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1.
Frauenlob.

Man könnte eine Geschichte der Weinhäuser und ihrer Gesellschaften schreiben. In ihnen spiegelten sich in jeder Epoche die Eigentümlichkeiten des öffentlichen Lebens am unmittelbarsten und originellsten wieder, und was wir von der Ideenentwickelung in Literatur und Politik aus schwerfälligen gelehrten Büchern oft mühsam genug herausstudiren müssen, wie lebendig und frisch würde es uns entgegentreten, wenn, wie jetzt die Parlamentsreden, so die Weinhausgespräche alter und neuer Zeit stenographisch zu Papier gebracht wären. Wahr wie die Wirklichkeit und interessant wie ein Roman wäre diese Geschichte, die uns alle die Anekdoten, die Controversen, die Schlagwörter und gangbaren Floskeln der verschiedenen Phasen des »Zeitgeistes« aus diesen engeren confidentiellen Kreisen seiner Wirksamkeit überlieferte. Wie liebenswürdig müssen der Enthusiasmus und die Satyre jener eleganten Genialen gewesen sein, die im Anfange dieses Jahrhunderts sich selbst und endlich aller Welt die Zöpfe abschnitten und hinwegspotteten, und über Liebe und Lieder, Wein und Weiber sinnreich und geschmackvoll debattirten, – bis dann später der alte Kammergerichtsrath T. A. Hoffmann, als die Zöpfe den Köpfen nach innen hineinzuschlagen schienen, in der Weinstube am Gensdarmen-Markte in Berlin mit seinen hyperoriginellen Freunden in abgeschabten Röcken und unsauberer Wäsche bei der Desperation cynischer Sentimentalität die Nächte hindurch trank, weil – oder obgleich er ein Dichter war! Dann nach diesen alten Genies kamen junge Genies; die hatten Tendenzen und Gesinnung; in Reisekleidern, frisirt à la Jesus Christ begegneten sie sich an den Tables d'Hote und frugen einander: für wen reisen Sie, mein Herr? – Für Hoffmann und Campe, Kotta, Fleischer u. s. w., waren die Antworten und dann jubelten sie zusammen und vertranken ihre Honorare in Toasten auf die Fanny Elster und die Julirevolution. Und wieder ein paar Jahre später, da finden wir zu Halle an der Saale Strande schon eine ernstere Gesellschaft die disputirte sehr lebhaft und sie war einmüthig und verträglich, wenn sie hegelianisch über das Absolute und das Urphänomen, aber entzweit und unversöhnlich, wenn sie deutsch über Gott und seine Welt sprach. Zwei Männer darunter trennten und einigten sich damals einmal über das andere, von denen jetzt, zwölf Jahre später, der eine flüchtig als unglücklicher Demagoge im Auslande über dem deutschen Kosakenthum verzweifelt, während der andere, berufen zur Befestigung der Throne, in dem Kosakenthum das Starkwerden des göttlichen Geistes erblickt. In der Zwischenzeit indeß machte die Kritik, die diese beiden trennte, in den Weinstuben sich breit; die jungen Talente, die hegelianisch zum deutschen Volke predigten und daran verzweifeln mußten, verstanden zu werden, zogen sich »unter sich« zurück und trösteten sich in Equivocen und Blasphemien; schöne Frauen, die sich emancipirte nennen ließen, lachten über den Geistreichsten und küßten den Ungezogensten, – sie alle trunken vom Allgemeinen, von freier Liebe und freiem Denken. In die zu Wachtstuben umgewandelten Bier- und Weinlocale, in das Säbelgerassel und das wüste Durcheinanderschreien um Ordnung oder Freiheit, in den Ausbruch jener allgemeinen Trunkenheit vom Allgemeinen im Jahre der Clubbs und Bürgerwehrwachen, auch dahin soll der Leser dieser Geschichte nicht zurückgeführt werden; sondern in jene Zeit, die alle dem folgte mit dem jammervollen Zustande, der jeder Trunkenheit folgt, so sicher wie die Nacht dem Tage; in die Zeit, wo jener Flüchtling schon flüchtig, und jener Berufene schon berufen war, in das Jahr der Restauration, die das Neue, das die Revolution geschaffen, hinwegzuräumen und durch Wiederbelebung des Alten zu ersetzen strebte.

Damals gab es in den Weinhäusern, in denen die Rudera des schiffbrüchigen Zeitgeistes sich zusammenfanden, keinen gemeinsamen Geist mehr, – weder des Ernstes noch der Ausgelassenheit, weder eines komischen Pathos noch frevelhafter Frivolität, – der um die Gäste ein weites einigendes Band geschlungen hätte. Nur einsam noch konnten die blasirten Freigeister mit den verblühten Emancipirten schäkern; einsam nur übte der Satyriker seinen Witz, und nur einsam hatte der Gesinnungsvolle noch Gesinnung. In vino unitas, nur im Weine beruhte die Gemeinsamkeit; in vino veritas nur die Wahrheit kam zu Tage: ein Jeder war sich selbst der Einzige. Die aufregende Finanzkrisis der geistigen Speculationen war vorüber, und die Gemüthlichkeit nahm somit im öffentlichen Leben wieder Platz; die großen Gegensätze des Lebens und Denkens der letzverflossenen Jahre schienen nicht mehr vorhanden zu sein; die Mannigfaltigkeit der Persönlichkeiten und Interessen füllte die allgemeine Unterhaltung aus und nur kleine Piquanterien ließen die tief verborgenen Gedanken, Wünsche und Hoffnungen ahnen.

*

Wir führen unsere Leser in ein Weinhaus der Residenz, das seit einem halben Jahrhundert stets als Sitz der Geistreichen bekannt war.

Es war nichts Seltenes, daß Fremde und sonstige Neugierige in dieser meist aus Literaten bestehenden Gesellschaft sich sehen ließen. Eine auffallende Erscheinung aber war es, als eines Abends ein oftgenannter Diplomat sich hier zeigte, Baron von Brandt, früher Attaché jetzt mit intimsten Kommissionen betraut im Ministerium arbeitend. Die einen wollten ihn als Spion ansehen, die anderen als Ueberläufer. Doch war er in der That, um eines von beiden zu werden, wohl zu stolz und zu harmlos, und nur Lust an Abwechselung konnte es sein, was ihn diesmal aus der exclusiven in die geistreiche Gesellschaft führte. In Amt und Studium machte der höchst talentvolle Baron Ordnung, Strenge und Genauigkeit sich zur Pflicht; im Leben aber liebte er Willkühr, Wechsel und Freiheit. Und gerade jetzt fühlte er so recht lebhaft das Bedürfniß nach Zerstreuung und Auffrischung, da die ernsteren Richtungen seines Strebens einem Punkte nahe zu kommen schienen, wo er ihnen eine neue Wendung geben mußte, und da er selbst, bei dem jeder Schritt mit Berechnung, wie eine dramatische Katastrophe mit Nothwendigkeit und Erfolg vor sich gehen mußte, den Augenblick, von der alten Bahn abzubrechen, und das Ziel, das er der neuen stecken solle, in rastloser Spannung suchte. Um in dieser Stimmung peinvoller Unruhe, lauernder Anspannung eine Erholung sich zu gönnen, ging er nun dahin, wo er den Humor von alle dem, was die Zeit bewegte, zu finden hoffte; und wenn er nicht vergaß, daß die Berührung mit diesem Kreise einem Manne von seinem Stande und in seinen schon gesetzteren Jahren höheren Orts als auffällig vermerkt werden dürfte, so war er sich doch dessen gewiß, daß das, was man einem Anderen als unpassend verworfen, man ihm als genial verzeihen werde.

Doch mußte er bald hier bei den Politikern des Witzes dieselbe gedrückte Stimmung entdecken, der er in sich selbst entgehen wollte. Man sprach wenig, denn man hütete sich, die alten Differenzpunkte zu berühren, die noch kaum vor Jahresfrist die jetzt beisammen Sitzenden zum Theil auf Tod und Leben trennten, die auch heute wieder bei den ersten Controversen alle Verständigung unmöglich machen, Manchen in seiner Sinnesänderung kompromittiren und sie alle der Gefahr denunciert zu werden, aussetzen konnten.

Dabei war es dem Baron denn doch interessant, die verschiedenen Situationen zu beobachten, in welche die einzelnen Personen, meistens im Grunde der ultraradikalen Richtung angehörend, den herrschenden Mächten gegenüber sich stellten. Die Einen waren offen zur Gegenpartei übergegangen und, ohne die Intimität mit den alten Freunden abzubrechen, leisteten sie der Regierung für baare Bezahlung jedweden verlangten Dienst. Dagegen war es den Redakteuren des humoristischen Wochenblattes, das durch die Souveränität seines Witzes und die Anzahl seiner Abonnenten zu einer wahren Macht im Staate geworden war, möglich geblieben, ihrer radicalen Gesinnung treu zu bleiben, indem sie mit ihrem souveränen Witze die oppositionellen Parteien des Centrums verfolgten, in deren Bekämpfung sie mit der ihnen entgegengesetzten Regierung zusammentrafen.

Originell war die Weise, in der ein talentvoller Literat, Dr. Stern, seine socialistische Schwärmerei mit der Mitarbeiterschaft an einem officiellen Organe vereinigen konnte. Er verachtete, wie er selbst sagte, die Demokraten, weil er die Demokratie liebte, und während er deren Principien nicht aufgab, sprach er das Anathema aus über alle Personen und Parteien, die jemals ihre Verwirklichung versucht hatten. Noch einen Einigungspunkt fand er mit den Männern der herrschenden Politik, – wer wird es ahnen! – in der Sympathie für die Kosaken, die aber, wie er versicherte, nicht die Sklaverei, sondern die Freiheit bringen sollten. Er behauptete nämlich, die germanische Volkskraft habe sich ausgelebt; sie habe einmal nicht die Fähigkeit praktischer Energie und deshalb müsse die Thatlust, an der es ihr fehle, durch den Zuschuß eines neuen Elementes, frischen ursprünglichen Blutes gewonnen und gezeugt werden; dieses rasche, geschmeidige, bewegliche Element nun lebe in den Slaven und harre zu unserer Glückseligmachung vor unsrer Thüre. Damit hatte er sich nicht nur zugleich mit dem Demokraten und dem Reaktionär freundschaftlich abgefunden, sondern desgleichen mit den revolutionären Panslavisten, die es sich zur Pflicht machten, seine Bücher, als die eines Gesinnungsgenossen, sich anzuschaffen.

Da der Baron von Brandt diesen Herren gegenüber als Reaktionär, wenn nicht verachtet, so doch gefürchtet wurde, so ließ man die Politik heute bei Seite, und das Gespräch drehte sich um Stadt- und Hofgeschichten, wobei man die Theilnahme des Barons herauszufordern suchte, um Neuigkeiten von dieser in so vielfachen Verbindungen lebenden Personen zu erfahren.

Vorzüglich auf die vor wenigen Monaten vorgegangene Verheirathung der Excellenz von Stein mit der interessanten Adele, die man eine spröde Abenteuerin nannte, um so mehr interessant, als ihr Ursprung im Dunkeln war, kam die Unterhaltung stets von neuem zurück. Man wollte allerlei von den Verhältnissen dabei wissen, eben weil man nichts Bestimmtes behaupten konnte. Die Einen meinten aus ganz zuverlässiger Quelle versichern zu können, die schöne Frau lebe entsetzlich unglücklich mit dem alten mephistophelischen Diplomaten; die Anderen wieder wußten ebenso bestimmt, die Liebe und Treue sei bewundernswürdig, mit der sie in die Launen dieses geistreichen Staatsmannes sich ergebe, dann wieder munkelte man, die Dame lebe sehr glücklich, freilich nicht mit der Excellenz, sondern mit einer unendlich höheren Person, und endlich wurde gar eine wunderbare Geschichte erzählt, wie sie, um ihren Geliebten vor den Gerichten zu retten, der eines Nachts einen Nebenbuhler vor ihrem Fenster erschossen hatte, ihre Gesinnung und ihre Liebe dem ungeliebten Roué verkauft habe – und bei alle dem sah man stets auf Baron Brandt, erwartend, daß er, der in dem geheimnißvollen Hause täglich aus- und einging, das eine wiederlegen, das andere bestätigen würde. Aber dieser kniff sein Gesicht nur in eine sonderbar satyrische Miene zusammen, freute sich scheinbar über die erwähnten Gerüchte als über neue, interessante Thatsachen und fügte höchstens ein erstauntes »was Sie sagen!« dazu bei.

Als Herr Dr. Stern vergeblich aus dem Attaché ein paar Skandälchen herauszubringen versucht, hörte er auf das Gespräch von ein paar jungen Juristen, die von den Manoeuvern erzählten, die sie anstellten, um die Vermögensverhältnisse der heiratsfähigen Damen aus den Vormundschafts-, Nachlaß- und Hypotheken-Akten in untrügliche Erfahrung zu bringen. Er erkundigte sich nach der Mitgift mehrerer jungen Damen, – von einem Fräulein Viktorine, die man eine genial herzlose Kokette nannte, erfuhr er, daß deren Verhältnisse noch nicht festgestellt seien, und über Fräulein Cordelie von Brandt konnte der Attaché ihn versichern, daß sie als Geheimrathstochter außer ihrer schönen Seele so viel wie Nichts besitze.

Es gab dabei allerlei interessante, theils warnende, theils aufmunternde Aufschlüsse für die eben beginnende Wintersaison über glänzend erscheinende Partien, die arm und über anspruchslos erscheinende, die reich waren, als kurz nach einander eine Anzahl neuer Gäste hereintrat. Das Theater war beendet und füllte jetzt die öffentlichen Lokale. Unter den Eintretenden fiel eine Persönlichkeit auf, die zu jener Gesellschaft herantrat, ein Mann älter als alle die jungen Leute, aber doch das, was man einen Mann, in den besten Jahren nennt, behäbig und doch stattlich, wohlwollend und doch würdevoll, korpulent und doch agil. Er grüßte die Gesellschaft im Allgemeinen mit freundlich lächelnder Herablassung, Baron Brandt im Besonderen mit ernster Hochachtung, die dieser kaum mit Nicken erwiderte.

– Gott, Gott, rief er aus, sobald er auf dem schmalen Stuhle mit möglichster Sicherheit balancirte, und Sie waren nicht im Theater, meine Herren? O, ein Crimen, ein Verbrechen am Geiste, an der Kunst. O, ein Verlust für Sie, den Sie ewig zu bereuen haben, da ich weiß, was Sie auf vollendete Künstlerschaft geben. Gott, Gott, diese Cilly. Charles, so redete er den Kellner an, der ihm eben ein Glas voll schenken wollte, – nein, keine Droschke heute (– so wurde der gewöhnliche Wein genannt, der aus offenstehenden Flaschen den Gästen ohne besondere Gattungsbezeichnung geschenkt wurde –) nein, heute keine Droschke! Ich kann nicht, bei Gott, – Charles, eine Flasche Sekt sollst Du mir bringen; ich muß mir das Herz erleichtern. Ach ja, es ist wahr, was der Dichter sagt: ernst ist das Leben, – diese Perfidien, diese Intriguen, diese Kabalen, zahllos, zahllos gegen mich gerichtet!

Tief seufzte er auf, der würdevolle Mann, und sah den Baron an, als habe er diese Worte an ihn vorzüglich gerichtet. Der Baron, in seinen Stuhl aristokratisch legèr zurückgelegt, antwortete nur mit einem Ach, dessen zweideutiger Ton dem echauffirten Redner zu entgehen schien. – Aber ja, fuhr dieser mit einem neuen Aufschwung fort, ja, heiter ist die Kunst und Trost genug für alle Kränkungen dieser Welt. Gott, Gott, meine Herren, daß Sie Cilly heute nicht gesehen haben! Sie kennen Cilly meine Herren, wenn auch nicht persönlich wie ich; aber Sie wissen, daß Sie das reizendste Geschöpf ist, das die Phantasie der Natur hervorbringen konnte. Wie unvergleichlich ist in ihrer Figur die Mitte getroffen zwischen stark und schmächtig! Schlank ist sie wie ein Lilienstengel und voll wie eine Rosenknospe, – eine Taille so schmal und ein Wädchen so muskulös, daß ihr Strumpfband ihr Gürtel sein kann. Ein Mündchen so fein wie eine Lilie und so roth wie eine Koralle; ein paar Augen wie von einer Gazelle, und ein Füßchen – Gott, Gott, ein Füßchen! Sehen Sie, meine Herren, das ist meine Hand, – keine Damenhand, aber eine kleine Hand, und ich sage nicht zu viel, Herr Baron, wenn ich sage, sie kann exerciren auf meiner Hand mit den Füßchen!

Der Würdige schien nur für den Baron zu reden und da zu sein; er wurde deshalb unangenehm genug gestört, als statt dessen Dr. Stern ihm erwiderte: Hört sie also auf Kommando? Ist sie gut dressirt?

– Meine Herren, scherzen Sie nicht, so fuhr er in sittlicher Entrüstung auf. Keinen Scherz mit diesem Mädchen! Bei Gott, sie ist nicht nur groß als Künstlerin, auch groß als Mädchen. Meine Ehre darauf! Honny soit qui mal y pense. Sie ist rein wie ein Kind, fromm wie ein Engel, das Kind! Ich kenne die Welt, ich kenne das Theater – wer sollte das Theater kennen, wenn nicht ich! Aber ich will keine Ehre haben, wenn ich für dieses Engels Ehre nicht mein Leben einsetze!

Der sittlich Entrüstete schien sich in seinem Pathos zu gefallen und er fand es seiner Würde angemessen nur allmählig sich beruhigen zu lassen. Dann fuhr er im enthusiastischen Lobe der jungen Sängerin fort und exaltirte sich über ihr heutiges Auftreten. Die Zerline heute war der Glanzpunkt aller ihrer Rollen. Schon die Toilette, meine Herren, – was kann in der Toilette für eine Kunst liegen! Es lag ein schöner Gedanke in diesen kurzen Röckchen, die alle gleichlang waren und die Abstufungen vom blauen Kleidchen zum weißen, rothen und wieder weißen Unterröckchen sehen ließen. So kokett durch und durch, bis auf das letzte Unterröckchen – sagen Sie ist der Gedanke nicht groß? O, und diese Stimme, dieses Spiel, diese Seele! Sie kennen sie meine Herren, rief er aus, aber wenn sie stets unübertrefflich war, heute hat sie sich selbst übertroffen. Solche Zerline ist noch nicht dagewesen. Gott, Gott – »fühlst Du, wie's klopfet hier? das helfe Dir!« – so ging seine Entzückung in sinnvolles Trellern über.

Ihnen ist ja doch nicht zu helfen, lieber Herr, lachte Dr. Stern, und der Andere erwiderte: Sollen's Ihre Recensionen etwa thun? die werden mich nicht überzeugen und Niemand im ganzen Publikum. Was wollen Sie von Kunst verstehen, wenn Sie das nicht entzückt? Und Ihre Recensionen, da sehen wir es ja, was darauf zu geben ist, – die schreiben Sie ohne die Vorstellungen gesehen zu haben. Da ist es natürlich, daß Sie nicht entzückt sind, besonders wenn man weiß, woher Sie Ihre Berichte holen.

– Veni, vidi, vici: ich war im Theater, habe den ersten Akt gesehen, und – man hat mich nicht besiegt.

– Sie haben sie gesehen? Nun, und was sagen Sie von der Cilly als Zerline und der Fioretti als Anna?

– Daß die Fioretti klassisch war wie immer und die Döbbelin trivial wie immer.

– Trivial? Gott, Gott, armes Kind! Warum mußtest Du auf die Welt kommen, um diese Menschen beglücken zu wollen? Cilly und trivial!

– Und als Künstlerin in der That trivial. Sie mag ein allerliebstes Persönchen sein, – ich weiß es nicht, als Recensent habe ich es nur mit ihren Darstellungen zu thun, mit den Characteren, in die sie sich hinein zu leben versteht, und sie kann sich in keinen Character hineinleben, sie kann nur immer sich selber geben. Sie mag Temperament haben, Leben, Race, aber keine Seele und keinen Esprit. Sie ist eine vollkommene Courtisane, hinter den Koulissen vielleicht noch besser als vor den Lampen; eine Künstlerin ist sie jedenfalls nicht. So lange ich ein Wort über Kunst mitzusprechen habe, und bis jetzt habe ich wohl noch die Stimme des Publikums geleitet, so lange wird es meine heilige Pflicht sein, den Unterschied zu behaupten zwischen Künstlerschaft und Courtoisie. Alle Hoheit der Kunst läuft Gefahr verloren zu gehen; der Tempel Thalia's ist erfüllt von den Priesterinnen der Frechheit. O, es ist ein kanailleuses Volk, dieses ganze Theatervolk.

– Herr, Sie kennen ja diesen Engel nicht; sie ist ja eine Ausnahme unter Zehntausenden, sagt Hamlet, – so sprach der Würdige mit seelenvollem Tone.

– O, ich kenne sie alle, alle! Und auch ich kenne Ausnahmen, aber das sind andere.

– Wie die Fioretti zum Exempel? O ja, eine herrliche Ausnahme. Eigenschaften wie sie hat keine zweite Sängerin, – einen Fuß wie ein Elephant, und eine Stimme wie ein Kakadu. Sie sang Ihnen heute eine Donna Anna, mein Herr Baron – so wendete der stattliche Herr sich an Brandt, zwischen dem und Stern er seine Aufmerksamkeit theilte, – ich sage Ihnen, daß das Publikum aus dem Hause gegangen wäre, wenn man nicht die zweite Arie der Zerline hätte hören wollen. Der ganze Don Juan war heute ein Skandal und er wäre mit Pauken und Trompeten ausgezischt, wenn nicht die Cilly Döbbelin das Publikum in Respekt gehalten hätte; nur ihretwegen haben sie bis Ende ausgehalten und haben ihr applaudirt, daß es ein Jubel war, und morgen wird Dr. Stern von der Fioretti nicht Lobes genug sagen können, aber das ganze Publikum wird nichts darauf geben, denn das ganze Publikum wird wissen, warum er die Fioretti lobt.

Und Freund Herz wird morgen in der ganzen Stadt herumlaufen, und über die Döbbelin exaltirt sein, die das Publikum durch ihre Schlüpfrigkeit bis zum Ekel kitzeln wollte, aber alle Welt wird die Nase rümpfen, denn alle Welt wird wissen, warum Herz über die Döbbelin exaltirt ist.

– Und warum, mein Herr?

– Sie sagen es ja selbst, mein Herr: weil Sie sie kennen.

– Ja, ich kenne sie, aber Sie kennen sie nicht, sonst würden Sie mit anderem Tone von ihr sprechen.

– Ich, und sie nicht kennen? Ich die Cilly Döbbelin nicht kennen? Seit acht Jahren lebe ich an der hiesigen Bühne, und sind die Döbbelins vor vier Jahren nicht als Anfänger hier durchgefallen?

– Und Sie haben sie gekannt?

– Gut genug, um Ihnen, bester Herr, wenn Sie sie wirklich nicht besser kennen, als Sie sie zu kennen vorgeben, mein Mitleid zu schenken, daß Sie dupirt sind.

– Ich dupirt? rief der Würdige in einer Aufregung aus, die seiner Würde, auf die er so viel gab, Eintrag zu thun drohte.

– Ich will es Ihnen beweisen.

– Sie mir beweisen? Sie mir beweisen? Schön! Bon! Angenommen! Beweisen Sie mir! Wie werden Sie mir beweisen?

– Zehn Louis paré!

– Zehn Louis paré! Oho, angenommen, abgemacht! Wie werden Sie mir beweisen?

– Sie werden morgen von der Cilly zum Dejeuner erwartet, sagte Stern mit nonchalanter Sicherheit. Mein Gott, erschrecken Sie nicht, leugnen Sie nicht, – ich kenne die Lebensart von Fräulein Cilly und weiß, welcher Erholung, welchem dolce far niente, welcher orientalischen Ruhe auf ihren Lorbeeren sie sich am Tage nach einer anstrengenden und aufregenden Rolle hingiebt – das sind ja bekannter Weise bei jeder Sängerin die schönsten Stunden, ihre Stunden der Andacht!

Stern lachte dabei wegwerfend; die übrigen Gäste lachten ebenfalls; Herz wurde roth, machte eine schlaue Miene und lachte redlich mit, indem er mit Befriedigung frug: Nun und –?

– Nun, und wenn statt Ihrer ich morgen das Frühstück bei Cilly einnehme, so habe ich die Wette gewonnen; im andern Falle zahle ich die zehn Louis. Handschlag darauf! Meine Herren Sie sind Zeugen. Abgemacht! Sela!

Die Wette ward abgeschlossen. Dr. Stern entfernte sich, – man sagte, er könne keinen Wein mehr vertragen. Herz hatte Zeit von seiner Exaltation sich zu sammeln und den Eindruck zu betrachten, den sein imponirendes Wesen auf die Gesellschaft und den Baron insbesondere hervorgebracht habe.

Herr Herz war – er selbst wenigstens zweifelte nicht daran – ein großer, ein berühmter und einflußreicher Mann; und doch wenn er seine ins Gewicht fallenden Eigenschaften hätte aufzählen sollen, so wäre es ihm schwer geworden, seine Größe in etwas Anderem zu finden als in der Größe seiner Freude; er war genährt von dem Ruhme der Berühmtheiten, die er protegirte und tractirte; er war ein Schmarotzer der Popularität in Kunst, Wissenschaft, Politik und worin man sonst nur irgend Aufsehen erregen kann.

Zu den Größen, den Specialitäten der Stadt gehörte auch Baron Brandt, mit dem die öffentliche Meinung sich mannigfach beschäftigte, da er mit dem ersten Ausbruch der Revolution sich lebhaft an derselben betheiligte, dann plötzlich eine Sendung nach England annahm, und, als er von dort im Herbst zurückkehrte, der Regierung mit einer energisch conservativen Gesinnung zur Seite ging. Er war einer von denen, die den Meisten als Heuchler oder Ueberläufer erscheinen, weil sie unter den Conservativen für revolutionär, unter den Revolutionären stets für conservativ gelten. Die bekanntesten Züge seines an Abenteuern nicht armen Lebens waren die, daß er, der stets vor Schulden kaum Luft hatte schöpfen können, plötzlich großartig glückliche Börsenspekulationen gemacht, und um eine große deutsche Kolonisation zu leiten, eine Reise vor mehreren Jahren nach Amerika und Australien unternommen hatte, – ein Projekt, dem durch den Ausbruch der Revolution für den Augenblick das Ziel bei Seite gerückt war.

Herr Herz sah in der Anwesenheit des Attaché in diesem Lokal eine Liberalität, eine Würdigung seiner selbst, und versuchte es, ihm sich aufmerksam und anerkennend zu erweisen und zugleich durch seine eigne Persönlichkeit ihn so weit zu fesseln, daß er ihn als Juvel dem Perlenschmuck seiner intimen Bekanntschaften anreihen könne. Deshalb prahlte er mit der Tugend, und gleich darauf auch, an Gedächtniß und Konsequenz schwach genug, mit der dem widersprechenden Intimität seiner schönen Theaterbekanntschaft.

Da er durch alles das den Baron, um dessen Intimität er freite, nicht aus der nonchalant beobachtenden Ruhe hatte provociren können, so hielt er, einem leisen Gefühle von einer Uebereilung und der seiner Würde nicht angemessenen Gereitztheit folgend, es für geeignet, von den Kabalen zu erzählen, die ihn zu ihrem Ziele hätten und ihn wohl aus seiner charaktervollen Ruhe bringen können. So habe heute erst seine Cilly durch die Stadtpost einen Brief, anonym, von unbekannter Hand, erhalten, – wie es darin hieß, geschrieben von einer zitternden gichtkranken Dame, – der nur den Inhalt und Zweck gehabt habe, ihn zu verleumden und aus seiner vertraulichen Stellung zu entfernen. Er sei überzeugt so fest wie von seinem eigenen Sein, schloß der Würdige, daß dieser Brief von Niemand anders herrühre als von der Fioretti und eine Intrigue sei, die Partei der Döbbelin zu schwächen. Ich weiß das, sagte er, aber ich kann es nicht beweisen, und so lange ich es nicht beweisen kann, will es mir Cilly nicht glauben, die von der falschen Höflichkeit der Fioretti ganz bezaubert ist zu ihrem eignen Verderben, – o, wenn sie es endlich merken wird, wird man ein zu spät! zu spät! ihr zurufen müssen!

Auch das rührte den Baron nicht, der mit beleidigend nichtssagendem Blicke den Andern im Auge behielt, ohne irgend ein Zeichen der Bewunderung, oder auch nur der Theilnahme, sei's durch Beifall oder Mißfallen, zu erkennen zu geben. Dem Börsenmanne wurde es peinlich vor diesem vornehmen Blicke; er glaubte wirklich manchmal Ironie darin zu sehen, aber er mußte die Gleichgültigkeit des vornehmen Mannes durchbrechen, – und wenn dieser ihm nur ein Ja, nur eine Frage, nur ein Lächeln schenkte, so konnte er ihn morgen grüßen, er konnte in Estaminet ihn anreden und allen Leuten sagen: der Baron, ob ich ihn kenne? – mein Gott, ich bin intim mit ihm, intim von Kindesbeinen! Er redete sich deshalb immer mehr in Aufregung und Uebereiltheit hinein; ja, der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, aber er konnte dem Erhabenen, dem Manne von Hofe kein Nicken, kein Lächeln abgewinnen. Da besann er sich, der Stoff seiner Reden mochte dem großen Herrn nicht bedeutend genug sein; er war ja ein Allerweltsmann, er wollte den Diplomaten von Diplomatie unterhalten.

Er wußte, Baron Brandt war kein Reaktionär, er konnte kein Demokrat sein, folglich blieb nur ein Platz unter den Eigentlichen, den Edlen übrig. Herz sprach über die Tragödie im Schicksal eines Gagern, über den eigentlichen Constitutionalismus, die wahre Freiheit, die englische Freiheit, – bei jedem Worte las er mit wahrhaft magnetisch, tiefblickenden Augen in den Mienen des umfreiten Mannes, nach dessen Bekanntschaft seine Eitelkeit bis zum höchsten Stadium der Lüsternheit gereizt war, und mehremal erschien es ihm schon, als belebe endlich Theilnahme seinen Blick, als lächle Beistimmung daraus entgegen; das machte ihn dreister; er erhob sein Organ, er ließ seinem Pathos die Zügel lockerer und sprach mit dem gewichtvoll warnenden Tone eines Propheten von dem Unglück, daß solche edle vermittelnde Naturen, wie es deren auch hier in seiner nächsten Nähe gäbe, – dabei deutete er mit einer Neigung auf den Baron – in den jetzigen Gefahren vom Ruder des Staatsschiffes entfernt seien; er ging noch weiter in seinem großen Enthusiasmus, er rief das Wehe! Wehe! aus über diese unglückliche Verblendung der Regierungen – da endlich trat eine unzweideutige Miene in den Zügen des Baron auf, aber es war keine ersehnte; finsterer Unwille lagerte sich zwischen seinen Augenbrauen. Erschreckt bis zum Blaßwerden hielt Herz inne in seinen Lästerungen und sprang schleunigst über, zu sprechen von dem »Unfug« der Demokratie, von der Unreife des Volkes; er wollte die Versöhnung anbahnen durch Heiterkeit; er erzählte eine Anekdote, wie ein Bauer in der Zeitungsredaktion, in der er selbst bekannt sei, – er selbst sei natürlich dabei gewesen, denn er war bei Allem dabei gewesen – einst die jüngst verkündete Preßfreiheit dahin ausgelegt habe, daß er seinen Viehverkauf unentgeldlich anzeigen könne; es könne ja jetzt Jeder drucken lassen was er wolle!

Da lachte der Baron, ganz deutlich, ganz unverkennbar unter beiden Seiten des kecken Schnurrbartes, und nun war der Moment gekommen, sich ihm zu nähern, mit Sturm seine Intimität zu erobern. Herz stellte ein Glas vor den Baron, – der ließ es geschehen; dann füllte er es von seinem Sect, – auch das ließ er zu; dann ergriff Herz sein Glas und rief mit freudestrahlendem Blick: Den Männern, die vor dem Wahnsinn der entfesselten Masse uns bewahrten, die die Ruhe und Sicherheit dieser Stunde uns verschafften, den Männern der rettenden Thaten!

Dem Baron zuerst hielt er das Glas entgegen, um ihn als den Gefeierten zu bezeichnen. Doch der Baron, ohne sich zu rühren, sah ihn groß und unbefangen an. Herz bat, erröthend, mit jungfräulich schöner Verlegenheit, mit ihm anstoßen zu wollen. Aber überrascht, vollkommen wie unwissend und unschuldig, frug dieser: Wer? was? wie? Meint der Herr mich?

Herz stotterte: Wenn ich wagen dürfte, – ich habe die Ehre Sie zu kennen, Herr Baron, – Gott, ich habe schon Ihren Herrn Vater gekannt, – ich bin, – Sie kennen mich ja wohl?

Baron Brandt wandte sich mit hämisch ruhigem Tone an einen ihm bekannten jungen Mann und sagte legèr: Lieber Doctor, sagen Sie doch diesem Herrn, daß ich ihn durchaus nicht kenne und auch gar keine Lust verspüre, ihn kennen zu lernen.

Der Attaché erhob sich dabei, fluchte in seinem Mißmuthe, der durch diese Unterhaltung nur sehr wenig erheitert war, in sich hinein: Bah! ich habe keine Lust mehr am Manne, – aber am Weibe? an dem einen Weibe! – zum Teufel auch daß ich solch ein Thor bin! – und stieg damit die eiserne Wendeltreppe hinauf zu dem oberen Theile des Lokals wo für die Vertrauen erregenden Personen eine heimliche Spielbank errichtet war.

*

 


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