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6.
Der Kriegsrath.

Edmund stand da wie angewurzelt, als er sie im Dunkel des Hausflures hatte verschwinden sehen, und empfand im Augenblicke nur, daß er, er wußte selbst nicht, was Alles auf der Welt darum gegeben hätte, wenn er die Hand, auch nur die Sammetmantille dieses Mädchens berührt hätte, um in seiner Erinnerung ein Zeugniß zu behalten, daß dieses Wesen, so accentvoll und so rhythmisch, so leicht und so harmonisch wie Musik, faßbare Wirklichkeit gewesen war. Wie von dem Zauber eines unwiderstehlichen Taktes keck und schwungvoll durchzittert, wollte er eben, unbedachtsam genug, zu Kousine Cordelie, – so wiederholten sich seine Sinne die pikante Aussprache der unbekannten, – schleunigst zurückeilen, um sie in halb ernstem, halb humoristischem Enthusiasmus zu fragen: Ist sie wirklich? und wer ist sie? Wo werden solche Wesen geboren? Wo leben sie und wie leben sie? Besuchen sie Bälle? Tanzen, kokettiren, lieben sie? – da aber kam ihm eine andere Erscheinung in den Weg, an deren Existenz er nicht nur nicht zweifeln, sondern über die hinweg er überhaupt seinen Weg nicht fortsetzen konnte. Ein paar gewaltige, fettgepolsterte, aber zu zartester Weise gepflegte und nach moderner Weise mit Adlerkrallen statt der Nägel ausgestattete Hände hatten seine beiden Schultern erfaßt; unmittelbar vor ihm wölbten sich die Außenwerke einer exemplarischen Korpulenz und darüber aus einem schnurrbärtigen, von Behagen strotzenden, schlauen Abbé-Antlitze blickten ein Paar kleine schelmisch humoristische Augen ihn an: Ist er's oder ist er's nicht? Er ist es. Richtig! Herzensjunge! traute Türkenseele! Vagabunden-Baron! Hier also muß man ihn abfangen, edler Wildfang? Das nenn' ich aber nicht Anstand, nach Jägersprache nota bene! Kommt gewiß von Kousine Cordelchen! Weiß schon, das ist hier die Himmelsrichtung. Aber zum Onkel Kriegsrath kann er nicht gehen, und nicht zu Kousinchen Sabinchen? O, ist das ein stattliches Mädchen geworden! Kein Backfischchen mehr, eine ausgewachsene Balldame. Wie sich die Lieutenants neulich um sie gerissen haben! Aber, sacre mon dieu, hier zwischen Droschken und Kellerthüren ist kein Platz, die Familienereignisse zu behandeln, – wir wollen uns wohin zurückziehen. Du sollst mir von Deiner Reise erzählen, aus den Serails, – Haha, Du Tausendsassa; weiß schon Alles; Oskar hat mir's erzählt, – hat Talent zum erzählen, und für solche Geschichten – die Tante ist roth darüber geworden, einmal über das andere, und bei der will das was sagen! Haha! Aber am heiligen Grabe bist Du gewesen und am todten Meere! A la bonheur, das macht Dir alle honneur. Du bist vernünftig geworden, willst solide sein, dem Staate nützen, Carrière machen, – komm, wir wollen frühstücken, lieber Junge. Dumme Streiche habt Ihr gemacht, daß Ihr verdientet –, nun, ich kann Dir nur sagen, wäre das noch lange so fortgegangen, ich hätte mir die Auszehrung an meinen Leib geärgert. Nimm Dir Oskar zum Muster, das ist ein Mann, comme il faut, ein solider Mann, ein gesinnungsvoller Mann, der sein Glück und unserm Namen Ehre machen wird. Nun Gott sei Dank, es wird mit Dir auch noch werden, wenn nur der gute Wille da ist, – wir wollen frühstücken, lieber Junge! Er hat eine neue Speise eingeführt, eine Eisspeise, mein altes Haus in der Frühstücksbude, – wir wollen dahin gehen – wundre Dich nicht, früher war's nicht nobel dort: Artillerie-Lieutenants, Linie höchstens, Garde niemals! Aber der Mann hat guten Willen gezeigt, sich verdient gemacht, – Adlerorden vierter! A la bonheur, es ist Pflicht, den Mann zu heben. Ich wollte eben auf die Intendantur gehen, aber – das hat Zeit. Wir wollen frühstücken, lieber Junge.

Edmund war bei der Begegnung mit dem Onkel Kriegsrath anfangs nicht wenig erschreckt, da er eine jener brusquen Insulte fürchtete, wie er deren seit der Zeit, wo er mit der Büchse der Nationalgarde sich zugesellte, von ihm und seines Gleichen oft genug erfahren hatte. Aber Kriegsrath von Brandt war eine Seele von einem Manne; er hatte eben so viel Gemüth als Fett, wenn er sein Töchterchen, das einzige neben acht Knaben, loben, oder wenn er gut frühstücken konnte. Nur wenn man sein Interesse, daß er immer mit dem des Beamtentums, des Adels oder des Staats in eins verschmolzen sah, auch nur im Entferntesten gefährdete, wenn man die Politik berührte und ihn ahnen ließ, man könne von seinen dritthalbtausend Thalern, die kaum die Hälfte seines Hausstandes deckten, auch nur Eins pro mille ihm für communale Zwecke abziehen, denn auf Abzüge von den »wohl und schwer verdienten« Beamtengehalten schien ihm jede Politik hinauszukommen, – dann zeigte er eben so viel Galle als vorhin Gemüth und der blasse Aerger trat ihm unheimlich in die Mienen und die Augen. Dann kannte er kein Recht, keine Vernunft, keine Erwägung eines Besseren und keinen Unterschied zwischen dem wahnsinnigen Guillotinen-Republikaner und dem besorgt Unheil abwendenden Reformer; für alle, die es anders wollten, kannte er nur einen Richter, – den Nachrichter. Er gehörte mit zur großen Anzahl jener Leute, die, ehe sie in allgemeinem Interesse von ihren materiellen Rechten oder angeblichen Grundsätzen für das Staatswohl das geringste Zugeständniß machen, kurzsichtig genug sind, die Gefahr für den Untergang alles dessen heraufzubeschwören, durch das und für das sie existiren.

Die Menschen dieses Schlages sind bei allem geheuchelten Sicherheitsgefühl denn doch eines solchen ängstlichen Aneinanderschließens, wie eine Heerde vor dem Gewitter, bedürftig, daß Kriegsrath von Brandt über die Bekehrung seines Neffen wieder ganz Seele und die liebenswürdigste Seele von der Welt geworden war, als er jetzt in dem Weinlokale, in dem er Stammgast war und jeden Kellner beim Namen kannte, den Wirth machte, von der Speisecharte, welche die Beafsteaks aller Nationen und die Fische aller Meere anzeigte, die hervorragendsten Delikatessen in kunstgerechter Weise auswählte und mit unverkennbarem Präsidententalente die Tagesordnung von der endlosen Weincharte zusammenstellte.

– Das Frühstücken, sagte er dabei, indem er über den stattlichen Leib die weiße Serviette wie ein Priestergewand feierlich umhing, das Frühstücken ist meine schwache Seite – oder meine starke Leidenschaft. Das Soupiren, Du lieber Himmel, das hat für uns Herrn in den besseren Jahren einen großen Uebelstand, das raubt uns den Schlaf, und macht eine unruhige Nacht; und solch ein Diner, das fängt auch so um 3, 4 Uhr an, und wenn man eben in die wahre Götterlaune kommen will, da ist denn auch schon die Zeit, daß man sich zur Ruhe begiebt, – der Schlaf vor Mitternacht ist es, der das Leben erhält. Aber ein Frühstück, das ist die wahre Weisheit des Lebens; dem Glücklichen, der sich zum Frühstück setzt, schlägt keine Stunde.

Die Gemüthlichkeit am Weintisch war Onkel Kriegsraths Profession; er lebte zum Theil davon, daß er dem reichen Adel das Geld im L'Hombre abgewann, an seinen Tischen schmarotzte und ihn dafür durch seine Schnurren unterhielt. Er hatte stets zuerst die neuen Anekdoten und Räthsel, ja einzelne soll er selbst erfunden haben, z. B. die wunderbare Geschichte von der zahmen Auster, die auf dem Seile tanzt und Nüsse knackt, und es war seine höchste Glückseligkeit, Jemanden zu finden, der aus Zerstreutheit oder Dummheit gläubig auf dergleichen einging. Wenn endlich alle Unterhaltung abbrach, konnte er zum allgemeinen Staunen, sich selbst als das Wunder produciren, das trinken konnte, ohne zu schlucken, – man sieht, über ihre Schranken kann die menschliche Natur einmal nicht hinaus und dieselbe Kunstfertigkeit, die in der Kaserne oder Bauernschenke Bewunderung erregt, bildet auch den Höhepunkt eines Zechgelages von würdigen Herren aus dem Baronen- und Grafenstande.

Im übrigen hatte des Kriegsraths Humor, wenn er selbst es wollte, doch auch so viel Takt und Liebenswürdigkeit, daß Edmund, der nichts weniger sonst liebte, als materiellen Genuß, sich dennoch angeheimelt fühlte von dieser massiven Behaglichkeit. Gegenüber dem unsteten Nomadenleben eines Honved und dem stets in Frage stehenden Dasein eines proskribirten Flüchtlings fand er denn doch in dieser Unerschütterlichkeit der Existenz auch einen gewissen Werth, und er, der all die kleinen Reize des Lebens sich zusammensuchen mußte, um aus alle dem einen Zweck des Daseins sich zurecht zu stutzen, meinte in der That, daß delikates Essen und Trinken auch ein Band sein müsse, in dem er eine Verknüpfung mit dieser Welt zu suchen haben werde. Dem Onkel es nachmachend, setzte er sich breit nieder, schlug die Waden um die Stuhlbeine, legte beide Ellenbogen auf den Tisch, strich sich den Schnurrbart und wühlte mit der Gabel in dem exquisiten ragout fin en coquille. Laut mußte er über seine materielle Behaglichkeit lachen, was der Onkel auf seine Anekdoten bezog, und mit wahrhaft ausschweifendem Humor ließ er den Geist über sich kommen, der in solchem Frühstücklokal heimisch ist, den Geist der Jagdgeschichten, den Geist der Lüge. Er wollte versuchen, ob alle Leute, mit denen er zu thun haben werde, ebenso leichtgläubig sein, wie Onkel Geheimerath und wollte sondiren, wie weit er in seiner humoristischen Heuchelei bei diesem, in kleinen Dingen sonst so verschlagenen alten Roué werde gehen können.

– Du weißt es, was mich von hier fortgetrieben hat, lieber Onkel. Ich kann es nicht leugnen, ich habe die Freiheit geliebt, – aber nicht die, welche ausartet in die Frechheit; ja und ich liebe die Freiheit auch jetzt noch, aber ich finde sie nicht da, wo man um des Vortheils willen sie zu lieben scheint, aus jüdischem Spekulationsgeist –

– Das ist ein wahres Wort von Dir, so fiel der alte Herr ein, – aus jüdischem Spekulationsgeist: die Juden haben die Revolution gemacht, sie einzig und allein, um sich in den Staatsdienst einzuschleichen, denn kein Handelsgeschäft geht doch über eine fixirte Anstellung; das Gehalt, die Ehre –

– Und eben diese Ehren, die der Staat austheilt, so fiel Edmund wieder ein, auch sie werden von ihnen zum Gegenstand der Spekulation gemacht. Ja, um zu spekuliren, brauchen sie das Wohl der Menschheit zum Spiel. Ich werde es enthüllen, daß die ganze deutsche Revolution von einem Dutzend Börsenagenten angestiftet ist, die eben à la baisse spekulirten!

– O, ich glaube es gern! rief ihm der Kriegsrath mit befriedigt aufmerksamen Mienen zu. Und da er es so gern glaubte, that Edmund ihm den Gefallen fortzufahren: Diese Spekulationswuth, mit der sie ein undurchdringliches Netz über uns alle gesponnen haben, will die ganze Christenheit vernichten, wie einst Christus an's Kreuz geschlagen. O, Onkel, theurer Onkel, ich werde Euch Enthüllungen geben, über die Euch die Haare zu Berge stehen, das Blut vor Schauder zu Eis gefrieren soll. Daß der Jude nach geopfertem Christenblute lechzt, ist keine Lüge gewesen, und ist es auch heute noch nicht: ich werde es beweisen, ich habe die Zeugnisse, daß die Barrikaden errichtet worden sind, um diesem lange durch die Ordnung und Polizei des Staates unterdrückten Blutdurste des religiösen Fanatismus endlich wieder zahlreiche Opfer zu bereiten.

Edmund hielt ein aus Furcht, er sei zu weit gegangen und der alte Herr werde Hohn in diesen Aeußerungen sehen. Aber er war umsonst besorgt; der Kriegsrath schien entsetzt über diese Entdeckungen, aber innerlich, obgleich er selbst sie vielleicht nicht glaubte, war er höchlichst erfreut, daß Jemand sich zu solchen Mittheilungen hergab; und wie aus näherer Untersuchung als fast unzweifelhaft zu vermuthen, stammen die famosen Enthüllungen einer aus verschiedenstem Interesse viel gelesenen Zeitung über den Blutbund der Demokratie aus dieser scherzhaften Prüfung eines spaßliebenden, jungen Mannes, wie weit die Leichtgläubigkeit eines aus reiner Angst fanatisch mäßigenden Reaktionärs gehen könne.

Edmund fuhr fort: Solche grauenvolle Entdeckungen sind es gewesen, die mich belehrten, daß die wahre Freiheit, der ich noch jetzt angehöre, nicht bei der Souveränität jüdischer Gewinn- und Mordlust zu suchen ist, sondern einzig in christlicher Demuth, in germanischem Gehorsam. Bei Euch treuen Dienern des Staates allein ist der wahre Patriotismus; und um Dir ein Zeichen meiner aufrichtigen Reue zu geben, will ich Dir all die Enthüllungen kund thun, die mir zu Gebote stehen über die Entartung des menschlichen Wesens. Um vor Gott Verzeihung meines Irrthums zu erlangen, Du weißt es, war ich an der Grabesstätte unsers Erlösers und mit klarem Geiste, mit versöhntem Gemüthe bin ich von dort zurückgekehrt. Die Religion war mein Trost und meine Rettung.

– Ja, die Religion! Gott sei Dank, daß sie uns noch geblieben ist; sie ist ja unsere einzige Stütze und Hoffnung. Und auch sie war in Gefahr. Nicht nur unser Leben, nicht nur unseren König – und der geht noch über unser Leben, die Feinde der Sitte und des Besitzes, wollten uns auch unsern Gott, unsern lieben Herrgott im Himmel rauben. O Gott sei Dank, daß unsere Religion uns erhalten ist!

Das war das erstemal, daß Edmund außer beim Fluchen den Namen Gottes von seinem Onkel vernahm. Er litt also nicht an der Stabilität, an der Ungelehrigkeit, die seinem Bruder, dem Geheimerath, so viel Sorgen machte; er hatte aus seinem Schmarotzerleben Beweglichkeit des Geistes genug sich angeeignet, den Fortschritt mitzumachen vom alten Beamtentum vor Anno 40 zum neuen wahren, von dem des rein äußerlichen Polizeistaates, des todten Mechanismus, zu dem des naturwüchsig lebendigen, fortschreitend organischen Staates von Gottes Gnaden. Onkel Kriegsrath hatte noch eine große Familie adlig zu versorgen, er mußte noch eine große Zukunft vor sich haben.

Edmund wußte nun, welche Saiten er aufzuziehen habe, um mit dem Onkel in einer Tonart zu singen; er kramte einige Stichwörter hervor aus alten und neuen Gesprächen über Staat und Kirche, er sprach von dem Chartengebäude der Konstitutionen und von dem Bau der auf den Fels gebaut ist, welcher ist Petrus, und er ging auf den Ursprung der Revolutionen zurück, die diesen Fels zu zerbröckeln suchten, und fand diesen Ursprung in der Irreligiosität. Der Kriegsrath ging einen Schritt weiter und fand den Ursprung der Irreligiosität in der Reformation, und Edmund überbot ihn, indem er folgerte, die Reformation müsse also rückgängig gemacht werden, so daß der Onkel keine Scheu zu haben brauchte, einzugestehen, daß er es nur eine männliche Gesinnung nennen könne, die nichts halb thue und keine Consequenz scheue, wenn, wie die Gerüchte gingen, hohe Personen Hinneigung zeigten, zur katholischen Kirche zurückzukehren, und was an diesen Gerüchten wahr wäre, und daß mehr daran wahr war, als man im Allgemeinen schon glaube, wollte er mit Bestimmtheit wissen. Edmund stieß auf das Gelingen so gottbegeisterter Projekte an, – man ging eben vom Champagner zum Ungar über – und beide beschlossen endlich in Einigung ihren Ideenaustausch mit dem Versprechen, zu dem der Kriegsrath aufforderte, für einen Verein in ihren Freundeskreisen zu wirken, den ein frommer und gelehrter Mann zur Hebung der Religion und Gottesfurcht für Erhaltung resp. Verbreitung des Gespensterglaubens zu stiften unternommen habe. Dem Kriegsrath war sein großes Herz so recht weit geworden. Er war von jenem Fanatismus besessen, dem, bei aller beschränkten Einseitigkeit, der Jesuitismus nicht fehlt, und während er innerlich ziellos reaktionär war, so daß er am liebsten die ganze Menschheit für die Revolutionen, die sie zukünftig noch begehen könnte, ins Zuchthaus gesteckt hätte, die Einen als Gefangene, die andern als Wärter, so hatte er doch nicht Geist genug, diese Wuth, die er Grundsätze nannte, überall da zu vertreten, wo ihm Geist entgegentrat, und konnte dann nur so weit seine Ansichten geltend machen, als man sie eben duldete. Hier aber hatte er sich einmal vor einem Manne, der sonst für einen sehr gescheudten Mann galt, ohne Schranken der Vernunft so weit ergehen können, als seine vom Weine erhitzte Phantasie nur ausschweifen wollte; er war grenzenlos glückselig gewesen, sich so völlig Luft machen zu können, und war dem gleichgesinnten Neffen herzlich gut.

Er ließ eine Flasche nach der andern kommen, eine theurer und schwerer als die andere, rief einmal über das andere: »Es leben die guten Menschen!« und karessirte den liebenswürdigen Jungen, indem er ihm auf die Schulter und dann auf die Schenkel klopfte, und dabei fing er an von seinem Töchterchen Sabinchen zu reden, die er nicht besser zu loben wußte, als mit den Worten: Hat Temperament, der kleine Racker, – ich sage Dir, Junge, ein Satansmädel, ein Tausendsassa, eine echte Kavaleristentochter!

Edmund hatte soviel Lebensart, »mit ein paar schiefen Bemerkungen« auf den Onkel Geheimerath und seine Cordelie zu antworten.

Der Alte war auch augenblicklich damit einverstanden, daß Cordelie keine Partie für ihn sei, sie sei viel zu alt für ihn, sie müsse einen Mann in seinen – des Kriegsraths – Jahren heirathen, habe überhaupt zum Heirathen nicht Temperament genug. Ueberhaupt, so fuhr er fort, dürfe er seine Carrière nicht bei den Civilbehörden suchen; er selbst könne gar nicht begreifen, wie man dort es zu etwas bringen könne; von Ehre sei da keine Rede und von Geld auch nur wenig. Das Militär sei einmal die Zierde und der Nerv des Staates, es sei ganz natürlich und ganz billig, daß die Gehalte im Militär und in der Militärverwaltung steigen, dort fallen müßten.

– Das Schlachtvieh mästet, das Federvieh rupft man, sagt der witzigste Berliner, fügte Edmund hinzu.

Mit der brutalen Beschränktheit jenes Korpsgeistes, der das Gebäude des jetzigen Staates zusammenhält, indem er die einzelnen Glieder desselben gegeneinander absperrt, zog der Kriegsrath nun auf die Civilbeamten und ihre unbegründeten Ansprüche los, und rühmte sich dabei, daß seine sieben Söhne keine faullenzenden Federfuchser, sondern dem Staate als Soldaten mit ihrem Leben nützlich werden sollten. Als sich Edmund aber darauf nach den sieben jungen Baronen erkundigte, wurde der Alte wehmüthig von dem Gedanken an die Sorgen, die sie ihm bereiteten, und klagte mit der Offenherzigkeit, die der Wein dem Menschen verleiht, in tiefbegründeter Weise über das Mißverhältniß, in dem die Ansprüche einer großen adligen Familie ohne Vermögen zu dem Gehalte eines Beamten stehen, und über die mannigfachen Verführungen, denen junge Officiere in der großen Stadt und an der Seite reicher Standesgenossen ausgesetzt sind.

Edmund war zu weichherzig, als daß Mitleid für diese Sorge ihm nicht schwer auf die Seele gefallen wäre. Aber dennoch, wenn er bedachte, daß diese Familienbande keinen andern Gehalt einschlossen, als den der äußeren Ehre und des materiellen Fortkommens, dem das Staatsganze dienen sollte, ohne selbstständige, menschlich-freie Charakterausbildung, ohne wahrhaft sittlichen, einer Aufopferung fähigen Kern, dann widerte diese Misere ihn an, und er wollte lieber lieblos und isolirt, wie jetzt, durch die Welt sich schlagen, als in dem unfruchtbaren Boden dieser Art von Sittlichkeit seinen Halt finden.

Der Kriegsrath hatte keine Ahnung, daß sein Neffe solche Gedanken gegen ihn hegen könne, als er, das Frühstück, da es schon Abend wurde, beschließend, eine Tasse schwarzen Kaffee getrunken und im Aufbrechen ausrief: Gott im Himmel sei Dank, was hätte ich über dem Wiedersehn bald vergessen! Aber noch ist nichts versäumt. Doch Du bist nicht in Galla? Allons, fix, eine Droschke genommen, nach Hause gefahren, Leibrock angezogen und zu mir gekommen. Vortrefflich, daß ich Dich aufgegabelt habe, ich habe ja heute Soiree! Mein Töchterchen wird heute in die Welt geführt. Eine exquisite Gesellschaft! Auch Excellenz von Stein ist dort, und Oskar, und weiß ich, wen Alles meine Frau gebeten hat. Aber nun fix! Keine Zeit versäumt, in einer halben Stunde erwarte ich Dich bei mir im Hause.

Edmund, als er »Excellenz Stein« gehört, sagt zu, und die beiden trennten sich. An der Thüre war des Alten letztes Wort zum Kellner: Schreiben Sie es auf, – worauf dieser mit nichts anderem als einem langen Gesichte antworten konnte.

Der Kriegsrath von Brandt mit seinem ganzen Hauswesen war bis ins Kleinste hinab der ausgeprägteste Gegensatz seines Bruders des Geheimerath von Brandt und seiner Familie.

Wenn der letztere, der vollkommene Typus eines Staatshypochonder, in gänzlicher Unterordnung nur auf die Pflichterfüllung seines Amtes bedacht war, nichts als das todte Rad im großen Mechanismus des Staates, so war der Kriegsrath der Egoist, der Blutsauger, für den der Staat nur dazu da ist, ihn auszubeuten, der die guten Anstellungen als ein Monopol des Adels und altverdienter Beamtenfamilien ansieht und deshalb so empört war über die Emancipation der Juden, weil sie möglicher Weise ein noch größeres Talent zum Aussaugen des Staates heranbringen könnten.

Wie der Geheimerath seine Ordnung in Amtssachen auf seine Privatangelegenheiten übertragen hatte, ließ der Bruder beide stets in solcher Auflösung, daß er sich nur eben noch in ihnen erhalten konnte. Sein Gehalt reichte lange nicht zu seinen Bedürfnissen hin, und so rechnete er seine Gewinnste beim Spiel als regelmäßiges Fixum zu seinem Einkommen; ja, die Gewinnste eines jeden Abends in der Woche waren für eine bestimmte Kasse angesetzt: des Sonntags spielte er für seine Frau, des Freitags für die Ausstattung seines Töchterchens. Ein anderes Verdienst war das, welches er durch Nachrichten und Geheimnisse von diplomatischer und finanzieller Bedeutung sich erwarb, indem er dabei mit Börsenspekulanten der gemeinsten Sorte sich gemein machte – der Judenfeind, der edle Patriot!

Im Hause des Kriegsraths konnte man nicht sagen, was Edmund von anderen ausgesprochen, daß man die Gäste in ihm entweder in der Empfangs- oder in der Kinderstube aufnehme; die Wohnung dieses Barons war fast nur Kinderstube. Wenigstens sorgte die durch alle Entwicklungsstufen vom Septimaner bis zum Lieutenant sich ausbreitende männliche Nachkommenschaft des Hauses dafür, daß man jedes Zimmer für ein solch familiäres Gemach ansehen konnte, und die freiherrliche Ungezwungenheit der gnädigen Frau, ebenfalls der vollkommene Gegensatz zur Schwägerin Geheimeräthin, ihren Stolz in ungenirte derbe Originalität setzend, machte auch bisher jede exklusiv festliche Ausstattung überflüssig. Jetzt aber wo Fräulein Sabinchen eine Dame geworden war und »auftreten« sollte, hatte man mit Beginn des Winters eine neue Wohnung, ganze Belle-Etage, gemiethet, den letzten Kredit benutzt, außer den früheren »Kinderstuben« einen Tanz- und einen Empfangssalon einzurichten und heute sollten diese feierlichen Räume zu so schönem Zwecke eingeweiht werden, um möglichst bald, nach Erreichung des Zweckes, wieder abgeschafft zu werden.

Die Kriegsräthin wollte, in Ermangelung einer vollen Wirthschaftskasse, die derbe Romantik des mittelalterlichen Kraut- und Rüben-Adels wiederherstellen, und bei der Beschränkung ihrer Mittel gute Mienen zu schlimmem Spiele machend, pflegte sie sich zu rühmen, daß ihre Kinder zum Frühstück und Vesper einen Korb mit Schoten oder weißen Rüben auf den Tisch geschüttet bekämen und durch diese gesunde Kost die alte Kraft des Adels erhalten sollten.

So in völliger Gemeinschaft der geistigen wie der leiblichen Speise war Sabine mit der königlich prämirten Schaar ihrer sieben Brüder aufgewachsen, kaum anders von ihnen sich unterscheidend, als dadurch, daß sie jenes Kleidungsstück nicht trug, das man in guter Gesellschaft als unaussprechlich zu bezeichnen pflegt, stets von den Buben geneckt, bis sie unter ihnen eine Partei sich bildete und durch deren entschlossene Anführung die Ruhe und den Gehorsam im Messen der Körperkräfte sich erzwang, den man aus zarteren Rücksichten ihr zu gewähren sich nicht veranlaßt sah. Und nun seit sie 16 Jahr alt war, hatte Papa sie täglich mit Austern gefüttert und Mama sie in ein Schnürleib gepreßt, beides damit sie »Figur« bekäme; ihretwegen hatte man die neue Wohnung gemiethet und sie mußte jetzt einhergehen in langen Kleidern und engen Schuhen, zierlich die Füße setzend und in der Taille sich wiegend. Und heute gar hatte sie ein Ballkleid an, zum erstenmale in ihrem Leben ein Ballkleid mit Spitzen und weitausgeschnittenem Halse!

Als Mama ihr die Toilette völlig beendet hatte, ging sie gravitätisch durch die festlich erleuchteten Zimmer, klopfte dann an das hinterste Kabinet, in dem die nicht ballfähigen Buben eingeschlossen waren und rief dem Anführer ihrer Gegenpartei ein höhnisches »Kusch' Dich, Hans, hübsch kusch Dich!« zu, sprang dann in der Stube umher, um zu sehen, über wie viel Quadrate des getäfelten Ballsaales sie hinwegsetzen könnte, und stellte sich endlich vor den Spiegel, ihre Schultern aus dem Kleide streckend, so weit es möglich war, und dieselben, da sie sie sehr weiß und anmuthig fand, nach beiden Seiten küssend.

Indeß war die große Stunde gekommen und die Gäste begannen sich zu versammeln.

Oskar, der mit Edmund Arm in Arm in den Salon trat, äußerte sich, während andere Familien von den Wirthen empfangen wurden, von der Thüre aus die Situation überblickend: Also er spekulirt auf Dich? In dem alten General dort drüben, der mit Sabinen schäckert, mit schwarzgewichsten dünnen Backenbarte und der dichten Perrücke, hast Du einen gefährlichen Nebenbuhler. Sieh' nur, wie sie die Schultern reckt! O, wer sich in die Gefühle eines jungen Mädchens versetzen könnte, das zum erstenmale »bloß« erscheint! Ich wette darum, ihr ist zu Muthe, als wenn sie nichts wäre, als ihre Schultern, und als wenn diese ihre Schultern die einzigen Mädchenschultern auf der Welt wären! Andere Kinder kennen bei solchen ersten Vergnügungen nur die Freude vergnügt sein zu dürfen, in deren allgemeines Gefühl sich keine Berechnung, keine Eitelkeit, keine Beobachtung mischt, ihnen ist der Tänzer nur Tänzer als Gattungsbegriff, – für diesen Kobold giebt es nur einen Begattungsbegriff; ihr gilt der Mann nur als Partie, und bei ihrem gewitzigten Verstande ist sie, trotz aller Ausgelassenheit, sich dessen bewußt, daß sie nie einer Schwäche oder Thorheit sich schuldig machen und doch an ihrer Jungfräulichkeit nicht wird zu Grunde gehen. – Da kommt sie selbst auf uns zu!

Und Sabine bewillkommnete scheinbar sehr verlegen den Vetter Edmund. Oskar fing indessen schon an, sich mit ihr zu necken.

– Mein gnädiges Fräulein Kousine, so sagte er, von heute ab heißen Sie nicht mehr »Du«, sondern »Sie«.

– Will mir's ausbitten, sagte sie keck, mit den Fußspitzen den langen Saum ihres Kleides vorweisend.

– Das ist wohl kein neues Kleid? frug Oskar neckend.

– Haben Sie mich schon in langem Kleide gesehen?

– Das nicht, aber es schien mir, als habe man unten nur so viel angesetzt, als man oben abgenommen.

– Ich merke, Sie verstehen noch gar nicht, mit großen Damen umzugehen, erwiderte Sabine, auf den Hacken sich herumdrehend.

– Sind Sie eine große Dame?

– Ich wills meinen.

– Ohne Ihrer Eitelkeit nahe zu treten, eine schöne gewiß, aber eine große? Nein, Sie sind solch ein allerliebstes, kleines Persönchen, solch eine Tauchnitz'sche Taschenformat-Ausgabe eines hübschen Mädchen, später vielleicht in corpus zu drucken und auch wo möglich stereotyp –! Meinen Sie nicht?

Sabine wußte es schon, wenn der Vetter lateinisch sprach, seine pikante Miene machte und naiv frug: »Meinen Sie nicht?« – dann hatte er sich einen »ungehörigen« Scherz erlaubt. Sonst hätte sie ihn wohl gebeten, ihr das Lateinische zu übersetzen, und hätte die Übersetzung durchaus nicht verstehen können, aber jetzt in Gegenwart des »frommen« Vetters, von dem sie wußte, daß er Carrière machen wollte, ließ sie sich das nicht gefallen. Sie zog Oskar ein krauses Näschen, drehte kurz um und ließ die Beiden allein.

– Nicht schön aber – aha! sagte Oskar zu Edmund. Sie wird Gefallen finden bei den jungen Offizieren zum Tanzen; zum Heirathen wird sich höchstens ein alter Herr, pensionirter Kavallerieoffizier, bereit finden, der dieß Kaliber liebt und das Temperament zu schätzen weiß. Ich habe keine Gnade vor ihr gefunden; sie sieht es mir wohl an, daß ich nicht mit ein paar weißen Schultern zu fangen bin, und wenn wir uns auf der Straße begegnen, grüßt sie mich nicht anders, als, indem sie mir ein Gesichtchen schneidet. Bei alledem ist Race, gesundes Blut in dem Wildfang, und wenigstens durch Prüderie ist sie nicht entartet, was in unsrer nervenschwachen Zeit auch etwas für sich hat.

Nachdem sie endlich auch von den Wirthen begrüßt waren, vom Hausherrn vorübergehend legère, was sie sich als Herzlichkeit auszulegen hatten, von der Hausfrau mit einer maßlosen Freundlichkeit, die für Edmund unheimlich war, so traten sie in das Theezimmer und das Erste, was der jüngere Baron erblickte, war das blasse, geistig-wehmuthvolle Antlitz Adelens, die als Excellenz den Ehrenplatz auf dem Sopha neben einer halbtauben Frau Wirklichen-Geheimeräthin einnahm, indem um sie herum die bloßen Geheimeräthinnen, Generalinnen, Präsidentinnen u. s. w. sich gruppirten.

Schon hatte Adele ihr holdselig willkommen heißendes Lächeln für Edmund bereit, als sein Blick sie traf, – da bemerkte sie, daß er keine Freundlichkeit in den Mienen hatte, ihr zu antworten; ja, er sah sie an, aber mit so kaltem, gleichgültigem, völlig nichtssagendem Blicke, als habe er in seinem Leben nie etwas von ihr gewußt. Edmund hatte diese Impertinenz sich selbst nicht zugetraut; aber als die Geschicklichkeit, kein Gedächtniß zu haben, ihm so vortrefflich gelungen war, so fuhr er fort, seinen beleidigend harmlosen Blick, wie zufällig, auf sie fallen zu lassen, während er sich mit der Tante Geheimeräthin unterhielt, die, wie es in ihrer Gewohnheit war, sich wieder interessant zu machen meinte, indem sie von ihren Nerven sprach. Während innerlich Wuth und Rachedurst sie verzehrte, machte Adele ein Gesichtchen, sanft, unschuldig, fromm, wie ein Engelsbild, und senkte in leidender Trauer das Köpfchen auf die linke Schulter, – Edmund mußte dabei denken, das war aus den Zeiten ihrer schönsten Liebe das Zeichen, daß sie ihn nach dem Theater erwarten werde; senkte sie das Haupt nach rechts, so wußte er, daß sie nicht zu sprechen war. O tempora, o mores! Die jetzige Excellenz schien selbst von dieser Erinnerung getroffen zu werden; eine unwillkürliche Bewegung durchzuckte ihr Antlitz, und sie richtete ihr Haupt kerzengerade in die Höhe, bis es nachher, wie Edmund fühlen wollte, in aufrichtiger Trauer, mit leisem, verächtlichen Lächeln, das der Unterhaltung zu gelten schien, mit der die Kriegsräthin sie auszeichnete, sich auf die rechte Seite niedersenkte.

Adele langweilte sich auf das lebhafteste; sie konnte um in Herrengesellschaft sich gefallen, und obgleich sie hier keine bessere Unterhaltung erwartet hatte, war sie dennoch erschienen, aus der diplomatischen Rücksicht, von der jeder ihrer Schritte geleitet war. Eine emporgekommene Dame, von zweideutigem Charakter in mannigfacher Beziehung konnte sie nicht Manöver genug anwenden, um Gunst und Vertrauen für sich zu erwecken; Jedermann, auch die unbedeutendste Person, und wenn es nur ein Dienstbote aus fremdem Hause war, war ihr noch bedeutend genug, sie für sich zu gewinnen; die öffentliche Meinung, die sie im Ganzen und Großen nicht für sich hatte, wollte sie im Kleinen und Einzelnen zu bestechen suchen. Und was für eine Macht war da für sie die Zunge der Kriegsräthin, die durch ein einziges originelles Schlagwort schon manchen Ruf vernichtet hatte, und andrerseits durch ihre Beweglichkeit ein Organ sein konnte, ihre Verdienste in die Oeffentlichkeit zu bringen.

So war sie hinreißend freundlich gegen die ältere Dame, obgleich diese ihr innerlichst zuwider war, mit der adligen Süffisance ihrer derben Ungebildetheit, deren Nonchalance bis zu völliger Willkürherrschaft über die Casus ausgeartet war. Was konnte eine Dame ihr für Unterhaltung gewähren, die den Grundsatz aussprach: Gelehrte Dinge lernen soll meine Tochter nicht; sie soll kein geistreiches Frauenzimmer werden, ich bin es auch nicht; es ist mir nichts daran gelegen, wie die Leute von meinem Geiste denken; ja, wenn ich unter lauter so recht gescheudte Weiber komme, ist es ordentlich meine Freude, dumm zu sein; was hilft auch alles Studium, man kann einem Judenmädchen darin doch nicht gleich kommen, – ei, so fängt man es lieber gar nicht an!

Und die übrige Gesellschaft –? Was waren die Gesellschaften damals? – nicht ehrbar-vertraulich, wie die vor hundert, nicht gespreizt galant wie die vor sechszig, nicht geistreich frivol wie die vor vierzig Jahren; sie waren auch nicht mehr tendenziös diskussionslustig wie die vor achtundvierzig; sie waren von Angst durchbebt, von Rache erbittert, fanatisch-praktisch, langweilig-prüde, närrisch-fromm.

Welche Veränderung mußte Edmund vor Allen seit zwei Jahren hier vorgegangen finden! Mit dem Erwachen allgemeiner bewegender Tendenzen war ein Hauch des Lebens durch alle Kreise der Gesellschaft gegangen; bis in die höchsten Zirkel hinauf war in einzelnen Persönlichkeiten, die die Gabe hatten, eine eigne Meinung zu vertreten, die Liebe für die reformatorischen Zeitideen und damit ein allgemeines Interesse daran eingedrungen, wenn auch nur, um ihre Berechtigung zu widerlegen, – und eben dieses allgemeine Element ideeller Theilnahme, dieses Interesse für und wider, dieses Aneinanderrücken der Gegensätze, dieser Austausch der Ideen gab der Gesellschaft einen Impuls des geistigen Lebens, wie man ihn seit fast einem halben Jahrhundert nicht gekannt hatte. Wer die Umgestaltung der großen staatlichen Verhältnisse nicht herbeiwünschen wollte, der konnte eine belebende Reform in den kleinen geselligen nicht unbillig finden. Die Emancipation, die in entarteter Tendenz in öffentlichen Kreisen sich abschreckend geltend machte, war liebenswürdig bei einer eigenthümlichen Individualität, die sich Freiheit für die Selbstständigkeit ihres Geistes durch Humor und Grazie zu usurpiren wußte.

Ganz anders jetzt! Seit die Gegensätze in blutigem Konflikte aufeinandergeprallt, da waren wie durch eine chemische Zersetzung die Elemente schroff gesondert: Hi Guelf, Hi Ghibellin! Die Stände, deren Abgeschlossenheit sich zu lockern begann, hatten enger denn je ihre Schranken um sich gezogen; jedes Gemischtsein der Gesellschaft auch nur nach Ansicht oder Lebensweise hörte auf; der Werth der Persönlichkeit fand keine Würdigung mehr; nur das exklusivste Parteiinteresse, der blindeste Fanatismus führte die Menschen noch zu einander; jeder Zirkel hatte seine eigne Vernunft, seinen eignen Jargon, seine eigne moralische, juridische und religiöse Weltanschauung, nur dem Eingeweihten verständlich. Es war, als wenn alle allgemeinen Interessen, die die Nation, die Menschheit zusammenhalten, auseinandergefallen, und die ganze Welt des Geistes in den Egoismus und die Bornirtheit des engsten Kliquenwesens zersplittert wäre.

Oskar von Brandt, der vordem zu den Persönlichkeiten gehörte, die durch Liebenswürdigkeit und Geistesgaben auch in den höchsten aristokratischen Kreisen der Freiheit seiner Denk- und Lebensweise Terrain gewonnen hatten, hatte jetzt Nichts als Ironie und Hohn, bald durch Kriecherei, bald durch Malice durch diese Gesellschaft sich hindurchzuhelfen.

Innerlich eben so isolirt wie Edmund, obgleich mit aller Welt vertraut und bekannt, fuhr er fort, während man den Thee einnahm, diesem die Gesellschaft vorzustellen.

Vom Onkel Kriegsrath merkte er ganz richtig, daß er stark gefrühstückt haben müsse, weil er sein echauffirtes Aussehen, seine Weinschminke, bei Jedermann damit entschuldigte, er habe gegen sein Rheuma soeben ein Dampfbad genommen, – eine Ausrede, welche die Kriegsräthin mit Aufrichtigkeit zu glauben schien, obwohl oder eben weil sie sehr wohl wußte, was für eine Bewandtniß dahinter steckte.

Die Tante Kriegsräthin nannte Oskar eine »zu gute Mutter«, die es sich zu sehr an den Augen ansehen lasse, daß sie Jeden nur darauf ansehe, welchen Eindruck der Ball auf ihn mache und ob er derjenige wäre, welcher – die neue Einrichtung bezahlt machen wolle.

An der neuen Einrichtung selbst tadelte er, daß, wie an der Balldame Sabine noch der Schneider, so an ihr noch der Tischler zu riechen sei.

Onkel Geheimerath saß am Whisttisch, noch der einzige von der Partie, – denn Oskar opferte seine Geisteskräfte nicht, wo nichts zu gewinnen war, – und schrieb wieder mit Bleistift, wie er in jedem Moment der Muße pflegte, unablässig Zahlen auf ein Blatt. Seine Gattin, die ihm gern irgend eine Sonderbarkeit, eine Genialität andichten wollte, hatte wohl einmal gesagt, er suche die Quadratur des Zirkels auszurechnen, und sei dem Resultate schon ganz nahe gekommen, oder er stehe im Begriff, durch neue Kombinationen die finanziellen Probleme der Staatsverwaltung zu lösen. Oskar aber behauptete, er habe von seinen Amtsgeschäften sich so in die Zahlen hineingewöhnt, daß sein Geist stille zu stehen drohe, wenn er nicht mehr durch die vier Species in Bewegung erhalten werde. Im Uebrigen verglich er diese arithmetischen Träumereien mit Cordeliens poetischen und nannte beide eine Geistesschwäche.

Und Cordelie – heute mit Recht die tragische Cordelie! fuhr Oskar fort. Es ist keine leichte Erfahrung, eine Kousine, die man bis jetzt immer als Kind von oben herab angesehen, nun plötzlich als Dame und – was will das sagen! – als jüngere Dame neben sich zu sehen! Und dennoch, welches zarte Gemüth entfaltet sie bei diesem herben Schmerze! Sie musterte vorhin die jugendliche Freundin und sagte ihr mit einer Milde, die ihr ganzes Herz offenbarte: »Du armes Kind, Dein Kleid sitzt Dir nicht; es ist ja zu weit ausgeschnitten!«

Und doch wird sie so gar nicht erkannt, das gute Kind! Wie isolirt ist sie heute wieder! Denn die Lieutenants, die hier sind, können nicht über Schiller und Göthe, also gar Nichts mit ihr sprechen.

O Ausbund eines herrlichen gesunden jungen Geschlechts! – ich meine »jungen«, als Adjektivum mit kleinem Jod geschrieben. Ihr edlen Junker und Ritter der alten Provinzen! Der rohe Pöbel beschuldigt Euch, weil ihr glänzende Erscheinungen seid, brutalen Hochmuthes. Aber wie unrecht thut er daran! Sieh hier, lieber Bruder, diesen Lieutenant im Zustand paradiesischer Unschuld, den Lieutenant von 18 Jahren, den Lieutenant, der erst seit 14 Tagen Lieutenant ist. Sein Kinn ist glatt wie ein Mädchengesicht, seine Seele rein wie ein weißes Blatt; sein Geist unfehlbar wie ein ungedrucktes Buch, sein Gemüth unendlich glücklich: er freut sich über seine neuen blanken Knöpfe; – sein Herz so anspruchslos: er will nur geduldet, nur gesehen werden, nur tanzen, mit wem der Wirth ihn zu tanzen auffordert, und wenn es die Großmama des Hauses ist; und von sanfter Schüchternheit verklärt, sieht man ihn weder essen noch trinken, – er gehört zu des Kriegsraths liebsten Gästen. Tanze, tanze, holdes Kind, – was willst Du mehr? Dir wird man vergeben, denn Du weißt nicht, was Du thust!

Und hier, meine Herren, sehen Sie das Prachtexemplar eines Lieutenants, den Lieutenant von der Garde. Dieser Mars-Apollo, die herrliche Gestalt, die athletische Kraft der Jugend, die Frische des Temperamentes, – wird das Vaterland, wird sein König es zu schätzen wissen, wenn er das Alles ihm zum Opfer bringt? Du lachst, Edmund, weil ich sage: dem Vaterlande, und denkst an die Pferde und Operntänzerinnen, an die Tanz- und Frühstücksalons, in denen er seine Zeit und seine Kräfte fanatisch guillotinirt! Aber thut er das Alles nicht um des Vaterlandes, um seiner Pflicht willen? Rast er sich nicht auf seinen Pferden müde, trinkt er nicht im schwersten Burgunder sich schläfrig, läßt er sich nicht von seinen Phrynen die Träume verscheuchen, nur um nicht sein Denken in sich lebendig werden zu lassen? Ich wenigstens meine, er muß sich fürchten vor dem Erwachen des Geistes in ihm, denn der Geist isolirt, und der Beruf und die Stärke der Soldateska besteht im Einverständniß mit dem Ganzen, in der Subordination. Wenn er aber Geist hätte, wie könnte er jetzt noch – –

Doch ich will nicht aussprechen, denn der junge Mann vom Generalstabe, der mit dem englischen Backenbarte, der sich soeben mit unsrer – Du wirst mir dieses Wort erlauben, damit ich nicht sage: mit meiner Freundin Adele über die nothwendige Verbindung der Religion mit der soldatischen Mannszucht unterhält, dieser christlich-germanische Krieger, dieser Lieutenant der Neuzeit würde mich sogleich entweder denunciren – über das Pistolenschießen ist er durch die christliche Liebe hinaus – oder mit sehr unverständlichen Redensarten vom Gegentheil überzeugen wollen. Ei sagte mir gestern: »ich begreife nicht diese Vergötterung der Armee von 12 und 13; der Offizier der Neuzeit ist ein Gott gegen den ordinären Korporalgeist von damals, der ohne Aufschwung der Religion im gewöhnlichsten Sinne seine Pflicht that; der Lieutenant von heute ist ein Wesen von soliderer und höherer Art.« Ich setzte hinzu: er ist nicht mehr naturwüchsig, sondern mit Selbstbewußtsein dressirt, – und mit dieser Phrase, die ihm gefiel, weil er sie nur halb begriff, wird er heute vor der geistreichen Excellenz renommiren.

Aber damit Du nicht glaubst, daß ich verkenne, welche Bedeutung der Stand hat, der an sich der allerehrenvollste ist, der schon einmal die Rettung und der Stolz des Vaterlandes war, und, wolle Gott, noch ferner sein wird, so sieh hier diese anspruchslose Persönlichkeit, die ich innerlich hochachten muß, – auch ein Lieutenant, nicht athletisch-schön, wie der von der Garde, geistreich, wie der Adjutant, aber bescheiden, fast wie der Kornett, und dabei im Dienste der pflichtgetreuste von Allen, aber neben der Subordination unter das Kommando das volle Bewußtsein eines selbstständigen Charakters sich bewahrend. Er ist einer von den Offizieren, die Krieger wurden und sind mit Leib und Seele, aus ganzem Herzen, aus edelstem Bewußtsein, – aber er ist jetzt melancholisch und niedergedrückt. Glaubt er erfahren zu haben, daß er in einem Privatgeschäfte verkauft sei, nicht ein Diener des Volks, ein Hort des Staates, ein Held der Nation? Was wird ihm bei seinen seltsamen Gedanken übrig bleiben? – O, es giebt viel gesunde Kraft und biedere Treue in diesen Jünglingen, und daß sie nicht vollkommen sind –! Sind wir Diplomaten es denn? Wir haben alle einander nicht viel vorzuwerfen; wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes u. s. w.

Der Erzähler dieser Geschichte hat diese Randglossen Oskars mitgetheilt, nicht sowohl weil sie mehr oder weniger Wahres enthielten, als vielmehr, weil sie die Weise charakterisiren, in der dieser vielleicht nicht uninteressante junge Mann die Gesellschaft ansah und in ihr sich zu unterhalten wußte.

In seinem animirten Humor ging er jetzt an Adele heran; sie grüßte ihn wohlwollend, als habe sie den Zorn, in dem sie neulich von ihm geschieden, vergessen, und er versuchte, die Moquerie fortzusetzen, durch die er sie damals überlistet hatte. Als er aber anfing: Ich habe mir nun doch in meiner verzweifelten Isolirtheit eine Leidenschaft angeschafft, – da wollte sie durchaus nicht wissen, was er damit meine und wie er darauf komme.

Trotzdem fuhr er etwas unartig fort: Aber, wie sich bei einem Diplomaten von selbst versteht, die verständigste, überlegteste, gefahrloseste Leidenschaft, eine Leidenschaft, die keine zerrütteten Finanzen, keine gestörte Gesundheit, keine Scenen, keine Gewissensemotionen in ihrem Gefolge haben kann, – der Wein kann den Kopf, die Liebe das Herz kosten! Ich meine die einzige Leidenschaft, das einzige Laster, das keinen tragischen Ausgang nehmen kann, sondern angemessen ist unsrer praktischen Weltordnung, unserer gebildeten Welt, – ich habe mir das Schnupfen angewöhnt! so schloß der Attaché die Phrase mit pedantisch-ernstem Tone bei maliciös-ehrbarer Miene, indem er eine kleine, elegant goldene Dose aus der Westentasche zum Vorschein kommen ließ.

– Sie werden sich nicht wundern, wenn ich das nicht für sehr liebenswürdig halte, erwiderte Adele im gleichgültigsten Tone von der Welt, als wolle sie einem fremden Menschen nur um der Gesellschaftsitte willen wenigstens eine Antwort geben.

Und als er sein tiefstes schmerzlichstes Bedauern darüber ausdrückte, fügte sie hinzu: Ich muß Ihnen übrigens gestehen, Herr Attaché, daß ich dergleichen Etwas schon lange an Ihnen gemerkt habe, bis ich jetzt erst erfahre, daß es und worin es seinen bestimmten Grund gehabt. Und da ich nicht erwarten kann, daß Sie um meinetwillen dergleichen Ungebührlichkeiten ablegen werden, so wird es Ihnen nicht länger möglich sein, mir angenehm zu werden.

– Das ist also ein Abschied?

– Wie Sie es nehmen.

– Und Ihr letztes Wort?

– Mein letztes!

Oskar wollte mit einer neuen Bezüglichkeit antworten, aber die Excellenz, ihn völlig ignorirend, wandte sich zu ihrer Nachbarin an anderer Seite, und der Attaché, die Unmöglichkeit einsehend, zur Rede zu kommen, mußte ihr diesmal das letzte Wort lassen und war froh, in der Annäherung Edmunds und einiger anderer Herren eine Veranlassung zu finden, von der zürnenden Dame ab diesen sich zuzuwenden.

Edmund war wohl noch nie ein so lebhafter und liebenswürdiger Gesellschafter gewesen, wie heute. Mehrere der Herren, die ihn früher kaum gekannt hatten, begrüßten ihn wie die vertrautesten Freunde, seit er ein Mann des Tages geworden war. »Herzlich willkommen, lieber Baron!« – »Ah, Sieh da! Herr Graf!« so hieß es. Edmund ließ sich, als der Weltmann, der er nun werden wollte, mit ihnen in Unterhaltung ein, in dem Tone, von dem er wußte, daß man ihn hier liebte, indem er hinter Adelens Rücken seinen Platz nahm, so weit entfernt, daß er keine Beziehung zu ihr zu suchen schien, und doch so laut redend, daß sie auch wider Willen jedes Wort vernehmen mußte. Man frug ihn achtungsvoll nach dem Ziele seiner Reise, lächelnd nach seinen Erlebnissen in der Türkei.

– Die Muselmänner haben Lebensart, meine Herren, Haha! – und dann lispelte er ein paar von Oskars anmuthigen Erfindungen. Der Kreis wieherte vor Lachen, so laut, als es in einer Theegesellschaft nur gestattet sein kann, – und Edmund freute sich, wie er Adele erröthen und mit einer halbtauben Nachbarin immer eifriger konversiren sah.

Absichtlich ironisirte Oskar ihn, daß er, der frühere Radikale in diesem Zirkel sich sehen ließ. Edmund verstand ihn und nahm die Gelegenheit wahr, mit den ihm schon gangbaren Redensarten, sein Changement zu motiviren. Alle meine Sympathien für die Volkspartei, so sagte er, gingen nur aus der Religiosität hervor. Allerdings ist meine Religiosität kein frostiger Protestantismus gewesen, nicht solch eine konstitutionelle Abfindung des wahren Glaubens mit dem gemeinen Menschenverstande, ich bin und war stets radikal-religiös. Ich habe es damals oft genug ausgesprochen, – so konnte er sagen, da ihn Niemand zu widerlegen vermochte, – daß ich in der ganzen Bewegung unsres Jahrhunderts ein rastloses, oft genug verirrtes, aber doch unermüdliches, von dem falschen Wege sich wieder zurechtfindendes Streben nach dem Urchristenthum sehe. Auch die Revolution des vorigen Jahres war ein Durchbruch dieses Dranges, ein ebenfalls irre geleiteter, der aber doch seine guten Früchte trägt. Denn wer kann es leugnen, meine Herren, daß das religiöse Bedürfniß seitdem in vielen Gemüthern erwacht ist, die es vordem betäubt hatten? Sehen Sie in dieser Gesellschaft selbst nicht mehr als eine Person, die von da ab und später als ich erst dem christlichen Glauben sich wieder zugewandt hat?

Die Excellenz mußte wieder erröthen und sprach immer eifriger mit der tauben Präsidentin, so daß diese von ihrer Liebenswürdigkeit entzückt sein mußte. Edmund fuhr fort: Ja, selbst Du, lieber Bruder Oskar, Du, der starke Geist, gehörst Du nicht zu jenen, die auch seit den grauenvollen Ausartungen des Volksgemüthes oft genug in geistlichem Zuspruch einen Trost suchen müssen?

Oskar widersprach nicht, sondern warf andächtig den Blick gen Himmel. Die harmlosen Dandy's, die um sie standen, waren gewohnt, nichts sonderbares in alle dem zu finden, und der Lieutenant der Neuzeit ging sogar tiefer auf das Gespräch ein und fand, daß Edmund ein sehr geistvoller, heller Kopf war.

Der Ton der gebildeten Gesellschaft bringt es mit sich, so kurz als möglich bei jedem Gegenstande des Gespräches zu verweilen, um so viele als möglich zu berühren. Diese Gesellschaft hatte guten Ton; man war von den türkischen Abenteuern auf die radikale Religiosität gekommen, und ging von der radikalen Religiosität über zu den neusten pariser Moden, nach denen Edmund, wieder als Neuling in der Welt der Civilisation, mit dem größten Eifer sich erkundigte.

– Sie wissen nicht, meine Herren, so äußerte er sich, was das heißt, Jahrelang keinen Frack, keine Glaceehandschuh tragen, – es grenzt nahe an die Entäußerung der Menschenwürde. Der Bloomerismus für unser Geschlecht wäre die Verhöhnung aller humanen Gefühle. Was ist der Mensch ohne Handschuh? Was der Mann ohne Frack? Glauben Sie mir, ich habe die Erfahrung gemacht, daß Sie, meine Herren, und Ihres Gleichen weit eher jede anderweitigen Bekleidungsstücke entbehren könnten, als den Frack. Ich kann sagen, ich habe seit meiner Rückkehr über den gegenwärtigen Zustand der Politik keine größere Freude haben können, als über den der Mode. Nicht nur der Staat, auch der Frack ist zu seinem Bewußtsein zurückgekehrt, ist wieder er selbst geworden. Er hält, wie ich an Ihnen Allen die Rücksicht nehme, nicht mehr das rationalistisch-konstitutionelle Justemilieu inne, zwischen seinem besseren Selbst und dem republikanischen Bürgerrocke, sondern hat sich wieder zusammengefaßt zu den schmalen, absolutistischen Schößen, die sich jetzt als ein Denkzeichen der altpreußischen Uniform ewig erhalten mögen!

Edmund hatte in diesen Kreisen von jeher für etwas zu gescheudt gegolten; die Gesellschaft wunderte sich deshalb nicht, daß sie nicht verstand, was er so ernst sagte, und obgleich es ihr halb wie Unsinn klang, hörte sie doch aufmerksam würdig zu, besonders als Oskar, in denselben Ton eingehend, fortfuhr: Und dennoch, bester Edmund, wie sehr Du Dich bemühst, den Fortschritten der rückschreitenden Zeit in den Erneuerungen des Veralteten nachzukommen, so stehst Du diesmal doch nicht an der Spitze der Bewegung. Du trägst den modernen französischen Frack, aber den Franzosen wird mit ihrer gemachten Reaktion die geschichtlich gewordene Stabilität des Engländers stets unerreichbar bleiben. Sehen Sie hier, meine Herren, einen echt englischen Frack! Lassen Sie sich produciren, lieber Graf, als den Urtypus englisirter Restaurationsmanie!

Mit diesen Worten faßte Oskar einen langen, jungen Mann mit hohen Vatermördern und dem halben Backenbart à l'Anglais, am Kragen, führte ihn mitten in den Kreis und drehte ihn ringsum, das geschmackloseste Kleidungsstück aufweisend, das die Mode wohl erfinden könnte: oben formlos wie ein Sack, in den Schößen spitz zusammenfallend, als habe das Tuch nicht gereicht. Der Graf, stolz darauf, daß der geistreiche Attaché aufmerksam auf ihn geworden war, ließ sich willig mit ernstester Miene von allen Seiten betrachten, und näselte nur: Selbst aus London mitgebracht. Angefertigt von Burgeß und Compagnon – die Adresse kennt jeder gebildete Mann!

– Dieser Meister hat Ideen, das sieht man aus diesem einen Stücke; aber ich möchte sagen, zu viel Ideen; wie die ganze moderne Romantik ist er zu reich an Kontrasten, zu barock, fast dem Burlesken, wenn ich mich so in ästhetischem Terminus ausdrücken darf, sich zuneigend. Göthe sagt: die wahre Schönheit liegt in der Beschränkung; dieser Kleiderkünstler sucht sie in dem Weiten, Ausschweifenden, phantastisch Eleganten, – man kann diese Arbeit ein Kostümstück zu Bulwers Romanen nennen – –

So sprach Edmund sich in eine Ästhetik des Fracks hinein, die selbst Adele zu fesseln schien; sie sprach nicht mehr mit der tauben Dame, war's nun aus Aufmerksamkeit auf seine Rede, oder aus Ermattung von ihrer eignen.

– Geistreich, etwas zu geistreich, aber sonst ein angenehmer Mann, – hätte ihm soviel Bildung gar nicht zugetraut! – nur die religiöse Schwärmerei merkt man ihm etwas an, – so einigten sich die Lions, als sie sich zurückzogen, in ihrem Urtheil über die Persönlichkeit des berühmten Reisenden, und Oskar setzte hinzu: Und, was die Hauptsache ist, ehrlich, grundehrlich bis zum Fanatismus!

Edmund indeß hatte seinen strategischen Hinterhalt nicht aufgegeben, und als Kousine Sabine mit weit herausgereckter linker Schulter an ihn herantrat, plauderte er mit ihr in der harmlosen und vielleicht etwas faden Weise, in der ein junger Herr mit einer jungen Dame geplaudert hat und plaudern wird, so lange es junge Herrn und junge Damen giebt, und nahm dann bei ihrer Frage, was er denn nun beginnen werde, die Gelegenheit wahr, auf Adelens Ruhe den gewagtesten Angriff zu machen.

– Ich will versuchen, gab er zur Antwort, ob man mich in meine Carrière wird eintreten lassen, aus der ich in unbegreiflicher Nachlässigkeit ohne Urlaub mich entfernt habe.

– Wenn man Dir aber das nicht erlaubt? so sagte sie, um nur etwas zu sagen.

– So wird ein Mann von meinem Geist sich auch durchhelfen, so erwiderte er, so laut, als es der gute Ton nur erlaubte. Ich werde dann Poet, schreibe Romane, an Stoff wird mir es nicht fehlen, – ich habe ja so viele interessante Bekanntschaft, pikante Erlebnisse, – o, liebe Kousine, ich habe Briefe, weit ausgedehnte Korrespondenzen zu Hause, die brauche ich nur Wort für Wort abdrucken zu lassen und der spannendste Roman, etwas skandalös vielleicht, aber um so mehr die Neugierde der Leser reizend, ist fertig. Aber, wie gesagt, ich gebe es noch nicht auf, ich hoffe, man wird mich Carrière machen lassen, meine Freunde und Freundinnen nehmen sich meiner vielleicht an – –

In dem Augenblicke begann die Tanzmusik.

Adele, ihrer Würde angemessen, tanzte nicht mit. Edmund bekam sie nur auf Augenblicke zu sehen. Sie schien ihn nicht zu bemerken, war unbefangen wie ein Kind und heiter wie das reinste, glücklichste Frauengemüth.

Die Soiree ging vor sich, wie solche Soireen vor sich zu gehen pflegen, und zeichnete sich vor andern durch nichts aus, als daß selbst die Habitue's der Theezirkel, die wohl an Geistlosigkeit gewöhnt waren, sie geistlos fanden. Wie in so vielen Häusern, so hatte man auch hier das Bedürfniß häuslicher Geselligkeit nie gefühlt, und nun, da man eine Tochter verheirathen wollte und Gesellschaften gab, wo sollte da plötzlich der Geist der Geselligkeit herkommen? Ja, nicht einmal Speise und Trank kamen an, wie es berechnet war. Der Koch brachte das Essen zwei Stunden später, als es angesagt war, und der Weinhändler hatte die bestellten Sorten nicht geschickt, da er baare Bezahlung verlangte. Vor Hunger und Durst verlor man den Muth zu tanzen und zu konversiren wußte man auch nicht. Früh ging die Gesellschaft auseinander und noch nach drei Tagen sprach man von der mißglückten Assemblee.

Am zweiten Tage darauf erhielt Edmund die Antwort auf sein, vor mehreren Tagen schon abgesandtes Gesuch an die Excellenz von Stein, in dem er gebeten hatte, seine Entfernung ohne Urlaub ihm verzeihen und den Eintritt in den Staatsdienst ihm von Neuem gestatten zu wollen.

Die Antwort war zufriedenstellend, zuvorkommend, freundlich.

Am andern Morgen hatte er bei der Excellenz eine Audienz und erhielt das Versprechen, aufs ehrenvollste beschäftigt zu werden, mit baldigster Aussicht auf eine günstige Anstellung.

*

 


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