Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Achtes Kapitel.
Der Tod Lorenzos des Prächtigen.

Während im Innern der italienischen Staaten alle Leidenschaften entfesselt waren und der Eigennutz als oberstes Prinzip galt, dem sich nicht nur die Gesetze, sondern auch jedes menschliche Gefühl unterordneten, erhob sich von Nordwest her ein drohendes Gewitter, dessen Anfänge sich schon jahrelang vorher bemerken ließen. Der König Ludwig XI. von Frankreich war unerwartet früh gestorben, und seine Krone ging auf Karl VIII. über, der damals ein Knabe von kaum vierzehn Jahren war. Der sterbende König hatte angeordnet, daß die ältere Schwester seines Sohnes, Anna von Beaujeu, welche mit Peter von Bourbon verheiratet war, die Regierung führen solle. Diese kluge und energische Prinzessin regierte in Verbindung mit ihrem verständigen Gatten das Land jahrelang wahrhaft ruhmreich; sie hatte die Anmaßung der übrigen Prinzen des Hauses zu zügeln gewußt, dadurch alle inneren Unruhen gedämpft und blutige Bürgerkriege verhindert.

Auch hatte sie der Krone verschiedene Besitztümer durch friedliche Übereinkunft zugebracht und in Wahrheit die Macht ihres Hauses gekräftigt und gesichert. Sie war zugleich bedacht gewesen, für ihren Bruder eine geeignete Braut zu wählen, und sie fand diese ihrer Ansicht nach in Margaretha von Burgund, der kindlichen Tochter des römischen Königs Maximilian, wofür Maximilian die Zusage erhielt, die Hand und damit das Erbe der Prinzessin Anna von Bretagne für sich selbst zu erhalten.

Dieser Heiratsplan hatte eine Vorgeschichte, die uns zeigt, aus welchen Motiven in jener Zeit des Mittelalters die Ehebündnisse geschlossen wurden. Ludwig XI. faßte den Plan, seinen Sohn Karl, als dieser im achten Lebensjahre stand, mit Maria von Burgund zu vermählen, um alle Besitzungen der niederländischen Prinzessin an die Krone Frankreichs zu bringen.

Maria von Burgund aber hatte ihre Hand dem ritterlichen Maximilian von Österreich versprochen, und setzte es durch, daß der Abgesandte des Königs Ludwig XI. – es war der bekannte emporgekommene Barbier Olivier Damhirsch 128 oder le Daim – mit einer ablehnenden Antwort zurückgeschickt wurde. Endlich gelang es Maria, trotz vieler Hindernisse, den Erwählten ihres Herzens zu heiraten. Ihre Treue wurde jedoch nicht mit langem Glücke belohnt. Maria starb frühzeitig und der französische Hof warb nun um ihre Tochter Margaretha für denselben Prinzen, welcher ehedem die Mutter hatte heiraten sollen. Die Zustimmung des verwitweten Vaters wollte man dadurch erkaufen, daß man ihm die Hand einer Prinzessin versprach, welche dem französischen Hofe verwandt war und ein reiches Erbe besaß.

Maximilian war einverstanden, und die kleine Margaretha befand sich bereits bei Anna von Beaujeu, um in Frankreich erzogen zu werden.

Es ist sehr möglich, daß gerade diese Übereinkunft den Entschluß der klugen Schwester Karls VIII. zerstörte, denn der junge König war inzwischen herangewachsen und wollte sich in bezug auf seine Verheiratung den Plänen der Prinzessin von Bourbon nicht mehr fügen. Man hatte ihm gesagt, es sei für ihn weit vorteilhafter, die Erbin der Bretagne selbst heimzuführen und auf diese Weise sein Reich bedeutend zu vergrößern, während Margaretha von Burgund immer unsichere Ansprüche bringen würde. Karl wurde schwankend und er veranlaßte eine Zusammenkunft mit Anna von Bretagne. Bei dieser Begegnung wurde er von der lieblichen Erscheinung seiner Verwandten so bezaubert, daß er alle früheren Verabredungen über den Haufen warf, rücksichtslos das bei seiner Schwester weilende Kind von Burgund dem Vater zurücksandte und sich unverweilt mit der reizenden Anna von Bretagne vermählte.

Begegnung Karls VIII. mit Anna von Bretagne.

Dieser selbständige Entschluß des jungen Königs rief nicht geringes Aufsehen hervor und lenkte die Aufmerksamkeit aller großen und kleinen Höfe auf ihn. Da er bei solchem wichtigen Schritte des Lebens so große Entschlossenheit und zugleich so viel Klugheit bewährt hatte, war vorauszusehen, daß er auch in Zukunft klug und energisch verfahren und auf die Vergrößerung seiner Macht und den Glanz seines Hauses bedacht sein würde.

Man machte sofort mancherlei Kombinationen, und unter diesen kam ganz besonders das Anrecht zur Sprache, welches Karl auf das Königreich Neapel erheben konnte. Der jetzige König Ferdinand war kein legitimer Thronerbe und das Haus Anjou konnte allerdings Ansprüche auf den neapolitanischen Thron machen, sobald es Ferdinand von Aragon als Usurpator betrachtete.

Jahrelang bedurfte diese Frage der Entwicklung, und es war schwer, vorauszusehen, auf welche Weise Karl in derselben vorgehen werde, da ein Zug nach Italien als ein gewagtes Unternehmen erscheinen mußte.

Inzwischen hatten sich die Verhältnisse durch den Tod des Papstes Innocenz VIII. in Italien verändert. Dieser hatte nach jener merkwürdigen Heilung durch Zuführung gesunden Blutes noch zwei Jahre gelebt und war dann ziemlich plötzlich gestorben, nachdem er noch seinem Sohne Franceschetto große Besitztümer in der Romagna ausgesetzt hatte.

130 Franceschetto ging übrigens selbstverständlich durch den Tod des Papstes eines großen Teiles seines Einflusses verlustig, da er gar keine persönliche Achtung besaß. Nun traf es sich für ihn ganz besonders ungünstig, daß fast um dieselbe Zeit auch sein Schwiegervater Lorenzo von Medici so erkrankte, daß dessen Tod gleichfalls erwartet wurde.

Der Einfluß, welchen die herrschsüchtige Clarissa auf ihren Gatten gehabt hatte, vermochte wohl den Glanz des Hauses Medici auf eine hohe Stufe zu bringen, aber der eigentliche Zweck ihrer Bestrebungen war doch nicht erreicht worden. Die Souveräne aller Staaten verhandelten zwar freundschaftlich mit Lorenzo, sie rühmten seinen Geschmack, seine geistige Bildung und seine Kunstliebe, aber im geheimen schüttelten sie doch den Kopf über seinen Ursprung und nannten seine Minister und Gesandten die Geschäftsträger des Hauses Medici.

Clarissa hatte gehofft, die Beziehungen zum Könige von Neapel sollten den Weg zu intimen Verbindungen mit den italienischen Fürstengeschlechtern bahnen, aber König Ferdinand galt selbst nicht für ebenbürtig und wurde von den echten Sprößlingen alter Regentenfamilien über die Achsel angesehen.

Vergeblich hatte Clarissa sich dann für ihren ältesten Sohn Peter nach einer Gemahlin umgesehen, welche ihn mit irgend einem souveränen Hause in Verwandtschaft bringen konnte. Alle Bemühungen blieben erfolglos, und seitdem Savonarola das florentinische Volk gegen die Mediceer als unberechtigte Usurpatoren aufwiegelte, vermehrten sich die Schwierigkeiten. Clarissa beschloß endlich, ihren Sohn mit einer Prinzessin aus ihrer eignen Familie zu vermählen und ihn durch die Ehe mit ihrer Nichte Alfonsine, deren Pate der König von Neapel war, dem Hause Orsini noch näher zu stellen.

Lorenzo ließ dies alles geschehen, denn ihm wuchsen die Ereignisse über den Kopf. Peter war ganz unter dem Einflusse seiner Mutter erwachsen; er hatte die Prachtliebe, aber nicht das Verständnis für die Kunst von dem Vater geerbt, der maßlose Stolz, den er der Mutter verdankte, überwog seine andern Fähigkeiten, und der Gedanke, noch einmal als souveräner Fürst über Florenz zu herrschen, war bei ihm völlig zur fixen Idee geworden.

Um dem Hause Medici äußerlich jenen Glanz zu verleihen, welcher ihm durch die Abstammung mangelte, hatte schon Lorenzo keine Summe gescheut, und es war ihm ganz gleichgültig gewesen, ob er sein Hans finanziell ruinierte, wenn er nur seinen Beinamen »il magnifico« – der Prächtige – wie ihn das Volk nannte, rechtfertigte. Da er in der That die Geschäftsführer seines Hauses zugleich mit den wichtigsten Stellen im Staate betraute, so war es schließlich dahin gekommen, daß fortwährend kolossale Summen aus dem Staatsschatze zur Tilgung seiner persönlichen Schulden verwendet wurden. Endlich war diese Verwirrung so weit gestiegen, daß die Frage entstand, ob das Handelshaus Medici seine Zahlungen einstellen oder ob der Staat die Schulden desselben übernehmen werde.

131 Und nun geschah das Unglaubliche, daß die Republik ein Arrangement traf, um das Haus Medici vor dem Bankrott zu schützen. Die Obligationen wurden entwertet und die Zinsen auf mehr als die Hälfte herabgesetzt. Lorenzo aber ergriff die Gelegenheit, um sich ganz aus dem Geschäfte zurückzuziehen und sein Vermögen in Grundstücken anzulegen.

War es ein Wunder, daß unter solchen Umständen der Boden bereitet wurde, in welchen Savonarola die Saat seiner Lehren streuen konnte! Für die Florentiner gab es zwei Menschen, die in ihren Augen durch Macht und Ansehen unantastbar waren, diese waren der Papst und Lorenzo von Medici, und gerade gegen diese beiden trat der kühne Dominikanermönch furchtlos und unerschrocken auf. Während man sonst von den Vorgängen am Hofe zu Rom und von den Unternehmungen der Familie Medici wie von Dingen sprach, welche gleichsam als höhere Fügung hingenommen und ertragen werden mußten, wurde jetzt jedesmal neben ihnen der arme unscheinbare Mönch genannt, der sie mit freier Rede bekämpfte und ihrer Wirksamkeit seine eignen Ansichten vom Reiche Gottes auf Erden entgegenstellte. Savonarola war Republikaner auf religiöser Grundlage. Die Gebote Gottes und die durch Christus gebrachte Lehre sollten die Basis der menschlichen Einrichtungen sein. Demut, Arbeitsamkeit und Menschenliebe waren für ihn die Säulen, auf welchen das Gebäude der irdischen Glückseligkeit ruhen sollte.

Es ist nicht ganz leicht, sich ein völlig richtiges Bild des Klosterlebens im fünfzehnten Jahrhundert zu machen. In späterer Zeit hob die Reformation alle Schattenseiten desselben hervor und hat es fast dahin gebracht, daß man allenfalls gelten läßt, einige Mönche hätten eine Art Verdienst durch das Abschreiben alter Pergamente erworben, im ganzen aber seien die Klöster Sitze geheimer Ausschweifungen gewesen. Letzteres ist denn doch nur mit großer Einschränkung richtig. Namentlich haben sich die Dominikaner und Franziskaner stets thätig im Kämpfen um die geistliche Macht gezeigt, allerdings selbstverständlich in ihrem Sinne. Kaum wurde es ruchbar, daß der Dominikanerprior Savonarola großes Aufsehen erregte, so weckte dies den Neid der Franziskaner und diese traten als heftige Gegner mit ihm in den Kampf.

Ein Jahr vor Lorenzos Tode war ein Gegner Savonarolas, der Franziskanerpater Mariano, von Florenz nach Rom gereist, um dem Papste Vorstellungen wegen der Gefahr zu machen, die durch den rücksichtslosen Dominikaner herbeigeführt werde. Man sagte damals, Mariano sei durch die Familie Medici zu dieser Reise veranlaßt worden. Innocenz VIII. empfing denselben, und Mariano sagte zu ihm. »Heiliger Vater! Laß diesen Agenten des Satans im Feuer verbrennen!« Ob nun die gewaltige innere Aufregung im Zusammenhange mit den Anstrengungen der Reise Marianos Gesundheit zerrüttet hatte, genug, es befiel ihn eine Krankheit und er wurde vom Schlage gelähmt, so daß seine Zunge kein Wort mehr hervorbringen konnte.

132 Dieses Ereignis bewirkte in Florenz großes Aufsehen und vermehrte Savonarolas Geltung ungemein. Da Lorenzo von Medici gerade in jener Zeit an einem schweren inneren Leiden erkrankte und dazu von heftigen Gichtschmerzen geplagt wurde, überfiel ihn eine unwiderstehliche Gewissensangst.

Es war an einem düstern Winterabende, als die Familie Medici, mit Ausnahme des Kardinals Johann, im Schlafzimmer Lorenzos auf seinem Landgute Careggi bei Florenz um das große, mit schweren Damastvorhängen umgebene Schmerzenslager des Hausherrn sich versammelt hatte. Clarissa, Peter und Alfonsine, sowie Franzeschetto und Magdalena, welche letztere an jeder Hand einen kleinen Knaben hielt, richteten ihre Blicke bald auf das leidende Antlitz Lorenzos, bald auf die nachdenklichen Züge des gelehrten Hausfreundes Pico von Mirandola, der als Arzt fungierte und eine flache Glasschale hielt, worin sich ein Trank befand, der dem Patienten Linderung verschaffen sollte.

Lorenzos matter Blick wanderte vom Antlitz seiner Gattin auf das seines ältesten Sohnes und dann auf die übrigen Glieder seiner Familie. Das Gemach, in welchem er lag, war mit einem kostbaren Hausaltare geschmückt, über welchem eine ewige Lampe vor dem Bilde des Gekreuzigten brannte. Die Wände schmückten Bilder von den berühmtesten Meistern, die zum Teil dem Hause Medici die Möglichkeit zur Entwickelung ihres Talentes verdankten. Lorenzo wußte, daß in den anstoßenden Gemächern unschätzbare Werke alter und neuer Kunst aufgestellt waren, und daß die Pracht der Einrichtung seines Hauses vor keinem Königsschlosse zurückzustehen brauchte. Er dachte daran, daß die Kirchen und öffentlichen Plätze von Florenz durch Kunstwerke geschmückt waren, welche die Stadt seiner Freigebigkeit verdankte, und es ahnte ihm, daß der unsterbliche Wert dieser Schätze auch seinem Namen dauernden Glanz verleihen werde. Aber dennoch mußte er auf seinem Leidenslager sich eingestehen, er sei weit entfernt von dem Ziele, dem er sein ganzes Leben gewidmet hatte, und mit heimlichem Grauen beschlich ihn die Befürchtung, vielleicht werde dereinst eine Weltanschauung im Geiste der Lehre Girolamos alle seine Bestrebungen als eitles Blendwerk betrachten. Zwar war der finanzielle Ruin seines Hauses abgewendet worden, aber er wußte nur zu gut, daß das Volk von Florenz ihn nicht mehr liebte wie früher, und er fürchtete, seine Angehörigen möchten in Zukunft noch weniger von der Gunst desselben getragen werden. Das waren die Früchte, welche der Stolz gezeitigt hatte! Statt ihn zu erheben, hatte Gott ihn gedemütigt und ihm durch den schlichten Dominikanermönch Savonarola gezeigt, daß es in seiner Hand lag, allen irdischen Glanz zu vernichten und an dessen Statt die wahre Gottesfurcht zur Geltung zu erheben.

Während der Arzt und Lorenzos Familie mit stummer Aufmerksamkeit auf die Wirkung des Trankes warteten, um ein Wort der Hoffnung und des Trostes von den Lippen des Kranken zu hören, hatte dieser in seinem Herzen mit allen irdischen Sorgen bereits abgeschlossen und einen Entschluß gefaßt, 133 der ihm wenigstens eine ruhige Sterbestunde bereiten und den Weg in das Jenseits ebnen sollte. Er machte eine Handbewegung, welche Clarissa veranlaßte, ihm näher zu treten und das Ohr zu seinem Munde zu senken. Jedenfalls wollte er ihr eine wichtige Mitteilung machen. Er flüsterte ihr in der That einige Worte zu, worauf seine Gemahlin den Kopf wieder erhob und sowohl den treuen Freund, wie ihre Kinder ersuchte, das Schlafzimmer auf einige Augenblicke zu verlassen, da der Kranke ihr allein etwas zu sagen habe.

Clarissas Antlitz war bleich, und ihre großen dunklen Augen leuchteten fieberhaft, denn sie litt schwer unter dem Gedanken, daß ihr Gatte, den sie wirklich liebte, vielleicht nicht lange mehr leben sollte. Zwar hatten die Ärzte nicht alle Hoffnung abgesprochen, aber Clarissa kannte ihren Lorenzo, und sie sah den körperlichen Verfall und zugleich die tiefe geistige Verstimmung, welche durch kein Mittel zu heben war. Als sie nun mit ihm allein war, sagte er zu ihr:

»Ich fühle den lebhaften Wunsch, mich zum Tode vorzubereiten, und wollte dich bitten, mir den Beichtvater rufen zu lassen.«

Clarissa wurde zwar durch diese Worte aufs neue gebeugt, aber sie bezwang sich und versicherte ihn, daß sie seinem Willen gehorchen wolle. Schon war sie im Begriffe, sich zu diesem Zwecke zu entfernen, als der Kranke mit einer raschen Bewegung ihre Hand ergriff und bei sich festhielt. Mit fieberhaft leiser Stimme sagte er dann zu ihr. »Höre doch zuvor, wen ich zu meinem Beichtiger gewählt habe, aber merke dir, daß es der ausdrückliche Wille eines Sterbenden ist, diesen und keinen andern vor seinem Hingange bei sich zu sehen und aus seiner Hand das Sakrament, als Pfand der Versöhnung mit Gott, zu empfangen. Sende in das Dominikanerkloster San Marco und lasse dem Prior Girolamo Savonarola sagen, er möge zu Lorenzo von Medici kommen, der auf dem Totenbette liege und ihm seine letzte Beichte ablegen wolle.«

Clarissa erschrak heftig. In ihrer stolzen Seele wogte ein wilder Kampf von Empfindungen, aber sie durfte ihrem sterbenden Gatten diese letzte Bitte nicht verweigern.

Selbst die unbeugsamsten Seelen bebten in jener Zeit davor zurück, unvorbereitet in den Tod zu gehen, und Clarissa würde keine Ruhe mehr auf Erden gefunden haben, wäre sie die Ursache gewesen, daß ihr Gatte unversöhnt mit seinem Gewissen gestorben wäre.

Sie bezwang also die Gefühle, welche sich in ihrem Herzen gegen die Zusammenkunft erhoben, und indem sie den Kopf zustimmend senkte, drückte sie leise Lorenzos Hand und ging dann, seinen letzten Wunsch zu erfüllen.

Der Weg von Carreggi bis zum Kloster San Marco war weit, und es durfte keine Zeit verloren werden, um die Unruhe des Kranken nicht zu vermehren. Clarissa gab die nötigen Befehle, worauf zwei Diener zu Pferde mit einem dritten Pferde für den Prior nach Florenz aufbrachen. Sie selbst ging dann wieder in das Zimmer ihres Gatten zurück und setzte sich schweigend an 134 der Seite seines Bettes nieder. Die Kinder hielten sich zurück, denn sie konnten nichts gegen den seltsamen Wunsch ihres Vaters unternehmen, aber sie waren keineswegs mit der Zusammenkunft einverstanden.

Pico von Mirandola dagegen war hocherfreut, denn gerade er hatte Lorenzo stets zugeredet, eine Aussöhnung mit Savonarola zu suchen. Er drückte auch jetzt dem kranken Freunde zustimmend die Hand.

Clarissa hatte ein Andachtsbuch zur Hand genommen, in welchem sie beim Scheine der ewigen Lampe Gebete las. Lorenzo lag ruhig und suchte seine Seele auf die Unterredung vorzubereiten, welche ihm bevorstand.

Es verging eine lange Zeit, denn die unerwartete Aufforderung überraschte Savonarola nicht wenig und er mußte zuvor mit sich zu Rate gehen, was für ihn zu thun sei. Seinem ganzen Wesen entsprechend, sah er auch hier einen Fingerzeig Gottes, und er machte sich auf, um der Weisung Folge zu leisten.

Als ein Diener vorsichtig in das Krankenzimmer trat und die Meldung machte, daß der Prior von San Marco angekommen sei, erhob sich Clarissa und ging schweigend mit ihrem Andachtsbuche in ihr eignes Gemach nebenan, wo sie sich vor ihrem Betstuhle auf die Kniee niederließ und den Versuch machte, durch eifriges Gebet ihre Gedanken auf Gott zu lenken.

Girolamo Savonarola vor dem sterbenden Lorenzo von Medici.

Savonarola trat ein und näherte sich dem Lager Lorenzos, welcher erwartungsvolle Blicke auf den Prior richtete. Obgleich dieser die ganze Bedeutung des Zusammentreffens in diesem Augenblicke lebhaft empfand, behielt er doch nur seine geistliche Aufgabe im Auge und bereitete sich nach kurzem Gruße vor, diejenigen Worte zu dem Kranken zu sprechen, welche als Einleitung zur Beichte gelten. Lorenzo richtete nun das Wort an Savonarola.

»Ihr kennt mich, hochwürdiger Vater«, sagte er, »und ich habe nicht nötig, das Bekenntnis meiner Sünden vor Euch auszusprechen. Was an kleinen Fehlern und menschlichen Gebrechen mir zur Last fällt, wird nicht schwer wiegen; meine Stellung im Leben war derart, daß diejenigen Thaten, auf welche es vor Gottes Richterstuhle ankommen kann, Euch nicht unbekannt sind und nicht von mir wiederholt zu werden brauchen, Ihr selbst habt oft genug Eure Meinung über mich offen ausgesprochen und mir wiederholt gezeigt, daß Ihr viele meiner Handlungen nicht gebilligt habt. Mein Gewissen ist beschwert, ich bekenne es willig, aber ich hoffe, daß Gott mir Barmherzigkeit schenken wird, und darum habe ich gerade Euch, meinen heftigsten Ankläger, zu mir bitten lassen, damit Ihr als Priester an Gottes Statt mir sagen möget, was ich thun soll, um meine Schuld zu sühnen und die Absolution zu erlangen, sofern Ihr glaubt, daß ich durch aufrichtige Reue mich derselben würdig machen kann.«

Savonarola hatte ruhig zugehört. Er wollte nun prüfen, ob die Reue des Sterbenden aufrichtig sei und fragte ihn daher mit ernster Stimme.

»Glaubt Ihr an die Gnade Gottes und daß diese Gnade alle Sünden hinwegnehmen und Vergebung durch den Mund des Priesters gewähren kann?«

135 Der Sterbende versicherte, daß er diesen Glauben im Herzen trage.

»Gut dann«, entgegnete Savonarola, »so werde ich Euch, kraft meines priesterlichen Amtes, die Absolution erteilen, wenn Ihr zwei Bedingungen erfüllen wollt, an welche einzig und allein die zu hoffende Gnade geknüpft ist.

»Zuerst frage ich Euch, ob Ihr all das Gut, welches Ihr in ungesetzlicher Weise Euch zugeeignet habt, den rechtmäßigen Eigentümern zurückgeben wollt?«

Lorenzo überlegte einen Augenblick. Das unsichere, flackernde Licht der ewigen Lampe, die über dem Betpulte hing, warf grelle Streiflichter auf die zuckenden Züge des Kranken, dessen Seele gewaltig kämpfte, aber zugleich beleuchtete es auch die ruhig dastehende Gestalt des Priors. Lorenzo wußte wohl, um welche Besitztümer es sich handelte, denn er hatte bei der Auflösung des Handelsgeschäftes große Summen herausgezogen, die früher aus den Staatsgeldern zu Hilfe genommen waren, und er hatte dafür Güter und Ländereien gekauft.

Es war ein schwerer Entschluß, diese Besitztümer dem Vermögen seines Hauses zu entziehen. Aber ein Mann in seiner Lage kann Gott nicht mit geringen Mitteln versöhnen, und da es ihm aufrichtig darum zu thun war, seine Reue zu bethätigen, so gab er mit einem schweren Seufzer seine Zustimmung und versprach, seine Worte noch vor seinem Ende zur Wahrheit zu machen.

Als zweite Bedingung verlangte nun Savonarola, daß Lorenzo die republikanische Freiheit von Florenz wiederherstelle und die Herrschaft, welche das Haus Medici sich angemaßt habe, öffentlich abtreten solle.

Der Kranke konnte seine Aufregung kaum bemeistern. Was der Prior von ihm verlangte, war die Zukunft seines Sohnes, die Hoffnung seiner Familie, die Frucht aller Mühen seines Lebens. Vor seiner bangenden Seele erschien das Bild seiner Gattin, der Genossin aller Sorgen und Mühen, die er bestanden hatte, um das Haus Medici zu erhöhen.

Diese Prüfung vermochte er nicht zu bestehen, denn er hätte damit alles vernichten müssen, was ihn überhaupt an die Erde gefesselt hatte. Er versagte seine Zustimmung und versuchte, den Prior zum Aufgeben dieser Bedingung zu bestimmen. Savonarola blieb fest und verweigerte die Absolution, wenn Lorenzo sich nicht entschließen könne, die geforderte Bedingung zu erfüllen.

Noch ein kurzes Nachsinnen und Lorenzo wiederholte die Erklärung, daß er sich dieser Anforderung nie fügen werde. Zum Zeichen seines Entschlusses wendete er dem Pater den Rücken und sprach kein Wort weiter mit ihm.

Savonarola wartete noch einige Zeit in Geduld, dann entfernte er sich.

Im Vorzimmer traf er den Grafen Mirandola, an dem er mit einem stummen Kopfschütteln vorüberging. Dann verließ er das Landhaus, ohne daß Lorenzo ihn zurückrufen ließ.

Clarissa hatte den größten Teil der Unterredung vernommen und nur mit Mühe sich zurückgehalten. Schon bei der ersten Bedingung wollte sie die Thür zu dem Krankenzimmer öffnen, aber sie zwang sich auf den Betstuhl zurück 136 und biß sich die Lippen blutig, um ihren Zorn zu unterdrücken. Bei der zweiten Bedingung hatte sie bereits die Thür gefaßt, um den Widerstand ihres kranken Gatten zu unterstützen. Aber sie vernahm dessen Entgegnung und war nun überzeugt, daß der dreiste Mönch seinen Zweck nicht erreichen werde.

Kaum hatte Savonarola darauf das Gemach verlassen, als sie eilig dasselbe betrat. Sie wollte dem leidenden Gatten ihren Dank aussprechen für seine Festigkeit und ihm tröstend sagen, daß Savonarola unmöglich ein rechter Stellvertreter Gottes sein könne. Aber sie unterdrückte jedes Wort, denn der erste Blick zeigte ihr, daß die starke Gemütsbewegung den Kranken sehr angegriffen habe. Erschreckt rief sie nach dem heilkundigen Freunde, der sofort erschien und jede mögliche Hilfeleistung gewährte. Von der stattgehabten Unterredung wurde nicht mehr gesprochen, da alle wußten, daß Pico von Mirandola nicht völlig auf Lorenzos Seite getreten sein würde.

Clarissa benachrichtigte nunmehr auch die Kinder von dem Verlaufe der Unterredung ihres Vaters mit dem Prior von San Marco. Während darauf der letztere wieder nach seinem Kloster zurückkehrte, erkannte Pico von Mirandola die Vergeblichkeit aller weiteren Heilmittel; er erschöpfte nochmals seine ganze Kunst, um Lorenzo kräftigende Arzneien beizubringen, damit wenigstens das fliehende Leben möglichst lang zurückgehalten werde; es war jedoch alles vergeblich, und bald umstanden die trauernden Hinterbliebenen das Lager, auf welchem Lorenzo von Medici seinen letzten Seufzer ausgehaucht hatte.

Clarissa verlor auch jetzt nicht ihre große Willenskraft. Anknüpfend an die Unterredung zwischen ihrem Gatten und Savonarola, machte sie es dem Sohne zur Pflicht, im Sinne des Vaters zu leben und zu sterben und die Größe des Hauses Medici höher zu stellen als jedes andre Interesse. Bei der Leiche seines Vaters versprach Peter der Mutter, dieses heiligen Gebotes eingedenk zu bleiben und sich durch nichts von der Erreichung des Zieles abhalten zu lassen.

Schon bei den Trauerfeierlichkeiten bewies die Familie Medici, sie sei keineswegs gesonnen, die hohe Geltung, welche Lorenzo sich in Florenz errungen hatte, durch den Umstand sich verbittern zu lassen, daß er ohne Absolution gestorben war. Es gab Priester genug, welche erbitterte Gegner Savonarolas waren und sich gern bereit zeigten, dem Toten das in die Gruft nachzusenden, was Savonarola dem Sterbenden verweigert hatte, und so wurden Requiems für seine Seele gebetet, zu denen die Bewohner massenhaft strömten, und über seinem Grabe erhob sich gar bald ein prachtvolles Denkmal von der Meisterhand Verrocchios, welches den Florentinern kund gab, daß die Familie Medici alle andern einheimischen Häuser weit überstrahle. 137

 


 


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