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12.
Schuld.

Als Brudermörder verbarg sich Edmund bei Dagobert. Er fürchtete nur eine Verhaftung; sein Leben war ihm gleichgültig.

Dagobert, von seiner Lage in Kenntniß gesetzt, ging aus, um Kundschaft über den Stand der Dinge einzuziehen.

Er kehrte mit der Nachricht zurück, daß soeben Polizeibeamte in Edmunds Wohnung gedrungen seien, und brachte ein Billet mit, das vordem dort an Baron Edmund abgegeben war.

Das Billet war von Adele. Es lautete:

»Und dennoch liebe ich Dich. Ich kenne kein Opfer, das ich Dir nicht bringen könnte. Ich habe gebrochen mit der Lüge, abgeschüttelt alle Fesseln, von dem ungeliebten Manne mich losgesagt. Ich bin die Deine; ich will Deinen Namen tragen, sorge Du für die Ehre desselben, wie wir beide dessen würdig sind!«

Zugleich konnte Dagobert die Mittheilung nicht zurückhalten, daß der Auftritt bei dem gestrigen Balle des Präsidenten im Publikum bereits die mannigfachsten Auslegungen fände und daß die Ermordung des Attaché in aller Munde lebe.

Dennoch kam kurz darauf durch Edmunds Diener, der in das Geheimniß seines Aufenthaltes mit hineingezogen war, ein Brief an, in dessen Aufschrift schon Oskars Hand erkannt wurde.

»Halte das elfte Gebot« – so lautete der Inhalt – »und laß Dich nicht verblüffen! Ich lebe noch! Dein edler Vorsatz, mir auf überraschend schnelle Weise in die bessere Welt hinüber zu helfen, ist leider mißglückt, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich in unserer civilisirten Welt es für angemessen halte, zu jedem Abentheuer die Pistolen ohne Kugeln zu laden; es ist jetzt keine Zeit für Tragödien, nur für Possen, – und so haben denn Pfropfen und Pulver mir, wenn auch schmerzlich, so doch nicht mein liebes Leben gefährdend, den Arm verletzt. Schlimmer ist die Sache für Dich, weil man bei Verfolgung Deiner Person die Gelegenheit zur Untersuchung Deiner Papiere wahrgenommen und die Dokumente gefunden hat, die Dich als den flüchtigen und zu Pulver und Blei begnadigten Baron R..... der ungarischen Insurrektion verrathen. Also, damit man Dich nicht ausliefere, flieh, flieh augenblicklich nach Hamburg und England, von dort werde ich Dir weiterhelfen nach Amerika. Mein Banquier steht Dir zu Gebote. Ich bin &c.«

Also blieb ihm doch nichts, als das Vaterland zu verlassen, zu fliehen in eine ferne fremde Welt, aus der Kultur in ein Land der Wildniß.

Auf Adelens Brief schrieb Edmund folgende Antwort:

»Sie überraschten mich unbeschreiblich, freudig und schmerzlich zugleich, hochgeehrte Frau, mit Ihren freundlichen Zeilen vom heutigen Morgen, – freudig deshalb, weil Sie meinen Namen einer so hohen Ehre für würdig hielten, und schmerzlich deshalb, weil ich dieser Würde verloren gehe in dem Augenblicke, wo sie mich beglücken soll. Denn ich weiß, Sie werden es für eine Entwürdigung meines Namens halten, daß er mit einem Verbrechen jetzt offenkundig belastet ist, das ich für die Gesinnung begangen, die uns einst in idealer Vereinigung verband, daß er unter denen der übrigen Hochverräther am schwarzgelben Galgen zu Pesth jetzt aufgezeichnet werden wird. – Erfahren Sie es kurz: meine Teilnahme an der Insurrektion ist entdeckt; mir bleibt nichts als mit den nothdürftig ausreichenden Resten meines Vermögens mir in Amerika eine Waldstrecke zu kaufen, sie selbst auszuroden und anzubauen. Sie schreiben, Sie wollten die meine sein; aber als die meine mir in die neue Welt zu folgen, ich weiß es, das gehört zu den Opfern, die Sie nicht zu bringen vermögen, – zu denen also, von denen Sie schreiben, daß Sie sie nicht kennen. Ich kann das mit Bestimmtheit und mit Härte aussprechen, denn ich verstehe Sie jetzt, gnädige Frau, und besser vielleicht, als Sie sich selbst verstehen, und gut genug, um zu wissen, daß Sie sich täuschen, wenn Sie mich zu lieben meinen. Sie haben ewig das Verlangen zu lieben, aber Sie werden nie zu lieben vermögen, weil Ihnen eins fehlt: die Fähigkeit des Opfers. Sie kennen nur Verlangen, nicht Gewähren, nur Rechte, nicht Pflichten, nur Glück, nicht Beglückung. Und so werden Sie weiter in das Leben stürmen, Liebe stets vergeblich suchend, eben weil Sie suchen, was Sie schenken müssen! Das Verlangen wird Ihre Seele verheeren; wie eine Wüste wird Ihr Herz leer und öde sein. – Doch ich werde pedantisch! Ich sehe, Sie lächeln über diese Worte, wie ich Sie einst zürnend gegen ›Ihren Attaché, Ihnen attachirt‹ ausrufen sah: Kommen Sie mir nicht wieder vor die Augen, wenn Sie moralisch sein wollen! So lassen Sie das denn auch meinen Abschied sein! Sie werden den Schwur halten, den Sie mir einst gethan: nie eines Mannes Sklavin zu sein, – mögen Sie, wie immer Sie ihn auslegen, glücklich damit werden! Ich hoffe Ihnen das Zeugniß gegeben zu haben, daß ich ein Mann bin und nie eines Weibes Narr sein werde!«

Mit sichrem Selbstbewußtsein hatte Edmund diese Zeilen geschrieben, aber dennoch konnte er einer Wehmuth bei dem Stolz dieses Gefühles sich nicht erwehren. Die Früchte, die durch die Erfahrungen seines Charakters ihm gereift, waren hart und herb, und mit ihrem Gedeihen waren abgestreift alle die Blüthen zarter Empfindung. Er fühlte sich jetzt als Mann, als Charakter; aber nichts von den geheimnißvollen Ahnungen der Liebe in sich erfüllt oder bewahrt zu sehen, regte doch eine Schwermuth in ihm an, von der es ihm war, als werde sie so unvergänglich sein, als sie jetzt schmerzlich in ihm auftrat. Und so wollte er einen Wunsch des Herzens vor dem Abschiede vom Vaterlande noch sich erfüllen, Viktorine zu sehen, um geachtet von ihr zu scheiden, die er liebend hinterließ.

Mit falschem Barte und fremder Tracht ging er in der Dämmerung in ihr Haus und ließ als ein Maler Werther sich bei dem Fräulein melden, der an sie empfohlen sei.

Als er vorgelassen war, fand er sie allein in ihrem Zimmer; beim Schein der Lampe, die auf ihrem Arbeitstische schon brannte, sah er, daß sie fast nichts zeigte von dem Uebermuthe, der ihm so beleidigend und doch so reizend zugleich erschienen war; er erblickte sie blaß, leidend, durchschmerzt, – und es schwand das letzte Mißtraun, die letzte Besorgniß, die er vor ihrer Koketterie gehegt; so hätte er gewünscht, sie lieben zu dürfen.

Bei dem ersten gleichgültigen Worte der Begrüßung, das der Verkleidete mit der unverstellten Stimme sprach, fuhr sie zusammen und rief hastig aus: Aber mein Gott, kenne ich Sie denn nicht schon, mein Herr?

– Also auch in der Verkleidung? erwiderte er erfreut, und sie rief aus, rückhaltungslos ihr Staunen äußernd; Ah – Edmund!

– Edmund? sagte er lächelnd, Edmund sagen Sie zu mir, und nicht Assessor Baron von Brandt? O recht so! Edmund möchte ich Ihnen sein, – können Sie mir auch nicht Viktorine sein!

– Ich weiß nicht, so wich sie aus, nannte ich Ihren Vornamen? Was Wunder? Ihre Kousine Cordelie nennt ihn so oft, und sie spricht viel von Ihnen, – natürlich Ihre Braut –

– Nein, unterbrach sie Edmund bestimmt und kalt, nicht meine Braut!

– Nicht? Sie hat es also durchgesetzt, nicht die Ihrige zu werden?

– Ob sie es werden wollte oder nicht, danach habe ich mich nie erkundigt; ich weiß nur, daß in einer augenblicklichen Verkettung von Umständen mich Rücksichten, die ich für Andere nehmen mußte, in die Lage setzten, vierundzwanzig Stunden als ein Freier meiner Kousine zu erscheinen. Doch jetzt, selbst wenn ich wollte, kann ich es nicht mehr sein, denn ich bin ein ruinirter Mann, ein Mann ohne Carrière, – und darum ein Nichts!

Edmund klärte der aufmerksamen jungen Dame den Zusammenhang der Dinge auf, er machte ehrliche Geständnisse über Adele, erzählte, daß er als Insurgent verrathen sei, und nun keine Aussicht des Lebens habe, als in der neuen Welt ein neues Dasein sich zu verschaffen.

– Was? rief Viktorine mit funkelndem Blicke aus, in die neue Welt wollen Sie gehen?

– Kann es Sie wundern, daß man das Vaterland und die Kreise unserer Bildung verläßt? Gehen Sie doch selbst –

– Ich das Vaterland verlassen?

– Nun, den Norden, nach dem Sie gehen, werden Sie doch nicht das Vaterland nennen?

– Sie denken nach Petersburg? O Gott im Himmel, was hat man Ihnen gesagt! Kein Gedanke daran! Nein, nichts könnte mich dorthin bringen in das Land der Tyrannei und des rohsten Eigennutzes. Ich fühle mich nicht hier gefesselt, ich habe keine Bande mehr, so sprach sie weiter mit tiefer Trauer, die mich in meiner Heimath hielte, – aber ich könnte nur hinweg in ein Land der Freiheit, in das Land, das meinem Bruder Schutz gewährt, und das schon deshalb mir lieb und lieber wie eine Heimath ist!

Welche schweren Sorgen hob jedes dieser Worte von Edmunds Seele, welche frohen Hoffnungen ließ es darin auferstehen! Und doch hatte er noch immer nicht den Muth, dem Siege des Charakters über die Verhältnisse zu trauen, und die nächsten Worte, die er sagte, sprachen den sehr prosaischen Zweifel aus: Und Sie wären im Stande von allem diesem Luxus der Schönheit und Annehmlichkeit, von allen Ihren Schätzen hier sich zu trennen?

– Von meinen Schätzen? Was für Mißverständnisse giebt es zwischen uns! so sprach Viktorine aus, von dem Schrecke getroffen, der Baron könne sie des Reichthums halber geliebt haben, – Sie halten mich für reich, aber ich bin arm, arm zum Betteln, das Alles, was Sie hier sehen, gehört meinem Onkel, meiner Tante, meinem Vetter. Ich bin ein hülfloses Waisenkind; was ich je besaß, besaß ich nur aus Gnade, und seit ich der Gnade mich unwürdig gezeigt, habe ich Nichts, Nichts als die Kenntnisse meines Geistes und die Geschicklichkeit meiner Hände, – ach, ich habe gerade in diesen Tagen, wo ich beide erprobte, erfahren müssen: sie reichen nicht so weit, als ich in Uebermuth und Eitelkeit mir eingebildet!

Mit angstvoll pochendem Herzen lauschte Viktorine auf den Eindruck, den diese Worte auf Edmund machen würden, und das bangende Zittern wurde jubelnde Erregtheit als er ausrief: Sie sind arm, Viktorine? Sie haben nicht Theil an diesen Schätzen? Ganz richtig, ich verstehe Alles, ich begreife Ihre Verhältnisse, Ihren Charakter, Ihren herrlichen, wunderbaren Charakter jetzt. O Gott im Himmel sei gelobt, daß Sie arm, daß Sie ein Waisenkind, ohne Fesseln, ohne Rechte, ohne Pflichten sind! Jetzt erst wage ich ehrlich gegen Sie zu sein; jetzt erst kann ich jede Lüge, jede Diplomatie vor Ihnen von mir werfen; wir stehen uns gegenüber frei und gleich, Mensch gegen Mensch, Herz gegen Herz, ohne Maßstab als in uns, unser eignes Recht und unser eignes Schicksal, beide verzweifelnd an dem, was wir liebten, und beide neue Liebe suchend. Was uns als Eigensinn der Neigung erschien, wird eigner Sinn und Wille des Charakters, was Kaprice des Herzens, wird Nothwendigkeit und muthige Consequenz unsres innersten Wesens. O ist es denn möglich? Viktorine, Viktorine, – ich kann es noch nicht denken, denn bei aller Nothwendigkeit ist noch so unendlich viel Ueberraschendes darin, so viel eigenste Bestimmung, ein so unfaßbares Glück, daß ich es nur glauben, es nicht begreifen kann –

– – es? fragte sie mit verschämt schelmischem, englisch gütigem Lächeln, – was ist das: es?

– Es! Das, das, was ich nur meinen kann, so erwiderte er mit zuversichtlicher Freude, – das, das! O, wie reich wird uns die Sprache plötzlich! Was Alles liegt in dem einen: das! O, damit ich es glauben kann, unerschütterlich glauben kann, was ich noch immer nicht zu denken wage, obgleich es doch nicht anders sein kann, so sagen auch Sie ein Wort, ein kleines Wort, nur ein Ja, ein einziges Ja, das aus dem Zweifel mich zum Glauben erlöst, das mich begreifen läßt, was mir unbegreiflich scheint, das mich mit Ihnen fühlen und denken läßt, wie ich jetzt fühle und denke in mir selbst verschlossen.

Innerste Bewegung mit jungfräulicher Scheu niederkämpfend, sagte sie ein Ja, aber so leicht hin und ein Aber daran knüpfend, so daß es kaum noch als ein Ja zu gelten schien, indem sie mit anmuthiger Ziererei sprach: Ja, aber ich begreife Sie nicht in allem; ich habe Ihnen in Manchem noch Vorwürfe zu machen. Sie schätzten eben an mir Charakter, – warum schaffen Sie sich da nicht selbst Charakter an? Denn Charakter, was ich Charakter nenne, das haben Sie gegen mich nicht, ganz und gar nicht bewiesen!

Obgleich in diesen Worten auch schon ein herausforderndes Zugeständniß lag, so sah Viktorine Edmund finster blicken und erbeben, als fürchte er noch immer, das noch erreichte Glück wieder verschwinden zu sehen, und mit schmerzerzitternder Stimme, die sie bis ins innerste Herz rührte, erwiderte er: Machen Sie mir nicht Vorwürfe, deren Berechtigung mir selbst so schwer auf dem Herzen liegt. Daß ich den Glauben daran, daß noch Charakter in den Menschen wohnt, daß noch ein Gedanke in ihnen leben und allen Verhältnissen zum Trotz durchgeführt werden könne, – daß ich diesen Glauben verlieren mußte und bei Ihnen wiederfinden konnte, das war es ja eben, was Ihren einzigen Werth mich erkennen und bei Ihnen das Glück meines Lebens finden ließ. Ich hatte die Komödie des Lebens mitgespielt, aber ich verlor mich selbst darin; ich wollte scheinen, was die Welt von mir verlangte, und zuletzt wußte ich selbst nicht mehr, was ich war. O, lassen Sie mich bei Ihnen mich selber finden und meinen Glauben an die Welt! Um des Himmels willen, Viktorine, lassen Sie das Glück, das ich eben erfassen wollte, nicht wieder wie ein Traumbild mir verschwinden, da ich an seine Wirklichkeit zu glauben beginne. Viktorine, Viktorine, wie meine Liebe Sie gesehen und erkannt, entweichen nicht auch Sie mir als Phantom, – ich wäre keiner Illusion mehr fähig! O, und was das Leben ist ohne Liebe und Phantasie, ich habe es erlebt! Gott im Himmel möge mir helfen, daß meinem Herzen die Erfahrung nicht wieder nahe! – Und nun lächeln Sie, so gütig, so himmlisch gütig, Sie lassen mich wieder hoffen, o lassen Sie mich wissen, – geben Sie mir die Sicherheit des Lebens und Empfindens wieder durch das einzige Ja! Oder können Sie das nicht? Können Sie überhaupt nicht Ja sagen? Gehören Sie zu den eigenwilligen Naturen, die nur Nein und immer nur Nein sagen können?

– Ja, warum denn das? Warum sollte ich nicht Ja sagen können?

– O da haben Sie es ja schon gesagt. Aber nicht so beiläufig, nicht in dem Tone will ich es hören. O sein Sie nicht grausam! Ein Ja, nur nicht in dem Tone!

– Aber mein Gott, sprach sie zitternd, Sie sind grausam! Was verlangen Sie von mir? In welchem Tone denn? Man kann Ja in so vielen Weisen sagen. Man kann sagen: ja, ja! – so sprach sie schelmisch lachend – und man kann sagen: ja, Edmund, ja! so sagte sie es jetzt, in Thränen ausbrechend, indem er sie in seinen Armen auffing und triumphirend jubelte: Ja, Viktorine, ja, ja!

Regungslos hielt er sie an seiner Brust und lauschte in unendlicher Glückseligkeit dem Gefühle, wie sie unmerklich sanft ihre Hand auf seine Schulter legte.

– Was ich fühle, so rief er nach langer seliger Pause aus, wie soll ich die Worte finden es Dir zu sagen! – Wird doch mein ganzes Leben kaum ausreichen, Dir es zu beweisen, was ich in Gedanken an Dir verbrochen, durch die That zu sühnen. Es hätte mir das Herz abdrücken mögen, aber in der wüsten Verzweiflung an mir selbst – o, mit unedlen Gedanken war ich an Dich herangetreten, als ich neulich sündlich keck in meine Arme Dich schloß. Jetzt aber löst alle Dissonanz in Harmonie sich auf, in reinstem, freistem Glücke fühle ich zum ersten male mein ganzes Leben in mir selbst versöhnt. Ich hatte es nicht mehr glauben können, daß es für mich einen Augenblick des Glückes, einen Herzschlag der Liebe noch geben könne, – ist es denn auch wirklich möglich, daß ich Dich mein, ganz mein in meinen Armen halte? Meine Augen starren vor dem nie gehofften Wunder, mein Herz möchte springen vor der Ueberfülle des Jubels, – o laß uns nicht jubeln; laß uns nicht denken, daß es das erste mal ist! Damit ich es glauben kann, laß uns still gelassen sein, als wären wir es längst gewohnt, als müßte es so sein, – und muß es denn nicht so sein?

Viktorine aber erwiderte: Nein, Edmund, jetzt nicht gelassen sein! Haß und That ist unsere Losung! Dein Leben ist in Gefahr, Du mußt fort von hier. Ich folge Dir, und sei es unter Noth und Kummer, wohin Du willst, und in die fernste Wüstenei der andern Welt. Ich will mich emancipiren von dem Herzen verschachernden Krämergeiste. Für alles Andere habe ich Haß und Verachtung, Liebe nur für Dich. Meinem verbannten Bruder nach Amerika laß uns fliehen. Wir drei wollen eine Freistatt unsrer Freiheit uns erschaffen!

Edmund mußte an Jeanne d'Arc denken, als er die Geliebte so herrlich in ihrer Liebe und ihrem Zorne sah, die Taille, an ihn lehnend, von seinem Arm umschlungen, den Kopf zurückgebeugt, um ihm frei ins Auge zu schauen und frei ihren Muth zu äußern, – so ganz die seine und doch so frei und stark in ihrer Eigenheit. Sie hatte jetzt keine Scheu vor seinem staunenden Blicke, keine Besorgnis; vor einem störenden Eintritt der Tante; so vertraut, so keck, so begeistert war sie, ihre Liebe rückhaltslos zu offenbaren! Zu dem höchsten Gipfel geahnten Glückes fühlte Edmund seine Seele emporgetragen: so hatte er die vollkommenste Liebe sich gedacht, den Bruch mit der Welt, die Empörung gegen alle Verhältnisse der Sitte und Gesellschaft.

In vierundzwanzig Stunden verabredeten sie, die Stadt zu verlassen und der See entgegen zu fliehen. Edmund schied, um indessen die nöthigen Vorbereitungen zur Entführung zu treffen. Er ging zu Oskar, mit dem er jetzt um Adelen sich nicht mehr entzweien konnte, und von dem, mit den Verhältnissen der Auswanderung so vertraut, er Rath und Hülfe hoffte. Nachdem er ihm seine Situation offen dargelegt, die Wendung, die seine Verhältnisse zu Viktorine und zu Adele genommen, sowie seine ferneren, allerdings nur noch dunkel ihm vorschwebenden Absichten, da erhielt er vom Bruder einen höchst freundschaftlichen und höchst humoristischen Bescheid.

– Theurer Bruder, geliebter Mörder, verehrter Brudermörder! so begann Oskar, – da sitzt er nun in der Tinte. Hat kein Amt mehr, so gut wie kein Vermögen, muß landesflüchtig sein, und hat sich zwei Frauenzimmer auf einmal auf den Hals geladen. Denn gegen Adele bist Du Deine Verpflichtungen nicht los; Du weißt es vielleicht nicht, daß sie Deinetwegen bereits von ihrem Manne sich hat scheiden lassen, daß sie ihre Verlobung mit Dir öffentlich proklamirt hat! Als Mann und als Edelmann bist Du verpflichtet, ihre Ehre, die sie für Dich auf das Spiel gesetzt hat, jetzt auch zu wahren. Und da hat er sich nun mit dem kleinen Blondkopf auch verplempert, will ihn nach Amerika mitnehmen und hat kaum die paar hundert Thaler – denn wie groß werden die Reste Deines Vermögens noch sein! – um für sie und Dich eine anständige Ueberfahrt zu bezahlen! O und das Alles ist noch nicht genug; Du machst schöne Geschichten! Hinter was für Dinge bin ich nicht schon gekommen! Erst vor wenigen Stunden war ein allerliebstes Persönchen hier, sich nach Dir zu erkundigen, die Du unglücklich, sterbensunglücklich gemacht hast. Sag mir nur, Du frommer Knabe, blöder Schäfer, wie fängst Du es an, den Frauenzimmer allen die Tollheit einzujagen? Ich habe der kleinen Cilly Döbbelin, Soubrette und kolorirten Sängerin beim Hoftheater, vier Stunden lang die Cour gemacht, aber keine Spur von der Exaltation erreicht, zu der Du sie gebracht hast! Sie geht an Dir zu Grunde, sagte sie selbst, ihre Stimme und ihr Temperament, gerade jetzt, wo ihr neues Engagement auf dem Spiele steht, Alles wird sie durch Dich verlieren, grausamer Don Juan! Aber wie nun? Was machen? Weißt Du Rath?

– Mir bleibt nur ein Weg, nach Amerika zu gehen, freilich möchte ich ihn mit Ehren gehen.

– Nach Amerika? Larifari! Ich werde Dir hier Amnestie auswirken, ich, dem nichts mehr unmöglich ist.

– Ich will nicht Amnestie, ich kann in dieser Welt nicht mehr verweilen. Nenne mich einen Narren, aber es ist einmal nicht anders, seit ich wieder glücklich bin, drückt das ewige Unglück daneben mir das Herz ab. Ich kann diesen Jammer unsrer socialen Verhältnisse nicht mit ansehn, an dem auch ich, wenn auch nur zum Milliontheil, die Schuld mittrage. Ich kann nicht genießen, wenn Tausende dadurch darben; ich kann nicht glücklich sein, wenn mein Glück ein Verbrechen ist, – doch was spreche ich davon. Du verstehst es ja doch nicht, für die Menschheit zu fühlen! Kurz und gut, ich wandere aus, und müßte ich mit dem gemeinen Mann im Zwischendeck mich transportiren lassen, – ich will es und ich habe es versprochen!

– Allerdings ist es mein Grundsatz, erwiderte Oskar ruhig, nicht mehr von dem öffentlichen Unglück zu fühlen, als so weit ich abhelfen kann, und wenn ich auch die Rechte Anderer, der Unterdrückten, nicht so unbedingt finde, als Du sie meinst, so werde ich doch unsere Pflichten gegen sie mehr anerkennen, als Du ahnst, – doch, Du wünschst es ja, laß uns davon nicht sprechen. Ich liebe nicht Principien, sondern Thatsachen, nicht Dispute, sondern Handlungen, – ich werde für Dich handeln. Dein schöner Enthusiasmus hat eine Revolution hervorgerufen; ich, der Staatsmann, werde die Verwicklungen lösen, und die Verhältnisse wieder ordnen, die Du so meisterhaft verwirrt hast. Du sollst nach Amerika gehen, mit gutem Gewissen, und was noch mehr sagen will, ausreichenden Mitteln. Dafür laß mich sorgen. Der kleinen Soubrette helfe ich durch die Klaqueurs. Von Adelen mache ich Dich frei, wenn Du mir heilig versprichst, von dem, was sie heute an Dich geschrieben, nie in Deinem Leben gegen irgend Jemand ein Wort verlauten zu lassen. Die Löwe'sche Familie werde ich dahin stimmen, daß Du nicht mit ihr zu brechen nöthig hast. Wenn Du sie auch nicht verstehst, es sind edle Naturen, diese Kaufleute, und solchen Naturen braucht man nur ebenbürtig zu sein, um in Einigung mit ihnen zu leben oder zu scheiden.

Edmund wollte Aufklärung, was Oskar zu thun gedenke; dieser verweigerte sie, und, zum Ausgehen sich bereit machend, bat er den Bruder seine Wohnung als Versteck vor den verfolgenden Behörden inne zu behalten. Edmund ging darauf ein; als aber Oskar ihn verlassen hatte, fand er sich eingeschlossen und mußte sein Geschick in den Händen des Diplomaten lassen, gegen den im einsamen Nachdenken, zum Vorwurfe gegen sich selbst, wachsendes Mißtraun in ihm erwachte.

*

 


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