Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Zweites Kapitel.
Girolamo Savonarolas Jugendzeit.

Es ist das glückliche Vorrecht der Jugend, den Ernst der wirklichen Verhältnisse durch muntere Laune, Spiel und fröhliche Unterhaltung zu verscheuchen. Sie lebt dem Augenblicke, unbekümmert um drohende Gefahren, und entspricht damit einem Naturgesetze, welches im ewigen Wechsel seine Zwecke verfolgt und unter den Trümmern untergegangener Zustände neues Leben hervorruft. Nur für Augenblicke oder eine kurze Spanne Zeit unterbricht wohl auch die Jugend einmal ihre heiteren Spiele, um sich dem Ernste des Lebens zuzuwenden und schmerzlichen Ereignissen einen trauernden Gedanken, ein Wort der Klage oder eine Thräne zu weihen, aber bald schwingt der heitere Genius der ewig unzerstörbaren Lebenskraft sein blumenumwundenes Zepter wieder, und die düsteren Schatten fliehen, um harmlosem Geplauder und fröhlichem Lachen den Platz zu räumen. Die Jugend vergißt rasch, und doch fordert sie, daß man ihre Ansprüche, ihre Interessen, so harmlos und unbedeutend dieselben scheinen, mit gleicher Wichtigkeit behandelt, wie die großen Fragen der Geschichte und Politik. Und sie hat nicht unrecht, denn aus ihren Tändeleien, ihren scheinbar nichtssagenden Spielen entwickelt sich die wichtigste Angelegenheit der Menschheit, die Frage der Familie, des Hauses, der zukünftigen Generation.

Wie in ganz Italien, so waren auch in der Stadt Bologna von jeher die Ball- oder Kugelspiele viel im Gebrauch und boten Gelegenheit zur fröhlichen Vereinigung der beiden Geschlechter, die sonst ziemlich streng geschieden waren. Die jungen Mädchen aus den besseren Ständen wurden entweder wirklich in den Klöstern erzogen oder doch von ihren Müttern in klösterlicher Zurückgezogenheit gehalten. Gerade in Bologna hielt man diese Sitte im strengsten Sinne aufrecht, weil die berühmte Universität eine Menge junge Leute von auswärts anzog, die nicht alle mit gleichem Eifer ihren Studien oblagen, sondern häufig bei fröhlichen Gelagen und in Gesellschaft ausgelassener Frauen ihre Zeit vergeudeten. Die strenge Zurückhaltung bewirkte bei den jungen Mädchen, daß sie 30 doppelt mutwillig, doppelt übermütig waren, sobald sich einmal Gelegenheit bot, mit jungen Männern bei einem fröhlichen Feste zusammenzukommen. Mochten die Väter sich mit wichtigen politischen Erwägungen plagen, die Mütter sorgenvoll in die Zukunft sehen, was kümmerte es die frohen Jünglinge und Mädchen, die sich auf den öffentlichen Spielplätzen oder in den blühenden Gärten zu allerlei Kurzweil zusammengefunden hatten und dem Augenblicke sein Recht gaben!

Alljährlich gab die Familie Bentivoglio in den Sälen ihres Palastes und dem dazu gehörigen Garten zu Bologna ein glänzendes Fest, bei welchem die Erinnerung an König Enzio, den Ahnherrn der Familie, gefeiert wurde, damit dessen Gedächtnis bei den Bewohnern der Stadt wach erhalten werde. Aber nicht an die Kämpfe zwischen den Guelfen und Ghibellinen, bei denen die bevölkerte und gewerbfleißige Stadt sich lebhaft beteiligt und infolge davon schwere Zeiten durchlebt hatte, sollte dieser Tag erinnern, obgleich sie die Veranlassung waren, daß der Lieblingssohn Friedrichs II., Heinrich oder Heinz, von den Italienern Enzio genannt, in Bologna über zwanzig Jahre gefangen saß, sondern diese Feier galt der Erinnerung an die heldenmütige Liebe einer Tochter der Stadt, welche den schönen Kaiserssohn damals in das Gefängnis begleitete und sein herbes Schicksal durch ihre aufopfernde Treue milderte. Als der herrliche deutsche Jüngling gefangen durch die Straßen Bolognas geführt wurde, erweckte sein Schicksal in Verbindung mit der Schönheit seiner Erscheinung eine hingebende Leidenschaft im Herzen der schönen Lucia Vendagoli. Sie wußte sich den Eingang in sein Gefängnis zu bahnen und harrte dann als sein Weib lebenslang bei ihm aus. Das Geschlecht, welches dieser aufopferungsvollen Ehe entsproß, führte den Namen Bentivoglio und schwang sich, seiner kaiserlichen Abkunft entsprechend, zu großem Ansehen empor, bis es vor nicht langer Zeit bei einer Umwälzung mit Hilfe des Papstes zur unumschränkten Herrschaft gelangte. Die Bentivoglio spielten in Bologna ungefähr dieselbe Rolle, wie die Medici in Florenz.

Daß ein Fest, welches dem Gedächtnis treuer Liebe galt, hauptsächlich für die Jugend bestimmt war, ist ganz natürlich, und wenn es sich zufällig traf, daß in der Familie Bentivoglio blühende Jünglinge oder junge Mädchen die Freude der Eltern bildeten, so gestaltete sich die Feier besonders fröhlich, und es wurde alsdann alles aufgeboten, um den jugendlichen Freunden und Freundinnen des Hauses genußreiche Stunden zu bereiten. Kommt doch die entzückende Natur Italiens solchen festlichen Ereignissen besonders günstig entgegen, namentlich wenn derartige Feste, wie dies hier der Fall war, in die schönste Zeit des Jahres, den Monat Mai, fallen. Die Fülle der herrlichen Blumen, welche, zu bunten Kränzen gewunden, die Säle schmückten, bildete den farbenreichen Hintergrund, von dem sich die lieblichen jugendlichen Gestalten mit feurig oder sanft blickenden Augen doppelt anziehend hervorhoben.

Diesmal war zwar nur ein einziger jugendlicher Sproß der Familie 31 Bentivoglio anwesend, aber da sich in ihm die ganze Hoffnung des Geschlechtes verkörperte, vereinigte sich auch die Liebe der Eltern und Verwandten, um ihn zu vergöttern. Der junge Hippolyt hatte eben sein zwanzigstes Lebensjahr zurückgelegt und konnte mit Recht ein hochbegabter und hoffnungsvoller Jüngling genannt werden, obgleich die maßlose Liebe, die ihn umgab, seinen Übermut weckte. Es hatte sich in der Familie Bentivoglio eine äußere Erinnerung an die deutsche Abkunft erhalten, denn unter den Nachkommen des Königs Enzio tauchte von Zeit zu Zeit, bald bei Männern, bald bei Frauen, der reiche blonde Haarschmuck auf, der einst ihrem Ahnherrn eigen war. Auch Hippolyt besaß eine Fülle hellblonder Locken und in Übereinstimmung damit große blaue Augen, die jedoch, wenn er in Zorn oder Freude lebhaft erregt war, so tief leuchten konnten, daß sie fast die Farbe des Stahles annahmen und dann gleich dunklen Sternen aus dem kühn geschnittenen Jünglingsantlitze hervorblitzten. Seine Gestalt war edel und kräftig, abgehärtet durch Leibesübungen, die er zu Fuß und zu Roß von Kindheit an mit Leidenschaft getrieben und durch welche er sich zu seiner künftigen Stellung als Führer der mächtigen Stadt Bologna vorbereitet hatte. Kein Wunder, daß alle jungen Mädchen der Stadt dem blühenden und einer großen Zukunft entgegenblickenden jungen Manne zugethan waren! Wo er ging und stand, sahen sie ihm verstohlen nach. Er hätte die Wahl gehabt zwischen den schönsten Töchtern aus den ersten Familien, denn mehr noch als die jungen Mädchen richteten die Mütter ihre Augen auf ihn, da er gleichsam als höchster Preis galt, den eine Tochter für die Familie gewinnen konnte.

Während des diesjährigen Enziofestes hatte sich wieder eine starke Zahl von Jünglingen und Mädchen im Palaste Bentivoglio eingefunden, und die Stunden waren unter mancherlei Belustigungen pfeilschnell entschwunden. Gegen Abend sollte ein großes Volksfest mit öffentlichen Spielen, Wettlauf, Stangenklettern u. dgl. im Garten stattfinden, wobei zum Schlusse ein glänzendes Feuerwerk abgebrannt werden sollte, welches man auf einem weiten Rasenplatze, der nach Art der antiken Theater mit amphitheatralischen Sitzreihen versehen war, vorbereitet hatte. Bis zu der Stunde, in welcher die Pforten für die Volksmenge geöffnet wurden, war nur die Jugend aus den vornehmen Häusern im Garten versammelt, wo sie sich an dem beliebten Bocciaspiele ergötzten, bei welchem Kugeln ausgeworfen und dann nach der Entfernung von einem gewissen Ziele Gewinn oder Verlust berechnet wurde, eine Unterhaltung, wobei nicht nur viel gelacht und gescherzt werden konnte, sondern zuweilen auch eine harmlose Streitigkeit stattfand, die sich bald schlichten ließ. Zwischen den einzelnen Spielen wurden Pausen gemacht, in welchen die Dienerschaft Erfrischungen umherreichte.

Bei diesen letzteren Gelegenheiten pflegten sich Gruppen zu bilden, indem einzelne der jungen Mädchen ihre Verehrer um sich versammelten. Mit Hippolyt trat jedoch der umgekehrte Fall ein, denn er war fast immer der Mittelpunkt 32 eines Kreises junger Damen, da sich die schönsten, zugleich aber auch die gefallsüchtigsten Mädchen um ihn drängten.

Es war keine Frage, daß Orsola Cantarelli unter allen ihren Gespielinnen am meisten durch reizende Gesichtszüge und anmutige Gestalt hervorragte. Sie hatte eben erst die Kinderschuhe ausgetreten, aber sie gehörte zu denjenigen Mädchen, bei welchen die Umwandlung vom Kinde zur Jungfrau so überraschend schnell vor sich geht, daß selbst die nächsten Verwandten eines Tages die zur vollen Blüte entfaltete Knospe anstaunen. Gerade in dieser lieblichsten Periode des jungfräulichen Lebens befand sich Orsola. Aber sie war in ihrem Geiste schon lange kein Kind mehr und hatte längst jede Spur harmloser Unbefangenheit abgestreift. Dafür hatte sie die schlaueste Berechnung eingetauscht, welche sie unter der Maske kindlichen Frohsinns verbarg. Seitdem sie zur Erkenntnis gekommen war, daß die Augen der Männer von ihren Reizen bezaubert wurden, hatte sich ein hoher Grad von Gefallsucht bei ihr entwickelt, und sie war bereits, während sie in ihrer äußern Erscheinung noch ganz einem Kinde voll Unschuld und Selbstvergessenheit glich, im Innern eine vollständig entwickelte Kokette.

Wieder einmal war eine Pause im Spiele eingetreten, und Orsola, die gern alle jungen Männer bezaubert hätte, um dann unter allen den vielumworbenen Hippolyt wählen zu können, sagte schelmisch lächelnd zu einem jungen Offizier, der in ihrer Nähe stand:

»Euer Bruder Girolamo, Signor Ognibene, gehört nicht zu den galanten jungen Männern, denn ich bemerke, wie er jedesmal, wenn eine Pause im Spiele entsteht, sich auf die Seite schleicht, um seinen Gedanken nachzuhängen, statt den jungen Damen seine Gesellschaft zu widmen und seine seltenen Geistesgaben, von denen soviel die Rede ist, im Gespräche glänzen zu lassen.«

»Laßt ihn gewähren, Signorina«, entgegnete der Offizier, »denn er ist zwar ein Träumer, aber bei Gott ein braver und tüchtiger Mensch. Er ist der klügste von uns sieben Geschwistern und zehnmal mehr wert als ich, der nichts an Vorzügen besitzt als die beste Absicht, sich einmal dem Feinde gegenüber schlagfertig zu erweisen.«

»Das ist alles ganz gut, Signor Ognibene«, versetzte lachend die reizende Orsola, »aber ich möchte wohl wissen, welche Gedanken einen jungen Mann so ganz in Beschlag nehmen können, daß er keine Augen für uns junge Mädchen hat. Was meint Ihr wohl, daß er in diesem Augenblicke denken mag?«

»Für mich, der täglich mit ihm verkehrt, ist es nicht schwer, dies zu erraten«, erwiderte der Offizier, »denn ich weiß genau, was ihn in der letzten Zeit nachdenklich macht. Ich wette, es sind die Vorfälle in Florenz, die seine Gedanken beschäftigen. Er grübelt über die Verschwörung der Pazzi und deren Folgen. Wenn es aber das nicht ist, was ihm durch den Kopf geht, so denkt er an seine gelehrten Bücher und sehnt sich vielleicht nach diesen, während er mir zuliebe an unserm reizenden Feste teilnimmt.«

33 »Jedenfalls finde ich es nicht artig von Eurem Bruder, daß er seine Bücher zu hoch schätzt, um sie einmal der jungen Mädchen wegen zu vergessen«, versetzte Orsola, während sie nach dem Gegenstande des Gespräches, einem jungen, ernstblickenden Manne, der mit etwas gesenktem Kopfe einen einsamen Pfad einschlug, schaute. »Und doch«, setzte sie halblaut hinzu, »ist es interessant, einen Menschen zu sehen, der an die Verschwörung der Pazzi denkt und sich nach seinen Büchern sehnt, während wir uns hier zu heiteren Spielen versammelt haben.«

»Ei, ei«, mischte sich nun Hippolyt Bentivoglio ein, der sich Orsola näherte. »Ihr könntet jeden von uns auf unsern guten Freund Girolamo eifersüchtig machen. Am Ende werdet Ihr es noch dahin bringen, daß wir jungen Männer die Schwerter mit den Büchern vertauschen, um Euern Beifall zu finden.«

Diese Worte gefielen der eitlen Orsola ungemein, sie verbarg ihre innere Freude unter einem silberhellen Lachen, in welches einige junge Leute, die in ihrer Nähe standen und den letzten Teil des Gespräches gehört hatten, unbefangen einstimmten.

Inzwischen hatte der Gegenstand des Gespräches sich abseits von den Hauptwegen in einen Laubengang verloren. Er ging langsam und geneigten Kopfes weiter, dann stand er zuweilen still und betrachtete eine am Strauche hängende Rose oder Kamelie. So schien er in tiefes Nachdenken versunken. In der That beschäftigten ihn Überlegungen, die selten bei jungen Leuten auftauchen. Girolamo Savonarola war nicht nur ein Mensch von tiefem Gemüte, sondern auch von der ernstesten Geistesrichtung. Er hatte für die Angelegenheiten der gesamten Menschheit Interesse. Sein Geist vergaß nicht die Welt, um dem Augenblicke zu leben, sondern er vergaß vielmehr den Augenblick und das eigne Ich, sobald es sich um Vorgänge von allgemeiner Bedeutung handelte. Viele Tage hatte er bereits über die blutigen Vorgänge in Florenz, welche in ganz Italien, ja in ganz Europa besprochen wurden, nachgedacht. Er rief sich dabei die Geschichte der emporblühenden Stadt in das Gedächtnis. Unter blutigen Kämpfen und fortwährenden Umwälzungen hatten sich die beiden Parteien der Guelfen und Ghibellinen, die später als die Schwarzen und Weißen wieder auftauchten, feindlich gegenübergestanden; von diesem Schicksale war auch der große Dichter Dante mitbetroffen, der seinem Vaterlande als Soldat und Staatsmann treulich diente. Im Jahre 1300 war er einer der Prioren, welche unter dem Gonfaloniere die Signoria bildeten. Er gehörte zur Partei der Weißen und wurde bei einer gewaltsamen Umwälzung für immer aus Florenz verbannt. Längere Zeit irrte er dann von Ort zu Ort, bis der Gebieter von Ravenna, Guido Novello da Polenta, ihn aufnahm und großmütig bis zu seinem Tode bei sich behielt. Sein erhabenes Gedicht, von ihm selbst »Commedia«, später erst »Die göttliche Komödie« genannt, steht über allen Parteien und führt die irdischen Vorgänge seiner Zeit im Lichte der Vergeltung dem Leser vor Augen. Dann kamen die Zeiten, in welchen die Florentiner den König von Neapel und später 34 den sogenannten Herzog von Athen zu Herren ihrer Stadt beriefen, bis endlich nach und nach die Medici die Oberherrschaft für sich in Anspruch nahmen. In Girolamos jugendlicher Feuerseele lebte die Überzeugung, daß die gegenwärtigen Verhältnisse in Florenz und den übrigen italienischen Städten unhaltbar und verwerflich seien, denn überall handelte es sich um den Willen einzelner Tyrannen, welche das Volk für ihre Zwecke ausbeuteten und sich wenig um dessen Wohl bekümmerten. Girolamos glühender Patriotismus sehnte sich nach Thaten, aber er verzagte oft an seiner eignen Fähigkeit. Der junge Mann wußte, daß seine äußere Erscheinung keine imponierende war, und daß ihm die Vorsehung die Gabe der Rede, wie sie auf das Volk wirken kann, versagt hatte. Ursprünglich hatte er sich, dem Beispiele seines Vaters folgend, dem Rechtsstudium widmen wollen, aber in seinem innersten Wesen glaubte er sich zum Lehrer der Jugend oder zum Volksredner berufen. Wenn er sich in solche Gedanken versenkte, ergriff ihn eine mächtige Begeisterung und er konnte sich stundenlang mit der Ausarbeitung von Vorträgen beschäftigen, in welchen er seine Ansichten einem Kreise aufmerksamer Zuhörer mitteilen wollte. Ihn bewegte nicht nur der gewaltige Aufschwung, welchen die Wissenschaften in neuerer Zeit genommen hatten, sondern auch die mächtige Bewegung auf dem Gebiete der Kunst weckte seine Aufmerksamkeit. War doch bereits die Zeit gekommen, wo die bildenden Künste mit sicheren Schritten auf neuen Bahnen vorwärts gingen. Es regte sich neuerdings an vielen Orten das Verständnis für die unsterblichen Gebilde der antiken Kunst, und man erkannte, daß dieselben in ihrer Vollendung alle Wandlungen menschlicher Begriffe überdauern und für ewige Zeiten befruchtend auf die geistige Thätigkeit einwirken könnten. Noch bildete die Frage über den Wert der wiedererwachten antiken Kunst den Gegenstand lebhaften Streites. Obgleich Savonarola begabt genug war, sich an den Dichtungen eines Dante oder den einfach edlen Gebilden eines Giotto zu erfreuen, so flößte ihm der neuere Aufschwung der bildenden Künste, bei welchem vielfach das derbsinnliche Element, in Verkennung des antiken Geistes, nach dem Geschmacke genußsüchtiger Machthaber gepflegt wurde, Mißtrauen, ja sogar Widerwillen ein. Wie es in der Jugend häufig geschieht, ging Girolamo in seiner strengen Ansicht zu weit, und es schien fast, als sei er ein Feind der Kunst. Seine Seele glühte und dürstete eben nach der Freiheit vom Joche der Tyrannen, nach dem Glücke der gesamten Menschheit, und er haßte alles, was mit der Tyrannei zusammenhing oder von ihr gepflegt wurde.

Dante.

Die kichernden Mädchen und laut lachenden Jünglinge hatten keine Ahnung von den Kämpfen, welche die Seele Girolamos bewegten. In ihrem Übermute meinte die reizende Orsola, es gelte einmal den Versuch zu machen, ob das Leben oder die Bücher recht behielten. Gelinge es einem jungen Mädchen, den ernsten Girolamo Savonarola von seinen gelehrten Studien abzuwenden, so sei es auch unwiderleglich erwiesen, daß alle die alten, hochverehrten, weisen Männer nicht soviel Macht besäßen, als ein jugendfrisches Gesicht.

35 Sämtliche junge Leute klatschten Beifall. Auch Hippolyt fand die Idee bezaubernd, aber er sagte dies mit etwas zweifelhaftem Gesicht. Gleich darauf wußte er eine Gelegenheit herbeizuführen, um Orsola unbemerkt ein paar Worte zuzuflüstern. Er fragte sie nämlich ganz ernsthaft, ob sie etwa selbst gesonnen sei, das Unternehmen in Bezug auf Girolamo zu wagen. Als sie diese Frage im Übermute zustimmend beantwortete, erwiderte er: am Ende sei ein wirkliches Interesse für den jungen Gelehrten dabei im Spiele. Innerlich jubelnd, zögerte Orsola mit einer Antwort, bis Hippolyt erklärte, er müsse ihr bei dieser Gelegenheit gestehen, daß es ihm gar nicht gleichgültig sei, wie weit sie die Sache zu treiben gedenke.

Orsola errötete beim Anhören dieser Worte und konnte ihr triumphierendes Gefühl kaum verbergen, denn es war das erste Mal, daß Hippolyt ihr zu verstehen gab, er sei nicht gesonnen, ihren Besitz einem andern Manne zu gönnen. Das schlaue Mädchen besann sich nicht lange, und während sie ihn mit ihren schwarzen Augen bedeutungsvoll anblickte, erwiderte sie:

»Ich werde die Sache genau so weit treiben, als Ihr ruhig zuseht, und ich werde das Opfer seinem Schicksale überlassen, sobald Ihr die Geduld verliert.«

Sie hatte aber kaum Zeit gehabt, ihm diese Worte flüsternd zu sagen, als Ognibene Savonarola sich wieder zu ihr wandte.

»Habt Mitleid mit meinem armen Bruder Signorina Orsola«, sagte er, »und bedenkt, daß Ihr andre Opfer genug findet. Sein argloses Gemüt würde für Wahrheit halten, was doch nur Spiel von Eurer Seite ist.«

»Wer sagt Euch, daß es nur ein Spiel ist? Könnt Ihr meine Absicht durchschauen?« erwiderte das junge Mädchen. »Wenn der junge Student nicht alles für Wahrheit hält, ist das Spiel von vornherein verloren«, setzte sie hinzu, während sie den niedlichen Zeigefinger drohend erhob und ernsthaft fortfuhr: »wenn Ihr mir in dieser Sache in den Weg tretet, so erkläre ich Euch selbst den Krieg und fordere alle meine Freunde auf, mich an Euch zu rächen.«

»Euren Zorn fürchte ich, nicht aber Eure Freunde«, entgegnete der junge Offizier, der den Zauber ihrer Reize auch an sich erfuhr und setzte dann hinzu:

36 »Wenn Ihr im Ernste den Versuch machen wollt, dürft Ihr meinetwegen außer Sorge sein, denn ich verlasse morgen in aller Frühe die Stadt Bologna und kehre vielleicht erst in Jahr und Tag zurück, ja es trifft sich sogar, daß ich schon diesen Abend von meinem Bruder Abschied nehme. Er selbst wird seiner Studien wegen hier bleiben. Übrigens gestehe ich Euch ganz offen, daß ich ein wenig neugierig bin, ob Euer Versuch den erwarteten Erfolg haben wird, und ich werde Euch schon deshalb nicht an der Ausführung hindern; auch glaube ich kaum, daß mein Bruder lange zu täuschen sein wird, denn sein Verstand sieht heller als Ihr denkt.«

Orsola empfand den Vorwurf, der in diesen Worten lag, aber sie verzog nur den Mund zu einem spöttischen Lächeln.

Die jungen Männer waren durch die Nachricht überrascht worden, daß Ognibene Savonarola, den sie seines heiteren Sinnes wegen liebten, Bologna verlassen werde, und sie richteten deshalb eifrige Fragen an ihn. Das Gespräch kam dadurch auf ein andres Feld, und die Gruppe löste sich auf.

Der junge Offizier erzählte seinen Freunden, er sei plötzlich nach Padua kommandiert worden, weil diese Stadt den Venezianern in einer Streitfrage gegen Mailand Beistand leisten wolle; es sei möglich, daß die Sache rasch beigelegt werde, aber ebenso gut könne es auch zu einem langwierigen Kriege kommen.

Inzwischen hatte sich Hippolyt Bentivoglio mit Orsola eine kurze Strecke von den andern entfernt und einen einsamen Seitenpfad eingeschlagen. Dort sagte er nun ganz im Ernste zu ihr:

»Seid Ihr Eures Herzens so sicher, um ein derartiges Wagnis zu beginnen? Versprecht mir, den Scherz mit Girolamo Savonarola nicht zum Ernste werden zu lassen; ich möchte nicht, daß Ihr Euer Herz an einen andern verliert, bevor ich Euch fragen durfte, ob es nicht für mich zu schlagen vermag.«

Wieder kostete es dem schönen und gefallsüchtigen Mädchen große Mühe, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken, aber ein verräterisches Rot überzog gegen ihren Willen ihre Wangen, während sie die Augen zu Boden schlug.

»Wer könnte mit Euch in die Schranken treten?« lispelte sie, während sie Hippolyt die Hand reichte, welche dieser feurig an seine Lippen drückte.

Es blieb vorläufig bei diesen Andeutungen, denn Hippolyt durfte nicht weiter gehen, weil er sehr wohl wußte, daß seine Eltern ganz andre Pläne mit ihm hatten. Die Cantarelli waren zwar ein angesehenes Geschlecht in Bologna, aber es war längst Sitte, daß die herrschenden Familien sich nur mit andern regierenden Häusern zu verschwägern suchten. Wollte Hippolyt seiner Neigung für Orsola folgen, so sah er einem schwierigen Kampfe entgegen, aber er war in diesem Augenblicke fest entschlossen, jedes Hindernis zu überwinden. Orsola war klug genug, die Verhältnisse zu durchschauen; sie wußte, daß nur die größte Ausdauer den jungen Bentivoglio zum Ziele einer Verbindung mit ihr führen werde und sie war daher bereit, seine Leidenschaft bis zum äußersten 37 zu entflammen. Zu diesem Zwecke glaubte sie nun ein wirksames Mittel in dem Kampfe gegen die Gleichgültigkeit Girolamo Savonarolas gefunden zu haben und sie war entschlossen, denselben mit allen Kräften durchzufechten. Sie betrachtete dieses ganze Zusammentreffen als einen besondern Glücksfall, aber sie war schlau und einsichtsvoll genug, um zu wissen, daß sie nichts übereilen dürfe und vorsichtig zu Werke gehen müsse.

Als gleich darauf die Spiele wieder fortgesetzt wurden, verweigerte auch Girolamo seine Beteiligung daran nicht, denn trotz seines ernsten Wesens barg sein unverdorbenes Gemüt eine fast kindliche Seite, und ein fröhlicher Keim frischer Lebenslust regte sich zuweilen in seiner Seele. Da er kein schöner junger Mann im gewöhnlichen Sinne war, seine äußere Erscheinung ihn also den Frauen nicht besonders anziehend machte, hatte der den Wissenschaften zugewandte Geist sein unverdorbenes Herz bisher davor bewahrt, die Gefahren kennen zu lernen, welche andre Jünglinge seines Alters bereits hinter sich hatten. Seine Mutter und eine jüngere Schwester waren die einzigen weiblichen Wesen, denen er von Herzen zugethan war und zugleich fast die einzigen, mit welchen er nähern Verkehr hatte, wollte man nicht einige ältere weibliche Verwandte und Freundinnen des Hauses dazu zählen, die er ihrer Frömmigkeit wegen schätzte. Seine Mutter selbst war eine gottesfürchtige Frau, die ihre Kinder in gleichem Sinne erzogen hatte. In Gegenwart junger Mädchen beschlich Girolamo häufig ein Gefühl der Verlegenheit, denn er war sich bewußt, ihnen nicht besonders zu gefallen, weil ihm die Geschmeidigkeit des Umgangs fehlte und er die Gegenstände der Unterhaltung nicht finden konnte, für welche er bei ihnen Interesse voraussetzen durfte. Auch unter seinen männlichen Altersgenossen hatte er nur wenige Freunde, aber diese standen ihm dafür auch sehr nahe und verehrten ihn seiner großen Überlegenheit wegen. Von seinen Brüdern war ihm der heitere Ognibene, der älter war als er, zwar immer ein angenehmer Gesellschafter gewesen, aber sie hatten sich innerlich nie besonders verstanden.

Mit weit größerer Zärtlichkeit hing Girolamo an den jüngern Geschwistern, von welchen Marco Aurelio, nur ein Jahr jünger als er, sein besonderer Liebling war. Und gerade das Schicksal dieses Bruders war es, was ihm den ersten wahren Kummer bereitete und sein Nachdenken über die Nichtigkeit aller irdischen Herzenswünsche weckte. Marco hatte sich nämlich in ein Mädchen verliebt, das zwar mehrere Jahre älter war als er, aber noch immer in der vollen Blüte der Jugend strahlte. Sie war eine Verwandte seiner Mutter und hieß wie diese Anna Buonacorsi. Als gefeierte Schönheit behandelte sie den jugendlichen Vetter und Verehrer etwas verächtlich und schien kaum zu bemerken, daß seine Neigung für sie sich zu einer echten, tiefen Leidenschaft steigerte. Marco ertrug ihren Übermut, er war voll Bewunderung ihrer Schönheit und ganz Vertrauen auf ihre Tugend. Niemals würde er ihr einen niedrigen Gedanken zugetraut haben. Zu seiner schmerzlichen Überraschung verlobte sie sich eines Tages mit einem 38 angesehenen und reichen, aber alten und häßlichen Patrizier, der einen Sohn im Alter Marcos hatte. Bei einer Zusammenkunft gab sie Marco die Erklärung, sie sei viel zu alt für ihn und dürfe nicht so lange warten, bis er an das Heiraten denken könne, da alsdann ihre Jugend völlig verschwunden sei. Er versicherte sie, er würde ihr treu geblieben sein, hätte er sie auch erst als Greisin heimführen können. Sie lachte über diese ernst gemeinte Versicherung und war wenige Wochen darauf des reichen alten Mannes Frau.

Marco zog sich nun gänzlich zurück und verschloß den Gram in seinem Innern. Er suchte Anna bei sich zu rechtfertigen und fand ihre Handlungsweise verständig, umsomehr, da sie ihm nie ein Zeichen gegeben hatte, daß sie seine Liebe erwiderte. Nach und nach beruhigte sich sein Gemüt, und er begann wieder mit seinen früheren Bekannten Verkehr zu pflegen. Er vermied jedoch, das Haus zu betreten, worin seine ehemalige Geliebte jetzt als die Gattin des Vaters eines seiner Freunde waltete. Dieser Freund war ein harmlos gutmütiger Mensch. Vergeblich versuchte derselbe zu wiederholten Malen den neuen Verwandten in das Haus des Vaters zu geleiten; als es ihm endlich wirklich gelang, den widerstrebenden Marco bei sich einzuführen, empfing ihn die junge Stiefmutter seines Freundes nicht nur als dessen Genossen, sondern auch als ihren eignen Verwandten mit Vorwürfen über seine seitherige Zurückhaltung. Er kam darauf öfter und wurde stets von Anna mit Zuvorkommenheit behandelt; sie wurde immer freundlicher und zuthunlicher, ja sie suchte in ihrer Kleidung und dem sonstigen Verhalten auf seine Sinne zu wirken, bis er endlich mit Schaudern erkannte, welche Rolle ihm das Ideal seiner reinsten Jugendträume zugedacht hatte. Die Wirkung dieser Einsicht zerstörte alle Hoffnungen seines Lebens. Seine Seele wurde so sehr mit Abscheu erfüllt, daß er sich entschloß, die Welt zu fliehen; er erwirkte die Zustimmung seines Vaters und trat in Bologna, am Grabe des heil. Dominicus, in den Orden der Predigermönche, die nicht in öder Geistesabtötung ihr Ziel suchen, sondern durch Schrift und Wort mit dem Volke in Verbindung bleiben.

Als denn bald darauf der älteste Bruder Ognibene die Vaterstadt Ferrara gleichfalls verließ, weil das neue Fürstenhaus Este viele Einschränkungen machte, und daher für den jungen Offizier wenig Aussicht auf Verbesserung seiner Lage blieb, dachte auch Girolamo oft daran, sein Glück in der Fremde zu suchen und wenigstens für einige Zeit die Universität Bologna zu beziehen und den Studien obzuliegen. Obgleich Girolamo in allen Dingen ganz seinen eignen Weg verfolgte, blieb es doch nicht ohne Einfluß auf ihn, daß seine beiden Brüder mit ihm an demselben Orte und zwar in ganz verschiedenen Lebensstellungen weilten. Nach wie vor blieb er mit dem gutmütigen und leichtlebigen Ognibene auf dem Fuße oberflächlichen Verkehrs, während er für Marco Aurelio die innige Teilnahme bewahrte, die er ihm stets gezollt hatte. Dennoch kam ihm selbst nie der Gedanke, das Klosterleben einer öffentlichen Wirksamkeit in der Welt vorzuziehen. 40 Er erkannte bald, daß das Studium der Rechtswissenschaft, wie es damals betrieben wurde, ihn nicht ausfüllte, und er beschäftigte sich vielfach mit den Geschichtschreibern und Dichtern des klassischen Altertums. Von ihnen kam er dann auf das erhabene Werk Dantes, in welchem dieser Dichter gleichsam den Himmel und die Hölle poetisch erobert hatte. Mit Inbrunst und Begeisterung wurde dieses wegen zahlreicher Allegorien und historischer Seitenblicke heute schwerverständliche Werk, das so recht dem Geiste seiner Zeit entsprach, damals von alt und jung gelesen! Galt doch die poetische Litteratur damals für das bevorzugte Schoßkind der gebildeten Kreise! In melodischem Fluß der Verse ergoß sich hier eine ergreifende Tiefe der Gedanken und eine überwältigende Fülle wohlklingender Schilderungen, dazu kam jene mystische Überschwänglichkeit, welche den späteren Geschlechtern das Gedicht schwerfällig erscheinen ließ, in jener Zeit aber dem Hange zu scholastischer Grübelei entsprach, der auch im Zeitalter Savonarolas noch die studierende Jugend beherrschte. Wie machtvoll durchschauerte es die schwärmerische Seele des Lesers, wenn der Dichter das grauenhaft großartige Gemälde vom Mittelpunkte der Hölle entwirft, als sein Vorbild und Führer Vergil ihm die Worte zuraunt:

»Da ist der Herrscher, da die Stelle
Wo's nötig ist, mit Stärke sich zu fassen,«

oder im Paradiese das erhabene, glanzvolle und ergreifende Bild des Erlösers, zu dessen Füßen der Dichter die verklärte Beatrice geleitet, während der Herr ihn mit mildem Worte ermutigt: »Nicht blind, geblendet bist du im Gesichte!«

Aus Dantes »Göttliche Komödie«: Paradies, XXVI. (Dante und Beatrice vor dem Erlöser.)
Nach G. Doré (in dem bei W. Möser erschienenen Prachtwerke).

Seine größte Bedeutung gewann aber Dantes Schöpfung durch die Schicksale des Dichters selbst, der mit kühnem Geiste zwar die Erhabenheit der Kirche pries, die weltliche Macht des Papsttums indessen zu bekämpfen suchte. So stand und litt er als Streiter in den Reihen der Ghibellinen.

Girolamo seinerseits konnte ganze Gesänge aus der »Komödie« seines Lieblingsdichters auswendig und versenkte sich oft stundenlang in den Geist derselben. Ob ihm dabei auch die reine Gestalt der holden Beatrice im Geiste erschien und er gleich dem Dichter ihre verklärten Züge, den milden Blick, das schneeweiße Gewand vor seiner Seele schweben sah? Er kannte die irdische Liebe noch nicht, aber er begriff, was Beatrice für Dante war, die Führerin durch die unendlichen Gefilde der Seligkeit, die Botin des Himmels, welche die Größe und unerschöpfliche Güte Gottes ihrem Freunde zu erklären suchte. Er glich in dieser Beziehung allen Idealisten, welche die Vorgänge der Wirklichkeit wie vorüberziehende Bilder anschauen, weil sie in ihrem Innern die erhabenen Urbilder aller Dinge bewahren. Das traurige Schicksal seines Bruders Marco hatte seine Seele erschüttert, aber seine Schwärmerei nicht zerstört, und noch war die Zeit ferne, wo feindliche Dämonen mitleidslos in sein eignes Leben eingriffen. Ahnungslos beteiligte er sich daher auch heute an den heiteren Spielen beim Enziofeste und blickte ohne Arg in Orsolas schönes Auge, das öfter als vorher dem seinigen begegnete. 41

 


 


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