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11.
Komödie und Katastrophe.

Mit dem Bewußtsein einer Sünde war Edmund aus dem Hause geschritten. Gewissensqual lastete schwer auf seiner Seele und doppelt schwer, weil sie eine doppelte war. Die frevelhafte That dieses Abends konnte ihm keine Ruhe gönnen; er suchte die Gegenwart zu vergessen; aber hatte er eine Hoffnung, ein Ziel der Zukunft, dem er freudig entgegen sehen konnte? In die Vergangenheit floh sein Geist zurück, und hier war es die zweite Gewissensqual, die in ihm auflebte. Das Bild der kleinen blassen Cilly, die er, durch die Bekanntschaft Adelens verlockt, so treulos verlassen hatte, trat drohend vor seine Phantasie, und schreckte ihn mit dem verzweifelten Gedanken, wie der Fluch dieses Verrathes hoffnungslos sein Geschick verwirrt zu haben schien. Wenn er diese Untreue nur wieder gutmachen konnte, dann hätte er wohl noch hoffen können, glücklich zu werden. O, daß er zurückkehren konnte zu dem phantasievollen Traume seiner ersten Liebe! – er hätte jetzt wieder das Glück seines Lebens in der naiven, kindlich heitern Seele finden können, den Fluch bannend, der seit jener Treulosigkeit mit lebenverzehrender Sehnsucht in jede seiner Adern Ruhelosigkeit eingenistet zu haben schien.

Fühlst Du, wie's klopfet hier?
Das helfe Dir!

So hörte er in seine trüben Phantasien hinein, durch die winterlichen Straßen schreitend, plötzlich von einer feingebildeten lachenden Mädchenstimme mit pikanter Betonung, neben sich die reizende Don-Juan-Melodie trillern. Er wandte sich gleichgültig um und erblickte, wie er schon Vielen begegnet war, auch jetzt wieder ein Pärchen, einen Herrn, seine Dame am Arme führend, und auch jetzt wieder, wie es bei Manchen geschehen war, flog von der Schönen durch die nur dämmernde Beleuchtung der Straßen ein blitzender Blick ihm zu. War es durch den koketten Triller, der ihn begleitete, oder durch innere magnetische Gewalt, dieser Blick traf, wenn nicht Edmunds Herz, doch sein Empfinden; und als derselbe Augenstrahl zum zweitenmale durch das Dunkel zuckte, konnte er nicht umhin ihr zu folgen. Im frischgefallenen Schnee sah er die Spuren, daß die Füßchen, die vor ihm gingen, auch in den Ueberschuhen noch bewunderungswürdig klein und schmal waren. Durch einen schnellen rückwärts geworfenen Blick hatte sie sich überzeugt, daß er ihr folgte; sie ging aber nicht schneller, um ihm zu entkommen, und indem er die vorige Melodie mit demselben Tone nochmals hörte, hatte er Zeit, darüber nachzudenken, ob er zufällig oder mit Absicht die Gelegenheit erhalten, beim Vorübergehen an einer Gaslaterne die graziösesten Knöchel zu betrachten, die er je gesehen zu haben meinte. Dabei bewies die Dame, was nicht weniger anziehend war, eine reizende Beweglichkeit, das Köpfchen mit dem flatternden Schleier hin und her neigend, an ihren Begleiter, einen alt erscheinenden Herren, sich aufs innigste anschmiegend, dann wieder auffällig nach dem Verfolger sich umwendend, jetzt trillernd, dann flüsternd, dann auflachend.

Edmund war durch dieses muntere Wesen aus seiner melancholischen Apathie so weit herausgerissen, daß er Neugier empfand, das Gesicht der kleinen Koketten zu sehen, und den Übermuth, selbst mit ihr zu kokettiren. Er machte das Manoeuver vorauszugehen, an der nächsten Gaslaterne stehen zu bleiben und hier, die Dame vorübergehen lassend, ihr scharf ins Antlitz zu schauen. Sie scheute vor seinem Blick nicht, und als sie vorüber waren, hörte er sie fragen: Ist er's? – Er ist es, war die Antwort des Herrn.

Neugieriger und dreister gemacht, wiederholte Edmund bei einer der nächsten Lampen seine Taktik und erhielt jetzt von der Dame, ohne daß sie in ihrem rascheren Schritte inne hielt, den gleichgültig schnippischen Gruß: Bon jour, Baron!

Er war erschreckt, erkannt zu sein, und stellte sich, als kenne er die beiden und sagte: Also habe ich mich nicht getäuscht; ich gehe desselben Weges; ich glaubte Sie zu erkennen, – obgleich er keine Ahnung hatte, mit wem er gehe.

– Sie gehen auch zum bal masqué et paré? Also dort muß man Sie suchen, wenn man Sie sehen will? Das war die nicht gerade freundliche Antwort der Schönen, und Edmund meinte an der Stimme zu merken, daß er sie kennen müsse. Um das Gespräch fortzusetzen, sagte er: Ich bin sonst nicht dort, – heute zum erstenmale.

– Nun, wo sind Sie denn sonst? Im Theater auch nicht, – o wenn es noch so voll ist, meine Bekannten, und wenn sie auf dem dunkelsten Platze sitzen, weiß ich alle herauszufinden, wenn ich will, Sie aber waren nie dort, falscher – falscher Stenio!

– Stenio? rief Edmund aus, und nun hatte er sie erkannt. Mit wildem Ungestüm, erschreckt und entzückt, rief er aus: Du? Du? Um des Himmels willen, wie ist das möglich, – Du?

– Du? antwortete sie schnippisch, sich abwendend. Seit wann sind wir »Du«? Herr Baron, Sie vergessen sich sehr, sehr weit.

– Sie zürnen, Cilly? Ja, und Sie haben Recht dazu. Ich habe gewissenlos, ich habe unverantwortlich an Ihnen gehandelt; aber nun ich mich nicht verantworten kann, können Sie mir verzeihn? Verlangen Sie von mir, was Sie wollen! Was soll ich, was kann ich thun für Sie? Es ist mir nichts zu viel, um Ihre Verzeihung, Ihre Liebe wieder zu gewinnen!

Edmund's tiefe innerliche Erschütterung, in der die Bewegungen seines Lebens in den letzten Jahren bis auf die des heutigen Abends wiederzitterten, prägte sich im bebenden Tone seiner Worte aus, und Cilly, im Glauben Baron Oskar, der nach jenem ersten Besuche sich nicht mehr um sie bekümmert hatte, stehe vor ihr, konnte nichts von solcher Innerlichkeit außerhalb des Theaters begreifen. Aber, mein Gott, lachte sie erstaunt, was ist Ihnen? Sie sind ja nicht wieder zu erkennen! Sind Sie krank? Haben Sie am Geiste Schaden genommen? O nein, es wäre zu schade um einen so gescheuten Mann! Was soll ich Ihnen für Vorwürfe machen? Daß Sie nicht wieder bei mir waren? Wissen Sie denn, daß ich Sie verlangt habe? Habe ich jemals Sie einladen lassen?

– Ja, das ist etwas Anderes. Aber auch das ist nur ein versteckter Vorwurf von Ihnen; das kann ich von meiner Cilly nicht glauben, daß sie ihren Stenio, so gar nicht vermißt hat –

So drang Edmund in sie und als sie den Namen Stenio von ihm gehört, da sagte sie in bebendem Staunen: Ihren Stenio? Wer lehrte Sie den Namen so aussprechen, – Ihren Stenio?

– Sie glauben, daß ich jemals ihn vergessen konnte, Stenio, den Namen, mit dem Sie selbst mich getauft –?

So fragte er und sie rief jetzt aus, lauter, als sie bei vollem Bewußtsein auf der Straße es sich hätte erlauben können: – Sie selbst getauft? Wie ist mir denn? Wer sind Sie denn? Ist es Ihnen möglich einmal ein falscher und wieder der wahre Stenio zu sein? Oder – Gott im Himmel, er selbst. – Stenio, Edmund, Du selbst?

– Ich, Dein Edmund, Dein Stenio selbst! erwiderte er und die erste Geliebte seiner Jugend hing nach fünfjähriger Trennung wieder an seiner Brust.

Cilly war, als er von der Universität zum Antritt der Staatslaufbahn zurückkehrte, das erste Mädchen, das er intimer kennen lernte, und auch das erste und, wie er damals meinte, letzte und einzige, das er liebte. In seiner Familie hatte er keine Gelegenheit gehabt, weiblichen Umgang zu genießen; Cordelie war noch ein Kind, und die Geheimeräthin von Brandt hatte damals noch keine Geselligkeiten im Hause als alljährlich die zwei oder drei Réunions der Kollegenschaft, bei denen aber nichts so wenig sich zu entfalten Gelegenheit hatte als weibliche Anmuth. So hatte der junge Referendarius, der Herz für Poesie und, wie es schien, Talent für Liebe hatte, die Laufbahn seiner weiblichen Bekanntschaften da eröffnet, wo sie am leichtesten und mit der geringsten Gefahr vor beschwerlichen Fesseln für die Zukunft zu eröffnen ist, – beim Theater.

Cilly war in der Residenz als sechzehnjähriges Mädchen bei dem bedeutenden Vorstadttheater für kleine Partien engagirt und der Zauber, der durch Schminke, Lampen und Kostüm einmal für alle die, die ihn nicht von nahe gesehn, auf das Koulissenleben geworfen wird, hatte gerade ihr die Verehrung des träumerischen jungen Barons zugezogen, weil sie als die bescheidenste und sittsamste des ganzen Personals ihm erschienen war. Es war das eine erste Liebe jener Art, von der er selbst zu Viktorinen gesprochen hatte, – die, schüchtern und blind zugleich, nur das Mädchen, das sehnsuchtsvolle Wesen liebte, nicht das Glück verheißende Weib, noch die bestimmte Persönlichkeit in ihm. Als er ein Jahr ihr Vertrauter gewesen, hatte er noch kein andres als ein kindliches Gefühl kennen gelernt, so daß ihm jede Theaterprinzessin noch als ein Engel erschien, und er hatte, wenn sein Geist auch wachend und träumend an ihr hing, sie doch noch nicht so weit beobachtet, daß er gewußt hätte, ob sie schwarze oder braune Haare und Augen, heiteres oder schwermüthiges Temperament hatte. Die kleine Schauspielerin war damals blaß, kränklich; man sah ihr den Hunger an und die Tyrannei ihres Vaters; und so war das Bild, das sie in Edmund hinterließ, das des Leidens, das stets Mitleid und Vorwurf in ihm wach rief, als er plötzlich sie verlassen hatte, gerade zu einer Zeit, wo sie durch Mißgeschick auf dem Theater in voraussichtliches Unglück gerathen mußte.

Edmund hatte damals in der Theaterloge, von der aus er mit der sittsamen Freundin liebäugelte, eine schöne Frau kennen gelernt, Adele, damals Witwe und reiche Erbin eines alten Banquiers, mit dem sie nur kurze Zeit verheirathet gewesen war. Wie mit jedem Manne hatte sie mit dem jungen Baron zu kokettiren angefangen, und dieser, noch mehr als jeder andere Mann, hatte darin eine außerordentliche Bevorzugung gesehen. In der That fühlte sie auch bei ihm zu Angriffen mit ihren bald schelmisch, bald schwermüthig lüsternen Augen sich mehr gereizt als bei den meisten anderen, weil sie wußte, daß die kleine Theaterdame seine Geliebte war. Diese überschwänglich gefall- und eroberungssüchtigen Frauen-Naturen, deren sie eine besonders begabte war, wollen nicht nur alle Männer wo möglich fesseln, sondern auch keinem andern Weibe das Recht bewundert zu werden zugestehen. In ihrem sentimental begehrlichen Hochmuth hielt die Fremde sich in Wahrheit für das einzige liebenswerthe Weib auf Erden und doch für das ewig unverstandene, unerreichbare; auf jede Neigung zu einer andern sah sie verächtlich hinab und lockte den Mann, als wolle sie ihn zu sich hinaufziehen, doch war sie auch wieder nie im Stande, an einen Mann sich zu verlieren, in verehrender Liebe sich hinzugeben, – sie hatte zu Edmund gesagt, sie werde ewig unglücklich sein, der Einzige, der sie hätte glücklich machen können, sei zu früh für sie auf der Erde erschienen, der Dichtertitane Byron!

Als sie bei den Unterhaltungen in der Theaterloge, in der sie häufig sich trafen, wie zufällig und übereilt durch einen Seufzer, eine flüchtige Bemerkung es Edmund verrathen hatte, daß bei ihr das Geheimniß der wahren Liebe zu finden sei, wußte sie durch eben so zufällige Fragen, bei denen sie sein Verhältniß zu der Schauspielerin durchaus nicht zu ahnen schien, ihn über deren Schönheit und Talent zu enttäuschen. Sie frug ihn, was hat die Kleine, die jetzt spielt, doch für Augen? Können Sie es mit dem Perspektiv erkennen?

– Schöne braune Augen, gab er zur Antwort.

– Schön sind sie, aber nicht braun, ich dächte grau, – aber schön, sehr schön mögen sie sein! erwiderte sie.

Und als er Cilly am andern Morgen sprach, sah er sich zum ersten mal genau ihre Augen an und fand, daß sie allerdings grau waren, wie die Dame gesagt, aber in der Nähe durchaus nicht schön, wie sie auch gesagt, sondern matt und farblos.

Ein andermal äußerte die gesprächige kluge Fremde, die stets Gelegenheit nahm, ihre Kenntniß und ihr Ahnungsvermögen fremden Seelenlebens zu offenbaren: es scheint ein liebes Wesen zu sein, diese kleine Anfängerin, – sie scheint mir gut, unendlich gut, aber eins fehlt ihr gewiß – Geist!

Edmund war innerlich empört, daß die Auserwählte seines Herzens, die doch die Vereinigung aller weiblichen und menschlichen Vorzüge sein mußte, nicht geistvoll sein sollte. Er widersprach der Dame lebhaft, berief sich jetzt darauf, daß er sie näher kenne; die Dame war erstaunt darüber, bleibt trotz dem wie aus hellsehendem Verständniß bei ihrer Behauptung und schloß endlich mit dem Nachbar das Übereinkommen, er solle ihr beim nächsten Zusammentreffen die geistreichen Bemerkungen seiner Freundin wieder erzählen, wonach sie beurtheilen wollten, wer Recht habe.

Der gekränkte Liebhaber gab jetzt sorgsam Acht auf jede Äußerung seiner Favoritin, aber es vergingen acht und vierzehn Tage und mehr und er konnte in der That nicht ein Zeichen von Esprit der Gegnerin als Triumph darbieten. Er erkannte erst jetzt, daß die Kleine nicht nur nicht Geist und Bildung, nicht einmal jene Feinheit des Benehmens besaß, – die ihm bei der fremden Theaterbesucherin erst in ihrem Werthe aufgefallen war. Er suchte ihren Umgang auf und lernte darin den bestrickenden Zauber, durch den die Neigung zu Frauen von der zu Mädchen sich zu unterscheiden pflegt.

Cilly, bisher nur in Vaudeville-Rollen beschäftigt, sollte sich, auf ihres Freundes Rath, der in ihr eine große tragische Künstlerin der Zukunft ahnen wollte, in einer größern Partie versuchen. Die neue Bekanntschaft, – Edmund lernte jetzt ihren Namen Adele kennen – sagte voraus, sie werde Fiasko machen, und in der That sie machte Fiasko, – er aber ahnte nicht, daß die Klaque, die das Misfallen über die verfehlte Rolle in lauten Verhöhnungen äußerte, von der eifersüchtigen Witwe gemiethet war. Mit der Enttäuschung über ihre Künstlerschaft verlor Cilly den letzten Reiz für ihn. Er gehörte Adelen an, um zu erforschen das Geheimniß ihrer Liebe und zu erfüllen den titanenhaften Drang ihres Herzens.

Cilly hatte er seit ihrem Fiasko nicht mehr gesprochen. Er erfuhr nur, daß sie durch dasselbe, statt ein glänzenderes zu erreichen, auch ihr geringes Engagement verloren hatte, und als er ihr eines Tags – es war kalter Winter – auf der Straße begegnete, sah er an ihrer leichten Kleidung, daß sie ihre besseren Sachen verpfändet haben müsse; Scham, Noth und Kummer malten sich in ihrem Antlitz. Er suchte am andern Tage ihre Wohnung auf; sie war so eben mit dem Vater daraus verschwunden, und so blieb sie in Edmunds Gedächtniß zurück, wie sie elend durch den eisigen Wintersturm mit einem alten Strohhut und zerrissenen Mäntelchen eilt. In seinen Träumen sah er sie in Noth verkommen oder am gebrochenen Herzen sterben.

Und nun findet er sie wieder, lachend, hüpfend, jubelnd! Mit freudiger Zuversicht konnte er sie fragen: Und es geht Dir gut? Wie lebst Du, Cilly, und wo?

– Ei, ich bin ja beim Hoftheater!

– Und hier?

– Schon den ganzen Winter!

– Ich war hier, aber habe nie Deinen Namen gehört.

– Ja natürlich! Ich heiße jetzt nicht mehr Cilly Schultz wie damals, nach meiner Mutter, sondern seit ich mit diesem Namen Fiasco gemacht, nenne ich mich nach meinem Vater Cilly Döbbelin.

So fing sie an von ihren Schicksalen zu plaudern und erzählte mit Triumph von ihrem glänzenden Engagement und ihren enormen Erfolgen am Hoftheater, obgleich sie sich innerlich nicht verschweigen konnte, daß dieselben in der letzten Zeit nachgelassen hatten und daß sie, um nach Ablauf der Saison eine Erneuerung des Kontraktes sich zu sichern, nach anderen Unterstützungen als denen des Publikums allein sich umzusehen genöthigt war.

Sie konnte dabei nicht ahnen, wie jedes ihrer heitern Worte, ihr Spitzenschleier, der seidene Mantel, und die honette Garderobe ihres sie begleitenden Vaters tiefgefühlte Wohlthaten für das gewissenhafte Gemüth ihres treulosen Geliebten waren. Wie centnerschwere Gewichte fiel es ihm vom Herzen; frei athmete seine Brust wieder auf. Die Geliebte war nicht im Elend umgekommen, nicht am gebrochnen Herzen gestorben; sie war schön und glücklich, denn sie jubelte, und sie hatte ihm verziehen, denn sie küßte ihn. O diese Befriedigung, die Jugendgeliebte nach jahrelanger, schmerzensvoller Trennung an sein Herz drücken zu können! Sollte nach all den schweren und bittern Erfahrungen der großen Welt sein Leben den Kreislauf beschließen zurück in die trauliche Idylle der ersten zarten Neigung seines Herzens?

Cilly mußte ihrem ganzen Herzen nach noch ihm gehören und gehören können, denn sie zauderte nicht, auf dem nächsten Platze von dem betretenen Wege abzulenken und dort dem Freunde Gelegenheit zu geben, ihr Antlitz mit Küssen zu bedecken. Ja sie bat ihn, sie auf den Ball zu begleiten, den sie besuchen wollte, und dort ihr Herr zu sein. Der Alte schien einen Einwand machen zu wollen, sie könne das dem Herrn Baron nicht zumuthen und er werde in der Gesellschaft, die sie dort erwarteten, sich genirt fühlen; sie aber erwiderte entschieden: so bleiben wir für uns! Und Edmund freute sich auch hier, den Vater, der das Mädchen früher tyrannisirte, nun, da sie so hohe Gage bezog, unter dem Willen der Tochter stehend zu sehen.

Der Ball, auf dem man sich begab, war eine jener öffentlichen Réunions im größten Lokal der Residenz, die als bal paré et masqué an den Ecken in riesenhaften Lettern angekündigt wurden, um die Genußsüchtigen aller Stände für die Stunden einer Nacht zu vereinigen. Edmund mußte in der Garderobe sich mit Domino und Larve versehen.

Und als er mit Cilly, die ebenfalls verlarvt war, in den Saal trat und mit ihr in die Reihen der Tänzer sich mischte, hatte er Gelegenheit, ihre Schönheit, die sich seit seiner Trennung erst entwickelt hatte, zu bewundern. Die Vollendung des weiblichen Reizes, die er bei Adele damals kennen lernte, sah er jetzt aus der Knospe entfaltet, und er fühlte sich entzückt von der glückseligen Sicherheit, die über das Zagen und Bangen mädchenhafter Schüchternheit den Sieg davon getragen hatte. Als er sie strahlend von Schönheit und zitternd vor Lust unter dem Rauschen eines gewaltigen Orchesters durch den weiten Saal tanzend entführte, war es ihm, als könne er Adelen jetzt verschmähen und Viktorine ersetzt sehen.

Man hatte eine von den Nischen zu ebener Erde, die, durch einen Vorhang zu schließen, Raum für eine kleine Tafel enthielten, in Beschlag genommen und setzte sich zum Souper. Cilly wußte auf der Weincharte vortrefflich in den Champagnersorten Bescheid und verstand es sehr wohl, ihre Lieblingsfirma sich auszusuchen. Sie selbst entkorkte die Flasche, freute sich kindlich über das Springen des Pfropfes und das Sprudeln des Getränkes, als wenn sie das zum ersten male sähe, und konnte nicht aufhören Lieder zu trillern. Als Edmund, um diese sprudelnde Heiterkeit sie beneidend, mit forschendem Blick sie anstarrte, sang sie ihm die Arie der Zerline, deren Schluß er erst gehört hatte:

Wenn Du fein fromm bist,
Will ich Dir helfen;
Ich weiß ein Mittel
Für Alles gut.

Dabei blickte sie ihn mit einem schelmisch innigen Blicke an, der ihm bis in die innerste Seele drang. Und sie fuhr fort:

Es schmeckt so lieblich
Und hilft so plötzlich;
Du sollst Dich wundern.
Wie wohl Dir's thut.

Sie senkte in neckischer Verschämtheit die Augenlider und lehnte, ihr Gesicht verbergend, sich an seine Schulter, ohne deshalb das Lied abzubrechen:

Ach, das zertheilet,
Lindert und heilet
Alle Beklemmung
Und allen Schmerz.
Soll ich Dir's nennen?
Das Händchen her!
Räthst Du heute
Denn so schwer?

Und seine Hand an ihr pochendes Herz drückend, schloß sie lachend:

Fühlst Du, wie's klopfet hier?
– Das helfe Dir!

Ach, da ist er, da ist er, da im schwarzen Domino! so rief sie plötzlich zum Vater, durch die Gardinen in den Saal zeigend, und Edmund erfuhr aus ihrem Gespräche, daß ein Prinz die Gesellschaft war, der sie entflohen war. Er schien aber seiner nachdenklichen Miene nach nicht das Opfer zu würdigen, das sie mit ihrer Gesellschaft ihm brachte, und keine bewundrungswürdige Tugend darin zu finden, daß sie, um ein lebenslängliches Engagement zu erhalten, mit einem Prinzen sich zwar liirt hätte, aber doch auch um ihrer Jugendliebe willen diese Liaison aufs Spiel setzen konnte.

Sie aber schmiegte sich inniger an ihn an plauderte freier und freier. Engels-Stenio, so rief sie aus, was bist Du schön! Du bist ein Mann geworden; Du hast einen Bart bekommen, – und was für einen Bart! Um den Bart liebe ich Dich noch zehnmal mehr! O, und jetzt wollen wir uns erst lieben, nicht wahr? Ach, wenn ich denke, wie wir kindisch damals waren, wie wir Blumenblätter in die Noten legten und die Sterne zählten und von Mondsüchtigen sprachen und von Träumen, und Gedichte lasen – damals durfte ich nicht lieben, Papa wollte es nicht haben, weil ich tragische Liebhaberin werden sollte; aber jetzt bin ich Soubrette, da darf ich und soll ich lieben, wegen der Stimme und wegen des Temperamentes – nicht wahr, strenger Papa? – Aber Du wirst mich jetzt lieben, Edmund! Oder, – ach! das wäre eine schöne Geschichte! – Du bist doch nicht verheirathet, daß Du so stumm bleibst, und mich so traurig ansiehst? Nein? Du bist nicht verheirathet? Gott sei Dank! Du brauchst auch nicht zu heirathen! Ich werde Dich lieben, wahrhaftig um Gott! und wenn Du es willst, auch Niemand außer Dir! Ich bin thörigt darum, denn Du bist mir gar nicht mehr gut! Du sprichst nicht zu mir und küssest mich nicht. Aber ich bin einmal in die Brandt's vernarrt und wenn ich ganz närrisch darüber werden soll, ich liebe Dich. O, und ich will's schon anstellen, daß Du mir noch wieder gut wirst! Bin ich nicht hübscher geworden seit dem, wie? Und Lebensart habe ich auch gelernt! Und – Aber so sieh mich doch an, sei doch vernünftig gegen mich, Edmund, Du mußt mich lieben! Und wenn Du mich nicht liebst, so sag' mir's wenigstens nicht. Dann laß mich Dich lieben, Dich Edmund, in den ich verliebt bin, das es eine Narrheit ist, und der allein mir doch lieber ist, als alle Männer der Welt zusammen! Aber wenn Du Dir gar nichts mehr aus mir machst, dann bin ich unglücklich, entsetzlich unglücklich!

– Du unglücklich? lachte Edmund, – o Du allerglücklichstes Kind der Erde!

– Du lachst mich aus? so brach sie fast in Thränen aus; – ja, das hat man davon, wenn man liebt! Glaubst Du, das werde ich mir von einem anderen Manne gefallen lassen? Aber das ist ja eben das Unglück, das grausame Unglück, daß man nicht mehr grausam sein kann, wenn man liebt.

– Nein, Kind, nein, erwiderte er mit Zärtlichkeit; ich lache Dich ja nicht aus, ich bewundre Dich, ich juble über Dich und Deine Liebe. Das ist eine Liebe! So muß wohl die Liebe sein, und jetzt erst weiß ich zu leben und zu lieben. Wie Centner fällt es mir vom Herzen, wie Schuppen von den Augen, wie Fesseln von den Händen. Ja, laß Dich fassen, Du faßbare, liebreizende Wirklichkeit! Nein, nein, das Leben sei kein Traum, das Leben sei klarstes Bewußtsein, erwachte Berechnung! Das Leben ist ja so leicht, so frei, so süß! Das Leben eine Komödie, und die guten Komödianten sollen leben!

Er nahm sie nicht in seine Arme, aber sie küßte ihn, während der Alte wie zufällig vor die Oeffnung des auseinander fallenden Vorhanges sich stellte, und sie jubelte vor schrankenloser Freude zitternd: Edmund, Du liebster Mann! Du meine erste Liebe, die mir die liebste Liebe ist!

– Setz' Deinen Hut auf und nimm die Larve vor. Der Contre beginnt, wir wollen tanzen! So fuhr sie fort, aber plötzlich rief sie aus: Der Prinz, der Prinz! und war verschwunden.

Sie eilte durch den Saal, weniger der Hoheit zu entfliehen, als sie zu necken. Denn bald kam sie ihr nahe, rupfte sie am Domino, an der Perrücke, flüsterte ihr »Hoheit!« ins Ohr und war dann, ehe sie erhascht worden, entwischt. Ermüdet von dem Jagen, erhitzt von der Lust, kehrt sie endlich in ihre Nische zurück. Aber da ist kein Stenio mehr. Sie wartet; aber es kommt kein Stenio. Sie schaut überall um sich; aber sie sieht keinen Stenio. Schon zerstreuen sich die Gäste. Der Vater, trunken von Wein und Müdigkeit, mahnt lallend aufzubrechen. Sie weicht nicht von der Stelle, bis die letzten, den vereinsamten Saal mit den verlöschenden Gasflammen verlassen, und muß endlich weinend dem Vater folgen, ohne Stenio und ohne Prinzen!

Kopf und Herz berauscht von Musik, Champagner und Cilly's Athem, so kehrte Edmund vom Balle, aller Gewissensqualen entledigt, in seine Wohnung zurück.

Er fand ein anonymes Billet vor, in dem er die Antwort auf die der Präsidentin gesandten Briefe und Gedichte erkannte. Es wurde ihm lakonisch angezeigt: wenn er den Ring, den sie bei dem Unglück jener Kavalkade ihm anvertraut hatte, ihr ebenfalls zurückstellen wolle, so werde er sie den kommenden Morgen zu seinem Besuche vorbereitet treffen.

Er zauderte jetzt nicht, der verführerischen Einladung zu folgen. Wollte er doch jetzt seine Carrière nicht mehr bei Seite liegen lassen, und so mußte er, um sie mit Erfolg fortzusetzen, wie er sie angetreten, sich durch Neigung die Vergünstigungen der Excellenz erschmeicheln, die er bisher durch den Besitz ihrer Briefe ihr abgetrotzt hatte.

Im Triumphgefühl über das Glück seines gestrigen Abentheuers, das er jetzt vor sich selbst für kalt berechnete Komödie ausgab, schritt er, auf dem schon zum zweitenmale betretenen Wege von dem Kammermädchen geführt, in das elegant trauliche Boudoir, ihm ebenfalls von jenem Abende her bekannt, wo er hinter dem Thürteppich die Umgangsweise der Excellenz mit »ihrem Attaché« zu belauschen Gelegenheit gefunden.

Adele, die mit derselben künstlerischen Berechnung, mit der sie ihr ganzes Leben arrangirte, auch ihre Toilette und ihre Mienen zu wählen verstand, um den Eindruck hervorzubringen, den sie eben beabsichtigte, lag in weißem Morgenkleide auf dem gelben Sopha hingestreckt, das Antlitz, bleich, unschuldsvoll, tiefsinnig, auf die Hand gestützt, das Auge auf Blätter, in denen Edmund seine Gedichte erkannte, unverwandt gerichtet, damit sie von seinem Eintritt überrascht erscheinen konnte. Auf den weichen Teppichen half es ihm nichts, als er, um sich bemerklich zu machen, zwei Schritte näher trat. Er mußte sie anreden, und mit bescheiden leisem Tone sagte er maliciös höflich: Gnädige Frau haben befohlen –

Jetzt schrak sie zusammen, so daß er das Erbeben bis in ihre Fußspitze verfolgen konnte. Sie richtete ihren Blick auf ihn, es war heute der feucht verschwimmende, tief melancholische Blick, und nur wenig veränderte sie ihre mehr dem Geschmack der Phantasie als der Etikette entsprechende Lage, indem sie leise die Füße mit den gelben Saffianstiefeln vom niedrigen Kanapee auf den Boden gleiten ließ. Die Augen niederschlagend, sagte sie mit sanft vorwurfsvollem Tone: befohlen –?

– Ich dächte doch, meine Gnädige, – oder sollte der Brief heute, der allerdings nicht unterzeichnet war, nicht von Ihnen sein? Ich konnte nur an Sie denken. Es wäre wohl möglich, daß ich anderweitige Einladungen erhalte, aber – eines Ringes wegen? Da konnte ich nur zu Ihnen kommen.

– Also nur weil ich befohlen habe? Nun allerdings, was haben Sie auch sonst für Interesse, zu mir zu kommen! Es gab andere Zeiten, als Sie mich aufsuchten, ohne daß ich Sie zu befehlen brauchte. Aber freilich. Sie sind ja ein so junger Mann; der muß der Welt, dem Leben angehören; und ich lebe ganz zurückgezogen, ganz verlassen, – was könnten Sie bei mir suchen? Sie sind ja nicht anders, als die Männer alle sind!

Auf ihre ausweichenden Worte bei jener unglücklich endenden Kavalkade sich beziehend, erwiederte Edmund: Ich hatte ja kein Recht, Sie aufzusuchen.

Kein Recht? Gab ich Ihnen nicht die Gelegenheit? Mußten Sie nicht kommen, um meine Rechtfertigung anzuhören?

– Ihre Rechtfertigung? Hatten Sie sich zu rechtfertigen? Und vor mir? Ich wüßte nicht weshalb; ich wußte nur, daß es meine Pflicht war, Ihre Pflichten zu achten, die Sie selbst übernommen.

– Sie sind bitter. Ach, ich bin – doch nein! Ich darf, ich will nicht reden, wie Sie einst es thaten.

Dabei ließ sie eins von den Blättern zur Erde fallen, auf denen Edmunds Verse standen, und sah zu demselben nieder mit bezaubernd trauerndem Ausdruck, so innerlichst leidend und gebrochen, daß er über die Veränderung erschrecken mußte, die mit ihr vorgegangen war seit wenigen Tagen, wo er sie noch stolz und strahlend durch die Straßen reiten sah. Er hatte diesen wunderbaren Wechsel ihres ganzen Wesens, das, gestern sprühend von Gluth und Lust des Lebens, heute in anscheinend unheilbare Lebensunfähigkeit zurückgesunken sein konnte, schon oft an ihr wahr genommen, und das eben war das Bestrickende in ihrem Umgange, erkennen zu müssen, daß die Unstätigkeit ihres Charakters nicht in bloß oberflächlicher Berechnung lag, sondern gegen ihren besseren Willen oft mit dämonischer Gewalt sie fortriß. Die Lockung, das Lebensräthsel dieser Sphinx zu lösen, war es, was mit Lebensgefahr seines Herzens ihn immer wieder in den magischen Kreis ihres Blickes führte.

Edmund freute sich jetzt der Herrschaft, die er, wenn nicht über sie, doch über sich selbst gewonnen hatte. Er folgte nicht dem verführerischen Blicke auf seine Lieder in die Stimmungen ihres alten leidenschaftlichen Einverständnisses, aus dem empor die wilde Gluth jener Poesien ihm aufgeflammt war; er wich sarkastisch galant aus: Gnädige Frau, ich habe bei Ihnen selbst den Conversationston gelernt.

Sie schwieg, indem er mit dem erworbenen Beobachtungsvermögen ihre Persönlichkeit betrachtete und mit ihrer früheren Erscheinung verglich. Sie war nicht mehr, wie damals, als er sie kennen lernte, in vollster frischer Blüthe, sondern die Blume, die schon sanft das Haupt senkt, und gerade diese Wehmuth, diese Trauer, über den Abschied von der Jugend gab ihr einen neuen, seltsam pikanten und elegischen Reiz. Edmund überlegte es sich, daß mehr als prangende Schönheit diese sanfte Mattigkeit, mehr als herausfordernde Koketterie dieses Verheißen unendlich zarter Schmiegsamkeit bezaubern müßte. Ja es kam ihm der Gedanke auf, ob ihr ewig flüchtiger Sinn nicht jetzt ermüdet der Anhänglichkeit fähig sein und die Liebe, die er noch eroberte, bewahren sollte. Wenn der Kummer, der aus ihren Augen sprach, das Flehen um Vergebung gewesen wäre! Wenn er, wo er so lange und unerhört angebetet hatte, da nun selbst gewähren, vergeben konnte! Wenn ihr Sinn so sanft und weich geworden wäre, wie er wußte, daß die Muskeln ihres Armes sich anfühlten, und er wäre nun der Stärkere, der charaktervolle Geist, an dem sie sich aufrichten wollte! Das war ein Gedanke, von dessen berauschendem Einfluß Edmund im Bewußtsein seiner Freiheit sich anmuthen ließ, und mit Wohlbehagen badete er sich in dem elektrischen Strome, den jeder ihrer Blicke über ihn ergoß, indem er mit dem beherrschenden Blicke und dem sarkastisch freundlichen Lächeln, das er von Oskar gelernt hatte, in geläufiger Unterhaltung vom Theater sprach, von Concerten, von Bällen und wieder vom Theater, um seine Jugendgeliebte zu erwähnen, die er in der leidlich beliebten Soubrette Cilly Döbbelin wieder erkannt habe. Mit vielsagendem Lachen erzählte er von der Entwicklung ihrer Schönheit, von der Art von Gesellschaft, in der er mit ihr gewesen sei, und ging so weit, sie zu loben; in ihrer Art das beste Geschöpf! ehrlich ist sie, das muß man ihr lassen, und klar über sich selbst: sie weiß, was sie will. In der Liebe muß sie wenigstens eins sein, – bequem, unsagbar bequem, und das hat bei dem Manne unserer Zeit, den das Amt mit Geschäften überhäuft, auch etwas für sich.

Daß Edmund einen solchen Ton, in dem sie mit Andern vielleicht schon, aber nie mit ihm gesprochen hatte, gegen sie einzuschlagen wagte, empfand sie tief und besonders schmerzlich gerade jetzt, wo die Zeugnisse seiner reinen und heftigen Leidenschaft in ihr, wenn nicht eine Umwandlung, so doch eine Erschütterung herbeigeführt hatten, die für die Schicksalskrisis, in der sie sich befand, entscheidend zu werden drohte. Schon hatte sie Nächte hindurch in thränenvollem Seelenkampfe über diesen Blättern gewacht; nur mit Mühe konnte sie bei seinem Eintreten Gelassenheit ihm entgegensetzen und wenn auch heute bei ihr etwas affektirt war, so war es die Ruhe, nicht das Leiden, und bei diesen tödtlich beleidigenden Worten, die Edmund wie spielend und kosend mit lachendem Munde um sich warf, konnte sie der Macht und Wahrheit ihrer Stimmung nicht mehr Herr werden. Edmund sah ihren grazienhaften Busen gewaltsam sich heben, leises krampfhaftes Schluchzen drang unter dem Tuche hervor, mit dem sie ihr Antlitz bedeckte, und eine Thräne sah er darunter an ihrem Arme entlang perlen, bis der feine Battist des Kleides sie aufgesogen hatte.

Er achtete ihren Schmerz, indem er schwieg. Er blickte sie noch unverwandt an, aber sein Auge war nicht mehr triumphirend, sondern düster fragend und verlangend. So hatte er Adele noch nie gesehen, und wenn er sich fürchtete vor dem entsetzlichen Zauber ihres räthselhaften Wesens, so gab es keine lockendere Verführung als der lüsterne Reiz dieses Geheimnisses und dieses Schmerzes. Sein Herz hätte wieder im ungehemmten Strome seiner aufrichtigen Leidenschaft sich ergießen mögen; aber der Zweifel hielt ihn zurück, und in ernstem, aber berechnungsvollem Tone sprach er nach langer Pause zu ihr: Wie soll ich Sie verstehen, gnädige Frau? In Einem wenigstens scheinen Sie bei allem übrigen Wechsel sich gleich geblieben zu sein, in Ihrer ewigen Unbefriedigtheit. Sie sind auch jetzt nicht glücklich?

– Fragen Sie nicht. Mein Schicksal soll ein Räthsel bleiben! gab sie zur Antwort, indem sie ermattet ihr Haupt in die Polster barg.

– Und wenn Sie nicht glücklich sind, Sie, gnädige Frau, fuhr er fort, vom Scheitel bis zur Zehe mit einem Blicke sie überschauend, der es zeigen sollte, daß er sie mit all' den Vorzügen ihrer Person meinte, – wer könnte daran Schuld sein, als Sie selbst! Gab es ein Glück der Welt, das Ihnen nicht entgegen getragen wurde? das Sie gar nicht zu suchen, nur nicht von sich zu stoßen brauchten? Aber selbst die aufopferndste Freundschaft ohne Ermunterung muß ermüden, und jedes Entgegenkommen, ohne aufgenommen zu werden, wird fürchten, Zudringlichkeit zu heißen.

– O wenn Sie wüßten! seufzte sie, ihren leidenden Blick ihm wieder zuwendend.

– Ja, ich weiß! sagte er mit der Schadenfreude, jedes ihrer Worte jetzt besser verstehen zu können, als sie es ahnte.

– Was wissen Sie? frug sie erschreckt von diesem scharfen Accent.

– Daß Sie nicht so glücklich sind, als Sie verdienen, erwiderte er ausweichend.

– Als ich es verdiene? Verdiene ich es, und kann man Glück verdienen?

– Vielleicht, indem man es gewährt –!

Es entstand eine Pause, in der beider Blicke in einander ruhten. Das Flehen um Mitleid und der Zauber schmerzlicher Wonne strömten aus Adelens Auge, während er mit kecken Blicken wie mit Pfeilen in das Innerste ihrer Seele zu dringen strebte. So maßen sie die Stärke ihrer Seelen; Keines Auge wich zurück, bis die schöne Frau, von Gluth geröthet, mit allbekanntem Tone der Zärtlichkeit seinen Namen rief: Edmund!

– Adele, antwortete er und lag zu ihren Füßen, mit berauschten Blicken den Zauber der süßen Sünde einsaugend, die er von ihren Lippen küssen wollte. Sie wehrte ihm nicht; sie rührte sich nicht; ihr Antlitz, ihr Auge änderte die Farbe; unbeweglich haftete ihr Blick wie leblos in seinem Auge; es war, als wenn ihr Bewußtsein dahinschwände in der Unendlichkeit wonnigen Gefühles.

Plötzlich zuckte ihr Blick zusammen; ihre Züge nahmen einen lächelnden Ausdruck an und mit einer Miene gnädiger Herablassung sagte sie in einem Tone, den Edmund nicht begreifen konnte, die Worte, die er ebenfalls nicht verstand: Sein Sie überzeugt, bester Herr Baron, daß ich für Sie thun werde, was in meiner Macht steht. Ein so ehrenwerther Freund, wie Sie es mir stets waren, kann es verlangen, daß wir für das Glück seines Lebens sorgen. Und wenn ich selbst bei dem Leiden, in dem Sie mich hier finden, nicht thätig sein kann, so bin ich überzeugt, daß mein lieber Gemahl – – Ah, doch sehen Sie, da ist er selbst! Sie können ihm sogleich Ihre Bitte vortragen –

So sprach Adele nach der Thüre sehend, und Edmund, der ihrem Blicke folgte, glaubte, er müsse in die Erde sinken als er den Präsidenten mit lauernd freundlicher Miene im Zimmer, die Gruppe betrachtend, erblicken mußte. Die kluge Frau aber, ohne ihre Lage zu ändern, fuhr mit leidendem Tone fort: Gut, daß Du hier bist; ich wollte Dich eben rufen lassen. Der Baron hier hat mich gebeten, seine Werbung um die Hand seiner Kousine Cordelie, der Tochter des Geheimeraths, zu vermitteln; aber meine Bemühung allein wird darin wohl nicht ausreichen; Du wirst das Deinige auch thun müssen, indem Du dem Herrn Assessor eine baldige ausreichende Anstellung versprichst. Darf ich Dich für ihn darum bitten? Die beiden jungen Leute lieben sich schon seit langen Jahren so unendlich, – ich muß sie endlich glücklich sehen.

Die Ueberraschung von Seiten des Präsidenten war keine zufällige. Adele hatte bei ihren Intriguen in dieser Ehe nicht genug berechnet, was es heißt, mit einem ausgelernten Diplomaten es zu thun zu haben. Ihr Gemahl hatte früh genug eingesehen, daß er nöthig hatte, ihre Dienstboten zu bestechen und es zu verhindern, daß sie ein Billet empfing oder versandte, ohne daß er Kunde davon erhielt. Edmund von Brandt, über dessen früheren Umgang mit seiner jetzigen Frau er sich Kenntniß verschafft hatte, war ihm stets ein vorzüglich beachteter Gegenstand seines Verdachtes gewesen, und da insbesondere Adelens abweisendes Betragen gegen einen bedeutungsvollen Freund des Hauses, dessen Umgang er eben wünschte, in diesen Tagen sein Mißtraun erregt hatte, so lohnte es sich ihm schon der Mühe, die Session des Kollegiums auszusetzen, und zu ungewohnter Stunde der Gemahlin einen Besuch abzustatten.

Er war jetzt geschickt genug, auf die geschickt ausweichende Rede seiner Gemahlin einzugehen, und derselben zugleich eine überraschende Wendung zu geben, um von dieser Seite den Grund zu Eifersucht aus dem Wege zu räumen. Die Wünsche und Neigungen des Herrn Barons, so sagte er mit satanisch freundlicher Geberde, sind mir längst kein Geheimniß. Erschrecken Sie nicht, – ich bin mit der Bitte meiner lieben Frau, der ich wohl nie eine Bitte werde abschlagen können, völlig einverstanden. Da es nun doch jedenfalls der Wunsch meiner so freundlich gesinnten Gemahlin sein wird, Ihr Glück aufs schnellste zu gründen, so wird es ihr mehr darauf ankommen, Sie sogleich, als hier in der Residenz angestellt zu sehen, und ich kann Ihnen somit eröffnen, daß es schon im Werke ist, einen in der Provinz vakanten Posten Ihnen zu übergeben, in dem für's Erste Ihre Existenz gesichert ist, und Ihnen die Aussicht auf eine schnelle und erfolgreiche Laufbahn offen steht. Was Ihre Verlobung mit Fräulein Cordelie von Brandt betrifft, so wird meine Frau Gemahlin bei ihrem fortdauernd leidenden Zustande mir erlauben, die Vermittlung derselben zu übernehmen und ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, daß es an der Zusage der Eltern nicht fehlen soll. Erwarten Sie mit Zuversicht die schleunigste glückliche Abwicklung Ihrer Verhältnisse, und sein Sie überzeugt, daß mein Wohlwollen Alles thun wird, um in der Provinz Ihnen eine Stellung derart zu bereiten, daß es Ihnen nicht zu schwer werden soll, den Aufenthalt in der Residenz aufgegeben zu haben. Im Uebrigen fragen Sie meine Frau, ob wir sie noch länger der Erholung, deren ihr afficirter Zustand bedürftig zu sein scheint, berauben dürfen – –

Edmund, der bei der unheimlichen Freundlichkeit des Präsidenten nichts wußte, ob alles Ernst oder Posse sei, nahm mit Freuden die Gelegenheit wahr, sich zu entfernen, nachdem er von Schreck und Ueberraschung sich eben so weit erholt hatte, der Frau Präsidentin mit stotternder Stimme für ihre Versorglichkeit in tiefster Rührung zu danken und sie die Gründerin seines Glückes zu nennen.

So wie er das Zimmer verlassen hatte, sagte Frau von Stein zu ihrem Gemahle, ehe er zu Worte kommen konnte, mit der harmlosesten Freude: Nun, sehen Sie, lieber Stein, das macht sich ja ganz vortrefflich. Sie brauchen jetzt gar kein Bedenken zu tragen, den alten Brandt bei Besetzung des Finanzrathsposten zu übergehen; geben Sie ganz ruhig dem Attaché diese Stelle; der Geheimerath, der der Anciennetät nach ein Recht darauf hat, wird durch die dritte Klasse und die Beförderung seines Schwiegersohnes entschädigt. Eine Tochter versorgt zu sehen, ich weiß, was das für eine solche Familie für Werth hat, und damit sind Sie über die Klippe hinweggekommen, die Sie zu übersegeln, schon seit Monaten Bedenken –

– Sehr gut ausgesonnen, meine Gnädige! unterbrach sie der Präsident. Aber lassen Sie, bitte ich, die Staatsgeschäfte meine Sachen sein, und erlauben Sie mir ein Wort in Familienangelegenheiten. Ich habe Ihnen zu erklären, daß ich es müde bin –

– O nein, bitte, bitte, lassen wir die Staatsgeschäfte vorgehen, wie sich ziemt! Es amüsirt mich zu köstlich, so raffte Adele mit kindlicher Freude aus ihrem leidenden Tone sich auf, daß ich auch einmal einen geschickten Koup ausgesonnen habe, daß mir auch einmal eine Intrigue gelingt. Liebster, bester Herr Gemahl, lassen Sie mir die kindische Freude, diese Sache selbst durchzuführen. Bitte, es wird mich wieder gesund machen! Setzen Sie sich an meinen Sekretär und schreiben Sie, was ich Ihnen diktiren werde, den Brief an den alten Baron, der ihn über diese Zurücksetzung trösten soll. Ich habe mir schon das ganze Schreiben ausgedacht, – der alte Herr soll mit Lob und Schmeicheleien überhäuft, er soll bis zu Thränen gerührt werden, – o, es ist köstlich, wie ich es mir ausgedacht habe! Ich habe ganz gewiß ein klein wenig Talent für das, was man so Diplomatie nennt. Bitte, lieber Stein, schreiben Sie! Machen Sie mich gesund dadurch, – es wird den Prinzen überraschen – und während ich diktire, können Sie mir sagen, was Sie von persönlichen, wahrscheinlich doch zärtlichen Angelegenheiten auf dem Herzen haben –

– Nichts weniger, Madame, als zärtlich – von meiner Seite wenigstens, und damit Sie es von der Ihrigen nicht etwa werden könnten, muß ich ein ernstes, mehr als diplomatisches Wort mit Ihnen reden. Ich weiß, daß Sie mit diesem Herrn von Brandt Heimlichkeiten gepflogen haben, schon damals, als wir uns noch nicht kannten, und jetzt ganz neuerdings wiederum, – Heimlichkeiten, die übrigens einen ganz anderen Zweck hatten, als den seiner Verlobung mit Fräulein Cordelie. Ich weiß ferner, daß Sie auch andere Herrenbesuche empfangen, von denen Sie wollen, daß ich Sie nicht erfahre; daß ein Herr Dr. Stern Sie zu Zeiten besucht, wo Sie nicht von mir gestört zu werden fürchten; ich weiß, daß der Attaché von Brandt sich von Ihnen zurückgezogen hat, weil er solchen Umgang nicht mit der Pflicht gegen mich als Freund und Vorgesetzten vereinbaren zu können glaubte. Das Alles weiß ich, und ich weiß viel mehr und viel genauer, als Sie es ahnen und als Sie meiner bisherigen Nachsicht würden zugetraut haben. Aber ich will jetzt auch, daß all' dergleichen Veranlassungen zu Aergerniß und Skandal ein Ende haben soll. Ich werde Ihre Dienstboten wechseln müssen, und Ordre geben, keinen Besuch bei Ihnen vorzulassen, der mir nicht gemeldet wird; auch die Kavalkaden in großer Herrengesellschaft muß ich verbitten, – man sieht bei Hofe diese Ritterlichkeit der Damen nicht gern. Ich muß und will dieser Emancipationswirthschaft ein Ziel stecken; ich bin es meinen Grundsätzen und Ihrem wie meinem Rufe schuldig. Sie haben meine Befehle vernommen; ich hoffe, daß Sie danach handeln werden.

– Befehle? lachte die Frau Präsidentin, Befehle? Mir Befehle? Ich bin so nervös, so fatiguirt, daß ich jeden Augenblick in Ohnmacht zu sinken fürchte; aber solche Worte bringen mich wieder zur vollsten Besinnung. Herr Präsident von Stein, ich habe noch nie einem Manne gehorcht, und meinen Sie, ich werde Ihnen gehorchen, Ihnen, meinem sogenannten Manne?

– Es ist in der That höchste Zeit, rief der Präsident, nur mit Mühe sich mäßigend, Ihrer Ungebundenheit mit Energie entgegenzutreten. Entweder Sie gehorchen meinen Befehlen, oder –

Hier hielt er inne, und sie hatte Zeit, mit beleidigender Ruhe und triumphirendem Lächeln zu fragen: Oder –? Nun was oder? So sprechen Sie doch, Herr Gemahl, Ihre Alternative aus! Was konnten Sie meinen: oder –? Etwa: oder wir lassen uns scheiden? Ei nun, wenn Sie darauf beharren, in der That es bleibt nichts Anderes übrig. Wir müssen uns scheiden lassen.

– Nimmermehr! Sie kennen meine Prinzipien. Ich werde durch mein Privatleben nicht widerlegen, was ich in der Oeffentlichkeit vertrete. Die Ehe ist mir heilig, unter allen Umständen unauflöslich. Auch das unerträglichste Familienelend könnte mich nicht bewegen, den Emancipationsgelüsten der Zeit eine Concession zu machen. Scheiden – um meiner Religion willen nimmermehr!

– Um Ihrer Religion willen? Worüber soll ich mehr lachen, daß dieser Moralist Staatsmann, oder dieser Staatsmann Moralist sein will? Aber in der That, lieber Stein, ich weiß es, Sie werden sich nicht von mir scheiden lassen; denn die Trennung von mir würde Ihnen theuer zu stehen kommen; sie würde Ihnen nicht mehr und nicht weniger kosten, als Ihre Aussichten und Absichten auf Carrière.

Der Präsident wollte nicht begreifen können, was sie meinte, und sie fuhr fort, mit der größten Gelassenheit ihn mit der Entdeckung zu überraschen, wie sie alle seine Pläne durchschaute: Sie heiratheten mich nicht, wie Sie sagten, um eine Frau zu haben, die repräsentiren, die Honneurs machen konnte, – ich bin eine theure, enorm theure Repräsentantin! – nein, Sie berechneten sich die Kosten sehr wohl und hofften, sie alle wieder eingebracht zu sehen, durch die Beförderungen, die Sie schon erreicht und noch zu erreichen hoffen, und zwar durch mich, – nicht direkt, aber indirekt: Sie wußten, daß ich mit der königl. Hoheit kokettirte, daß ich den alten hoffnungsvollen Herrn so ziemlich bezaubert hatte, und Sie setzten voraus, daß ich ihn auf immer für Ihr Interesse fesseln würde, daß ich – doch wie kann eine zartfühlende Frau Alles wissen oder gar aussprechen, was ein enragirter Staatsmann um seiner Carrière willen ihr zuzumuthen im Stande ist! Mit einem Worte, ich wußte es ja sehr wohl, daß die Spekulation auf die Neigung des Prinzen zu mir es war, was mir das hohe Glück verschaffte, die Frau von Stein zu werden, und eben deshalb weiß ich es auch, – lieber Herr Gemahl, daß ich so zu Ihnen sprechen kann, ohne daß Sie zu mir sagen können: ich werde mich scheiden lassen!

– Es ist genug! rief der Präsident aus, keines Maßes mehr mächtig; mir diese Impertinenzen! Sie bringen mich zum Aeußersten. Madame, ich könnte mich an Ihnen vergreifen!

– Bravo, bravo, Herr Diplomat, das wollte ich ja nur. So lassen Sie sich von einer Frau und noch dazu von Ihrer eignen Frau überlisten. Sie geben sich Blößen, – und Sie wissen, das ist ein für allemal zwischen uns beiden abgemacht: keine Blößen geben! Sehen Sie, wenn ich jetzt nicht einlenkte, sondern nur noch ein ganz klein wenig impertinent war, dann waren Sie in meiner Hand und ich der Ihrigen los, sobald ich wollte. Ich brauchte Sie nur dahin zu bringen, sich an mir, wie Sie drohten, zu vergreifen, und ich hätte Sie durch Prozeß zur Scheidung zwingen können. Aber – beruhigen Sie sich, lieber Herr Gemahl! Sie brauchen sich nicht vor mir zu fürchten; ich mein' es nicht böse; ich wollte nur ein wenig kapriciös sein. Ich bin, wenn auch nicht gerade, was man so nennt, eine »gute Frau«, – Gott behüte mich vor diesem Lobe – so doch eine kluge, eine staatsmännische Frau, die sich in allen Verhältnissen zurecht zu finden wissen wird, – wie leicht erst in der Ehe mit einem so staatsmännischen, so klugen Gatten, als Sie es sind, mein Herr Gemahl. Ich will mich nicht von Ihnen scheiden lassen; fürchten Sie es nicht; ich meine es gut mit Ihnen, denn – wir brauchen einander. Sie haben mich nöthig, um Präsident, ich habe Sie nöthig, um Präsidentin zu sein, um die Hofluft zu athmen, um meine Freunde zu protegiren. Und dafür, daß Sie mir das gewähren, danke ich Ihnen, danke ich Ihnen von Herzen. Sie machen mich ja damit vollkommen glücklich; ich bin durchaus zufrieden mit Ihnen, da Sie verständig genug sind, einzusehen, daß ich der Zärtlichkeit zum Glücke nicht bedarf. Nur eins habe ich noch zu verlangen: Aufrichtigkeit, und die Anerkennung, derselben würdig zu sein. Sie sollen mit mir umgehen, nicht wie mit einer Person, die man dupiren will, sondern mit der Ebenbürtigen, die Sie versteht und von Ihnen verstanden wird. Dagegen meine persönliche Freiheit einzuschränken, dürfen Sie für kein Mittel halten, um mich Ihren Plänen behülflich zu machen. Meine Kavalkaden kann ich nicht einstellen, – ich habe heißes, jugendliches Blut, das in der freien Luft der Kühlung bedarf; auch die Herrenbesuche kann ich nicht vermissen, denn ein Tag ohne Unterhaltung würde mich tödten; ich kann Alles vertragen, nur nicht die Langeweile. Wenn Sie mir darin meinen Willen lassen, mein lieber Herr Gemahl, so wollen wir sehr glückliche, sehr verträgliche Eheleute werden. Dann sollen Sie sehen, lieber Stein, daß ich eine kluge, – verstehen Sie mich, eine sehr kluge Frau bin, und zwar von einer Klugheit, die Sie nicht bereuen sollen, an Ihrer Frau bewundern zu können. Und damit lassen Sie uns Frieden geschlossen haben, – Sie werden nicht erschrecken über solch ein Bündniß, das ist eben die wahre Vernunftehe, wie sie jetzt an der Zeit ist, und in der wir uns vor unzähligen anderen Verhältnissen nur dadurch auszeichnen wollen, daß wir ehrlich gegen einander sind. Nicht wahr, lieber Präsident, ehrlich und klug, klug und ehrlich! Und nun, Adieu! Ich muß Sie verlassen; ich bedarf der Ruhe, – ich bin leidend, ach, sehr, sehr leidend!

Herr von Stein war froh, dem Gespräche ein Ende gemacht zu sehen, denn dieser aufrichtigen und zugleich manierlichen Perfidie gegenüber hatte er nichts als ein »vortrefflich!« oder »bitte, bitte,« oder »sehr gnädig!« in ihre Rede einwerfen können. Sobald sie ihn aber verlassen hatte, sann er darauf, den Vorsprung, den sie durch ihre rücksichtslose Offenherzigkeit ihm abgewonnen, zu überholen. Er konnte bei aller Freiheit ihres Benehmens ihr keinen Fehltritt nachweisen, und das wäre das einzige Mittel gewesen, sie zu demüthigen. Es wäre zum Teufel, wenn sie sich nie vergangen hätte! so dachte er, und damit erblickte er auch das von Edmunds Gedichten am Boden liegen, das sie vorhin hatte niederfallen. Es war ein Zeugniß seiner leidenschaftlichen Liebe. Aber der Ton darin war zu phantastisch, als daß sie mit ihrer gewandten Sophistik es nicht hätte als eine Kinderei auslegen können. Er brauchte einen Vorwurf, der unabweisbar war. Es beängstigte ihn, daß der erwähnte Prinz jüngst einer hübschen Soubrette in der Oper applaudirte, – das hatte etwas zu bedeuten! Sollte er eine andere Liäson aufsuchen? Der große Staatsmann sah sein Schicksal vor einem Wendepunkte angelangt, und es war sein Entschluß, nichts zu versäumen, was ihm die gewünschte Richtung geben sollte.

Adele indessen war in ihr anstoßendes Schlafzimmer geeilt. Sie schlug verzweifelnd die Hände vor das schöne bleiche Antlitz, rang sie vor dem Busen, bis sie wie todtmatt zusammenzusinken meinte, – da plötzlich raffte sie sich auf, trat vor den Spiegel, und ein Schreck durchzuckte sie: wie war sie angegriffen durch diese Leidenschaft! So gealtert hatte sie sich noch nie erblickt! Unter den matten Augen legte eine Falte, nur eine kleine, aber doch eine Falte sich zusammen, – ja, das erste graue Haar mußte sie aus ihrem Scheitel ziehen! Jetzt war sie gesammelt. Die Papiere Edmunds, die sie an ihrem Busen geborgen hatte, holte sie hervor; aber sie that jetzt keinen Blick in die Zeilen, über denen sie Nächte lang in verzweifelndem Schmerze sich berauscht hatte. Sie liebte die Exaltation, aber sie kannte zu genau das Maaß ihrer Natur, als daß sie jemals einer Leidenschaft sich hingegeben, die sie nicht mehr in der Gewalt gehabt hätte, die ihrer Schönheit schaden konnte. Gleichgültig warf sie jetzt die Papiere in ihren Toilettentisch und ließ sich auf dem Divan nieder, indem sie ihrem Kammermädchen klingelte, um sich in eine warme wollene Decke hüllen und ein Glas nervenberuhigende Orangeade reichen zu lassen. Ein leiser Nervenkrampf durchschüttelte sie, aber bald versank sie in sanften calmirenden Halbschlaf. Sie verstand vortrefflich die Kunst des Schlafens und hatte in solchem Zustande ihre Träume völlig in der Gewalt; sie setzte sich über den Schreck hinweg, den das unerwartete Eintreten ihres Gemahls ihr verursacht hatte; sie rief sich den Augenblick zurück, in dem Edmunds keck träumerischer Blick in ihre Seele sich gedrängt hatte, und spann diesen Moment aus zu einem dauernden Gefühle wohligen Behagens, das alle Dissonanzen des Lebens in ätherische Harmonie zu lösen schien. Nach einer Stunde raffte sie sich auf mit beruhigten Nerven. Ihre Wangen waren angeglüht, ihre Augen belebt. Sie wechselte ihre Toilette, was sie des Tags nicht oft genug thun konnte, und ebenfalls als eine Auffrischung ihres ganzen Wesens betrachtete. Dann stärkte sie sich noch an verschiedenen Flaccons; dabei berührten ihre Fingerspitzen jene verhängnißvollen Blätter; sie schien aber jetzt keine Kenntniß von ihrem Inhalt zu haben, sondern schob sie gleichgültig bei Seite und ging zur Tafel, eine triumphirende Schönheit, die Alles und sich selbst am meisten zu verachten schien.

Edmund war von den Begegnungen des Tages völlig betäubt. Erst am andern Morgen konnte er sich zu einem Entschlusse sammeln. Er wagte es, Cordelie aufzusuchen, um über die Hochzeit und Abreise Viktorinens Etwas zu erfahren, die beide unverzüglich der Verlobung hatten folgen sollen. Er fand die Kousine nicht mehr zu Hause; sie hatte den schon erzählten verhängnißvollen Besuch bei der unglücklichen Freundin gemacht. Edmund wurde von der Tante in das Zimmer genöthigt und mußte hier eine überraschende Scene stürmischer Freude und, wie er meinte, unverdienter Zärtlichkeit über sich ergehen lassen. Die Frau Geheimeräthin trug die Locken noch in papierne Papilotten eingewickelt und hatte den seidenen Morgenrock mit den durchgestoßenen Ellenbogen, der in der Zeit seit Edmunds Rückkehr noch viel schadhafter aber glänzender geworden war, noch nicht abgelegt; aber dennoch empfing sie den jungen Assessor, mit der lieben Äußerung sich entschuldigend: Du gehörst ja zur Familie! Dann fiel sie ihn um den Hals, küßte ihn wie einen Geliebten und rief schwärmerisch aus: Edmund, mein Neffe, mein Sohn! Warum warst Du auch so schüchtern? O, Du edles Gemüth! Wir hatten ja keine Ahnung davon und wir hätten Euch ja kein Hinderniß in den Weg gelegt. Aber es ist auch so gut! Es ist alles vortrefflich. Der Präsident war entzückend liebenswürdig. Nur schade, daß Euer Brautstand so bald unterbrochen werden soll. Aber es läßt sich nicht anders einrichten, Du mußt ein mal fort auf Deinen Posten – nur einen Tag habe ich ihm noch abgeschwatzt – aber das Unglück ist ja nicht so groß, da Ihr aufs Baldigste heirathen könnt –

Edmund fing an zu begreifen. Die Bosheit des Präsidenten hatte erschreckend schnell gewirkt. Durch die List, die eine Ausflucht sein sollte, war er überlistet. Er, der zur Begründung seines Lebensglückes so skeptisch bisher die Bedürfnisse seines Herzens und seines Charakters erwogen hatte, er war nun plötzlich gefangen in Amt und Ehe, die beide seine heiligsten Pflichten sein sollten und doch eine Verleugnung seines innersten Wesens verlangten.

Es gelang ihm, mit der schicklichen Fassung in sein Glück sich finden, und er erfuhr nun beiläufig als völlig abgemachte Sachen, daß heute Abend auf dem Feste im Hause des Präsidenten seine Verlobung bei Eröffnung der Tafel verkündet werden sollte und daß er übermorgen schon an den Ort seiner Bestimmung, die ihm durch die gewährte Anstellung zu Theil geworden war, abgehen mußte.

Mit dem Vorwande eiliger Geschäfte machte er sich los aus den Umarmungen der segenwünschenden Schwiegermutter, um nicht als Bräutigam wider Willen seine Braut begrüßen zu müssen. Als er durch die »gute Stube« ging, in der wiederum die Teppiche zusammengerollt und die Vorhänge nur des einen Fensters aufgezogen waren, fiel sein Blick auf das Portrait der bleichen melancholischen Cordelie. Die Tante veranlaßte ihn mit liebevoller Zudringlichkeit dabei zu verweilen und in diesem Augenblicke fühlte er, wie dieses Naturell, das ihm stets mit seinem eigenen verwandt erschienen, und dem er ein gewisses Interesse, wenn auch mit Mitleid und Wehmuth vermischt stets als der Freundin geschenkt hatte, plötzlich, da er in die zarteste und nächste Beziehung mit ihm treten sollte, ihm nicht nur gleichgültig, sondern geradezu unerträglich und verhaßt erschien. Im Geistesleben wie in der Natur streben die gleichbenannten Pole magnetischer Kraft derselben Richtung zu, aber in Berührung gebracht, stoßen sie einander in unversöhnlicher Feindseligkeit ab.

Trotzdem war Edmund jetzt nicht fähig, einen entschiedenen Entschluß zu fassen; das Wogen seiner Gemüthsbewegungen überfluthete die überlegende und berechnende Thätigkeit seines Geistes; ein einziges Gefühl hatte sich seiner Denk- und Willenskraft bemächtigt, das Verlangen nach Rache an Adele, der er diese neue Verkettung seines Schicksals als boshaft beabsichtigte Intrigue unterschob, mit der sie für immer sich von ihm befreien wolle. Er hatte es aufgegeben, sein Schicksal noch zu lenken. Vogue la galère! war der Ausdruck seiner Stimmung, und ohne klares Bewußtsein dessen, was er that und was er wollte, sandte er auf dem bereits erprobten Wege durch die Hände des Kammermädchens ein Billet an Adele, in dem er für den heutigen Abend während des Festes, ehe man sich demaskire und zur Tafel gehe, eine geheime Unterredung in ihrem Boudoir von ihr mit determinirten Ausdrücken verlangte. Er nannte ihr seine Maske: schwarzer Domino, schwarze Larve, schwarze Schleife am Hut, und bat sie durch ein gleichfarbiges Band, irgend wo auffällig angebracht, sich ihm gleichfalls zu erkennen zu geben.

Als Edmund, mit verstellter Haartracht, Gesicht und Figur sorgsam, wie er meinte zur Unkenntlichkeit verborgen, in den Saal trat, war die erste Stimme, die ihn beim Namen anredete, die seines Bruders Oskar.

– Mein Gott, Edmund, was machst Du für Geschichten! so flüsterte dieser, als sie beide bei Seite getreten waren unter der Larve hervor ihm zu. Bist Du ganz des Teufels geworden? Was Deine Heirath betrifft, das hast Du mit Dir selber abzumachen; da kann Niemand Dir dafür noch dawider rathen, – ich kenne das an mir, wie die liebe Liebe den Weisesten der Weisen zum Narren machen kann! Da sagt man: Gott helfe mir, ich kann nicht anders, Amen, – oder: zum Teufel auch, ich will's einmal! Aber ein ander Ding ist es mit Deiner Anstellung. Ich selber habe Dir gerathen, Deine Staatskarrière nicht aufzugeben, weil Du nur dadurch Dir in Europa eine Existenz begründen kannst, und weil ich es nicht gut heiße, wenn gute Kräfte der Nation, zu denen ich Dich zu rechnen Dir noch immer die Ehre gebe, dem Vaterlande leichtsinnig sich entziehen. Aber wer hat Dich, um Alles in der Welt, auf den Gedanken gebracht, einen solchen Posten anzunehmen, einen Posten als öffentlicher Ankläger, den Du nicht damit erfüllst, daß Du handwerksmäßig nach vorgeschriebenen Verordnungen eine Partie Akten nach der andern abarbeitest, ganz unbekümmert um Deine Grundsätze und politische Parteistellung; nein, indem Du der Spion und Verfolger an Deinen Gesinnungsgenossen sein sollst, einen Posten, auf dem man von obenher alle Gehässigkeit der politischen Rachsucht haften läßt, indem man äußerlich Dich zur Milde ermahnt und in Wahrheit nicht Fanatismus genug von Dir verlangen kann. Du wirst zum Verräther, zum Verbrecher an der guten Sache des Volkes – –

– Köstlich! rief Edmund aus, und das kannst Du mir sagen, Du, von dem alle Welt es schon weiß, daß er die Vertheidigung des Finanzbudgets vor den Kammern übernehmen wird, – eines Budgets, in dem nicht unwillkürliche Rechenfehler von enormer Bedeutung nicht nur wahrscheinlich sind, sondern geradezu –

– Das weißt Du? Vortrefflich! Willst Du es mir nicht beweisen? Bitte, bitte, Du mußt vortrefflich instruirt sein, – Du wirst mich selbst belehren können! Nenne nur doch die Zahlen, die Dein Bedenken rechtfertigen!

– Beweisen? Zahlen nennen? Habe ich die Bücher eingesehn? Wer kann im Publikum das wissen? Es ist nur die allgemeine moralische Ueberzeugung –

– Die eine unmoralische ist, so lange sie Jemanden willkürlicher Rechenexempel anschuldigt, ohne es beweisen, durch Zahlen belegen zu können. Also damit wirst Du es vergeblich versuchen mir zu imponiren. Und wenn Du mir ferner einwerfen solltest, mit dieser Commission zöge ich mehr Verantwortung und Gehässigkeit auf mich, als Du in Deinem Amte, so muß ich bitten, mir die dann nöthige Vorsicht und Achtung der eignen Persönlichkeit zuzutrauen, von der es scheint, daß Du sie vernachlässigst. Ich habe zwar mein Leben und meine Ehre für keinen Beschluß des demokratischen Centralausschusses verpfändet; es dürfte aber auch für einen Minister unmöglich sein, mein Gewissen für seine Operationen mehr oder weniger zweideutiger Art zu erhandeln, – jedenfalls werde ich die mir aufzubürdenden Pflichten nicht unbesehen, wie eine Katze im Sacke übernehmen, – und ich habe eben einen tiefen Blick in das Dunkel des verhängnißvollen Sackes gethan! Solch exaltirter Principienmensch aber, wie Du es bist, weiß niemals seinen Halt in sich und in den Dingen zu finden. Statt den Wind stets zu benutzen, läßt er von ihm sich treiben. Einmal rennt er wahnsinnig für einen Unsinn, den er Idee nennt, in Tod und Verderben hinein, und wie er von seiner Verblendung enttäuscht wird, stürzt er sich nach der entgegengesetzten Seite für ein bischen Existenz eben so blind in jede Niederträchtigkeit. O daß die sogenannten großen Männer unsrer Zeit doch erst gelernt hätten nur erträglich mittelmäßige Menschen zu sein, – wozu allerdings meistens weniger große Meinung von sich selbst, als Ausdauer und gesunder Menschenverstand gehören. – Indeß wir wollen unseren Maskenscherz nicht im Moralisiren suchen, – ob wir ihn wo anders finden werden, ist allerdings auch sehr fraglich! Nur das noch: reise, wenn Du nicht anders kannst. Ich werde hier das meinige thun, Dir Deine Stellung unmöglich zu machen, – das ist mein freundschaftliches Versprechen. Und endlich noch eins: mache heute nicht noch dumme Streiche hier im Hause! Du wirst mich verstehen. Du könntest damit Alles verderben. Um Dein Märtyrerthum als Freiheitsheld hast Du Dich schon durch Deine Dienstfertigkeit in Amtssachen gebracht; verscherze die Früchte der letzteren Dir nun nicht wieder durch Thorheiten als Liebhaber! Du willst mich nicht verstehen? So erinnere Dich doch, als wir einst unerwartet in diesem Hause zwischen einer Thüre und dem Thürvorhange uns trafen, sagte ich Dir: Ich liebe die Dame dieses Boudoirs! Wir verabredeten ehrliche Feindschaft; noch haben wir nicht Frieden geschlossen. Versuche es nicht, auch nur ein Wort mit der Dame unsres Streites zu reden, – treffen wir uns wieder an einer Boudoirthüre, der Ausgang würde heute für den Einen ein gefährlicher sein!

Das waren Oskars letzte bedeutungsvoll gesprochene Worte; damit trennten sich die beiden feindlichen Brüder und stürzten sich in das Wogen des Maskengewühles.

Und nun erwartet nach wahrscheinlicher Vermuthung der Leser in diesem Kapitel Maskenscherz und Maskenfreiheit, Überraschungen und Enttäuschungen, Intriguen, die durch Erkennen angeknüpft, und Intriguen, die durch Verkennen verrathen werden, kurz jene Romantik des Karnevals, bei deren Frivolität man zwar die Nase rümpfen, aber doch innigstes neugieriges Behagen finden würde. Doch kann von alle dem der Erzähler dieser Geschichte so gut wie nichts erzählen, denn er erzählt nur wirklich Geschehenes, und was wäre wirklich von jenem sprudelnden Karnevalshumor auf einem honetten norddeutschen Maskenballe? Ein Maskenball bleibt bei allem Flitter und Mummenschanz eben nur ein Ball, und bei einem Balle hatte die anständige Gesellschaft wie bei all' ihren Gesellschaften nur einen Zweck, den des Anstandes; sie will nicht Grazie und nicht Jovialität, nicht Charakter und nicht Esprit, nicht Sittsamkeit und nicht Frivolität, – nur eines erfüllt sie ganz und gar, der Anstand. So wandelten heute Herren und Damen aller Nationen und aller Zeitalter, Phantasiemasken und Domino's in kostbarster Ausstattung mit bewunderungswürdigem Anstande an einander vorüber, so ehrbar und weihevoll, daß man sie alle für Mitglieder des Trappistenordens hätte halten können, da sie wenigstens die Hauptregel desselben, die der Schweigsamkeit mit anerkennungswürdiger Strenge in Gesammtheit befolgten, – wie bequem für die, welche nicht gern Gleichgültiges, wie vortheilhaft für die, welche leicht Albernes sprechen! Baron Oskar, der zu den ersteren gehören mochte, machte in der That die Bemerkung, daß ihm Einzelne von den Herren sowohl als von den Damen noch nie so geistreich wie heute erschienen seien.

Selten auch wohl waren in einer der Lust geweihten Gesellschaft bei den Einzelnen so viel verschiedne Veranlassungen der Verstimmung zusammengetroffen. Der Geheimerath von Brandt konnte über die Versorgung seiner Tochter sich nicht freuen, denn zu gleicher Zeit hatte er erfahren, daß er bei der Besetzung des Finanzrathsposten nicht berücksichtigt worden; diese Zurücksetzung ließ ihn sich selber wie einen Verbrecher, der gerechte Strafe dulde, erscheinen, und er freute sich nur deshalb seiner Larve, weil sie jeden hinderte, ihm in das Arme-Sünder-Antlitz zu schauen. Mehr hätte der Kriegsrath Ursache gehabt, die Blicke Anderer zu scheuen, – er mußte in den nächsten Tagen Konkurseröffnung befürchten. Aber um so mehr scharwenzelte er im Saale umher, und, seine trostlos verzagten Mienen hinter der Larve verbergend, renommirte er mit Wetten, die er abgeschlossen, mit Pferden, die er gekauft, und einem Diner, daß er geben wollte, indeß sein Töchterlein durch den Saal schwenkend, die höchsten, fast wahnsinnigen Anstrengungen machte, endlich und endlich den Retter zu erangeln, der die Kosten dieser Saison und die Schulden mancher frühern decken sollte.

Während so die hundert Masken in den nicht gar weitläufigen Räumen zuerst in der Polonäse gespenstig fremd, dann in den Rundtänzen marionettenhaft beweglich sich durch einander drängte, lehnte einsam und ernst in der Nische eines Fensters von den Vorhängen verdeckt eine schlanke Mädchenfigur in weißem Atlaskleide und weißem Domino, im Haare einen weißen Rosenkranz. Aus den schwermüthig glühenden, fieberhaft erhitzten Augen blickte eine seltsame Seele, die krampfhaft vor der Erfüllung ihres Schicksals zitterte. Cordelie – denn sie war es – gehörte zu den Mädchennaturen, denen das Geschick die Gaben oberflächlichen Gefallens versagt hat, und die ein tiefes inneres Gemüthsleben stolz in sich verschließen. Mit dem steten Gefühle, verkannt zu sein, hatte sie verlassen und verdrossen dahin gelebt, bis dem stets geistreichen Poeten, Herrn Stern, durch keckes und schwärmerisches Benehmen es gelungen war, die Verschlossenheit ihres Wesens zu lösen. Er fand es so ganz natürlich, daß sie auf seine phantastischen Anschauungen von genialer Leidenschaft und souveräner Liebe einging; er hatte keine Ahnung davon, wie jeder Blick, jedes Wort das Interesse verrieth, bei ihr etwas so ganz Außerordentliches war, und welchen Kampf, welche Ueberwindung ihres Mädchenstolzes jedes Zeichen eines geheimen Einverständnisses ihr kostete. Für solche Liebe, solches Glück konnte sie in der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen war, sich nicht den Raum denken, und jeder Gedanke, jeder Schritt dafür erschien ihr als ein Bruch mit der Welt der Sitte, der die ganze Kraft ihres Lebens verlange und ihr Leben selbst ihr kosten könne. Nun aber sollte sie, ohne um die Bestimmung ihres Herzens gefragt zu sein, ihr stolzes Selbst an einen anderen Mann verschenken, als den sie liebte, an einen Mann, der nicht bei ihr selbst um sie geworben, und nach der Bewilligung der Eltern, sie noch jetzt nicht einmal mit seinen Entzückungen überschüttet hatte. Sie vermochte aber nur an Ein Glück, an Eine Leidenschaft des ganzen Lebens zu denken, und wenn sie darüber untergehen sollte, sie mußte dieser angehören. Sie wurde nicht zerstreut durch das bunte Treiben der Masken, nicht gelockt durch die einschmeichelnden Töne des Länders; Ungeheuerliches brütete ihre krankhaft erhitzte Phantasie; sie dachte daran, im Augenblicke der Verlobung, eine Nadel sich ins Herz zu stoßen, oder aus dem Saale fortzufliehen zum Geliebten und bei ihm sich zu bergen, ohne je wieder von ihrem Dasein Kunde zu geben, ja er selbst, hoffte sie mit Bestimmtheit, werde aus den Masken auftauchen, als ihr Retter, der sie zu entführen nahe. Zu alle dem meinte sie sich entschließen zu müssen, sie, der jeder feste Blick eine Gemüthsbewegung kostete, und die auch nur ein Wort des Einwandes gegen ihre Eltern zu sprechen nicht die Entschiedenheit bewiesen hatte, und es war ihr, als wenn das Herz ihr brechen sollte bei diesem Bruche, – aber er mußte gebrochen werden.

Indeß eilte Adele in hastiger Ruhelosigkeit durch die Säle kostumirt als Ideal-Schäferin im Rokokogeschmack, von Allen erkannt an der unnachahmbaren Grazie ihrer Gestalt und ihrer Bewegungen, nach allen Seiten hin grüßend und den Erkannten die Namen in den Handschuh zeichnend, aber nirgends ihre Hand selbst darbietend, nirgend durch eine Galanterie zu fesseln, – auch sie bebte innerlichst vor einer unvermeidlichen Krisis ihres Schicksals, von der sie selbst nicht wußte, nach welche Seite sie ihr den Ausschlag geben sollte, da die Wendung nach beiden ihr unmöglich, unerträglich erschien. Was hatte sie seit Monaten von diesem Maskenfeste sich versprochen! Die ganze Gesellschaft sollte davon reden; sie selbst wollte ein Stück italischer Karnevalspoesie, wie sie der geistreichste deutsche Reisende jüngst erst so verlockend geschildert, darin genießen; und nun war sie zerstreut, verstimmt, unfähig, selbst Unterhaltung anzuregen, nicht einmal gelaunt, die wenige dargebotene zu genießen. Der ritterliche Prinz hatte seine Anwesenheit für den Abend nicht bestimmt zugesagt. War er nicht da, hatte er sich für immer von ihr zurückgezogen, von ihrer stets unnahbaren Koketterie unbefriedigt, durch welche Intrigue konnte sie dann ferner das Gebäude ihres Glückes, das auf Intrigue gegründet war, aufrecht erhalten? Und war der Prinz dort, – ihr schauderte vor seinen dreisten Zumuthungen, die sie nicht länger mit spröder Grazie in Schranken halten, und auch nicht wieder zurückweisen konnte, um seine Gunst nicht für immer zu verscherzen. Die Liebe eines Prinzen, wie war ihr das seit den ersten Träumen ihres erwachenden Mädchenbewußtseins als ein märchenhaft höchstes Glück erschienen, das sie kaum je zu erreichen hoffte, und auf das doch ihre Intriguen, jede andere Liebe verschmähend, stets hingezielt hatten, nachstrebend dem Beispiel berühmter Abentheurerinnen in alter und neuer Zeit; und nun dieses Glück so nahe, kaum abweisbar sich ihr aufdrängte, – was war ihr nun diese faunhafte Verliebtheit eines bejahrten Kavallerie-Offizieres, die sich von der Weise anderer ordinär fühlender Menschen, nur noch durch souveräne Ansprüche auf Unwiderstehlichkeit und bequemes Entgegenkommen auszeichnete! Das sollte der Gipfelpunkt des Glückes für die stolze, unbesiegbare Amazone sein? Ihre ganze Eifersucht flammte auf, wenn sie dagegen dachte an das Glück, zu dem Edmunds Jugend, die sie verschmäht hatte, mit der Jugend der ihm bestimmten Braut sich vermählte. Sie selbst hatte die plötzlich zur Ausflucht improvisirte Intrigue seiner Verlobung anfangs für unendlich amüsant gehalten, indem sie hoffte, der Bräutigam wider Willen werde dadurch in Verzweiflung gestürzt sein, er werde zu ihr zurückeilen und sie beschwören, ihn zu retten, oder vielleicht, er werde für das Opfer, das er ihrem Rufe damit bringe, einen Preis, den höchsten Preis der Huld verlangen, – aber nun hatte ihr die glückliche Schwiegermutter so unerschöpflich zärtlich gedankt, sie hatte neidisch der jungfräulichen Braut mit dem weißen Rosenkranze den Busen ihrem Glücke entgegenwallen gesehen; es gab keine Scene, kein zu Füßen Stürzen, kein Hände Ringen, keine Preisertheilung! Jetzt hielt sie sich für die Verrathene, die unglückselig Verlassene; sie mußte an den Blick in den Spiegel, an das entdeckte weiße Haar, an die Falte unter dem Auge denken; sie dachte an die frivole Dreistigkeit, mit der Baron Edmund ihr gestern zum erstenmale entgegengetreten war; sie meinte in dem einen ihre Reizlosigkeit für ihn, in dem andern seine Gleichgültigkeit für sie zu erkennen, und das Verlangen nach Rache lebte in ihr auf, der Dämon der Koketterie, der erobern wollte, und erobern, nur um zu triumphiren.

Da erblickte sie den Prinzen, – sie erkannte ihn an dem künstlichen Scheitel seiner Perrücke. Er näherte sich ihr also von neuem, aber wahrscheinlich zum letztenmale, und wenn ihre mit Grazie ausweichende Intrigue jetzt nicht mehr ausreichte, was konnte sie anders als sich ergeben. Sie schauderte zusammen bei dem Gedanken, daß er nur ihre Hand ergreifen und ihren Namen hineinzeichnen könnte. Und doch war er ihr ein Triumph. Aber sie hatte keine Freude mehr an solchem Triumphe. Sie kannte im Augenblicke überhaupt keine Freude mehr. Das Leben kam ihr plötzlich so leer, so schaal, so ordinär vor. Sie wollte nichts mehr vom Tanzen, von Koketterien und Intriguen wissen. Sie gab sich für leidend aus, floh in ihr Boudoir, schob den Riegel vor, riß die Larve von sich, warf sich erschöpft aufs Kanapee und schlug die Hände trostlos, rathlos vor das schöne Antlitz.

Sie wollte versuchen, in ihren Träumen wieder eine Zufluchtsstätte des Glückes zu finden, und da war es ihr, als träte es an sie heran und hauche ihre Stirne an mit wohlig warmem Athem, – sie hielt es für Traum, aber sie erwachte, als heiße Lippen ihre Finger küßten, und – Adele, Adele! rufend, so lag Edmund zu ihren Füßen.

– Gott im Himmel! so rief sie erschreckt aus, der Anwesenheit des Prinzen, der Drohungen ihres Gemahles gedenkend, – was wollen Sie?

– Was ich will? Bei Gott, Adele, ich weiß es nicht; ich dachte hier, hier bei Ihnen nur könnte ich es erfahren!

– Fort, fort von mir! Wie kommen Sie hierher?

– Wie ich hierher komme? Sie wissen es nicht?

– Nichts weiß ich. Ich habe keine Gedanken mehr. Ich bin krank. Ich suche Ruhe und Fassung. Lassen Sie mir die Einsamkeit, die ich suche.

– Weil Sie krank sind, sind Sie hier?

– Warum denn sonst? Ich bitte Sie um Alles in der Welt, Edmund, verlassen Sie mich. Sie wissen es nicht, man verfolgt uns, man paßt uns auf. Man wird Sie beim Tanze vermissen. Schon ist der Contretanz daran. Nur noch wenige Touren und es wird zur Demaskirung das Zeichen gegeben, und dann werden Sie – Ihre Braut zu Tische führen. O, .sein Sie nicht leichtsinnig, verscherzen Sie nicht Ihr Glück!

– Um so mehr haben wir die Zeit zu benutzen. Keine Ausflüchte! Tauschen wir endlich Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit! Sie werden ahnen, warum ich Sie um diese Viertelstunde Vertraulichkeit gebeten!

– Keine Ahnung! Nur eines ahnt mir, Sie werden uns beide dadurch in das Unglück stürzen. Wenn mein Gemahl uns wieder überrascht! Er ist eifersüchtig, furchtbar, lächerlich eifersüchtig, –warum sollte er es auch nicht sein? Ich erlaube es ihm; es ist das einzige Amüsement, das ich von ihm habe.

– Die Gefahr nehme ich auf mich, und auch Sie haben in diesem Augenblicke der Lebensentscheidung keine Rücksicht zu nehmen. Und wozu diese zögernde Ziererei? Sie sind ja doch hier, von meinem Briefe gebeten –

– Von Ihrem Briefe? Von welchem Briefe? Ich weiß von keinem Briefe!

– Also noch immer nicht volle Ehrlichkeit? Noch immer Intriguen, noch immer Ausweichungen! – so rief Edmund aus, die Hand verzweifelt vor die Stirn schlagend. Er sah Adelens Ueberraschung für Verstellung und Ausflucht an, während sie dießmal dessen unschuldig war, weil sie keine Gelegenheit dazu hatte: der Brief Edmunds war in der That nicht in ihre Hände gelangt.

Mit entschlossener Empörung, in der aller Haß seiner Liebe aufflammte; fuhr er ihre Hand ergreifend und festhaltend jetzt auf: Und mögen Sie von dem Briefe wissen wollen oder nicht, – ich weiß jetzt, warum ich hier bin. Und Sie sollen bleiben und Sie sollen mich hören!

– Sie erschrecken mich ordentlich, rief Adele lachend aus; Sie sind ja pathetisch, wie ein Held der Komödie. Macht das der Domino und Federhut?

– Komödie? Ja wohl, eine Komödie! Sie haben Sie begonnen, Sie haben Sie lange genug gespielt, – den fünften Akt, den übernehme ich jetzt! Die Komödie kann als Tragödie enden! Herunter, gnädige Frau, mit den Larven. Gegen alle Sitte und Höflichkeit und Lebensart der Welt, wir stehen einander jetzt gegenüber, Du gegen Du, Mensch gegen Mensch, zwei Seelen, die mit einander um das Dasein ringen.

– Gott im Himmel! Sind denn alle gebildeten Leute Moralisten oder Furien geworden? Was wollen Sie von mir? so suchte die Dame noch immer ihren kapriciös ausweichenden Ton zu bewahren, aber sie wußte in der That nicht mehr, ob sie nicht vor dem Ernste des empörten Mannes zittern sollte.

– – Die Larve Ihnen von der Seele reißen, – war Edmunds Antwort, – aus meinem Herzen den Spiegel holen, in dem Sie Ihre wahre Gestalt sehen, die halb Engel und halb Teufel ist, und darum so ganz, ganz Weib. Sie haben nichtswürdig, Sie haben fürchterlich falsch an mir gehandelt. Nicht aus einer Neigung, nicht aus Leichtsinn, nein, mich zu betrügen, um das Glück meiner Jugend, um die Harmlosigkeit meines Herzens, um die frische Kraft meiner Leidenschaft, um die Bestimmung meines ganzen Lebens, haben Sie mich in Ihre Netze gelockt –

– Ich – Sie verlockt? rief Adele mit spöttischer Verachtung, – Sie machen mich lachen! Sie haben mich lästig und zudringlich genug verfolgt mit Ihrer sonderbaren Schwärmerei –

– Sonderbare Schwärmerei! Ja das war es, als ich in Ihnen das verkörperte Ideal alles Wahren und Schönen, die edelste Freiheit der Liebe und alles Lebens zu finden glaubte, in Ihnen die Göttin jener reinen hehren Begeisterung, die die Nation überkommen war, so unerwartet und unbegreiflich, als Sie selbst hier erschienen, – die Dame aus der Fremde! O, sonderbar, lächerlich sonderbar, daß ich im Vertraun auf Ihre Liebe den Ideen der Zeit, dem Interesse unserer gemeinsamen Partei mein Vermögen, mein Standesansehn, meine Stellung im Staatsleben, alle Aussichten für die Zukunft opferte, während Sie so glücklich sich Alles zu arrangiren wußten. O, Sie konnten es freilich nicht wissen, als Sie den ungestümen Liebhaber abdankten mit der Phrase: kämpfen Sie für die Freiheit um den Preis meiner Liebe, – daß der ungestüme Liebhaber so ungestüm sein würde, Ihren Worten zu traun, Ihrem Aufruf folgend, in den Freiheitskampf sich stürzen würde, da wo die Gefahr am drohendsten, die Kugeln und die Todten am häufigsten, der Sieg aber am ruhmvollen erschien. Sie konnten freilich nicht wissen und wissen es auch heute noch nicht, daß der Baron von Brandt im unerschütterlichen Glauben an Ihre Liebe ein Jahr lang den den Beschwerden und Gefahren der ungarischen Schlachtfelder getrotzt hat. Ja, gnädige Frau, die Kugel, die hier ihr Denkzeichen hinterlassen, – dabei riß Edmund die Brust blos und zeigte die dunkel vernarbte Wunde, – sie war auf mein Herz gezielt, und ich wünschte, sie hätte lieber es getroffen, ehe es das erfahren mußte. Mit dem Scheitern der großen herrlichen Unternehmung, an die ich alle meine Hoffnungen und alle meine Kräfte daran gesetzt hatte, war mein Dasein gebrochen; ich kannte keinen Glauben, keine Liebe mehr, nicht für die Menschen, nicht für mich selbst; nur noch die Liebe zu Ihnen nährte die letzte Lebensflamme meines Herzens und gab mir Muth und Kraft, mein verlornes Dasein aus den Trümmern der großen Weltbewegung in die leidige civilisirte Welt zurückzuretten! Ich hatte nichts wieder von Ihnen erfahren. Am Gestade Europa's angelangt, erhalte ich mit dem Namen meiner Adele unterzeichnet die drei inhaltschweren Worte: »Kehren Sie wieder«, und damit lodert die Hoffnung eines neuen Daseins in mir auf; ich war mit der Welt versöhnt; ich wollte wieder leben und ich lebte wieder. Mit der Eile der Liebessehnsucht kehre ich wieder; ich suche meine Adele, ich finde sie nicht; endlich, endlich finde ich die Frau Präsidentin von Stein.

Die entrüstet vorwurfsvolle Verachtung dieser Worte fand Adelens Uebermuth gebrochen. Daß sie mit solcher Treue und Gewaltsamkeit der Leidenschaft spielte, hatte sie nicht geahnt. Sie senkte den Blick nieder und konnte nur erwidern: Wenn Sie wüßten –!

– Nichts bleibt mir zu erfahren übrig. Ich weiß Alles. Ich wähnte Ihr Handeln gegen mich, gegen Ihr eignes Selbst durch eine unglückselige Verkettung der Verhältnisse erklären und verzeihen zu können; ich wähnte auch trotz alledem mich noch als den Erwählten, den zu Beglückenden; aber –

– Und was: aber? Nein, kein Aber! Wer sagt Ihnen, Edmund, daß Sie anders denken sollen? So faßte sie eilig seine Worte auf: Habe ich Sie nicht gebeten, mich auch ferner zu lieben? Habe ich Sie nicht versichert, keines meiner alten Versprechen zu vergessen? Trauen Sie meinen Worten nicht?

– Der Himmel und meine gesunde Vernunft mögen davor mich bewahren! Ihren Worten traun? Ihre Worte, Frau Präsidentin, das ist die Larve, hinter der Sie Ihre Seele bergen, die Larve, die ich Ihnen vor die Füße werfen will.

– Herr Baron! so unterbrach sie ihn mit aufgeraffter Würde, Sie nehmen sich viel heraus, mehr als ich irgend einem anderen Manne je gestattet hätte; aber ich will Sie entschuldigen, denn Sie sind in der Leidenschaft, und ich – liebe die Leidenschaft. Ich hätte es nicht nöthig, aber ich will Ihnen den Gefallen erweisen, mich vor Ihnen zu rechtfertigen. Ich fühle mich keiner Schuld bewußt. Ich wüßte nicht, je ein Wort zu viel, je ein Wort falsch zu Ihnen gesprochen zu haben. Wenn Sie mich mißverstanden, so ist es nicht meine Schuld. Ich habe Alles auf die Wagschale gelegt, was ich zu Ihnen gesprochen, da ich von Ihrer Unbesonnenheit, die ich nicht unliebenswürdig finde, wohl eine leise Ahnung hatte. Ich habe Nichts gesagt, was ich nicht noch jetzt vor Ihnen, vor meinem Gemahl und der ganzen Welt vertreten könnte; keine meiner Versicherungen nehme ich zurück, keines meiner Versprechen wird unerfüllt bleiben; ich werde jedes Wort erfüllen – bei meiner adligen Ehre!

– Wahrhaftig? erwiderte der Baron mit entrüstetem Hohne. Meinen Sie, ich wüßte das nicht? Aber dennoch und eben deshalb kann ich Ihren Worten nie und nimmer mehr traun. Kein Wort gegen die Wahrheit und doch mit jedem Worte eine Lüge, das ist Ihre feine Kunst, Madame, das ist die falsche Kunst, die Alles Leben unsrer Zeit vergiftet. Das Wort nur benutzen, um die Wahrheit zu verbergen, Versprechen geben, nur um das Vertraun zu mißbrauchen, Eide abzulegen, nur um ohne Eidbruch das Gegentheil zu thun, dahin hat der Verstand der Verständigen die Moral der Welt gebracht! Daß das in der großen Welt der Habsucht und des Ehrgeizes so ist, das hat mich längst nicht mehr befremdet; daß aber auch die Liebe, die heiligste Religion des Herzens nichts mehr ist, als die Diplomatie des Egoismus, die stete Hinterlist der Koketterie und Eitelkeit, diese Erfahrung, gnädige Frau, habe ich Ihnen erst zu verdanken. O, ich weiß es sehr wohl, während Sie in Ihren Augen, um mich nie ganz abtrünnig zu sehen, mich stets noch einen Schimmer von Hoffnung lesen lassen, stoßen Sie mich bei Seite, sobald ich Ihren Plänen hinderlich bin, verhöhnen Sie meine Leichtgläubigkeit –

– Verhöhnen? rief Adele aus, vor Schreck erbleichend. Edmund, ich – Sie verhöhnen?

– Ja, Sie – mich verhöhnen! Und nicht nur in Ihrem Herz, einem andern Manne in's Gesicht, um ihm einen Vorzug vor mir einzuräumen, verhöhnen Sie mich!

– Edmund, so bat sie jetzt unwiderstehlich zärtlich, Edmund, sehn Sie mir ins Gesicht, fest ins Gesicht, kann dieser Mund Falsches von Ihnen sprechen?

– Weiß Gott, ich würde es in diesen Zügen nicht lesen, und, solange ich nicht enttäuscht war, ich hätte es nicht geglaubt um Alles in der Welt, – aber ich selbst habe es gehört mit meinen eignen Sinnen aus Ihrem eignen Munde!

– Ich begreife nicht! Was wollen Sie? Wann? Wie? Gegen wen?

– Hier auf diesem selben Platze und meinem Bruder ins Gesicht, dem Attaché, Ihrem Attaché – Ihnen attachirt!

– Was der Attaché! O, der Verräther!

– Kein Verräther! Ich selbst war mein eigner Lauscher!

Und Edmund erklärte ihr, wie er damals ins Zimmer gekommen und sie belauscht habe. Das war ein Dementi, das auch die klügste Frau in Verwirrung bringen konnte. Sie durfte nicht leugnen und vermochte auch nicht, es zuzugeben; sie war fast außer Fassung gekommen, aber sie fand doch noch einen Ausweg, indem sie that, als könne sie sich ganz und gar nicht mehr auf jenes Gespräch besinnen, – so gleichgültig sei es gewesen; Edmund müsse es mißverstanden haben, in der Hitze seiner Leidenschaft, – und diese Leidenschaft stehe ihm so gut; wenn sie aber wirklich ein unartiges Wort gesprochen, so sei das nur Verstellung gewesen, um den Verdacht des Attaché auf ihre Neigung bei Seite zu lenken. Wie könnte ich Sie mit ihm vergleichen! so frug sie ihn mit unendlich vielsagend durchdringendem Blicke. – Er ist ein Pedant, ein Moralist, ein Verstandesmensch ohne Herz, ein schroffer, kalter, arroganter Diplomat. Und Sie, Edmund, – o, erst in dieser Stunde habe ich ja eine neue Probe davon erfahren, – Sie sind ein so reines edles Gemüth, der ganzen vollsten Hingabe fähig, – ich weiß es wohl – wie man sie nur zu selten noch findet. Und darum, Edmund, wenn ich wirklich nicht stets rückhaltslos aufrichtig gegen Dich war, – wer hat denn noch den Muth, es stets zu sein in dieser Welt! – so vergieb mir's, Edmund. Ich werde Dich versöhnen, all' Deine Zweifel besiegen, – sieh, ich nenne Dich Du, zum erstenmale so, wie Du es in Deinen Gedichten an mich thatest, denn ich will, all' die Poesie der Freiheit und des Glückes, die wir damals geahnt, soll jetzt wirklich werden zwischen uns. Was ich Dir noch nie so rückhaltslos, was ich noch nie einem Manne gestanden: Edmund, Dich, Dich liebe ich –

– Adele, Adele! Ist es möglich? Mein Bewußtsein verläßt mich! rief er in erschrecktem Entzücken aus, als er die unnahbare Spröde sanft hingebend in seine Arme sinken fühlte; aber sogleich auch raffte er sich auf und suchte sich von dem unwiderstehlichen Zauber ihres nahen Blickes und Athmens zu befreien. Nein, nein! Es ist nicht möglich! erwiderte er, sie mit banger Sorgfalt von sich weisend; Ihnen gegenüber darf ich nie die Besinnung, nie die Berechnung verlieren. Die Liebe zu Ihnen darf nichts als Intrigue, als das unausgesetzte Balance-Halten des Egoismus sein. Fort, fort von hier. Das ist doch kein Glück für mich. Ich ahne eine andere Liebe, die nichts gemein hat mit der klugen Falschheit dieser Welt, – der Stern, der unwandelbar wie das Firmament mir Ewigkeit herniederlächelt in dieses gleißnerische Leben, die Oase unerschütterlichen Vertrauens in der Wüste herzloser Verständigkeit –! O so lachen Sie doch, geistreiche Frau über diese Phrasen! Phrasen sind es doch nur, denn ich finde solche Liebe ja nie und nimmer mehr auf dieser Erde.

Sie barg ihr Antlitz in die Hände und rief schluchzend aus: O, darum mußten wir uns begegnen, ohne jemals wieder von einander uns befreien zu können! Wenn Sie wüßten, wie ich Sie verstehe! Wenn Sie ahnten, wie ich nach dem mich sehne, was Sie selbst vergeblich suchten! Ach! Gott weiß es, mein Herz ist einsam, angstvoll einsam, wie die Möve, die vom Ufer fort auf die weite, öde See sich verirrt hat. Land, Land! suchend, flattert sie in Verzweiflung hin und her – nirgends ein Fels, nirgends ein Halt – zum Sterben müde, ist sie im Begriff zu sinken. – Ja, Gott im Himmel verzeih mir's, im Begriff zu sinken war ich, da Du an mich herantrittst, da Du mich weckst aus meiner todesgleichen Betäubung, – Du, wenn nicht Halt und Rettung für mich, doch der Trost einer gleich irrenden Seele, der mein ruheloses Suchen, meinen Angstruf versteht. Einen Halt, einen Halt! rufen wir beide, laß uns beide die Errettung oder – den Untergang theilen. Bei allem, was mir heilig ist, so liebe ich Dich, Edmund, so bist Du meine letzte Hoffnung!

– Gott im Himmel, gieb mir Kraft; es nicht zu glauben! so rang Edmund mit ihr und mit sich selbst. Ja, verirrt bin auch ich, aber von Ihnen verlockt, weiter und immer weiter ins Unentwirrbare verlockt. Ich kann ja niemals wissen, ob ein Schritt mit Ihnen nicht ein Schritt weiter ins Verderben ist! Muß ich doch diese Ihre eignen Worte von Neuem auf die Goldwage legen! Sie verheißen mir Liebe? Was soll ich mit dem Worte, das hundertfach zu deuten ist? Birgt sich nicht eine neue Intrigue darin, mich aufs neue zu verlocken?

– Sie haben Recht; keine Worte mehr! Sie verlangen ein Zeugniß meiner Liebe. – Damit erhob sich die reizende Schäferin, schritt an den Toilettentisch, reichte dem Baron mit niedergeschlagenen Augen einen Schlüssel und fuhr erröthend, mit zitternder, zur Festigkeit gezwungener Stimme fort: Dieser Schlüssel führt Sie durch das Gewächshaus in mein Zimmer. Noch diese Nacht – sobald der Ball beendet – ich werde Sie erwarten – noch diese und noch eine Nacht gehören uns und unsrer Liebe –

Indem hatte sie sich um seinen Hals geworfen, einen kurzen glühenden Kuß auf seinen Mund gedrückt, und wollte dann aus dem Zimmer eilen. Er aber, wie wahnsinnig, berauscht und doch ernüchtert zugleich, rief im Kampfe mit sich aus: Hülfe, Hülfe! Ihr meine guten Geister, steht mir bei. Nein, keine Lüge, keine Komödie mehr! Ich kam nicht, um diese Liebe bei Dir zu werben; ich fürchte, ich hasse, ich verachte Dich und Deine Gunst. Hinweg mit dem Schlüssel. So – und nun gerettet! gerettet! Gott im Himmel sei Dank! Sirene, nun bin ich frei von Dir!

– Um des Himmels willen, er verliert den Verstand! so schrak Adele zusammen. Edmund aber erwiderte in triumphirendem Hohne: Nein, er hat ihn wieder, völlig wieder gewonnen. Wenn Sie heute, Frau Präsidentin, mich wiederum verschmähten, ich hätte mir das Leben nehmen können, denn Sie wären es werth gewesen. Nun aber Sie nicht besser sind, als all die leichtfertigen Weiber dieser gemeinen Welt, nun kann ich Ihre Huld verschmähen. Ich habe Sie besiegt. Ich habe die größte Komödiantin durch die Komödie besiegt, – ich bin jetzt reif für diese Welt!

Die Präsidentin erbleichte; an der Lehne eines Fauteils mußte sie sich aufrecht erhalten; noch kämpfte sie mit sich selbst, welche Miene sie annehmen, welche Wendung sie der Situation geben sollte, als vom Tanzsalon herüber ein Tusch der Musik ertönte.

– Das Zeichen der Demaskirung! so fuhr der Baron in seinem wilden Jubel fort: Wir beide sind demaskirt. Jetzt rasch zurück zum Maskenscherz! Die Alltagslarven wieder vor! Es lebe meine Braut! Es lebe die verständige Liebe, die Lüge und Diplomatie, es lebe die Carrière!

Damit wollte er zur Thüre, durch die er hereingetreten war, zurück in die Gesellschaft. Er schob den Riegel zurück; aber er konnte nicht hinaus; die Thüre war von Außen verschlossen. Er stürzte, schon besorgt, zur zweiten; auch sie war nicht zu öffnen. Weh mir! rief Frau von Stein, eine Katastrophe ahnend. Edmund aber hatte schon einen Entschluß gefaßt. Er griff den Schlüssel, den sie ihm vorhin überreicht hatte, vom Teppich auf, bat mit maliciöser Höflichkeit, dießmal von ihrem Vertraun Gebrauch machen zu dürfen, und riß die Thüre ihres Schlafgemaches auf, um von diesem die Hintertreppe hinab durch das Gewächshaus zu entfliehen.

Aber hier eine neue Ueberraschung. Er war rings von Verrath umgeben; es war kein Entkommen mehr möglich. Mit Pistolen in der Hand trat Oskar mit der unverwüstlichen Höflichkeit lachend ihm entgegen: Halt, mon très chère frère! Im Namen des beleidigten Gatten dieser Dame, nicht einen Schritt mehr!

– Im Namen des Gatten? schrie Edmund auf. Ist das Scherz oder Ernst? O, ist denn das ganze Leben eine Komödie!

– Eine Posse!

– Vielleicht auch eine Tragödie, – je nachdem, ob wir Narren oder Männer sind. Ich aber bin kein Narr, jetzt nicht mehr, am wenigsten der Deine. Was liegt mir an all' dem Possenspiel! Wohlan, machen wir einmal dem mit Ernst ein Ende! Bist Du ein Mann, der wirklich lieben kann und hassen, so stehe dafür ein! Satanisch hast Du an mir gehandelt, mit schmeichlerischer Grausamkeit unermüdlich die Keime alles Guten und Großen in mir ausgegäthet, und nun, wo Du damit fertig bist, wo ich ausgelernt habe, und, mein Leben zu sichern, in das Lager übergehen will, wohin Du mich locktest, – nun trittst Du mir wieder mit lächelnder Niederträchtigkeit in den Weg, mit einem Schlage alle meine mühsam zusammengestoppelten Intriguen vernichtend, alle Opfer meines Charakters und meines Herzens zum Spotte machend! Was steckt hinter dieser Maske? Bist Du Satan? Bist Du Mensch? Fort mit der ewig höflichen Klugheit! Haß oder Liebe will ich! Gieb mir die Waffe her! Blut muß ich sehen, Blut, damit ich weiß, ob Ihr Menschen seid oder Larven. Kein halbes Sein! Ein volles, ganzes Leben, oder Tod! Die Waffe her! Du oder ich! Du hast es ja gedroht!

Edmund war dem Bruder in die Arme gefallen, rang mit ihm um eine der Pistolen; sie rissen an den geladenen Waffen hin und her, – da fällt unter ihren Händen ein Schuß, und Oskar taumelt an die Wand. Er ist leichenblaß; er scheint besinnungslos, aber noch sammelt er sich zu den Worten: Schlechter Spaß! – Schick nach einem Arzt. – Hast doch einmal keine Lebensart! – Laß mich nur, laß! Mach, daß Du fortkommst! Flieh!

Edmund hörte Geräusch, man öffnete die Thüren; er konnte nichts besseres thun, als, von dem verhängnißvollen Schlüssel Gebrauch machend, durch das Gewächshaus und über die Gartenmauer zu entfliehen.

Der Präsident, Adele und neugierige Dienstfertige stürzten von dem Schuß herbeigerufen in das Gemach zu Oskar. Der Präsident war todtenbleich vor Schreck und Wuth über den Skandal. Er selbst hatte mit Oskar von Brandt, der sich zu seinem intimsten Vertrauten in Familien- wie in Amtsangelegenheiten emporgeschwungen, die Beobachtung und Ueberraschung seiner Frau verabredet, nachdem der aufgefangene Brief Edmunds ihre Vorsicht provocirt hatte. Der Präsident wollte nichts, als seiner Frau ein Dementi bereiten, um ihren intriguanten Uebermuth in Schach zu halten und zu seinen Plänen zu beugen. Er hätte seine Frau umarmen und küssen mögen, als sie in das Boudoir trat, in das man Edmund schon vorher hatte schlüpfen sehen. Aber jetzt, wo ein Skandal, ein eklatanter Skandal daraus geworden, war er der wüthende, in seiner innersten Ehre beleidigte Ehemann; nur eins konnte ihn besänftigen, der Eintritt des Prinzen, den, durch Neugier herbeigeführt, er jetzt ebenfalls in der Thür erblickte. Herr von Stein suchte rasch irgend eine Ausrede, bedauerte seine Gemahlin um den Schreck, der ihren Nerven schaden werde, – aber jede Ausflucht wurde zu Nichte vor dem finstern Blicke der Hoheit, die hier endlich ein Räthsel, das sie lange beschäftigt hatte, gelöst zu sehen meinte.

Am auffallendsten für den, der den Zusammenhang kannte, mußte dabei die Haltung Adelens sein. Statt erschreckt und niedergebeugt, war sie hoch aufgerichtet, und mit unantastbarem Stolze vortretend, machte sie der Spannung des Momentes ein Ende, indem sie vor den Anwesenden die Erklärung ablegte: Der Besuch, bei dem man mich überraschte, war auf mein Bitten gekommen, um für die Pläne, auf die ich meine Zukunft bauen will, mir als Rechtskonsulent zu dienen. Es ist nämlich, wie Hoheit vielleicht noch nicht wissen werden, meine Absicht, den ehrenvollen Namen einer Frau von Stein nicht länger zu führen. Ich werde morgen vor dem Civilgericht in aller gesetzlichen Form die Scheidung von meinem Gemahle beantragen.

Herr von Stein trat ferneren Erklärungen entgegen, bat seine Frau demüthig: Nur keine Mißverständnisse, keine Uebereilung! Es bleibt Alles beim Alten! Adele aber schnitt allem Einlenken den Weg ab mit den Worten: Damit Sie nicht die Illusion hegen, das sei noch möglich, so erfahren Sie hiermit, daß ich von diesem Augenblicke die Verlobte des Baron von Brandt bin.

*

 


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