entstand. Es konnte nicht geleugnet werden, daß die Dichtung in der Form geradezu vollendet war und dazu edle und schöne Gedanken enthielt, aber es bestand nun einmal das Vorurteil gegen die Echtheit der Arbeit, und niemand dachte daran, Herrn Louis mit dem ersten Preise zu beglücken.

Auch die folgenden Vorträge erregten große Befriedigung. Es war offenbar, daß man hier nicht nur die auserlesensten Dichter beisammen sah, sondern, daß diese auch ihr Bestes dargebracht hatten und jeder von ihnen eifrig suchte, das schöne Fest würdig zu verherrlichen.

Noch bevor die ganze Reihe der Dichter gesungen hatte, war man bereits darüber einig, daß der Ritter Hugo von Marillac den Preis erhalten müsse, 162 denn sein Gedicht hatte ausschließlich der schönen Königin Anna eine ebenso geistvolle wie poetische Huldigung dargebracht, und der König selbst hatte sofort seinen vollen Beifall dafür ausgesprochen.

Es war eigentlich zu verwundern, daß nicht mehrere Herren das gleiche Thema gewählt hatten, aber wie sich nachträglich herausstellte, hatte jeder einzelne geglaubt, die andern würden sämtlich die junge Königin besingen, und um doch wenigstens eine Ausnahme eintreten zu lassen, hatte jeder ein andres Thema gewählt; nur Hugo war der Ansicht gewesen, es sei ganz in der Ordnung, wenn alle Huldigungen nur allein der Königin zu Füßen gelegt würden.

Nachdem die Versammlung sämtliche Vorträge gehört hatte, ernannte der König durch Vermittelung des Festordners fünf Ratgeber, welche sich um ihn versammelten und mit ihm die Preise bestimmten; denn daß jeder der Sänger einen Preis erhalten werde, verstand sich bei diesem Feste von selbst.

Die Königin ernannte hierauf fünf Damen, welche mit ihr berieten, durch wen die Preise verteilt werden sollten, und hierbei gab es nun manches Scherzwort und viel fröhliches Lachen, denn man wußte von einigen der Sänger, welchen Damen sie besonders huldigten, und auch der Name derjenigen Dame war genannt worden, an welche Louis von Letellier seine Strophen von der Liebe im allgemeinen besonders gerichtet hatte.

Es wurde nun angeordnet, daß jeder Sänger von derjenigen Dame seinen Preis erhielt, die er ganz besonders als seine Muse verehrte und aus deren Händen ihm das Geschenk am willkommensten war.

Zuerst kniete Herr von Marillac auf ein Kissen, welches ein Edelknabe vor die Königin niedergelegt hatte, und er empfing aus ihren Händen den Lorbeerkranz und eine kostbare Hutagraffe, welche in zierlichen Arabesken den Anfangsbuchstaben ihres Namens in Brillanten trug.

Ähnliche Geschenke überreichten die übrigen erwählten Damen andern Sängern und es gab viel Scherz und Lust von allen Seiten.

Da die eigentliche Feierlichkeit nun vorüber war, erhob sich der König mit seiner schönen Gemahlin und gab damit das Zeichen zu ungezwungener Unterhaltung, welche lange Zeit anhielt und bei welcher fast jeder der vornehmeren Gäste durch freundliche Worte des Herrscherpaares ausgezeichnet wurde. Immer leichter und ungezwungener gestaltete sich das Zusammensein, man gruppierte sich nach freier Wahl, und die Sänger bildeten an diesem schönen Tage den Mittelpunkt des Interesses.

Als der Ritter Bayard einmal in die Nähe des Herrn von Letellier kam, sagte er zu diesem:

»Ich werde mich bei Euch in die Schule geben müssen; vielleicht gelingt es auch mir, schöne Gefühle in liebliche Reime zu bringen. Wir leben jetzt in tiefstem Frieden und unsre Schwerter würden rosten, wenn wir nicht zuweilen ein kleines Abenteuer mit Wegelagerern erlebten oder beim Turnier einmal 163 dreinhauen dürften. Da wird es Zeit, sich nach einem andern Mittel umzusehen, um die Blicke schöner Frauen auf sich zu ziehen, denn ohne die feinen Künste ist doch das ganze Heldentum nur wenig gerühmt, nur blinder Lärm.«

Ritter Bayard.

»Nun«, meinte Herr von Letellier, »ich dächte, Ihr bedürftet keiner neuen Mittel, um die Teilnahme der Frauen zu erwecken. Von Euren Abenteuern erzählen sich bereits die Damen des Hofes und die Dirnen in den Dörfern und Ihr werdet bald in den Legendenbüchern stehen. Anstatt selbst zu dichten, fahrt nur fort, den Dichtern Stoff zu geben und seid versichert, daß Euer Ruhm nicht geschmälert wird, wenn auch einmal ein schönes Auge dem Sänger ein wenig Beifall winkt. Laßt nur erst unsern König ein Jahr verheiratet sein, so gelüstet ihn gewiß nach andrer Unterhaltung als wir ihm heute hier geboten haben, und dann wird der Ruhm edler Ritterschaft wieder glänzen, denn unsres Königs Wesen ist nicht für lange Ruhe und süße Tändelei geschaffen.«

164 »Bei Gott«, entgegnete Bayard, »eine so herrliche Frau, wie Königin Anna, kann wohl den kühnsten Mann in Rosenfesseln schlagen; darum eben meine ich, daß es Zeit ist, sich in den Künsten des Friedens zu üben, um auch ihr zu gefallen. Vor seiner Heirat hatte der König mancherlei Pläne, und wir durften schon hoffen, es werde ihm gelüsten, die Hand nach der Krone von Neapel auszustrecken, aber ich glaube nicht mehr daran, denn die holden Augen der Königin üben einen stärkeren Zauber als der Trieb nach Vergrößerung seiner Macht.«

»Alles zu seiner Zeit«, versetzte Letellier, »wartet nur erst, bis es Karl VIII. plötzlich einmal einfällt, daß König René, der Vater unsrer liebenswürdigen Gräfin Jolanthe, der rechtmäßige Erbe von Neapel war, dann kommt wieder die Zeit zu Kriegsabenteuern.«

»Gott gebe es!« seufzte Bayard, »denn ich glaube, Eure Kunst des Gesanges würde ich schwer erlernen und ewig darin ein Stümper bleiben. Wir alle lernen von Jugend auf die Waffen führen und Ihr stellt auch darin Euren Mann, aber es ist nicht jedem gegeben, kunstreiche Verse zu drechseln, und ein schlechter Reimschmied spielt eine gar lächerliche Rolle.«

Hätte der tapfere Bayard das Gespräch hören können, welches inzwischen der König mit dem Herrn von Marillac führte, er würde sofort eingesehen haben, daß Letelliers Vermutungen richtig waren.

Herr von Marillac war viel in der Welt umher gekommen; er war eigentlich das Muster eines fahrenden Sängers im größten Stile und bei allen Höfen Europas gut angeschrieben, was zum Teil seinen Grund in der ungewöhnlichen Geschwindigkeit hatte, die es ihm möglich machte, mit großer Geschicklichkeit den Mantel nach dem Winde zu hängen. In diesem Augenblicke, seinem eignen König und Herrn gegenüber, ließ er den Gefühlen, die er gegen andre Herrscher hegte, freien Lauf, und Karl ergötzte sich daran, als der schlaue Marillac ihm vom deutschen Kaiser Max erzählte und berichtete, daß dieser gleichfalls der Poesie huldige und selbst Gedichte anfertige.

»Kennt Ihr etwas davon?« fragte der König mit spöttischem Lächeln.

»Die römisch-deutsche Majestät hat mir selbst einiges vorgelesen«, erwiderte Marillac, »aber ich bin fast dabei eingeschlafen. Es handelte sich nämlich um das Lob zweier Könige, des Weißkunig und des Theuerdank, ersterer ist der Vater des Kaisers, letzterer dieser selbst, aber Ihr könnt Euch keinen Begriff davon machen, wie geschmacklos und übertrieben das alles ist.«

»Das will ich gern glauben«, entgegnete Karl lachend, »aber ich werde mich bestreben, die Verse des Kaisers entzückend zu finden, denn ich sehe die Zeit kommen, wo ich seiner Freundschaft bedarf. Maria von Burgund hat uns entzweit, vielleicht macht Blanca Sforza uns zu Freunden, denn ihr Bruder, Ludwig Moro, sucht unsre Freundschaft und bietet uns vielleicht willkommene Gelegenheit, ein wenig in den italienischen Händeln mitzureden und 165 zugleich unsre Rechte in Neapel zu wahren. Ihr waret ja auch vor nicht langer Zeit in Italien; erzählt doch ein wenig, wie sie es dort treiben,«

»Dort herrscht Gärung überall und auf allen Gebieten«, versetzte Marillac. »Unheimlich hebt sich die Gestalt des ältesten Sohnes Seiner Heiligkeit aus den vielfachen Wirren hervor, und mir ahnt, daß Cäsar Borgia bald der gefürchtetste Name auf der Halbinsel ist. Daß Herzog Ludwig von Mailand sich mit den Medici verschwägert hat, ist Euch bekannt und Eure Majestät sieht dieses Bündnis gewiß mit Wohlgefallen.«

Der König nickte. »Was meint Ihr«, sagte er dann plötzlich, »wie unsre Truppen in Italien aufgenommen würden?«

Marillac war überrascht. Als er sich besonnen hatte, entgegnete er schlau:

»Die Heere Frankreichs werden sich überall Respekt zu verschaffen wissen.«

»Das will ich meinen!« rief der König. »Ganz besonders ihrer Disziplin wegen! Was ist das für eine elende Kriegführung in Italien! Nationale Truppen kommen nur in den seltensten Fällen ins Gefecht. Gewöhnlich bringt ein Fürst oder eine Stadt ihre militärische Macht auf dem Wege der Miete zustande, und das ganze Geschäft, die Bewaffnung und Auszahlung des Soldes mit inbegriffen, wird einem Unternehmer überlassen, mit welchem ein Kontrakt geschlossen wird. Viele Söhne großer Adelsfamilien geben sich zu solchen Armeelieferanten her und übernehmen sogar bestimmte Kriege, welche durch Armeen geführt werden, die weder die Städte noch die Fürsten kennen, für welche sie kämpfen. Der Mehrzahl nach sind diese Soldaten vagabundierendes Gesindel, das sich aus allen Ländern zusammenzieht. Kommt es wirklich zum Kampfe, so dringen sie ungeordnet von beiden Seiten auf einander ein und beide suchen den Feind zurückzutreiben. Man macht soviel als möglich Gefangene, nimmt ihnen Roß und Rüstung ab und läßt sie wieder laufen. Welcher Schrecken würde entstehen, wenn unsre Heere wirklich totschlagen, was ihnen nicht weichen will! Ebenso neu und erschreckend würde die Kampfesart der Schweizer erscheinen, welche als unsre Mietstruppen in geschlossenen Bataillonen stehen wie Mauern. Das Furchtbarste aber würde unsre Artillerie sein. Statt der Steinkugeln, die sie aus ungeheuren eisernen Röhren schleudern, fliegen bei uns eiserne Kugeln aus bronzenen Geschützen, die nicht auf schweren Ochsenfuhrwerken langsam fortgeschleppt werden, sondern mit Pferden bespannt und von einer wohl eingeübten Mannschaft bedient sind. Wahrhaftig, es würde mir große Genugthuung gewähren, diesem zerfahrenen Volke einmal eine Probe tüchtiger Kriegführung zu liefern.«

Damit endete der König das Gespräch.

Der junge Ritter Bayard hatte übrigens durchaus keine Ursache, die Sänger zu beneiden, und er wußte dies auch recht gut. Seine Worte waren ein liebenswürdiger Scherz, denn nachdem die Damen sich einige Zeit mit den Sängern unterhalten hatten, sahen sie sich doch wieder nach den tapfern Rittern 166 um, und nicht nur Klothilde von Limoges, sondern auch viele andre näherten sich vorzugsweise dem schönen und tapferen Bayard; denn am Manne werden eben doch Kraft und Tapferkeit am meisten geschätzt und allen andern Vorzügen vorausgestellt. Dies konnte man auch besonders bemerken, als der König darauf sämtliche Teilnehmer am Feste zu einem Spaziergange einlud, welcher einer in der Nähe gelegenen, mächtigen Ruine, die zwischen Fels und Wald aufragte und aus der Zeit der römischen Herrschaft in Gallien stammte, gelten sollte. Gern hätten viele Damen gesehen, daß der tapfere Bayard sich ihnen anschlösse, aber er blieb dem Gesetze der Galanterie getreu und bot Fräulein von Limoges den Arm. Diese fühlte sich nicht wenig geschmeichelt und gab sich bereits der Hoffnung hin, ihr kühner Begleiter habe sie nicht nur für den heutigen Tag und zum Spiel und Tanz zu seiner Dame erkoren, sondern ihr im Ernste für immer sein Herz zugewendet.

Sie war so in diese süßen Gedanken und seligen Hoffnungen versunken, daß sie langsam am Arme ihres Helden einherschritt und den Worten lauschte, die er zu ihr sprach. Es war nichts besonderes, was er ihr erzählte, aber sie waren trotzdem in das Gespräch versunken und bemerkten kaum, daß sie etwas hinter den andern zurückgeblieben waren, als der Weg steil anstieg und zwischen Gebüsch und mächtigen Steintrümmern zu der Ruine führte, welche der Zielpunkt der Wanderung sein sollte. Es war eine recht wild aussehende Felsengegend. Bayard erzählte von mancherlei Jagdabenteuern, auf welche die Gegend ihn brachte, die mit ihren breiten Thälern und felsigen, waldbedeckten Höhen gewiß vielerlei Wild beherbergte. Fräulein von Limoges lauschte aufmerksam seinen Worten und blickte nur von Zeit zu Zeit auf, um die Vorangehenden nicht aus dem Gesichte zu verlieren.

Plötzlich stieß sie einen lauten Schreckensruf aus und sank ohnmächtig am Arme ihres Begleiters zu Boden. Bayard blickte sich erstaunt um, denn er konnte nicht begreifen, wodurch das Fräulein so in Furcht gesetzt worden. Da bemerkte er etwas entfernt vom Wege, hinter einem Felsen hervorschauend, den Kopf eines großen Bären, der mit wilden Blicken nach ihm hinsah. Zwischen dem Wege und jenem Felsen befand sich starkes Gebüsch, und es war möglich, daß das Tier ruhig an seinem Platze geblieben wäre, hätte der Aufschrei des Fräuleins den Ritter nicht aufmerksam gemacht. Nun aber durfte dieser nicht zögern, dem Ungetüme zu Leibe zu gehen. Er lehnte daher die ohnmächtige Dame sitzend gegen einen Baumstamm, zog seinen Degen und begann das Dickicht zu durchbrechen. Kaum sah der Bär, daß sich ihm ein Angreifer nahte, so erhob er sich und ging aufgerichtet dem kühnen Manne entgegen. Bayard hatte in seinem Arm und Degen allein die Gewähr, der ihm zugedachten Umarmung zu entgehen. Kaltblütig ging er auf das Ungetüm zu und rannte ihm den Degen in die Brust, so daß die Klinge am Rücken wieder herauskam und das Tier tödlich getroffen sofort röchelnd zusammenstürzte.

167 Der Ritter zog seinen Degen ruhig aus der Wunde, worauf ein Blutstrom dieser entströmte und der Bär mit wenigen Zuckungen verendete. Dann kehrte Bayard zu der ohnmächtigen Dame zurück, die inzwischen zu sich gekommen war und den Schluß dieses Ereignisses mit angesehen hatte. Sie schauderte ein wenig vor dem blutigen Degen, aber sie blickte den Retter doch mit bewundernden und dankbaren Blicken an, als er seinen Degen durch Laub vom Blute reinigte und ihr nun schweigend den Arm bot, um sie langsam, als sei nichts geschehen, zu der übrigen Gesellschaft zu führen.

Diese war bereits bei der Ruine angelangt, und man hatte das Zurückbleiben des Paares bemerkt. Als dasselbe nun anlangte, veranlaßte die mit Blut befleckte Kleidung des Ritters und das verstörte Aussehen der Dame eine Menge Fragen. Bayard überließ es Fräulein Klothilde von Limoges den ganzen Hergang zu berichten, was sie mit überschwenglichen Worten und Danksagungen that, wobei sie fortwährend Bayard ihren Retter nannte.

Dieser meinte ganz ruhig, von einer Gefahr könne ebensowenig die Rede sein, wie von einer Rettung, denn der Bär würde sie nicht überfallen haben, und jedenfalls wäre sein eigner Degen eine genügende Sicherheit für alle Fälle gewesen. Ihn habe bei dem ganzen Abenteuer nichts weiter überrascht als der Umstand, daß Fräulein von Limoges in Ohnmacht gefallen sei.

Der Ton, in welchem er dies sagte, war für die arme Klothilde eine betrübende Aufklärung, denn er vernichtete ihre besten Hoffnungen. Bayard, dem seine Genossen bereits den Beinamen des »Ritters ohne Furcht und Tadel« gaben, war im Punkte seiner Mannesehre von einer Empfindlichkeit, die alles übertraf. Daß Klothilde in seiner Nähe einem Anfalle von Verzagtheit nachgegeben hatte, verzieh er nie, und sie fühlte, daß er darin einen Mangel an Vertrauen in seinen ritterlichen Sinn erkannte. An Bayards Arme durfte eine Frau niemals ohnmächtig werden, dies war das Einzige, wodurch sie ihn unheilbar kränken konnte.

Somit hatte Fräulein von Limoges die einzige Gelegenheit, die sich ihr bot, um ihres Ritters Herz für immer zu gewinnen, verscherzt, und obgleich Bayard seine Pflicht als galanter Kavalier auch bei der Mahlzeit, welche nach der Rückkehr vom Spaziergange im großen Zelte stattfand, erfüllte, geschah dies doch mit so kühler Zurückhaltung, daß das arme Fräulein nicht darüber in Zweifel sein konnte, sie habe jede Hoffnung auf sein Herz verloren.

Der Abend verlief in Frohsinn und Spielen; am andern Morgen kehrte man nach dem Schlosse Vaudemont zurück, und dort verabschiedete sich das Königspaar mit seinem Gefolge sehr gnädig von dem Grafen und der Gräfin.

Klothilde von Limoges kehrte zum Schlosse ihres Vaters zurück und sie nahm die niederdrückende Überzeugung mit sich, daß sie jetzt die Braut des tapfersten französischen Ritters sein könnte, wenn sie nicht beim Anblicke jenes Bären in Ohnmacht gefallen wäre. 168

 


 


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