Otto Gildemeister
Essays - Zweiter Band
Otto Gildemeister

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Zwei Frauengestalten Shaksperes.

I. Desdemona.

(1861.)

Die Natur gleicht dem Bienenkorbe: sie ist voll nie ruhenden Schaffens, Wandels und Werdens und voll tiefer Dunkelheit. Wir sehen wohl das Schwärmen, Kriechen und Tummeln der rastlosen Insecten; wir erblicken den Honig und den Wachs, welcher die Frucht ihres Fleißes ist, aber das innere Getriebe des Bienenkorbes verhüllt sich unserem Auge in schwer zu durchdringender Finsterniß. Ist es nicht ähnlich mit dem menschlichen Leben um uns her? Wissen wir viel mehr von ihm, als daß es lärmend, rastlos, bunt in stetem Wechsel dahin jagt? Sehen wir etwas von den eigentlichen Kräften, welche es bewegen und erregen? Etwas wohl, – aber wie wenig! Wie oft gehen wir jahrelang neben einander hin und bilden uns ein, einer den anderen zu kennen, und keiner von uns ahnt im geringsten, was die Seele seines Nächsten am mächtigsten beherscht, was sein Herz Tag und Nacht erfüllt, was seine Gedanken quälend oder erhebend beschäftigt. Wir bemerken uns eine oder die andere Eigenschaft, welche sich in dem Thun und Lassen unseres Freundes oder unseres Feindes kundgiebt, und nach dieser einseitigen, fragmentarischen, vielleicht ganz zufälligen Offenbarung seines Wesens bilden wir unser Urtheil über ihn. Wir sagen dann: der Mann ist brav, oder er ist schlecht; er ist gutmüthig oder er ist hartherzig, – und die Acten werden geschlossen. Zu einem Einblicke in das Ganze eines menschlichen Wesens, zu einer Anschauung der vielfältigen, vielverschlungenen dunklen und hellen, feinen und derben, schwachen und zähen Fäden, aus denen das Gewebe eines Charakters entsteht und täglich neue Combinationen ansetzt, gelangen wir kaum jemals. Und weil keiner das Ganze, weil jeder nur Bruchstücke sieht, darum sind die Urtheile über einen und denselben Menschen so verschieden. Der eine erblickt einen dunklen, der andere einen lichten Faden, und der eine verdammt, der andere lobt. Beide haben Recht und beide haben Unrecht, und wer weise ist, erinnert sich des Spruches, daß wir »nicht richten« sollen.

Wie nun menschliche Erfindung auf den Einfall gekommen ist, Bienenkörbe von Glas anzufertigen, um dem Beobachter Einsicht in das räthselhafte Treiben des Immenschwarms zu gestatten, so hat der große Baumeister dieser Welt einzelne Menschen mit der Gabe ausgestattet, Charaktere, Seelen und Herzen von Glas zu bilden, durchsichtige Individuen, in deren Inneren es genau so zugeht wie in unserem eigenen, nur mit dem Unterschiede, daß alle Welt zusehen kann, wie in ihnen gute und böse Gedanken, hohe und niedre Gefühle, edle und gemeine Eigenschaften mit rastlosem Bienenfleiße durch einander wühlen und arbeiten. Diese Menschen, die Dichter, die großen Dichter, erweitern auf solche Weise unseren menschlichen Horizont durch die Eröffnung eines Gebietes, welches ohne sie uns ewig verborgen bleiben würde und welches doch für uns interessanter ist als irgend ein anderes. Sie zeigen uns, was die Wirklichkeit uns niemals zeigt, den inwendigen Menschen als etwas ganzes, und sie machen uns zu Zeugen dessen, was in der Wirklichkeit nur das Auge Gottes sieht, zu Zeugen der Leiden und Freuden, der Kämpfe, Siege und Niederlagen im Verborgenen. Sie erheben uns über die Schranken der kurzsichtigen Sterblichkeit hinaus, daß wir »Herzen und Nieren prüfen« und damit gleichsam überirdische Attribute uns zu eigen machen. Darum hat man auch von jeher die Dichtkunst eine »göttliche« Kunst genannt.

Der größeste unter diesen Propheten einer unsichtbaren Welt, ja, der einzige, welcher den Namen in vollem Maße verdient, ist Shakspere. Alle anderen vor ihm und nach ihm sind dem Ziele nur nahe gekommen, weniger oder mehr; er hat das Ziel erreicht. Seine Dramen sind wirkliche, vollständige Offenbarungen des inwendigen Menschen. Sie sind es in einem so hohen Grade und dabei in so strenger, objektiver Einfalt, daß die Welt, welche er uns sehen läßt, wiederum zu einem Gegenstande des Studiums, des Zweifels, der Meinungsverschiedenheiten wird, genau so wie die wirkliche Welt in unserem eigenen Innern es werden würde, wenn durch irgend ein Wunder sie dem Auge bloßgelegt wäre. Shakspere giebt uns einen ganzen, vollständigen Menschencharakter, dessen innere Wahrheit wir unmittelbar empfinden, aber er hält es nicht seines Amts, uns auch noch einen Commentar dazu zu geben; er verschmäht es, uns auseinander zu setzen, wie die Ingredienzien dieses Charakters sich zu einander verhalten, auf einander wirken, sich wechselseitig modificiren und nothwendig gerade die Resultate herbeiführen müssen, die wir vor uns sehen. Das alles überläßt er unserem eigenen Nachdenken, wie der Mann, der den Bienenkorb von Glas machte, die Betrachtung der Bienen, die Schlußfolgerungen aus ihrem Treiben demjenigen überläßt, der sich belehren will.

Freilich nicht alle beobachten gleich genau, nicht alle ziehen ihre Schlüsse mit gleicher Folgerichtigkeit. Der eine wird diesen, der andere jenen Umstand übersehen; der eine hält für wichtig, was dem anderen nebensächlich erscheint; der eine verbindet zu Folgerungen, was der andere zusammenhangslos findet. So geschieht es denn, daß, wie die Wirklichkeit, so auch die Dichtung Shaksperes auf verschiedene Menschen verschieden wirkt. Ihre wunderbare Wahrheit und Ursprünglichkeit feiert darin ihren merkwürdigsten Triumph, daß die Leute ebenso ernsthaft und ebenso abweichend über ihre Gestalten urtheilen wie über die Gestalten der Natur. Seine Charaktere erwecken Antipathien und Sympathien; sie werden gelobt, getadelt, in Schutz genommen, wie lebendige Menschen. Ob Hamlet neben seinem verstellten auch einen Anflug von wirklichem Wahnsinn in sich trage, darüber haben Aesthetiker und Psychologen, ja selbst Mediciner sich des weiteren vernehmen lassen. Ophelias Ehrbarkeit ist der Gegenstand kritischer Untersuchungen geworden. Ob Othellos Leichtgläubigkeit durch die Umstände entschuldigt werde oder ein Fehler seines geistigen Organismus sei, ist eine gründlich erörterte Streitfrage, und noch heute giebt es gefühlvolle Seelen, welche es quält, daß Cordelia ihrem alten Vater nicht ein freundliches Wort gönnen wollte, wodurch sie so viel entsetzliches Elend hätte abwenden können.

Mit der fast überirdischen Hoheit, die solcher Schöpferkraft beiwohnen zu müssen scheint, bildet eine oft wiederholte und weit verbreitete Ansicht einen seltsamen Widerspruch, – die Ansicht, daß Shaksperes Frauencharaktere an psychologischer Tiefe und Wahrheit unter den männlichen Gestalten seiner Phantasie ständen. Indem man dies ausspricht, leugnet man dasjenige, worin seine Größe, vor jeder anderen dichterischen Vortrefflichkeit, besteht; man leugnet den prophetischen Blick, mit welchem er das menschliche Dasein in seiner Ganzheit und Harmonie vor sich schaute. Die Frauenwelt bildet die ganze Hälfte unserer Existenz; ja mehr als das: die andere Hälfte würde nicht sein, was sie ist, wenn man den steten, leisen, mächtigen Gegendruck hinwegnähme, den das Weib auf die Welt des Mannes ausübt. Sagen also, daß Shakspere dieser einen Hälfte anders gegenüberstehe als der anderen Hälfte, heißt behaupten, daß er das Ganze unvollkommen erfasse. Nun ist man in der That so weit gegangen, nach Erklärungen für diesen angeblichen Mangel des Dichters zu suchen. Man hat behauptet, Shakspere habe absichtlich seine weiblichen Charaktere im Hintergrunde gehalten, weil sie ja zu seiner Zeit von Knaben und Jünglingen gespielt werden mußten, also doch nicht vollkommen hätten dargestellt werden können. Oder man hat gesagt, sein Genius sei zu erhaben gewesen, als daß er sich in die engen Sphären des weiblichen Lebens hätte versenken können. Man könnte solche scharfsinnige Absurditäten bis zum jüngsten Tage fortspinnen, und man würde doch nie die Erklärung finden, aus dem einfachen Grunde, weil die Thatsache, die man erklären möchte, gar nicht existirt. Die Wahrheit ist, daß Shakspere in seinen Frauengestalten ebenso groß, reich und tief, ebenso einzig und unerreicht ist wie in seinen Männern.

Es ist wahr, das Leben der Männer tritt breiter, mannichfaltiger, großartiger, glänzender in seiner dramatischen Welt auf als dasjenige der Frauen; die letzteren nehmen beinahe durchweg eine untergeordnete Stellung ein. Aber genau das nämliche Verhältniß wiederholt sich in der wirklichen Welt. Der Dichter hält auch in diesem Punkte der Natur den Spiegel vor. Weil im Leben die Sphäre des Mannes größere Verschiedenheiten zeigt als die des Weibes, weil folglich männliche Charaktere im Leben sich verschiedenartiger entwickeln, so entfaltet sich auch auf der Bühne Shaksperes eine reichere Formenmannichfaltigkeit, wenn er Männer als wenn er Frauen malt. Und nicht allein eine reichere Mannichfaltigkeit, auch eine lebhaftere Energie der Farbe. Auch dies ist der Natur angemessen. Das Weib ist nicht allein von Haus aus minder energisch in seinen Leidenschaften und folglich minder geneigt, seinen Leidenschaften nach außen hin einen möglichst deutlichen Ausdruck zu verleihen, sondern es kommt auch noch hinzu, daß die Macht der Sitte diese ohnehin vorhandene größere Stille des weiblichen Lebens mit den Schranken gewohnheitsmäßiger Zurückhaltung und Selbstbeherschung umgiebt. In dem nämlichen Verhältnisse wie die Schamhaftigkeit des Weibes größer ist als die des Mannes, in dem nämlichen Verhältnisse ist die Beredsamkeit ihrer Empfindungen geringer. In allen Frauencharakteren Shaksperes finden wir daher eine gewisse Abblassung der Tinten, im Vergleiche mit den Analogien, die seine Männerwelt darbietet. Allein weit entfernt, hierin einen Mangel dichterischer Kraft zu erkennen, sehen wir in solcher Abstufung des Colorits einen Ausfluß dichterischer Weisheit. Daß die Leidenschaft Julias, stürmisch wie sie ist, nicht die rasende Gewalt der Seelenerschütterungen Othellos erreicht, – daß Lady Macbeth neben Richard dem Dritten sanft und menschlich erscheint, – das Constanzes Wahnsinn bei dem Verluste ihres Kindes zu dem Toben König Lears sich verhält wie ein Gewitter zu einem Erdbeben, – das zu tadeln wäre eben so verkehrt, als wollte man einem Maler einen Vorwurf daraus machen, wenn er den Mondschein minder hell malt als den Glanz der Mittagssonne.

Um gerecht gegen den Dichter zu sein, muß man freilich zwei Dinge nie vergessen. Einmal nicht, daß er für die Bühne schrieb, die er selber leitete, und daß er daher in seinem Texte oft nur andeutete, die Ergänzung dem Schauspieler überlassend, wo der heutige Dichter, welcher mehr den Leser als den Zuschauer vor Augen hat, wahrscheinlich seine Absichten in den Worten selbst breiter ausgeführt haben würde. Dies ist, – wiederum völlig naturgemäß, – in den weiblichen Rollen ganz besonders der Fall. Völlig naturgemäß, weil der weibliche Charakter unvereinbar ist mit einer geräuschvollen Entfaltung des inneren Lebens durch viel Reden und Argumentiren. Es ist erstaunlich, wie wenig manche von den wundervollsten Frauen- und Mädchengestalten Shaksperes im Stücke zu sagen haben. Desdemona, Cordelia, Ophelia sind lauter Rollen von sehr geringer räumlicher Ausdehnung. Gleichwohl, wenn wir sie aufmerksam studiren, realisiren wir, wenn ich so sagen darf, ihr Wesen vollständig. Das wenige, was sie sagen, ist hinreichend, um unsere Phantasie zu selbstschöpferischer Thätigkeit zu befruchten, oder mit anderen Worten, diejenige ergänzende Ausmalung vorzunehmen, welche Shakspere von den Darstellern der Rolle verlangte. Man darf freilich diese Dramen nicht wie einen Hackländerschen Roman durchblättern, – man muß sie lesen, wie man die Fresken Rafaels ansieht oder einer Symphonie Beethovens zuhört, mit voller Anspannung der empfänglichen Organe der Seele.

Das zweite, was man nicht vergessen soll, ist dies, daß Shakspere, so hoch er auch über seine Zeitgenossen hinausragt, doch in vielen Stücken von der Zeit, in welcher er lebte, abhängig bleiben mußte. Dies ist für uns besonders auffallend, wenn wir den Ton, welchen seine Frauen anschlagen, mit demjenigen vergleichen, was nach unseren Begriffen wohlanständig ist. Nichts kann alberner sein als in den Unanständigkeiten des Shakspereschen Dialogs einen Beweis seiner Rohheit zu finden. Ebenso gut könnte man sagen, der Prophet Hesekiel oder der Apostel Paulus seien roh gewesen. Die Begriffe von Decenz und Indecenz in Worten wie in Handlungen wechseln wie die Begriffe von Wohlgeschmack und Wohlgeruch nach Ländern und nach Zeiten. Die einen haben mit der wahren Sittlichkeit so wenig zu schaffen wie die andern. Im Orient entblößt man die Füße, im Abendlande entblößt man das Haupt, wenn man geweihten Boden betritt, und wer will behaupten, daß der Hut und die Schuhe an sich mit der religiösen Ehrfurcht etwas zu schaffen haben? Unsere Urgroßmütter trugen Moden, die uns höchst anstößig vorkommen und unsere Urgroßmütter würden sich im Grabe umwenden, wenn sie sehen könnten, wie manche Regel der Ehrbarkeit, an welche sie wie an ein Evangelium glaubten, heutzutage für altfränkische Pedanterie gehalten wird. Allerdings, wenn die Sitte unserer Zeit gewisse Dinge als unziemlich verpönt, so haben wir diese Dinge zu vermeiden, nicht weil wir sie als an sich unsittlich anerkennen, sondern weil es unsittlich sein würde, wenn wir über den Ausspruch der Gesellschaft, in welcher wir leben, ohne daß eine höhere Pflicht uns dazu zwingt, eigenmächtig uns erheben wollten. Ein Dichter des 19. Jahrhunderts, welcher die Derbheiten des Shakspereschen Dialogs nachahmen wollte, würde sich nicht allein an der Wahrheit versündigen, weil eben solche Derbheiten in unserer Zeit in anständiger Gesellschaft nicht mehr vorkommen, sondern er würde auch den Vorwurf der Rohheit verdienen, weil er mit Bewußtsein ein Rebell gegen die gute Sitte seiner Zeit wäre.

Die Frauen selbst haben alle Ursache, gegen den oberflächlichen Vorwurf der Rohheit, welchen man gegen den Shakspereschen Dialog erhoben hat, (– laut und öffentlich nicht mehr, aber leise und in Theezirkeln noch immer –) Verwahrung einzulegen. Wenigstens sollten sie nicht einstimmen. Und zwar nicht bloß deswegen sollten sie lieber schweigen als tadeln, weil eine übertriebene Prüderie gewöhnlich das Gegentheil von innerer Unschuld verräth, sondern namentlich auch deshalb, weil es von ihrer Seite der schwärzeste Undank wäre Shakspere zu verlästern. Denn Shakspere ist unter allen Dichtern aller Zeiten und aller Völker derjenige, welcher das Weib am glänzendsten verherrlicht hat. Diese Behauptung klingt vielleicht paradox, aber sie wird von jedem als wahr anerkannt werden, der sich die Mühe gegeben hat, die Gallerie von Frauenbildnissen, welche er gemalt hat, aufmerksam zu betrachten. Es ist wahr, an überschwenglicher Vergötterung des schönen Geschlechts, an galanter Schmeichelei gegen die Damen haben ihn andere weit übertroffen. Seine Frauen und Mädchen sind weder Göttinnen noch Engel; sie sind gebrechliche Wesen von Fleisch und Blut, behaftet mit Fehlern, verwirrt von Leidenschaften, oft befleckt von Lastern. Aber durch die Mängel der Zeitlichkeit, welche ihnen wie den Männern ankleben, leuchtet stetig und unverkennbar das heilige Feuer, welches die weibliche Natur, wo sie nicht völlig entartet oder abgestumpft ist, auch in ihren Verirrungen und in ihren Schwächen zum Gegenstande unserer Verehrung und Bewunderung macht. Der »rohe« Shakspere hat, wie kein anderer, den Adel weiblicher Tugend, nicht etwa bloß gepriesen, – das könnte jeder, – sondern mit so edlen Linien gezeichnet, mit so zarten Farben gemalt, daß man sagen möchte, während die Poeten des Mittelalters ihre Frauen aus dem Himmel, die Poeten der Renaissance ihre Frauen aus dem Olymp herunterholten, Shakspere durch bloße irdische Mittel die Frauen bis in den Himmel emporhob. Der Minnecultus des Mittelalters läßt sich mit den goldenen Heiligenscheinen vergleichen, welche die ältesten Maler um ihre Mariengesichter klebten, – prächtig, aber starr, kindisch, unnatürlich; Shaksperes Frauenverherrlichung mit den Glorien, welche die Madonnen Murillos und Guidos umfließen. Jener ist ein fremder Zierrath, der mit dem Antlitz selbst in gar keiner Beziehung steht; diese machen den Eindruck, als seien sie nur die Ausströmung einer angeborenen Herrlichkeit.

Shakspere hat andere Begriffe von Schicklichkeit als Oberhofmeisterinnen, Stiftsfräulein und Vorsteherinnen von Pensionsanstalten für junge Damen. Aber er hat von dem, was weibliche Tugend ist, nicht allein sehr deutliche, sondern auch die allerhöchsten und allerstrengsten Begriffe. Wenn er das Laster schildert, wenn er mit der sittlichen Schwäche scherzend spielt, so giebt er doch nicht einen Augenblick die ewige Grenzscheide zwischen Gutem und Bösem, zwischen Leidenschaft und Pflicht auf. Er transigirt nicht mit dem Schlechten; er beschönigt nicht den Fehltritt; er macht nicht die sittliche Häßlichkeit schön und nicht die Verworfenheit liebenswürdig. Seine Lasterhaften haben ihre guten Seiten; seine Tugendhaften haben ihre sittlichen Gebrechen, aber niemals verwischt er durch verführerische Halbtinten, durch magische chiari oscuri die strenge Linie, welche Sünde und Nichtsünde trennt. Er schildert die böse Leidenschaft, aber er schmeichelt ihr nicht; er zeigt uns den Zweifler an Ehre und Tugend, aber er macht uns vor ihm schaudern; er verhehlt uns nicht, daß Rohheit und Verderbtheit den Glanz weiblicher Seelenhoheit mit Schmutz zu entstellen liebt, aber er läßt diesen Glanz wie einen Schwan aus den trüben Gewässern einer sündigen Welt leuchtend emportauchen.

In diesen Dingen zeigt der Dichter einen großen und ernsten Trieb nach der Wahrheit. Er verschmäht die Traditionen der Komödie und der Tragödie, welche mehr den augenblicklichen Effekt als die Natur im Auge haben. So alt wie die Bühne sind gewisse Dogmen über Schwächen, Lächerlichkeiten und Verkehrtheiten des weiblichen Geschlechts, welche immer von neuem den dramatischen Dichtern Stoff zu mehr oder minder wirkungsvollen Darstellungen geliefert haben. Von Euripides bis auf unsere Tage ist die Neugier, Plauderhaftigkeit, Unverträglichkeit, Eifersüchtelei, Furchtsamkeit der Frauen ein unerschöpfiiches Thema für den Witz und die Entrüstung der Poeten gewesen. Shakspere läßt sich nie verführen, solche Traditionen, die in ihrer Allgemeinheit immer mehr Unwahrheit als Wahrheit enthalten, seinen Dramen zum Grunde zu legen. Er verschmäht es, ein Gelächter auf Kosten der Gerechtigkeit zu erregen. Wenn er die Frauen nicht besser machen will, als sie sind, so ist er noch viel weiter entfernt, sie schlechter zu schildern als die Wirklichkeit. Alles, was in ihnen gut, schön und liebenswürdig ist, läßt er zu voller Geltung kommen, mag es noch so sehr mit hergebrachter Bühnen-Routine im Widerspruche stehen.

Um ein Beispiel anzuführen, – die Unfähigkeit der Frauen, unter einander eine wirkliche Freundschaft zu halten, ist unzählige Male im Ernste behauptet und im Scherze geschildert worden. Frauen, sagt man, empfinden die Vorzüge einer anderen Frau immer als eine eigene Demüthigung; ist eine andere schöner, geistreicher, gewinnender, so wird sie gerade deswegen um so mehr gehaßt. Da nun Freundschaft eben aus der Freude an fremden Vorzügen entspringt, so ist es klar, daß eine Frau nicht Freundin einer Frau sein kann, in dem Sinne wie Männer Freundschaft verstehen. Shakspere denkt anders. Ihm wird nicht entgangen sein, daß allerdings Mißgönnen persönlicher Vorzüge und persönlicher Erfolge bei engherzigen Weibern häufiger ist als bei engherzigen Männern, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Persönlichkeit für die Frau viel wichtiger ist als für den Mann, – aber er hütet sich wohl, aus dieser Beobachtung eine allgemeine Regel dahin zu formuliren, daß nun eben die Frauen überhaupt engherzig oder auch nur häufiger engherzig seien als Männer. Ebenso wenig wie er folgert, daß die Männer im ganzen weniger Selbstbeherschung haben als Frauen, weil allerdings gewisse Resultate der Selbstbeherschung, z. B. Mäßigkeit, bei letzteren häufiger sind als bei ersteren. Er hat daher edle Frauenfreundschaften nicht zu den Unmöglichkeiten gerechnet, – Freundschaften zwischen Personen gleichen Ranges, gleichen Alters, gleicher Ansprüche an das Leben, in solchen Lagen also, wo alle Elemente gegenseitiger Mißgunst vorhanden sind. Beatrice und Hero in »Viel Lärm um nichts,« Rosalinde und Celia in »Wie es euch gefällt,« selbst Helena und Hermina im »Mittsommernachtstraum« lieben einander mit der Liebe wahrer, neidloser Freundschaft. Ihre Freundschaft ist freilich ganz weiblich, ganz mädchenhaft, in Art und Geberde verschieden von der Freundschaft des Brutus und Cassius, Hamlets und Horatios, Romeos und Mercutios, aber nicht minder uneigennützig, aufopfernd und treu. Und auch abgesehen von eigentlichen Freundschaftsgefühlen, sind Shaksperes Frauen in ihrem Verhältnisse zu einander weit entfernt von jener gemeinen, vielbelachten Caricatur, welche alle Weiber darstellt als nur von einem Streben beseelt, die Gunst der Männer zu gewinnen, einem Streben, welches Eifersucht bei den jungen, neidischen Haß bei den alten erzeugt. Die anmuthige Gestalt Violas in »Was ihr wollt,« Julias Großmuth gegen ihre Rivalin Sylvia, Helenas Edelsinn gegen Diana, der alten Gräfin gegen Helena, das Mitleid der Königin Gertrud gegen Ophelia, – alles dies und manches andere beweist, wie erhaben Shakspere über der vulgären Weiberverachtung war, welche in den Litteraturen einen kaum minder breiten Platz einnimmt als das entgegengesetzte Extrem der Weibervergötterung.

Weiber – als eine Regel – sind feige, Männer sind tapfer; wer bezweifelt es? Shakspere ganz gewiß. Er, mit seinem durchdringenden Blicke, welcher Schein und Wesen von einander trennt, sieht in dem weiblichen Herzen die nämlichen Anlagen zum Heldenmuth wie in dem männlichen. Er ist freilich nicht so ungereimt, gewisse Erscheinungen der Tapferkeit, z. B. Ruhe der Nerven und Kaltblütigkeit, Drang nach Kampf und Gefahr, Freude an gewagten Unternehmungen um ihrer selbst willen, welche der männlichen Natur eigen sind, seinen tapferen Frauen anzudichten. Ihr Heroismus ist ein weiblicher Heroismus, der um so größer ist, weil er mit erregbareren Nerven, mit dem Bewußtsein größerer Schwäche, mit zärtlicher Verwöhnung zu ringen hat. Der Muth des Mannes ist oft nichts weiter als eine körperliche Eigenschaft; eine Frau, um muthig zu sein, muß ihren Körper zuvor besiegen. Der Mann muß muthig sein, bei Strafe der Entehrung; es ist kein großes Verdienst, wenn er die Gefahr der Schande vorzieht. Eine Frau ist muthig, ohne diesen Sporn der Ehre; man verlangt von ihr nicht, daß sie tapfer sei. Wenn sie es ist, so ist sie tapfer von Herzen, und das ist die einzige Tapferkeit, welche den Namen verdient. Sie kann bleich vor Angst sein, ihre Kniee können schlottern, ihre Gebeine können beben, alle Symptome, daß das Fleisch feige ist, können hervorbrechen, und dieses erblaßte, zitternde, halbohnmächtige Weib, ein Bild memmenhaftester Furcht, kann doch in dem nämlichen Augenblicke eine Heldenthat vollbringen. Bei einem Manne wäre das, unmöglich will ich nicht sagen, aber höchst unwahrscheinlich. Denn ein Mann, indem er sich zu einem heldenhaften Entschlusse zu erheben die Kraft hat, wird immer auch so viel Stärke haben, um zu vermeiden, was für ihn unschicklich sein würde. Wer nicht einmal im Stande ist, den äußeren Anstand der Tapferkeit aufrecht zu erhalten, der wird schwerlich innerlichen Heldenmuth besitzen. Für Frauen existirt das Gesetz dieses Anstandes nicht, es ist daher auch ganz in der Ordnung, daß sie sich nicht daran kehren, wenn ein schrecklicher Augenblick ihre ganze Seele erschüttert, mag diese Seele auch noch so stark sein. Julia ist halb wahnsinnig vor Angst, wenn sie an das Leichengewölbe denkt, in welches sie lebendig sich flüchten soll, um ihrem Gatten treu bleiben zu können; sie macht gar kein Hehl daraus; sie schwelgt gewissermaßen in Gefühlen anticipirten Entsetzens, aber sie schwankt darum nicht; sie thut, was sie für ihre Pflicht hält; sie trinkt ihren Kelch aus. Nur ein tiefer Erforscher des menschlichen Herzens konnte die Schlaftrunk-Scene so darstellen. Ihre Wahrheit überzeugt uns unmittelbar. Gerade so, denken wir uns sogleich, wird ein hochherziges Mädchen sich benehmen, welchem eine klar erkannte heilige Pflicht den dunkeln Weg des Schreckens anweist, – nicht mit pathetischen Declamationen, nicht mit stolzen Aeußerungen heroischer Erhebung, sondern schaudernd und zusammenbrechend, wird sie thun, was zu thun ist, – höchster Triumph des Geistes über das schwache Fleisch. – Julia ist übrigens nicht etwa eine vereinzelte Ausnahme; auch in Imogen, in Cordelia, in Hermione, ja beinahe in allen seinen edleren Frauencharakteren berührt der Dichter die Frage des weiblichen Muthes, sei es des duldenden, sei es des handelnden, um sie bald mit größerem, bald mit geringerem Nachdrucke zu bejahen. Weiblicher Muth ist freilich ein gar stilles Wesen, in der Natur und folglich auch bei Shakspere; bei Shakspere wie in der Natur springt er nicht in Stahl rasselnd, nicht unter Trompetenfanfaren ins Kampfgetümmel; hier wie dort schwebt er leise mit seinem Cherubschwerte dahin, und man muß lauschen, um das Wehen seiner Fittiche zu vernehmen.

Selbst Desdemona hat Eisen in ihrem Blute; die kritische Chemie fördert das Metall unverkennbar zu Tage. Aber der Muth erscheint bei ihr mit einem so individuellen Antlitz, er ist so eng mit dem Ganzen ihres Charakters verwoben, daß man ihn erst bei genauem Zusehen – dann aber freilich sehr deutlich – bemerkt. Und ist es nicht in der Wirklichkeit mit den Aeußerungen weiblicher Tapferkeit meistentheils ebenso? Ist es nicht gewöhnlich erforderlich, sich in den Charakter einer lebenden Frau bis in die stillsten Tiefen zu versenken, ehe man die Perlen gewahrt, die auf dem Grunde schlummern, die erst ein Sturm empor an die Oberfläche treiben könnte? Betrachten wir also nicht eine einzelne Eigenschaft, sondern sie selbst, die Gemahlin Othellos, deren furchtbares und rührendes Schicksal den Stoff für die größeste Tragödie des größesten Dichters geliefert hat. Sie steht wie ein beseeltes Wesen vor unseren Augen, eine vollendete Gestalt, in greifbarem Relief und in voller Wärme lebendigster Färbung. Sie ist schön, wie sich von selbst versteht, und ihre Schönheit ist in vollkommner Harmonie mit ihrem Wesen. Wir brauchen nicht viel zu fragen, wie sie ausgesehen habe; wir wissen es, ehe es uns gesagt wird. Es ist die Schönheit der venezianischen Patrizierin, goldblondes Haar, dunkle Augen, zarte, aber reiche Farben, voll sinnlichen Reizes, aber zugleich voll vornehmer Stille. Selbst Jago, der wüste Cyniker, der Inbegriff schmutzigster männlicher Rohheit, greift unwillkürlich zu sanften, lieblichen Bildern, wenn er sie schildern will. Ein schwarzer Bock bezwingt euer weißes Lamm! ruft er dem Vater zu, dem der Mohr die Tochter abwendig machte. Die lockere Jugend Venedigs, als deren Vertreter Rodrigo auftritt, ist von ihrem Liebreize entzündet, aber so rein, so unschuldig ist die Besitzerin dieses Liebreizes, daß es undenkbar erscheint, eine Annäherung zwischen ihr und den üppigen, eleganten Cavalieren der lebenslustigen Stadt herbeizuführen. Der Vater, als er Rodrigo unter seinem Balkon erblickt, hat keinen Gedanken eher als »Meine Tochter ist nicht für dich.« Diese Tochter wohnt in seinem Palaste wie eine verborgene Blume, umgeben von aristokratischem Glanze, auf den Teppichen des Morgenlandes, unter den Gemälden Tizians und Paul Veroneses einherwandelnd, aber mit dem Dufte ihres Zaubers nur die Räume ihrer Häuslichkeit erfüllend. Nichts weniger als eine Salondame, durchaus nicht geistreich oder witzig; sie sagt im ganzen Verlaufe des Stücks nichts glänzendes; aber der Augapfel ihres Vaters, der Abgott ihrer Untergebenen, mit Lautenspiel und alten süßen Liedern und mit stillen Träumen von einem Mannesideal, einem Manne, welcher bis in die Fingerspitzen gut, tüchtig, ehrenhaft sei, ihre jungfräulichen Tage dahinlebend, von der Welt aus der Ferne bewundert, sie selbst der Welt völlig fremd, nicht aus Reflexion, nicht aus Menschenverachtung, – im Gegentheil, sie ist voll sanften Erbarmens gegen jedes ihr noch so ferne Unglück, – sondern weil ihre reine, ruhige Seele gar keinen Berührungspunkt mit der sie umgebenden lärmenden, funkelnden, ehrgeizigen, Zerstreuung und Macht erjagenden Gesellschaft findet. Nicht aus Tugend, sondern von Natur ist sie allen Lockungen sinnlichen Genusses verschlossen; die Schwärmerei ihres Herzens sehnt sich nach einer schönen männlichen Seele, nicht nach einer schönen männlichen Gestalt, und so innig ist diese Schwärmerei, daß sie gar nicht bemerkt, was Venedigs junger Adel an Anmuth und Feinheit des Aeußerlichen ihr zu Füßen legt. So schildert sie ihr Vater: »Ein Mädchen, so zärtlich, lieblich und glücklich, der Ehe so abgeneigt, daß sie die reichen lockigen Lieblinge unseres Volks vermied.« »Ein Mädchen niemals kühn, von Geist so still, so ruhig, daß jede Bewegung an ihr selbst erröthete.«

Desdemona ist ihren Umgebungen eine verschlossene Welt. Ihr eigner Vater hat keine Ahnung von dem tiefen, sehnsuchtsvollen Leben, welches hinter dieser »lieblichen und glücklichen« Außenseite wohnt. Daß die schöne, sanfte, unschuldige Patrizierin eine innige Liebe, eine Liebe auf Leben und Tod zu dem schwarzen, häßlichen, rauhen Othello fassen könne, dünkt allen ein unerklärliches Räthsel. Brabantio, Rodrigo, der Senat wissen sich nicht anders zu helfen, als indem sie an Liebestränke und Zaubermittel denken; Jago, in seinem cynischen Atheismus, hält diese Liebe für eine krankhafte Ueberreizung der Sinne, die in dem Monströsen ihre Befriedigung sucht; Othello selbst betrachtet die Sache als eine Art von Wunder. Und doch ist gerade die Liebe Desdemonas zu Othello so sehr in Einklang mit ihrem still-enthusiastischen Wesen, daß keine andere als sie, von allen Frauen Shaksperes, an ihre Stelle gesetzt werden könnte, ohne der Geschichte den Stempel größter innerer Unwahrscheinlichkeit aufzudrücken. Porzia mit ihrer edlen Intelligenz und ihrem sicheren Urtheil würde Othello geachtet haben, wie sie den Kaufmann Antonio achtete; Julia, mit ihrem poetischen Frühlingsherzen, sich wiegend im Genusse des süßesten Jugendrausches, hätte ihn kaum bemerkt neben dem schönen, ritterlichen Romeo; Miranda hätte sich angstvoll von ihm abgewandt; Desdemona allein konnte ihn lieben. Die Entstehung dieser vor den Augen so unbegreiflichen Liebe hat Shakspere in jener meisterhaften Rede geschildert, durch welche Othello sein Betragen vor dem venezianischen Senate rechtfertigt; – einer Rede, welche gleichzeitig Desdemonas Seele wie mit hellem Lichte beleuchtet und den Mann zeigt, dem solch ein Mädchen ihre Neigung schenken konnte, einen Helden in Krieg und Noth, bedeckt mit Ehren, aber unschuldig wie ein Kind, bescheiden, einfach ohne Falsch, voll rührender Selbstvergessenheit, fast in allen Stücken das Gegentheil von den jungen glänzenden Cavalieren, die Venedig mit ihrer Pracht und ihren Lastern erfüllten, welche zwar auch in ihrer Art tapfer waren, die aber vor Othello, wenn es auf große und schwere Thaten ankam, ehrerbietig und scheu zurücktreten mußten. In der Stille ihres väterlichen Hauses sieht Desdemona den berühmten, sieggekrönten Mohren zuerst; sie ist weit entfernt, sich in ihn zu verlieben, wie Julia in den jungen hinreißenden Montecchi sich verliebt, im ersten Augenblicke. Naturen wie die ihrige reifen ihre Neigung nur langsam, nur in der warmen Atmosphäre der Verehrung, nicht unter dem Gluthhauche der Leidenschaft. Verehrung aber setzt Kennen voraus; Leidenschaft kann auch Unbekanntes lieben. Desdemonas Neigung ist das Werk der Zeit. Der alte Brabantio bringt den gefeierten Feldherrn mit nach Hause und läßt sich oft von ihm aus seinem abenteuerlichen Leben erzählen. Man kann sich darauf verlassen, daß Othello nicht prahlte und aufschnitt, daß er nicht anfing, von sich selber zu sprechen. Der Alte drang in ihn, fragte ihm seine wundersamen Erlebnisse ab, und Othello erzählte schlicht und natürlich, was er durchgemacht hatte, Schlachten und Belagerungen, Siege und Gefangenschaften, Schiffbruch, Sklaverei, wunderbare Rettungen und gefahrvolle Reisen durch ferne Wunderländer. »Solchen Dingen zuzuhören,« sagt er, »pflegte Desdemona ernstlich sich zu neigen; die Geschäfte des Hauses zogen sie fortwährend von hinnen; aber diese besorgte sie hurtig, wie sie nur konnte, und kam dann zurück, und mit gierigem Ohr verschlang sie meine Rede. Ich, dies bemerkend, nahm einst eine gefällige Stunde wahr und fand Mittel, von ihr eine Bitte aus eifrigem Herzen zu gewinnen: daß ich ihr meine ganze Pilgerschaft ausführlich berichten wolle, von welcher stückweise sie einiges gehört habe, aber nicht mit voller Aufmerksamkeit. Ich willigte ein, und oft stahl ich ihr ihre Thränen ab, wenn ich von irgend einem Unglücksschlage sprach, den meine Jugend erduldet. Als meine Geschichte aus war, gab sie mir für meine Mühe eine Welt von Seufzern. Sie schwur, – wahrhaftig, es war seltsam, über die Maßen seltsam, es war rührend, wunderbar rührend, – sie wollte, sie hätte es nicht gehört! und doch wünschte sie, der Himmel hätte aus ihr einen solchen Mann gemacht. Sie dankte mir und sagte, wenn ich einen Freund hätte, der sie liebte, so sollte ich ihn nur lehren, meine Geschichte zu erzählen, und das würde sie gewinnen. Auf diesen Wink sprach ich. Sie liebte mich um der Gefahren willen, die ich bestand, und ich liebte sie, weil sie mit ihnen Mitleid hatte. Dies ist die einzige Hexerei, die ich gebrauchte.«

So wie die beiden Wesen einander gefunden haben, entfaltet sich ohne Zwang und Kampf mit einem Schlage Desdemonas ganze weibliche Natur. Aus der stillen, sanften, nachgiebigen Tochter wird desselbigen Tages das in seiner Liebe völlig sichere und ruhige Weib, ganz Milde und Weichheit, aber ganz Unbeugsamkeit ihren neuen Pflichten gegenüber. Sie kämpft und ringt nicht gegen ihre Liebe, von der sie doch weiß, daß ihr Vater sie nie gutheißen wird; keine Spur von Zweifeln, Bedenken und Sorgen in diesem Konflikt zwischen Kindespflicht und ihrem Herzen. Ihr Weg liegt ganz klar und offen vor ihr; da ist der Mann, den sie liebt, der treue, edle, brave Othello, – häßlich, was kümmert es sie? schon hinabsteigend »in das Thal der Jahre,« was fragt sie danach? – der Theuerste, der Beste auf dem ganzen Erdenrund, und von ihm soll die ganze Welt sie nicht scheiden. Zu ihm muß sie stehen, mag kommen was da will; ohne Grübeln, ohne Sophismen trifft sie ihre Wahl, und ihr Gewissen ist frei von jeder Reue. So unbedingt, so grenzenlos ist ihr Gattenbewußtsein. Othello weiß es. Angeklagt vor dem Senate der Republik, dem reichen mächtigen Brabantio sein Kind geraubt zu haben, antwortet er ganz ruhig: »Schickt nach der Dame und laßt sie selber reden.« Er ist sicher, daß sie vor diesem hohen Rath nicht weibisch zusammensinken, ihn nicht verleugnen wird. Und nun beachte man, was dramatische Weisheit ist. Ein anderer Dichter hätte Desdemona vor dem Dogen und den Magnificos eine schöne pathetische Rede halten lassen, voll rührender Schilderungen der allgewaltigen Leidenschaft, voll beredter Appellationen an die Herzen ihrer erlauchten Zuhörer und an die Thränendrüsen ihres Vaters. Die Desdemona Shaksperes denkt gar nicht daran, sich viel zu rechtfertigen oder andere zu rühren; sie hat das Recht auf ihrer Seite, und sie ist zufrieden, dies einfach zu bezeugen, – mögen die anderen sagen, meinen und thun, was sie wollen. Wie ihr Vater auf sie einstürmt und sie fragt, wem in dieser hohen Versammlung sie zumeist Gehorsam schulde, ist ihre ganze Antwort: »Mein edler Vater, ich sehe hier eine getheilte Pflicht. Euch bin ich verpflichtet für mein Leben und meine Erziehung. Mein Leben und meine Erziehung, beide lehren mich, Euch zu achten. Ihr seid der Herr des Gehorsams; ich bin so weit Eure Tochter. Aber hier ist mein Gemahl, und so viel Gehorsam meine Mutter Euch erwies, indem sie Euch vor ihrem Vater den Vorzug gab, so viel verlange ich zeigen zu dürfen dem Mohren, meinem Herrn.« – Und das ist alles; keine Bitten, keine Thränen, kein Kniefall. Auch ist der Alte nichts weniger als gerührt. Er stößt sie von sich, wie Lear Cordelia von sich stößt, unfähig, den edlen Stolz zu begreifen, der das Weib hindert, um Gnade zu flehen, wo ihr Gatte im Spiele ist. Aber wie Cordelia hat auch Desdemona keine Widerworte gegen ihren zürnenden Vater, so ungerecht er sein mag. Sie läßt schweigend über sich ergehen, was unabänderlich erscheint. Erst als die plötzliche Trennung von ihrem Manne sie bedroht, findet ihre schüchterne Bescheidenheit Worte, um dem Dogen selbst ihre schwere Lage vorzustellen. Othello soll gegen die Türken nach Cypern gesandt werden, sie soll allein in Venedig zurückbleiben, – gegen diesen Gedanken empört sich, nicht etwa ihre Zärtlichkeit, sondern ihr Zart- und Schicklichkeitsgefühl, dem es unerträglich erscheint, ohne den Schutz ihres Gatten ihre eigenthümliche Stellung der venezianischen Gesellschaft gegenüber zu vertheidigen. Nun läge es am nächsten, den Dogen zu bitten, er möge doch Othello daheim lassen und einen andern nach Cypern abordnen. Aber ein solcher weibischer Gedanke findet keinen Einlaß in eine Seele, welche liebt »um der Gefahren willen, die Othello bestand.« Nein, sie will ihren Gemahl in Krieg und Drangsal begleiten; die zarte Tochter patrizischer Opulenz, gewöhnt an alle Bequemlichkeit des Reichthums, an sanfte Gondelfahrten und schattige Marmorsäle, denkt keinen Augenblick an die Gefahren und Beschwerden der See, an Lärm und Getümmel des Krieges, wenn sie nur da bleiben kann, wo ihre Stelle ist, an der Seite ihres Mannes. Und er soll nicht darunter leiden; sie wird ihn nicht hindern, seine rauhe Pflicht zu thun. Sie weiß, wen sie geheirathet hat, und sie weiß, was einer Frau zukömmt, deren Gatte ein Kriegsheld ist. So sagt sie in ihrer Bedrängniß zum Dogen: »Daß ich den Mohren liebte um mit ihm zu leben, (d. h. um ihm eine echte, rechte Ehefrau zu sein,) das mag mein offener Gewaltschritt, mein stürmisches Schicksal der Welt ausposaunen; mein Herz hat sich unterworfen selbst unter den Stand meines Herrn. Ich sah Othellos Antlitz in seiner Seele, und seiner Ehre, seiner Tapferkeit hab' ich mein Herz und mein Geschick gewidmet. So daß, werthe Herren, wenn ich daheim bleibe, eine Motte des Friedens, und er in den Krieg zieht, der Preis, um dessen Willen ich ihn liebte, mir geraubt wird und ich ein schweres Interim zu tragen haben werde durch seine theure Abwesenheit. Laßt mich mit ihm gehen.« –

Hier ist nichts von heroischen Phrasen, wie heldenmäßige Weiber sie auf den Bühnen auszukramen pflegen; man fühlt, daß Desdemona nicht recht wagt zu sagen, wie es ihr ums Herz ist, und doch spricht das Herz, gleichsam unwillkürlich, in jedem ihrer Worte. Es ist die wahre Sprache einer Frau, die von Männern bittet: »Erlaubt mir doch, daß ich meine Frauenpflicht thue.« Othello versteht dieses Herz. Er ist erhaben über falscher Scham, wo es gilt, ein gerechtes Begehren seiner Gattin zu erfüllen. Männer wie er sind feige vor dem Hohnlächeln der Welt, die sich aufhalten wird über die Zärtlichkeit des jungvermählten Paares, das sich gar nicht von einander trennen kann. Aber im offnen Rathe der Republik trotzt er dem Ridicüle, mit welchem der Neid der feinen Gesellschaft an der Schaustellung häuslichen Glückes sich rächt. Er bittet die Herren des Rathes, dem Willen seiner Frau einen freien Weg zu lassen. Der Himmel ist sein Zeuge, daß er dies nicht wünscht, um seinen eigenen Liebhabereien zu fröhnen, sondern lediglich, »um freigebig und milde gegen ihren Sinn zu sein,« und er verschwört sich, daß die großen und ernsthaften Geschäfte der Republik nicht darunter leiden werden, weil Desdemona bei ihm ist. Dies gehört zu der Kunst großer Dichter, daß sie uns Dinge, welche selbst keine Darstellung gestatten, errathen lassen aus dem Eindrucke, den sie auf andere machen, wie man uns die Sonne, welche unser Auge nicht erträgt, in dem Bilde zeigt, das sie in der Fluth abspiegelt. Othello ist von dem Zauber der edlen Persönlichkeit seines Weibes wie von einem Abglanze verklärt; die venezianischen Senatoren, ferner stehende und kühlere Zuschauer, sind ergriffen und überzeugt. Die kleine anmuthige Frau rührt die harten Staatsmänner, und einer derselben sagt bezeichnend: »Lebt wohl, tapferer Mohr; behandelt Desdemona wohl!« Nur der starre weltliche Vater, erfüllt von Ingrimm über das Wunder, das er nicht begreift, verkennt sie gänzlich und ruft ihr eine Schmähung nach: »Nimm sie in Acht, Mohr! Hab' ein offnes Auge zu sehen! sie hat ihren Vater betrogen und kann auch dich betrügen.« »Mein Leben für ihre Treue;« versetzt der Mohr. In dieser Rede und Gegenrede liegt die Dissonanz, deren Auflösung die Tragödie erfüllt. Das unbedingte Vertrauen eines treuen unerfahrenen Herzens zu einem anderen treuen Herzen, irre werdend, weil es sich verleiten läßt, die gemeinen Maßstäbe weltlichen Argwohns anzulegen, und in diesem furchtbaren Conflikte zu Grunde gehend. Wenn ich nicht allzu undeutlich gewesen bin, so glaube ich nachgewiesen zu haben, daß gerade zwei solche Charaktere wie Othello und Desdemona geschaffen werden mußten, um einen solchen Conflikt zugleich natürlich, entsetzlich und versöhnend, mit einem Worte tragisch wirken zu lassen. Denn »Othello« ist nicht eine Tragödie brutaler Eifersucht, jener Leidenschaft, welche auch die Thiere kennen, sondern sie ist eine Tragödie des zerstörten ehelichen Vertrauens in einer Ehe, welche nur darum nicht vollkommen ist, weil sie eine menschliche ist.

Man bemerke wohl, daß kein eifersüchtiger Hauch ursprünglich Othellos Seele trübt. Keine vorandeutende Klänge bereiten in den ersten Akten auf den späteren Ausbruch der Leidenschaft vor. Seine ganze Seele ankert in felsenfester Sicherheit. Er ist seiner äußeren Häßlichkeit, seines reifen Alters sich wohl bewußt, aber er besinnt sich keinen Augenblick, Desdemona allein mit seinen Offizieren über See reisen zu lassen, während er in einem anderen Schiffe voraneilt. Sie liebt ihn, und das ist ihm genug, und daran zweifeln kann er eben so wenig wie an seinem eignen Dasein. »Mein Leben für ihre Treue.«

Nachdem Jago ihm die ersten Tropfen Gift eingeträufelt und ihn heuchlerisch gewarnt hat, nicht der Eifersucht sich hinzugeben, antwortet er sehr charakteristisch:

Glaubst du,
Ich würd' aus Eifersucht ein Leben machen,
Mit neuem Argwohn stets dem Mondeswechsel
Zu folgen? Nein! einmal in Zweifel sein,
Ist gleich entschlossen sein. Vertausch mich für 'ne Geis,
Wenn ich die Arbeit meiner Seele wende
An solche wind'ge, aufgedunsne Grillen,
Wie du vermeinst. Mich macht's nicht eifersüchtig,
Zu hören: mein Weib ist hübsch, wohlauf und liebt Gesellschaft,
Ist frei von Rede, singt und spielt und tanzt gut:
Wo Tugend ist, ist dies nur tugendhafter.
Auch nicht aus meinen eignen Mängeln schöpf' ich
Die kleinste Furcht und Argwohn ihren Abfalls.
Sie hatte Augen und sie nahm mich. Nein:
Sehn will ich, eh' ich zweifle. Wenn ich zweifle,
Will ich Beweis, und ist's bewiesen, – dann
Nur gleich hinweg mit Lieb' und Eifersucht!

Aber es ist klar, daß eine solche Erhebung über die gemeine Eifersucht, eine Eifersuchtslosigkeit, die nicht auf Trägheit der Empfindungen, sondern umgekehrt auf voller Energie des Glaubens an die Tugend beruht, – es ist klar, daß dieses hohe Vertrauen der Seele sofort in die schrecklichste Seelenfolter umschlagen muß, wenn auch nur ein Stäubchen den Glauben trübt, aus dem es hervorging. Jago bewährt sich in diesem Punkte als ein tiefer Kenner. Um in die zarten Geheimnisse der Seele Desdemonas hinabzusteigen, ist er viel zu roh; um ihre Reinheit zu sehen, ist seine eigene Phantasie viel zu schmutzig, aber den Othello zu begreifen, reicht sein Scharfblick vollkommen aus, und gerade auf den inneren Adel dieses großen Herzens baut er seinen teuflichen Plan. »Daß Cassio sie liebt,« sagt er, »das glaub' ich gern. Daß sie ihn liebt, ist natürlich und von großer Wahrscheinlichkeit. Der Mohr (obschon ich ihn nicht ausstehen kann) ist von einer treuen, liebevollen, edlen Natur und wird, wie ich denke, sich für Desdemona als ein höchst vortrefflicher Ehemann erweisen. Wenn ich nun sie selber nicht verführen und mich dadurch rächen kann, (was er keineswegs für unmöglich hält,) dann will ich wenigstens den Mohren in eine so heftige Eifersucht versetzen, welche der Verstand nicht heilen kann. Ich will seinem Frieden und seiner Ruhe bis zum Wahnsinn mitspielen.« Der Bösewicht erkennt deutlich genug, daß es für Othello nur zwei Möglichkeiten giebt, entweder Sabbathruhe oder Orkan. Die erstere braucht nur aufzuhören, so ist der letztere da. Sein Eheglück ist so verwachsen mit seiner Existenz, daß, wenn man es ihm vergiftet, sein Leben in blinder wahnsinniger Wuth sich zu Tode schäumen muß.

Shakspere hat geflissentlich der Annahme vorgebeugt, als ob Othello von Haus aus eine eifersüchtige Natur sei. Der ganze Sinn, die Seele der Tragödie ist dieser Annahme zuwider. Es giebt ohne Zweifel Herzen, welche zu gleicher Zeit lieben und zweifeln können. Othello kann es nicht. Seine Liebe und ein unbedingter, grenzenloser Glaube an Desdemona sind eins und dasselbe. Gerade daraus, gerade aus dieser Unmöglichkeit, ohne den unbedingten Glauben zu lieben, entspringt der tragische Keim. Desdemona hat nicht die geringste Furcht vor seinem Mißtrauen. Seine ersten Zornesausbrüche hat sie erlebt, ohne entfernt auf den Gedanken zu kommen, daß Zweifel an ihrer Ehre in der Seele ihres Gemahls Wurzel geschlagen haben. »Lieber als das Tuch,« sagt sie ihrer Kammerfrau, »hätt' ich meinen Beutel voll Zechinen verloren. Wäre nicht mein edler Mohr so echt von Seele, und nicht geformt aus solcher Gemeinheit wie eifersüchtige Geschöpfe, es wäre genug ihn auf böse Gedanken zu bringen.« Und als die Kammerfrau fragt: »Ist er nicht eifersüchtig?« antwortet sie: »Wer? er? Ich glaube, die Sonne seiner Heimath zog alle solche Dünste aus ihm heraus.«

Othello liebt Desdemona, weil er in ihrem Wesen drei der edelsten Kleinode weiblicher Seelenschönheit findet: den Hang zu hingebender Verehrung, – selbstvergessenes Mitleid, – und vollkommene Einfalt bewußtloser Unschuld. »Ich liebte sie um ihres Mitleids willen,« sagt er vor dem venezianischen Senate. Jener stille Enthusiasmus des Mädchens für den großen und tapferen Kriegshelden, von dem die Republik als dem »alles in allem genügsamen« spricht, ist gerade solchen Naturen eigen, wie Desdemona, die an sich selbst nie denken, die von instinctmäßiger Güte gegen andere überwallen, ohne von eigner energischer Geistesthätigkeit abgezogen zu werden, und deren Herzenseinfalt gar kein Organ zu haben scheint, um das Schlechte auf dieser Welt zu bemerken. Daß ein solches Mädchen sich in eine, aller Welt unglaubliche, süße Schwärmerei für einen Mann wie Othello versenke, ist eben so naturwahr, wie umgekehrt, daß Othello alle Sehnsucht nach dem Schönen, dem Reinen, dem Guten, alle Sehnsucht nach dem Ewig-Weiblichen, welche er aus einem von Kampf und Sturm erfüllten Leben gerettet hat, vor einer Desdemona befriedigt und beruhigt fühlt. Selbst das Aeußerliche, ihre patrizische Feinheit, ihre häuslichen Fertigkeiten, das Blonde in ihrer Erscheinung hat gerade für ihn, den rauhen Sohn des Heerlagers, den sonnverbrannten Afrikaner einen doppelt süßen Zauber. Sie ist der liebliche Contrast alles dessen, was er in der Welt bisher gesehen hat, und bei ihr findet er daher die Stätte, wo er »sein Herz aufspeichert.«

Mit einer wunderbaren Kunst hat Shakspere aus den Fäden, durch welche die Herzen der beiden Gatten an einander geknüpft sind, zugleich das Gewebe der tragischen Ereignisse gewirkt, von denen diese Herzen nicht besiegt, wohl aber zermalmt werden. Nicht Jagos Bosheit, sondern Desdemonas weibliche, Othellos männliche Liebe ist die Macht, welche den verhängißvollen Knoten schürzt. Desdemonas enthusiastische Liebe ist nahe verwandt mit der Hingebung religiöser Schwärmerei. Ihr Gatte ist in ihren Augen vollkommen und fleckenlos, und sie ist daher ihm gegenüber, als das Ungewitter losbricht, gänzlich wehrlos. Seine ersten, ihr völlig unerklärlichen Beleidigungen wirken auf sie wie die Donner des Himmels, welche betäuben, aber nie den Gedanken an Widerstand erwecken. Es ist ja Gott, welcher donnert. Es ist ja Othello, welcher zürnt. Sie beugt ihr Haupt, aber sie erhebt nicht die Hand, sie öffnet nicht die Lippen. Es fehlt ihr an jeglichem Maßstabe für ihre Lage. Ihre Unschuld selbst wird ihre gefährlichste Feindin. Sie vernimmt wohl des rasenden Mannes entsetzliche Vorwürfe, aber sie begreift ihren Sinn nicht. In ihrer Bedrängniß hat sie wohl eine dämmerhafte Ahnung von etwas schrecklichem, das sie bedroht, aber ihre angeborene Herzensreinheit ist blind für die Wirklichkeit. Als die weltkluge Emilia ihr auseinandersetzt, wie »das grünäugige Ungeheuer Eifersucht« von seinen eignen, aus dem Nichts geborenen Phantasien sich nähre, seufzt sie prophetisch: »Gott schütz' Othello vor dem Ungeheuer!« – aber sie denkt nicht daran daß man unter Umständen mit diesem Ungeheuer kämpfen müsse. Wie eine abgerissene Blume wird sie widerstandslos von den wilden Wassern dahingetrieben. Ihr erschüttertes Herz macht sich nur in halb traumhaften, rührenden, aber unwirksamen Bewegungen Luft. Man soll ihr Brautkleid auf ihr Bett legen, – wenn sie sterben sollte, in dem Kleide will sie begraben sein, – das alte Lied von dem Weidenbaume klingt ihr durch die Seele, – und dann sagt sie sich unterbrechend: »Mein Auge juckt mich: bedeutet das Weinen?« Unsinn! sagt die Kammerfrau. Aber Desdemona träumt weiter: »Ich habe es sagen hören. O diese Männer! diese Männer!« Und nun auf einmal, wie ein Kind, nach allen den schrecklichen Auftritten mit ihrem Gemahl, fragt sie: »Glaubst du wahrhaftig, – sag mir Emilie, – daß es Frauen giebt, die ihre Männer so gröblich betrügen?« Einige giebt es, ohne Zweifel, antwortet die Kammerfrau. »Würdest du so etwas thun für die ganze Welt?« Die Welt ist eine große Sache, meint die andere; es ist ein großer Preis für eine kleine Sünde. Und Desdemona versetzt: »Ganz gewiß, du würdest es nicht thun.« – Sehr schön! »Du würdest es nicht thun;« nicht etwa: »Ich würde es nicht thun.« Die frivolen Sophismen, mit denen Emilia die Leichtfertigen ihres Geschlechts in Schutz nimmt, prallen unbeachtet an Desdemonas Herzen ab. Sie bekämpft dieselben nicht, sie setzt ihnen keine begeisterte Vertheidigung der Tugend entgegen; sie sagt nur: Ich kann mir nicht denken, daß es solche Dinge giebt.

Im zweiten Akt landet Desdemona in Cypern. Jago und Emilia geleiten sie. Othello ist noch auf See. Die junge Frau wird von den Kavalieren am Lande empfangen. Die erste Frage ist nach Othello. Aber sie benimmt sich wie eine venezianische Dame; sie läßt sich freundlich in ein Gespräch mit ihrer Umgebung ein. Die Sorge um ihren Gemahl bricht nur unwillkürlich durch die Phrasen der Höflichkeit hindurch. So, wenn sie mit Jago scherzt, die plötzliche Frage, ob auch wohl jemand zum Hafen geschickt sei? Dies Gespräch mit Jago ist höchst bezeichnend. Die vornehme Frau hält die Conversation im Gange; der Offizier benutzt die Gelegenheit zu sehr witzigen, aber sehr cynischen Sarkasmen über das weibliche Geschlecht. Desdemona ist nicht verletzt, sondern vollkommen gleichgültig, und es ist unmittelbar aus dem Leben gegriffen, wenn sie das Gespräch mit den Worten abbricht: »Lerne nicht von ihm, Emilia, obwohl er dein Mann ist. Was sagt ihr dazu, Cassio? ist er nicht ein recht profaner, ungezogener Rathgeber?« Der Zuschauer aber fühlt ein ahnungsvolles Grauen, wenn er den Abgrund sieht, an welchem, selbst ahnungslos, die lächelnde schöne Frau in ihrer Arglosigkeit, ganz ausgefüllt von einem einzigen Bewußtsein vollkommenen Glückes, dahin wandelt. Ihre Liebenswürdigkeit, ihre Freundlichkeit, die keinen Zwang kennt, weil sie von nichts argem weiß, wird von der gemeinen Weltmeinung, die nur niedere Motive, nur den äußeren Schein anerkennt, gegen sie ausgebeutet; sie selbst giebt der gemeinen Wahrscheinlichkeit die Waffen in die Hand gegen die Wahrheit. Selbst ihre Herzensgüte muß als Belastungszeugin wider sie dienen. Ihre eifrigen Bemühungen, die Begnadigung des Cassio, des schönen jungen Kavaliers, zu erwirken, werden als Eingebungen einer sträflichen Handlung angesehen, während sie in Wahrheit gerade durch ihre eheliche Zärtlichkeit zu so hartnäckiger Beredsamkeit angespornt werden. Mit großer Feinheit läßt Shakspere ihr allgemeines Mitleiden mit dem unglücklichen jungen Manne verfließen mit ihrer Sorge um Othello selbst. Cassio ist ein Verehrer ihres Mannes; darum interessirt sie sich so lebhaft für Cassio. Ein ächt weiblicher Zug! Die Argumente, mit welchen sie gegen die Strenge der militärischen Zucht plaidirt, sind alle dieser frauenhaften Auffassung entnommen. »Ihr liebt meinen Herrn,« sagt sie dem Cassio, »Ihr habt ihn lange gekannt und seid versichert, ich will Euch und ihn versöhnen. Er soll keine Ruhe haben; ich will ihn zahmmachen und seine Geduld todt sprechen; sein Bett soll eine Schule, sein Tisch ein Beichtstuhl scheinen; in alles, was er thut, will ich Cassios Gesuch einmischen.« Und so beginnt sie auf der Stelle: »Mein theurer Herr, wenn ich einige Gunst und Macht habe, Euch zu rühren, so nehmt Cassios Sühne jetzt augenblicklich. Denn, wenn er nicht einer ist, der Euch treulich liebt, der in Unwissenheit fehlt und nicht aus Arglist, so verstehe ich mich nicht auf ein ehrliches Gesicht. Ich bitte Euch, ruft ihn zurück.«

Othello. Ging er eben von hier fort?

Desd. Ja, und so zerknirscht, daß er einen Theil seines Grams mir hinterlassen hat. Ich leide mit ihm. Liebes Herz, ruft ihn zurück.

Oth. Nicht jetzt, süße Desdemona: ein ander Mal.

Desd. Aber bald?

Oth. Bald, um deinetwillen.

Desd. Heut Abend, beim Nachtessen?

Oth. Nein, nicht heut Abend.

Desd. Dann morgen zum Mittagessen?

Oth. Ich speise nicht daheim. Ich bin bei den Hauptleuten in der Cidatelle.

Desd. Gut, dann morgen Abend. Oder Dienstag Morgen. Oder Dienstag Mittag oder Abend. Oder Mittwoch Morgen. Ich bitte dich, nenne die Zeit. Aber laß sie nicht drei Tage überschreiten. Wirklich, er bereut. Und sein Vergehen, vor unsrer gemeinen Vernunft (außer daß sie sagen, daß der Krieg an seinen Besten ein Beispiel aufstellen muß) ist kaum ein Fehler, der einen vertraulichen Tadel verdient. Wann darf er kommen? Sag mir, Othello. Ich wundere mich in meiner Seele, was du wohl fordern könntest, daß ich es abschlüge. Wie! Michael Cassio! der mit dir werben kam! und manches Mal, wenn ich geringschätzig von dir sprach, deine Partei nahm, und nun so viel zu thun, um ihn wieder einzusetzen! Glaub mir, ich könnte viel thun ...

Oth. Bitte, nicht mehr! Er mag kommen, wann er will. Ich will dir nichts abschlagen.

Desd. Nein, dies ist kein Opfer. Es ist, als wenn ich dich bäte, deine Handschuhe zu tragen oder nahrhafte Speisen zu essen oder dich warm zu halten oder dir selber einen Vortheil anzuthun. Nein, wenn ich einmal eine Bitte habe, so soll sie voll Gewicht und Schwierigkeit sein und furchtbar zu gewähren.

Wenn man diese kleine häusliche Scene, die unschuldige Schlauheit und harmlose Koketterie der jungen Frau, sich ergänzt durch den Zauber guten Spiels, so wird man es natürlich finden, daß Othello, entzückt, in den Ausruf ausbricht: »Vortreffliches Mädchen! Verdammniß packe meine Seele, wenn ich dich nicht liebe! Und liebt' ich dich nicht, dann ist das Chaos wieder da!« – Dies sind dramatisch wichtige Worte. Sie bezeichnen genau Othellos Seelenzustand; höchstes Glück inniger Liebe, begründet auf der Erkenntniß der inneren Vortrefflichkeit Desdemonas, – ohne diese Liebe Verdammniß und Chaos. Eins oder das andere. Kein Mittelding möglich. Es war schwierig, dem Zuschauer einen rechten Begriff von der Art und Natur dieser Liebe zu geben. Zärtliche und freundliche Scenen wären unzulässig gewesen, weil sie den Eindruck der ernsten, heldenhaften Männlichkeit, welchen Othello machen soll, geschwächt hätten. Eine solche Natur ist karg mit Worten und Kundgebungen ihrer tiefsten Gefühle. Aber das Drama fordert gleichwohl, daß, was im Innern des Menschen vorgeht, äußerlich an den Tag trete. Manches hat nun in dieser Beziehung der Schauspieler durch Ton und Haltung zu ergänzen, aber der Dichter hat ihn keineswegs ohne Anhaltepunkte gelassen. Die soeben angeführte Scene, in welcher Desdemona für Cassio bittet, zeigt, wenn auch nur in wenigen Strichen, Othello als den Ehemann, der mit ruhigem Bewußtsein sich dem gewinnenden Einflusse seines Weibes hingiebt, ohne stürmische wie ohne schwächliche Zärtlichkeit, vielmehr mit vollem Verständniß der ihm entgegentretenden Herzensgüte huldigend. In einem Augenblicke des Wiedersehens nach längerer Trennung schickt es auch wohl für den Feldherrn sich, seinem Herzen mit lebhafteren Worten Luft zu machen. Und so thut es Othello, als er nach der Seereise Desdemona in Cypern wiedersieht.

»Mein Staunen ist so groß wie meine Freude,
Vor mir dich hier zu sehn. – O, meiner Seele Glück!
Wenn jedem Sturme solche Stille folgt,
Dann mag der Wind wehn, bis er Todte aufweckt,
Bis das gehetzte Schiff emporklimmt Seen
Hoch wie Olymp, und wieder taucht, so tief
Wie Hölle fern vom Himmel. – Jetzt zu sterben,
Wär jetzt am glücklichsten: denn meine Seele
Hat, fürcht' ich, jetzt so völlig ihr Genüge,
Daß nie die unbekannte Zukunft andre Labsal
Gleich dieser bieten wird .....
Ich kann von dieser Zufriedenheit genug
Nicht sprechen; hier versagt's, – 's ist zu viel Freude.

Und dann, als schäme er sich seines Entzückens, geht er plötzlich in den Ton des Feldherrn über, begrüßt die Hauptleute und ertheilt Befehle. Man sieht, das Glück empfindet er als eine Zufriedenheit, ein »völliges Genüge der Seele«, ein gänzliches Gleichgewicht zwischen Wunsch und Wirklichkeit, über welches hinaus die Zukunft nichts zu bieten vermag, ein Stück Unendlichkeit, angesichts dessen die Zeit verschwindet, und der Tod selbst gleichgültig wird. Einen tieferen Ausdruck für die über Zeit und Endlichkeit hinaus hebende Macht des Glücks in der vollkommenen Liebe giebt es nicht.

Wohl aber hat Shakspere Othellos Liebe auch in flammende Beredsamkeit auflodern lassen, von dem Augenblicke an, wo sie ihre Lebensquelle, ihren Glauben an Desdemonas schöne Seele verliert, wo in dem Sturm der Leidenschaft alle Zurückhaltung, alle männliche Scham, alle Selbstbeherschung verweht, und nun das Herz unbekümmert um alles andere, zum Himmel schreit in seiner Qual. Die Raserei selbst, mit welcher er nun wüthet, ist nichts als der Umschlag seiner Liebe; grenzenlos, wie diese war, so grenzenlos ist nun der tobende Jammer seiner Seele. Nun das Haus in Flammen steht und die Mauern einstürzen, sieht man in der furchtbaren Beleuchtung, durch die klaffenden Spalten die köstlichen Schätze, die es im Innern barg. »Wenn sie falsch ist, o dann verhöhnt der Himmel sich selbst!« ist sein erster Ausruf, als er Desdemona sieht, und dann, wie der Zweifel wieder aufsteigt, kommt die deutliche Erkenntniß, daß mit ihm sein ganzes Dasein vernichtet ist. Alles geht unter, und er ruft:

O nun, auf immer
Lebwohl, zufriedner Sinn! Ruh', lebewohl!
Lebtwohl, befiedert Heervolk, mächt'ger Krieg,
Der Ehrgeiz macht zur Tugend! O lebtwohl!
Lebwohl du wiehernd Roß und Kriegsdrommete,
Muthweckende Trommel, ohrdurchbohrende Pfeife,
Und königlich Panier und alle Ehre,
Stolz, Pomp und Zubehör glorreichen Kriegs!
Und du, tödtlich Geschütz, deß rauher Schlund
Des ew'gen Jovis furchtbar Krachen nachahmt,
Lebtwohl! Othellos Handwerk ist zu Ende!

»Wenn du sie verleumdest und mich folterst,« sagt er zu Jago,

»Dann bete nie mehr, aller Reu' entsage,
Aufs Haupt des Grauens häufe Graun, thu' Dinge,
Darob der Himmel weint, die Erd' erstarrt,
Denn nichts kannst du hinzuthun zur Verdammniß
Größer als dies.«

Je mehr der Beweis Jagos wirkt, desto lebhafter wird Othello in Worten des Preises über seinen verlorenen Schatz. »Ein schönes Weib! ein holdes Weib! ein süßes Weib!« ruft er mitten in dem blutigsten Rachetaumel. »Mein Herz ist Stein geworden; ich schlage dran und es thut meiner Hand weh. O, die Welt hatte kein holdseliger Geschöpf!« Jago tadelt diese Rührung, und Othello fährt fort: »Häng sie auf! ich sage nur, was sie ist! – so zierlich mit ihrer Nadel! – eine wundervolle Sängerin! – o, sie würde die Wildheit aus einem Bären wegsingen. – Von so reicher und sprudelnder Laune und Erfindung.« –

Jago. Sie ist um desto schlimmer.

Oth. O, tausendmal, tausendmal! – Und dann von so freundlicher Art!

Jago. Nur allzu freundlich!

Oth. Ja, das ist gewiß. Aber doch, welcher Jammer darum, Jago! – O Jago! welcher Jammer darum!

Und dann in der erschütternden Scene, in welcher Othello zuerst Desdemona mit voller Ueberzeugung des Ehebruchs beschuldigt und er unter der Last seines Strafamtes fast zusammenbricht:

Hätt' es Gott gefallen,
Mit Trübsal mich zu prüfen; hätt' er Krankheit
Und Schmach geregnet auf mein nacktes Haupt,
In Armuth mich getaucht bis an die Lippen,
In Knechtschaft mich gethan und all mein Hoffen,
Ich fänd' in meiner Seele irgendwo
Ein Tröpfchen Fassung, – aber ach! aus mir
Ein festes Bild zu machen, drauf der Hohn
Den starren unbewegten Finger weist, –
O! O!
Doch das selbst könnt' ich tragen, – leicht, sehr leicht,
Da aber, wo mein Herz ich aufgespeichert,
Wo ich leben muß, oder kein Leben tragen,
Der Born, aus dem mein Strom entspringen oder
Vertrocknen muß, – von da verstoßen sein
Oder als einen Pfuhl ihn halten müssen,
Wo ekle Krötenzucht sich mengt und paart,
Verwandle da dein Angesicht, Geduld!
Du junger Cherub mit den Rosenlippen,
Ja, da schau' grimm wie Hölle!

In furchtbarster Schönheit offenbart sich diese verhängnißvolle Liebe in der entsetzlichen Mordscene. Ehe Othello Desdemona tödtet, schwelgt sein Herz noch einmal in allen Erinnerungen an das verlorene Glück. Er küßt die Schlafende. Er weint. Aber er ist unbeugsam, weil sein Zorn und seine Liebe in Wahrheit nur eins sind. Er weint, aber er sagt:

»Dieser Gram ist göttlich:
Er tödtet, wo er liebt!«

Es wäre zu unerträglich grauenhaft, zu übermenschlich und unmenschlich zugleich gewesen, wenn Othello in dieser feierlichen Stimmung den physischen Akt der Tödtung vollzogen hätte. Die Leidenschaft muß von neuem aufflammen, um das Schrecklichste menschlich zu machen. Desdemona muß erwachen, und beide Gatten müssen noch einmal Aug' in Auge einander sehen. Wie in einem Tonwerke vor dem Finale noch einmal das musikalische Motiv des Ganzen mit höchstem Nachdrucke auszuklingen pflegt, so hier in der Tragödie vor der Katastrophe das psychologische Motiv. Othello läßt schon halb erweicht die rächende Hand sinken, – wie kann der starke Mann ein schwaches wehrloses Weib tödten? – da versetzt ihn Desdemonas kunstlose Unschuldbetheuerung, die ihm als feige Lüge, als letztes verächtliches Symptom moralischer Häßlichkeit erscheint, in neue blinde Wuth, welche sich noch steigert, als sie – selbst in dieser Stunde äußerster Noth – sich selbst einen Augenblick vergessend um Cassios Schicksal in plötzliche mitleidvolle Thränen ausbricht. »Weinst du um ihn mir ins Gesicht?« ruft der gereizte Gatte, und damit ist das Maß voll. Es wird schwarz und dunkel um ihn her, und die Schatten des Wahnsinns verhüllen die mörderische That. Desdemona verhaucht ihre Seele in einem Seufzer, der durch den Tumult der empörten Elemente wie ein Harfenklang schwebt. »Ich selbst habe dies gethan!« antwortet sie sterbend der hereinstürzenden Zofe. »Empfiehl mich meinem theuren Herrn. O lebewohl!« – Es ist in tragischer Verkörperung das Wort des Apostels. »Die Liebe höret nimmer auf.« Hölle und Tod haben keine Macht über sie.

Die Katastrophe ist vorbei, Desdemonas Unschuld wird offenbar, und nun entfaltet sich Shaksperes Dichtergröße in ihrer ganzen Hoheit. Es kömmt nach dem ersten Entsetzen über seine Verblendung eine Ruhe über Othellos Seele, die nach und nach alle Zuckungen der Qual überwindet. Er hat eine gräßliche That verübt, er hat mit eigener Hand sein Glück zertrümmert, aber er hat seinen Glauben und seine Liebe wieder gefunden. Darum ist nun, neben der Leiche seines Weibes, seine Stimmung eine fast getröstete, verglichen mit der Pein, welche er neben der Lebenden erduldete. Als sie lebte, glaubte er sie schuldig; nun sie todt ist, weiß er sie rein. »Das Leben ist der Güter höchstes nicht:« er hat in diesen letzten Augenblicken mehr wiedergefunden als er verloren hatte. Darum machen die ersten Ausbrüche der Verzweiflung sehr bald Raum einer unwiderstehlichen Sehnsucht, durch den Tod mit Desdemona sich wieder zu vereinigen. Das Rachegefühl gegen Jago, welches die meisten Dichter gewiß grell und farbig gemalt haben würden, verblaßt vor der lichten Glorie, in welcher dem Helden nun sein gemordetes Weib erscheint. Auf Erden ist es für ihn Nacht geworden; und seine nach oben gerichteten Blicke streifen kaum mehr die Gestalt des Frevlers, der ihn so unheilbar verwundet hat. Er entläßt ihn mit den Worten: »Ich möchte dich leben lassen: denn in meinen Augen ist es Glück, zu sterben.« Ein Glück zu sterben, – das ist in Othellos Munde keine theatralische Redewendung; der Tod ist ihm gleichsam eine Erneuung seiner Ehe, deren er, wie er deutlich fühlt, durch seine That sich nicht unwürdig gemacht hat, deren ewiges Theil, über die Schrecken der Zeitlichkeit siegend, unversehrt geblieben ist. In diesem Sinne spricht er zu den entsetzten Venezianern:

Ich bitte Euch, in Euren Briefen,
Wenn Ihr die unglücksel'ge That erzählt,
Sprecht von mir, wie ich bin. Beschönigt nichts,
Noch auch in Bosheit schreibt. Dann müßt ihr sprechen
Von Einem, der nicht weise liebte, sondern
Der allzu sehr geliebt; von Einem, der
Nicht leicht mißtraute, aber aufgehetzt
Blind war aufs äußerste! von Einem der,
Dem schnöden Juden gleich, ein Kleinod wegwarf,
Reicher denn all sein Volk;
Von Einem, dessen unbezwungne Augen,
Sonst nicht gewöhnt an schmelzend Naß, nun Thränen
Schnell träufeln wie die Bäum' Arabias
Ihr heilsam Harz.«

Und dann nichts als ein Dolchstoß und der Abschied:

»Ich küßte dich, eh' ich dich tödtete!
Nun bleibt kein andrer Schluß,
Mich selber tödtend, sterb' auch ich im Kuß.«

Das Irdische sinkt unter den Füßen hinweg; die vergängliche Form liegt zerschlagen am Boden, und das Unsterbliche, das Unendliche in der Liebe, welches mit feuriger Gluth die leibliche Hülle verzehrt hat, schwingt sich, unversehrt in seinem innersten Wesen, unversehrt noch durch die entsetzlichste Verirrung, triumphirend empor; denn die blutige Zerstörung selbst verwandelt sich in ein Zeugniß seiner Allgewalt und seiner Herrlichkeit.

II. Lady Macbeth.

(1863.)

In der langen Galerie dramatischer Gestalten, welche Shakspere geschaffen, hat Lady Macbeth von je her einen hervorragenden Platz eingenommen. Der Eindruck, welchen diese düstere und furchtbare Schöpfung auf die Leser und die Zuschauer hervorruft, beurkundet immer von neuem den vollständigen Erfolg des kühnen Versuches, ein Weib als Trägerin und Urheberin des anscheinend unweiblichsten Verbrechens, des gewaltsamen Königsmordes, darzustellen. Lady Macbeth unterscheidet sich durch die Umstände der That von den anderen mit Blut befleckten Frauen, welche die tragische Bühne von ihren Anfängen an häufig genug uns vorgeführt hat. Das körperliche Grauen, welches der Mörder zu überwinden hat, ehe er sein Verbrechen begeht, der physische Abscheu vor dem Blute, das Beben der Nerven beim Anblicke des Sterbens, diese Schranke zwischen dem Vorsatze und dem Vollbringen der That ist von Natur stärker bei dem Weibe als beim Manne. Diese Schranke niederzuwerfen, ist mithin ein höherer Grad verbrecherischer Leidenschaft beim Weibe erforderlich als beim Manne. Das Weib muß, wenn es zu Messer und Schwert greift, viel tiefer und stürmischer erregt sein als der männliche Mörder. Und fast nur diejenigen Leidenschaften sind im Stande eine so tiefe, wilde Erregung hervorzurufen, daß sie ein Weib zum Blutvergießen hinreißen kann, – nur diejenigen Leidenschaften, welche an sich stärker im weiblichen als im männlichen Herzen leben, welche das weibliche Leben am mächtigsten und ausschließlichsten beherrschen, mit einem Worte diejenigen Leidenschaften, welche unmittelbar oder mittelbar auf dem Effekte der Liebe beruhen: Eifersucht und Rache. In der blinden Wuth der verrathenen und der beraubten Liebe mag selbst eine weibliche Hand fest und stark genug sein, um den tödtlichen Streich zu führen; Medea, so gräßlich ihre Handlungen sind, bleibt ein Weib in ihren Motiven; Chrimhilde, wenn sie in Blut förmlich schwelgt, denkt nur an ihren verlorenen Gatten; Elektra, in jener furchtbaren Scene des Sophokles, wo sie dem Orest zuruft, zuzuschlagen, der Mutter nicht zu schonen, kein Mitleid aufkommen zu lassen, bekundet durch dies Uebermaß des Grimmes doch nur ein Uebermaß kindlicher Liebe zu dem Heldenvater, der vor ihren Augen hingeschlachtet worden ist. Die Dichter, indem sie solchergestalt fast ausnahmslos den von den Weibern begangenen Morden ein Motiv der Liebe zu Grunde legten, haben damit nur die Erfahrungen des wirklichen Lebens anerkannt, welche lehren, daß Frauen ohnehin weit seltener als Männer gewaltsam tödten, daß sie aber, wenn es geschieht, gewöhnlich unter dem Einflusse der größesten aller weiblichen Leidenschaften stehen. Frauen, welche so tödten, haben (so seltsam es klingt) gewiß viel Herz, und wenn man dagegen einwenden wollte, daß sowohl die politische wie die Criminalgeschichte von weiblichen Ungeheuern berichtet, deren Mordthaten in ihren Motiven die größeste Herzlosigkeit verrathen, so ist dazu zu bemerken, daß in diesen Fällen in der Regel nicht der tapfere Stahl, sondern das gemeine feige Gift eine Rolle spielt. Es erscheint auf den ersten Blick ziemlich gleichgültig, ob jemand einen Menschen vergiftet oder ihn ersticht; aber es ist in Wahrheit durchaus nicht gleichgültig. Die persönliche, körperliche Wirksamkeit des Verbrechers ist von großer Wichtigkeit für die Ausmessung seiner verbrecherischen Energie.

Lady Macbeth nun, um auf sie zurückzukommen, hat auf den ersten Anblick bei ihrer That gar nichts von jenem Pathos weiblicher Leidenschaft, welches ihren unmittelbaren Antheil an dem Morde uns erklärlich machen könnte. Sie treibt nicht Eifersucht, nicht Wuth über gekränkte Liebe, zerstörtes Lebensglück, nicht der Durst nach Rache, weil ihr ein Kind oder ein heißgeliebter Vater entrissen worden wäre. Ihr einziges sichtbares Motiv ist der Ehrgeiz, die Begierde nach der Königskrone. Und der Dichter hat recht geflissentlich jedes gemüthlichere Motiv ausschließen wollen. Die Quelle, aus welcher er den Stoff für sein Drama schöpfte, sagt, daß Lady Macbeth die Tochter eines Häuptlings gewesen sei, welcher im Kampfe gegen König Duncan umkam, und um ihn zu rächen, habe sie ihren Gemahl angestachelt, den König zu erschlagen. Unter hundert Dichtern würden neunundneunzig diesen Wink benutzt und zu einem effektvollen Monologe der Lady, in welchem sie ihr Verbrechen mit rührenden Worten beschönigt hätte, verarbeitet haben. Es ist höchst bemerkenswerth, daß ein solches, auf den ersten Blick echt dramatisches Motiv von Shakspere vollständig verworfen wurde. Augenscheinlich wollte er nicht, daß in den Adern seiner Lady diese mildernde Beimischung fließe. In herber Einseitigkeit sollte sie vor uns erscheinen und ohne alle Kunstgriffe gerührsamer Rhetorik, in unverhüllter Furchtbarkeit dennoch uns tragisch fesseln und erschüttern, nicht einfach uns abstoßen und mit Abscheu erfüllen. Mit anderen Worten – denn nur so konnte dieser Eindruck erreicht, nur so der einfache Abscheu vermieden werden, – dies vorwiegend männliche Motiv, die Begierde nach Macht, sollte für sich allein, ohne die Einmengung von Nebenmotiven, ohne sentimentale Arabesken, als mächtig genug geschildert werden, um auch ein Weib, ein wirkliches Weib, nicht etwa ein naturwidriges Ungeheuer, in Blutschuld und tragische Selbstvernichtung fortzureißen. Daher auf der einen Seite Fernhaltung jedes Gedankens an eine persönliche Feindschaft der Lady gegen den König, der im Gegentheil als ein ehrwürdiger, leutseliger Herscher erscheint und der Macbeths Haus mit Ehren überhäuft; daher auf der anderen Seite die Aufbietung der feinsten Charaktermalerei, um uns keinen Augenblick vergessen zu lassen, daß es wirklich ein Weib ist, welches den Mittelpunkt der Tragödie bildet, weiblich nicht nur im Costüm, sondern in ihrer innersten Natur. Ein schwierigeres Problem hat nie ein Dichter gelöst. Hätte er es nicht gelöst, wäre es ihm nur gelungen, die Verbrecherin, nicht das Weib zu schildern, wir würden, ungeduldig über so viel aufgehäufte Greuel, uns von dem widerwärtigen Anblicke abwenden, anstatt daß wir jetzt mit lautloser Spannung, mit tiefer Theilnahme der ruchlosen Frau auf ihrem unheimlichen Wege folgen, bis er zuletzt sich in den undurchdringlichen Finsternissen verzweifelnden Wahnsinns verliert.

Welches sind die Mittel, durch welche Shakspere dies erstaunliche Resultat erreicht? Wie fängt er es an, nicht allein den Abscheu, den ein kaltblütiger, grausamer, perfider Mord erregen muß, in tragische Sympathie mit den Mördern zu verwandeln, sondern sogar uns es als erträglich und natürlich erscheinen zu lassen, daß eine Frau die leitende Rolle dieser entsetzlichen Handlung spielt? Um uns dieses deutlich zu machen, müssen wir zunächst unser eigenes Gefühl bei dem Anschauen des Dramas, welches ich tragische Sympathie genannt habe, etwas näher ins Auge fassen. Ich brauche wohl kaum zu bevorworten, daß mit diesem Ausdrucke irgend welches Wohlgefallen an dem verübten Verbrechen nicht gemeint sein soll. Die Sympathie, von welcher hier die Rede ist, beruht zunächst auf der durch die Dichtung in uns erweckten Erkenntniß oder mindestens auf dem in uns hervorgerufenen Eindruck, daß die vor unseren Augen in Thätigkeit gesetzten treibenden Kräfte, böse und gute, Kräfte der menschlichen Natur, unserer eigenen Natur sind. Diese Sympathie kann nur dann Platz greifen, wenn der Dichter den Charakter der handelnden Personen uns so anschaulich macht, daß wir diesen Charakter als ein Stück Menschennatur, als ein Stück unserer eigenen Natur anerkennen, und wenn die dargestellte Handlung uns nicht als ein Werk des Zufalls, äußerer Umstände, übernatürlicher Fügungen, sondern als die notwendige Folge des Charakters der uns verständlichen, uns verwandten Menschen erscheint. Daß wir die Motive verstehen und nachfühlen können, ist also die erste Bedingung des dramatischen Erfolgs. Allein dies genügt noch nicht, um unsere ganze Seele zur sympathischen Theilnahme an dem, was auf der Bühne vorgeht, zu erregen. Dieser Theilnahme würde, wenn nicht ein höherer Reiz hinzukäme, unsere Eigenliebe entgegenwirken. Wir würden gegen das Ansinnen, die menschliche Natur in ihren frevelhaften Ausschweifungen als etwas allgemeines, als etwas uns verwandtes anzuerkennen, uns sträuben. Wer wird gern zugeben, daß seine Natur die nämliche ist, welche solche Greuel gebären kann? Oder wenn man auch bei ehrlichem Nachdenken einräumen muß, daß allerdings die verborgenen Keime zu aller Sünde ein allgemeines Erbtheil der Menschen sind und daß nur die Entwicklung dieser Keime je nach Gunst oder Ungunst der hinzutretenden Umstände höchst verschieden ausfällt, – wenn man dies auch einräumen muß, wer wird in einem Augenblicke, wo ihm diese schreckliche Wahrheit besonders einleuchtend gemacht wird, in der freien Stimmung beharren können, ohne welche ein Kunstwerk nicht genossen werden kann? Je meisterhafter die Darstellung des Dichters wäre, desto unglücklicher müßte sie den Zuschauer machen. Sie würde ihn nicht erschüttern und erheben, sondern erdrücken und zermalmen.

Erheben kann der Anblick menschlicher Schuld nur, wenn er zugleich ein Anblick menschlicher Größe und menschlicher sittlicher Kraft ist. Nicht die fertige nackte Verruchtheit gehört auf die Bühne, sondern der Kampf zwischen dem guten und dem bösen Principe des menschlichen Lebens. Tragisch wird ein Schicksal nur in der einen oder in der anderen Weise: entweder wenn das gute Princip über alle Anfechtungen der Versuchung durch das Opfer des Irdischen den Sieg davon tragt und so im Untergange des Zeitlichen und Vergänglichen das Göttliche und Ewige, welches in uns ist, triumphirt, – oder wenn die mit hohen und edlen Kräften ausgestattete Persönlichkeit zwar der bösen Begierde erliegt, zwar ihre Tugenden selbst der Leidenschaft dienstbar macht, aber durch diese ihre Verschuldung selbst innerlich zu Grunde geht und in dem äußeren Siege nichts erringt als den Tod der eigenen Seele, dadurch bekundend, daß das Göttliche das Lebensprincip unseres Wesens ist und daß alle Herrlichkeit dieser Welt zur Verdammniß wird für den, welcher um ihretwillen vor dem Satan niederkniet. Diese letztere Weise ist diejenige, welche Shakspere im Macbeth angewandt hat. Die beiden Hauptfiguren des Stückes erfüllen genau alle Bedingungen, welche erforderlich sind, um tragisch in diesem Sinne zu wirken.

Die bewegende Kraft ihrer Seele ist der Ehrgeiz, die Begierde zu herschen, die Lust an dem Machtbesitze. Diese Begierde ist eine der ursprünglichsten und tiefsten in der Menschenbrust, und in unzähligen Abstufungen können wir sie von der Kinderstube kleiner Mädchen bis zu dem Kaiserhofe eines Napoleon verfolgen. Den Willen eines Mitmenschen wie ein Werkzeug handhaben, wie ein Hausthier lenken, ist für den Menschen einer der höchsten Genüsse. Wäre nicht die Schranke so eng gezogen, stieße nicht das Streben nach Herrschaft auf den Widerstand jedes einzelnen, so würde die Erde wimmeln von Alexandern und Cäsaren. Aber um Herrschaft in weiteren Kreisen zu üben, bedarf es eines Maßes von Kraft, Muth, Ausdauer und Klugheit, welches nur wenigen beschieden ist. Die Millionen sind nicht dazu geschaffen, die schwere Rüstung hochfliegenden Ehrgeizes zu tragen, und deshalb tritt bei ihnen die Liebe zur Macht meistens zahm und schüchtern auf. Sie begnügt sich mit dem häuslichen Scepter, oder sie ist zufrieden, wenn sie den äußeren Schein anstatt die Sache selbst besitzt. Diese Selbstbescheidung ist nicht Tugend, sondern Unvermögen. Zu wahrer Leidenschaft entwickelt sich eine Begierde aber nur, wo das Vermögen vorhanden ist. Unter Leidenschaft verstehe ich diejenige Energie eines Triebes, welche den ganzen Menschen erfüllt und ihre Befriedigung ihm als höchsten, ja einzigen Lebenszweck, wenigstens in dem gegebenen Augenblick, erscheinen läßt. Der Ehrgeiz, oder ich will lieber sagen, die Herschbegierde wird gerade deshalb, weil sie zu befriedigen ein großes geistiges Vermögen voraussetzt, zu dämonischer leidenschaftlicher Gewalt gewöhnlich nur in reichbegabten außerordentlichen Menschen anwachsen, in Menschen, welche vor Widerstand nicht erschrecken, vor Schwierigkeiten nicht zurückweichen, welche in sich die Kraft fühlen, schwindelnde Höhen zu erklimmen und zu behaupten. Darum pflegt man auch die Herschbegier, obwohl sie mehr Unheil auf Erden anrichtet als alle Diebe und Spitzbuben zusammen, nicht so zu verabscheuen wie die Leidenschaften, deren Dienst minder schwierig und minder gefahrvoll ist. Die Bewunderung, welche großen Eroberern gezollt wird, beweist, wie allgemein verbreitet das Verständniß für die Lockungen der Macht ist. Aber die Bewunderung wird nur denen zu Theil, welche die Macht durch kühnes, gefährliches Wagen erringen, nicht den vorsichtigen Rechnern und Ränkeschmieden: ein Zeichen, daß der Mensch auch in verwerflichen Dingen noch nach den Spuren gottverliehener Tugenden wie Muth und Todesverachtung forscht. Vor dem Straßenräuber hat er im Grunde mehr Respect als vor dem Erbschleicher. Und er hat wieder mehr Respect vor dem Räuber, welcher eine Krone raubt, als vor dem, welcher Banknoten stiehlt. Denn eine Krone ist eines Verbrechens schon eher werth als schmutziges Geld; jene ist ein Mittel, um die höchsten Kräfte des Geistes glänzend zu bethätigen; die Banknoten können nur dienen, um gemeine Nothdurft oder Genußsucht zu befriedigen. So hat schon der Keim der Schuld, in welcher das schottische Paar zu Grunde gehen soll, obwohl ein Keim reiner Selbstsucht, einen Beisatz edlen Metalls. Das Verbrechen, das sie begehen werden, deutet auf großangelegte Naturen, der Preis des Verbrechens ist ein solcher, welcher Alltagsmenschen nicht einmal im Traume locken würde, welcher nur auf Helden mit verführerischem Zauber wirkt.

Aber auf Frauen auch? könnte man fragen. Zugegeben, daß die Wollust der Macht den an Schlachten und Blut gewöhnten Macbeth wohl so weit bestricken konnte, daß er die Lehnspflicht, das Gastrecht und die Menschlichkeit vergaß, ist es wahrscheinlich, daß eine andere als eine ganz entmenschte, also tragisch nicht mehr zu verwendende Frau von dieser Leidenschaft so weit sich hinreißen lasse, um, nicht etwa für die Krone zu intrigiren, fremde Meuchler zu dingen, nach langen inneren Kämpfen vielleicht einmal Gift zu gebrauchen, sondern sofort, ohne Zögern einen schlafenden König in ihrem eigenen Hause zu ermorden? Mag die Sucht zu herschen bei Frauen immerhin eben so groß sein wie bei Männern, kann sie bei ihnen wohl jemals den Grad physischer Wildheit erreichen, ohne welche eine solche blutige That nicht wohl denkbar ist? Wird nicht eine Frau lange schwanken, ehe sie, ich will nicht sagen ihr Gewissen, sondern nur ihre Nerven, ihre körperliche Blutscheu zum Schweigen bringt? Denn wohlgemerkt, Lady Macbeth ist im ersten Augenblick entschlossen; sie führt zwar nicht selbst den tödtlichen Dolchstoß, aber sie ist persönlich bei der schauderhaften Katastrophe anwesend und thätig, und es ist klar, wenn es nöthig gewesen wäre, hätte sie sich auch nicht besonnen, selbst zuzustoßen. Alle physischen Schauder der Mordnacht erlebt sie eben so unmittelbar wie der stärkere Gemahl, und augenscheinlich erträgt sie dieselben weit gelassener als er. Ist es natürlich, ist es denkbar daß der Rausch der Leidenschaft, gerade einer solchen politischen Leidenschaft das Weib leichter als den Mann über die Schrecken der blutigen Stunde hinwegträgt? Ja, wenn sie aus blinder Rachsucht handelte, wenn sie in eifersüchtiger Wuth einen treulosen Geliebten erdolchte, wenn sie wie eine gereizte Tigerin ihre Kinder vertheidigte, dann ließe sich solche weibliche Wildheit denken, – aber aus dem Ehrgeiz allein schöpft eine Frau schwerlich diese Macht über sich selber.

Man sieht leicht, daß dieser Einwand etwas für sich hat. Daß Weiber zu Hyänen werden können, wird damit nicht geleugnet, aber es wird behauptet, daß irgend ein Zustand des Rausches, irgend ein Fanatismus vorangehen müsse, bevor ein Weib, welches diesen Namen noch verdient, ihre angeborene Natur so weit verleugnen könne, und es wird behauptet, daß politischer Ehrgeiz, mächtig wie er immerhin wirken möge, doch schwerlich im Stande sei, diesen Rausch der Leidenschaft so urplötzlich zu voller Höhe zu steigern, wie es nothwendig wäre, wenn Lady Macbeths Handlungsweise begreiflich erscheinen solle. Nicht ihr böser Wille wird als unwahrscheinlich bezeichnet, wohl aber die Art und Weise wie dem bösen Willen sofort die entschlossene That folgt.

Hierauf ist nun vor allen Dingen zu bemerken, daß Lady Macbeth nicht als eine Frau von politischem Ehrgeiz geschildert wird. Sie trachtet nicht, wie die russische Katharine, wie die englische Elisabeth, für sich nach der Herrschaft. Sie denkt ausschließlich an die Erhöhung ihres Mannes. Er soll König sein! Darin beginnt und endet ihr ganzes Denken und Streben. Diese Form nimmt weiblicher Ehrgeiz oft genug an, ohne deshalb frei von weiblicher Selbstsucht zu sein. Der Mann soll steigen in der Welt, damit die Frau durch ihn regieren könne, oder damit die Frau den Genuß habe, Exzellenz zu heißen und ihre Bekannten zu überstrahlen. Weder von jenem Haschen nach Einfluß noch von dieser kleinlichen Eitelkeit zeigt Lady Macbeth eine Spur. Mit keinem Worte verräth sie, daß sie an die Krone auf ihrem eignen Haupte denkt. Nie weidet sie sich an der Aussicht auf den äußeren Pomp des Thrones. Nach einmal vollbrachtem Werke verschwindet sie in dem Frauengemache, ohne jemals das Verlangen zu äußern, an der Regierung Theil zu nehmen. Sie beherscht ihren Mann nur da, wo sie um seinetwillen ihn beherrschen zu müssen glaubt. So wie er frei als König auftritt, läßt sie ihn gewähren, und sie erscheint nicht einmal als seine Mitwisserin und Vertraute. Ihr Ehrgeiz ist ganz und gar der Ehrgeiz der Ehefrau, aber ein Ehrgeiz in großem Stile, furchtbar in seiner Intensität, grandios in seiner verbrecherischen Einseitigkeit, und, wie gesagt, bis zu einem gewissen Grade selbstverleugnend. Sie geht vollständig auf in dem Gedanken an ihren Gemahl, und dieser Gedanke, ihn zum Könige zu machen, um seinetwillen, dieser urweibliche Gedanke erfüllt ihre Natur mit jenem Fanatismus, welcher sie zur Mörderin macht.

Man kann es nicht genug, namentlich wo es sich um Frauencharaktere handelt, nicht genug betonen, daß Shakspere seine Stücke weniger für den Leser als für Schauspieler schrieb, und zwar für Schauspieler, die unter seiner unmittelbaren Anleitung standen. Wenn man daher ihn liest, muß man sehr oft die knappe Andeutung der psychologischen Entwicklung, um sie recht zu verstehen, durch das Spiel des sorgfältigen und orientirten Bühnenkünstlers sich ergänzt denken. Gleich in der ersten Scene, in welcher die Lady auftritt, muß die Schauspielerin die brennende, herzverzehrende Leidenschaft der Frau für ihres Gatten Erhöhung durchleuchten lassen als den eigentlichen Hintergrund des Charakters. Ein stiller, aber glühender Enthusiasmus für ihren tapferen Krieger, eine gewisse löwenartige Zärtlichkeit muß ihren ersten Monolog durchflammen. Wir haben ein wirkliches Ehepaar vor uns, das völlig eins in sich ist, und die Frau lebt und webt nur in dieser schrecklichen, aber innigen Ehe. Macbeth selbst, sobald die Zauberschwestern die verhängnißvolle Weissagung ihm zugerufen haben, denkt augenblicklich daran, den König aus dem Wege zu räumen; aber dieser Gedanke, so rasch und mühelos er in ihm entspringt, erfüllt ihn doch mit Grausen. Der ruchlose Wunsch ist sogleich lebendig in ihm, aber eben so schnell ergreift ihn die Furcht vor dem blutigen Werke, welches das Schicksal ihm anweist. Sein erster Schritt ist, daß er alles seiner Frau schreibt, der »theuersten Genossin seiner Größe,« wie er sie nennt, damit sie nichts von der Vorfreude auf die versprochene Hoheit verliere. Mit diesem Briefe in der Hand tritt die Lady auf, und sofort zeigt sie, daß sie dem Manne an Kühnheit der Wünsche und Hoffnungen gleich, an Sicherheit des Entschlusses ihm weit überlegen ist. Mit der Botschaft von der Hexenweissagung steht sofort, unbeirrt durch Furcht und Zweifel, deren Verwirklichung als unabänderlicher Entschluß vor ihr.

Du sollst werden, was
Sie dir verheißen ... Nur fürcht' ich dein Gemüth;
Es ist zu voll der Milch menschlicher Milde,
Den nächsten Weg zu fassen. Du möchtest groß sein,
Nicht Ehrgeiz fehlt dir, nur die Bosheit, die
Ihm dienen sollte. Was du eifrig willst,
Das willst du heilig; möchtest nicht falsch spielen,
Und doch unrecht gewinnen; möchtest haben,
Was ruft: »Dies mußt du thun, wenn du es hast,
Das, was du mehr dich scheust zu thun, als wünschest,
Es bliebe ungethan.« Eile hierher,
Daß ich ins Ohr dir meine Seele gieße
Und mit der Kühnheit meiner Zunge strafe,
Was von dem goldnen Reif dich ferne hält,
Mit welchem Schicksal dich und Geisterhülfe
So sichtlich krönen will.

Noch hat ihr Anschlag gegen den König keine feste Gestalt angenommen; sie weiß noch nicht, daß Duncan in ihr Haus kommen wird; sie denkt noch nicht an einen Meuchelmord und noch weniger daran, daß sie selbst dabei thätig sein müsse; aber das eine steht sofort fest bei ihr: das Ziel soll erreicht werden und auf dem nächsten Wege. Dies ist die geistige Kraft, auf welcher die Laufbahn eines Napoleon beruht. Ein Ziel, ein Weg, nicht rechts, nicht links geschaut, alles bei Seite geworfen, was hemmen und hindern könnte, namentlich keine Skrupel, keine Milch menschlicher Milde, wenn es einmal ans Handeln geht. Consequent, gerade aus, mathematisch wie eine Kanonenkugel. Die Zweckmäßigkeit an sich erregt unseren Beifall, auch wenn der Zweck unsittlich ist; wir ergötzen uns an dem Scharfsinn, welchen ein Dieb entwickelt, auch wenn wir den Dieb verachten; wir bewundern die Genialität, mit welcher ein Usurpator sich eines Reichs bemächtigt, auch wenn wir seinen Treubruch verdammen. Nichts ist verächtlicher, als der verbrecherische Wille, welcher nur aus Feigheit und Unschlüssigkeit das Verbrechen unterläßt. Die Gewalt der Leidenschaft, welche alle Hindernisse besiegt, die Klugheit und Energie, welche sie bethätigt, sind selbst in ihrer Verirrung Kundgebungen der hohen Kraft, welche Gott der Seele und dem Geiste des Menschen verliehen hat. Hat einmal die Leidenschaft den verkehrten Weg eingeschlagen, so soll sie ihn auch gehen und nicht hinken oder taumeln. Diese Entschlossenheit und Festigkeit des Verbrechens wird uns um so mehr imponiren, je weniger sie aus Stumpfheit und Roheit des sittlichen Gefühls hervorgeht, je größere Anstrengung der Verbrecher nöthig hat, jene Festigkeit und Entschlossenheit sich selber abzuringen und abzutrotzen, je mächtiger in ihm die Möglichkeit des Guten ist, welche er durch Selbstbeherschung und Selbstentäußerung zu ersticken hat, wenn er sicher und siegreich auf das Ziel seines Willens losgehen will. Es verhält sich hiermit genau so wie mit dem umgekehrten Falle. Die tugendhafte That wird um so mehr gepriesen, je größere Schwierigkeiten innerer Versuchung ihr entgegenstanden. Ein Mensch interessirt uns nicht sonderlich, welcher Gutes thut, weil er von Natur ein Engel ist. Aber er interessirt uns, wenn er seiner schlechten Begierden in schwerem Kampfe Herr wird und auf solchem Wege zur Tugend gelangt. Weder die Sanftmuth der Taube noch die Wildheit des Tigers sind dramatische Motive; dramatisch ist nur die menschliche Freiheit, welche die Wahl zwischen dem Guten und dem Bösen offen und möglich läßt.

Dieser Satz findet volle Anwendung auf Lady Macbeth. Sie hat, wie wir sahen, im ersten Augenblicke bei sich beschlossen; ihr Gatte soll den Thron besteigen. Nichts soll dies verhindern. Der nächste Weg soll eingeschlagen werden. Welcher Weg aber der nächste sein wird, steht noch dahin. Die Umstände werden es entscheiden müssen. Da tritt der Bote ein, welcher meldet: Der König kömmt zur Nacht hierher. Diese wenigen Worte sind nicht so schnell gesprochen, als auch im Geiste der Lady der ganze Mordplan fertig ist. »Du bist wahnsinnig, das zu sagen!« antwortet sie dem Boten. Ein unglaublich glücklicher Zufall liefert den König ihr ins Haus und in die Hand. Das schwierige Unternehmen erscheint schon halb gelungen, ehe es noch angefangen worden ist, – »Du bist wahnsinnig, das zu sagen!« Ein verhaltener Siegesjubel spricht aus diesen Worten zweifelnder Ueberraschung. Sie sieht sofort, daß nun das Einfachste und Klügste sein wird, den König unter ihrem Dache umzubringen, und das Einfachste und Klügste zieht sie vor. Freilich ist es auch das Schauerlichste und Verruchteste, und Lady Macbeth empfindet dies lebhaft und tief genug. Dies ist ein Punkt von entscheidender psychologischer Wichtigkeit, welchen die Schauspielerinnen regelmäßig übersehen. Lady Macbeth ist keine blutdürstige Furie, keine abgestumpfte Teufelin, welche kaltblütig und lachend über Leichen dahin schreitet. Im Gegentheil, es graut ihr vor dem unheimlichen Frevel, welchen ihre Leidenschaft und ihr Verstand ihr als nothwendig vorhalten. Allerdings schwankt sie deshalb in ihrem Entschlusse nicht; geschehen soll und muß es; sie überwindet ihre widerstrebende Natur; aber sie muß doch erst überwinden. Die Worte, welche der Dichter sie sprechen läßt, als der Bote sich entfernt hat, sind nicht ein rhetorischer Zierrath, sondern sie malen den Seelenvorgang, die gewaltsame Unterdrückung der menschlichen Regungen, die selbstbewußte Panzerung der schwachen Frauennatur für ein Unternehmen, gegen welches jede Faser und jeder Blutstropfen sich empört. Ruhig ihr Fasern und Blutstropfen, sagt sie gewissermaßen, stört mich nicht in meinem Werke: jetzt ist es nicht Zeit, euch zu gehorchen; Macbeth soll König sein!

Kommt,
Ihr Geister, die ihr blut'gen Plänen dient,
Entweibt mich jetzt! füllt mich vom Schopf zur Zehe
Mit grimmster Grausamkeit! Macht dick mein Blut!
Verstopfet Weg und Zugang jedem Skrupel,
Daß nicht Natur mit reuigen Heimsuchungen
Den schlimmen Vorsatz umstürzt ....
Kommt an meine Weiberbrüste,
Nehmt meine Milch für Gall', ihr Geister des Mordes!
Komm, dichte Nacht,
Und hüll' dich in den schwärzesten Rauch der Hölle,
Daß nicht mein scharfer Dolch die Wunde sehe,
Daß nicht der Himmel durch das Dunkel spähe
Und rufe: Halt! Halt!

Diese Stelle darf natürlich nicht vom Proscenium aus ins Parterre hineingekreischt werden, sondern sie muß gesprochen werden wie ein inbrünstiges, ringendes Gebet, freilich ein Gebet an die Mächte der Finsterniß. Gerade wie eine gute fromme Frau vor einem gefährlichen Unternehmen, das ihr zu schrecklich scheint, Gott um Stärke und Mannhaftigkeit anflehen könnte, so sucht hier zu einem bösen Werke die Lady Schutz gegen das, was sie als weibliche Schwäche ansieht, gegen ihre Natur. Der Mord ist ihr nichts weniger als eine Bagatelle, er steht vor ihr als ein Schreckniß, welches zu besiegen, alle Geister der Nacht ihr beistehen sollen; aber freilich sie besiegt es am Ende. Ich will hier erwähnen, daß die große englische Schauspielerin Mrs. Siddons, welche vor fünfzig Jahren in Shakspereschen Tragödien glänzte, wie ich irgendwo gelesen habe, der Meinung war, Lady Macbeth müsse eine kleine feine blonde Frau sein, – eine Bemerkung, welche wohl nichts anderes sagen soll, als daß die Darstellerin recht sinnlich, recht malerisch den Contrast zwischen dem energischen Geiste und den weiblichen Nerven der Lady veranschaulichen müsse. Ueberhaupt wird die Darstellerin wohl thun, jeden Buchstaben der Rolle sorgfältig anzusehen. Sie geräth sonst in Gefahr, den Schlüssel dazu nie zu finden. Ein Beleg hiefür bietet sich sogleich. Unmittelbar nach der eben angeführten Beschwörung finsterer Mächte tritt Macbeth, aus dem Kriege heimkehrend, ins Haus. Die Lady begrüßt ihn mit den Worten:

Großer Glamis! würd'ger Cawdor!
Größer als beides durch das künft'ge Heil!
Dein Brief hat mich hinweggetragen aus
Der dunklen Gegenwart, ich fühle jetzt
In einem Augenblick die ganze Zukunft.

Ein englischer Kritiker knüpft an diese Stelle die absurde Bemerkung: hier sehe man recht, was für ein herzloses verhärtetes Weib die Lady sei. Ihr Mann komme unversehrt aus einem blutigen Kriege, und sie empfange ihn ohne ein Wort der Zärtlichkeit und Freude, mit einer frostigen Aufzählung seiner Titel. An sich ist es absurd zu verlangen, daß eine Frau, deren Gehirn voll von einem Unternehmen auf Leben und Tod ist, die mit brennender Ungeduld, um einen Königsmord mit ihm zu verabreden, ihren Mann erwartet, sich zärtlich nach seinem Wohlbefinden erkundigen soll, zumal da sie aus seinem Briefe weiß, daß er mit heiler Haut davon gekommen ist. Noch absurder aber ist, es, in der eben angeführten Stelle eine frostige Auskramung von Titeln zu finden. Diese Stelle ist vielmehr ein enthusiastischer Ausbruch der tiefsten weiblichen Seelenregung, welche die Lady beherscht. Die Liebe zu ihrem Gatten, die bei ihr eins ist mit dem begeisterten Wunsche, ihn zu erhöhen, ihn groß und herrlich vor allen Männern zu sehen, diese Liebe findet, unter dem Eindrucke des furchtbaren Augenblicks, plötzlich bei seinem Eintreten Worte, gerade diejenigen Worte welche die Situation am nächsten legt. Sie begrüßt ihn mit dem prophetischen Gruße, den die Zauberschwestern an ihn gerichtet haben; alle Schrecken des bevorstehenden Verbrechens, mit denen sie eben noch in ihrer Einsamkeit gerungen hat, verschwinden bei dem Erscheinen ihres Helden; in der Extase ihrer weiblichen Leidenschaft fliegt sie ihm entgegen: Glamis, Cawdor, König dereinst! Die Gegenwart versinkt; die Zukunft mit allem ihren Glanze liegt strahlend vor ihrem Seherauge: mit einem Worte, gerade dies ist die Stelle, welche die Lady unserem menschlichen Verständnisse näher rückt, welche uns das Pathos ihrer Natur offenbart. Mit diesem Augenblicke weiblicher Begeisterung ist auch alle letzte Spur weiblicher Schwäche beseitigt. Von nun an geht sie stolz, sicher, unerschütterlich ihren Gang durch die furchtbarsten Stunden. In dem folgenden Zwiegespräch mit Macbeth ist sie schon, wie sie es gewünscht hatte, entweibt.

Macbeth. Mein liebstes Herz,
Duncan kommt her zur Nacht.

Lady. Und wann geht er von hier?

Macbeth, Morgen, so hat er's vor.

Lady. O niemals soll
Die Sonne den Morgen sehen.

Macbeth versteht sogleich, was sie meint. Er erschrickt, und sein bleiches verstörtes Antlitz zeigt, daß er noch nicht gelernt hat, das Grauen zu überwinden, über welches sein Weib schon mit fester Selbstbeherschung gesiegt hat. Sie schilt ihn deshalb.

Dein Angesicht, mein Than, ist wie ein Buch,
Worin die Menschen Seltsam's lesen können.
Die Welt zu täuschen, sieh aus, wie die Welt;
Trag Willkommsgruß in Auge, Hand und Zunge;
Gleich' der unschuld'gen Blume, aber sei
Die Schlange unter ihr. Wir müssen sorgen
Für ihn, der kommt; und du sollst dieser Nacht
Großes Geschäft in meine Förd'rung stellen,
Das alle unsre künftgen Nächt' und Tage
Ausstatten wird mit Herschermacht und Hoheit.

Macbeth. Wir sprechen noch davon.

Lady. Nur blicke frei.
Verstörtes Antlitz ist wie stete Angst.
Mir überlaß das Weitere.

Und damit nimmt sie die Zügel in die Hand. Man sieht, daß sie es nicht thut, weil Macbeth tugendhafter ist als sie; er geht in der Hauptsache unbedenklich auf ihren Plan ein; er will nur noch temporisiren, er will noch von der Sache sprechen. Sie thut es auch nicht, weil sie regieren will. Sondern sie thut es, weil ihrer geistigen Ueberlegenheit ganz von selbst die Leitung zufällt. Sie denkt keinen Augenblick daran, ihren Mann zu gängeln, um ihn ihr Uebergewicht fühlen zu lassen, sondern sie denkt nur an die Sache: die Sache fordert es, daß während der Krisis eine unbeugsame Hand das Ruder fasse. Nachher, wenn alles vorüber ist, läßt sie stillschweigend das Steuer fahren. Man muß beachten: sie fühlt durchaus keine Geringschätzung gegen ihren Mann; sie erhebt sich nie über ihn; sie kennt ihn als tapfer und fähig großer Thaten; was sie an ihm auszusetzen hat, ist nur seine Menschlichkeit, welche, an sich nicht verächtlich, nur in dem kritischen Augenblick störend und gefährlich werden kann. Darum richtet sie gegen diesen Punkt alle Energie ihrer Beredsamkeit. Die Sarkasmen, die furchtbare Rhetorik, die sie angewendet, um ihn zu sich auf gleiche Höhe heraufzuziehen, sind nicht ernsthaft gemeint, sondern nur Mittel des Augenblicks. Macbeth hat eine Anwandlung von Vasallentreue; er kann es nicht übers Herz bringen, einen so gnadenreichen Lehnsherrn zu verrathen; er will die Sache aufgeben. Mit erheucheltem Erstaunen versetzt darauf die Lady:

War die Hoffnung denn betrunken,
Die du dir anzogst? Hat sie jetzt geschlafen,
Und wacht nun auf und schaut so grün und fahl
Auf das, was sie so frei that? Von Stund' an
Schätz' ich auch deine Liebe so. Du fürchtest,
In deiner eignen tapfern That zu sein,
Was du im Wunsche bist? Du möchtest haben,
Was du ja achtest als die Zier des Lebens,
Und doch als Memm' in deiner Achtung leben,
»Ich darf nicht« folgen lassend auf »ich möchte,«
Gleich wie die Katz' im Sprichwort?

Macbeth. Bitte, still.
Ich wage alles, was ein Mann vermag,
Wer mehr wagt, ist kein Mann.

Lady. War's denn ein Thier,
Das mir dies Unternehmen hat eröffnet?
Als du es wagtest, da warst du ein Mann:
Um mehr zu sein, als was du bist, warst du
Nur desto mehr der Mann. Nicht Zeit und Ort
Traf damals zu; du wolltest beides machen:
Nun machen sie sich selbst, und ihre Gunst
Entmannt dich jetzt. Ich hab' gesäugt und weiß,
Wie süß es ist, ein saugend Kind zu lieben:
Ich würde, wenn es mir ins Auge lachte,
Die Brust aus dem zahnlosen Munde reißen,
Sein Hirn zerschmettern, hätt' ich so wie du
Hiezu geschworen!

Macbeth. Wenn's mißlingt?

Lady. Mißlingt es.
Schraub deinen Muth nur auf die feste Höhe,
So wird es nicht mißlingen. Wenn Duncan schläft u. s. w.

Der Anschlag gegen des Königs Leben wird von ihr mit kurzen, klaren Zügen vorgezeichnet, ohne viel überflüssige Redensarten, wie ein Feldherr seine Befehle ertheilt, und Macbeth ruft bewundernd aus: »Gebär nur Knaben! Dein unbeugsam Metall muß nichts als Männer erzeugen!« Die starke, unerschrockene Seele der Frau reißt ihn mit sich fort: »ich bin entschlossen,« ruft er, »und spanne jedes leibliche Organ an zu der Schreckensthat.« Die geistigen Organe anzuspannen, war das Werk der Lady.

Während der eigentlichen Katastrophe fällt der Darstellerin der Lady Macbeth eine schwierige, aber wundervolle Aufgabe zu, welche, wenn ich den Charakter richtig gelesen habe, darin bestehen wird, durch die ruhige Haltung der Lady, durch welche allein sie in dem kritischen Augenblicke Entdeckung und Untergang von ihrem Gemahl abwenden kann, das innere Grausen durchblicken zu lassen, mit welcher in dieser schauerlichen Nacht auch ihre Seele zu ringen hat, welches sie aber, weil die Sache es gebietet, mit fast übermenschlicher Selbstbeherschung zu bändigen weiß, während Macbeth selbst unter diesem Grausen alle Fassung verliert. Der Dichter hat diesen Scenen eine düstere, nächtliche Färbung von unübertrefflicher Meisterschaft der Stimmung gegeben. Man hört förmlich die ahnungsvolle Stille des Schlosses, in welchem alles schläft außer der Mord. Nun ertönt die Glocke, zum Signal, daß der König und seine Kämmerer in wehrloser Bewußtlosigkeit liegen. Macbeth schleicht in das Schlafgemach des Duncan, um das Werk zu vollbringen, für welches die Lady alles vorbereitet hat. Sie hat die Kämmerer trunken gemacht, sie ist selbst drinnen im Schlafgemach gewesen, um zu sehen, daß alles in Ordnung sei. Nun tritt sie heraus, um nicht anwesend bei der Blutthat zu sein. Sie ist weit entfernt, unnöthiger Weise dem Greuel zuzusehen; sie hat auch so genug zu thun, die Last des entsetzlichen Augenblicks zu tragen. Schon in dieser Scene muß das Motiv anklingen, welches hernach sich in dem Schlafwandeln zu erschütterndster Wirkung entfaltet. Also keine stumpfe Unempfindlichkeit, noch weniger trotzige Freude an dem Verbrechen als solchem, sondern nur so viel Festigkeit, als erforderlich ist, um Meisterin ihrer selbst und der Situation zu bleiben. Sie hat selbst von dem Weine genommen, den sie den Kämmerlingen credenzt hat.

Was sie berauscht gemacht hat, macht mich kühn;
Was sie verlöscht hat, giebt mir Feuer,

Ein charakteristischer Zug, welcher zeigt, daß die Haltung dieser Frau nicht Folge eines innern Mangels, sondern das Werk ihrer bewußten Anstrengung ist. Aber kaum hat sie sich ihrer Kühnheit berühmt, so schaudert sie zusammen. Durch die stille Nacht tönt ein Schrei. Die Verbrecherin erschrickt, aber sie faßt sich rasch. Das Grauen ist mächtig, aber sie ist stärker. »Es war nur die Eule, der unheimliche Wächter, der das schlimmste Gute Nacht ruft.« Nun horcht sie. »Jetzt ist er dabei.« Die Thüren stehen offen; sie hört das Schnarchen der trunkenen Diener. Wieder packt sie das Grauen. Aber sie erinnert sich, daß der Schlaftrunk stark gewürzt war; es ist nichts zu fürchten. Da ruft auf einmal Macbeth hinter der Scene, und sie fährt von neuem zusammen. Wenn sie erwachten! aber es ist unmöglich: sie hat alles zu sorgfältig vorbereitet. Nur der Versuch ist gefährlich, die That selbst kann nichts mehr schaden. Das einfachste wäre am Ende gewesen, sie selbst hätte der Sache ein Ende gemacht, ohne auf ihren Mann zu warten. Sie war ja vorhin im Gemache des Königs. Dann wäre diese tödtliche Angst vorüber. Warum hat sie es nicht gethan? Und nun kömmt, wie ein plötzlicher Mollaccord, das Bekenntniß: »Hätt' er nicht meinem Vater ähnlich gesehen, wie er schlief, ich hätt' es gethan!«

Die tiefe Erschütterung ihrer Seele, dünkt mich, spricht auch in der nun folgenden wundervollen Scene. Die That ist vollbracht, das Ziel ist erreicht, das Diadem ist errungen. Aber kein Wort des Triumphes entfährt ihr, nicht einmal Triumph heucheln kann sie, um ihren fassungslosen Mann aufzurichten. Sie findet nur hohle, nichtssagende Redensarten, um ihm Muth zuzusprechen.

Macbeth. Ich habe die That gethan. Hörtest du nicht ein Geräusch?

Lady. Ich hörte Eulenschrei und Heimchen zirpen.
Sprachst du nicht?

Macbeth. Wann?

Lady. Jetzt.

Macbeth. Während ich hereinkam?

Lady. Ja.

Macbeth. Still! horch;
Wer liegt in der zweiten Kammer?

Lady. Donalbain.

Macbeth. Dies ist ein trauriger Anblick!

Lady. Thörichter Einfall, zu sagen: trauriger Anblick!

Macbeth. Der eine lacht' im Schlaf, und einer schrie Mord!
Daß sie einander weckten: ich stand und lauschte.
Aber sie sagten ihr Gebet und legten sich
Wieder zum Schlafen.

Lady. Dann liegen zwei zu Bett.

Macbeth. Einer schrie: »Gott seg'n uns!« und »Amen« der andre,
Als sähn sie mich mit diesen Henkershänden.
Lauschend auf ihre Furcht, konnt ich nicht Amen sagen,
Als sie sagten: Gott segn' uns!

Lady. Bedenk es nicht zu ernstlich!

Macbeth. Aber warum konnt' ich nicht Amen sagen?
Ich brauchte dringend Segen, und das Amen
Stak mir im Halse fest.

Lady. Solch eine That darf man nicht so bedenken;
Es macht uns sonst verrückt.

Macbeth.
Mir war's, als schrie' 'ne Stimme: »Schlaft nicht mehr!
Macbeth mordet den Schlaf!« – den unschuldigen Schlaf,
Schlaf, der das wirre Knäul der Sorge löst,
Tod jedes Lebenstages, Bad der Mühsal,
Balsam der Seele, zweiter Gang der Natur,
Hauptnährer bei des Lebens Fest ...

Lady. Was meinst du?

Macbeth. Und immer rief es: »Schlaft nicht mehr!« durchs ganze Haus;
Glamis mordet den Schlaf, und drum soll Cawdor
Nimmer schlafen, Macbeth soll nimmer schlafen,

Lady.
Wer war's denn, der so schrie? – Ei, werther Than,
Du lockerst deine stolze Kraft, daß du
So fieberhaft dran denkst. Geh, hole Wasser,
Wasch diesen schmutz'gen Zeugen von den Händen!
Was bringst du diese Dolche mit hierher?
Die müssen drinnen sein: geh, bring sie weg,
Beschmier' die schlafenden Kämmerer mit Blut.

Macbeth.
Ich geh' nicht mehr hinein.
Mir graut an das zu denken, was ich that:
Es wieder ansehn kann ich nicht.

Lady.
Wankelmüth'ger!
Gieb mir die Dolche. Die Schlafenden und Todten
Sind nur wie Bilder. Nur ein Kinderauge
Fürchtet gemalten Teufel. Wenn er blutet,
Will ich der Kämmerer Gesicht vergolden;
Denn ihr Verbrechen muß es scheinen.

Man sieht, erst die äußerste Noth, die dringendste Gefahr der Entdeckung treibt sie zu dem gräulichen Entschlusse. Macbeth und sie sind verloren, wenn sie sich nicht über alles hinwegsetzt und in die Mordkammer zurückkehrt. Sie thut es, und sie benutzt ihre That sofort wieder, um den halbvernichteten Gatten zu ermuthigen.

Meine Hände sind von deiner Farbe; aber ich verschmäh' es,
Ein Herz zu tragen weiß wie deins ... Ich hör' ein Pochen
Am Süderthor: – zurück in unsre Kammer!
Ein wenig Wasser reinigt uns von dieser That:
Wie leicht erscheint sie dann! – Dein fester Sinn
Hat dich im Stich gelassen. – Horch', man pocht!
Schnell, leg dein Nachtkleid an, daß nicht ein Anlaß
Uns ruf' und wach uns zeige. Verlier dich nicht
So kläglich in Gedanken.

Mit diesem Auftritte haben wir den tragischen Höhepunkt erreicht; nun beginnt das allmähliche Versinken der in Frevel überreizten Frauenseele, ihr Versinken in dem qualvollen Rückblicke auf diese Nacht, welche, wie sich nun zeigt, nicht an einer gefühllosen Megäre, sondern an einem tiefster Erschütterung zugänglichen, bisher nur durch eiserne Willenskraft verschlossenen Herzen vorübergegangen ist. Den leisen, ahnungsvollen Schritt der herannahenden Nemesis hört man schon in Aeußerungen wie: »Solch eine That darf man nicht so bedenken; es macht uns sonst verrückt,« und »ein wenig Wasser reinigt uns von dieser That: wie leicht erscheint sie dann.« Denn das Grübeln über die That beginnt nun gerade für sie, und gerade sie lernt nun erkennen, daß Wasser die Blutschuld nicht abzuwaschen vermag. Gerade die furchtbare Tiefe der Seelenangst, welche sich ihrer bemächtigt, nachdem der Anreiz des Handelns, der Rausch der Leidenschaft vorüber sind, zeigt uns, wie mächtig in ihr das Gute hätte sein können, welche Stärke des bösen Willens erforderlich war, um ein Herz, das so verzweifeln kann, zu überwältigen. Eine Zeitlang hält noch bekümmerte Sorge um ihren Gatten sie aufrecht. Sie fühlt, daß sie ihm noch Hülfe und Stütze sein muß, und sie steht ihm inmitten schrecklicher Prüfungen standhaft und treu zur Seite. Schon ist sie selber gebrochen, schon ist ihr klar, daß alles verfehlt ist; sie gesteht sich selber:

Nichts ist gewonnen, alles ausgegeben,
Wenn ohne Freud' uns läßt gelungnes Streben.

Aber ihrem Manne zeigt sie das heitre, sichre Antlitz; ihm gegenüber hält sie fest an den sophistischen Trostgründen, an deren Kraft sie selbst nicht mehr glaubt. Was geschehen, ist geschehen. Ueber unabänderliche Dinge soll man nicht nachgrübeln. Er soll vergnügt mit seinen Gästen tafeln, dann werden die finstern Gedanken ihn schon verlassen. Und noch einmal bei dem Banquette, bei welchem Banquos Geist erscheint und die blutigen Locken schüttelt, rafft sie all ihre Kraft zusammen, um das Verderben von ihres Mannes Stirne abzuwenden. Ihre Geistesgegenwart beschwichtigt die erstaunten Gäste, ihre Reden retten den Schein, ihr Zuspruch kämpft gegen die gespenstischen Schauer der Erscheinung; sie erschöpft Flehen und Spott, um Macbeth wieder zu sich zu bringen. Aber ihre Sarkasmen verstummen augenblicklich, so wie die Gäste sich entfernt haben und sie mit ihrem Gemahl allein bleibt. Kein Vorwurf kömmt über ihre Lippen; sie entschuldigt tröstend seinen Paroxismus mit dem Mangel an Schlaf, und sie geleitet ihn zärtlich besorgt zu seinem Lager.

Von nun an trennen sich die Wege des Ehepaars. Macbeth erstarrt zu wildem Trotze; er betäubt seine innere Folter in schäumender eberartiger Wuth; er watet in Blut dem andern Ufer zu, bis das Blut über ihm zusammenschlägt. Einsam bleibt die Lady in dem Königsschlosse zurück. Sie erscheint nicht mehr als Theilhaberin seiner Unternehmungen; sie bleibt unberührt von den ziellosen Grausamkeiten, die er begeht; diese Grausamkeiten dienen nur dazu, ihre Seele noch schwerer zu bedrücken. Die tragische Sühne wird an ihrem eigenen Herzen vollzogen, und mit dem Meistergriffe des Genies hat der Dichter den einzigen möglichen Schluß ihres Lebens uns in unauslöschlichen Farben gemalt.

Wie sollte er uns zu Zeugen so tiefinnerlicher Vorgänge machen? Ein Weib wie Lady Macbeth hat keine Vertraute, der sie ihr Herz ausschütten könnte; ihr Gatte ist der letzte, dem sie verrathen möchte, was sie martert; ein Monolog stimmte zu ihrem wortkargen, stets sich beherschenden Wesen nur schlecht. Sie hat solche Gewalt über sich, daß jede Klage von ihren Lippen unnatürlich klingen würde. Aber ein Mittel bleibt, um uns einen Blick in die Hölle dieses Busens thun zu lassen. Der hülflose Schlaf, der Schlaf, den Macbeth gemordet hat, wird zum Verräther und Herold ihrer unsäglichen Pein. Eine erhabnere und ungezwungnere Scene als diese ist nie gedichtet worden. Schauder und Genugthuung vermischen sich bei dem Anblick des wandelnden Schlafes, welcher aufgehört hat »Balsam der Seele, Bad der Mühsal« zu sein, welcher nur den Geist entwaffnet, um ihn wehrlos unwiderstehlichen Gedankenqualen zu überliefern. Jede Nacht lebt sie nun von neuem die Schrecken der Mordnacht durch, und wir erfahren jetzt, wie tief alle einzelnen Umstände damals, wo sie unerschüttert schien, in ihr Gedächtniß sich eingegraben haben. In ihrem Traume wäscht sie sich die blutigen Hände, aber der eine »verdammte Flecken« will nicht weichen. In ihrem Traume hört sie wieder die Uhr schlagen: »eins, zwei! nun ist es Zeit, es zu thun.« Sie hört wieder, wie ihr Mann sagt: »Die Höll' ist schwarz,« aber sie vermag nicht wieder mit Spott zu antworten. Und dann auf einmal jener Ausruf ergreifender Naturwahrheit: »Wer hätte gedacht, daß der alte Mann so viel Blut in sich gehabt hätte!« Jetzt kömmt es zu Tage, was die Verbrecherin in sich selber zu beschwichtigen, zu übertäuben, zu beherschen hatte, als sie »ihre kleine Hand« in Blut tauchte. Jedes Wort, das sie in ihrem Traume spricht, ist wie ein Licht ins Innere der Vase gesetzt, die wir bisher nur von außen beleuchtet sahen. Und merkwürdig, selbst in diesem Zustande gänzlicher Zerrüttung läßt ihre gequälte Seele die Sorge um den Gatten nicht los. Durch die blutigen Schatten hindurch sieht sie noch ihn, des Trostes und Zuspruchs bedürftig, und das Stöhnen tiefster Angst verstummt zuweilen, um ein abgerissenes Stück der alten trotzigen Weise durchklingen zu lassen: »Was brauchen wir zu fürchten, wer es weiß? Niemand kann unsere Macht zur Rechenschaft ziehen.« »Nichts mehr davon, mein Gemahl! nichts mehr davon! du verdirbst alles mit diesem Auffahren!« Aber diese Nachklänge der alten Entschlossenheit können sich nicht behaupten gegen den schrecklichen Gesang der erwachten Erinnyen: »Hier ist noch immer der Blutgeruch! alle Wohlgerüche Arabiens werden diese kleine Hand nicht wieder frisch machen.« Und dann ein Seufzer, abgrundtief, so tief, so erschütternd, daß selbst der bedächtige Arzt erschrickt und flüstert: »Welch ein Seufzer! Das Herz ist schlimm belastet.«

Sie ist vernichtet, ehe sie leiblich stirbt, ehe sie irgend etwas von der ergeizten irdischen Hoheit eingebüßt hat. Auch dies ist ein Umstand, auf den wir achten müssen. Noch ist Macbeth König und unbesiegt; die persönliche Gefahr ist noch fern für sie und für ihn; es ist nicht eine gemeine Verzweiflung, welche durch äußere Unglücksschläge ihren Trotz und ihre Stärke bricht. Mit der Krone auf dem Haupte, mit dem Purpur auf den Schultern erliegt sie der Macht ihres eigenen besseren Ichs, welches um so unwiderstehlicher und furchtbarer sich an ihr rächt, je größer die Gewalt war, die ihm von der Leidenschaft angethan worden ist.

Die Zerlegung eines solchen Charakters ist unzertrennlich von einem Mangel, welcher darin besteht, daß sie die einzelnen Bestandtheile nur von einander gesondert nachweisen kann, während im Drama selbst alle Bestandtheile zugleich in ihrer Gesammtheit, nur in immer wechselnder Beleuchtung, wirksam sind. Sie treten nicht immer alle gleich deutlich in jedem Augenblicke hervor, aber sie sind alle in jedem Augenblicke gegenwärtig, und die gleichzeitige Gegenwart aller uns fühlen zu lassen, ist die Aufgabe der Schauspielkunst. Auf der Bühne muß Lady Macbeth schon beim ersten Auftreten das Weib sein, welches ruchlos genug ist, das Verbrechen zu begehen, nicht ruchlos genug, das begangene zu ertragen. Dem Göttlichen im Menschen kann sie für einen Augenblick Schweigen gebieten, aber sie kann es nicht tödten, und, wie mit dem Speere des Erzengels, schleudert der auch in ihr waltende beleidigte Gott den schon triumphirenden Dämon zurück in die ewige Nacht.


In den dreißiger oder Anfangs der vierziger Jahre war ein Buch von Mrs. Jamieson, »Female characters of Shakspere« oder ähnlich betitelt, populär. Ich las es als Primaner oder Student und empfing von ihm tiefen Eindruck. Wie es damals meine Art war, verarbeitete ich das Gelesene zu Aufzeichnungen, eigene Gedanken mit wörtlicher Übersetzung längerer Exzerpte und frappanter Einzelheiten vermischend, nur zu persönlicher Befriedigung. Aus dieser jugendlichen Arbeit sind lange Jahre nachher bei einer besonderen Veranlassung die beiden vorstehenden Essays (ursprünglich mündliche Vorträge) entstanden, in denen das Entlehnte von dem Eignen zu sondern, mir nicht mehr möglich ist.


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