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14.
Sühne

Trostloser als die Situation Edmunds war die Adelens. All' ihre fein gesponnenen, weit angelegten Pläne sah sie zerrüttet, und kein Ziel, das ihr Rettung, keinen Halt, der ihr Hoffnung gewähren konnte. Wohin war sie mit all' ihrer berechnenden Klugheit nun doch gekommen! wohin mit der rastlosen Sehnsucht ihrer überschwänglichen Frauenseele? Warum hatte sie nicht einen von beiden ganz gehört, ihrem Verstande oder ihrem Herzen? Die Klugheit hatte ihr stets verwehrt, einem vollen Glücke der Leidenschaft sich hinzugeben, und endlich hatte doch der Stolz des Herzens das kühne Gebäude ihrer Intriguen mit eins wie eine Seifenblase zu nichts werden lassen. Sie, die jeden Mann bisher noch gedemüthigt vor sich gesehen, die kein Weib neben sich anerkannt geduldet, sie war nun verschmäht, verlassen, hülflos in die Welt gestoßen, der Lächerlichkeit preisgegeben! Sie hatte sich als die Verlobte des Baron Brandt erklärt, und Baron Brandt ging ohne sie nach Amerika, vielleicht mit irgend einem unbedeutenden Mädchen, wohl gar mit jener Soubrette, die sie von jeher als ihre Nebenbuhlerin verachtet!

Aber sie ließ ihrem Herzen nicht Zeit, um verlorne Liebe zu klagen; auch nicht die Wonne leidenschaftlichen Rachegefühles gönnte sie sich; sie sah nun klar und kalt die Verwirrung und lauernd brütete ihr Verstand, ob nicht irgend noch ein Ausweg zu finden sei. Und endlich jubelte sie auf. Es gab doch keine Verwicklung, die ihre Klugheit nicht zu lösen wußte! Ihr Name war gerettet, Edmund konnte sie immerhin verschmähen, – und wenn es ihr auch vor ihr selber eine Demüthigung kostete, wie sie deren sich noch nicht fähig im Leben gefühlt hatte!

Am zweiten Morgen nach dem Balle fuhr sie vor die Wohnung des Attaché. Sie verlangte ihn allein zu sprechen und fand ihn, der sich, um interessant zu erscheinen, leidend stellte, malerisch auf dem Kanapee hingestreckt, mit angegriffen freundlichen, ironisch erstaunten Mienen sie empfangend. Es war ihm Alles klar, weshalb sie kam, und schon wußte er, wie er zu handeln habe, während sein Blut aufflammte, so daß die leichte Wunde ihn schmerzte bei dem Anblick Adelens, durch die Erregtheit ihres inneren Kampfes so wunderbar reizend verklärt.

Sie hatte sich entschlossen, Oskar sich anzuvertraun, ihm ihre Lage zu entdecken, und ihn zu bitten, daß er sie rette. Auch er hieß Baron von Brandt; wenn er nur auf vierundzwanzig Stunden sie für seine Verlobte gelten ließ, so war sie wenigstens vor dem Fürchterlichsten gerettet, vor dem Ridikül. In Gedanken war ihr die Intrigue so leicht erschienen, aber nun da sie vor ihm stand mit seinem sarkastischen Lächeln, vor dem überlegenen Geiste, der sie so angezogen, aber ihr doch zugleich so imponirt hatte, indem er gezeigt, daß er so lange sie könne entbehren konnte, nun rang sie mit ihrem Stolze und sie konnte kein Wort finden, ihn anzureden.

Nachdem er lange mit schadenfreudigem Blicke in ihrer Verlegenheit sie gelassen hatte, half er ihr endlich daraus, indem er, wie schmerzlich sich aufrichtend, ihr mit den Worten entgegenkam: Adele? Adele? Sie selbst? Ist es möglich? Ich kann mich kaum fassen. Noch kann ich nicht Alles mir zusammenreimen! Sie hier –? Also war es kein Traum? Es war wirklich mein Name, und er war es wirklich von Ihren Lippen, als in dem Augenblicke, wo die Dämmerung des Todes meinen Geist verschleierte, ein so unendlich holder Laut mein Ohr traf! Und so ausdauernd konnten Sie an mir hängen? O, ich soll an Leidenschaft noch glauben lernen.

Adele traute ihren Sinnen kaum, als sie das vernahm; aber als er sie zwang, diese Täuschung ihm zuzutrauen, war sie so gerührt durch die Kindlichkeit seiner Seele und die herzerleichternde Lösung ihres verwirrten Schicksals, daß sie ihn plötzlich mit unendlicher Zärtlichkeit anbetete, und da sie stets für jeden Mann eine gewisse Schwärmerei gehegt hatte, mit Ehrlichkeit ihm versichern konnte: Ja, ich liebte Sie immer, Oskar, immer von dem Augenblicke, wo wir zuerst uns sahen.

– Ich habe ja in Ihrer Seele gelesen! Ich durchschaue Sie ja, wie Sie so ganz, ganz – Liebe sind! sagte Oskar, seiner Stimme einen Ton der Schwärmerei gebend, der Adele innerlichst entzückte. Aber gleich darauf mußte sie erschreckend wahrnehmen, daß er doch nicht so einfach und leicht zu verstehen war, denn er fuhr fort: Ich bewundere, ich vergöttere Sie deshalb, Adele, und doch – ich muß mich Ihrer unwürdig fühlen, ich kann immer noch nicht Ihrer ebenbürtig sein, – ich liebe Sie, aber ich zweifle immer noch, ob meine Liebe eine so unfragliche, so ewig ausdauernde sein wird, wie ich weiß, daß Sie die Liebe verstehen. Ehrlich gestanden, ich kann nicht lieben um der Liebe, nur meiner selbst willen. Du reizest mich, schöne Frau; aber mehr kann ich Dir nicht versprechen, als Dich lieben zu wollen, so lange Du mich reizest. O mein Gott, ich bin so verteufelt verständig, so unablässig kritisch, – ich durchschaue alle Schwächen so schnell, daß ich kaum einer Illusion noch fähig bin. Und doch wollte ich so gerne noch phantastisch sein, ich bin meiner eignen Klarheit mir selbst so überdrüssig, – o, ich bitte Dich, Adele, Du bist eine so kluge und eine so poetische Frau, mache es mir möglich, noch Illusionen zu haben. Ich bin müde dieses faden Abenteurerdaseins; es ist hohe Zeit, mein Leben aus einem angenehmen in ein würdiges überzuleiten; mit Dir nur könnte ich es versuchen, denn eben nur Deine unfaßbare Proteusnatur, diese so unklare und darum so verlockende Leidenschaftlichkeit kann mich noch reizen, O, ich flehe Dich darum, mach', daß Du mich ewig reizest! Feßle mich an mich selbst! Zwinge mich, Dich und nur Dich zu lieben! Ich möchte so gerne in ewiger unerschütterlicher Liebe mich anschließen an ein treues Herz, – es ist von allem Klugen doch am Ende vielleicht das Klügste, sich treu zu sein. Mach' Du mir's möglich, und ich will Dich auf den Händen durch das Leben tragen, hinausgehoben über Müh und Kummer des gemeinen Daseins, so wie ich jetzt Dich in meinen Armen sicher und leicht über den Boden trage, mein Idol, meine Herzensfreude.

Adele hatte keine Ahnung von der charaktervollen Intrigue, von der List der Vernunft, mit der Oskar sie und sich in die Ehrlichkeit hineinzulügen verstand; sie konnte, noch halb ohnmächtig von der schwindelnden Gefahr ihrer Ehre, der er sie entrissen, nur anschmiegend ihrem Retter sich hingeben; aber sie mußte dabei erbeben vor der Stärke seines Armes, der sie leicht wie einen Federball in die Luft hob, wie vor der Schärfe seines Geistes, der gegenüber sie sich plötzlich so Nichts, mit ihrer Lüge so gefährdet, ja so unwürdig vorkam. Sie sah in ihm ihren einzigen Halt; sie wollte anfangen, ihm gegenüber ehrlich zu sein, und ihn von einer Täuschung befreien, die sie doch nicht mehr lange aufrecht erhalten konnte.

– Noch ein Geständniß, sagte sie, habe ich Ihnen zu machen. Sie halten mich für reich. Ich bin es nicht; mein Glanz war nur Blendwerk; ich lebte von meinem Kapital, nicht von meinen Zinsen, und das Letzte, was ich hatte, verschrieb ich gestern morgen dem Präsidenten, um mich von ihm zu befreien.

Mit Spannung belauschte sie den Eindruck, den diese Worte auf den Attaché machen würden, und wie Alpdrücken hob es sich von ihrem Herzen, als er ausrief: Bravo! So mußte ich Sie mir wünschen! Jetzt löst sich mir das Räthsel Ihres Wesens. Sie waren nicht reich durch Ihre Familie?

– Von Hause ein armes adeliges Fräulein –

– Schlossen Sie die Mesalliance mit dem Banquier, um eine Existenz zu gewinnen?

– Um nicht ein altes armes Adelsfräulein zu werden, das von Almosen lebt. Meine Phantasie hatte mir große Ansprüche an das Leben eingeimpft, denn ich war schön, und nichts ist verführerischer als Schönheit, die eigne mehr noch als fremde! Aber was war mein Loos unter der Herrschaft des rohen Geldmenschen! O, lassen Sie mich schweigen von den Demüthigungen, die ein stolzes Gemüth erleiden mußte, das sich der gemeinen Sucht nach Gewinn und Genuß dahin gegeben hatte! Als ich schnell Wittwe geworden, war es meine einzige Sehnsucht, in die Kreise meiner Bildung und meines Standes wieder aufgenommen zu werden. Aber das Testament hatte mich schlecht bedacht, und es war ein Wagstück, bei dem ich mein Eigenthum daran setzte, als ich allen äußeren Glanz aufbot, um mich wieder adelig und reich zu vermählen. Freilich konnte ich da nicht meinem Herzen folgen. Sie wissen, wie ich Präsidentin wurde. Wie ich aufhörte, es zu sein, habe ich auch gestanden, und so komme ich nun zu Ihnen, nachdem alle meine ehrgeizigen Pläne gescheitert, nur meiner Liebe zu leben, nur eine Existenz von Ihnen zu bitten.

– Daß Du etwas von mir bitten mußt, Adele, das vollendet mein Vertraun zu Dir. Ein dämonisches Gefühl, ein grausam jubelndes Triumphbewußtsein ergreift mich, wenn ich denke, daß Du nun mein bist, mein, ganz mein, Du, mit allen Reizen Deiner Schönheit, allen Vorzügen Deines Geistes, allen Schwärmereien Deines Gemüthes, – mein, ohne irgend andern Halt in der Welt. Pedantisch wie ein Geizhals will ich bis in die kleinsten Züge mein Eigenthum erforschen und bewahren; grausam wie ein Tyrann es beherrschen, daß nicht eine einzige Liebenswürdigkeit, nicht ein Blick, nicht ein Wort aus meiner Unterthänigkeit entschlüpft. So sollst Du mein sein; so sollst Du Dich vor mir fürchten, – aber liebe mich nur, Adele, und Deine Furcht braucht keine andere als Ehrfurcht zu sein. Doch noch eins mußt Du hören: es gehört Muth dazu, mich zu lieben. Ich kann Dir jetzt nur meine Liebe schenken; eine Existenz muß ich uns erst erschaffen. Indem ich den Besitz Deiner Liebe gewann, habe ich den meines Amtes aufgegeben. Du kennst mich noch nicht ganz; Du weißt noch nicht, wie ich Dich geliebt habe, wie Dein Besitz das Ziel meines Strebens in weit angelegtem Plane war. Kannst Du es denken, daß ich des Präsidenten Werkzeug geworden, nur um in Deiner Nähe zu sein, nur um Dich zu umlauern? Ja, das Leben ist eine Komödie, nur sei'n wir Künstler, nicht Komödianten des Lebens! Einige kleine Amtsgeschäfte treib' ich wohl nebenbei zu meinem Privatvergnügen, – ich habe auch dieses Spiel bereits gewonnen. Gestern sandte man mir die Vokation zum Finanzrath, heute sende ich sie zurück. Vermögen habe ich ganz und gar nicht. Ich muß eine Existenz mir erst erschaffen –

– Gott im Himmel, wie soll das werden?

– Du zagst? Du hast den Muth nicht, mir zu vertraun?

– O, kein Sein für mich außer bei Dir!

– Nun, so sei unbesorgt. Ich bin ein Mann von Kopf, und haben wir keine Kapitalien, so leben wir von meinen Ideen, die ich nur zu versilbern brauche, wie vollgültige Bankscheine.

Oskar sagte nicht zu viel. Er hatte bereits ein Geschäft in Gang gebracht, das er nur formell noch abzuschließen brauchte. Noch am gestrigen Abende, als er Edmund verließ, war er in das Weinlokal gegangen, in dem er im Anfang dieser Erzählung mit jenem Kreise von Literaten und Börsenmännern zusammengetroffen war. Er wußte, daß er auch heute Herrn Herz dort treffen würde, den er damals so grausam gehöhnt hatte. Er setzte sich ihm gegenüber, mit dem für alle Tageszeiten anwendbaren Gruße »Guten Morgen!« auf das legèrste sich benehmend, dem Börsenmanne keine andere Aufmerksamkeit als den anderen Gästen schenkend, der auch seinerseits noch von früherher verletzt in das Bewußtsein seiner Würde sich zurückzog, um zu beweisen, daß auch er einen Baron, selbst einen Baron Brandt unbeachtet lassen könne.

Oskar mischte sich harmlos lebhaft in das harmlos lebhafte Gespräch, das heute über italienische Musik und ein neues Ragout fin geführt wurde. Oskar, dem beides unendlich gleichgültig war, erklärte sich mit der sorgsamsten Kennermiene in Opposition gegen Freund Herz, gegen den Geschmack dieser Musik sowohl als des Ragouts so entschieden, als hinge davon mindestens das Wohl der Menschheit ab. Er wandte sich in dem Streite, der allgemein geführt wurde, ganz wie zufällig an Herz und nannte ihn »Herr Herz«; der aber blieb in seiner selbstbewußten Zurückgezogenheit. Dann nannte ihn der Baron ganz beiläufig »bester Herr Herz«, und »mein bester Herr Herz!«, dann höchst legère »Herz« schlechtweg, dann vertraulich »lieber Herz« und endlich gar »mein lieber Herz« mit einer Zärtlichkeit, die den letzten Groll von dem weichen Herzen des gemüthvollen Mannes hinwegthaute.

Herz nahm diese Vertraulichkeit so auf, als verstände sie sich ganz von selbst; ebenso legère bleibend, wie der Baron es war, sah er sich im Kreise um, den Eindruck zu bemerken, den es machen werde, daß er so mit dem Baron stand. Indem er sich immer mehr für den Koch des Hauses und die Italiener erhitzte, stieg er die Stufenleiter der Vertraulichkeit hinauf, die der Baron ihm entgegen hinabgestiegen war, indem er ihn anredete: »Herr Baron«, »bester Herr Baron«, dann »Baron«, »lieber Baron« und endlich als den letzten Ausdruck der harmonirenden Seelen »mein lieber bester Baron« –

Endlich brach man den nicht zu schlichtenden Disput über diese Geschmacksangelegenheiten ab, als ein paar Zeitungscorrespondenten, nicht ohne Ironie und Neugier zugleich, dem Attaché zu seinem neuen Posten und der übernommenen Mission gratulirten, das Finanzbudget des Ministeriums vor die Kammern als Regierungskommissar zu vertheidigen.

– Es ist Ihnen also noch nicht bekannt, erwiderte Oskar erstaunt, daß ich weder den Posten noch die Mission mit meiner Ansicht von den nothwendigen Aufgaben unserer Staatswirthschaft vereinigen kann?

Die Herren wußten davon natürlich nichts und Oskar konnte fortfahren: So erfahren Sie denn von mir selbst diese neue Zeitungsnachricht, daß ich, unfähig, mit der Politik des jetzigen Ministeriums mich zu vereinbaren, völlig aus dem Staatsdienste ausscheide. Ich wende mich der Industrie zu und werde in den nächsten Tagen den Grundstein zu einer Fabrikunternehmung legen. Ich suche nur noch einen Kompagnon, bei dem ich mehr auf kaufmännische Intelligenz als auf pekuniäre Mittel zu sehen habe.

Damit hatte er für Herz den Köder hingeworfen. Dieser sprach kein Wort zu dieser Angelegenheit, aber als Oskar aufbrach, ging auch er, heftete sich an die Seite des intimen Freundes und drang in ihn, seine industriellen Pläne ihm mitzutheilen. Oskar zögerte sehr, endlich ließ er sich herab Einiges verlauten zu lassen, und noch dieselbe Nacht, da bei solchen Unternehmungen die Zeit Geld ist, wurde eine Association verabredet unter der Firma »Brandt & Herz.«

Oskar's Spekulation war eine der unfehlbarsten. Es galt, ein Material in einer Provinz an Ort und Stelle zu verarbeiten, dessen Transport in die entfernt gelegen bestehenden Fabriken jetzt allein mehrere Tausend Thaler jährlich kostete, – eine Summe, die Oskar durch die neue großartige Anlage allen Concurrenten von vornherein als Vorsprung abgewann. Herz sah es augenblicklich ein, daß diese Unternehmung sicherer rentiren müsse, als sein Börsenspiel; er war entschlossen, einen großen Theil seines Vermögens daran zu wenden, und für die Idee selbst dem Erfinder ein bedeutendes Kapital in der Association zuschreiben zu lassen, die Oskar noch am heutigen Tage nach der Verlobung mit Adele förmlich im Hause bei H. J. S. Löwe, einem Verwandten und Geschäftsfreunde von Herz abschließen sollte.

Als der Baron in das Haus trat, dessen Gast er in früheren liberalen Zeiten oft genug gewesen war, fand er Alles in seltsamster Aufregung, und, da er den Grund schon ahnte, brachte er nach mannigfachem Hin- und Herfragen die Aufklärung heraus: Fräulein Viktorine war seit dem Morgen aus dem Hause verschwunden und hatte die Nachricht hinterlassen, daß sie nicht wiederkehren werde.

Oskar erschien erschreckt und erstaunt davon, that, als setze er sein Kombinationsvermögen in Bewegung, ließ sich den Vornamen der Dame nochmals nennen, frug, ob sie blond sei, ob schön, und dann endlich trat er mit den Worten auf: Ich kann zufällig Aufklärung geben, meine Herrschaften, und hoffentlich auch Rath. Die Dame ist ohne Zweifel von meinem Bruder Edmund entführt. Mein Bruder ist übrigens, dafür stehe ich ein, ein Ehrenmann. Er will mit der jungen Dame in England sich trauen lassen und nach Amerika fliehen.

Herr Löwe war indignirt; und fand das unbegreiflich von seinem Pflegekinde. Als er aber vernahm, daß man sie zu einer Ehe ohne Liebe habe zwingen wollen, fing er an, den Schritt erklärlich und selbst verzeihlich zu finden. Auch Madame Löwe, die dem Baron und ihrem Gemahl gegenüber als gebildete Frau unmöglich als tyrannisch erscheinen durfte, suchte einzulenken.

Oskar behauptete, Edmund wolle die Kolonisationspläne, durch die er selbst sich berühmt gemacht hatte, aufnehmen, und als Herr Löwe in den Ansichten, die der Attaché darüber aussprach, eine eingehende Kenntniß der Verhältnisse und ebenso wohlthätige als gewinnbringende Pläne fand, versprach er, selbst dem Unternehmen zu Hülfe zu kommen. Er hatte im Jahre vorher, als sein Geschäft und sein Vermögen in Europa gefährdet schien, in Amerika große, Fruchtbarkeit versprechende Ländereien gekauft; er wollte diese dazu hergeben, um unter Edmunds Leitung eine Kolonie deutscher Auswanderer gegründet zu sehen.

Oskar versprach jetzt, Viktorine ihrer Familie zurückzuführen, und durch Edmund gelang es ihm, sie aufzufinden. Mit leisem Vorwurfe über ihren Mangel an Vertraun, nahm Herr Löwe sie auf, und versprach, für ihr Glück zu sorgen. Edmund, in den Kreis der versöhnten Familie eingeführt, mußte noch den Eisenbahnzug derselben Nacht benutzen, um nach England zu entfliehen. Wenige Tage darauf brachte Herr Löwe selbst sein Pflegekind ihm dorthin nach, und vereinigte daselbst beide in dem Bunde für das Leben nach dem heiligen Gesetz der Sitte, um sie dann nicht ohne schweren Abschied, mit Grüßen an Leo und viele andere befreundete Flüchtige in die Ferne zu entlassen, in der sie ihrer freien Persönlichkeit eine neue Heimath gründen wollten.

Mit dem Winter hatte Edmund das entfremdete Vaterland betreten; es war Frühling, als er jetzt, die Geliebte im Arm, als ein Fremdling es verließ.

Der leidende Zug von Viktorinens Wangen war schnell wieder verschwunden, als sie mit den Ihren versöhnt und mit dem Geliebten vereint war. Es waren schwere Tage, sagte sie ihm, als ich an Dir und an aller Welt verzweifelt war. Das Herz war mir so übervoll von unsagbar wonnigen Schmerzen; Du hattest einst das Wort hingeworfen, solch Unsagbares sagen zu können, sei die Größe des Künstlergemüthes, – ich holte in meinem Unglück meine Palette hervor, um Landschaften zu malen, und des Abends nahm ich die Feder, um Verse zu reimen. Aber ich muß doch kein Talent zum Künstler haben; ich war unglücklich, mich nicht verständlich machen zu können. Jetzt aber habe ich meine Liebe zu Dir und eine große edle That, die wir zusammen unternehmen; darin gehe ich auf mit ganzem Herzen und ganzem Geiste und allen Kräften meines Lebens. –

– O Du Herrliche! erwiderte Edmund auf solche Worte, – wie glücklich macht mich Dein Glück und Deine Güte. Du weißt nicht, was mich am meisten an Dir entzückt, und was ich Dir nicht zutraute, als ich auch schon Dich liebte, – das ist nicht Dein Geist, nicht Dein Charakter, nicht Deine Leidenschaft, nicht Deine Liebe, – es ist an sich eine so kleine unbedeutende Eigenschaft, aber so herrlich und so selten, wo sie mit so reichen großen Gaben vereint ist, – die Güte, Milde, Nachsicht, die Hingebung, mit der Du einem Andern außer Dir gehören, ihm Dich ganz anheimgeben kannst, daß er den Ernst des Lebens über Deine unberührt jungfräuliche Heiterkeit bringe! So finde ich in Dir die Vollendung meines Wesens, und wenn ich flüchtig auch mein Vaterland verlasse, so kann ich doch nicht klagen, was ich schon verzweifelnd glauben wollte, daß ich die Ideale meiner Jugend verloren, – nein, was das Leben mir jetzt ist, ich konnte niemals es denken; diese glückliche Wirklichkeit steht über allem geahnten Glücke; die reifende Erfahrung erst lehrte mich des Menschlichen Reichthum und Hoheit, des Lebens lebenerfülltes Ideal zu begreifen und zu erfassen!

*

Schon Jahre sind seitdem vergangen. Edmund hat in der That mit Viktorinens Bruder zusammen eine blühende Kolonie, eine Brudergemeinde deutscher Flüchtlinge zur Ausführung gebracht. Es ist das, soviel bekannt geworden, der einzige nennenswerthe Versuch, den die deutsche Demokratie unternommen, ihre Ideale solidarischen Lebens, da, wo ihr der freie Boden ursprünglicher Neugestaltung gegeben, zur Wirklichkeit werden zu lassen.

In anderer Weise ist es Oskar bei der Errichtung seiner Fabrik gelungen, im Vaterlande selbst die socialen Gegensätze zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwischen dem, der mit dem Kopfe, und dem, der mit den Armen thätig ist, zu überwinden. Er behauptete, diese unheilvolle Spaltung sei hervorgetreten, nicht nur weil die Diener nicht mehr Diener, sondern vielmehr noch, weil die Herren nicht mehr Herren zu sein verstünden. Und so hat er es durch seine zugleich imponirende und gerechtigkeitliebende Persönlichkeit durch Einrichtungen, die seinen und seiner Untergebenen Vortheil zu vereinigen im Stande sind, dahin gebracht, die große Zahl seiner Arbeiter in ebenso unterthäniger als dankbar anhänglicher Gesinnung zu erhalten.

Seine Ehe mit Adele, darüber hatte er sich nicht getäuscht, war ein Experiment gewesen, aber auch über seine Fähigkeit hatte er sich nicht getäuscht, das Experiment gelingen zu lassen. Oskar und Adele waren beide Meister der Courtoisie, und so ließen sie, in der Macht ihrer Koketterie sich gegenseitig die Wage haltend, in ihrer Ehe kein Gefühl aufkommen von dem Gebeugtsein unter das Joch des prosaischen Zwanges; ihr Leben war eine fortgesetzte Galanterie, ein stets frisch sprudelndes, erfindungsreiches Spiel mit dem Glücke des Lebens, ein ewig neues Erobern und Gewähren der höchsten Liebesgaben.

In der Nähe von Oskars Villa in der reizendsten Gebirgsgegend wohnt der alte Geheimerath von Brandt, der über seine Zurücksetzung sich tröstete und sich pensioniren ließ, als Neffe Oskar ihm erklärte, wie er den Posten als Finanzrath nicht habe erfüllen können, da zu solchen Aemtern bei dem jetzigen »ehrlichen Konstitutionalismus« eine »Genialität« gehöre, wie sie bei einem biederen Beamten der alten Zeit kaum zu finden sei.

Auch Cordelie, nun schon ein altes Fräulein, verbringt hier ein stilles Leben als Adelens Gesellschafterin.

Nachdem sie in jenen verhängnißvollen Tagen die bittere Enttäuschung an Doktor Stern erlebt hatte, der, statt sie zu entführen, zur selben Zeit mit einer reichen Witwe sich verlobte, hat sie bereits mehrere annehmbare Heirathsanträge ausgeschlagen, denn sie behauptet, es gebe nur ein Leben und nur eine Liebe. Wie der Papa noch immer rechnet, so dichtet sie fort und fort, aber immer noch ohne irgend Jemand die Ergüsse ihres Herzens mitzutheilen.

Kompagnon Herz ist ein schwärmerischer Verehrer Oskars geworden, und hat sowohl Theater als Börse dem solideren Geschäfte mit diesem geopfert.

Ein großer Schreck jedoch traf ihn bei einer Zeitungsnachricht über neue Finanzprojekte der Regierung, und mit blassem Antlitz stürzte er verstört in Oskars Zimmer mit den Worten: Wir sind ruinirt!

Er hatte gelesen, man werde die Besteuerung ihrer Fabrikation so erhöhen, daß sie sich nicht mehr halten konnten.

Aber Oskar beschwichtigte ihn auch darüber: Ruhig, edler Freund! Uns wird man nichts anthun. Ich bin mit den Herren dort oben so intim –

– Nein, ich denke, Sie sind brouillirt, –

– Ich habe nur das Spiel aufgegeben, seitdem ich in ihre Charten geschaut, aber gerade weil sie das wissen, so habe ich von unserer Freundschaft mehr als von jeder andern zu hoffen, daß sie bis an das Grab reichen wird. Ich werde unendlich liebenswürdig die Gefahren darstellen, die, durch, das projektirte Gesetz der Industrie drohen, und man wird darob schleunigst erschrecken und gewähren–, denn wir, werther Kompagnon, agiren mit Thatsachen. Und so sehen Sie in dieser kleinen ein Spiegelbild der großen Politik!

Cilly, seitdem sie von ihrem Stenio wieder gesehen und wieder verlassen ist, ist mehr als je die Freude ihres Vaters: sie hat endlich Anlage zum Tragischen bekommen. Es ist jetzt ein eigenthümlicher Schmerzenszug, der ihre Zerlinen charakterisirt, eine konvulsivische Ausgelassenheit, die das Publikum fanatisirt, und durch die sie, auch ohne Konnexionen der Prinzen, erreicht hat, was sie erstrebte, ein lebenslängliches Engagement.

Oskar endlich hat es verstanden, Edmunds kompromittirende Verhältnisse zu vertuschen, so daß diesem die Rückkehr ins Vaterland offen steht. Der junge Kolonist aber hat erklärt, er werde erst dann die alte Heimath aufsuchen, wenn dort des Mannes Ehrenrechte nicht mehr von Soubretten und Intriguanten abhängen. – Wann wird er wiederkehren?

*

Ende.

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Druck von Paul Schettler in Cöthen.

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