Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Siebzehntes Kapitel.
Cäsar Borgia, ein Tiger in Menschengestalt.

Während also in Florenz ein edler Mann, der in vollkommener Selbstverleugnung das Wohl der Menschheit erstrebt hatte, dem Opfertode mit Fassung entgegenging, entwickelte sich in Rom, dem Mittelpunkte der irdischen Kirche, ein immer rücksichtsloseres und frecheres Treiben. Die Partei, welche Savonarolas Verderben wollte, war besonders am Hofe und in der unmittelbaren Nähe des Papstes, der sich den Stellvertreter Gottes nannte, zahlreich vertreten. Alexander VI. triumphierte über den Erfolg. Er war im Gegensatze zu dem Reformator in Florenz eine oberflächliche Natur, ein geistreicher Genußmensch, der großen Verantwortlichkeit seiner Stellung in keiner Weise gewachsen, dazu ein gewissenloser Knecht der Weiber, die ihn umgaben, und schließlich das blinde Werkzeug seines bösartigen Sohnes Cäsar. Dieser letztere war eine jener Naturen, welche zu ihren egoistischen Zwecken mit berechnender Schlauheit ohne Unterschied alle Mittel ergreifen, die ihnen das Schicksal an die Hand gibt.

Als dem Sohne des Papstes standen Cäsar Borgia, solange sein Vater lebte und ihn schützte, ungewöhnliche Mittel zur Hand, und da in demselben Verhältnisse, wie seine rücksichtslose Energie zunahm, die Feigheit und Schwäche des Papstes sich steigerte, wuchs Cäsars Macht nach und nach in das Ungeheuerliche. Er hatte die feste Absicht, die ihm vom Schicksal gegönnte Zeit bis zum Tode des Papstes so gut wie möglich zu benutzen. Es war seiner Natur entsprechend, daß er weder wahre Freundschaft noch verwandtschaftliche Liebe kannte; nur die Verschmelzung der Interessen erschien ihm ein dauerndes Band. Er stand mit den Prinzen und jüngern Fürsten Italiens auf vertraulichem Fuße, aber er wußte genau, daß dies alles nur so lange währte, als sein Vater die Tiara trug. Darum entwickelte sich in seiner Natur immer furchtbarer jene lauernde, raubtierartige Vorsicht, die im gedeckten Hinterhalte die Gelegenheit erspäht, um sich auf ihre Opfer zu stürzen und sie zu vernichten. Wen dabei seine mörderische Hand traf, galt ihm auf seinem Wege zur Herrschaft über Italien gleich.

260 Glanz, Pracht und Üppigkeit sind die Merkmale, welche den päpstlichen Hof unter Alexander VI. kennzeichneten. Der Papst selbst war kein Schwelger oder Trinker, er lebte einfach in bezug auf Speisen und Getränke, aber seine Sinnlichkeit war maßlos und nur seine Eitelkeit kam derselben gleich. Es herrschte eine wahnsinnige Verschwendung sowohl im Vatikan wie an den kleinern Höfen der Kardinäle, denen es die Mitglieder der Familie Borgia zuvorthaten. Wenn durch großartige Bauunternehmungen und künstlerische Ausschmückung der Kirchen und Paläste die bedeutendsten Künstler nach Rom gezogen wurden, so darf man sich doch nicht darüber täuschen, daß die Privatverhältnisse des Papstes in jeder Hinsicht ein Hohn auf seine Stellung und auf die Kirche waren.

Michelangelos Madonna mit dem toten Christus im Schoße.

Michelangelo wurde damals mit dem Kardinal Jean de Villers bekannt, welcher für eine Kapelle der alten Peterskirche die Gruppe der trauernden Madonna mit dem toten Christus im Schoße bestellte. Dieses wunderbare Kunstwerk machte den jugendlichen Künstler mit einem Schlage zum berühmten Manne, denn es erschien zum erstenmal darin ein christlicher Gegenstand mit der einfach menschlichen Wahrheit dargestellt, welche den antiken Kunstwerken eigen war. Die Vollendung des Einzelnen steht mit der Harmonie des Ganzen auf gleicher Stufe. Der tote Christus liegt im Schoße der schmerzreichen Mutter, über deren linkem Knie die Füße des Leichnams nackt herabhängen, während die Last des leblosen Körpers auf dem rechten Knie derselben ruht, über welches auch der rechte Arm des Toten schlaff nach vorn herabfällt. Die Madonna stützt den Leichnam unter den Schultern, während sie das Haupt in tiefem, aber geheiligtem Schmerze dem Gesichte des toten Sohnes, dessen Kopf mit den edlen friedlichen Zügen rückwärts sinkt, entgegenneigt. Die leicht ausgestreckte linke Hand der hehren Gottesmutter zeigt in ausdrucksvoller Gebärde gleichsam die Ergebung in den Willen Gottes. Die etwas jugendlichen Züge Marias bekunden zwar den tiefsten Seelenschmerz, aber zugleich die unvergängliche Schönheit der jungfräulichen Mutter. Auf Befragen erklärte Michelangelo, daß er mit Absicht die Madonna ungealtert dargestellt habe, aber andre Kenner seiner innern Gesinnung deuteten sie richtiger. Sie wußten, daß er den unglücklichen Savonarola hochschätzte, und obgleich er dessen Ansichten über Kunstgegenstände nicht teilte, doch seine Predigten derart liebte, daß er oft einzelne 261 derselben bei sich trug, um sie bei jeder Gelegenheit lesen zu können. In solchem Sinne habe nun der Künstler in jener Figur zugleich die trauernde Kirche darstellen wollen, welche den zum zweitenmal getöteten Christus beklagte.

Und in der That war von der ursprünglichen Idee des Christentums gerade dort, wo sie ihren Ausgangspunkt haben sollte, keine Spur mehr zu finden. Mit dem Namen und den Zeremonien des höchsten kirchlichen Würdenträgers lebte im Vatikan ein vollkommen weltlich gesinnter Fürst, der eine Art Harem um sich versammelt hatte und dem in erster Linie der prahlerische Glanz des eignen Namens, in zweiter Linie die glänzende Versorgung seiner Kinder über alles ging. Ganz im Geiste der andern italienischen Fürsten, aber doppelt verdammungswert, weil er eben der Papst war, galt ihm kein Mittel zu verwerflich, um seine Ziele zu erreichen. Vor allen Dingen war es die Lüge, welche er mit wahrhafter Meisterschaft und Dreistigkeit handhabte, und darin eben lag der verderbliche Einfluß dieses großartigsten Heuchlers, daß alle Welt genau wußte, wie die Dinge lagen, obgleich jedermann genötigt war, denselben einen andern Namen zu geben.

Jedenfalls war Alexander VI. nicht so ruchlos hartherzig, wie sein Sohn Cäsar. Er konnte namentlich den Bitten der schönen Weiber und den Wünschen seiner Familie nicht leicht etwas versagen. Lucrezia war sein Liebling, denn sie war offenbar ein gutherziges, nachgiebiges Geschöpf, während ihre Brüder mit ihren maßlosen Ansprüchen den Vater oft genug zum Unwillen reizten. Gerade zu der Zeit, als Lucrezia zurückgezogen im Kloster San Sisto weilte, wurde dem Papste das Betragen seines Sohnes Cäsar denn doch etwas zu arg.

Dieser hatte nämlich seit langer Zeit ein fast offenkundiges Liebesverhältnis mit Donna Sancia, der Gemahlin seines Bruders Jauffré, und da er schon länger mit dem Gedanken umging, den Kardinalspurpur abzulegen und sich in einen weltlichen Fürsten zu verwandeln, so machte er nun seinem Vater den Vorschlag, Don Jauffré an seiner Stelle zum Kardinal zu erheben und dann ihn mit dessen Gemahlin Donna Sancia zu vermählen. Diese Zumutung schien dem Papste denn doch etwas zu stark zu sein; er befahl plötzlich dem Don Jauffré mit seinem jungen Weibe Rom zu verlassen und sich auf seinen Fürstensitz Squillace zu begeben, während er Cäsar einen Auftrag nach Casina gab und in seiner Entrüstung erklärte, er wolle hinfort weder Kinder noch Nepoten länger um sich dulden.

Alexander war übrigens nicht der Mann, einen derartigen Entschluß lange aufrecht erhalten zu können, denn es gehörte zu seinen hervorragendsten Eigentümlichkeiten, daß er den Umgang mit seiner Familie nicht entbehren konnte.

Er mochte darum den im Zorne gefaßten Entschluß wohl schon etwas bereuen, als eines Abends eine verschleierte Dame in sein Gemach trat, sich ihm zu Füßen warf und seine Hände mit Küssen und Thränen bedeckte. Es war Lucrezia, welche in ihrer klösterlichen Zurückgezogenheit erfahren hatte, daß ihr 262 Vater einsam im Vatikan weile und die daraus die Hoffnung schöpfte, er werde jetzt vielleicht geneigt sein, eine Bitte zu erfüllen, die sie auf dem Herzen hatte.

Sie hatte sich nicht verrechnet, denn Alexander war bei ihrem Wiedersehen weniger erzürnt als gerührt. Er hob sie auf und küßte sie väterlich, als sie ihm mit schmeichelnden Worten die Versicherung gab, daß nur der Gedanke, ihn allein zu wissen, ihr den Mut zu diesem Schritte gegeben habe. Er verzieh ihr unter zärtlichen Ausdrücken und ließ sie an seiner Seite Platz nehmen.

Lucrezia entdeckte ihrem Vater, daß weder der Aufenthalt im Kloster, noch die inbrünstigsten Gebete oder Fasten und Kasteiungen im stande gewesen seien, die Liebe zu Giovanni von Pesaro, ihrem Gemahle, zu vernichten und daß sie eher sterben, als jemals einem andern Manne ihre Hand reichen werde.

Sie sagte dies alles im Tone wahrer Leidenschaft, denn sie liebte Giovanni wirklich, und dieses Gefühl hatte in der Abgeschiedenheit des Klosters eher zugenommen, als daß es zurückgedrängt worden wäre. Sie sagte dem Papste nicht, daß sie nur an der Seite des Gemahls sich von dem drückenden Bewußtsein ihrer unklaren Stellung erlöst fühlte. Ihr lebenslustiger Sinn hatte sich an der Seite des jungen Gatten den Freuden der Jugend mit dem Gefühle der Sicherheit hingeben können, und erst durch Cäsars Feindseligkeit gegen Giovanni war ihr Glück gestört worden.

Die Sache lag ziemlich schwierig, denn Alexander hatte bereits eine Kommission niedergesetzt, welche unter dem Vorsitze zweier Kardinäle die Scheidung betreiben und Gründe für dieselbe auffinden sollten. Inzwischen hatte sich Giovanni Sforza an seinen Verwandten, den Herzog Ludwig Moro von Mailand, gewendet, der ihm jedoch erklärte, er könne in dieser Sache nichts thun. Es war, als ob Cäsar Borgia mit dämonischer Gewalt überall Schrecken einflößte, wo es sich darum handelte, seine Pläne zu durchkreuzen.

Bei der Bitte Lucrezias fühlte Alexander seine Entschlüsse wanken. Einen Augenblick brauste er auf und drohte seiner Tochter, sie nach Spanien, zu seinen Verwandten nach Valenzia zu schicken, aber diese Absicht war nur ein flüchtiger Ausbruch der Heftigkeit, denn im nächsten Augenblicke versprach er der weinenden jungen Frau, ihre Bitte in Erwägung zu ziehen. Sie mußte ihm jedoch versprechen, in den nächsten acht Tagen ihr Kloster nicht zu verlassen.

Lucrezia küßte dankbar die Hand des Papstes und versprach alles zu thun, was er von ihr begehre. Sie plauderte dann mit ihm von ihrer Freundin Julia Farnese, von ihrer Erzieherin Adriana und ihrer Mutter Vanozza, und ihr zutrauliches Wesen zauberte vor die Phantasie Alexanders die Erinnerung an so viele froh verlebte Stunden, daß er in der That schon jetzt geneigt war, zu überlegen, auf welche Weise er Lucrezias Wunsch bald erfüllen und dann sich selbst manche Zerstreuung und Abwechselung wieder verschaffen könne.

Lucrezia kehrte in ihr Kloster zurück, aber nicht, um dort acht Tage lang in Zurückgezogenheit und stiller Betrachtung zu verbringen, sondern, um diese 263 Zeit zu benutzen und sofort Anstalten zu treffen, ihren Gemahl in Person zu sprechen. War es ihr gelungen, die Äbtissin von San Sisto dahin zu bewegen, daß sie ihr den Besuch beim Papste ermöglichte, so wußte sie es nun auch möglich zu machen, alles, was zur Reise nach Pesaro nötig war, zu erlangen.

Selbstverständlich durfte Lucrezia nicht wagen, in Pesaro als die Gemahlin Giovanni Sforzas zu erscheinen; sie mußte ein Mittel finden, ihren Gemahl zu sprechen, ohne daß irgend jemand eine Ahnung von ihrer Anwesenheit hatte. Sie stieg daher unerkannt mit ihrem Gefolge in der Nähe von Pesaro auf einem Landhause ab, woselbst ein vorausgesandter Kammerherr eine Wohnung für kurze Zeit gemietet hatte. Da aber der Besitzer gleichfalls in dem Hause wohnte, konnte auch hier eine Zusammenkunft nicht gewagt werden.

Lucrezia fand einen Ausweg. Sie erinnerte sich der alten Wahrsagerin, deren Worte damals großen Eindruck auf sie gemacht hatten, und sie beschloß, sich dieser Sibylle zur Erreichung ihres Zweckes zu bedienen.

Als die vornehme Dame tief verschleiert unter Begleitung eines Dieners zu der Tempelruine kam, wo die alte Frau ihre versteckte Wohnung hatte und sie mit einer Botschaft an den regierenden Grafen von Pesaro beauftragte, bat jene, daß die Fremde ihr Gesicht sehen lasse. Widerwillig ging Lucrezia darauf ein und nun dämmerte es im Gedächtnis der Alten. Wie ihr schon damals der vornehme Besuch etwas verdächtig vorgekommen war, so ging ihr jetzt mit einem Male ein Licht auf, und der Hang zur Intrige, welcher fast allen alten Frauen eigen ist, ward mächtig in ihr rege. Da sie ohnedies von der Dame im voraus mehr Gold erhielt, als sie jemals im Besitze gehabt hatte, war sie bereit, alles aufzubieten, um der Fremden zu Diensten zu sein.

Sie schlich sich in das gräfliche Schloß und bestellte den Brief, welchen Lucrezia ihr gab. Bald brachte sie die Antwort, daß der gnädige Herr sofort erscheinen werde. Die Alte wartete noch bis Giovanni anlangte, dann ließ sie die beiden Herrschaften dort allein und setzte sich als Wächterin vor den Eingang.

Das Wiedersehen zwischen Lucrezia und Giovanni versetzte beide in das leidenschaftlichste Entzücken. Sie liebten sich wirklich und hatten die Zeit der Trennung in heißer Sehnsucht verbracht. Was war ein Entferntsein, wie es Giovannis Beruf früher mit sich gebracht hatte, wobei stets ein lebhafter brieflicher Verkehr die Hoffnung auf Wiedersehen aufrecht erhielt, gegen diese Trennung wider Willen, bei welcher keine Hoffnung geblieben war!

Und nun brachte Lucrezia die Aussicht auf eine Wiedervereinigung! Sie wollte den Papst bitten, ihren Gemahl mit ihr in ein fernes Land zu senden, wo er seinem Berufe als Kriegsmann und beide gemeinschaftlich ihrem Glücke leben konnten. Zwar galt die Welt, in der sie aufgewachsen war und sich bewegte, als völlig frei von schwärmerischer Empfindsamkeit, aber ein liebendes Herz geht seine eignen Wege und Lucrezia hielt es für möglich, daß sie mit Giovanni irgendwo fern von Rom ein Plätzchen für ihre Liebe finden könnte.

264 Ihr Gemahl wurde von ihrer Beredsamkeit hingerissen und hielt die Ausführung gleichfalls für möglich. Jedenfalls, das sah auch er ein, durfte nichts geschehen ohne die Zustimmung des Papstes, aber Lucrezia glaubte an dessen väterliche Liebe und zweifelte daher nicht am Gelingen ihres Planes.

Mit welchen Schmerzen, mit wie vielen Beteuerungen, Küssen und Umarmungen nahmen die beiden Gatten von einander Abschied! Thränenden Auges verließ endlich Lucrezia in Begleitung Giovannis die Tempelruine, um ihr Pferd zu besteigen, das sie zu ihrem Gefolge zurücktragen sollte. War es nicht ein Beweis mehr für die Verworfenheit der Grundsätze, welche an diesem päpstlichen Hofe herrschten, daß zwei rechtmäßig verheiratete Menschen, die sich liebten, nur verstohlen und unter Lebensgefahr einander angehören konnten, weil der Dämon dieses Kreises sie zwingen wollte, sich zu trennen, obgleich die Kirchengesetze eine Trennung der Ehe verboten? Vor dem Eingange der Ruine trat ihnen die alte Wahrsagerin mit grinsender Freundlichkeit noch einmal entgegen. Um die schlimme Vorhersagung, mit welcher sie früher Lucrezias Gemüt geängstigt hatte, wieder gut zu machen und zugleich ein reiches Geschenk für sich zu erlangen, stellte sie sich, als wisse sie nicht, daß sie dieselben Personen von damals vor sich habe, und bat um die Gnade, die Hände der Herrschaften betrachten und ihnen daraus ihre Zukunft prophezeihen zu dürfen.

Es blieb nichts andres übrig, als ihr den Willen zu thun. Sie blickte zuerst in Lucrezias, dann in Giovannis Hand und sagte in überschwenglich feierlichem Tone:

»Ich sehe nichts als Heil und Glück, das von der Hand der Dame dem Ritter und von dem Ritter der Dame gespendet wird. Eure Wege sind gesegnet und die heutige Zusammenkunft bringt alles zum besten Ausgang.«

Lucrezia blickte voll Unmut in das verwitterte Gesicht der alten Heuchlerin, schenkte ihr noch einige Goldstücke und wendete sich dann zum Gehen. Als Giovanni ihr auf das Pferd half und darauf das seinige bestiegen hatte, sah die Alte den beiden schönen Gestalten nach, die nach verschiedenen Richtungen dahinsprengten und deren Blicke sich kaum voneinander losreißen konnten. Kopfschüttelnd murmelte sie. »Was kümmert uns geringe Leute das Schicksal der großen Herrschaften! Die Linien seiner Hand deuten auf einen nahen Tod. Mag er sich vorsehen, wer weiß, ob eine Warnung gefruchtet hätte!«

Es gelang Lucrezia unbemerkt wieder in das Kloster San Sisto zurückzukehren, und sie harrte nun der Entscheidung des Papstes.

Es war ein Glück, daß sie auf der Reise nicht gezögert hatte, denn schon am fünften Tage sandte Alexander und ließ seine Tochter zu sich kommen. Er hatte sich die Sache überlegt und fand es seinen Wünschen entsprechender, Lucrezia und ihren Gemahl wieder um sich zu haben, als dem Ehrgeize des finstern Cäsar zum Spielball zu dienen. Lucrezias Anwesenheit erleichterte zudem den Verkehr mit den andern Frauen, die ihm unentbehrlich waren. 265 Würdevoll, wie seine Art war, erklärte er der Tochter, er wolle ihrem Wunsche nicht im Wege sein; er werde ihrem Gemahl an seinem eignen Hofe eine bestimmte Würde verleihen und ihn zu diesem Zwecke nach Rom berufen.

Das war nun allerdings nicht so recht nach Lucrezias Wunsch und sie fürchtete, Giovanni werde auf diese Bedingung nicht eingehen. Sie wußte jedoch, es sei nicht klug, dem Papste sofort einen Einwand zu machen, und sie gab sich daher den Anschein, als sei sie über seinen Vorschlag sehr erfreut und zweifle keinen Augenblick an der Zustimmung ihres Gemahls. In ihrer Seele kämpften Furcht und Hoffnung einen schweren Kampf, und sie überlegte, mit welchen Waffen sie der letzteren zum Siege werde verhelfen können. Sie wußte gewiß, daß ihr Gatte nie auf die Dauer in Rom sicher war; sie ahnte auch, daß er einen Abscheu vor dem Aufenthalte daselbst hatte. Der Hauptgrund hiervon war ihr allerdings nicht bekannt, da Giovanni seiner Gattin doch nicht sagen konnte, daß das Volk keinen Unterschied zwischen den Frauen in der Umgebung des Papstes machte und der Meinung war, dieser stehe mit seiner Tochter in Liebesbeziehungen und gestatte sich alle erdenklichen Sünden, da er die Macht habe, sich selbst davon wieder zu absolvieren.

Vorläufig bezog sie nun wieder den Palast in der Nähe des Vatikans, der stets zu ihrer Verfügung stand. Auch ihren frühern Hofstaat versammelte sie um sich und knüpfte die alten Beziehungen wieder an. Sie wollte nichts überstürzen, denn sie kannte ihren Vater und wußte, daß sie ihm am besten beikam, wenn sie in Gemeinschaft mit Julia und Adriana sein Herz bestürmte und einen Augenblick abwartete, in welchem er sich besonders guter Laune erfreute.

Eine solche Gelegenheit bot sich kurze Zeit darauf, als Alexander eines Tages in Begleitung sämtlicher Damen die neuen Fresken, welche der Maler Pinturicchio in einigen Zimmern des Vatikans gemalt hatte, besichtigte. Diese Fresken stellten nämlich Szenen aus dem Kampfe der Franzosen in Italien dar, und zwar erschien auf ihnen Papst Alexander als der moralische Sieger über Karl VIII. Es waren drei Gemälde, von welchen das eine die Szene darstellte, als Karl VIII. dem Papste den Fuß küßt. Das andre zeigte Alexander VI., im Begriff, einigen französischen Prälaten den Kardinalshut zu verleihen, und das dritte endlich gab den Moment wieder, als der Papst die Messe las, bei welcher Karl VIII. ihm als Ministrant diente. Diese Bilder, welche der großen Eitelkeit des Papstes huldigten, waren meisterhaft ausgeführt, und es wurde nicht schwer, dieselben mit Begeisterung zu loben und dadurch die Befriedigung Alexanders hervorzurufen. Ungemein guter Laune begab er sich mit den Damen wieder in seine Gemächer zurück und nun ergriff Lucrezia den Augenblick, um ihre Besorgnis darüber auszusprechen, daß ihr Gemahl im Vatikan vielen Gefahren ausgesetzt werde. Sie sprach dabei leise und vorsichtig den Wunsch und die Hoffnung aus, der Heilige Vater möge ihr gestatten, mit ihrem Gemahl so weit als möglich von Rom entfernt, ein bescheidenes, aber gesichertes Glück zu suchen.

266 Dies war jedoch durchaus nicht nach Alexanders Wunsche, denn wenn seine Pläne auch weniger rücksichtslos und ehrgeizig wie die seines Sohnes Cäsar waren, hatte er doch keinen Sinn dafür, seiner geliebten Tochter irgendwo in der weiten Welt ein bescheidenes Glück zu gründen, da er sie in seiner Nähe haben wollte, um durch ihre Anwesenheit für sich selbst Zerstreuung zu finden und den Festlichkeiten im Vatikan erhöhten Reiz zu verleihen.

Die drei übrigen Frauen unterstützten Lucrezias Bitten, namentlich konnte Vanozza, Cäsars Mutter, welche seit dem plötzlichen Tode des Herzogs von Gandia die Trauerkleider nicht mehr abgelegt hatte, die Bemerkung nicht unterdrücken, daß Giovanni Sforza sich aus guten Gründen nicht wieder in den Vatikan wagen dürfe.

»Ihr wißt noch nicht«, entgegnete hierauf der Papst, »welche Veränderung uns bevorsteht. Es ist vorläufig noch ein Staatsgeheimnis, aber im Vertrauen auf eure Verschwiegenheit will ich euch mitteilen, daß Cäsar im Begriffe ist, sich nach Frankreich einzuschiffen, wo er die Schwester des Königs von Navarra heiraten und zum Herzog von Valentinois ernannt werden wird. Die Verhandlungen wurden bereits während der Krankheit des entschlafenen Königs Karl geführt und werden bald öffentlich werden. Der Tod Karls VIII. hat wieder einmal alle früheren politischen Kombinationen über den Haufen geworfen, da sein Nachfolger, Ludwig XII., ganz andre Pläne hat als er. Wir sind eben im Begriffe, mit ihm ein neues Bündnis zu schließen und da er unsrer Freundschaft zur Durchführung seiner eignen Absichten bedarf, wird er jede Bedingung erfüllen, die wir ihm stellen.«

»Und eine dieser Bedingungen«, entgegnete Vanozza hierauf, »ist die Heirat Cäsars und seine Erhebung zum Herzoge von Valentinois?«

»So ist es«, entgegnete der Papst; und die Selbstgefälligkeit, welche bei dieser Bestätigung aus seinen Blicken sprach, fand ihren Abglanz in dem Strahle der stolzen Freude, welche Julias und Adrianas Züge überflog. Nur Vanozza blickte düster vor sich hin.

»Frankreich hat sich mit Venedig geeinigt«, fuhr der Papst fort, »und wir müssen befürchten, daß seine Absicht gegen den Herzog von Mailand, den Onkel Giovannis, gerichtet ist. Will letzterer also sicher leben, so kann dies nur geschehen, wenn er sich von seiner Familie gänzlich lossagt und sich hier bei uns in Rom aufhält. Der neue König von Frankreich wird Cäsar in allen seinen Plänen unterstützen, und wahrscheinlich bleibt letzterer für lange Zeit von Rom entfernt.«

Das waren allerdings Nachrichten, welche die Sachlage vollständig veränderten. Für Lucrezia wäre zwar ebensoviel und mehr Grund zur Befürchtung gewesen wie früher, denn Cäsars letztes Ziel blieb nach wie vor darauf gerichtet, mit Beseitigung der kleinen italienischen Fürsten sich zum Herrscher über die ganze Halbinsel zu machen; aber wie hätte seine Schwester diesen 267 Plan durchschauen können, da der Aufenthalt im Kloster und das kurze Wiedersehen mit Giovanni ihre Leidenschaft für letzteren derart gesteigert hatten, daß sie in einer Art von Verblendung sich selbst einredete, es könne alles gut gehen und Giovanni mit ihr in Rom gesichert leben. Lucrezia war eine gutmütige, lebenslustige Natur, in vieler Hinsicht ihrem Vater ähnlich, und die Aussicht, an der Seite Giovannis das herrliche Leben am päpstlichen Hofe mitmachen zu können, drängte manche Befürchtung zurück. Sie versprach, mit Giovanni sich ins Einvernehmen zu setzen und erbat sich vorläufig vom Papste die Aufschiebung der Scheidungsverhandlung, wozu er sich bereit erklärte.

Daß die Sache sich nicht zu lange verzögerte, dafür sorgte jene höchste aller Mächte, welche auf Erden die Geschicke der Menschen lenken, wenn auch nicht immer zum guten Ende. Lucrezia und Giovanni liebten sich und standen somit unter dem Einflusse dieser Macht; die natürliche Folge davon war, daß sie sich die Umstände in der Phantasie derart zurechtlegten, wie sie ihrer Vereinigung günstig waren. Sie täuschten sich allerdings, aber die Liebe hat eben die Eigenschaft, daß sie Gefahren geringer erscheinen läßt und den Mut, denselben zu trotzen, bedeutend erhöht. Dazu kam noch, daß Cäsars Abwesenheit sowohl dem Papste wie den übrigen Gliedern der Familie etwas von dem Selbstgefühle zurückgab, welches sie – mit Ausnahme der Mutter Vanozza – verloren, sobald der gefürchtete Mann sie durch seine Gegenwart einschüchterte. Genug, die Boten zwischen Lucrezia und Giovanni gingen hin und her und endlich gediehen die Verhandlungen so weit, daß letzterer wieder nach Rom kam.

Dort zeigte sich nun in der That, was der direkte Einfluß eines energischen Menschen vermag, oder vielmehr, was die Abwesenheit eines solchen verändert, denn sowohl der Papst wie die ihm nahestehenden Frauen und der ganze päpstliche Hof wiegten sich in der Täuschung, die Wiedervereinigung Lucrezias mit ihrem Gemahl werde keine Schwierigkeiten haben. Man gab sich mit Heiterkeit und Lust allerlei frohen Familienfesten hin. Namentlich war der Kardinal Ascanio Sforza im Interesse seines Verwandten eifrig bemüht, die ganze Scheidungsangelegenheit zu den Akten zu legen und die Wiedervereinigung Lucrezias mit seinem Neffen als eine höchst erfreuliche Thatsache festzustellen. Derselbe Palast, welchen die beiden Gatten früher bewohnt hatten, wurde wieder von ihnen bezogen, und vorläufig dachte niemand daran, daß alle diese beglückenden Anordnungen von einer Gefahr bedroht sein könnten. Noch mehr aber wiegten sich sämtliche Beteiligte in Sicherheit, als auch von Cäsars Seite Nachrichten einliefen, welche zu erkennen gaben, daß sein Groll gegen den Schwager geschwunden sein müsse, denn in Briefen an den Papst erwiderte er auf dessen Mitteilungen von dem Geschehenen, es sei ihm angenehm gewesen, diese Neuigkeiten zu erfahren.

Dies war jedoch nichts als Heuchelei. Ganz andre Pläne waren von Cäsar bereits eingefädelt. Er war im Begriffe, durch Vermittelung des Königs 268 von Frankreich sich mit dem Kardinal Julius Rovere, der bisher der erbittertste Feind Alexanders gewesen, zu verbünden und mit ihm vereinigt den Kardinal Ascanio Sforza zu verdrängen; denn dem neuen Könige von Frankreich war darum zu thun, Mailand zu erobern und dann seine von der Familie Visconti ererbten Ansprüche darauf geltend zu machen. War es doch damals allgemein Gebrauch, die Eroberungsgelüste durch einen Schimmer berechtigter Ansprüche zu verschleiern. Wenn Ludwig XII. Neapel und Mailand auf solche Art in Besitz nahm, konnte Cäsar Borgia den Rest für sich behalten und so seine ehrgeizigen Pläne auf die Herrschaft Italiens weiter fortführen. Aus diesem Grunde wollte der König die ganze Familie Sforza ihres Ansehens berauben, um für die Zukunft frei von Befürchtungen zu sein.

Cäsar hatte nichts weiter im Auge, als den ihm durch seine bevorstehende Heirat verwandt werdenden König Ludwig XII. als Bundesgenossen an seine eignen Interessen zu fesseln. War der König im Besitze von Mailand, so sollte der Papst ihm die Kaiserwürde verleihen; Cäsar aber wurde als königlicher Prinz von Frankreich von dem Makel seiner Geburt befreit und durch die Verschwägerung mit andern Fürstenfamilien für immer in seinen Besitztümern gesichert. Den Anfang der Familienverbindungen machte die Verlobung des achtjährigen Neffen von Julius Rovere mit der vierjährigen Angela Borgia, einer Großnichte Alexanders VI. Solche frühzeitige Verlobungen waren damals nicht selten, da man die Ehebündnisse in großen Familien stets nur aus politischen Beweggründen plante. Wurde doch auch um dieselbe Zeit ein reizendes Kind aus dem Hause Colonna mit einem hoffnungsvollen Knaben, dem Sohne des Marchese von Peschara, verlobt. Es war Vittoria, die spätere Freundin Michelangelos. Und auch dieser Verlobung lagen rein politische Rücksichten zu Grunde. Friedrich von Neapel war kurze Zeit nach dem Abzuge des Königs Karl VIII. vom Volke, das ihn vergötterte, zum Herrscher über das schöne Reich erhoben, aber er kränkelte unerwartet, wie man vermutete, an heimlich ihm beigebrachtem Gifte. Sein Nachfolger war Prinz Ferdinand, und da die Familie Peschara dem königlichen Hause Neapel verwandt war, vermittelte Ferdinand die Verlobung mit Vittoria, um die Familie Colonna für alle Fälle sich zu verpflichten.

Immer aber erfüllt es den Beobachter wieder mit Staunen, wenn er erkennt, wie unter den geschilderten verworrenen Verhältnissen oft die edle Kunst zur Blüte gelangte, denn zu jener Zeit genügte eine kurze Frist äußerer Ruhe, um die herrlichsten Werke zu vollbringen. Mit Maria Pazzi war die Tradition der Mediceer, die unter dem Einflusse der Frauen aus dem streitlustigen Hause der Orsini in Florenz zurückgetreten war, nach Mailand verpflanzt worden, und Ludwig Moro zeigte sich als gelehriger Schüler Lorenzos, dessen Vielseitigkeit er dadurch nachahmte, daß er nicht nur die bildenden Künste schätzte, sondern auch der Poesie und philosophischen Wissenschaft Pflege angedeihen ließ. 269

Fassade der Certosa zu Pavia.

Alles was von bedeutenderen Werken aus der Renaissancezeit in und um Mailand entstand, verdankte seinen Ursprung der geschilderten Zeit. In architektonischer Hinsicht darf an gegenwärtiger Stelle nur die Fassade der Certosa von Pavia genannt werden, die als das erste dekorative Prachtwerk Italiens und der Welt dasteht, um zu beweisen, welcher hohe Begriff vom Werte der Kunst damals in Mailand lebte.

Das Abendmahl nach Leonardo da Vinci.

Ein andres Kunstwerk von gleicher, wenn nicht noch größerer Bedeutung verdankt ebenfalls seine Entstehung jener Zeit. Es ist das Abendmahl, welches Leonardo da Vinci im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie malte. Die Herzogin hatte den Maler, dessen bescheidene und doch tiefe Neigung sie kannte, niemals aus den Augen verloren. Sie beklagte sein Geschick, als er durch Cäsar Borgia in die Nähe des ihr widerwärtigen Treibens zu Rom gezogen wurde, und in zartsinniger Teilnahme veranlaßte sie ihren Gemahl, den Künstler zu sich einzuladen. Ludwig liebte leidenschaftlich die Musik. Da Leonardo auch Musiker war, fand sich vielfach Veranlassung zu persönlichem Verkehr. So blieb Leonardo in Mailand, und unter den Augen der schönen und edlen Frau, die er mit unauslöschlicher und gänzlich selbstloser Treue verehrte, entstand sein erhabenes Meisterwerk, das Abendmahl, welches in unzähligen Nachbildungen, so lange die Menschheit lebt, Trost und Erhebung verbreiten wird.

270 Traurig, daß diese Periode künstlerischen Wirkens nur von kurzer Dauer war und für die herzogliche Familie eine lange Zeit der Prüfung darauf folgte! Wer kann sagen, ob nur der Ehrgeiz jene Ehebündnisse veranlaßte, welche das unglückliche Italien aufs neue in Krieg und Elend stürzte! Vorläufig trat jene Ruhe ein, die dem Sturme vorausgeht. Sowohl König Ludwig XII. als sein Verbündeter, Cäsar Borgia, knüpften jene Bande, welche allein die Liebe um die Herzen schlingen soll. Ob dies hier der Fall war, wer will es entscheiden?

In ihrem Schlosse Amboise saß Anna von Bretagne am Fenster und blickte sinnend in die lachende Gegend hinaus. Sie war in tiefe Trauer gekleidet, und der schwarze Schleier, der ihr Haupt verhüllte und nach hinten herabfiel, war derart geordnet, daß man erkennen konnte, sie befinde sich noch in der ersten Zeit nach dem Verluste, der sie betroffen hatte. In der That hatte die junge Frau alle Ursache zu trauern, denn nachdem sie ihren Sohn kaum genügend beweint hatte, flossen ihre Thränen um den plötzlichen Tod ihres Gatten. Wenn die blühende Königin in ihrem schwarzen Trauerschleier bereits Gedanken hegte, die darauf hinzielten, ihren Witwenstand abzukürzen, so dürfen wir nicht allzusehr darüber zürnen, denn ihre erste Ehe war im Grunde doch nur eine politische Übereinkunft und wenn sie auch ihren Gatten ehrlich geschätzt und treu an seiner Seite gestanden hatte, lag es eben doch weder in ihrer Natur noch im Geiste der Zeit, einen Verlust allzulange zu betrauern. Dazu war das Leben selbst viel zu derb und rücksichtslos; man sah und erfuhr fortwährend Grausamkeiten, bei deren Anhören schon einer Frau aus späterer Zeit ein Schauder durch die Glieder rieseln würde, und man war daher gewohnt, rascher mit Verlusten abzurechnen und sich neue Hoffnungen aufzubauen.

In demselben Augenblicke, als Savonarola die öffentliche Gunst seiner Anhänger in Florenz einbüßte und die Verehrung derselben sich in Anklagen verwandelte, schien die wichtigste seiner Prophezeiungen in Erfüllung zu gehen. Er hatte Karl VIII. angekündigt, Gott habe ihn besonders erwählt, Italien von seinen Tyrannen zu befreien und die Kirche zu reformieren, außerdem hatte er ihm fortwährend im Namen des erzürnten Himmels seine Saumseligkeit vorgeworfen und ihn mit einer schweren Strafe bedroht. Man hatte dann diese Strafe im Tode des Dauphin finden wollen, der dem königlichen Paare so früh entrissen wurde; nun aber schien Savonarola ein neues Strafgericht auf das Haupt Karls VIII. herabgerufen zu haben, denn der König wurde bald darauf in seinem Schlosse Amboise von einem Schlagflusse getroffen und gab nach wenigen Stunden seinen Geist auf.

Karl VIII. hinterließ keine Kinder und seine Krone ging auf Ludwig von Orleans über, den nächsten Prinzen von Geblüt. Die Großmutter dieses Prinzen war eine Visconti gewesen und seine Gemahlin eine Tochter Ludwigs XI. Trotz seiner nahen Erbansprüche an den Thron, hatte er seither abgeschlossen gelebt und sich an die Spitze der unzufriedenen Parteien Frankreichs gestellt. 272 Infolgedessen hatte ihn Gefängnis und Verbannung getroffen, Erfahrungen, welche Königssöhne selten machen. Man traute ihm daher mehr Ausdauer und Entschlossenheit zu als seinem Vorgänger auf dem Throne.

Für Italien war seine Thronbesteigung besonders verhängnisvoll und man erkannte sofort, worauf er abzielte, als er seinem Titel des Königs von Frankreich diejenigen des Herzogs von Mailand und des Königs beider Sizilien beifügte. Er zögerte auch nicht, der Welt zu zeigen, daß er gesonnen sei, die Ansprüche, welche diese Titel gaben, zur Geltung zu bringen.

Seine Abgeschlossenheit und feindselige Haltung gegen Karl VIII. hatte einen besondern persönlichen Grund, denn Ludwig XII., der seit zwanzig Jahren gegen seinen Willen mit der Tochter Ludwig des Elften verheiratet war, hatte vom ersten Augenblicke an, da er Anna von Bretagne sah, für sie eine heftige Leidenschaft gefühlt, die nicht ganz unerwidert geblieben.

Mit seiner gewohnten Schlauheit suchte Alexander VI. aus dieser Lage der Dinge Vorteil zu ziehen, und Cäsar Borgia versäumte nicht, dabei seine Wünsche in den Vordergrund zu stellen. Ludwig von Frankreich wünschte von seiner Frau geschieden zu sein und die Witwe seines Vorgängers zu heiraten. Der Papst allein konnte diese Scheidung und die neue Ehe sanktionieren und er wollte für diesen neuen Skandal, den er vor der ganzen Christenheit wagte, wenigstens einen hohen Preis erzielen. Nun war der Augenblick gekommen, um Cäsar Borgia nach Frankreich zu senden, damit er dort im Namen des Papstes die Scheidung des Königs bewirke.

Es hätte übrigens wenig gefehlt, so würde Cäsar durch allzugroße Schlauheit den Preis verscherzt haben, den er zu erringen hoffte. Er gab nämlich vor, die Bulle nicht bei sich zu haben, welche die erste Ehe des Königs aufhob. Dieser war jedoch durch den Bischof von Cette davon benachrichtigt, daß die Bulle expediert worden war und ließ die Scheidung bereits durch seine eignen Geistlichen verkündigen, worauf er sofort nach dem Schlosse Amboise eilte, um die trauernde Witwe seines verstorbenen Vetters von der Lage der Dinge zu benachrichtigen. Die Ungeduld des Königs bewies aufs neue, daß die Gerüchte in bezug auf seine starke Neigung für Anna nicht unbegründet waren, und die Eile, mit welcher die schöne Witwe ihren Trauerschleier ablegte, war gleichfalls nur dadurch zu entschuldigen, daß ihr Herz längst auf diesen Trost gehofft hatte.

Cäsar Borgia beeilte sich darauf, das Übereinkommen mit dem Könige abzuschließen und ihm die Bulle seines Vaters zu übergeben, wofür er von dem glücklichen Könige Ludwig zum Herzog von Valentinois ernannt wurde und die Hand der französischen Prinzessin erhielt. Aber obgleich er auf diese Weise alle seine Wünsche gekrönt sah, verzieh der neue königliche Prinz dem Bischof von Cette niemals, daß er ihm eine Falle gestellt hatte, und kurze Zeit darauf starb dieser an Gift, welches Borgia ihm hatte beibringen lassen.

Eine Zeit lang schien es dann wirklich, als sei Cäsar Borgia entschlossen, 273 sich seines eignen Glückes friedlich zu erfreuen und seine ehrgeizigen Pläne auf spätere Zeit zu verschieben. Aber ein Zufall erinnerte ihn daran, daß ein Mann in seiner Lage keine Zeit verlieren darf, da ein einziger Moment beinahe alle seine Pläne zertrümmert hätte. Es fehlte nämlich nicht viel, so wäre sein Vater bei dem Einsturze eines Kamins erschlagen worden. Man zog den Papst leicht verwundet aus dem Schutte hervor, aber der Schreck hatte den siebzigjährigen Mann so erschüttert, daß er ernsthaft krank wurde.

Kranke Päpste sind stets vor Vergiftung bange, daher wollte sich Alexander von niemand anders als von seiner Tochter pflegen lassen. Selbst wenn daher die Besorgnis gegen Cäsar Borgia noch bestanden hätte, konnten doch weder Lucrezia noch ihr Gemahl daran denken, sich aus Rom zu entfernen, als kurz darauf der gefürchtete Herzog von Valentinois in Rom eintraf, scheinbar aus Teilnahme für den leidenden Vater, in Wahrheit aber, um seine Pläne in der Romagna nicht länger zu verschieben und die Geldmittel aufzutreiben, welche er dazu nötig hatte.

Da auch Jauffré mit seiner Gemahlin Sancia aus derselben Veranlassung in Rom anwesend waren, konnte es nicht ausbleiben, daß im Vatikan wieder einmal ein Netz von Intrigen gesponnen wurde, bei welchem Cäsar gleich einem lauernden Raubtiere nur darauf wartete, bis seine Opfer nicht mehr entfliehen konnten. Was war ihm die Ehe seiner Schwester mit einem unbedeutenden Mitgliede des verhaßten Hauses Sforza? Die Grafschaft Pesaro bot mancherlei strategische Vorteile und sollte der Anfang seiner Besitzergreifung sein. Giovanni mußte beseitigt werden, das stand bei ihm fest. Lucrezia war schön genug, um eine für den Bruder wichtigere Verbindung schließen zu können, namentlich gegenwärtig, wo sein eigner Stern im zunehmenden Glanze strahlte.

Während solche Gedanken im Gehirn Cäsars ausgebrütet wurden, fand eine großartige Festlichkeit statt, bei welcher der Papst der Heiligen Jungfrau, der er seine Rettung aus Lebensgefahr zuschrieb, seinen Dank darbrachte. Seine Herstellung war so weit gediehen, daß er an einer großartigen Prozession, die zu Ehren der Jungfrau nach der Kirche Santa Maria del popolo stattfand, teilnehmen konnte. Es war eines jener pomphaften kirchlichen Feste, bei welchen das Volk, vom Glanze geblendet, für einen Augenblick die Unzufriedenheit vergaß, welche bereits längst in alle Schichten, mit Ausnahme des päpstlichen Anhangs, gedrungen war. Die Prozession bewegte sich vom Vatikan über die Engelsbrücke und durch die Stadt bis zu ihrem Zielpunkte. Sämtliche Geistliche und Mönche Roms mußten sich dabei beteiligen und man kann sich denken, welchen imposanten Eindruck diese zahlreiche Menschenmenge bot: die Mönche in ihren verschiedenfarbigen Kutten, die Geistlichen in ihrem Ornate, von dem einfachen Priester bis zu den Kardinälen im Purpur. Dann folgte eine Abteilung der Schweizergarde in malerisch bunter Tracht. Umringt von dieser, auf den Schultern von acht prachtvoll gekleideten Kammer-Dienern, wurde der Papst, auf 274 vergoldetem Thronsessel sitzend, feierlich dahin getragen, dicht hinter ihm, von Edelknaben gehalten, zwei hohe Pfauenwedel, die seinen Kopf beschatteten. Er selbst im goldstrotzenden Mantel, die dreifache Krone auf dem Haupte. Die schaulustige Menge umdrängte den Zug und alles kniete zu beiden Seiten nieder, sobald der Papst, der mit den beiden ersten Fingern der rechten Hand bald nach rechts, bald nach links den Segen spendete, vorüberkam. Der Dank, den er der Heiligen Jungfrau darbrachte, bestand in einem goldnen mit dreihundert Dukaten gefüllten Pokal, und der Kardinal Piccolomini schüttete dieses Gold vor allem Volke deutlich sichtbar auf dem Altare aus.

Im Zuge hatte sich auch der ehemalige Kardinal Cäsar Borgia befunden. Mit ihm und seinem Bruder ging auch sein Schwager Giovanni, den die Liebe zu Lucrezia den Haß gegen ihren Bruder hatte vergessen lassen.

Cäsar aber hatte nur die heutige Festlichkeit abgewartet, um sofort an die Ausführung seiner furchtbaren Pläne zu gehen. Mit den kleinen Fürsten und Grafen der Romagna mußte ein Ende gemacht werden. Alles war in Vorbereitung. Schon wiegelten seine Agenten überall das Volk zu seinen Gunsten auf und der Unfall des Papstes hatte ihn gelehrt, daß er seine Zeit zu Rate halten müsse.

Wenige Tage darauf begab sich eines Abends Graf Giovanni aus dem Palaste, den er mit seiner Gemahlin bewohnte, nach dem Vatikan, wo sich Lucrezia befand. Als er an der Peterstreppe vorübergehen wollte, fielen vermummte Männer mit Dolchen über ihn her. Er wehrte sich so gut er konnte und entkam schließlich bis zum Vatikan. Schwer verwundet, blutend und voll Erschöpfung, einer Ohnmacht nahe, stürzte er in das Gemach des Papstes, wo der gewöhnliche Kreis der Damen, mit Ausnahme Vanozzas, versammelt war. Bei seinem Anblicke sank Lucrezia bewußtlos zu Boden.

Man glaubte, daß er sterben werde und trug ihn in ein Gemach des Vatikans, wo man ihn zu Bette brachte. Ein Kardinal gab ihm rasch die Absolution. Lucrezia, die aus ihrer Ohnmacht erwacht war, stand verzweifelnd an seinem Bette und glaubte ihn verloren. Aber der Tod verschonte ihn diesmal und er erholte sich langsam. Der entsetzliche Cäsar, der seit seinem Bündnisse mit Frankreich frecher als jemals auftrat, war ergrimmt, daß der Erfolg des Vorfalls seinen Wünschen so wenig entsprach. »Was heute nicht geschah, kann morgen geschehen«, äußerte er mit entsetzlicher Ruhe. Lucrezia siedelte gleichfalls in den Vatikan über und verließ das Lager des geliebten Kranken nicht. Sie machte sich bittere Vorwürfe, daß sie es sei, die sein Leben in Gefahr gebracht habe. Sie wurde selbst vor Schrecken krank und litt an heftigen Fieberschauern, aber sie kämpfte ihre eignen Schmerzen nieder, um in der Nähe des Kranken bleiben und ihn genau bewachen zu können. Sie kochte ihm sogar die Speisen selbst, denn ihre Sorglosigkeit war dahin und sie fürchtete, man könne den Genesenden vergiften. Um sie einigermaßen zu beruhigen, ordnete der Papst an, daß das Gemach, in welchem sie ihren Gatten pflegte, bewacht werde.

275 Aber Cäsar Borgia ging seinen eignen Weg. Er ließ die Lüge verbreiten, der Überfall, durch welchen der Graf verwundet worden sei, habe ihm gegolten, und erließ sofort einen Befehl, daß von der Engelsburg bis nach der Peterskirche sich niemand mit Waffen sollte sehen lassen, bei Strafe des Todes.

Mehrere Tage darauf ging er im vatikanischen Garten spazieren und trat dann plötzlich sehr aufgeregt in das Gemach des Papstes. Mit gewohnter Frechheit behauptete er, es sei soeben aus einem Fenster von Bogenschützen nach ihm geschossen worden und er kenne den Veranlasser dieses Mordversuchs.

Am folgenden Morgen besuchte Cäsar den kranken Schwager, bei welchem er seine Mutter Vanozza und seine Schwester Lucrezia traf.

Er hatte seine Mutter seit jenem Abende, den er in heitrer Gesellschaft in ihrem Weingarten bei San Pietro in Vincoli zugebracht hatte und nach welchem sein Bruder, der Herzog von Gandia, verschwunden war, nicht wieder gesehen und er schrak einen Moment zurück, als er die strengen Züge und den flammenden Blick ihrer dunklen Augen in dem blassen Gesicht gewahrte. Es fiel ihm auf, daß sie in Trauer gekleidet war, aber er faßte sich rasch, näherte sich ihr mit heuchlerischer Unterwürfigkeit und küßte ihre Hand, was sie in düsterem Schweigen geschehen ließ. Er konnte seinen Haß gegen den Kranken kaum verbergen, aber er heuchelte Teilnahme und veranlaßte seine Mutter und die Schwester, ihn in das Vorzimmer zu begleiten, was Lucrezia in der Angst ihres Herzens willig that. Dort wartete sein Hauptmann Micheletto, dem Cäsar einen Wink gab, worauf dieser in das Gemach des kranken Grafen ging und erst nach einiger Zeit wieder herauskam. Von einer entsetzlichen Ahnung ergriffen, stürzte Lucrezia an ihm vorüber in das Zimmer ihres Gatten. Cäsar wollte sich entfernen, aber seine Mutter richtete das Wort an ihn und hielt ihn zurück. Ein durchdringender Jammerruf verkündete in diesem Augenblicke, was Lucrezia gefunden hatte. Abermals wollte Cäsar gehen und sich nicht weiter um das bekümmern, was auf seinen Befehl geschehen war. Ohne Mitleid wollte er Lucrezia ihrem namenlosen Jammer überlassen, als sie den geliebten Gatten erwürgt im Bette fand. Aber mit fast übermenschlicher Gewalt hielt ihn Vanozza an der Hand fest. Sie zog die Gardine von der Thüröffnung in das Nebenzimmer zurück und machte ihrem lange verhaltenen Groll beim Anblicke des Geschehenen Luft, indem sie dem Mörder ihren Fluch in das Gesicht schleuderte.

»Tiger!« rief sie, »blutdürstiges Ungeheuer! das Maß deiner Verbrechen ist voll! Du erwürgst diejenigen, die du lieben solltest und bezeichnest mit dem Blute deiner Opfer den Pfad, den dein unersättlicher Ehrgeiz geht! Fluch dir für diese That, die du eben begingst, dreifacher Fluch für den Mord des armen Gandia, deines Bruders, um den ich trauern werde, so lange ich lebe!«

Unwillig riß sich Cäsar mit drohender Miene von ihr los.

»Morde auch mich«, rief sie ihm entgegen, »damit du ganz deinem Vorbilde gleich wirst und dem christlichen Rom einen zweiten Nero vor Augen stellst!«

276 Er hörte sie nicht mehr, denn er hatte das Gemach verlassen.

So groß war der Schrecken, den Cäsar überall verbreitete, daß über diese ruchlose That allgemein ein gänzliches Schweigen beobachtet wurde. Still wurde der tote Graf in der Peterskirche begraben, und obgleich Cäsar selbst erklärt hatte, er habe seinen Schwager umbringen lassen, weil dieser ihm nach dem Leben getrachtet habe, blieb seine That doch ohne alle nachteiligen Folgen für ihn. Vielleicht würde der Papst dieselbe verhindert haben, wenn er gekonnt hätte; da sie aber einmal geschehen war, schritt er nicht gegen den Mörder ein, denn er selbst fürchtete die gewaltthätige Natur seines furchtbaren Sohnes.

Lucrezia war von der Mutter und ihren Frauen in einem bejammernswerten Zustande vom Lager ihres toten Gatten hinweggetragen worden. Sie wurde ernsthaft krank und wünschte selbst, daß der Tod sie wieder mit Giovanni vereinigen möchte. Der Papst besuchte sie häufig, und als ihre Jugendkraft endlich über die Krankheit Herr wurde, gewährte er ihr die Bitte, sich von Rom entfernen zu dürfen, um ihren Schmerz in der Einsamkeit völlig zu verwinden.

Wie hätte sie auch im Vatikan bleiben können, wo Cäsar unbekümmert um das Geschehene sich mit seinen Angelegenheiten beschäftigte, Soldaten werben ließ und mit seinen Agenten Beratungen abhielt. Da er Geld brauchte, bot er die Kardinalswürde an meistbietende Bewerber aus und es gab Prälaten genug, die sich nicht schämten, den roten Hut aus seiner blutbefleckten Hand zu empfangen.

Als Lucrezia zu ihrer völligen Genesung nach der Stadt Nepi abreiste, wurde sie von einem Gefolge von sechshundert Reitern begleitet, um mit einem kleinen Hofstaate von Damen und Kavalieren in der Einsamkeit über ihr Schicksal zu trauern. Ihr Gemüt war wirklich tief erschüttert und ihre Willenskraft gebrochen. Mehr noch als früher empfand sie die Gewißheit, daß ihr Vater und nun auch ihr Bruder unbedingt über ihr Schicksal zu verfügen hatten, denn sie konnte nichts unternehmen und sich nach keinem Orte begeben, ohne daß ihr dies vom Papste vorgeschrieben wurde.

Aber niemand konnte sie verhindern, im Schlosse zu Nepi um den verlorenen Gatten zu weinen, und ihr sonst so ausgelassener Hofstaat ehrte ihren Schmerz und überließ sie ihren trüben Gedanken.

Vom Altane der Burg zu Nepi eröffnet sich eine weite Fernsicht, die wohl geeignet ist, ein von trüben Stimmungen beherrschtes Gemüt nach und nach in stille milde Wehmut zu versenken.

Zu derselben Zeit, während Lucrezia dort ihrem Gram sich überließ, begab ihr Bruder Cäsar sich nach Pesaro und nahm von der Grafschaft des ermordeten Schwagers Besitz, um von dort aus mit seinen verbündeten Truppen nach Rimini und dann nach Faenza zu ziehen, wo er überall unter irgend einem Vorwande teils durch List, teils durch Gewalt die rechtmäßigen Herren verdrängte und sich an deren Stelle setzte. 277

 


 


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