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2.
Cilly.

Der Baron mußte heute eine sehr gute Laune haben oder suchen, denn er spielte stets auf mehrere Karten mit den höchsten Summen, aber auch mit dem größten Glücke, so daß es noch lange nicht Morgen war, als die Gäste, über ihre Verluste aufgebracht, sich entfernten und Brandt, die Taschen voll Gold und Papier, lachend auf's Neue an den Weintisch ging.

Er sah sich nach Gesellschaft um, und siehe da, er brauchte sich nur umzudrehen, so saß er neben einem sonderbar mürrischen Graukopf, der ihm am Spieltisch schon aufgefallen war.

– Glücklich gewesen? frug er ihn?

– Unter ihrem Stern, mein Herr! ich merkte bald, daß Sie ein Sonntagskind seien, und setzte stets auf Ihre Karte.

– Bravo, so lassen Sie uns diese Genossenschaft von der Spielkarte auf die Weinkarte ausdehnen und zusammen vertrinken, was wir zusammen erspielt.

– Du lieber Himmel, ich bin ein einfacher Mann und trinke meinen Wein nur für den Durst, sagte der Alte, ließ es aber zu, als der Baron ihm Burgunder einschenkte mit den Worten: Nun, so trinken Sie mit mir. Wir haben jetzt rothen Burgunder, dann bleibt uns noch der weiße, dann der Champagner und zuletzt der Ungar in allen seinen Nummern von Aa über Ff und Jd bis Zz!

Wie gesagt, so gethan, und nach einer Viertelstunde waren die Beiden im lebhaftesten und scheinbar vertraulichstem Geplauder. Der Baron verstand es, wenn er eben wollte, mit einem Manne jeder Art sich zu amusiren; that er das bei dem Börsenmanne durch Verhöhnung, so versuchte er es jetzt durch Befriedigung seiner Neugier, was hinter diesem finstern Sonderlingsäußeren, dem es an Routine eines Roué's nicht fehlte, für ein Geselle stecken möge. Er hatte ihn denn auch bald zum Aufthauen gebracht und erfuhr nun, daß es ein ausgedienter Schauspieler sei. Das war doch immer schon eine Kuriosität, die sich einer Flasche Wein lohnte, und noch interessanter wurde, als der Alte von seiner schönen Tochter sprach, und wie erst freute der Baron sich seines Fundes, als er, seine Schlüsse aus dem Gespräche ziehend, dem Alten sagen konnte: Sie heißen Döbbelin.

– In der That, antwortete er, Vater von Cilly Döbbelin, unübertrefflich im Soubrettenfach. Und, wenn ich fragen darf, mit wem ich die Ehre habe? –

– Baron Brandt.

– Wir kannten schon einmal einen Baron Brandt.

– Der ich nicht sein kann. Eine große Familie, die Brandts. Ich – der Attaché von Brandt, mit keinem Anderen zu verwechseln!

Döbbelin sprach natürlich nur von seiner Tochter, die natürlich die erste Künstlerin Europa's war. Brandt hatte sie noch nicht gesehen, er war ein Mann, bei dem jede Neigung, jede noble Passion ihre Periode hat; jedes Ding trieb er entweder mit Leidenschaft oder gar nicht, und sobald eine solche Leidenschaft ihm zur Gewohnheit geworden, war sie ihm eine überwundene, eine Unmöglichkeit. So hatte auch er zu seiner Zeit die Theaternarrheit sehr lebhaft durchgemacht, aber jetzt seit Jahren nicht den Gedanken gehabt, ins Theater zu gehen. Das hielt ihn aber natürlich nicht ab, zu thun, als habe er Cilly in allen ihren Partien gesehen, um den Alten zu bitten, die schöne Tochter seiner tiefsten Verehrung zu versichern.

Papa Döbbelin ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern wurde schon nach dem ersten Male treuherzig, da er wohl gemerkt hatte, dieser Weltmann, dieser Mann bei Hofe könne ihm nützlich werden.

Neben den lichten, die aller Welt zur Schau getragen werden, hat das Künstlerleben auch seine versteckten dunklen Seiten, und diese letzteren schienen in Papa Döbbelin vereinigt. Alles, was von des Lebens Müh' und Noth mit der Kunst verwachsen ist, die Arbeit, welche zur Vollkommenheit, die Sorge, welche zur täglichen Existenz gehört, und alle jene finstern, materiellen Leidenschaften des Gewinnes und des Neides waren in den düstern Mienen dieses Mannes eingegraben, dessen Scheitel der Kummer früh gebleicht hatte. Mit dem Gelde seiner Tochter ging er auf die Börse und an die Spielbanken, um das, was sie schnell erworben, noch schneller zu vermehren. Sein Blick hatte stets etwas Lauerndes, um einen neuen Vortheil auszuspüren, und, wo er ein Lob von Miralinnen hörte, malte sich gelber Neid in seinem Antlitz. Es ist auch in der That ein schweres Loos des Bühnenkünstlers, und wer es nicht weiß, der ahnt es nicht, was es heißt, die Höhe, die man erreicht, tagtäglich erklimmen zu müssen, da es hier kein bleibendes Verdienst, nur ein Verdienst giebt, mit dem Augenblick gewonnen und mit dem Augenblick verloren. Und gerade jetzt stand Cilly's Künstlererfolg auf dem Spiele; seit vierzehn Tagen gastirte sie an der Bühne des Ortes, und von diesen letzten Rollen hing es ab, ob das in Aussicht gestellte Engagement vollzogen und ihr die Hoffnung auf eine ehrenvolle, für das Leben gesicherte Stellung als Preis ihres Strebens erfüllt werden sollte. Was für Intriguen aber sind für die Parvenüs zu überwinden, um in die lebenslänglich angestellte, für gewisse Rollen monopolisirte Künstleraristokratie eines Hoftheaters einzudringen! Und Herr Döbbelin brauchte nicht zu sehr zu übertreiben, um ein entsetzliches Bild von den Kabalen der Recensenten und Schauspielerinnen gegen das Engagement seiner Tochter zu entwerfen. Und ich, so schloß er seine Klagen, ich bin ein einfacher Mann, ich weiß meinen Vortheil nicht anders zu vertreten als durch Ehrlichkeit, und Ehrlichkeit – ja, die bringt vielleicht in den Himmel, aber nicht in ein Hoftheater.

– Meine Hand darauf, Ihre Tochter wird engagirt, so renommirte der Baron; ich will vergeblich meine ganze Diplomatie getrieben haben, wenn binnen acht Tagen Ihre Tochter nicht auf dem Zettel steht als neu engagirte königliche Hofopernsängerin. Und nun ertheilte er dem Alten, dem für die hiesigen Verhältnisse es nicht sowohl am Geschick zur Intrigue als vielmehr an Kenntniß der Persönlichkeiten fehlte, die praktischen Rathschläge, die ihm gerade in den Sinn kamen. Haben Sie, Dr. Stern, so frug er, in Ihr Interesse gezogen? Jedes Geschrei, selbst das seinige bleibt doch nicht ohne Erfolg.

Herr Döbbelin erwiderte, er habe das nicht gethan, weil seine Tochter es sich ein für allemal verbiete, Recensenten in das Haus kommen zu lassen, und am meisten diesen, der eben die Ursache zu diesem Entschlusse sei.

– Wie so das?

– Schon als sie vor 4 Jahren hier war, haben wir schlimme Auftritte mit ihm gehabt. Ihnen kann ich's wol erzählen. Er war täglich in unserm Hause und machte dem Mädchen die Kour. Ihr war er stets unausstehlich, aber gegen einen Recensenten, – du lieber Himmel, was sollte sie da thun! Sie konnte ihn nicht beleidigen, und den rechten zurückhaltenden Ton verstand sie auch nicht zu finden, – du lieber Himmel, Sie werden verstehen, Herr Baron, was das heißt Künstlerleben. –

Brandt freute sich über diese Ehrlichkeit.

Dr. Stern verstand es nicht, oder wollte es nicht verstehen; auf ihre Vertraulichkeit gründete er Rechte, au die sie nicht gedacht hatte; er erkannte ihr Talent und wollte sie heirathen; als sie himmelweit davon entfernt war, wurde er so insolent, daß wir seinetwegen die Stadt verlassen haben. Auch jetzt haben wir jeden Verkehr mit ihm verweigert und dafür verfolgt er uns in den Zeitungen, – o es ist ein Halunkenvolk, das ganze Theatervolk!

– Wollen Sie keinen Verkehr mit ihm haben, so schicken Sie ihm Geld!

– Dem Dr. Stern? O, das wagte ich nie. Er trägt sich sehr nobel.

– Um nicht mit Kleinigkeiten abgefunden zu werden. Auf meine Verantwortung, schicken Sie ihm baare Münze! Aber auch nicht zu viel, sonst lobt er so unverschämt, daß Sie in neue Verlegenheit kommen. Schicken sie ihm ein 10 Louis. Und dann um ihr Engagement zu beschleunigen, – Charles, geben Sie Papier und Tinte!

Der Kellner brachte das Verlangte. Der Baron schrieb; dabei frug er Döbbelin, wie hoch er hier engagirt sein wolle. Mit 2000 Thaler, antwortete dieser, und Brandt las dem Alten mit schlauer Miene einen Brief an den Intendanten eines andern Hoftheaters vor, indem er diesen bat, durch den elektrischen Telegraphen dem Fräulein Cilly Döbbelin einen Engagementsantrag von 3000 Thalern sogleich zukommen zu lassen, wobei er garantire, daß sie ihn durch Annahme nicht in Verlegenheit setzen solle.

– Morgen Abend, so wandte der Baron sich an den Komödiantenvater, haben Sie diese Depesche, wenn noch heute früh der Brief abgeht; damit wenden Sie sich sogleich an die hiesige Theaterintendanz und erzwingen einen Contrakt, so hoch Ihnen gut dünkt.

Das war für den Alten, der solche Künste längst kannte, ein Dienst von unschätzbarem Werthe; er fing jetzt erst an, die gedrückte Stimmung, die er bisher nicht hatte verleugnen können, völlig zu überwinden, sprach jetzt erst der Flasche eifrig zu, kam darauf von seiner glorreichen Laufbahn auf dem Theater zu sprechen, ja, ganze Scenen zu declamiren, und war endlich, als das Morgenlicht durch die Laden blickte, so außer Fassung gerathen, daß der Baron, über den possirlichen Herrn sich unterhaltend, ihn unter den Arm nehmen und wol auch nicht ganz ohne egoistische Absicht nach Hause führen mußte. Der Alte, wie es Berauschten häufig geht, war zärtlich geworden und konnte nun für diese Herablassung nicht dankbar und inständig genug den vornehmen Herrn bitten, in seine Wohnung hinauf zu kommen und bei ihm eine Tasse schwarzen Kaffee zu trinken.

Brandt, scheinbar nur der Nöthigung folgend, aber innerlich von der größten Neugier getrieben, stieg die Treppen mit hinan und schellte erwartungsvoll an dem porzellanenen Griffe.

Bei der Lebensweise unserer jetzigen Künstlerinnen darf man nicht mehr an die Genialität jener Heroinnen denken, die Tausende einnahmen, um Zehntausende zu verschwenden. Man ist auch in diesen Kreisen solide und praktisch geworden, und es giebt wohl nur noch wenige Theaterköniginnen, die nicht die Speculation mit der Romantik vertauscht hätten. So wie man eine Gage erreicht hat, hoch genug, um den Lebensbedarf zu decken, spart man Kapitalien, und so wie man ein paar Tausend Kapital erspart, trägt man sie zur Speculation zum Banquier, und sobald man erst speculirt und die Sucht nach Besitz sich eingefunden, spart man mehr und mehr. So hatte Papa Döbbelin, auch jetzt, wo ihm eine Gage von mehren Tausenden in Aussicht stand, während er äußerlich auf's Glänzendste sich eingemiethet hatte, nicht einmal eine dienende Person im Hause, und als auf das Schellen jetzt in der Dämmerstunde seine Thür sich öffnete, da erblickte der Baron als Pförtnerin Niemand anders, als Cilly mit verschlafenen Augen, geblendet vom Lichte, das sie in der Hand trug, und im unbefangensten Costüm von der Welt. Als sie den Fremden erblickte, schrie sie laut auf: Stenio! ließ das Licht fallen und verschwand hinter der geöffneten Thür.

Der Baron wurde nach diesem Anblicke erst wahrhaft menschenfreundlich gegen den altersschwachen Trinker und fand es durchaus nöthig, ihm auch ferner noch seine Begleitung in das Innere seiner Zimmer zu Theil werden zu lassen.

Cilly ließ sich nicht sehen; der Alte fluchte darüber in ärgerlicher Trunkenheit: sie solle ihre Gäste und ihren alten Vater nicht im Dunkeln lassen, – was ihre Toilette beträfe, so werde der Herr Baron sich darüber hinwegsetzen, das sei ein Weltmann, der mit Künstlern zu leben wisse.

Der Baron beruhigte den Vater, um sein volltönendes Organ hören zu lassen, und hatte dabei auch die Befriedigung, aus einem Geräusch an der Thüre zu vernehmen, daß die junge Dame darauf horchte. Nach kleiner Pause hörte er: Pst, pst! Papa! – und der Alte ging in das Gemach, wo der Baron ihn mit dem Mädchen flüstern hörte. Darauf frug der Vater durch die Thüre nach seinem Vornamen. Er hieß Oskar. Jetzt kam sie selbst an die Thüre und unterhandelte durch eine schmale Oeffnung derselben, ob er nie Stenio geheißen. Auf seine verneinende Antwort erschien Cilly in weißem Negligée und übergeworfener Mantille, das Licht in der Hand, das in ihren mattglänzenden Augen sich wiederspiegelte, mit einem Lächeln andeutend, daß sie sehr wohl der Sonderbarkeit dieser Situation sich bewußt war und daß das Andenken daran hervorzurufen ihr Vergnügen machte.

Um ihr Negligée nicht zu frei den beobachtenden Blicken des Fremden preiszugeben, drückte sie sich in die Sophaecke hinein, und indem sie ihre süße Schlaftrunkenheit nicht verbarg und in leichtem Frösteln sich schüttelte, erinnerte sie unwillkürlich an die behagliche Ruhe, der sie durch den Besuch entrückt war. Indem sie schüchtern dem Fremden winkte, neben ihr sich niederzulassen, frug sie lächelnd, nicht ohne Piquirtheit, was ihr so früh die Ehre dieses Besuches zu Theil werden lasse.

– Ich bringe Dir hier einen Freund ins Haus, sagte der Alte, den Spiritus an der Kaffeemaschine anzündend, und mit schwerer Zunge all die biedere Herlichkeit entfaltend, deren ein Heldenvater fähig sein muß, – einen Freund, wie wir ihn noch nicht gehabt haben. Der Herr Baron nimmt sich Deiner an, Du armes, verfolgtes, mutterloses Kind, daß es noch das Glück Deines Lebens werden soll. Wir können jetzt über Alles ruhig sein; vertraue Dich ihm nur an, er wird viel, viel für uns thun.

Der Baron sah sie an mit impertinent scharfem Blick, um wahrzunehmen, daß diese Worte auf sie einen Eindruck wie glänzende Münze machen würden. Aber er täuschte sich darin; Cilly wurde roth und offenbar verletzt. Sie hatte den Takt, Niemandem verpflichtet sein zu wollen, um keine ihrer Handlungen, am wenigsten die liebenswürdigen, sich als Dank ausgelegt zu sehen. Sie antwortete nur lakonisch: So? das dürft' ich kaum verdienen, – und er vermißte seitdem das lockend verschämte Lächeln, das bisher ihre Zurückhaltung aber auch ihre Aufmerksamkeit auf ihn an den Tag gelegt hatte. Sie behandelte seinen Besuch von jetzt ab als Etwas, worin durchaus nichts Auffallendes sei, wodurch ihr Benehmen das Verbindliche verlor, mit dem sie bisher diese Außergewöhnlichkeit der Störung gnädigst nachsichtsvoll zu gestatten schien.

Der Baron, dem nichts davon entging, fand in dieser Koketterie nur mehr Reiz und beobachtete sie aufs Schärfste, um die Tactik herauszufinden, die er ihr gegenüber einzuschlagen habe. Daß das kleine vis à vis nicht ohne Frivolität war, konnte er mit Bestimmtheit annehmen; aber er wußte, daß die Frivolität der frivolen Damen eine so unendlich mannigfache und mit weiblicher Zartheit in so unendlich vielen Graden vermischte sei, daß es – und darin fand er eben ihren einzigen Reiz – einer großen Kunst des Umganges bedarf, stets die richtige Tactik zu treffen, in dem einen entgegenzukommen und in dem andern nicht zu verletzen.

Man sprach, wie es in diesem Zustande zwischen Schlaf und Wachen auch in interessanter Gesellschaft oft unvermeidlich und immer noch interessant genug ist, über gleichgültige Dinge, Cilly noch gleichgültiger, als die Dinge es waren, mit geradezu beleidigender Einsilbigkeit gegen den Baron. Dieser aber freute sich, hier nicht der ordinären Emancipation begegnet zu sein, die nichts kennt als die Dankbarkeit für ein Armband oder eine Recension. Hier galt es, eine Eroberung zu machen, die einen Kampf, ein Aufbieten geistiger Manöver verlangte und – lohnte.

Der Papa, als echter Theatervater, entfernte sich, als er den schwarzen Kaffee wie in einer Junggesellenwirthschaft in zwei Tassen und einem Wasserglase servirt hatte; er ging, undeutliche Worte von »Müdigkeit«, »schönem Wetter« und »wahrer Freundschaft« lallend, ins Nebenzimmer, und nach wenigen Minuten hörte man ihn monotone Melodien schnarchen.

Cilly erklärte es für höchst sonderbar von Papa, sie allein zu lassen, sie verstehe es sehr schlecht, so unerwartet die Wirthin zu spielen.

Brandt beruhigte sie: er mache keine Ansprüche in ihre Gegenwart, als nur geduldet zu sein.

Als sie ihm zu verstehen gab, zu jeder andern Zeit werde sie zu solcher Duldung viel geneigter sein, hatte er durchaus keine Lust aus bloßer Höflichkeit diesen beneidenswerthen Platz zu räumen. Er war jetzt in der frühen Morgenstunde, wo sonst die Träume, anzufragen pflegen, ob sie Wirklichkeit werden dürfen, so recht in der Freude über dieses kleine Abenteuer, so recht in der unternehmenden Stimmung, es noch heute zu einer interessanten Wendung zu bringen. Er war schnell mit einer Lüge bereit, um das Unpassende der Zeit zu entschuldigen und zugleich der Entwickelung der Situation eine Beschleunigung zu geben. Er sei Diplomat, so plauderte er, schon der heutige Morgen könne eine Depesche bringen, die ihn von hinnen rufe, und er würde trostlos sein, aus der Stadt gehen zu müssen, ohne die Persönlichkeit einer Dame kennen zu lernen, deren Künstlerschaft ihn bisher so entzückt habe, und ohne zu wissen, ob er etwas thun dürfe, um sie hier in seiner Heimath zu fesseln.

Sie schien seine Anwesenheit sich gefallen zu lassen, aber ohne durch irgend ein bejahendes Wort ihm ein offenbares Zugeständniß zu machen.

Der Baron dachte an die zum Dejeuner zu erwartenden Gäste und fand es deshalb nöthig, so schleunig als möglich die Angriffe auf das Vertrauen seiner Nachbarin zu unternehmen. Ich habe meinen Beruf oft genug verdammt, so fing er an scheinbar absichtslos zu plaudern; heute hat er mir zum ersten Male wahrhaften Spaß gemacht. Ich hörte von ihrem Papa – was für ein herrlicher, lebenslustiger alter Herr, den mancher junger Cavalier sich zum Muster nehmen könnte! – ich hörte von den Intriguen, mit denen man Sie verfolgt, – o, das Theatervolk ist (hier wiederholte er die Ausdrücke, die er von den Mitgliedern desselben in wenigen Stunden gehört hatte) ein gesunkenes Geschlecht, eine Hallunkenbrut, ein kanailleuses Volk. Es muß aber doch höchst amüsant sein, durch Intrigue die Intrigue, durch Perfidie die Perfidie zu paralysiren. Sie verzeihen, daß ich so dreist bin, in Ihre Angelegenheiten mich zu mischen, – ich fange an, in der großen Welt an der Politik zu verzweifeln, so sagte er seufzend, vielleicht, daß ich in diesen kleinen Verhältnissen wieder mit ihr versöhnt werde! Die Zeit ist so arm an Ritterlichkeit, – es wäre eine schöne Ritterpflicht, Sie, mein Fräulein, gegen Ihre Feinde zu schützen, – wenn ich zu Ihrer Fahne schwören dürfte.

Cilly lächelte und warf ihm einen schnellen prüfenden Blick zu, und als er darauf ihre Hand erfaßte, um sie zu küssen, ließ sie es zu, wie zum Zeichen, daß die Prüfung nicht ungünstig für ihn ausgefallen sei.

Der Baron that mit seiner Zeit pressirt, er sprach noch mehr als einmal von der erwarteten Depesche, obgleich kein wahres Wort daran war; er zwang sie dadurch, die Beziehungen, die sie zu ihm etwa eingehen wollte, rasch einzugehen. Er bat sie, wenige Zeilen schreiben zu wollen, die er ihr dictiren werde.

Noch war ihre Bekanntschaft zu neu, als daß sie ohne leichte Umstände seinem Willen folgen konnte, sie wollte wissen, was sie schreiben sollte. Er war dreist genug, sie zu fragen: Sie haben kein Vertrauen zu mir? Sie war artig genug, das nicht zu bejahen, sondern sich nur mit Müdigkeit in so früher Stunde zu entschuldigen.

– So will ich es Ihnen bequem machen, sagte er und nahm von dem Tische, der in genialer Unordnung mit Kaffeeservice, Noten, Toilettengegenständen und Büchern bedeckt war, eine elegante Schreibmappe, um sie ihr vorzulegen. Als er die rothen Blätter derselben hin- und herschlug, sah er die mystischen Zeichen, die Cilly in träumerischer Spielerei hineingekritzelt hatte; da standen Namen mit Frage- oder Ausrufungszeichen, in einander geschlungene Buchstaben, mit Kränzen umwundene Verse, angedeutete Melodien, mit Noten gezeichnete Worte. Der Baron wollte eben neugierig in das Studium dieser Hieroglyphen sich vertiefen, da sprang Cilly, halb in Ernst erschreckt, auf, legte ihre zarten feuchtwarmen Hände über die Blätter und seine eignen Finger, biß sich wie im Zorn auf die Lippen und so verbot sie ihm schelmisch, ohne ein Wort zu reden, seine Blicke hineinzudrängen. Schon diese Situation war für den Baron ein Fortschritt; sie hatte ihm, dem Fremden, damit das Geständniß gemacht, daß sie Geheimnisse, zarte Geheimnisse hatte. Er widerstrebte nicht, sondern duldete andachtsvoll ihre Hände auf den seinen, bis sie endlich zu einem befehlerisch versuchten: Nun? sich genöthigt sah. Er sagte galant: Sind auch Ihre Hände geheimnißvoll? Da brach sie kurz ab und befahl: Nun, so dictiren Sie.

– Hochgeschätzter Herr, hochgeehrtester Herr Doctor! Sehen Sie es nicht als Nachlässigkeit und nicht als Böswilligkeit an, daß ich noch keinen Schritt that, Sie von Neuem um die Freundschaft zu bitten, deren Sie vor wenigen Jahren mich würdigten. Die Verhältnisse und der strenge Wille meines Vaters nöthigten mich, fern von allen Beziehungen mit der Außenwelt zu leben. Auch die Freunde, die sich in letzter Zeit, mehr oder weniger mit meinem Willen, mir genähert haben, habe ich bitten müssen, von nun an mich zu meiden –

– Was soll das heißen? Für wen soll das gelten? so unterbrach die junge Dame den dictirenden Baron.

– Bitte, erst schreiben Sie bis ans Ende, dann fragen Sie. Also: von nun an mich zu meiden. – Haben Sie? Weiter: Vergessen Sie mich, das ist das einzige Zeichen der Freundschaft, das ich von Ihnen erbitten kann. Vergessen Sie mich, – denn der Gedanke an mich, wenn sie mich kennten, wie es um mich steht, würde Ihnen nur ein mitleidsvoller, ein schmerzlicher sein. Ahnten Sie es, daß in der ausgelassenen Zerline ein brechendes Herz seine Verzweiflung austobt?

– Gott im Himmel, das ist ja fürchterlich! Das soll ich unterschreiben? Nein, das ist zu toll. – Aber eben weil es so toll war, schrieb sie mit Lust weiter.

– Doch keine Sentimentalitäten! Denken Sie stets als an eine unglückliche Freundin an mich zurück. Der Dank für das, was ich als Künstlerin Ihnen schuldig bin, begleitet diese meine Bitte. Ihre ewig dankbare Cäcilie.

Brandt faltete das Billet und dictirte auf die Außenweite weisend: Dem Herrn Dr. Emanuel Stern.

– Aber was wollen Sie damit?

– Ihnen den gefährlichen Menschen vom Halse halten.

– Aber der Dank, von dem Sie sprechen? Ich habe ihm Nichts zu danken für das, was er an mir gethan hat.

– Aber für das, was er an Ihnen thun wird, für die Recensionen, die er über Sie schreiben soll.

Während der Baron das sagte, suchte er allerhand Kassenscheine und Banknoten aus seinen Rock- und Westentaschen, und legte sie in den Brief.

– Um Himmelswillen, Sie machen ihn empört gegen mich! Dem Doctor Geld? Und Ihr Geld? so rief Cilly aus, im Ernst besorgt und unwillig.

– Auf meine Verantwortung, antwortete der Baron gelassen. Ich kenne die Kanaille. Daß es Geld ist, darüber können Sie ruhig sein; und daß es mein Geld ist, – für mich hat es keinen Werth. Ich habe es diese Nacht im Spiel gewonnen, und, statt es in der nächsten zu verlieren, demaskire ich einen Lumpen und suche eine sehr liebenswürdige junge Freundin vor einem Scandal zu bewahren, den man Ihrem Rufe anthun will.

– Meinem Rufe? Meinen Sie mich, Herr Baron?

– Ja wohl, ich meine Fräulein Cilly Döbbelin. Herr Dr. Stern und Banquier Herz haben ein Attentat auf Ihren guten Namen, mein Fräulein, beschlossen, und werden sich heute bei Ihnen zum Dejeuner melden lassen; derjenige der beiden Herren, der von Ihnen angenommen wird, natürlich nur zum Dejeuner, hat vom andern eine Wette von 10 Louisd'ors gewonnen. Doctor Stern brachte, um Ihre Freundschaft zu prüfen, das Dejeuner nach einem Ihrer Theaterabende, wie er sagte, eine alte Sitte von Ihnen, in Vorschlag – –

– Abscheulich, eine Wette, um mich, so rief Cilly empört aus, und Brandt freute sich über ihre Entrüstung.

Aber ehe man sich weiter aussprechen konnte, schellte es. Die Bedienungsfrau, die des Morgens die nöthigen Hausgeschäfte besorgte, und sich schon eingefunden hatte, brachte ein Billet an das Fräulein.

Cilly erkannte Sterns Hand. Durch ihre Erkundigung bei dem Boten war die Vermuthung bestätigt. Das Billet wurde nicht erbrochen, sondern, nebst dem von Baron Brandt diktirten, zurückgesandt.

Cilly ging krampfhaft aufgeregt von Zorn im Zimmer auf und ab. Eine wüthende Soubrette, – welch' kostbares Schauspiel für den Baron, der diesen Zorn ebenso interessant, als das dabei entwickelte Temperament für liebenswürdig hielt.

Es schellte wiederum. Wie durch die Spur eines ersehnten Wildes angewurzelt, blieb Cilly plötzlich lauernd stehen. Die Bedienungsfrau trat herein; mit den Mienen der erregtesten Spannung horchte die Empörte dem Namen, den sie nennen würde; sie nannte Banquier Herz, und die Mienen der Spannung verwandelten sich mit Blitzesschnelle in die des Abscheus und der Wuth.

– Fort, fort mit ihm! rief sie aus. Nie mehr vor meine Augen soll er kommen, der Treulose, der Verräther, das Ungeheuer, das wetten kann um Geld auf die Ehre eines Mädchens.

Die Rivalen hatte der Diplomat entfernt, aber auch zugleich in der gefeierten Donna eine Stimmung des Zornes und Mißtrauens erregt, die ihn seine Eroberung noch nicht genießen ließ. Er mußte sie zu erheitern und zu besänftigen suchen. Jetzt ist es meine Pflicht, so sagte er, die falschen Freunde als Ihr treuer Freund zu ersetzen. Was kann ich für Sie thun? Das Schwerdt als Ihr Ritter kann ich nicht führen; so ergreife ich die Feder.

– Was wollen Sie thun? so frug Cilly, noch mit ihrer Wuth beschäftigt, nur die nothwendigste Aufmerksamkeit dem Fremden schenkend.

– Schreiben, sagte er, und setzte die Feder auf das Papier, sich selbst diktirend: Nach langer Pause ging gestern des Meisters Meisterwerk endlich wieder einmal über die Bühne –

– Der Don Juan? – war erst vor acht Tagen! Die Fischer sang die Zerline! so sprach sie dazwischen, nicht wenig von dem Groll ihrer Stimmung in ihre Rede an ihn mischend.

Auch gut, erwiderte er. Also: Nach kurzer Pause ging gestern des Meisters Meisterwerk wieder über unsere Bühne. Die Besetzung der Zerline durch Fräulein Cäcilie Döbbelin, machte uns endlich den ungestörten Genuß des Don Juan in allgemein vollendeter Darstellung möglich –

– O pfui, das ist häßlich! Die Fischer – haben Sie sie nicht gesehen? – war keine schlechte Zerline!

Also, fuhr der Baron, ohne sich stören zu lassen, fort: Es sei ferne von uns, zu behaupten, als sei die Dame, die sich bis jetzt mit dieser Rolle bemühte, nicht eine in ihrem Fache vortrefflich gebildete Sängerin; aber neben dem Rechte der Anerkennung hat die Kritik auch die Pflicht der Zurechtweisung, und wir können im Interesse der Kunst und des kunstliebenden Publikums, dessen Stimme wir hier öffentlich zu vertreten stolz sind, nicht unterlassen zu erklären, daß erst gestern die liebenswürdigste Figur des genialen Tondichters in ihrem vollsten Reize und ihrer ganzen Tiefe uns vorgeführt ist. Fräulein Döbbelin –

– Haben Sie mich denn gestern gesehen? so frug Cilly scheinbar noch heftig; die innerliche Versöhnung aber schon durch ein unwillkürliches Lächeln verrathend.

– Wie kommen Sie darauf? Thut das etwas zur Sache? Weiter: Fräulein Döbbelin ist die einzige Zerline, die Deutschland im Augenblicke besitzt –

– Sie lügen aber großartig!

– Entweder gar nicht lügen oder großartig. Entweder gar nicht stehlen oder Millionen und Kronen stehlen. Also: einzige Zerline, die Deutschland besitzt; – aber nun haben Sie mich gestört; nun bin ich aus dem Text gekommen! – die Deutschland besitzt! Was soll ich denn noch sagen? Bitte, helfen Sie mir, schönstes Fräulein! Sagen Sie was soll ich sagen von Ihrer Zerline.

– Nein, das ist aber doch zu kolossal! Ich soll wohl die Recensionen über mich selbst diktiren? so lachte die Schöne auf, fast außer Fassung vor Verwunderung, aber auch die letzte Spur ihres Unwillens vergessend.

– Glauben Sie, daß das etwas Bedenkliches hat? frug der Baron mit unübertrefflicher Naivetät. Es ist wahr, nach rein juristischen Begriffen wäre es nicht ganz vereinbar, über sich selbst Gericht zu sprechen. Aber, du lieber Himmel, – ja, man kann eben nichts weiter darüber sagen als: Du lieber Himmel! und lachen und froh sein, daß man sich nicht von andern braucht recensiren zu lassen. Also weiter: – die Deutschland besitzt. Nur auf französischen Bühnen erinnert sich Referent –

– Wann waren Sie in Frankreich?

– Seit sechs Jahren vier Mal, aber allerdings kaum drei Mal in Theatern.

– Und Sie erinnern sich? –

– Darstellungen gesehen zu haben, die so geistreich waren und doch so naiv –

– naiv? lachte sie und warf ihm einen Blick zu, der ihm zeigte, daß er hierin nicht ungerecht gewesen und daß sie zugleich völlig von ihrem Grimme geheilt sei. Er fuhr fort: – so pikant und doch stets so graciös –

Sie lachte von neuem, jetzt ein klein wenig verschämt. Haben Sie mich denn wirklich spielen gesehen? Aber ehrlich, Herr Baron!

– Nun ehrlich, so ehrlich wie ich stets gegen Sie sein will, wenn Sie es erlauben, pedantisch ehrlich! Ich habe Sie in dieser Stunde zum ersten Male gesehen.

– Wissen Sie, das thut mir leid! Ich wäre auf solches Urtheil von Ihnen stolz gewesen, aber nun es nur eine Schmeichelei ist –

– ein Urtheil über Ihre künstlerische Persönlichkeit, wie ich sie so reizend vor mir sehe.

– So pikant?

– So graciös!

– Aber auch naiv, – das ist wieder eine Malice!

– Doch das »geistreich« machte mir den Muth, verstanden zu werden.

– Und ich bin in der That naiv genug über Ihr Urtheil zu lachen.

– Und geistreich genug, mir darin Recht zu geben? Dabei küßte er wieder ihre Finger einmal über das andere und wollte sie ganz in seiner Hand behalten. Sie aber entzog sie ihm mit den Worten: das wäre denn doch zu –

Damit brach sie ab und er ergänzte fragend: zu pikant?

– Wie Sie es nennen wollen! antwortete sie ernst und zurückweisend, und hatte sich aufs neue seinen Neckereien entzogen.

Er schrieb nun die Recension bis ans Ende fertig und fügte an die Zeilen, die bisher nur Cilly's Lob enthalten hatten, noch die Worte: Die übrige Besetzung und Ausstattung dieser unsrer Lieblingsoper ist in ihrer bis ins Einzelnste gehenden Vortrefflichkeit bekannt und beliebt genug, als daß wir Neues zu ihrem Lobe zu sagen brauchen. Nur nochmals unseren Dank an sämmtliche Mitwirkende, an die Sänger, sowie an das Corps de ballet, das Orchester und seinen genialen Dirigenten, vor allen aber der Hofintendanz selbst für diese wahrhaft klassische Aufführung der klassischen Oper.

– Das ist, so fügte er an seine Nachbarin hinzu, um gutes Vernehmen mit der Kollegenschaft zu erhalten. Und nun noch, um das ja nicht zu vergessen, eine Artigkeit für das Publikum: Ein besonderes interessantes und erfreuliches Zeichen bei dieser Ausführung waren die Beifallsbezeugungen des Publikums, mit denen es seine rege Aufmerksamkeit und sein tiefes Verständniß dieser genialen Darstellung bekundet und namentlich die leisesten Details pikanter Auffassung auszeichnete. Fräulein Döbbelin wurde wie viel Mal gerufen?

– Dreimal.

– Also sechs Mal stürmisch hervorgerufen. Die übrigen Mitspielenden im Verhältniß ihrer Verdienste gleichfalls mit Applaus geehrt. – So, nun sind wir fertig, sagte der Baron, die Feder bei Seite legend; noch heute gebe ich diese Recension dem Expedienten des literarischen Bureaus meines Ministers und sofort wird sie unter Ministerialsiegel an alle officiellen und halbofficiellen Organe befördert werden. Schade, mein Fräulein, daß Sie schon berühmt sind, wie schnell wollte ich Sie dazu machen.

Es war nicht bloße Koketterie, als Cilly ihrem Haupte die trauernde Maiglöckchenstellung gab, die ihr so allerliebst stand. Sie empfand es in der That wohl tief, als sie jetzt sagte: Ja, so wird man berühmt. Möchte man nicht fragen: wozu das Alles?

Der Baron sah sie tröstlich lächelnd an und sagte kopfschüttelnd: So sind nun die Menschen! Da rasen sie blind in die alltägliche Misere des Lebens hinein, und wenn sie einmal dazu kommen, darüber zu triumphiren, dann ziehen sie sich zurück mit dem Bewußtsein: ich bin es müde über Sclaven oder Kanaillen oder wer weiß was! zu herrschen. A la bonheur! Wir haben alle Honneurs und genug à tous, – nun denn, so lassen Sie uns weiter trumphen!

Der Baron, der heute im altgewohnten Elemente der Galanterien sich so recht wohl und sicher fühlte, hatte diese Worte mit der liebenswürdigen Aufregung gesagt, in die ihn eine durchschwärmte Nacht und die Nähe einer solchen Schönheit versetzen mußte und die ihm um so einnehmender stand, als sie durch den sarkastischen Zug seines Gesichtes in so echt männlicher Haltung erschien. Ein empfängliches Naturell wie Cilly es war, mußte schnell genug dadurch elektrisirt werden und es bedurfte nur noch weniger Galanterien, um sie, die nur der Heiterkeit gewohnt war, aus dem momentanen Nachdenken in jene Nervosität der Ausgelassenheit überspringen zu lassen, wie sie als der unwiderstehliche Zauber im Umgange aller Theaterkünstlerinnen zu gelten pflegt.

Brandt hatte im Eifer des Gespräches von den Büchern, die in Prachtbänden auf dem Tische vor ihm lagen, eines nach dem andern durchblättert und weggeworfen, bis er eines offen hielt und lachend vorlas:

      Sie hatten sich beide so herzlich lieb,
Spitzbübin war sie, er war ein Dieb.
Wenn er Schelmenstreiche machte,
Sie warf sich auf's Bett und lachte.

      Der Tag verging in Scherz und Lust,
Sie weinte vor Freuden an seiner Brust.
Als man ins Gefängniß ihn brachte,
Sie stand am Fenster und lachte.

     Er ließ ihr sagen: O komm zu mir,
Ich sehne mich so sehr nach Dir,
Ich rufe nach Dir, ich schmachte –
Sie schüttelte das Haupt und lachte.

      Um sechse des Morgens ward er gehenkt.
Um sieben ward er ins Grab gesenkt,
Sie aber schon um achte
Trank rothen Wein und lachte.

– Recht so! lachte Cilly und variirte die letzten Verse in: Ich aber trank schwarzen Kaffee und lachte,– und sie lachte so laut dazu, daß der im Nebenzimmer schnarchende Alte, für einen Augenblick im Schlafe gestört, einige der gewohnten Flüche stöhnte, die aber bald wieder in das vorige Schnarchen sich vermurmelten.

Das Mädchen sprang jetzt auf, schloß die halbgeöffnete Thüre leise zu, setzte sich dann wieder neben den Gast, rieb die Händchen aneinander, so daß sie marmorweiß wurden, sah den Nachbar lächelnd an und sagte neckend: Pikant?

– Und graciös! antwortete er, ihre Hand küssend.

– Lassen Sie doch, sagte sie mit einem Seufzer abwehrend, wir wollen die Gedichte weiter lesen. Die gefallen mir. Ich habe sie schon jahrelang auf dem Tische, aber noch nicht darin gelesen. Ich habe mir Gedichte immer anders gedacht, so von Herz und Schmerz, Thränen und Sehnen, wie ich es nicht leiden kann.

Er las weiter aus dem Buche und das gefiel ihr, wie sie sagte, weil es so »lebendig« wäre; sie wollte selbst ihr Köpfchen in das Buch stecken, und da kam es, daß sie mit des Barons Frisur und dann auch, vielleicht nicht ohne seine Veranstaltung, mit seiner Wange in Berührung kam. Da wollte er sie küssen; sie aber beugte fliehend sich zurück, und ließ ihm nur ihre Hand, die er wiederholt an seine Lippen drückte, und bedeutungsvoll sie anblickend sagte er: Wie ich die Schönheit liebe, wie ich die Liebe liebe.

Sie ertrug seinen Blick, und halb wehmüthig, halb neckisch, sagte sie mit komischem Seufzer: Ach, mein Stenio! Wenn Sie mein Stenio wären?

Cilly besaß im Gegensatz zu ihrem Vater all die heiteren Eigenschaften der Künstler, alle ihre ideellen, liebenswürdigen und leichtsinnigen Leidenschaften. Sie war in Wahrheit ein Glückskind, nur bestimmt glücklich zu sein und glücklich zu machen, lieber der Sorge und Strenge, mit der der Vater für ihre Existenz und ihre Ausbildung wachte, hatte sie sich zu dem freien ätherischen Wesen entfaltet, dem das Dasein nur zu Kunst und Genuß vorhanden ist. So ganz für Freude und Liebe lebend, war sie die Schönheit, die nur durch Schönheit, die Liebe, die nur durch Liebe zu gewinnen ist. Aber sie war nicht jene Liebe, die selbst nach Genuß verlangend Liebe herausfordert, sondern die schrankenlose Hingebung, die Kindlichkeit, die glücklich ist, beglücken zu können und als ein solcher Schatz von Reiz und Freude bewundert zu werden, – ein köstliches Spielwerk, das nur dazu da ist, um mit sich spielen und tändeln zu lassen.

Baron Brandt sah hier das Problem der schrankenlosen Frauenemancipation auf die schönste Weise gelöst, weil unwillkührlich und bescheiden, ohne jene Unkeuschheit der Tendenz, jene Frechheit der Ostentation, die ihre Entartung unter Polemik gegen die Gesellschaft und der Arroganz alleiniger Berechtigung zu maskiren versucht. Es gab für die Weise dieses Mädchens nur ein Recht, aber das unumstößliche, das Recht der schönen Individualität.

Der Attaché, ganz bezaubert von dieser freien Schönheit und schönen Freiheit, merkte, daß ihm das Abenteuer dieses Morgens wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht erschien, als er durch das Läuten an der Thüre wieder erinnert wurde, daß es doch beneidenswerthe Wirklichkeit war, was ihn umgab.

Die aufwartende Frau trat herein und überreichte ein Billet. Cilly, als sie es gelesen, jubelte auf: Ach, von der englischen Fioretti! Sie ladet mich auf Mittag zum Diner ein! O, sie ist liebenswürdig zum Verwundern!

– Und Sie wollen die Einladung annehmen?

– Ei warum denn nicht? Dort trinken wir rothen Champagner! Ach und rother Champagner! Sonst trinke ich ihn nirgends; Papa meint, der Champagner sei nicht gut für die Stimme. Wie gut ist er dran, daß er keine Stimme mehr hat!

– Und doch, meine pikante und graciöse, geistreiche und naive Freundin, Sie werden nicht gehen, auf mein Ehrenwort!

– Was fällt Ihnen ein?

– Mein Versprechen zu halten, daß ich Ihr Ritter sein will.

– Und Sie sind auch solch ein Pedant, daß Sie mir den rothen Champagner nicht lassen wollen? O pfui, ich hätte Sie für vernünftiger gehalten? Was hilft mir denn alle Stimme, wenn ich nicht leben kann, leben, leben, wie mir's gefällt! Nein, ich habe meine Gründe, zu ihr zu gehen, und ich werde gehen!

– Glauben Sie, daß ich Ihnen den Genuß des Lebens schmälern will? O, auch ich weiß, was es heißt, leben und leben lassen, – ja, meine Königin, das Leben ist so schön, und Sie sollen Champagner trinken, rothen und weißen, und Austern und Trüffeln dazu essen, so viel Ihre Stimme und Ihr Herz vertragen, und auch mehr, – aber nicht bei der Fioretti. Cilly, meine Freundin, meine Cilly, ich bin ein ehrlicher Mann, – nein, das kann ich nicht sagen, aber ich behandele Jeden, wie er es verdient, und verdienen Sie nicht von Jedermann mit Liebe und Aufopferung behandelt zu werden? Vertrauen Sie mir nicht? Habe ich vergeblich meine Aufrichtigkeit an Sie verschwendet? O, die Welt ist voller Lug und Trug; Sie, unschuldiges, mutterloses Kind, Sie ahnen nicht die Falschheit derer, die sich Ihre Freunde nannten, und in unglückseliger Verblendung, stoßen Sie den zurück, der allein für Ihr Heil und Ihre Ehre besorgt ist!

Der Baron hatte das Pathos angewandt, dessen auch ein Diplomat im angemessenen Momente fähig sein muß, und Cilly war Courtisane genug, um durch einen herzlichen Ton gerührt zu werden. Mein Gott, sagte sie beängstigt, was sprechen Sie? Was wollen Sie? Was soll ich thun?

– Geben Sie mir fürs Erste den gestern angekommenen Brief, der Sie vor Vater Herz warnt! so sagte Brandt mit Entschiedenheit, vom Sopha sich erhebend.

– Sie wissen ja aber Alles!

– Selbst das, wer ihn verfaßt hat.

– Etwa Sie selbst?

– Sie sehen, ich bringe meinen Rath persönlich an. Die Fioretti hat ihn geschrieben, um Sie mit Herz zu entzweien.

– Unmöglich. Das wäre zu falsch!

– Und doch wahr! Darf ich bitten, daß Sie mir den Brief geben?

– Hier ist er.

– Und rufen Sie nun wohl den Boten von Madame Fioretti herein?

Cilly, in Furcht und Spannung, folgte jedem Winke und rief hinaus: Wilhelm! Ein rothbäckiger, wie ein Affe ausgeputzter Laufbursche trat herein.

– Wann hast Du diesen Brief zur Stadtpost gegeben? fuhr der Baron ihn an.

– Gestern Morgen, sagte der Bursche, ohne Arges zu ahnen, nachdem er das Couvert betrachtet.

– So spät? Warte, das werde ich Deiner Herrschaft sagen!

– So spät? sagte der Bube trotzig, kann ich ihn früher abgeben, als ich ihn bekommen habe?

– Diesen Brief hier, sieh ihn genau an, hast Du ihn erst gestern früh von Deiner Dame erhalten?

– Eben diesen selben Brief, und gestern früh erhalten, so bestätigte der Knabe mit impertinentem Selbstgefühl dem Baron zu dessen größter Befriedigung.

– Gut denn, so entließ er den Knaben, sage Deiner Herrschaft, daß Fräulein Döbbelin den gestrigen Brief und die heutige Einladung empfangen habe und für beide herzlich danken lasse; sie wird wohl heute zu Hause diniren.

Cilly war im ersten Augenblicke von der Ueberraschung über diese Entdeckung so befangen, daß sie sich erst sammeln mußte, um zu sagen: Aber wie? Sie haben mich ja selbst vor Herrn Herz gewarnt? That die Fioretti nicht auch recht daran?

– Nur nicht bei der Absicht, in der sie es that. Sie will nicht Sie vor falschen Freunden wahren, sondern Ihre Partei schwächen; sie will den Herrn Herz mit Ihnen entzweien, um ihn für sich zu gewinnen; und während sie ihn hier verläumdet hat, hat sie ihn selbst, das weiß ich, um seine Freundschaft bitten lassen, nur, um Ihren Verdacht einzuschläfern, ist sie Ihnen gegenüber so grenzenlos zärtlich.

– O falsche, falsche Welt! rief Cilly aus, halb exaltirt, halb amusirt durch die Intriguen, die ihretwegen in Bewegung gesetzt wurden und ihr die Bedeutung ihrer Mittel zu erkennen gaben. Aber Baron, Sie thun nicht recht, das Alles mich wissen zu lassen. O Gott, Gott! Sie sind grausam, Sie verbittern mir das ganze Leben. Wo soll ich denn noch Freundschaft und Freude finden?

– Glauben Sie, so sagte der Baron jetzt mit weicher und gefühlvoller Zuversicht, glauben Sie, ich würde die falsche Freundschaft entfernt haben, wenn ich nicht wüßte, daß ich Ihnen die wahre Freundschaft bieten kann! Ich will Sie die Freude des Lebens erst lehren! Wenn Sie rothen Champagner trinken wollen, so trinken Sie ihn mit mir! Wenn Sie spielen, so werde ich Sie rufen lassen; wenn Sie Benefiz haben, werde ich Ihnen die Kränze werfen. So schön wie Sie und so gescheudt wie ich, – wir werden das ganze Theater im Schach erhalten. Nicht wahr, Cilly, ich werde – Ihr Stenio sein!

Bei den Worten: »so schön wie Sie und so gescheudt wie ich,« hatte sie ihn schon wieder hell angelächelt, aber die Erwähnung Stenios übte wieder den melancholischen Zauber auf sie aus; sie ließ das Köpfchen hängen und sah ihn nachdenklich träumerisch an.

– Nun, was werden Sie sentimental bei Stenio! Wer ist das, was ist das mit dem Stenio?

Cilly hatte den Takt, über ihre früheren Vertrauten stets Stillschweigen zu bewahren, sei es um nicht diese, oder nicht sich selbst zu verrathen. Sie sagte nur traurig: Sie sind ihm so ähnlich, – ich hätte Sie für Stenio nehmen können! Jetzt seufzte sie sogar, aber schnell sprang ihr Gefühl in eine andere Tonart über; sie schüttelte die verwüsteten Locken aus dem Gesicht, warf den Kopf in die Höhe und frug keck: Wie heißen Sie doch?

– Oskar –

– Richtig Oskar! O Oskar! lachte sie, das ist ja ein Theaterstück.

– Ganz recht, ein französisches Conversationsstück. Und Stenio ist eine Romanfigur, eine sehr sentimentale Romanfigur, mit sehr traurigem Ende. Lassen Sie die tragische Geschichte bei Seite und wählen Sie das Lustspiel. Bis auf das Ende mit Schrecken, kommt im Grunde in beiden dasselbe vor, Freundschaft und Liebe, Kabale und Intrigue, – nur in verschiedenem Tone, und ich dachte, der elegante Salonstyl wäre dem altmodischen Pathos vorzuziehen! Trauen Sie statt des Stenio einem Oskar!

Er streckte ihr die Hand entgegen, als wollte er einen Bund schließen; aber es war nicht ihre Art, auf irgend etwas einen Handschlag zu geben. Sie lachte ihm mit den verschlafenen Augen schelmisch entgegen und verbarg ihre Hände in der Mantille; als er sie aber dennoch dazu zwingen wollte, ließ sie sich lieber scherzweise auf die unvertheidigte Stirne küssen, als daß sie ihre Hand verpfändet hätte.

In dem Augenblicke trat der Alte herein. Der Baron, sonst nicht leicht seine Fassung verlierend, erschrak doch ein wenig bei seinem Anblicke, aber ohne Grund. Der Theatervater hatte vorher im anderen Zimmer gehustet, um sein Kommen zu melden; als das aber von den lebhaften Kindern überhört war, so rieb er sich beim Eintreten seine Theateraugen und wollte nichts gesehen zu haben scheinen, – wie konnte er auch gegen die Vertraulichkeit seiner Tochter mit einem Mann etwas einwenden, der ihm ein Engagement an einer königlichen Hofbühne versprochen hatte.

Der Alte bat den Baron bei ihm zu frühstücken. Ganz sans gène, sagte er, ein bischen Champagner, ein bischen Austern, – was man so im Hause hat.

Der Baron aber sah nach seiner Uhr. Mon dieu, so rief er erschreckt, dreiviertel Elf! Um Elf soll ich bei Excellenz sein!

Eiligst nahm er Abschied mit à revoir und eilte aus dem Zimmer, in dem er so schnell vertraut geworden und noch vertrauter zu werden hoffte.

Der alte Döbbelin aber, der Vater einer Tochter mit 2000 Thalern Gage in Aussicht, stellte einen Topf mit Wasser in den Ofen, that etwas Zwiebeln, etwas Fett vom letzten Sonntagsbraten und eine Hand voll Mehl hinein, um sich und seiner Tochter das Dejeuner zu kochen, das zugleich Mittag sein sollte, – was er so im Hause hatte.

*

 


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