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Zweiter Band.

 

8.
Souverain.

Einen Schimmer von dem großen, reichen und schönen Leben der Kaufherren in der Lombardei und den Niederlanden zu jener Zeit, wo mit den Republiken Handel, Künste und Geselligkeit dort in ihrer Blüthe standen, findet man auch jetzt noch hier und da in einem großen Handlungshause, wo neben dem Reichthum der äußeren Mittel Sinn für Schönes und Edles mit freier Lebensart vereinigt sind.

Der eigne, von des Staates Willkühr und Gnade unabhängige Besitz gründet ein festes Haus, in sich selbstständig, eine kleine Republik. Die Verbindung mit fremden Städten, Ländern und Menschen weitet dieses Haus zur Welt. Der Reichthum macht unabhängig von der üblen Sitte Anderer, und der wechselnde Verkehr führt die besseren Gewohnheiten aus Näh' und Ferne ein. Der Umgang mit den Menschen ist hier weder drückende Nothwendigkeit, noch absichtsvoller Eigennutz, sondern ein sich selbst verstehendes Bedürfniß, das regelmäßige Genießen der Feierstunden jedes Tages. Der gewohnte Wechsel lehrt über die Unbequemlichkeiten der verschiednen Denk- und Lebensweise hinwegsehen, und Interesse finden an der Besonderheit jeder Person und ihrer Leistungen, – jenes Verständniß und jene Freude an dem Individuellen der Menschen und der Dinge, das doch der unbestreitbarste und unerschöpflichste Reiz des Lebens bleibt.

In diesem Style war die Lebensweise im Löwe'schen Hause eingerichtet. Nach der Mittagstafel, die nahe an die Abendstunden fiel, war der Tag für die Geschäfte bei den Herren im Komptoir, bei den Damen in der Wirthschaft abgeschlossen, in den nächsten Stunden darauf war das Haus täglich für Jedermann, der mit der Familie in Verbindung stand, geöffnet, und der Abend war wiederum frei für Theater, Concert, Gesellschaften oder auch einsame Studien und vertraulichste Unterhaltung.

Die Cour nach der Tafel namentlich machte den Löwe'schen Salon zum Sammelplatz der mannigfachsten und interessantesten Persönlichkeiten, die die große Residenz nur aufzuweisen hatte. Man brauchte hier nicht wie in engen bürgerlichen Verhältnissen zwischen Intimität und Gegnerschaft zu schwanken, sondern empfing den Fremden, dem man irgend ein Interesse abgewinnen konnte, mit jenem charaktervollen Welttone, der, die eigne Individualität mit Ernst oder Grazie vertretend, die fremde durch Achtung oder Humor anzuerkennen weiß. Man verlangte deshalb nicht Gleichheit des Standes, nicht Unterordnung unter dieselbe Devise im religiösen oder politischen Glaubensbekenntniß; gerade an der Mannigfaltigkeit und dem Berühren der Gegensätze hatte man seine Freude, und um in dieses Haus eingeführt zu sein, braucht man nur eine Eigenthümlichkeit zu besitzen, mit der Bildung, eine andere daneben gelten zu lassen.

Es kam der Maler dorthin, um seine Bilder zu zeigen, von Kennern Lob und Zurechtweisung zu ernten, und gar oft wurde eines gekauft oder ein anderes bestellt. Eine fremde Sängerin erschien mit Empfehlungen aus Paris, und sie erhielt neue nach Petersburg. Der Gelehrte fühlte sich geehrt, seine Kenntnisse auf dem Gebiete der Natur- oder Völkerkunde gewürdigt zu sehen, oder um Aufklärung und Urtheil über einen alten Dichter, ein neues Gemälde gefragt zu werden. Dazwischen bewegten sich die Kaufleute und Reisenden aus allen Städten und Ländern der Welt: der patrizische Hamburger, der oppositionelle Rheinländer, der ewig joviale Wiener; man sah hier, daß der Russe nicht immer finster, der Franzose oft ernst, und der Engländer bisweilen ganz interessant sein kann. Der einheimische Schriftsteller gesellte sich mit Freude und Eifer hinzu, um die charakteristischen Physiognomien der ganzen Welt, die er in der Weite nicht suchen konnte, hier im engen Kreise zu studiren, und gewiß sah er seine neuen Bücher hier zuerst auf dem Tische der Damen. Auch der Diplomat endlich ließ sich wie zufällig dann und wann hier sehen, in der bestimmten Absicht, über den Stand der Börse oder die Aussichten der Industrie eine Auskunft einzuholen und zur Gegengefälligkeit vielleicht eine Mittheilung aus seinen unverbrüchlichen Geheimnissen hinzuwerfen –

Auch Edmund von Brandt, als ihm Viktorine bei einem zweiten Besuche, den er ihrer Souveränität abstattete, den Charakter der verschiednen Persönlichkeiten erklärt und den Ton des Umganges im Hause bekannt gemacht hatte, fühlte sich in diese kleine, weite Welt hingezogen, und trotzdem, daß die Vornehmheit der Frau und die Strenge des Herrn vom Hause ihm nicht liebenswürdiger entgegengekommen waren, als anfangs, war er bald fast täglicher Gast in dem gastfreundlichen Hause geworden.

Allerdings war es zunächst das Interesse an Viktorinens Persönlichkeit, was ihn mit einer an Zudringlichkeit grenzenden Dreistigkeit diese Gesellschaften aufsuchen ließ. Es hatte sich eine wüste Verzweiflung in seinem Herzen eingenistet, ein wildes angstvolles Verlangen, die entsetzlich öde Leere seines Innern nach dem Verlust aller stiller Ideale und Interessen zu erfüllen, durch irgend eine neue Theilnahme und Lust. – Der magnetische Zug zu Adele hatte seiner haltlosen Seele von neuem sich zu bemächtigen gedroht. Bei jedem Schritte, den er in den Straßen that, wo er sie sonst gesehen, bei jedem Male, wo er ihre Equipage nur erblickte, mußte er fühlen, daß all seine Gedanken an sie, auch die feindlichsten, versetzt waren mit dem süßen Gifte liebeseligen Verlangens, fernschimmernder Hoffnung, die immer wieder in ihm auftauchte, so oft sein besseres Wissen sie auch unterdrückt zu haben meinte. Nur eins, fühlte er, konnte ihm helfen, Gegengift gegen das Gift, das stets von neuem ausbrach, eine gewaltsame, geistige Motion, diesen bösen Stoff aus seinem Sinnesleben herauszudrängen, eine Leidenschaft, die die Leidenschaft unterdrückte.

Durch die allmälige Gewöhnung an seine Amtsarbeiten und die damit näher rückende Aussicht auf eine sein Leben sichernde Stellung glaubte er Schritt für Schritt in der Heilung seines Inneren vorzuschreiten. Von Tage zu Tage fühlte er, wie sein unbequemes Zart- und Ehrgefühl sich abhärtete, wie er sich mehr und mehr in das hineinlebte, was er als die reale Welt jetzt ansah, und dadurch selbstständiger und energischer wurde. Er wollte zu dem Leichtsinne und dem Egoismus sich abhärten, mit Bewußtsein bewußtlos in den Tag hineinzuleben, gewissenlos ein Interesse sich zu erobern, das sein Herz erfüllen konnte, und das ihm Muth und Kraft gab, Adele mit dem Trotze und der Rache entgegenzutreten, die er in Momenten der Aufwallung an ihr auszuüben sich sehnte.

Als er so Viktorinen entgegentrat, war es nicht Neigung, nicht Verlangen, was er für sie empfand, sondern nur das Interesse an der Sonderbarkeit und Neuheit dieses Naturells. Jetzt fühlte er sich sogar in einem fast feindlichen Gegensatz gegen sie, so daß er nichts weniger als die Milde und Güte der Liebe für sie empfand, wie sie selbst solcher Empfindung ihm auch durchaus unfähig erschien. Um sie zu demüthigen, um den Trotz in ihr gegen das andere Geschlecht gebeugt zu sehen, verfolgte er sie mit grausam frivoler Lust an Abenteuer und Eroberung.

Viktorine dagegen hatte wohl noch nie einem Manne gegenüber sich so sicher und stolz in ihrer Klarheit und Einheit gefühlt, als neben dem Baron. Er machte auf sie nicht den imponirenden Eindruck der stärkeren gehaltvollen Männlichkeit. Seine innere Haltlosigkeit und äußere Ostentation damit, die sie beide wohl durchschaut hatte, erschienen ihr mit der Würde, die sie bei dem starken Geschlechte forderte, nicht in völligem Einklang. Aber dennoch wieder, wenn sie ihn mit der großen Mehrzahl der gewöhnlichen Männer verglich, zu oberflächlich, um in sich zerfallen zu können, so erblickte sie in seiner Haltlosigkeit wieder einen Vorzug; sie sah eine Stärke darin, Probleme, wenn auch ungelöste, in sich zu tragen und zu bewegen. Und daß er sie in der ersten Begegnung durchschaut haben wollte, daß er ihr ins Gesicht zu sagen den Muth hatte: sie sei egoistisch, impertinent, das rief in ihr das Gefühl wach, daß sie ihm gegenüber all ihren Stolz, all ihre Größe zusammen nehmen müsse, um vor ihm, diesem unmännlich haltlosen Manne, nicht gedemüthigt zu werden. Und wie klug berechnend war die Sophistik ihres gefährdeten Mädchenstolzes! Um ihn zu demüthigen, wurde sie demüthig. Er sollte und sollte nicht Recht haben in dem Urtheil über sie; um ihm zu trotzen, ihn zu widerlegen, wollte sie bescheiden, sanft, mädchenhaft schüchtern und sinnig sein, – und sie war so innerlich reich, daß sie nur brauchte, etwas sein zu wollen, um es wirklich zu sein.

So war es, als man an einem Freitage zum erstenmale in diesem Winter wieder im Löwe'schen Hause den »Abend« hatte, jene allwöchentlichen Theezirkel beginnend, zu denen ein für allemal jeder näher stehende Freund der Familie eingeladen war. Die Gesellschaft war noch klein, wie das in beginnender Saison der Fall zu sein pflegt, ehe aus der durch den isolirenden Sommer herbeigeführten chaotischen Zersprengung der Gesellschaft chrystallinisch neue Gruppen sich gebildet haben. Viktorine tröstete sich darüber, indem sie sagte, die Volkssouveränität solle ja nur in kleinen Staaten zu verwirklichen sein.

Während die älteren Herrschaften mit dem Herrn und der Frau vom Hause sich um einen großen Tisch in den verschiedenen bequemen Kanapee's und Chaisen versammelt hatte, servirte in einer anderen Ecke des Zimmers hinter dem Altar mit der Opferflamme der summenden englischen Patent-Theemaschine Viktorine das Weihegetränk mit all der Grazie, die feiner weiblicher Takt überall, auch bei jedem Geschäfte der Wirthschaftlichkeit zu entwickeln weiß. Edmund und ein paar ebenso anmuthige als anspruchslose junge Damen hatten in ihrer Nähe, einen zweiten Kreis bildend, Platz genommen.

Wenn solche Theezirkel im traulich warmen Zimmer überhaupt alle Annehmlichkeit des Winters fühlen lassen, während draußen Sturm und Wetter seine Lästigkeit zu erschöpfen scheinen, so haben insbesondere die ersten Gesellschaften dieser Art mit der beginnenden Saison einen ganz eigentümlichen Reiz. Es ist wie ein Weihefest für eine unausgesprochene Vereinigung, feierlich durch die Hoffnungen und Befürchtungen für die kommenden Monate, die man in irgend welcher Beziehung mit einander zu verleben gedenkt. Nach der Trennung des Sommers, nachdem der Eine hier, der Andre dort neue Erfahrungen gesammelt, und der Kreis, mancher vertrauten Persönlichkeit vielleicht beraubt, durch andere neue erweitert ist, versucht man mehr oder weniger fremd mit neuem Interesse von neuem an einander sich anzuschließen und gedenkt des gemeinsamen Schicksals, das über die Leiden und Freuden der nächsten Zukunft waltet, und über das man in der Gesammtheit doch wieder sich erhaben weiß.

Viktorine, als sie die ersten Tassen servirt hatte, sprach ein dem ähnliches Gefühl aus, nicht ohne an scherzhaften Beziehungen es fehlen zu lassen auf die verunglückte italienische Reise der einen Dame und die interessanten Badebekanntschaften einer anderen.

Als der junge Baron die Aeußerung that, man sehe ihr die Freude an, mit der sie ihren Beruf als dienstthuende Oberpriesterin des Theetisches erfülle, gab sie ihm darin freundlich Recht und gestand, es gebe für sie kein anmuthigeres Vergnügen, als so an der Quelle der Erquickung zu walten, und an den großen Kreis die Gabe der Labung zu verspenden, Jeden im Auge zu behalten und für sein neues Bedürfniß augenblicklichen Ersatz zu bieten.

– Ja, Herr Baron, sagte sie, das ist mir kein neues Ding: zum fünftenmale eröffne ich hier an diesem Platze als Oberpriesterin, wie Sie mich nennen, oder als Dienerin unserer Gäste den ersten Theeabend eines neuen Winters, und doch fühle ich immermehr den Reiz und die Würde eines solchen Amtes. Glauben Sie, daß ich dafür nicht den Platz auf dem Theater oder der Rednerbühne, oder, wohin man sonst aus übergroßer oder zu geringer Galanterie uns Damen emancipiren möchte, einzutauschen wünschte! Ja, ich kann sagen, je öfter ich dieses einförmige Geschäft, den Hahn auf- und zuzudrehen, die Blätter einzuschütten und die Färbung des Wassers abzupassen, schon besorgt habe, um so lieber wird es mir, um so einheimischer fühle ich mich dabei. Jedesmal freue ich mich von neuem, wenn ich bei Papa und Mama und bei unseren Bekannten es richtig getroffen, diesem oder jenem nur Schlagsahne oder nur Rum oder Beides oder keins von Beiden präsentiren zu lassen. Es macht doch ein großes, großes Vergnügen, anderen dienen zu können, auch nur mit der alltäglichsten Aufmerksamkeit, und in diesen Aufmerksamkeiten sich so gewohnt zu fühlen.

– Darum kann ich Sie, erwiderte Edmund, recht beneiden, da ich einen solchen Reiz der Gewohnheit nicht kenne: und es wäre die Frage, ob das Behagen darin, den Damen nicht eben mehr ziemt als uns Männern. Aber um so mehr kenne ich den Reiz, die Damen im liebenswürdigen Ausüben so liebenswürdiger Gewohnheit zu beobachten. Und da Sie einmal wissen, wie ich mit der Gesellschaft von heutzutage zerfallen bin, so sagte er lächelnd, – mögen Sie deshalb immerhin mich auslachen! – so kann ich das auch als einen neuen Grund meiner mekontanten Gesinnung angeben, daß wir Männer im Allgemeinen so gar nicht oder doch so wenig die Gelegenheit haben, die Damen in ihrer Gewohnheit, in ihrem häuslichen Sichhaben und Sichgeben zu bewundern. Die Damen treten in gewissen Kreisen der Gesellschaft uns fast nur in Balltoilette entgegen. Und ich muß zugestehen, daß dieses tägliche Forciren der Schönheit, ich möchte sagen dieser Sturmschritt der Eroberung wie alles Forcirte abstumpft und zuletzt ohne jeden Eindruck läßt. Diese ewigen Ballkostüme haben etwas Balletmäßiges und Uniformartiges an sich. Da lobe ich mir die Toilette im Hauskleide, und zwar um so mehr, je mehr ich bemerke, daß es eben schon getragen ist. Je gewohnter es der Dame ist, um so mehr haftet von ihren Gewöhnungen und ihrem ganzen Leben daran; in jeder Falte prägt ihr natürliches Benehmen sich aus; jedes Fleckchen, sei es ein wirthschaftliches oder ein Tintenklex, ist ein Zeichen ihrer Thätigkeit; und ein Aermel, den der volle Arm am Ellbogen geplatzt hat, auch wenn durch eine beabsichtigte Kraftanstrengung, erscheint oft noch viel interessanter als der schönste volle Arm selbst.

Die jungen Damen am Theetisch, die kurze Aermel trugen, wurden etwas verlegen, und zogen unvermerkt ihre Mantillen höher. Nur Viktorine, die ihren Arm heute nicht den Blicken preisgegeben, lächelte, und Edmund fuhr fort: Freilich gehört ein reiches und graziöses Naturell dazu, so ohne Schminke und künstliche Drappirung in seiner Einfachheit zu entzücken, und es giebt Damen genug, die eben nur das Talent haben, auf einem Balle zu blenden, aber nicht in ihrer natürlichen Umgebung dauernd zu fesseln. Oder sollte es noch eine interessantere Toilette geben, außer Ball- und Hauskostüm, meine Damen?

– Noch die Soiree- und die Promenadentoilette, erwiderten die anspruchslos Anmuthigen.

– Die haben beide nichts zu sagen, denn die erstere, zwischen Ball- und Hauskostüm in der Mitte, ist meist ganz charakterlos, und die zweite in jetziger Jahreszeit dient nur dazu, sich zu verhüllen und nicht sich zu zeigen. Und sonst giebt es also kein Kostüm, das mit dem Hauskostüme an interessantem Charakter wetteifern könnte?

So frug Edmund mit einem Lächeln, das Viktorinen beziehungsvoll erschien; doch wußte sie nicht, welche Beziehung darin zu vermuthen sei. Durch das Eintreten später Gäste wurde das Gespräch unterbrochen, und sie dachte nicht weiter darüber nach.

Der Umgang in einem so großen Hause, wie es das Löwe'sche war, ist schon deshalb ein so angenehmer, weil er, ein vollkommen freier, an gar keine kleinlichen Rücksichten geknüpfter ist, und unter andern Vorzügen deshalb dem Gaste selbst die Stunde des Kommens und das Gehen ohne Beschränkung anheimstellt. Wem verschiedene solche gastliche Häuser offen stehen, der geht am selben Abende ungenirt aus dem einen in das andere, dort verweilend, wo er heute gerade die Gesellschaft findet, die ihn zur Unterhaltung für den Abend fesselt. Es kamen heute nach dem Theater noch eine Anzahl Herren; ein berühmter Hofschauspieler war darunter und zog die Anwesenden durch sein Unterhaltungstalent in einen Kreis um seine Person.

So kam Viktorine heute mit Edmund in keine Begegnung mehr. Als sie, nachdem die Gesellschaft auseinander gegangen war, in ihr Zimmer sich zurückzog, um ihre Toilette abzulegen, entdeckte sie, daß ihr rechter Aermel, an dessen Seite Edmund gesessen hatte, geplatzt war, – und so konnte sie nicht verkennen, daß er ihr hatte schmeicheln wollen, aber sie mußte auch daran denken, daß er den Verdacht einer Absicht, einer Koketterie dabei ausgesprochen hatte.

Dennoch mußte sie lächeln und ihr Lächeln drohte ihm Vergeltung für diesen Verdacht. Als sie aber ihre Nachtkleidung anlegte, wurde ihr seine beziehungsvolle Frage nach der interessantesten Toilette klar und sie mußte erröthen.

Als nach einigen Tagen Edmund wieder in das Haus kam, schien Viktorine ihn nicht zu bemerken. Sie saß in einer Fensternische und unterhielt ein Kinderpaar, einen Knaben und ein Mädchen von vier bis fünf Jahren, beide in Trauer gekleidet. Edmund ersah aus ihrem Gespräche, daß es Kinder aus einer verwandten Familie waren, deren Mutter jüngst gestorben. Schon der Anblick in Schwarz gekleideter Kinder hat etwas seltsam Wehmüthiges; aber erschütternd war diese kindliche Unbefangenheit, mit der die Kleinen vom Tode sprachen, den sie in seiner erschreckenden Grausamkeit noch nicht begriffen. Sie erzählten der Tante Viktorine, wie ihre Mutter lange krank gewesen sei, und dann sei sie in ein schönes vergoldetes Bett gelegt, so rein und weiß, wie die Engel sind, und dann hätten schwarze Männer sie fortgetragen; anfangs hätten sie sehr geweint darüber, aber jetzt habe ihnen die Großmama erzählt, die Mutter sei nur zum lieben Gott gefahren, und aus den Wolken sehe sie herab, ob ihre Kinder auch recht artig und fromm seien, und, wenn der Schnee fort wäre, dann würde sie den lieben Gott bitten, daß er recht viel schöner Blumen wachsen ließe, und all die schönen Blumen, die dann aus der Erde kommen würden, die würden von der lieben Mutter im Himmel kommen –

Keinen Zweifel ließen die allerliebsten unschuldig klugen Kinder an diesen Märchen laut werden; aber sie erzählten sie dabei doch mit solch ängstlicher Hast, als müßten sie mit Eifer in diese Phantasien sich hineinreden, um eine dunkle Ahnung von dem unbeugsamen Schicksale, das hinter der geheimnißvollen Entfernung der Mutter verborgen war, nicht lebendig werden zu lassen.

Das ältere Mädchen sagte dann: Es war aber doch nicht Recht von der Mutter, daß sie fortgegangen ist; sie hat es wohl sehr schön im Himmel, aber wir können nun doch nicht mehr bei ihr schlafen und unser guter Engel, der alle Nacht in unserer Stube wacht, wird am Ende auch zu ihr und zum lieben Gott gehen.

– Wir müssen nur recht fromm sein, liebes Gretchen, sagte der Bruder, dann wird der gute Engel bei uns bleiben und uns alle Abende Sand in die Augen streuen und sie zuletzt ganz zudrücken, damit wir hübsch schlafen und er uns bunte Träume malen kann. Nicht wahr, Tante Viktorine?

Viktorine, um ihn zu beruhigen, gab ihm Recht; aber sie liebte nicht dieses Hinüberleiten des Gemüthes von Jugend auf in das Verhimmelnde, Uebernatürliche. Um die Einbildungskraft der fast krankhaft erregten Kinder auf die Welt der sichtbaren Dinge zu lenken, sprach sie ihnen den Trost zu, daß sie statt der Mutter ja nun ihre Tanten noch hätten, und sie sprach von der Bleistift-Tante, die ihnen so schöne Sachen aufzeichnete, und von der Scheeren-Tante, die eben so schöne aus Papier ausschnitt; dann machte sie ihnen Hoffnung auf den Sommer, wo sie zusammen vor das Thor ziehen wollten, in das schöne Laternenhaus, – so nannten die Kinder die Villa mit dem Glaspavillon –, wo die wilden Männer, eine Anzahl antiker Statuen standen, wo sie Blumen und Erdbeeren pflücken und des Abends in der Fliederlaube sich Märchen erzählen wollten, bis die lieben Sterne vom Himmel grüßten, – und was sie sonst alles von den Kinderfreuden auf einem Landsitze zu sagen wußte.

Edmund, der in seiner Jugend ohne Eltern und ohne bestimmte Heimathstätte aufgewachsen war, wurde tief nachdenklich, als es ihm hierbei auffallen mußte, daß er nie Kindermärchen und trauliche Jugenderinnerungen gekannt, und mit wahrer träumerischer Innigkeit blickte er zu Viktorinen hinüber. Ihr aber wurde unheimlich vor der zudringlichen Verschlossenheit in diesen Blicken; sie fürchtete sich davor, und redete sich ein, etwas von der Leidenschaft eines Wüstlings darin zu lesen; sie mied ihn mit all der beleidigenden Rücksichtslosigkeit, deren ihr entschlossenes Wesen bei einer Verletzung ihres mädchenhaften Stolzes fähig war.

Bald darauf ging sie bei schönem Winterwetter, von dem Bedienten gefolgt, durch die Straßen, im Bewußtsein ihrer eleganten Toilette und ihrer seltenen Schönheit nicht ohne Koketterie den Blicken der Vorübergehenden sich zur Bewunderung darbietend. Da erblickt sie den Baron sich entgegenkommend. Er blickt sie unverwandt fest an. Sie hat schon ein schnippisch-freundliches Lächeln bereit, um seinen Gruß zu erwidern; er aber schritt, ohne zu grüßen, das Auge auf sie gerichtet, fremd an ihr vorüber. Sie erschrack über den Schreck, der trotz aller Gewalt, die sie sich anthat, den ganzen Gang über sie durchbebte.

Als sie an einem der nächsten Freitage die Gäste des Abends empfing, und Edmund vor ihren Augen mit kecker Miene in das Zimmer trat, wandte sie ihm schnell den Rücken und schien den ganzen Abend über ihn nicht zu bemerken.

Das Haus war heute sehr zahlreich und von sehr interessanten Leuten besucht; es war ein wahrhaft glänzender Abend. Viktorine war so ganz in ihrem Elemente mannigfacher, pikanter Unterhaltung, umfreit und gefeiert von den vorzüglichsten Gästen des Hauses. Da war der uns bekannte Professor Hofmaler, der sie darauf gefaßt machte, daß sie sich nächstens als Jeanne d'Arc auf der Kunstausstellung bewundert sehen würde; dann der Schriftsteller Dagobert, der sie scherzhaft um Erlaubniß bat, sie zur Heldin seines neuesten Romanes wählen zu dürfen, wobei er ungewiß ließ, ob er einen Roman meinte, den er spielen oder den er schreiben wollte; und endlich der berühmte Charakterdarsteller des Hoftheaters, einer ihrer lebhaftesten Verehrer, dem sie sogar die Gelegenheit zusagte, noch heute eine Scene mit ihr spielen zu dürfen!

Viktorine verstand so trefflich die Kunst des geselligen Umganges. Sie konnte so liebenswürdig und geistreich sprechen über Alles. Während die klügsten Männer sich gern mit ihr über die bedeutendsten Gegenstände unterhielten, wobei sie oft durch ein Urtheil des feinen Taktes einen Fingerzeig gab, den kein Verstand der Verständigen ersetzte, so konnte sie eben so pikant über die alltäglichsten Dinge, ebenso geistreich über Nichts sich unterhalten; sie selbst behauptete, sie erscheine nur deshalb gescheut, weil sie den Muth habe, Albernheiten zu sagen, wobei auch vielleicht dann und wann unwillkürlich eine Wahrheit mit unterlaufe. Dabei war eben so mannigfach wie ihr Gespräch selbst ihre Weise, ein Gespräch abzubrechen, wenn es vielleicht verfänglich oder ermüdend zu werden drohte. Und so wußte sie einen Jeden in der Gesellschaft anzureden, mit einem Jeden sich zu unterhalten, so daß die Unterhaltung zugleich auf seiner und auf ihrer Seite war, Diesem schmeichelnd, von Jenem Schmeicheleien erntend, hier sich belehren lassend, dort imponirend, einmal offen beleidigend und ein andermal ironisch verspottend. So hatte sie einem Professor der Ästhetik, der behauptet hatte, jede Zeile von Göthe als vollendet vertreten zu können, und dabei der neueren Literatur keine Berechtigung zugestehen wollte, eine Anzahl wenig bekannter Göthe'scher Verse mit dem Namen eines modernen Lyrikers vorgelegt, und erst dann, als der klassisch gesinnte Herr alle Geißeln seiner Kritik darüber geschwungen hatte, ihm die Autorschaft Göthe's zu seinem nicht geringen Schrecken enthüllt.

Doch nicht nur für ihre eigne Unterhaltung, auch für die der gesammten Gesellschaft zu sorgen, hatte Viktorine die Umsicht und Erfindungsgabe, und kaum begann das Gespräch beim Thee hier und da zu stocken, so hatte sie auch schon eine spannende Ueberraschung arrangirt. Es wurde der Gesellschaft verkündet, man werde ein Wort in seinen drei Sylben und dann als das Ganze durch vier lebende Bilder darstellen, und der Gesellschaft zu errathen geben. Ein Vorhang, der ein geräumiges Cabinet von dem Empfangssalon trennte, wurde zurückgeschlagen, und man sah eine bunte Gesellschaft, ein paar antike Musen, einen Gelehrten mit Schlafrock und Pantoffel, einen Dichter im Frack mit dem Lorbeerkranz, einen Schulknaben mit der Schiefertafel, die über einer mit einem großen A ausgestatteten Tafel Bücher und Papierrollen zu einem kühnen Gebäude aufbauten. Den Grundstein der Wissenschaften sollte dieses Bild bedeuten.

Die bunte Zusammenstellung der verschiedensten charakteristischen Figuren erregte allgemeine Heiterkeit. Der Vorhang rauschte zusammen und theilte sich nach einer Pause wieder, um ein neues Bild zu zeigen. Es war Tell im Augenblick vor dem Apfelschuß. Der Maler, der im ersten Tableau eine amüsante Carrikatur gegeben, hatte hier eine wahrhaft schöne Gruppe mit den wenigen vorhandenen Mitteln herausstaffirt. Der Hofschauspieler mit imponirender Wüthrichsmiene, durch einen schwarzen Damenpelz als Ritter kenntlich, eine sittsame, schöne Bertha an der Seite, stellte den Landvogt dar; ihm gegenüber der Maler selbst den Tell, im Kampfe mit seiner Schützenehre und seiner Kindesliebe die Arme ringend, umgeben von einer Gruppe Männer, die durch Miene und Geberde, die unter dem Drucke aufflammende Wuth der Empörung, entfernt an die Hussitenpredigt Lessings erinnernd, drastisch darstellten. Durch ein geschickt angebrachtes rothes Tuch oder einen bunten Gürtel, durch einen kühn gezeichneten Bart oder charakteristische Bemalung des Gesichtes hatte der erfindungsreiche Maler für den Augenblick eine wahrhaft überraschende Illusion erzielt.

Jetzt im dritten Bilde endlich sollte Viktorine gesehen werden. In weißem Gewande, selbst bleich wie das Kleid, mit geschlossenen Augen, als eine wunderschöne Leiche lag sie dahingegossen, halb auf dem Boden, halb in den Armen einer niedergeknieten Greisengestalt, in rothem Mantel phantastisch ausgestattet, mit herzzerreißenden Gebehrden der Verzweiflung und des Wahnsinns.

 

Heult, heult, heult, heult! O
      Ihr seid all' von Stein
Hätt' ich Eur' Aug' und Zunge
      nur, mein Jammer
Sprengte des Himmels Wölbung!
Hin auf immer – –

So erhob sich die klagende Stimme des Greises, in furchtbarem Wuthgeschrei einen Ausdruck des unendlichen Schmerzes suchend und dabei im Gefühl ihrer zusammenbrechenden Ohnmacht wehmüthig erbebend, – die Gesellschaft erkannte den befreundeten Schauspieler in der Rolle des König Lear, seine ermordete Tochter Cordelie auf die Bühne tragend. Der berühmte Künstler trug die ganze Scene vor, soweit sie ohne Zusammenspiel mit den übrigen Personen des Stückes möglich war, und brach dann sterbend zusammen mit den Worten:

– o, Du kehrst niemals wieder,
Niemals, niemals, niemals,
      niemals, niemals!
– Ich bitt' Euch, knöpft hier auf! –
Seht ihr Dieß? Seht sie an!
      Seht ihre Lippen,
Seht hier, – seht hier!

Und aller Blick mußten sich auf Viktorinens Züge richten, die in ihrer Unbeweglichkeit mit dem festgeschlossenen Munde bei ihrer reizenden Jugend die wehmüthigsten Empfindungen erregte, die das Angedenken des Todes nur erwecken kann. Sie selbst mußte es fühlen, daß die letzten Worte des sterbenden Königs alle Augen auf sie lenkten; die Schminke konnte ihre Verlegenheit nicht verdecken; Hals und Nacken sah man erröthen; ihr Busen hob sich vor Beklemmung unwillkürlich; das Bild des Todes schien aufleben zu wollen; – da verschwand es den Augen der Zuschauer und hinterließ in der Lustbarkeit eines animirten Gesellschaftsabends ein sonderbar kontrastirendes Gefühl von den Schranken aller menschlichen Lust und Kraft.

Aber schleunigst darauf sorgte der Professor, daß die improvisirte Bühne ein Bild des Lebens bot, ein Bild des Ortes, wo es in seiner buntesten Mannigfaltigkeit sich koncentrirt, – eine Künstlerwerkstätte. Der Professor stellte sich selbst in seinem Salon dar. Auf der einen Seite stand Viktorine, jetzt als Emancipirte im blauen Amazonenkleide, keck und herausfordernd, die Reitgerte in der Hand, umgeben von ein paar jungen Leuten, an deren lebendigen Gesichtern und phantastischer Tracht die Künstler nicht zu verkennen waren, von denen der eine ihr seine Cigarre bot, die ihrige daran anzuzünden. Auf der anderen Seite, von ihnen nicht bemerkt, saß nachdenkend der Professor in einem Bonjour-Röckchen, jene Gruppe betrachtend, Kreide und Reißbrett vor sich, augenscheinlich in der Absicht, jene Gruppe unvermerkt auszunehmen. Eine Staffelei in der Mitte, Tische mit Büsten, Büchern, Garderobestücken, Champagnerflaschen und Palette daneben bildeten die übrige Staffage.

Auf dem Flügel wurde dazu ein anmuthig heiteres Rondo gespielt, übereinstimmend mit der Fröhlichkeit, die aus der jugendlichen Gruppe sprach. Doch als das Bild vielleicht zwei Minuten unbeweglich sich so den Beschauern dargeboten, hörte man im Hintergrunde es plötzlich pochen, die Musik verstummte, der Professor erhob sich mit dem Rufe »Herein!« und aus dem lebenden Bilde wurde nun eine lebende Scene der alltäglichen Wirklichkeit, in freiem Dialoge von den Mitwirkenden improvisirt. Herr Dagobert trat, einen Besuch abstattend, in die Malerwerkstatt; alle Anwesenden begrüßten ihn freundlich; er frug den Professor nach seinen neusten Arbeiten und bat, ihm in die Geheimnisse der Portraitirkunst einen Blick thun zu lassen, da er, bei der Verwandtschaft, die alle Künste mit einander haben, aus seinen Enthüllungen für die dichterische Darstellung Vortheil zu schöpfen hoffe.

– Gut, sagte der Professor, ich will vor Ihren Augen ein interessantes Portrait beginnen und vollenden. Da sehen Sie vor sich, – er wies auf die zuschauende Gesellschaft, – eine große Anzahl zum Theil sehr schöner Köpfe; wählen Sie den schönsten aus; ich bringe ihn sogleich auf die Leinwand.

– Den schönsten? erwiderte Dagobert; den schönsten unter den vielen Schönen? Dazu habe ich zu wenig Urtheil und zu viel Galanterie. Ich werde meine Wahl auf die Herren beschränken und mir eine interessante Physiognomie wählen, vielleicht eben für einen Roman zu benutzen. Sehen Sie den Herren dort, der seine Augen unverwandt auf uns richtet, oder, wie es scheint, auf unsre Amazone hier, dort den Herren am Thürpfeiler, – wollen Sie ihn malen?

Er wählte den übrigen Mitspielenden selbst zur Ueberraschung den Baron Edmund.

– Den Herrn Baron von Brandt soll ich malen? so sagte er, mit Kennermiene dessen Physiognomie prüfend. In der That eine interessante Physiognomie, aber eins von den eigenthümlichen Gesichtern, die eben so leicht wiederzuerkennen, als schwer zu treffen sind, weil nichts an ihnen nach der Schablone, sondern jeder Zug Originalität, eigenstes inneres Leben ist. Sie haben meine Kunst auf eine harte Probe gestellt. Aber Kourage! Vor keiner schweren Aufgabe darf der Künstler zurückschrecken, am wenigsten, wenn sie eine so schöne, interessante ist. Also an's Werk!

Er ergriff Pinsel und Palette, setzte sich vor die Staffelei, zog den Vorhang von derselben zurück und fing an, dicht davor gebückt, zu malen, dann und wann einen prüfenden Blick zu dem erstaunten Edmund herüber werfend, der, ohne darum gefragt zu sein, es sich gefallen lassen mußte, daß seine Physiognomie ihm auf die Leinwand gestohlen wurde.

– Das hier, so sprach der Professor, während er mit dem Pinsel manövrirte, das sind die allgemeinen Umrisse, die Linien des Profils, von freiem Schwunge, echtem Adel, – der Herr ist ja aus altem Helden- und Rittergeschlechte. Hier im Auge und dem Zuge darunter liegt etwas von der wilden Leidenschaft aus der schönsten Blüthezeit seiner romantischen Vorfahren. Aber hier in den herabhängenden Augenbrauen, in dem verschlossenen Zuge des Mundes sehen Sie den Druck unsrer Tage, der auf so unbändigem, hoch aufstrebenden Naturell liegt, dort oben Trotz, hier unten Wehmuth. Zu dem Ganzen mache ich eine schwarze Sammtbekleidung, da unsre Mode, mit Erlaubniß der Herren sei es gesagt, für charaktervolle Antlitze keine Staffage giebt. Denken Sie sich, meine Herrschaften, der Mann sei ein deutscher Ritter von Slaven oder Moskowiten oder Panduren und Kaschuben in Gefangenschaft gehalten, – und so sagen Sie selbst, ob ich den Herrn Baron getroffen und zugleich ein interessantes Bild gemalt.

Damit trat er von der Staffelei zurück; man sah in der That einen vollendeten Kopf auf der Leinwand. Um die Aehnlichkeit zu prüfen, vervollständigte der Professor durch zwei Gaslampen die Beleuchtung, und die ganze Gesellschaft jubelte staunend auf, Edmund erstarrte vor Schreck: sein in scharfen Zügen getroffenes, völlig ausgeführtes Antlitz sprang fast plastisch, wie zum Fassen, aus der Leinwand heraus.

Die Blicke der Gesellschaft theilten sich zwischen dem Bilde und dem Abgebildeten; Edmund wußte in Verlegenheit und Staunen nichts als wie über einen Scherz zu lachen. Da nahm der Professor das Wort: Ja, aber wenn der Herr Baron lacht, finden Sie ihn nicht ähnlich, und ich darf ihn freilich nicht bitten, nicht zu lachen; so werde ich das Bild ändern; er wird auf der Leinwand auch lachen und Sie sollen nochmals die Aehnlichkeit beurtheilen.

Er ergriff den Pinsel, stellte sich vor das Bild, schien wenige Züge nur zu machen, und als er zurücktrat, war das ernste Antlitz plötzlich ein lachendes geworden.

Der Maler fuhr fort: Es wird, meine Herrschaften, als ein Kunststück Raphaels erzählt, daß er aus einem lachenden Engel mit einem Zuge einen weinenden machte. Sie selbst werden sagen, daß das gar nichts ist, dagegen, wie ich aus diesem lachenden, schönen Männerkopfe mit eins–, zwei –, drei Pinselstrichen dieses Bild herstelle –

Und die ganze Gesellschaft brach in lautes Gelächter aus, als man statt des Barons auf der Leinwand plötzlich ein weinendes altes Männchen, mit einem zusammengeschrumpften Gesichte, runzlicher Stirn, herabhängenden Lippen und zusammengekniffenen Augen erblickte. Jetzt sah man klar, daß die Kunststücke nicht mit rechten Dingen zugingen, und glaubte es zu erklären, indem man behauptete, es seien das vorher angefertigte Bilder, die unvermerkt eines nach dem andern vorgeschoben würden. Um sich von diesem Verdachte der Charlatanerie zu reinigen, versprach der Maler, das Publikum solle jetzt Zug für Zug diesen Kopf vor seinen eignen Augen in einen andern sich verwandeln sehen. Er ergriff den Pinsel, strich über die Augen und sie waren plötzlich weit aufgerissen; bei einem zweiten Zuge sperrte der Mund sich auf in Verzweiflung und Schreck; bei dem dritten nahm das ganze Gesicht einen Anblick wilder Hoheit an und man erkannte das Angesicht des Königs Lear aus dem vorigen lebenden Bilde.

Jetzt fing man an, den Zusammenhang dieser Zauberkünste zu vermuthen; doch ehe man diese Vermuthung als Begreifen aussprechen konnte, kam der Maler dem zuvor, indem er sagte: Doch all' dieses, meine Herren, sollte nur dazu dienen, den größten Mimen Europa's zu verherrlichen, und hier sehen Sie endlich das gelungenste Portrait unsres Freundes selbst!

Damit riß er den ganzen Rahmen von der Staffelei und hinter derselben sah man wohlgemuth in natürlicher Kleidung, eine Prise aus der goldenen Dose nehmend, und seine Vatermörder zurecht zupfend, den berühmten Charakterdarsteller, von dem die ganze Ueberraschung in Verabredung mit dem Maler und dem Schriftsteller zu keckem Scherze der Künstlerlaune dadurch bewerkstelligt war, daß er durch die Leinwand eines Portraits, aus dem der Kopf selbst herausgeschnitten war, sein eignes Gesicht hindurch gesteckt, und nun all die Mienen, die der Maler mit dem Pinsel zu machen vorgegeben, durch seine sonst vielleicht noch nie erreichte mimische Kunstfertigkeit, durch oberflächliche Aehnlichkeit mit dem Baron unterstützt, dargestellt hatte.

Man hatte das aufgeführte Wort »Atelier« trotz der phantastischen Auffassung der Orthographie, die das Errathen möglichst schwer machen sollte, dennoch errathen, – nicht aber den Uebermuth, in dem die Künstler mit der Gesellschaft spielten, der sie zur Unterhaltung zu dienen schienen.

– Prächtig ist der Spaß gelungen! sagte der Maler zum Dichter. Die beiden Herrschaften, den Baron und unser »Ideal«, habe ich jetzt für einander illustrirt, sie neulich bei ihrem Portrait, ihn heute durch die Fratzen unseres Mimen. Es geht ihnen jetzt wie Adam und Eva nach dem Apfelbiß, – die Augen gehen ihnen auf; die beiden Seelen sehen einander an, und sehen, daß sie Specialitäten sind! Da haben wir wieder ein Amüsement für den Winter an den beiden. Indeß, meine Kunst geht zu Ende, und – der Roman beginnt. Das ist nun ihre Sache.

Man tanzte, – Viktorine sehr lebhaft. Edmund schloß sich aus. Jetzt begegnete ihm ihr Blick, nicht zufällig; sie sah ihn an, sie sah ihn prüfend an. Jetzt hatte er Gelegenheit, sie zu grüßen; er nahm sie nicht wahr. Verletzt, daß man seine Persönlichkeit zum Amüsement für eine ihm gleichgültige Gesellschaft benutzt hatte, und im Uebrigen konsequent in der Taktik, die er gegen sie eingeschlagen, hielt er verächtlich kalt Viktorinens Blicke aus; und da auch sie in ihrem Eigensinn nicht weichen wollte, so kam es wohl, daß beider Augen dauernd durchdringend in einander ruhten. Sie näherten sich nicht; aber innerlichst erbebten sie in dem Gefühle, daß bei beiden Haß oder Liebe für einander wie auf einer Nadelspitze balancirten.

Es war Niemand bestimmt zum heutigen Abende geladen, und dennoch fanden weit mehr als ein halb hundert Gäste an den Tischen des Hauses reichlich Platz und Versorgung, ohne daß die geringste Verlegenheit bei den Wirthen sichtbar geworden war. Das kam, weil die Dienstboten, Erbstücke der Familie, in die Bewirthung der Gäste ihre eigne Ehre setzten, und gewiß waren, für den glücklichen Ausfall eines solchen Abends, Lob und Lohn von der Herrschaft zu ernten. Auch Viktorine, obgleich ihr ganzes Sein und Empfinden von dem Genießen und Anregen des Vergnügens eingenommen erschien, hatte doch die Anzahl der Gäste berechnet, sie der Wirthschafterin draußen gemeldet und ihr durch ein paar ihrer liebenswürdigen Worte Aufmunterung und Rath gegeben, ohne daß es sie es störte, im nächsten Augenblicke wieder im Salon mit diesem und jenem zu kokettiren oder mit Edmund einen bangen forschenden Blick zu tauschen.

Bei Tische saß sie dann zwischen dem Schauspieler und dem Maler, die beide mit der Eifersucht der verschiedenen Künste ihre Liebenswürdigkeit anstrengten, den Ruhm des besseren Gesellschafters davon zu tragen. Sie wußte dabei so liebenswürdig ihre Schmeicheleien anzunehmen und zu erwidern, daß jeder bei der kleinen Eitelkeit, die nun einmal immer die Schwäche auch großer Künstler zu sein scheint, sich stets als den bevorzugten ansah. So saß sie zwischen den beiden ältlichen Männern, gefeiert von der ganzen Tischgesellschaft, die, fast nur aus Herren bestehend, sich um sie versammelt hatte, strahlend wie eine Königin, deren Souveränität nur ihr eignes Glück und Glück für Andre ist. Ihr Auge blitzte Freude, ihre Lippen lächelten Huld, ihre Haltung war in Stolz aufgerichtet und in Anmuth jeder Anrede zugeneigt; jeder Zug ihres Wesens Aufmerksamkeit und Grazie, jedes Wort ihrer Rede voll Geist und Beziehung. Ihre ganze Umgebung beherrschte sie, indem sie Jeden zu bemerken und anzuregen und zugleich das Gespräch zu leiten und zu zügeln wußte. Und sie beherrschte zugleich sich selbst, so daß ihre Rede, stets sprudelnd, nie übersprudelnd, ihr Benehmen, immer voll Frohmuth, nie übermüthig wurde. Was sie aber, den Meisten gegenüber, am Meisten einnehmend machte, war, daß sie nicht nur zu sprechen, auch zu hören verstand.

Edmund saß neben Dagobert, der sich seine schärfste Brille aufgesetzt hatte, und sich die Gesellschaft darauf ansah, wie er selbst dem Nachbar humoristisch gestand, ob er etwas »abzuschreiben« finde.

– Es ist eine Freude, wie sie so ganz Leben, Feuer, Geist und Beweglichkeit ist, so docirte der Schriftsteller über Viktorinen, – und doch in all' ihrer Erregtheit so kräftig sinnlich, sogar nichts verrathend von jener Nervosität, bei der man stets die Ueberspannung, und in ihrer Folge Abspannung, und das Umschlagen in Kränklichkeit und Leiden fürchten zu müssen meint. Sie ist fremd und unfähig jener Poesie, die liegt in dem Verse »himmelhoch jauchzen, zum Tode betrübt!« Aber sie hat dafür Charakter, der auch Poesie und jedenfalls ein unerschöpfliches Interesse bieten kann. Es liegt in ihr etwas von der Besonnenheit und Berechnung des Handelsherren, oder noch mehr eines Staatsmannes. Ich nenne sie immer die Diplomatin, was sie sich zwar nicht gefallen lassen will, was aber doch seinen guten Grund hat, wenn Sie wüßten, wie sie ihre Verhältnisse hier in dem Hause zu ordnen und sich die imponirende Stellung in dieser Gesellschaft zu erobern verstanden. Was sie ist, ist sie durch sich selbst, durch die Vorzüge ihrer Persönlichkeit, durch Klugheit und Takt ihres Benehmens. Und eben, weil sie so in die umgebende Welt sich hineinzuleben weiß, hat sie nichts von jener unklaren Romantik, jener genial sein wollenden Ueberschwänglichkeit, der die Verhältnisse, die Welt zu prosaisch und zu eng sind, die die Unendlichkeit der Persönlichkeit emancipiren wollen in Gedichten, Romanen oder Liebesabenteuern. Sie ist eine durchaus klare, eine – ich möchte im Gegensatz zur Romantik sagen: klassische, plastisch in sich und den Verhältnissen abgeschlossene Persönlichkeit. Ich würde sie ein Genie nennen, ein Genie von weiblichem Charakter, wenn sie, bei aller realistischen Richtung ihres Wesens, die ideale Freiheit des Lebens und Empfindens, die sie jetzt sich erobert, für das Leben sich bewahren könnte. Aber sie ist eben zu verständig, zu klar, als daß sie Konflikte ihres inneren Wesens mit ihrer äußeren Stellung über sich hereinbrechen lassen könnte. Es scheint auch wirklich, als sei unter diesen Verhältnissen der Gesellschaft ein idealer Schwung des Geistes nur in krankhaft exaltirten Naturen möglich. Und das nicht zu sein, ist Fräulein Viktorine stark und glücklich genug, – was wird ihr übrig bleiben? Sie wird den Geschäftsfreund aus Petersburg heirathen!

Nach Tische wurde von neuem getanzt. Viktorine schien ganz in dem Vergnügen aufzugehen und hatte für Edmund keinen Blick mehr: Als sie die Tour des Walzers herumgetanzt, warf sie sich in ein Kanapee, winkte ihrem Tänzer, neben ihr Platz zu nehmen, unterhielt sich sehr angelegentlich mit ihm, und ließ ihren schlanken Fuß in dem plastischen weißen Atlasschuhe unter dem Kleide hervorblicken, ihn in der Aufregung der Lust halb kokett, halb ungeduldig nach dem Takte der Musik bewegend.

– Ah, das ist hübsch, das ist artig, sagte Dagobert, noch immer neben Edmund, der ihm deshalb ein bequemerer Gesellschafter war, weil er, wenn nichts Geistreiches, doch auch nichts Fades mit ihm zu reden brauchte – hübsch von ihr, daß sie also doch noch das Füßchen zeigt, die kleine große Kokette. Ich habe sie lange genug darum gebeten, indem ich ihr klagte, wie arm unser Leben an Poesie und Schönheit sei, ich brauche zu einer Situation meines neuen Romanes die Beschreibung eines schönen Fußes, und nun lassen die langen Kleider nicht die Spitze eines Schuhes sehen. O, die gütige Kokette, wie sie sich nun der Kunst erbarmt! Und mit welcher allerliebsten Manier sie das zu thun weiß, – ganz wie zufällig und doch durch ein Lächeln die Beabsichtigung des Zufalls absichtlich verrathend, damit ich ihr den Dank nicht schuldig bleiben soll. Grazia, grazia, madonna, Du bringst Leben, Geist und Anmuth in mein Tintenfaß, – denn ein Tintenfaß und nichts anderes ist das Herz eines Poeten von heutzutage, – wenn er noch zu den besseren gehört!

Indem begann die Quadrille, mit der die von Unterhaltung, Tanz und Wein animirte Gesellschaft den Abend beschließen wollte. Der Schauspieler tanzte mit Viktorinen, und zwar, wie er sagte, mit Charakter, indem er einen eigenthümlichen Ausdruck der Mienen und Bewegungen in die Ausführung einer jeden Tour legte; zuerst als pedantischer englischer Gentleman, dann als deutscher Geck, darauf »mit Werther's Leiden«, dann als pariser Student, und, als er hiermit die Grenze der Frivolität zu berühren drohte, um nicht dem Eindruck eines Possenmachers zu hinterlassen, als Mann in seinen Jahren, also als er selbst mit dem feinsten galant lächelnden Anstande, und so konnte er nach Beendigung des Tanzes in diesem Tone ihr die Hand küssen, – seine Lippen trafen über dem Handschuh ihren bloßen Arm.

Ein leiser Schauer durchzuckte Viktorinen bei dieser Berührung. Wie ein Wolkenschatten flog es über ihr Antlitz, aber rasch wie ein heimlicher Seufzer, mit einem Schütteln des Kopfes war er verschwunden, und, wie plötzlich von einem Entschlusse belebt, wandte Viktorine sich um und ging keck, mit herausfordernder Miene auf Baron Edmund zu.

– Sie fanden auch unsere Gesellschaft langweilig.

– Wahrlich nicht! Ich finde sie souverän.

– Warum nehmen Sie an ihr nicht Antheil?

– Mein Fräulein, wider Willen habe ich vielleicht das größte Opfer gebracht, obgleich man mich nicht einmal willkommen geheißen.

– Ist denn das Begrüßen noch Mode? fragte sie, beziehungsvoll lächelnd.

– Bei den Leuten, die nach der Mode leben, jedenfalls.

– – zu denen Sie, Herr Baron, nicht zu gehören scheinen.

– Je nachdem die Leute sind, die mir begegnen. Wo ich froh bin, an Einem vorbei zu kommen mit einer Höflichkeit, einer nichtssagenden Mode, da grüße ich; wo ich aber mehr sagen möchte, als eine Geberde, die sich von selbst versteht, sagen kann, da suche ich den Andern auszuzeichnen, indem ich, trotzdem ich ihn kenne, ihn nicht grüße.

– Vortrefflich! lachte Viktorine; ich soll mir wohl noch etwas darauf einbilden, daß Sie mich auf der Straße starr ansahen, ohne mich zu grüßen?

– Ob Sie sich etwas darauf einzubilden, oder auch nur darauf zu achten, werth finden, weiß ich nicht. Dessen aber, so sagte Edmund mit lächelnder Beobachtung, sollen Sie versichert sein, daß meine Unterlassung dieser Straßengalanterie, nicht in einer Nichtachtung Ihrer Persönlichkeit, sondern vielmehr im Gegentheil Ihren Grund hatte. Ich kann Ihnen sagen, ich interessire mich für Sie, so sagte er nicht ohne pikant kecken Anklang, und beschäftigte mich so innerlichst mit Ihrem Bilde, daß ich, in Wirklichkeit Sie erblickend, Sie längst gesehen zu haben meinte, und Ihre Begegnung selbst erst bemerkte, als Sie mir verschwunden waren. Für einen Romanzen-Dichter, meinen Sie nicht? ein Stoff für ein paar hübsche Verse!

– Hübsch in der Poesie vielleicht, in Wirklichkeit – eine Fadäse!

– Ich sage nie Fadäsen!

– Sie scheinen überhaupt zu denen zu gehören, die gern – Nichts sagen.

– Wenigstens lieber, als etwas Ueberflüssiges oder Alltägliches, und auf das beides kommt ja doch unsere ganze Gesellschaftsrede fast allein hinaus. Ich aber mag nun einmal in diesen Ton der Höflichkeiten, die sich von selbst verstehen, der Galanterieen, die nichts zu bedeuten haben, mich nicht finden. Nur da, wo ich meine Persönlichkeit, mein Ich, mein eigen innerstes Selbst zur Geltung bringen kann, lohnt es mir, der Rede und des Lebens.

– Aber, mein Gott, wer hindert Sie daran, sich zur Geltung zu bringen?

– Wie kann man den Muth haben, sich selbst zu geben, wie man ist, eine Neigung zu fassen für und wider, da, wo hinter den verschleiernden Formen kein Mensch ehrlich hervortreten darf, mit seiner Ehrlichkeit, wo das Glück eines ganzen Lebens durch ein zu aufrichtiges Wort, durch eine unterlassene Visite, einen mißverstandenen Blick verloren gehen kann –

– Das Glück des Lebens? so lachte Viktorine. Wie kommen Sie darauf? Giebt es denn nur ein Glück des Lebens? Giebt denn nicht jeder Tag ein neues?

– Dazu bin ich nicht genug der Mann von dieser Welt.

– Sie brauchen es nur zu suchen.

– So lehren Sie mich es finden.

– Wenn Sie mein Schüler sein wollen! – Nur folgsam und – artig!

*

 


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