Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

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Elftes Kapitel.
Savonarola auf dem Gipfel seiner Geltung.

Die prächtigen Feste, welche der Erwählung des Kardinals Rodrigo Borgia zum Papste folgten, trugen einen höchst weltlichen Charakter, aber die Römer waren bereits durch die beiden Vorgänger daran gewöhnt, das Papsttum nicht mehr als eine geistliche Macht, sondern als ein sehr weltliches Regiment zu betrachten, und die Verhandlungen, welche zwischen dem Kardinal Rodrigo Borgia und seinen Wählern stattgefunden hatten, waren so offen betrieben worden, daß niemand über den Charakter dieses neuen Pontifikates in Zweifel sein konnte. Beim »Possesso« des neuen Papstes wurde ein großer Triumphbogen dem Octaviansbogen beim Kolosseum nachgeahmt, aber mit einem ganz freien prächtigen Gesimse von Füllhörnern und Guirlanden, mit Reliefs, die bunt bemalt und teilweise vergoldet waren. Im Bogen hing eine Tafel mit einer Inschrift. Bei einem zweiten Triumphbogen standen in zwölf Nischen lebendige singende Mädchen, welche symbolische Personen, wie Caritas, Viktoria, Europa, Roma u. dgl. vorstellten.

Überhaupt war damals bei den meisten Festdekorationen eine überreiche Verwendung des Grüns, zumal in Gestalt von Guirlanden, im Gebrauch. Die Triumphbogen wurden zu farbenreichen Prachtbauten, die an Bändern hängende Tafel mit Inschriften, die Anwendung lebendiger, mit reichen Gewändern und Attributen ausgestatteter Personen als Statuen war charakteristisch für die Zeit. Jedes einzelne Haus hatte Teppiche vorrätig, um dieselben bei festlichen Gelegenheiten aus den Fenstern zu hängen. Das Schattentuch, welches oft über lange Straßen und weite Plätze ausgebreitet wurde, war häufig zu geschmackvollen Dessins geordnet.

Der letzte Rest der römischen Freiheit war übrigens längst dahin. In den umliegenden Provinzen hatten die Päpste eifrig dahin gestrebt, den eingeborenen Adel zum Gehorsam zu zwingen, und die Heftigkeit, womit Sixtus IV. die Colonna und Innocenz VIII. die Orsini verfolgten, hatte diese beiden mächtigen Häuser so geschwächt, daß sie nur noch im Schutze des heiligen Stuhles Sicherheit fanden. Ähnlich erging es den übrigen Staaten Italiens, und somit konnte 169 wohl gesagt werden, daß Alexander VI. auch als weltlicher Herrscher fast allmächtig war. Wie wäre es sonst denkbar gewesen, daß eine Frau aus dem edlen Hause Farnese, dessen Familienpalast noch heute als Werk der reinsten Renaissance Staunen erweckt, seine erklärte Geliebte hätte werden können!

Damals war noch mehr als die Hälfte von Europa geistliches Eigentum; man lieferte überall nach Rom seine Abgaben und empfing von dort Befehle. Die Kardinäle waren Männer aus den ersten Fürstenfamilien, jung, streitbar und mit starken Leidenschaften. Der Kardinal Ascanio Sforza hatte ganz ungeheure Summen darangesetzt, um nach Innocenz' Tode die Wahl zum Papste auf sich zu lenken. Ebenso der Kardinal Rovere. Aber der noch reichere Rodrigo Borgia besiegte alle Nebenbuhler.

Kurz nach der Vermählung Ludwig Moros war unter den Fürsten Italiens ein Bündnis verabredet worden. Auf Ludwigs Veranlassung hatte man beschlossen, Gesandte nach Rom zu senden, um dem neuen Papst dadurch einen Beweis von der Einigkeit der italienischen Fürsten zu geben. Der Plan entsprang aus dem innern Glücksgefühl des Herzogs von Mailand, der gern durch eine feste Allianz mit den übrigen italienischen Regenten dauernden Frieden gestiftet hätte. Aber die kindische Eitelkeit Peters von Medici vernichtete diese löbliche Absicht. Da er nicht der Regent von Florenz war, wurde er von der Republik zum Gesandten erwählt, und es kränkte ihn, daß Ludwig Sforza und der König von Neapel, seine persönlichen Freunde, nicht selbst an der Gesandtschaft teilnahmen, sondern sich durch Edelleute vertreten ließen.

Diese Einrichtung verletzte den Hochmut Peters und seiner Mutter im höchsten Grade. War er kein souveräner Fürst, so wollte er wenigstens bei dieser feierlichen Gelegenheit durch Pracht und Glanz alle übrigen Gesandten derart überbieten, daß der Unterschied augenfällig sein mußte. Er wollte den Römern einmal den Schatz von edlen Steinen, den sein Vater gesammelt hatte, vor Augen führen; der Luxus seiner Equipagen und Livreen sollte alles übertreffen. Zwei Monate lang war sein Palast mit Schneidern, Stickern und Dekorateuren angefüllt, die Kleider seiner Pagen und die Gewänder seiner Edelknaben waren mit Edelsteinen bedeckt, und man erzählte sich, ein einzelnes Halsband, welches sein erster Kammerdiener tragen sollte, habe zweimalhunderttausend Gulden gekostet.

Damit noch nicht zufrieden, verlangte Peter von Medici, daß er der Sprecher der Gesandtschaft sein solle, während doch der erste Rang dem Königreiche Neapel zukam. Diese Verhandlungen führten zu derartig unangenehmen Auseinandersetzungen, daß Ludwig Sforza den ganzen Plan fallen ließ, um sich nicht mit seinen neuen Verbündeten gänzlich zu entzweien.

Selbstverständlich trugen derartige Vorfälle nicht dazu bei, die schwindende Popularität des Hauses Medici wieder zu stärken, und die Bewohner von Florenz legten ihre Unzufriedenheit mit Peter sehr häufig an den Tag.

170 Wäre Peter nicht so verblendet gewesen, er würde gewiß alles aufgeboten haben, denjenigen Mann aus Florenz zu entfernen, welcher immer mehr auf die öffentliche Meinung einwirkte und dabei eine totale Umänderung in den Verhältnissen der Kirche und der öffentlichen Sitten anstrebte. Dieser Mann war der Dominikaner Savonarola, dessen Predigten nach und nach so populär geworden waren, daß kaum ein Tag verging, an welchem er nicht eine zahlreiche Zuhörerschaft, sei es in Florenz, sei es in einem benachbarten Orte, um sich versammelte. Was das Publikum am meisten anzog, waren die Prophezeiungen, welche er in seinen Predigten vorbrachte, und durch welche er mächtig auf die Phantasie einwirkte. Meistens wählte er die großartigen Bilder aus der Offenbarung Johannis, um daran Erklärungen zu knüpfen, deren Sinn das Volk leicht erraten konnte. Rom als der Mittelpunkt aller Verworfenheit wurde von ihm oft genug gegeißelt, aber nicht minder sagte er für Florenz große Strafen voraus, wenn die Bewohner nicht ihr Leben änderten. Er verkündete den Untergang des Staates, und da er stets im Namen des Himmels sprach und die Zuhörer aufforderte, Buße zu thun und sich zu bessern, so gewann er beim Volke immer mehr Boden für seine Lehren. Er entrollte vor den Augen seiner Zuhörer die Bilder der Sittenverderbnis, das Überwuchern des Luxus und die Sittenlosigkeit in allen Ständen und schritt unerbittlich gegen jede Art von Ausschweifung ein. Seine Zuhörer fühlten sehr wohl, daß er nur im Interesse der Wahrheit sprach. Die Unordnung in der Kirche, die Verworfenheit ihrer Diener, die Verwirrung im Staate und die Tyrannei der Herrscher, alles dieses schilderte er in den lebhaftesten Farben, aber ebenso hinreißend sprach er auch von der Errichtung eines wahren Gottesreiches auf Erden, von den Segnungen, welche die Rückkehr zu den einfacheren Sitten und die wahre Religiosität über die Menschheit bringen würden. Was die Wirkung seiner Vorträge ganz besonders erhöhte, war der Umstand, daß er in seinem eignen Leben die äußerste Genügsamkeit und Selbstverleugnung an den Tag legte. Als Prior führte er im Kloster San Marco die strengste Ordnung ein, und man konnte von ihm in Wahrheit sagen, daß er mit der Reform, die er predigte, bei sich selbst den Anfang machte. Auch in bezug auf das Klosterleben eiferte er gegen alle neueren Einrichtungen und sagte, man müsse an den ursprünglichen Regeln festhalten, welche die Väter geordnet, die weiser und frömmer gewesen seien.

Da Savonarola auf diese Weise in den Verhältnissen, die ihm am nächsten lagen und ihn selbst betrafen, mit Selbstverleugnung und Strenge verfuhr, glaubte das Volk, ihn auch berechtigt, über die Interessen des Staates und der Kirche zu urteilen. Schon bewiesen die Bewohner von Florenz durch die größere Einfachheit in ihrer Kleidung, die Bescheidenheit in ihrem Betragen und ihren Reden, daß sie die Reform Savonarolas begriffen; die Frauen entsagten der Putzsucht, und nach und nach bemerkte man eine Veränderung in den Sitten 171 der ganzen Stadt. Es war vorauszusehen, daß Savonarolas Einfluß in politischer Beziehung nicht geringer sein werde als die Wirkung war, welche seine Predigten in bezug auf die Sitten hatten. Savonarolas Begriffe von der staatlichen Ordnung waren nichts weiter als der strengste Gegensatz der bestehenden Verhältnisse. Er ging ebenso zu weit, als man bisher in andrer Richtung zu weit gegangen war. Der äußerste Egoismus sollte einer großen allgemeinen Verbrüderung weichen und die Bewohner der Paläste mit dem Volke gemeinsame Sache machen.

Palast Farnese zu Rom.

Ein Blick auf den italienischen Palastbau zeigt den Geist jener Zeiten. Die Fassade lag nach innen; der Hof war der eigentliche Mittelpunkt des Gebäudes. Ein ringsum eingeschlossner Raum, wo zu allen Tageszeiten schattige Kühle herrschte, wo sich der Brunnen befand und die Statuen im günstigsten Lichte standen. Von außen zeigten sich diese Paläste als ringsum abgeschlossene, finstere Bauwerke, geeignet, um verteidigt zu werden, und mit allen Mittel versehen, um plötzliche Überfälle abzuwehren. Die nach außen rauhen und düsteren Massen zeigten nach dem Hofe zu leichte, offene Säulengänge.

Hier war man sicher und doch unter freiem Himmel. Um diese Paläste 172 lagen die Wohnungen der Dienstleute und all derjenigen, die sich zu dem Herrn hielten. Die engen Straßen zwischen diesen Häusern wurden nachts mit Ketten gesperrt. So hatte jeder Mächtige seine Stadt in der Stadt für sich, seinen Hof, seine Kirche, seine Soldaten, Edelleute, Künstler und Gelehrte. Zwischen diesen einzelnen Höfen und dem päpstlichen herrschte in Rom selbst eine ewige Reihe von Intrigen mit heimlicher oder offen ausbrechender Feindschaft. Ähnlich war es in Florenz und überall in Italien.

Auf letzteren Umstand gründete Savonarola einen Teil seiner vielbesprochenen Vorhersagungen.

Selbstverständlich konnte das ungeheure Aufsehen, welches Savonarolas Predigten in ganz Italien verursachten, seiner Familie nicht unbekannt bleiben, aber der Ruf brachte so verschiedenartige und widersprechende Urteile über sein Auftreten zu den Ohren der Seinigen, daß sein Vater lange Zeit über die wirkliche Bedeutung der Bewegung, an deren Spitze sein Sohn Girolamo stand, im Unklaren blieb. Solange der Vater lebte, wurde möglichst wenig über Girolamo gesprochen, und man vermied es in der Familie, irgend wie Partei für oder gegen ihn zu nehmen. War es doch stets dem Vater ein Dorn im Auge gewesen, daß zwei seiner Söhne das Klosterleben gewählt hatten, und namentlich hatte er den unerwarteten Eintritt Girolamos diesem niemals verzeihen können!

Nun aber war der Vater gestorben, die übrigen Kinder bis auf die jüngste Tochter Beatrice verheiratet. Letztere lebte bei der Mutter in Ferrara. Das einsame Leben der Witwe und ihrer unverheirateten Tochter bot wenig Abwechselung, und es lag im Geiste der Zeit, daß der tägliche Besuch der Messe und die genaue Befolgung aller kirchlichen Vorschriften nach und nach fast den einzigen Inhalt ihres Lebens bildete. Da klang denn zuweilen wie ein fremder Laut aus einer ganz andern Welt die Kunde von Girolamos reformatorischem Auftreten in ihre Abgeschiedenheit. Sie vernahmen von der Gewalt seiner Rede, aber sie erfuhren auch, daß er mit dieser Gewalt gegen den Papst und die Regierung eifere.

Anna Savonarola-Buonacorsi war eine kluge und unterrichtete Frau, aber sie betrachtete die religiöse Form als etwas Unantastbares und sie würde nie gewagt haben, einen Stein auf das Haupt der Christenheit zu werfen. Vielmehr war sie der Ansicht, daß man durch Gebet und eigne Kasteiung die göttliche Hilfe herbeiziehen, niemals aber selbstthätig ein großes öffentliches Übel bekämpfen dürfe. Es beunruhigte sie daher nicht wenig, als sie erfuhr, daß ihr Sohn den Heiligen Vater mit Luzifer, dem Dämon des Hochmutes, verglich und daß er ohne Aufhören gegen die Übelstände in der Kirche predigte.

Ihre Tochter Beatrice war noch ein Kind gewesen, als der Bruder das Vaterhaus verließ und sie kannte denselben zu wenig, um eine wirklich lebhafte Teilnahme für seine Person zu empfinden. Bei ihr konnte daher die geängstigte Mutter wenig Trost finden. Nun war die Schwester bereits in dem Alter, wo 173 die Hoffnungen der Jugend verwelken, und in weiblichen Herzen eine gewisse Herbigkeit an die Stelle der Schwärmerei tritt. Hätte der Bruder sich den Ruf eines Heiligen, eines angesehenen Mannes innerhalb der bestehenden kirchlichen oder weltlichen Schranken erworben, Beatrice würde stolz auf ihn gewesen sein und in diesem Stolze vielleicht sogar einen Ersatz für ihre eignen verfehlten Hoffnungen gefunden haben. Nun aber zürnte sie ihm und verurteilte ihn schärfer als andre; denn da viele ihn verdammten, fand sich ihre Eitelkeit durch ihn gekränkt und er stand ihr persönlich nicht nahe genug, um seine Sache unbedingt für gut zu halten. Dazu kam noch der Umstand, daß gerade in Ferrara die vom Hofe abhängige Partei streng auf der Seite des Papstes stand.

So befand sich denn die arme Mutter in einem schweren Zwiespalt. Ihr Herz verteidigte den Sohn, aber sie durfte seinen Namen nicht nennen, wollte sie nicht von allen Seiten schwere Anklagen über ihn hören. Da sie nicht aus eigner Erfahrung, sondern nur nach fremden Mitteilungen urteilen konnte, war sie nicht im stande, ihn zu entschuldigen oder zu verteidigen, und sie konnte nicht einmal bei sich selbst die Gründe angeben, weshalb sie dennoch im Innern seine Partei nahm. Dieser Grund war eben nichts weiter als die Liebe der Mutter, jener unerschöpfliche Born von Milde und Vergebung, der selbst das schuldige Kind nicht verstoßen kann, wie viel weniger dasjenige, bei welchem zweifelhaft bleibt, ob das, was man ihm zur Last legt, in den Augen Gottes wirklich ein Vergehen oder eine Tugend ist.

Aber die Seele der Mutter sollte schwerere Prüfungen durchzumachen haben. Ihr Beichtvater, dem sie jahrelang alle ihre Seelenkämpfe anvertraut hatte, sprach eines Tages ihr gegenüber seine Verwunderung darüber aus, daß sie niemals mit ihm von ihrem Sohne Girolamo gesprochen habe, und doch halte er es für durchaus wichtig, den Zustand ihrer Seele nach dieser Richtung hin zu erforschen und ihr dann sein Urteil und seinen Rat zu erteilen. Mit Zittern und Zagen ging Anna auf dieses Gespräch ein, denn sie ahnte nichts Gutes, und das arme mütterliche Herz bebte zurück vor dem Gedanken, daß man sie nötigen könne, ihrem Sohne zu fluchen.

So schlimm sollte es jedoch nicht kommen. Pater Eusebius, ihr geistlicher Berater, ging sogar mit besonderer Schonung auf den Gegenstand ein, rühmte die hohe geistige Begabung ihres Sohnes und redete davon, welche großen Dienste ein solcher Mann der Kirche leisten könne, wenn er die Demut nicht verbanne und immer berücksichtige, daß der einzelne Mensch doch nur im Anschluß an das große Ganze seinen Zweck erfüllen könne.

»Euer Sohn«, sagte er, »ist von Gott mit der Gabe begnadigt, die Herzen vieler Menschen lenken zu können, wohin es ihm beliebt, aber nun handelt es sich darum, daß er dieses Geschenk nicht zum eignen Verderben mißbrauche, denn der Versucher ist immer bereit, den Samen des Hochmuts auszustreuen, weil es ihm ja nur darum zu thun ist, die Seelen für sich zu verlocken. 174 Ich beschuldige Euren Sohn nicht, aber beklage sein Schicksal, wenn er verblendet genug ist, die Gunst des Volkes höher zu stellen als den Frieden mit Gott und seiner Kirche. Wer auf dem Pfade des Hochmutes wandelt, der fällt früher oder später in die Schlingen des Bösen, und sein Lohn ist dann das ewige Feuer, jene unsägliche Qual, welche die Seelen dahin bringt, daß sie denjenigen fluchen, die sie in das Dasein gerufen haben. Möge Euer Sohn rechtzeitig einsehen, welcher Weg der richtige ist und umkehren, wenn er den falschen Pfad eingeschlagen.«

Hätte der Pater geflucht und gezetert, seine Worte würden die geängstigte Mutter weniger tief getroffen haben als es nun der Fall war, da er vorsichtig und scheinbar schonend mit ihr redete.

Annas gepreßtes Herz machte sich zuerst in einem Strome von Thränen Luft, dann bat sie den Pater um Verzeihung, daß sie den Kummer, der sie schon lange bedrücke, erst jetzt gegen ihn ausspreche, und darauf flehte sie, ihr mit seinem Rate zur Seite zu stehen und sie zu belehren, auf welche Weise sie dazu beitragen könne, die Seele ihres Sohnes vor der drohenden Gefahr zu retten, wenn der Weg, welchen er eingeschlagen hätte, wirklich zu seinem Verderben führen solle.

»Beruhigt Euch doch«, entgegnete hierauf der Pater, indem er sie mit teilnehmenden Blicken ansah, »und gebt noch nicht alle Hoffnung auf. Gottes Gnade kann selbst den ärgsten Bösewicht auf den Weg der Tugend führen, wie vielmehr einen Mann, der nur aus Verblendung vom rechten Wege gewichen ist. Und noch wissen wir nicht einmal, ob dies geschah. Es kommt nur darauf an, daß er zur Einsicht gelange, oder vielmehr daß der Herr ihm die Gnade erweist, ihn zur Einsicht zu bringen. Glücklich das Werkzeug, das der Himmel mit dieser Aufgabe betraut. Eine Seele zu retten, ist doch das Schönste, was wir vollbringen können. Wenn es durch Gebete und Bußübungen zu erreichen ist, bleibt es schon ein verdienstliches Werk, aber wer einen Sünder zur Umkehr bringt, hat ihm die höchste Wohlthat erwiesen und zugleich das Größte vollbracht, was überhaupt einem Christen gelingen kann.«

Mit gespannter Aufmerksamkeit hatte die betrübte Mutter den Worten des Paters gelauscht. Es war kein Zweifel, er glaubte die Seele ihres Sohnes gefährdet, wenn er sich auch nicht deutlich darüber ausgesprochen hatte, welcher Art die Gefahr war und wie Rettung gebracht werden konnte.

Aber die arme Mutter sollte nicht lange auf die Erklärung warten.

»Gibt es eine schönere Bezeichnung für unsre Kirche«, fuhr der Pater wie in Begeisterung fort, »als wenn wir sie unsre Mutter nennen, und ist nicht die Mutter unsres Erlösers, die Mutter der Gnaden, das erhabenste Bild, das wir überhaupt kennen? Und eine Mutter, die den Sohn, den sie geboren hat, vom ewigen Verderben rettet, die ihm das Leben, das sie ihm gab, zum zweiten Male und in höherem Sinne schenkt, ist das nicht das herrlichste und beneidenswerteste Los, das es auf Erden geben kann? O, beneidenswerte Mutter, 175 die so hoch begnadigt wird, daß sie den verirrten Sohn auf den rechten Weg zurückbringt und ihn dem verlornen Heile wieder zuführt!«

Nach diesen Worten blickte er Girolamos Mutter wieder bedeutungsvoll an und entließ sie hierauf, indem er ihr wie gewöhnlich seinen Segen erteilte.

Anna eilte nach Hause. In ihrem Innern war eine große Verwandlung vor sich gegangen und eine Unruhe hatte sich ihrer bemächtigt, die ihr früher unbekannt gewesen war. Vergeblich suchte sie durch eifrige Übungen der religiösen Vorschriften, durch unermüdliches Beten des Rosenkranzes, Nachtwachen und Kasteiungen diese Unruhe zu beschwichtigen; es gelang ihr nicht und sie fühlte endlich das unabweisbare Bedürfnis, sich ihrer Tochter Beatrice mitzuteilen.

Diese, welche leichter geneigt war, den Bruder für einen Verirrten zu halten, erklärte die Worte des Paters Eusebius dahin, daß es die heiligste Aufgabe der Mutter sei, dem Sohne den Abgrund zu zeigen, vor welchem er stehe, und daß sie weder Mühe noch Herzensleid scheuen dürfe, dieses gottgefällige Werk zu unternehmen.

Weder die Mutter noch die Tochter hatten eine Ahnung davon, daß der Pater nur im Auftrage seiner geistlichen Oberen gehandelt und gesprochen habe.

Der einfache Dominikanermönch in Florenz begann eine große Gefahr für den römischen Hof zu werden, denn er redete unerschrocken die Sprache der lautern Wahrheit und fuhr fort, die Hauptschäden des kirchlichen Regimentes schonungslos aufzudecken. Nicht nur gegen den von Johann XXIII. zuerst ausgeschriebenen und seitdem in Aufschwung gekommenen käuflichen Ablaß, der bereits überall diejenigen Menschen, welche noch nicht ganz des Denkens entwöhnt waren, tief empörte, sondern auch gegen die schändliche Käuflichkeit der geistlichen Stellen, namentlich aber gegen das weltliche und sittenlose Treiben am päpstlichen Hofe hatte er seine kühnen Blitze geschleudert. Lange Zeit hatte der Hof zu Rom es unter seiner Würde gehalten, sich um das Schelten des armseligen Dominikanermönches zu bekümmern, aber in neuerer Zeit waren Ereignisse eingetreten, welche denn doch bewiesen, daß Girolamo Savonarola eine wirkliche Gefahr war, die man nicht übersehen, sondern mit welcher man rechnen mußte. Was ihn beim Volke besonders gehoben hatte, waren seine Prophezeiungen. Wiederholt hatte er öffentlich verkündet, er habe eine Hand vom Himmel herunter reichen sehen, die ein Schwert gehalten habe, mit der flammenden Inschrift: »Das Schwert des Herrn kommt bald und plötzlich auf die Erde«.

Er hatte besonders häufig düstere Voraussagungen ausgesprochen, in welchen er der Stadt Florenz große Drangsale verkündigte, und er hatte die Bewohner sämtlich zur Buße und Umkehr aufgefordert, damit die Gefahr sie nicht unvorbereitet finde.

Offenbar hatte er nämlich vorzugsweise die Stadt Florenz als geeigneten Boden für die Verwirklichung seines Reformationswerkes im Auge. Von dort aus sollte sich die neue Ordnung dann weiter verbreiten.

176 Diese Drohungen hatten sofort in den Gemütern des unerfahrenen Volkes Furcht und Schrecken erregt, aber die aufgeklärten und gebildeten Leute sahen lange Zeit darin nur leere Redensarten und spotteten noch immer darüber. Zwar hatte man schon damals, als Savonarola dem sterbenden Lorenzo Medici die Absolution verweigerte, die Charakterfestigkeit des Mönches allgemein bewundert, und der berühmte Pico de Mirandola, der an Gelehrsamkeit in den Naturwissenschaften für das Wunder seiner Zeit galt, da er das talmudische Wissen eines Rabbiners mit der griechischen Weisheit verband, schätzte Savonarola hoch und hatte trotz seiner Freundschaft für Lorenzo von Medici nicht versäumt, über jene letzte Zusammenkunft der beiden merkwürdigen Männer wahrheitsgetreu zu berichten. Nun aber sollte sich etwas ereignen, was alle Prophezeiungen Savonarolas zu bestätigen schien und ihm mit einem Schlage die unumschränkte Herrschaft über das Volk von Florenz völlig in die Hand gab.

Ganz Italien erzitterte nämlich bei der schreckensvollen Nachricht, daß der König von Frankreich mit einem gewaltigen Heere die Alpen überschritten habe und mit seinem Schwerte die Völker Italiens zu unterjochen gedenke.

In Florenz sah man hierin sofort die Erfüllung der Weissagungen Savonarolas. Die angedrohte Züchtigung sollte über Italien kommen, und das Volk von Florenz wehklagte und jammerte bereits in Erwartung großen Unheils.

Aber nicht nur am Orte seiner Wirksamkeit, sondern in ganz Italien und nach und nach in ganz Europa verbreitete sich das Gerücht, daß Girolamo Savonarola den Kriegszug des Königs von Frankreich nach Italien in allen Einzelheiten vorausgesagt habe, und daß der Dominikanermönch offenbar ein Seher sei, dem die Zukunft klar vor Augen liege, dessen Worte daher als Eingebungen des Himmels betrachtet werden müßten.

Zu einer Zeit, wo der Aberglaube im Volke absichtlich genährt wurde und man von Wundern und seltsamen Ereignissen Nutzen zu ziehen suchte, mußte das zufällige Zusammentreffen von Ereignissen, die scheinbar mit den Vorhersagungen in Verbindung von Ursache und Wirkung standen, eine große Aufregung im Volke hervorrufen. So lange Zeit hatte die Kirche sich als alleinige Vermittlerin zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt hingestellt – jetzt kam einmal von andrer, feindlicher Seite die Behauptung und der Beweis, daß ein Strafgericht hereinbreche, welches der Anmaßung der Kirche ein Ende machen werde. Das Volk zitterte, aber es glaubte daran, daß das Maß endlich voll sei und der Tag der Rache hereinbrechen werde.

Nun wurde Rom aufmerksam, und der Papst beriet zum ersten Male mit seinen Kardinälen, wie man sich zu dem kühnen Prediger in Florenz zu stellen habe. Es wurden genaue Erkundigungen über seine Herkunft, seine Familie, seine persönlichen Beziehungen eingezogen, und dann beschlossen, daß zuerst mit der größten Vorsicht vorgegangen und versucht werden solle, den unerschrockenen Reformator in Güte von dem eingeschlagenen Wege abzubringen und seine große 177 Beliebtheit entweder der Kirche dienstbar zu machen oder ihn ganz zum Schweigen zu bringen. Hatte man erst versucht, sein Gemüt zu bestürmen, so konnte man ihm alsdann nochmals verlockende Anträge stellen, um auf diese Weise das gewünschte Ziel, ihn mundtot zu machen, zu erreichen.

In solchem Sinne war von Rom aus, durch Vermittelung des Erzbischofs von Ferrara, an Pater Eusebius der Auftrag gelangt, die Mutter Savonarolas vorsichtig dahin zu bringen, daß sie persönlich auf ihren Sohn einzuwirken suche, und alles daran setze, ihn zur Umkehr zu bewegen; denn man wußte, daß Girolamo die Seinigen hoch hielt.

Daß Pater Eusebius seine Aufgabe nicht ungeschickt löste, bewies der Erfolg. Die beunruhigte Mutter, welche viel zu sehr zurückgezogen gelebt hatte, um von den politischen Ereignissen früher etwas zu erfahren, als wenn sie der Stadt Ferrara Gefahr drohten, entschloß sich wirklich, nach Florenz zu reisen, um dort auf das Herz ihres Sohnes zu wirken, und ihn zu bestimmen, daß er den Kampf gegen die ihr hochheilige Kirche und den Papst aufgebe.

Es war selbstverständlich, daß Anna Savonarola nach dem ersten Gespräche mit Pater Eusebius diesem alles, was ihr Herz und ihren Kopf in bezug auf ihren Sohn bestürmte, sofort mitteilte, seinen Rat einholte und alle ihre Absichten mit ihm besprach. Der Pater riet zum Schweigen und zur vorsichtigen Behandlung der Sache, aber er drängte zu einem raschen Entschlusse und zur möglichst schleunigen Ausführung desselben. Zwar war der Zeitpunkt zur Reise nicht besonders geeignet, denn das neue Jahr hatte eben erst seinen Einzug gehalten und die Natur lag noch im Winterschlafe, oder vielmehr, sie zeigte sich auch in Italien von ihrer trübseligen und unfreundlichen Seite. Aber ein Mutterherz achtet nicht auf äußere Schwierigkeiten, wenn es sich darum handelt, eines ihrer Kinder vom Verderben zu retten. Denn gerade in damaliger Zeit, wo die Kirche auf Erden zur höchsten Macht gelangt war, lebte in der ganzen Christenheit eine große Besorgnis vor den ewigen Höllenstrafen, da die Beförderung dieser Furcht zu den wirksamsten Mitteln gehörte, um die kirchliche Macht zu stützen und sie bei hoch und niedrig gefürchtet zu machen. Deshalb wurde dieser Furcht durch alle ihre Diener fortwährend Nahrung gegeben. Waren doch der Ablaßhandel und die frommen Vermächtnisse für Seelenmessen sowie zur Stiftung geistlicher Ämter, Kirchen und Kapellen dadurch zur Blüte gelangt. Denn alles dies wurzelte in der hochgesteigerten Furcht vor der Macht der Kirche in bezug auf das göttliche Gericht, dessen befürchteter Eintritt wie ein Alp auf der gesamten Menschheit lastete, von dem sich sogar die aufgeklärtesten Geister jener Zeit nicht völlig zu befreien vermochten.

Die Reise von Ferrara nach Florenz war für die damalige Zeit kein geringes Unternehmen, namentlich für zwei einzelne Frauen, da die Wege nirgends im ganzen Lande besonders sicher waren und allenthalben Gesindel und bewaffnete Strolche umherlungerten. Der einzige größere Ort, den die 178 beiden Frauen berühren mußten, war Bologna, woselbst Frau Anna Verwandte besaß und ihren Sohn Marco Aurelio im Kloster besuchen konnte. Pater Eusebius hatte ihr eingeschärft, es sei besser, wenn sie diese Reise wie eine Art Wallfahrt betrachte und jeder Begegnung mit Menschen von weltlicher Gesinnung ausweiche. Er hatte ihr daher eine genaue Reiseroute vorgeschrieben, und diese so eingerichtet, daß sie jede Nacht in einem Frauenkloster verbleiben konnte und auch in Bologna, wo sie einen Tag auszuruhen gedachte, bei frommen Schwestern ein Unterkommen fand.

Dennoch versäumte sie nicht, ihren Sohn Marco Aurelio zu sprechen. Die Schwester durfte nicht in das Kloster, aber der Mutter wurde der Eintritt gestattet. Nicht nur Marco Aurelio, sondern das ganze Dominikanerkloster war erfüllt von Verehrung für den ehemaligen Genossen Savonarola, und die beglückte Mutter schöpfte Trost und Hoffnung aus den Mitteilungen, die ihr daselbst zu teil wurden. Girolamo wurde ihr als wahrer Gottesmann geschildert, als Streiter für das gereinigte Christentum, und sie vernahm mit Stolz, was man dort über ihn sprach.

Ganz anders sprachen die frommen Schwestern, in deren Kloster sie Herberge gefunden hatte. Diese beklagten sie und redeten ihr zu, den Sohn von dem Irrwege abzuziehen, auf den er geraten sei. Pater Eusebius hatte dafür Sorge getragen, daß sie unterwegs stets nur Meinungen vernehmen sollte, welche mit den seinigen übereinstimmten, und sie in der Ansicht bestärkten, daß ihr Sohn ein abtrünniger Mönch sei, dessen Seele unrettbar der ewigen Verdammnis anheimfallen würde, wenn die göttliche Gnade ihn nicht zur Einkehr und strengen Buße führe. Aber der Pater Eusebius hatte nicht voraussehen können, daß im Dominikanerkloster zu Bologna seiner Vorsicht würde entgegengearbeitet werden. Auch während ihres Aufenthaltes in Florenz sollten die beiden Frauen nach der Anweisung des Pater Eusebius in einem Kloster ihr Absteigequartier nehmen.

Schon bevor sie die Stadt erreichten, konnten sie aus mancherlei Anzeichen abnehmen, daß daselbst ungewöhnliche Ereignisse stattgefunden haben mußten, denn auf der Landstraße herrschte ein reges Leben. Die Frauen erfuhren bald, daß wunderbare Veränderungen vorgegangen seien und die ganze Stadt sich seit einiger Zeit in großer Aufregung befinde.

Da es schon spät am Abend war, stiegen sie im nächsten Wirtshause ab, um zu übernachten und dann am folgenden Morgen das Kloster aufzusuchen.

So wenig Frau Anna und ihre Tochter Beatrice geneigt waren, an demselben Abend noch lange Gespräche zu führen, konnten sie doch der Gelegenheit nicht entgehen und mußten im Wirtshause die Mitteilung der zuletzt stattgehabten Ereignisse vernehmen.

Die Nachricht, der König von Frankreich habe die Alpen überschritten, hatte gerade in Florenz ein ungeheures Aufsehen hervorgerufen, denn diese Thatsache berührte eben diejenigen beiden Männer in besonderer Weise, um 179 welche sich in Florenz alle Parteien scharten. War das Erscheinen Karls VIII. in Italien für Savonarola eine Bestätigung seiner Warnungen und Vorhersagungen, so war es dagegen für Peter von Medici eine bittere Strafe für seine Eitelkeit und die Abhängigkeit von den Einflüssen der Frauen seines Hauses. Sein ganzes Auftreten hatte dadurch nach und nach einen weibischen, unentschlossenen Anstrich bekommen. Zu spät sollte er nun erkennen, daß er besser daran gethan haben würde, die Bestrebungen Ludwig Moros energisch zu unterstützen, statt demselben durch seine Eitelkeit Hindernisse zu bereiten und ihn endlich zu dem Entschlusse zu treiben, den fremden König in das Land zu rufen, damit die gemeinschaftliche Not endlich die Einigung der Fürsten bewirke und dann später eine innere Kräftigung der Verhältnisse herbeiführe. Frau Clarissa hatte es damals unerträglich gefunden, daß ihr Sohn als Abgesandter einer Republik und nicht als souveräner Fürst in Rom auftreten solle; sie lernte nun zu spät einsehen, wie thöricht ihre hochmütigen Ansprüche gewesen waren. Sie fiel aus einem Extrem in das andre, indem sie nun plötzlich ihren Sohn veranlaßte, sich der Politik des Herzogs von Mailand unbedingt anzuschließen und dem Könige von Frankreich entgegen zu kommen.

Des unerträglichen Zustandes müde, hatte Ludwig Moro nämlich, nachdem der Versuch gescheitert war, durch enges Aneinanderschließen der einzelnen italienischen Staaten einen festen Grund für dauernde Verhältnisse zu schaffen, in hellem Zorn den Entschluß gefaßt, sich durch den Schutz und die Freundschaft großer auswärtiger Mächte auf seinem Throne zu befestigen. Er hatte das Beste gewollt, aber da seine Bestrebungen an der Selbstsucht und Eitelkeit gescheitert waren, zog er nun in seinem persönlichen Interesse den allgemeinen Feind in das Land, um auf diese Weise gewissermaßen den letzten Trumpf auszuspielen. Zwischen Karl VIII. und dem deutschen Kaiser Maximilian kam es zu freundschaftlichen Versicherungen, da die jetzige Gemahlin des deutschen Kaisers, Blanca Sforza, die Schwester Moros war; somit gelang es dem schlauen Könige von Frankreich, sich mit England und Deutschland zu verständigen, bevor er unter dem Vorwande, die Zustände in Oberitalien zu befestigen, den Zug über die Alpen unternahm, um seine Ansprüche auf Neapel zur Geltung zu bringen.

Aus den überstürzten Maßregeln, welche Peter von Medici dieser schwierigen Lage gegenüber nahm, konnte man sofort erkennen, daß ein ränkesüchtiges Weib das Zepter im Hause führte.

Peter hatte einen gewissen Cardiero bei sich, einen ausgezeichneten Lautenschläger und Improvisator. Dieser Cardiero kam eines Morgens im Hofe des Palastes auf Michelangelo zu, der auf längere Dauer dort wohnte, zog ihn bleich und verstört beiseite, und eröffnete ihm, Lorenzo sei ihm in vergangener Nacht erschienen, in schwarzen zerrissenen Kleidern, daß die nackte Haut durchgesehen hätte, und habe ihm befohlen, seinem Sohne Peter zu sagen, er würde in kurzer Zeit aus seinem Hause vertrieben werden, um niemals wieder zurückzukehren.

180 »Was meint Ihr, daß ich thun soll?« setzte er hinzu.

Michelangelo gab ihm den Rat, dem Befehle zu gehorchen. Einige Tage darauf kommt Cardiero abermals zu ihm, außer sich vor Erregung. Er habe nicht gewagt, sagte er, den Herrn anzusprechen, nun aber sei ihm Lorenzo zum zweitenmale erschienen, habe das Gesagte wiederholt und ihm zur Bekräftigung und zur Strafe des Ungehorsams einen furchtbaren Schlag in das Gesicht gegeben.

Jetzt redete ihm Michelangelo so eindringend ins Gewissen, daß Cardiero sich entschloß, auf der Stelle alles zu sagen. Peter war aber nicht in der Stadt, sondern in Careggi. Cardiero machte sich dahin auf und begegnete Peter Medici, der mit seinem Gefolge angeritten kam. Der Lautenschläger faßte Peters Pferd am Zügel und bat diesen um Gotteswillen, ihn anzuhören. Hierauf trug er seine Sache vor. Peter lachte ihn aus und die übrige Gesellschaft that dasselbe.

Michelangelo wurde durch die Erzählung Cardieros mehr ergriffen als derjenige, den sie betraf. Der Glaube an übernatürliche Winke der Vorsehung steigerte sich in der letzten Zeit durch die energischen Vorhersagungen Savonarolas. Zeichen und Wunder wurden erblickt. Heilige Bilder und Statuen schwitzten Blut aus. Einmal erblickte man des Nachts drei Sonnen zugleich am Himmel, in Arezzo sah man in den Wolken Scharen Bewaffneter auf ungeheuren Rossen sich bekämpfen und unter furchtbarem Getöse dahinziehen. – Wurde doch früher auch erzählt, daß kurz vor Lorenzo Medicis Tode ein betäubender Schlag aus heiterm Himmel herabgefahren sei und die Spitze des Domes zerschmettert habe, daß die Löwen, welche öffentlich vor der Stadt gehalten wurden, sich unter einander anfielen und zerfleischten, und daß ein hell leuchtender Stern über Careggi stand, dessen Licht schwächer und schwächer wurde, bis es im Augenblick verlöschte, in welchem Lorenzos Seele entfloh.

Zuerst wurde nun durch die Orsinische Verwandtschaft in Rom der Papst bearbeitet, um den Florentinern seine Hilfe zu versprechen. Aber die alten Gegner der Orsini, das mächtige Haus Colonna, veranlaßten in Rom einen so gefährlichen Aufstand, daß der Papst das Verlangen der Orsini ablehnen mußte. Als dieser Plan gescheitert war, erreichte die Kopflosigkeit im Hause Medici den höchsten Grad, und Peter beschloß, sich sofort mit dem Könige von Frankreich auf guten Fuß zu setzen. Er vergaß alle seine Beziehungen zu der königlichen Familie von Neapel, wählte eine Anzahl von Beamten der Republik, darunter natürlich alle diejenigen, welche zugleich Geschäftsführer der Firma Medici gewesen waren, und sandte sie dem König von Frankreich entgegen, um ihn günstig für Florenz und das Hans Medici zu stimmen.

Als dieser Versuch mißlang und Karl VIII. allerlei ausweichende Antworten gab, entschloß sich Peter selbst, das französische Lager aufzusuchen, und er begab sich mit zahlreichem Gefolge dahin.

Das Erscheinen des großen Lombarden, unter welchem Namen Peter nach seines Vaters Vorgang in Frankreich bekannt war, da alle Italiener, welche 181 Geldgeschäfte machten, dort für Lombarden galten, erregte Staunen im Lager. Noch mehr wunderte man sich über die schmählichen Anerbietungen, die er machte. Er wollte die Festungen Sarzana, Livorno und Pisa freiwillig überliefern, Florenz sollte sich mit König Karl verbünden, unter seine Obhut treten und ihm Geld zur Fortführung seines Krieges leihen.

Auf diese Bedingungen hin wurde Peter im Lager zu Gnaden angenommen, und der König machte ihm Versprechungen, wie er sie wünschte.

Daß dieses Vorgehen die Bewohner der Stadt Florenz furchtbar gegen Peter erbitterte, war selbstverständlich. Das ganze Haus Medici hatte die Schwierigkeit der Sachlage erkannt, und es waren in Florenz alle mit Peter befreundeten Angehörigen desselben vereinigt, denn Peter wollte einem Familienrate die Entscheidung anheimgeben, wie er sich dem Könige gegenüber verhalten solle. Auch der Kardinal Johann von Medici und Paul Orsini, der Bruder Clarissas und Befehlshaber der päpstlichen Gendarmerie, waren zugegen, und letzterer führte sogar seine Truppen zum Teil mit sich. Alles war umsonst. Die Unzufriedenheit des Volkes erreichte den höchsten Grad. Vergeblich streuten die Agenten der Medici Geld unter das Volk und suchten die Arbeiter durch Versprechungen zu gewinnen. Der Aufruhr wuchs von Stunde zu Stunde, und als Peter von Medici unter starkem Gefolge sich nach der Signoria begeben wollte, um dort mit den höchsten Beamten der Republik zu verhandeln, brach der Tumult in den benachbarten engen Straßen aus und erreichte in kurzer Zeit eine solche Höhe, daß Peter eilig aus der Stadt flüchten mußte. Er begab sich zuerst nach Bologna, wo er sich mit Hippolyt Bentivoglio, seinem Freunde und Bundesgenossen, beraten wollte. Aber Hippolyt empfing ihn mit großer Kälte und sagte zu ihm: »Wenn Euch jemand erzählt, Hippolyt Bentivoglio sei aus Bologna verjagt worden, wie es Euch heute in Florenz geschah, so glaubt es ihm nicht, und seid versichert, daß er sich lieber von seinen Feinden in Stücke hauen läßt, als sich durch die Flucht rettet.«

Das Volk zu Florenz stürmte die Häuser der Familie Medici, und die kostbaren Schätze an Gemälden, Statuen, geschnittenen Steinen und Büchern, welche Cosmus und Lorenzo mit soviel Fleiß und Einsicht gesammelt hatten, wurden in alle Winde zerstreut. Die wertvollsten Bilder rettete die Familie nach Venedig und vertraute sie dem Schutze der dortigen Signoria. Die Republik setzte einen Preis auf den Kopf jedes erwachsenen männlichen Mitgliedes des verbannten Hauses und zog alle seine Besitztümer ein. Dagegen wurden alle diejenigen Familien, welche während der Herrschaft der Mediceer verurteilt worden waren, wieder in ihre Ehren und Stellungen eingesetzt, darunter auch alle noch lebenden Teilnehmer der Verschwörung der Pazzi.

Es waren also in Florenz die Medici zu Rebellen und Feinden des Vaterlandes erklärt worden. Ihre Paläste und die ihrer Ratgeber hatte das Volk geplündert; nur mit Mühe gelang es, den Hauptpalast der Familie zu retten, 182 in welchem Lorenzos Witwe, Clarissa, und Peters Gemahlin, Alfonsine, mit dem Knaben Lorenzo, Peters und Alfonsinens Sohn, zurückgeblieben waren.

So war die mit dem ganzen öffentlichen Leben in Florenz seit Menschenaltern eng verwachsene Familie der Medici, deren große Beliebtheit beim gesamten Volke erst vor wenigen Jahren die Verschwörung der Pazzi erwiesen hatte, so schnell wie über Nacht aus der Volksgunst verdrängt worden. Es wird uns dieser plötzliche Umschwung in den öffentlichen Verhältnissen kaum verwundern, wenn wir die leicht wandelbare Stimmung des italienischen Volkes berücksichtigen, noch weniger wenn wir in Betracht ziehen, wie mannigfaltig in jener Zeit die maßgebenden Gesellschaftselemente (Adel, Vollbürger, Kleinbürger &c.) waren, auf welche sich in raschem Wechsel die Staatsherrschaft zu gründen vermochte. Daher sind auch in fast keinem andern Gemeinwesen die Gewalten, bald tyrannischen, bald republikanischen, bald fremdherrschaftlichen Charakters, so schnell wie in dem mittelalterlichen Florenz aufeinander gefolgt. Als sich im 13. Jahrhundert der Adel in den Kämpfen der Ghibellinen und Welfen ermüdet hatte, gelang es Karl I. von Neapel, nach dem Tage von Benevent, um 1266, auf eine Reihe von Jahren das Oberregiment über eine Regierung von zwölf, später vierzehn Senatsmitgliedern zu behaupten. Dann bildeten infolge eines Volksaufstandes um 1282 die Prioren der Zünfte die sogenante Signoria, welche aber um 1323 wieder unter die Oberherrschaft des Königs von Neapel, Robert, und darauf seines Sohnes, des Herzogs Karl von Kalabrien, kam. Um 1328 gelang es von neuem, das rein republikanische Regiment einzuführen; aber schon dreizehn Jahre später übertrug man die oberste Gewalt abermals einem Fürsten, dem Herzoge von Athen, einem Grafen Walter von Brienne, welcher sich jedoch bald als ein verschwenderischer und grausamer Herrscher enthüllte.

Da erhob sich infolge der Verschwörung im Jahre 1343 die ganze Stadt; man vertrieb den Herzog und setzte eine neue Verfassung unter Begünstigung der Vollbürger ein, da die Kleinbürger der Tyrannei des gestürzten Fürsten Vorschub geleistet hatten. Die notwendigen Folgen aus dieser Maßregel blieben nicht aus; Verschwörungen auf Verschwörungen wurden geplant, bis es endlich im Juli 1378 der untern Volkspartei gelang, den Palast der Prioren unter Anführung eines Wollkämmers, Michele di Lando, zu stürmen. Aus diesem sogenannten Aufstand der Wollkämmer sind noch für die heutige, von sozialistischen Bewegungen durchsetzte Zeit die Gedanken und Reden von Interesse, welche damals zur Rechtfertigung und Verherrlichung des unternommenen Aufstandes gesprochen wurden. Es stand nämlich gewissermaßen eine von den Kleinbürgern vertretene »Arbeiterpartei« gegenüber dem besitzenden Kaufmannsstande, der damaligen »Bourgeoisie«, weil jene für ihre Arbeit nicht so befriedigt zu werden glaubten, wie ihre Leistungen nach ihrer Meinung verdienten. Mit andern Worten. man wollte schon damals Anteil 183 von dem Gewinste der reichen Kaufherren, in deren Dienste man seine Knochen zu Markte trage; – kurz, es stand Arbeit gegen Kapital.

»Wir gehen«, sagen schon zu jener Zeit die Rädelsführer der Bewegung, »einem gewissen Siege entgegen, weil die, welche uns widerstehen könnten, uneinig und reich sind. Ihre Uneinigkeit wird uns den Sieg geben, ihr Reichtum in unsern Händen wird ihn uns erhalten. Laßt euch durch das Alter ihres Blutes, das sie uns vorhalten, nicht abschrecken. Alle großen Stämme [stammen] von Adam ab, ihre Geschlechter sind gleich alt, alle hat die Natur gleichgeschaffen. Zieht sie nackt aus: ihr werdet sehen, daß sie uns gleich sind; kleidet uns in ihre Kleider, sie in die unsrigen, und ohne allen Zweifel werden wir als Adel, sie als Pöbel erscheinen.«

Sozialistische Gleichheit also war es, was damals wie jetzt auf dem Panier der roten Partei stand! Ist dieselbe hinsichtlich allgemein menschlicher Rechte, z. B. gleicher Gesetze und Rechte für alle Gesellschaftsklassen &c., berechtigt und heute auch durchgesetzt, so gingen doch schon die damaligen Sozialisten noch weiter und verlangten geradezu eine Umänderung in den Besitzverhältnissen. »Gewissensbedenklichkeiten«, rief ein Redner jener Zeit, »gibt es hier nicht; betrachten wir nur, wie die Reichen zu ihren Schätzen gelangt sind: durch nichts andres als durch Gewalt und Betrug! Was sie aber durch List und Gewalt an sich gerissen, das beschönigen sie, um den unrechtmäßigen Erwerb zu verdecken, durch falsche Titel, wie »Gewinn« und »Aneignung«.« Haben wir hier nicht die in neuerer Zeit so beliebt gewordene Phrase, daß Eigentum Diebstahl sei, nur um ein halbes Jahrtausend zurückdatirt?

Durch solche und ähnliche Reden angeregt, ging das Volk dann alsbald zur That über, und am 21. Juli 1378 drang der Pöbel unter dem schon genannten Lando, der die Fahne der Justiz trug, in das Rathaus ein, wo man ihn zum Präsidenten der Republik ernannte. Er fand jedoch bald, daß er sich auf die untere Volkspartei auf die Dauer nicht zu stützen vermöge, und suchte dann seinen Halt unter den besseren Handwerkern und wohlhabenden Familien. Drei Jahre lang blieb er am Ruder, dann aber gelangte das adlige Welfentum wieder zum Übergewicht und schlug mit Waffengewalt die andre Partei zu Boden. Jedenfalls hatte es die vorübergehende kommunistische Regierung nicht verstanden, die weitreichenden Handelsbeziehungen der Stadt, denen Florenz seine Größe verdankt, zu erhalten und zu pflegen. Durch alle diese Bewegungen kamen schließlich die reichen Familien der Medici, Toscali, Alberti mehr in den Vordergrund, bis erstere schließlich zur Alleinherrschaft gelangte und dieselbe, wie wir gesehen haben, bis zum Jahr 1494 festhielt. In dem damals ausgebrochenen Aufstand war es schließlich noch gelungen, den Hauptpalast der Medici zu erhalten, in welchem die Angehörigen der Familie ihren Schutz fanden.

Der König von Frankreich war während eines kurzen Aufenthaltes zu Florenz in eben diesem Palaste abgestiegen, und die beiden Frauen versäumten nicht, 184 noch einmal den Versuch zu machen, ihn durch ihre Thränen und inständigen Bitten zu gunsten Peters zu stimmen.

Alles dieses war in den letzten Wochen geschehen, und wenn die Kunde dieser wichtigen Umwälzung auch bereits in den politischen Kreisen weit und breit besprochen wurde, so war sie für Anna Savonarola doch eine Neuigkeit, der sie mit verhaltenem Atem in größter Spannung lauschte, weil sie immer erwartete, den Namen ihres Sohnes dabei genannt zu hören. Dies geschah jedoch nur vorübergehend bei Gelegenheit der Flucht des Peter von Medici, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der reformatorische Dominikanermönch bei diesem Aufstande seine Hände nicht direkt im Spiele gehabt hatte und selbst von dem schnellen Ausbruche derselben so sehr überrascht worden war, daß er seine Absicht, den König Karl zu sprechen und ihm eindringlich in das Gewissen zu reden, für diesmal gar nicht zur Ausführung brachte.

Aber kaum hatte Peter Medici die Stadt verlassen, so ergriff der begeisterte Dominikanermönch die Zügel der Regierung. Dies geschah jedoch mit größter Zurückhaltung, so daß vorläufig das Volk kaum etwas davon bemerkte. Savonarola blieb nach wie vor der einfache Prior des Dominikanerklosters San Marco, obgleich alle Fäden der Regierung und Verwaltung sich in seiner Hand vereinten. Wenngleich er nur als Ratgeber den eigentlichen Vertretern der Regierung zur Seite stand, war er doch die Seele aller Anordnungen, und nach und nach ging alles nach seinem Willen.

Frau Anna und ihre Tochter begaben sich zur Ruhe, aber das Auge der Mutter fand keinen Schlaf, denn sie befand sich ja endlich an dem Orte, wo sie ihr schweres und verdienstvolles Werk beginnen und den Versuch machen wollte, ihren langentbehrten Sohn vom drohenden Verderben zu retten. Beatrice war weniger erregt, denn sie dachte sich die Sache nicht allzu gefährlich. Hatte man doch schon öfter von ketzerischen Irrlehrern vernommen, aber meistens waren dieselben in den Schoß der Kirche zurückgekehrt, um dem gräßlichen Lose, das sie schon auf Erden bedrohte, zu entgehen. Girolamo werde den Bitten der Mutter nachgeben, meinte die Schwester, und durch Reue und Buße nicht nur den Schaden in seiner Seele wieder gutmachen, sondern auch die Schande auslöschen, die er der Familie angethan habe.

Am folgenden Morgen schien die Sonne frühzeitig in das Schlafgemach der Frauen, und als Anna den Laden öffnete, leuchtete ihr ein so heller und milder Tag entgegen, als sei der Frühling bereits angebrochen. Schon regte sich auf der Straße geschäftiges Leben und Treiben; aus den heiteren Gesichtern der Vorübergehenden strahlte Frohsinn und Munterkeit, und ihre Reden ließen erkennen, daß dieser Tag eine ungewöhnliche Bedeutung haben solle.

Unwillkürlich vernahm nun die bekümmerte Mutter einige Worte aus dem Munde von einzelnen vorübergehenden Leuten, aus denen sie plötzlich erkannte, wodurch die lärmend fröhliche Stimmung veranlaßt wurde. Es war Karneval! 186 Wie hätte sie auch mit ihren Sorgen im Herzen daran denken sollen! Früher war der Karneval für sie und ihre Kinder ein Fest der Freude, des ausgelassenen Scherzes; aber diese glücklichen Zeiten waren längst dahin, und wenn ihr wirklich das Werk gelang, um dessentwillen sie die beschwerliche Reise hierher gemacht, so wollte sie ihr künftiges Leben gern ausschließlich dem frommen Dienste Gottes widmen und an den Eitelkeiten der Welt keinen Anteil mehr nehmen.

Für Beatrice that es ihr leid. Weshalb sollte diese nicht einmal einen Blick auf die bunt bewegten Straßen werfen und sich an diesem Tage das Leben in Florenz in der Nähe ansehen? Was konnte es schaden, wenn sie eine Stunde später in die stillen Räume des Klosters eintraten und vorher einen Gang durch die Hauptstraßen machten? Vielleicht sahen und erfuhren sie dabei irgend etwas, was auch zu ihrem Zwecke dienlich sein konnte!

Mit diesen Gedanken weckte Frau Anna die noch schlafende Tochter. Sie selbst hatte bereits ihr einfaches Gewand angelegt und half nun Beatrice, sich gleichfalls anzukleiden. Dann gingen sie in die nächste Kirche, verrichteten dort ihre Morgenandacht und traten hinaus auf die belebte Straße.

Aber sie hatten sich das Gewirre und die Entfernungen nicht so groß vorgestellt, und da sie sich von dem Strome der Menschen fortgezogen fühlten, auch bald hier, bald dort ein prächtiges Gebäude bewunderten, verzögerte sich ihr Aufenthalt und sie gerieten endlich in die Nähe des Platzes der Signoria.

Indes noch bevor sie dort anlangten, begegnete ihnen ein seltsamer Zug, der gerade seinen Weg nach jenem Platze nahm. Es war eine lange Reihe von Kindern, die paarweise unter Anführung einer Schar von Trabanten dahin schritten. Jedes dieser Kinder trug in den Händen irgend etwas, was zum Karneval in Beziehung, oder vielmehr, was mit den weltlichen Eitelkeiten, deren Hauptglanzzeit der Karneval ist, in Verbindung stand. Man sah Masken, bunte Garderobe, Perücken, aber auch Gemälde, Spielkarten, Würfel, Schmuckkästchen, Handschuhe, Bücher und bunten Flitter, der zum Putz verwendet wurde. Hinter den Kindern erschienen im langen Zuge weißgekleidete Mädchen, welche einfache Schalen in den Händen trugen, die sie den Neugierigen entgegenhielten, um Almosen zu sammeln. Darauf folgte ein Musikchor und dann wieder eine Anzahl bewaffneter Soldaten, denen sich eine große Menge von Volk jedes Alters unter lautem Gesange geistlicher Hymnen angeschlossen hatte.

Die beiden fremden Frauen wußten nicht, was dieser Zug zu bedeuten hatte, aber sie folgten demselben, da ihre Neugierde gereizt war und sie wenigstens sehen wollten, zu welchem Ziele derselbe führe. Auf dem Marktplatze vor dem Palaste der Signoria wurde Halt gemacht. Hier war eine Rednertribüne aufgeschlagen und an deren Fuße standen mehrere Dominikanermönche.

Frau Anna glaubte, ihr Herz werde plötzlich stille stehen, denn mitten unter diesen Mönchen erkannte sie ihren Sohn Girolamo, der mit freudigem Gesichte dem herannahenden Zuge der Kinder entgegenblickte und einigen 187 dienenden Brüdern, die in seiner Nähe standen, Anweisungen gab, welche diese sofort mit fröhlichem Gehorsam befolgten.

Die Kinder und jungen Mädchen waren nun sämtlich auf dem Platze angelangt und bildeten dort unter der Leitung jener Klosterbrüder einen großen Kreis, von welchem Trabanten die übrigen Teilnehmer und Zuschauer des Zuges fern hielten. Der Platz war ganz von Menschen erfüllt, und aus allen Fenstern, ja sogar von den Dächern herab schauten Neugierige, um nichts von dem Schauspiel zu verlieren, welches hier jetzt stattfinden sollte.

Seitdem Anna ihren Sohn erkannt hatte, erhielt der ganze Vorgang für sie eine so große Bedeutung, daß sie alles übrige vergaß und sich soweit wie möglich vorzudrängen suchte. Sie flüsterte ihrer Tochter die Entdeckung zu, und nun war Beatrice gleichfalls doppelt begierig, zu erfahren, was sich hier begeben solle.

Die Kinder brachten alle jene Dinge, welche sie in ihren Händen getragen hatten, in die Mitte des Platzes, und dort schichteten sie mit Hilfe der Klosterbrüder eine Pyramide der seltsamsten Art auf. Die Schmuckkästchen wurden vorher ihres Inhaltes entleert, und alles, was von Gold, Silber und Edelsteinen vorhanden war, in eine große Vase zusammengethan. Dann wurden die leeren Kästchen, die Garderobenstücke, Schleier, Masken, auch Bilder und Bücher, sowie die Perücken und sonstigen Attribute der weltlichen Eitelkeit aufgehäuft, und unter dem Jubel der Menge wuchs die Pyramide zu riesiger Höhe. Inzwischen gingen die weißgekleideten Mädchen umher und verteilten das Geld, welches sie unterwegs gesammelt hatten, an die Armen.

Darauf entstand eine Pause, und unter dem jauchzenden Zurufe der Menge bestieg Savonarola die Rednertribüne. Was bei diesem Anblicke in der Seele der Mutter vorging, war unaussprechlich. Sie sah ihn endlich wieder, den oft entbehrten, viel beweinten und doch heißgeliebten Sohn, die nur mittelgroße schmächtige Gestalt, das ausdrucksvolle Gesicht mit den tiefen Seheraugen; sie sah ihn erhöht mitten unter der Menge des Volkes, das sein Erscheinen jubelnd begrüßte und gleich darauf das tiefste Schweigen beobachtete, um keines seiner Worte zu verlieren.

Und wie er nun sprach, da empfand auch sie die Gewalt seiner Rede und wurde hingerissen von dem Wohlklange seiner Stimme und dem Zauber der Worte, die er redete. Er gab Rechenschaft von dem Feste, das auf seine Veranlassung heute in Florenz gefeiert wurde. Jahrhundertelang habe man an diesem Tage der Thorheit gefrönt und der weltlichen Eitelkeit mit freigebigen Händen Opfer gebracht. Brot und Spiele, damit hätten von jeher die Tyrannen das gedankenlose Volk geködert und blind gemacht gegen ihre eigne Selbstsucht. Mit Flitterkram und tollen Scherzen habe man die Sinne betäubt, und gerade hier in Florenz sei dieser Gebrauch von jeher geübt worden. Aber die Stadt, welche bisher als schwelgerisch und sittenlos verrufen gewesen, solle nun eine Stadt 188 Gottes werden, ein Muster für Italien und die ganze Welt. Darum müsse eine allgemeine Umkehr stattfinden, und wie diese im Innern bewirkt werden solle, so wolle er sie auch im Äußern zeigen und beweisen. In den Kindern liege die Zukunft der Menschheit, und wer eine wahre innere Umgestaltung, eine rechte Wiedergeburt des menschlichen Geistes bewerkstelligen wolle, der müsse sich an die Kinder wenden und ihnen den neuen Geist einflößen. Darum habe er vor einigen Tagen die Kinder aufgefordert, ihre Eltern flehentlich zu bitten und nicht nachzulassen, bis diese ihnen die Mittel, durch welche sie sonst in dieser Zeit der Eitelkeit zu frönen pflegten, übergeben würden, ja, er habe die Kinder sogar beauftragt, diese Dinge wegzunehmen, wo sie sie fänden, auch die Bücher der gefeierten weltlichen Dichter und die Werke der Kunst, soweit sie verwerflich seien, aus den Häusern zu entfernen und ihm hierher zu bringen. Denn hier solle nun ein Beispiel aufgestellt werden, wie wertlos und leicht zerstörbar die eitlen Freuden der Welt seien, damit die Kinder und durch sie auch die Erwachsenen erkennen lernten, man müsse nach höheren Gütern trachten und im Ernste danach streben, der Welt das Beispiel zu geben, wie groß und unüberwindlich ein Volk dastände, wenn es einzig und allein dem Willen Gottes nachlebe und im großen und kleinen dem irdischen Flittertand entsage.

Während Savonarola dies und Ähnliches geredet hatte, waren einzelne Mönche beschäftigt gewesen, den mächtigen Scheiterhaufen noch etwas zu ordnen. Er ragte als eine Stufenpyramide, ähnlich dem Scheiterhaufen, auf welchem römische Imperatorenleichen verbrannt zu werden pflegten, empor. Unten, zunächst der Basis, waren Larven, falsche Bärte, Maskenkleider u. dgl. gruppiert; darüber folgten Bücher der italienischen und lateinischen Dichter, unter andern der Morgante des Luigi Pulci, der Boccaccio, der Petrarca, zum Teil kostbare Pergamentdrucke und Manuskripte mit Miniaturen; dann Zierate und Toilettengeräte der Frauen, Riechwässer, Spiegel, Schleier, Haartouren; weiter oben Lauten, Harfen, Schachbretter, Tricktracks, Spielkarten; endlich enthielten die beiden obersten Absätze allerlei Gemälde, besonders von weiblichen Schönheiten, teils unter den klassischen Namen der Lucretia, Kleopatra, Faustina, teils wirkliche Porträts, wie die der schönen Boncina, Lenacorella, Bina und Maria de Lenzi. Man erzählte, ein anwesender venezianischer Kaufmann habe der Signoria vergeblich 20 000 Goldthaler für den Inhalt der Pyramide geboten.

Kaum hatte Girolamo seine Rede geendet, so traten die Mitglieder der Signoria auf den Balkon; Trompetenschall und Glockengeläute erfüllten die Lüfte.

Nun winkte der Prior von San Marco mit der Hand, und einer der dienenden Klosterbrüder näherte sich mit einer Fackel der Pyramide, um dieselbe in Brand zu stecken. Die Musikbande stimmte eine Weise an, in welche die Kinder und das Volk mit Gesang einfielen, bis unter dem Jubelschrei der Menge der ganze Haufen zu Asche verbrannt war.

Inzwischen hatte Savonarola die Tribüne verlassen, und kaum war die 189 Pyramide ausgebrannt, so setzte er sich langsam in Begleitung der ihn umgebenden Mönche in Bewegung, um zu seinem Kloster zurückzukehren. Sofort schloß sich ihm die ganze Schar der Kinder an, alle paarweise in bester Ordnung. Dann kamen die weißgekleideten Mädchen, darauf die Trabanten und hinterher eine große Menge Volkes, das fortwährend Savonarolas Namen mit Worten der Begeisterung und Hochachtung rief.

Kinderumzug zu Florenz unter Savonarola.

Frau Anna und Beatrice hatten während aller dieser Vorgänge kein Wort miteinander gesprochen. Erstere befand sich wie im Traume und fürchtete nun jeden Augenblick, daraus zu erwachen und dann wieder gleich den Anklägern ihres Sohnes zu denken, daß ihr Sohn, den sie im Triumphe dahinschreiten sah, ein Opfer des höllischen Verführers sei. Wie auf gemeinschaftliche Verabredung schlossen sich Mutter und Tochter dem allgemeinen Zuge an, der durch die Straßen der Stadt, am Dome vorüber, nach dem Kloster San Marco ging.

Dort angekommen, machte Savonarola an der Pforte Halt und blieb, umgeben von den Mönchen, so lange stehen, bis der Zug der Kinder und Jungfrauen an ihm vorüber geschritten war. Nachher hielten sämtliche anwesende Männer auf dem Platze vor San Marco einen dreifachen konzentrischen Rundgang, zuinnerst die Mönche dieses Klosters, abwechselnd mit sogenannten Engelknaben, dann junge Geistliche und Laien, zuäußerst endlich Greise, Bürger und Priester, diese mit Olivenzweigen bekränzt. Es war ein erhebender und zugleich rührender Anblick, wie die unschuldsvollen Gesichter der Kinder mit glücklichem Lächeln zu dem ernsten Manne aufblickten und wie ihre Augen leuchteten, wenn er ihnen grüßend zunickte.

Fast instinktiv hatte sich Frau Anna so nahe als möglich herangedrängt, da sie sich an ihrem Sohne nicht satt sehen konnte. Auch Beatrice betrachtete die Vorgänge mit Aufmerksamkeit, ohne recht zu wissen, ob sie alle diese Triumphe als Gott wohlgefällig oder für ein Werk des Satans halten solle. Nun war der Zug vorüber, und Savonarola erhob, bevor er in das Kloster eintrat, noch einmal den Blick, um der Menge seinen Segen zum Abschiedsgruß zu geben.

Da plötzlich trafen seine Augen auf das Gesicht der Mutter, die mit liebender Sehnsucht zu ihm aufschaute und ganz in seinen Anblick versunken war. Auch das Mädchen an ihrer Seite erblickte er und erkannte an der Ähnlichkeit mit der Mutter seine Schwester Beatrice.

Da stieg ein augenblickliches Gefühl kindlicher Zärtlichkeit in ihm auf, und der Mann, welcher seit Jahren keinen andern Gedanken gehegt hatte, als Gott zu dienen, dem die Menschheit Vaterland und Familie ersetzte, vergaß in diesem Augenblicke alles übrige um sich her. Der eben noch gleich einem göttlichen Propheten gefeierte Mönch folgte dem Zuge einer süßen Erinnerung, welche traumhaft aus den Jahren der Kindheit in ihm aufstieg und ihn mit heiliger Gewalt in die Nähe der alten Frau zog, die ihn geboren und seine frühesten Kinderjahre überwacht hatte.

190 Ehrerbietig und erstaunt wich die Menge zurück, als der hochverehrte Prior auf die fremde Frau zuschritt, seine Hände auf ihre Schultern legte und mit dem Ausrufe. »Meine Mutter!« einen Kuß auf ihre Stirn drückte. Hierauf reichte er dem Mädchen die Hand, indem er sie als seine Schwester begrüßte.

Da die Frauen nicht in das Kloster San Marco eintreten durften und Savonarola keine Szene auf offener Straße herbeiführen mochte, flüsterte er der Mutter: »Auf Wiedersehen!« zu und begab sich dann, von seinen Mönchen gefolgt, in das Innere des Klosters.

Kaum hatte sich die Pforte hinter ihm geschlossen, so entstand eine große Bewegung unter dem versammelten Volke. Savonarolas Mutter! Savonarolas Schwester! so ging es von Munde zu Munde, und bald sahen sich die beiden Frauen umringt von teilnehmenden Menschen, die vor Ehrfurcht kaum wagten, sich mit ihnen bekannt zu machen und ihnen zu sagen, wie hoch erfreut sie seien, Angehörige des allgemein beliebten Mannes unter sich zu sehen. Seine eigne Anspruchslosigkeit hatte bis jetzt jeden Dank zurückgewiesen und seine Freunde verhindert, ihm ihre Anhänglichkeit durch die That zu beweisen. Nun bot sich die erwünschte Gelegenheit, die hohe Verehrung, welche der Mann des Volkes genoß, öffentlich zu bekunden. Es befanden sich einige reiche Bürger unter der Menge; diese nahten sich ehrfurchtsvoll den beiden Frauen und baten sie, ihre Gastfreundschaft annehmen zu wollen. Verwirrt und erfreut wagte Anna nicht, diese Anerbietungen abzulehnen, und bald sah sie sich mit ihrer Tochter umringt und selbst wie im Triumphe durch die Straßen geleitet, bis sie zu einem stattlichen Hause kamen, wo sie gebeten wurden, als Gäste vorlieb zu nehmen und dem Besitzer und seiner Familie die Ehre ihrer Anwesenheit zu gönnen. Was blieb den beiden Frauen anders übrig, als auf dieses ehrenvolle Anerbieten einzugehen? Sie zögerten zwar, aber darauf wurde kaum geachtet, und bald sahen sie sich in der Mitte der angesehenen Familie eines Beamten, Namens Paolo Campini, wie liebe Angehörige aufgenommen.

Und nun zeigte sich in den nächsten Tagen, welche Verehrung Savonarola in Florenz genoß, denn seine Mutter und seine Schwester wurden von vielen der reichsten Bewohner der Stadt mit Einladungen und Geschenken überhäuft, Blumen, Früchte und Aufmerksamkeiten aller Art wurden ihnen von allen Seiten zugesandt, und weder Anna noch Beatrice konnten länger daran zweifeln, daß Girolamo die Herzen der meisten seiner Mitbürger besaß und von alt und jung als der erste Mann Gottes, der Verkünder des reinen Evangeliums, der Wohlthäter der Menschheit betrachtet und gepriesen wurde. Sie überließen sich dem süßen Gefühle, von einem ganzen Volke als seine Angehörigen geehrt zu werden, und es dauerte lange Zeit, bevor sie aus diesem seligen Traume aufgeschreckt wurden. 191

 


 


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