Otto Gildemeister
Essays - Zweiter Band
Otto Gildemeister

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Macaulay.

(1860.)

I.

Das Jahr 1859, das Todesjahr so vieler Heroen der Wissenschaft, hat noch in den letzten Tagen seines Scheidens, dem Pfeile des flüchtigen Parthers ähnlich, »den größesten englischen Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts,« wie die größeste englische Zeitung in ihrer Todtenklage Macaulay nennt, in den Staub gestreckt. Die Gräber in Westminster-Abtei sind um eines vermehrt worden, über dessen Würdigkeit (was bei solchen Gräbern nicht immer der Fall ist) die Zeitgenossen einig sind und die Nachwelt, das dürfen wir annehmen, einig bleiben wird. Thomas Babington Macaulay ist unbestritten und unbestreitbar, mag nun die Bezeichnung der »Times« überschwänglich sein oder nicht, eine hervorragende Größe auf zwei Gebieten menschlicher Thätigkeit, deren jedes einzelne genügt, um das Streben eines Lebens nach Ruhm und Auszeichnung vollauf zu beschäftigen, – auf zwei Gebieten noch dazu, welche höchst selten von einem und demselben Sterblichen mit gleichzeitiger Meisterschaft beherscht werden. Macaulay hatte als Schriftsteller einen dankbaren und bewundernden Leserkreis wie ihn wohl nie zuvor irgend ein Mann der Wissenschaft, auch Humboldt nicht, um sich versammelt hat. Macauley galt zu gleicher Zeit, seit dem Tode Cannings, für den ersten Redner des britischen Parlaments. So nahe verwandt die Erfolge der Feder und die Triumphe der Beredsamkeit mit einander zu sein scheinen, so selten, wie gesagt, finden sie sich in einem Namen vereinigt. Die größesten Künstler der Prosa-Darstellung waren Stammler, wenn sie sprechen mußten; die gewaltigsten Helden des Wortes sanken zu Schülern herab, wenn sie die Feder zu führen hatten. Cicero, Edmund Burke und Macaulay sind drei glänzende Ausnahmen dieser Regel. Alle Drei haben das mit einander gemein, daß ihre Reden den Eindruck vollendeter Schriften machen, ihre Schriften das Leben gesprochener Reden athmen. Bei allen Dreien war es nicht die Vereinigung zweier verschiedener Gaben, von denen die eine sich im mündlichen, die andere im schriftlichen Vortrage entfaltete, (etwa wie in Julius Cäsar das Talent des Feldherrn sich mit dem Talente des Geschichtschreibers begegnete), sondern Cicero, Burke und Macaulay besaßen eine besondere Gattung von Beredsamkeit, welche ebenso siegreich das Auge wie das Ohr gefangen nimmt, welcher es gleichgültig ist, ob sie Leser oder Hörer gegenüber hat, weil in ihr die rednerische und schriftstellerische Eloquenz sich zu einem neuen Ganzen eigentümlich und untrennbar verquicken. Es ist eine bekannte Erfahrung, daß manche Reden, von deren hinreißender und überwältigender Wirkung die Hörer erfüllt sind, hinterdrein beim Lesen lahm, ungelenk, langweilig erscheinen, und daß umgekehrt Reden, welche den Leser entzücken, an dem Ohre des Hörers ohne Eindruck und ohne Echo verhallen. Das bekannteste Beispiel der ersten Art sind die Reden von Charles Fox, denen das Haus der Gemeinen mit athemlosem Enthusiasmus lauschte, und die, soweit sie aufgezeichnet sind, wir trivial, voll von Wiederholungen, Folgewidrigkeiten, falschen Bildern und schwachen Argumenten finden. Umgekehrt kömmt es vor, daß man in den Zeitungen Reden rapportirt findet, deren lichtvoller Darstellung, nachdrücklicher Ermahnung, glänzender Beweisführung man bis zum Schlusse mit lebhaftester innerer Befriedigung folgt und von denen man hernach zu seinem Erstaunen vernimmt, daß sie auf die Hörer nur eine sehr geringe Wirkung ausgeübt haben. Die dritte Gattung der Beredsamkeit, zu deren ausgezeichnetsten Vertretern Macaulay gehörte, ist von der Einseitigkeit dieser beiden Richtungen gleich frei. Laßt einen seiner Artikel im »Edinburgh Review,« z. B. den über die Emancipation der Juden, von einem des Sprechens kundigen Manne frei vortragen, und ihr werdet sagen: »Es war eine vortreffliche Rede.« Leset diesen selben Artikel einsam in eurem Cabinet, und ihr werdet erstaunen, wie man über ein so abgedroschenes Thema so fesselnd schreiben könne. Macht das nämliche Experiment mit Burkes »französischer Revolution« und mit seiner Rede gegen Warren Hastings oder mit Ciceros catilinarischer Rede, und ihr werdet das nämliche Ergebniß finden. Das Geheimniß dieser Doppelwirkung besteht darin, daß Macaulay, wenn er seine Gedanken in Worte kleidet oder wenn er die in seinem Innern lebenden Vorstellungen vor dem geistigen Auge eines Dritten heraufbeschwören will, durch innere Anlage getrieben stets solche Formen des Ausdrucks wählt, welche zugleich den Verstand und die Einbildungskraft beschäftigen. Er appellirt nicht einmal an die Logik und ein andermal an die Phantasie, sondern seine Sätze sind so gebaut, daß sie mit einem Schlage die Phantasie erregen und die Logik beschäftigen. Man kann, bei der vollständigen Durchdringung dieser beiden Elemente, nicht mehr sagen, ob es mehr darauf abgesehen sei, uns zu fesseln oder uns zu überzeugen; wir fühlen nur, daß wir gefesselt sind, und meistentheils fühlen wir auch, daß wir überzeugt wurden. Und selbst wenn letzteres nicht der Fall sein sollte, so ist doch dies Verfahren des Schriftstellers und des Redners an sich ein so reizendes, anmuthvolles, daß ihm zuzuhören, einen wahrhaften Kunstgenuß gewährt, sollte auch der Gegenstand, den er behandelt, uns innerlich unberührt lassen.

Wenn es richtig ist, daß Macaulays litterarische Größe in der Verschmelzung schriftstellerischer und oratorischer Vortrefflichkeit zu einer besonderen, wenn nicht neuen, doch höchst seltenen Gattung der Prosakunst besteht, so würde in einer Besprechung dieses Mannes ein Blick auf seine Reden nicht fehlen dürfen. Denn durch diese eben bezeichnete Eigenthümlichkeit sind ja auch seine Reden, weit entfernt mit der flüchtigen Stunde zu verhallen, dauernde literarische Denkmäler geworden. Inzwischen hat die Sache ihre besonderen Schwierigkeiten. Denn obwohl eine Sammlung der Parlamentsreden Macaulays vorliegt und man daher der Mühe überhoben ist, die einzelnen aus den riesigen Jahrgängen der »Times« – »that Mississippi of printed matter« – herauszufischen, so bedarf es doch zu einer erschöpfenden Würdigung dieser oratorischen Triumphe jedesmal eines näheren Eingehens auf die Umstände, unter denen der Redner sprach. Namentlich muß man sich die Aeußerungen der Gegenpartei vergegenwärtigen, um das Verdienst des Sieges nach Gebühr anzuerkennen. Eine Darstellung Macaulays als Redners im Parlamente würde nicht viel weniger als eine Schilderung der Parlamentsdebatten im Anfange der dreißiger Jahre voraussetzen. Ich muß einräumen, daß ich zu einem solchen Eingehen mich nicht im Stande fühle. Die Zeiten des großen Kampfes um die Reformbill liegen vor denjenigen meiner persönlichen Erinnerung. Die Wortschlachten, welche damals geschlagen wurden, kenne ich nur aus historischen Berichten, nicht aus der gleichzeitigen Lectüre der Londoner Zeitungen. Ich kann nur constatiren, daß Macaulay in jenen Kämpfen sich den Ruhm erwarb, wenn nicht der größeste, doch der vollendetste Redner Englands zu sein. In der Blüthe der männlichen Kraft, ein angehender Dreißiger, ward er unter den Vorkämpfern der Partei gepriesen, welche nach einer unermüdlichen Agitation, nach vieljährigen heißen Debatten »die große Maßregel,« wie man sie nannte, einer mächtigen herschgewohnten Phalanx von Gegnern abrang, an deren Spitze Männer wie der Herzog von Wellington und Sir Robert Peel fochten. Mein Miterleben solcher Erfolge beschränkt sich auf Jahre, wo die tägliche Durchsicht englischer Zeitungen zu meinen Berufsgeschäften gehörte, eine Periode die mit dem Jahre 1845 begann. Damals ließ Macaulay sich nur höchst selten im Parlamente vernehmen, und die großen Debatten dieser Zeit, welche sich vorzugsweise um commercielle und wirthschaftliche Fragen drehten, boten seinem besonderen Talente wenig Gelegenheit zur Entfaltung. Eine große Rede hielt er aber doch noch, und diese über ein Thema, welches für ihn wie geschaffen war. Ganz England, Schottland und Irland war im Jahre 1846 in Bewegung über einen Antrag Sir Robert Peels, das katholische Priesterseminar zu Maynooth in Irland mit einem ausreichenden jährlichen Zuschusse aus der Staatskasse zu dotiren. Die Maßregel war darauf berechnet, den römisch-katholischen Clerus Irlands in freundschaftliche Beziehungen zu dem Staate zu setzen und dem Einflusse der ultramontanen und jesuitischen Agitatoren zu entziehen. Sie ward daher von diesen letzteren und von den irischen Demagogen, denen jede wohlwollende Kundgebung der Regierung einen Strich durch die Rechnung machte, auf das heftigste bekämpft. Wie Judas den Herrn Jesus um dreißig Silberlinge verkauft habe, so wolle man jetzt, donnerte O'Connell, die Freiheit der allerheiligsten Mutter Kirche um lumpige 20 000 jährlich an die englische Regierung verhandeln. Weit gefährlicher aber als die katholische war die protestantische Opposition gegen die »Maynooth-Bill.« Die eigene Partei Sir Robert Peels erhob das lauteste Geschrei gegen dieses »Attentat auf die protestantische Verfassung des Reichs,« »this signal outrage on the feelings of the Nation,« und es fehlte nicht an solchen, welche behaupteten, Ihre Majestät würde das Recht auf den Thron verwirken, wenn sie dieser gottlosen, verfassungswidrigen Maßregel ihre königliche Genehmigung ertheile. Den Männern des bornirten Staatskirchenthums schloß sich der finstere fanatische Schwarm der dissidentischen Secten und der schottischen Presbyterianer an. Tausende von Petitionen mit Millionen Unterschriften gegen die Bill liefen beim Parlamente ein; protestantische Meetings folgten eins auf das andere und überboten sich gegenseitig in stürmischen Deklamationen; liberale Parlamentsmitglieder erhielten von ihren Wählern feierliche Mißtrauensadressen; die Zeitungen der hochkirchlichen und der dissidentischen Parteien flossen über von Citaten aus dem Propheten Daniel und von Hinweisungen auf das Weib der Apokalypse, welches gekleidet ist »scharlachen und rosinfarben.« Von einem Ende der Insel zum andern, ging ein ungeheurer Tumult darüber, daß die protestantischen Sovereigns und Banknoten der britischen Schatzkammer dienen sollten, um die Baalspfaffen der großen Babel, die Jünger des Antichristes, zu ernähren. In dieser Krisis stellten die Whigs, ihren liberalen Grundsätzen getreu, sich entschlossen auf die Seite ihres großen politischen Gegners, und mit ihrer Unterstützung brachte Sir Robert Peel die Bill glücklich durch beide Häuser des Parlaments. Aber ehe es soweit kam, concentrirte sich zuvor in den Debatten die ganze Wuth der bigotten Parteien gegen die Freunde der Bill. Nacht um Nacht erscholl in Westminsterhall das fanatische Concert der Invectiven und der Drohungen, abwechselnd mit den Gegenreden der Ministeriellen und der Whigs. Vor der zweiten Lesung der Bill nahm Macaulay das Wort. Er bekehrte natürlich die Widersacher nicht, aber seine glänzende Behandlung des Themas, funkelnd von Schönheit und Geist, gewappnet mit dem schimmernden Rüstzeug geschichtlichen Wissens, milder menschlicher Bildung und staatsmännischer Weisheit, wirkte etwas, was in öffentlichen Kämpfen ebenso wichtig ist wie Umstimmung der Feinde: sie erfüllte die Freunde mit dem Vertrauen, ohne welches nie ein dauernder Sieg errungen wird. Es handelte sich nicht mehr um eine jährliche Geldverwendung, sondern es handelte sich darum, die giftschwangere Frage nach dem Verhältnisse des Staates zu dem religiösen Glauben seiner Angehörigen einem höchst aufgeregten, einem in solchen Dingen sehr engherzigen Publikum gegenüber in dem Geiste der Vernunft, der Gerechtigkeit und der politischen Zweckmäßigkeit zu lösen. Wenige waren diese Aufgabe zu lösen so geeignet wie Macaulay. Seine genaue Bibelkenntniß und Kunde theologischer Streitigkeiten, ein Erbtheil seines schottischen Geblütes, befähigte ihn ganz besonders, mit Gegnern zu kämpfen, deren Argumente fast nur in mißverstandenen oder aus dem Zusammenhange gerissenen Schriftstellen bestanden. Sein geschichtliches Wissen, seine allgemeine Bildung befähigte ihn, die bestrittene Maßregel von einem höheren Gesichtspunkte aus, als die Regierung selbst es that, zu vertheidigen, sie nicht als eine Concession der Klugheit, sondern als einen Act der Gerechtigkeit und der Vernunft, als im Einklange mit den ewigen Gesetzen, nicht als einen vorübergehenden Pact mit dem Teufel darzustellen. Die Schönheit der äußeren Form endlich kam gerade hier dem Redner sehr zu Statten; denn sie nöthigte selbst dem Geheul der Zeloten ein kurzes Stillschweigen ab und verschaffte bei der Masse der Unentschiedenen den Sätzen seiner Lehre ein Gehör, welches sie ohne den Zauber der Beredsamkeit, auf ihren eigenen inneren Werth allein angewiesen, nicht gefunden haben würden. Derartige Reden sind auf das Ergebniß der Abstimmungen nur in ganz seltenen Fällen von unmittelbarem Einflusse: desto größer aber ist ihre mittelbare Bedeutung. Durch solche Kundgebungen des die Abstimmung der Mehrheit leitenden Princips wird der äußere Sieg erst zu einem wirklichen Triumphe, zu einer wirklichen Ueberwindung des feindlichen Gegensatzes. Nicht allein die Stimmen, auch die Ideen der Gegner erleiden dann eine Niederlage, und die Appellation an die Zukunft, der Trost der bloß überstimmten Minoritäten, wird ihnen abgeschnitten. Gegen die Maynooth-Bill hat sich nie wieder eine ernsthafte Opposition geregt.

Von der Kunst des Redners gilt zu einem großen Theile, was Schiller von der Schauspielkunst sagt. Sie ist vergänglich. Wenn auch nicht ganz und gar, wie die mimische Darstellung, so doch in ihrem wesentlichsten Theile, in ihrem unmittelbaren, lebendigen, sinnlichen Eindrucke. Gerade dasjenige, was den Redner, wie keinen anderen Künstler, zum Beherscher der Stunde macht, geht mit der Stunde unwiederbringlich verloren. Keine Geschicklichkeit der Stenographen vermag die anschwellenden Donner seines Zorns, die gehobene Feierlichkeit seines Pathos, die Haltung seines Hauptes, den Glanz seines Auges, die Sprache seiner Hände auf das Papier zu bannen; keine noch so genaue Schilderung vermag die elektrische Spannung wiederzugeben, welche der Augenblick des Kampfes selbst erzeugt und welche Redner wie Hörer gleichsam mit einem höheren Nervenleben durchströmt. Alles das vergeht mit den letzten Tönen des Applauses; was der Redner sagte, haben die Schnellschreiber aufgezeichnet: wie er es sagte und wie es wirkte, davon bleiben nur unbestimmte, traumhafte Erinnerungen, abgerissene Anecdoten, halbmythische Überlieferungen über. Der Phantasie bleibt es überlassen sich auszumalen, wie Cicero den Catilina niederschmetterte, wie der sterbende Chatam sein Vaterland beschwor, die amerikanischen Kolonien nicht zum Aeußersten zu treiben, wie Mirabeau dem Ceremonienmeister des Hofes aus der Versammlung der Reichsstände heimleuchtete, wie Burke durch die Schilderung der Greuel eines Indianerkriegs ein Haus von Landjunkern und Roués zu Thränen und zum Entsetzen zwang, – die Wirklichkeit des Erfolges, wie die Wirklichkeit der Sixtinischen Madonna oder einer Shakspereschen Tragödie, erreicht die Einbildungskraft nie.

Nach dem Zeugnisse Berufener war allerdings bei Macaulays Beredsamkeit der Inhalt und die sprachliche Form bei weitem das überwiegende Theil. Bei ihm war nicht die Gewalt der Rede eine unter mehreren Kundgebungen der ihn erfüllenden Lebensenergie, sondern sein geistiges Leben ging gänzlich auf in dieser einen Begabung. Er war nicht Redner nebenher, wie der Staatsmann oder der Feldherr es ist, um irgend einen bestimmten Zweck zu erreichen, sondern er war Redner um der Rede willen, er war mit einem Worte auf seinem Gebiete Künstler. Mit dem Worte künstlerisch zu schaffen, ein Argument, eine Auseinandersetzung zum Gegenstande ästhetisch befriedigender Sprachgebilde zu machen, das war der Trieb, welcher seinem geistigen Leben die besondere Richtung und Farbe gab. Daß eine solche Natur auch dem äußeren Vortrage die erforderliche Sorgfalt zuwende, könnten wir, auch wenn es an ausdrücklichen Zeugnissen fehlte, sicher annehmen, und ohne Frage ward der Reiz seiner vollendeten Diction außerordentlich erhöht durch den Wohlklang des Organs, durch die richtige Schattirung der Betonungen, durch die lebendige Gegenwart des schaffenden Künstlers und durch die Umgebungen, zu denen er sprach. Allein der Reiz selbst lag doch vornehmlich in dem unsinnlichen Theile der Rede, in der Gruppirung, Fülle und Gewandung der Gedanken, durch welche er seine Hörer – und noch jetzt seine Leser – nicht gerade zu stürmischem Beifall elektrisirte, wohl aber in ein tiefes Wohlgefallen einwiegte.

Will man die Elemente dieses Zaubers zergliedern, so muß man sofort den Redner Macaulay und den Schriftsteller Macaulay in eins zusammenfassen. Denn die Vorzüge des einen sind die Tugenden des anderen. Vor allen bedeutsam unter ihnen aber, die eigentlichen Grundpfeiler seines Ruhmes, sind zwei: ein außerordentliches, man kann wohl sagen einziges Talent, die eigenen Gedanken anderen anschaulich zu machen, und eine ebenso außerordentliche Gewissenhaftigkeit in der Kultivirung dieses Talents. Welche unermeßliche Macht das Wort in seiner künstlerischen Behandlung sei, das kann man recht deutlich an dem Beispiele dieses Mannes sehen. Macaulay ward als der erste politische Redner seines Landes gefeiert, obwohl er nie ein Staatsmann war. Macaulay ist, nicht allein in England, sondern in der ganzen civilisirten Welt, der populärste, vom gebildetesten und vom Durchschnittsleser gleich eifrig studirte Schriftsteller über Gegenstände der Litteratur und der Geschichte, und doch ist er weder auf dem einen Gebiete noch dem andern an Tiefe der Auffassung, Höhe des Blicks und Reichthum der Forschung den Ersten gleich. Seine »Geschichte Englands« hat eine Aufnahme beim Publikum gefunden, wie sie selbst Werken der schönen Litteratur nur selten zu Theil wird, bei wissenschaftlichen Büchern aber wohl unerhört ist. Goethes »Werther« und Walter Scotts Romane haben kaum einen rascheren und weiter verbreiteten Absatz gehabt als diese vielbändige Erzählung von dem Uebergange Englands aus einem feudalen in ein constitutionelles Staatswesen. Und doch wird niemand behaupten können, Macaulay habe diese Begebenheiten richtiger als ein anderer dargestellt, oder es sei sein Verdienst, einen Stoff aufgefunden zu haben, welcher mehr als irgend ein anderer die Welt interessire. Wohl aber muß man sagen, daß niemals ein anderer gleich ihm es verstanden hat, durch die Behandlung des Gegenstandes dem Gegenstande selbst ein neues, hohes Interesse zu verleihen und die Darlegung von Ansichten, die Schilderung von Zuständen, Personen und Ereignissen als Darlegung, als Schilderung, ganz abgesehen von dem Inhalte und dem Stoffe, zu einer immer fließenden Quelle des Genusses für den Leser zu machen. Man kann ihn in dieser Beziehung mit Van Dyk vergleichen, dessen Portraits, bloß durch die wundervolle Beherschung der Aufgabe, uns entzücken, auch wenn ihre Urbilder uns völlig unbekannt und gleichgültig sein sollten. Und wie in Van Dyk der Portraitmaler ganz in den Hintergrund tritt gegen den Künstler, so in Macaulay der Gelehrte gegen den Darsteller. Für Van Dyk ist allerdings, die Aehnlichkeit zu treffen, Vorbedingung jedes Schaffens, aber die Aehnlichkeit ist ihm nur das Thema zu einem künstlerischen Menschengebilde, das an sich eine vollständige Berechtigung hat. Für Macaulay ist die geschichtliche oder philosophische Wahrheit nicht etwas gleichgültiges, aber sie ist nur insoweit sein Ziel, als es sich darum handelt, sie in sprachlicher Kunstform zu versinnlichen. Er wird nie die Unwahrheit oder das Gegentheil seiner wirklichen Meinung zum Gegenstande seiner Darstellung machen; aber er wird ebenso wenig sich befriedigt fühlen, bloß die Thatsache, bloß seine Meinung kunstlos und nackt hinzustellen. Der Wahrheit wirft er die reiche Draperie seines Stiles um, und die Meinungen kleidet er in fein ciselirte Rüstungen voll getriebener Gold- und Silberarbeit.

Die Form allein ohne werthvollen Inhalt ist freilich bei einem Künstler, dessen Material nicht Ton, Erz, Marmor oder Farbe ist, sondern Wort und Gedanke, völlig undenkbar. Und wenn ich sage, Macaulay sei durch sein außerordentliches Formtalent groß geworden, so kann es doch nicht meine Meinung sein, dem abstracten Inhalte seiner Schriften einen sehr hohen Werth abzusprechen. Ich wollte nur hervorheben, daß er in letzterer Beziehung von manchen erreicht, von einigen übertroffen worden ist, während er erst durch die von ihm vollzogene Vermählung eines immerhin bedeutenden Inhalts mit einer Formvollendung ersten Ranges, durch die Verschmelzung des Geistes mit der Schönheit die hohe Stufe in der Litteratur einnimmt, welche ihm von dem übereinstimmenden Richterspruche des Zeitalters angewiesen worden ist. Dies läßt sich nicht besser erkennen als durch eine Betrachtung der Artikel, welche er von Zeit zu Zeit für das »Edingburgh Review« geschrieben hat, jener berühmten »Essays,« mit denen er, wenn nicht als der Schöpfer, doch als der Vollender eines neuen, wesentlich modernen Genres in der Litteratur auftrat, eines Genres, für welches gerade seine eigenthümliche Begabung die erforderlichen Eigenschaften im höchsten Maße vereinigte.

II.

Ein Banquier stellte seinen Gästen einen reichen jungen Mann mit der Bemerkung vor: »Künstler, – hat es aber nicht nöthig.« Thomas Babington Macaulay befand sich in dieser beneidenswerthen Situation, deren günstiger Einfluß auf die volle reife Entwickelung seines Geistes unverkennbar ist. Aus dem bisher Bemerkten hat vielleicht dem Leser das Ergebniß sich schon aufgedrängt, daß Macaulays Natur recht eigentlich für eine Gattung litterarischer Thätigkeit geschaffen war, welche ein Kind modernster Entwickelung, früheren Perioden gänzlich unbekannt, innerhalb kurzer Zeit zu einer unermeßlichen Bedeutung herangewachsen ist, – für die periodische Schriftstellerei. Gerade auf diesem Gebiete wird der Schriftsteller, weil er unmittelbar wirken, sein Wild gleichsam im vollen Laufe erlegen soll, mehr oder weniger die Gaben des Redners entfalten müssen. Ich habe bemerkt, wie in Macaulay schriftstellerische und oratorische Eloquenz sich zu einem neuen Dritten verschmolzen. Diese Vereinigung ist es, was den großen Journalisten macht. Macaulay würde der erste aller Leitartikelschreiber geworden sein, wenn seine Lebensverhältnisse ihm das Betreten einer journalistischen Laufbahn nahe gelegt hätten. Um deswillen ist es für die Literaturgeschichte von Wichtigkeit, zu wissen, daß er »es nicht nöthig hatte, Künstler zu sein.« Denn wer einen Begriff von der Zeitungsschriftstellerei höheren Ranges, namentlich inmitten eines großartigen Parteiwesens, hat, der wird mir Recht geben, daß in der heißen Atmosphäre dieser fieberhaften, rastlosen Betriebsamkeit die saftreichen, üppigen Früchte nimmer hätten gedeihen können, welche Macaulays Prosa-Muse in bequemer Sorgfalt gezeitigt hat. Glanz und Duft würden gewiß auch die journalistischen Früchte, hätte sie solche ziehen müssen, um sich verbreitet haben, – aber den Glanz eines Tages, den Duft einer Stunde. Erschöpft von dem nie ruhenden, hastigen, leidenschaftlichen Produciren würde sie wahrscheinlich nie im Stande gewesen sein, jenes Gleichgewicht maßvoller und doch energischer Schönheit sich anzueignen, welches ihren Werken dauernden Werth verleiht, auch wenn die Wichtigkeit ihres Gegenstandes längst veraltet ist. Der Journalist verausgabt in kleinen Summen, die, ohne Spur zu hinterlassen, durch die Finger rinnen, Mengen Goldes, welche der langsam sammelnde Schriftsteller in einem großen Posten zum Erwerbe dauerhaften Besitzes verwendet.

Die englische »Review,« die Vierteljahrsschrift, wie wir es nennen würden, bietet sich dem Schriftsteller, der mehr begehrt, als für den Tag zu schreiben, und der doch unmittelbar an die Erscheinungen der wechselnden Gegenwart anknüpfen, unmittelbar an die gegenwärtigen Stimmungen und Interessen des Publikums sich wenden möchte, welchem daher die Zeitung zu flüchtig, das Buch zu schwerfällig ist, als willkommener Mezzo termine, in der Mitte stehend zwischen dem Gebiete des Journalismus und dem Felde strenger, erschöpfender Abhandlung. Hätte diese Art von Gedankenfuhrwerk nicht bestanden, Macaulay hätte sie erfunden. Als er den ersten Drang zur Schriftstellerei in sich empfand, stand die »Edingburgh Review,« die Vierteljahrsschrift der Whigpartei, auf dem Höhepunkte litterarischen Ansehens. Sie war der elegante Sammelplatz aller liberalen Vornehmheiten Großbritanniens, auf welchem der Staatsmann, der Gelehrte, der Kunstkenner sich begegneten, sich gegenseitig anregten, belehrten und unterhielten. Der Ton der Discussion war der der allgemeinen Bildung, gründlich, aber nicht technisch, ernsthaft, aber nicht pedantisch, – die Discussion selbst immer der nächsten Gegenwart zugewandt, aber nie die Vergangenheit und die Zukunft aus dem Auge verlierend. Man besprach eine Debatte der letzten Parlamentssession, aber man legte den Nachdruck auf ihre allgemeineren und bleibenden Ergebnisse; man berichtete über Memoiren einer entschwundenen Vergangenheit, aber man sammelte aus ihnen die Gesichtspunkte, welche das lebende Geschlecht anziehen konnten. Man gab eine Kritik über eine syrische Bibelausgabe, aber man that es, um den Leser über den Stand der wissenschaftlichen Bearbeitung des heiligen Textes zu orientiren. Man gab die Recension eines eben aus der Druckerpresse hervorgegangenen Gedichtes, um daran gemeinverständliche Untersuchungen über Wesen und Wirken der Poesie zu knüpfen. Der Staatsmann gab sich Mühe, den Gelehrten und den Litteraten zu fesseln und aufzuklären; der Litterat und der Gelehrte suchten den Politiker für die Probleme und Erscheinungen der Wissenschaft und der Kunst empfänglich und aufmerksam zu machen. Die bedeutendsten Männer aller Gebiete achteten es nicht für Raub, über die Gegenstände ihres besonderen Wissens in der Sprache der menschlichen Bildung zu reden. Derartige Besprechungen nennen die Engländer »Essays«, welches Wort zu unserem »Abhandlung« sich verhält wie ein gebildeter Mann von Welt zu einem gelehrten Pedanten. Die englischen Reviews sind reich an vortrefflichen Arbeiten dieser Art, und unter ihnen gehören die von Macaulay geschriebenen zu den besten, wie sie unbestritten die berühmtesten sind.

Wenn wir diese kleinen Meisterstücke (und nur wenige verdienen die Bezeichnung nicht) lesen, so drängt sich uns die Frage auf: wie kömmt es, daß eine so geistreiche, so gebildete Nation wie die deutsche so wenig aufzuweisen hat, was jenen Essays an die Seite zu stellen wäre. Wir haben auch unsere Vierteljahrsschriften und Monatsschriften, und wir finden in ihnen viel Tüchtiges, Wissen und Gedanken in reicher Fülle, zusammengetragen. Aber wie selten sind Artikel, von denen man sagen möchte: »Das ist ein wirklicher Essay!« Es ist nicht ohne Interesse, auf diesen auffallenden Mangel etwas näher einzugehen.

Niemand kann weiter entfernt sein als ich, das geistige Leben Englands über dasjenige Deutschlands zu stellen. Ich meine, daß wir, wenn nicht die nämlichen, doch eben so gute Gründe haben, auf unsere Nation stolz zu sein wie der Brite auf die seinige. Aber dies kann kein Grund sein, gegen einzelne Vorzüge einer fremden Entwickelung die Augen zu verschließen und die Untersuchung eigener Mängel zu verpönen. Auch das darf man mir nicht vorwerfen, daß ich die bedeutenden Fortschritte übersähe, welche die Kunst, populär im edleren Sinne zu schreiben, in neuerer Zeit in Deutschland gemacht habe. Ich räume diese Fortschritte bereitwillig ein, aber ich muß doch daran festhalten, daß, ich will nicht sagen, Macaulaysche Vortrefflichkeit, sondern einfache männliche Schönheit der Prosa in unserer Litteratur noch immer zu den seltenen Ausnahmen gehört, während sie jenseits des Canals fast zur unumgänglichen Voraussetzung jedes schriftstellerischen Erfolges geworden und vollends in den Essays der besseren Zeitschriften geradezu die Regel ist. Wie geht das zu?

Der Ursachen sind mehrere. Das Genre des Essay selbst ist eine vortreffliche Schule für die formelle Ausbildung des Schriftstellers. Indem es existirt, wirkt es schon vortheilhaft auf die voluminöseren Zweige der Prosalitteratur zurück. Fast alle namhaften Gelehrten sind gelegentliche Mitarbeiter einer Review oder sind es doch einmal gewesen. Ihre Ansprüche an die Form erhalten hiedurch eine bestimmte Richtung; sie gewöhnen sich, von dem Gedanken eine anständige Erscheinung zu fordern, wie derjenige, welcher in reinlichen und geordneten Umgebungen lebt, sich gewöhnt, auch dem edelsten und weisesten Sterblichen saubere Kleidung und geziemendes Betragen anzusinnen. Das Genre des Essay steht und fällt mit einer gewissen formellen Vollendung. Ohne sie würde der Fachmann es verachten, der Laie es ungenießbar finden. Gerade darin aber, daß es Laien und Fachmänner auf dem Boden der allgemeinen Bildung vereinige, findet das Essay seine Aufgabe, hat es sie in England seit einem halben Jahrhundert gefunden. Das Bedürfniß einer solchen Vereinigung ist in England früher erwacht als in Deutschland, und man hatte dort, während wir kaum zu lernen anfingen, schon eine fünfzigjährige Schule hinter sich.

Warum aber war dies heilsame Bedürfniß bei den Engländern ein früheres? warum ist es noch im gegenwärtigen Augenblicke stärker als bei uns? Warum können sie weniger als wir eine Kunst entbehren, welche die Ergebnisse des Denkens und des Forschens in wirksame Beziehung zu dem Leben der Gegenwart zu setzen versteht? Darum, weil das politische und sociale Leben Englands ein ungleich energischeres ist als das unsere; weil Staat und Gesellschaft in England durch die ihnen innewohnende ungeheure Schwerkraft alle Lebenskreise zwingen, in irgend ein bestimmtes Verhältniß zu ihnen zu treten. In Deutschland war es, und zum Theil ist es noch, ganz anders. Wie die Schachspieler in dem Café de la Régence zu Paris, unbeirrt durch die furchtbarsten Staatsumwälzungen, Tag für Tag, schweigend und taub, an ihrem Brette saßen, Tag für Tag über der Combination einer neuen Partie brüteten, und während die Guillotine mordete, während Bonaparte die Jacobiner niederkartätschte, während die Kosaken auf den Boulevards biwakirten, unter dem Gewehrfeuer der Julirevolution, in den Februartagen von 1848, bei den Kanonaden des Juniaufruhrs und am 2. December 1851, in unerschütterlicher Gelassenheit mit Läufern, Springern und Thürmen ihre strategischen Pläne auf den vierundsechzig Feldern verfolgten, – so, in gleicher Selbstgenüge und Selbstvertiefung hat der deutsche Gedanke Menschenalter hindurch Systeme aufgebaut und Systeme zerstört, Sterne berechnet, Infusorien beobachtet, ohne sich um die Schritte der Weltgeschichte zu kümmern, vor deren ehernem Klange doch selbst die Fenster der Studirstube erzitterten. Und umgekehrt hat das deutsche politische Leben lange Zeit wenig nach dem Geiste und dem Wissen der Gegenwart gefragt. Das politische Leben ward vertreten, monopolisirt von einer Kaste, die nicht im Traume daran dachte, daß der Staat sich zu erfüllen habe mit den nährenden Säften der nationalen Bildung. Der Beamtenstand regierte die deutschen Länder und Ländchen nach hergebrachter Schablone, mit dunklen Reminiszenzen an die in einer schöneren Zeit gehörten Collegia über Cameralia und Staatswissenschaft, respectirte übrigens die Gelehrsamkeit nach Gebühr, ahnte aber nicht im mindesten, daß auch sie schließlich für das Leben der Menschheit zu wirken berufen sei. Der Wahlspruch der Justiz war auch die Losung der Regierenden: Quod est in actis, non est in mundo.. Das Leben war eine Actenregistratur mit bequemen Fächern, aber die Fächer hatten bereits ihre Bestimmung, und für die Wissenschaft war kein Platz mehr da.

Wie bedeutsam aber in England die innige Beziehung aller höheren Bildung zum öffentlichen Leben für die litterarische Darstellung dieser Bildung und dieses öffentlichen Lebens sei, das ergiebt sich leicht. Die populäre Prosa, als deren Blüthe wir den Essay vorfinden, entsteht von selbst, wo die Bildung sich darauf angewiesen sieht, die Politiker für sich zu interessiren, die Politiker der Bildung schon deshalb nicht entbehren können, weil die Staatsangelegenheiten in mündlicher Debatte und in einer freien Presse zum Austrage gebracht werden. Der Bedarf ruft überall die Production hervor, und die Production findet wieder Stoff und Nahrung durch den Bedarf. Auch in dieser letzteren Hinsicht ist der englische Essay-Schreiber vor dem deutschen Prosaisten bevorzugt. Das Genre, in welchem er produciren soll, erheischt die Möglichkeit, dem Stoffe, den er behandeln will, diejenige Seite abzugewinnen, welche allgemein interessirt, welche auf irgend einem Punkte sich mit irgend einer Seite des nationalen Lebens der unmittelbaren Gegenwart berührt. Es ist klar, je mehr Seiten das öffentliche Leben darbietet, um so leichter ist es, derartige Berührungspunkte den Stoffen abzugewinnen. Und wenn dies für eine streng wissenschaftliche Behandlung der Dinge gleichgültig, wohl gar schädlich wäre, für die populäre Prosa ist es von nicht genug zu würdigender Bedeutung. Der Deutsche kann vielleicht ebenso gut über Sanskritlitteratur und über altindische Religionssysteme schreiben, wie der Engländer; aber was kann ihn bewegen, diese Dinge einem größeren gebildeten Publikum klar zu machen? Das Publikum würde ihm vielleicht antworten: Was geht uns Sanskrit an? Der Engländer, wenn er Indologie popularisirt, hat ein Publikum vor sich, welches das Vaterland des Kalidasa und die Heimath Buddhas zu seinen Domainen rechnet. Seine Brüder und seine Söhne weilen in Calcutta und in Benares und regieren, richten, commandiren Menschen, deren Sprache eine Tochter des Sanskrit, deren Glaube der Niederschlag altindischer Religionen ist. – Welch ein Unterschied besteht nicht zwischen der Stellung eines deutschen und der eines britischen Philanthropen, wenn von der Negersklaverei und dem Sklavenhandel die Rede ist. Jener mag seine Argumente aus dem Naturrechte und der Tiefe des Gemüthes schöpfen und schließlich seine Leser einschläfern. Dieser redet zu Actionären westindischer Zuckerplantagen und zu Steuerpflichtigen eines Staates, der jährlich Millionen ausgiebt, um Kreuzer gegen die Menschenfrachten Afrikas auszusenden. Der britische Kunstkritiker hat es mit einer modernen Richtung der Malerei zu thun, die wir die »nazarenische,« die man jenseits des Canals die »prärafaelitische« nennt. Der Deutsche polemisirt gegen die Verirrung mit den Waffen der abstracten Aesthetik, und nur diejenigen, welche sich näher für die Kunstentwickelung interessiren, hören ihm zu. In England, wo alles an die Politik anschließt, sind die Prärafaeliten zugleich ein Gegenstand künstlerischen und liberalen Hasses. Die Prärafaeliten malen nicht allein magere Beine und verhimmelte Jammergesichter, sie malen auch mittelalterlichen Obskurantismus, priesterlichen Hochmuth, toryistische Romantik. Sie sind Puseyiten und Reactionäre, und das gesammte freisinnige Publikum applaudirt dem beredten Reviewer, der ihnen mit seiner scharfen Ruthe den Pinsel aus der Hand schlägt und ihre anspruchsvollen Staffeleien umstürzt. (Sie haben inzwischen gesiegt!)

Derartige Beispiele bietet jede neue Nummer der ersten besten englischen Review. Die enge Verbindung zwischen dem öffentlichen Leben und dem allgemeinen Bildungsstoffe, welche sich in ihnen offenbart, mag für die Verarbeitung des letzteren ihre Schattenseiten haben, namentlich einer geistigen Vertiefung, wie wir in Deutschland sie fordern, hinderlich sein. Für die Kunst des Schreibens hat diese Verbindung unverkennbar ihre großen Vorzüge. Auch deshalb – und dies ist nicht gering anzuschlagen – weil in Folge ihrer Einflüsse die höheren Klassen der Gesellschaft in weit höherem Maße als bei uns in das literarische Treiben hineingezogen werden. Eine Litteratur, welche sich zum Maître des menus plaisirs der vornehmen Welt macht, trägt gewiß wenig Lebenskraft in sich; eine Litteratur aber, welche genöthigt ist, den Ansprüchen eines feingebildeten, fastidiösen Publikums Genüge zu leisten, wird einen bedeutenden Vortheil aus diesem Zwange gewinnen. Um ihren Lesern Aufmerksamkeit und Achtung abzugewinnen, sieht sie sich genöthigt, stets auf eigene Würde, auf geschmackvolle Erscheinung und auf Vermeidung alles dessen zu halten, was die gute Gesellschaft nicht duldet. Gewiß, der gute Ton ist »der Güter höchstes nicht,« aber er ist ein Vorzug, welcher wichtigere Dinge nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern unmerklich, durch die stille Macht der Gewöhnung fördert. Warum soll die Tugend nicht von den erlaubten Anziehungsmitteln Gebrauch machen, welche dem menschlichen Gefühle für Schönheit und dem menschlichen Wohlgefallen an angenehmen Empfindungen Rechnung tragen? Warum brauchen Recht und Wahrheit die Waffen zu verschmähen, welche die Grazien ihr darreichen? Haben nicht die Befreier Athens ihre Schwerter unter Rosen und Myrthen versteckt, als sie den Tyrannen erschlugen? Ist es nothwendig, daß die Weisheit in schmutziger Wäsche und die Moral mit ungekämmten Haaren einhergehe? Die deutsche Prosa, las ich vor kurzem in einem Artikel der vortrefflichen »Westminster Review,« – »die deutsche Prosa trägt manchen kostbaren Ring an ihren Fingern, aber ihre Nägel sind unsauber.«

Das Urtheil ist selbst ein wenig unsauber, – aber ist nicht etwas wahres daran? Die Schuld liegt ebenso sehr an den Schriftstellern als an unseren vornehmen Klassen. Wären die vornehmen Klassen in Deutschland gebildeter, so würde auch die deutsche Bildung in vornehmeren Formen auftreten, – nicht in dem Sinne, wie die Gräfin Hahn und Fürst Pückler »vornehm« zu schreiben sich einbilden, sondern mit jener inneren Vornehmheit, von welcher Lessing, Gentz in seiner guten Periode, David Strauß in unseren Tagen Muster geliefert haben. Die Eleganz der deutschen Prosa soll nicht die eines lächelnden Höflings, sondern die eines Gentleman sein. Die Wechselwirkung zwischen der Aristokratie der Gesellschaft und der Aristokratie des Geistes, wie sie in England stattfindet, fehlt uns beinahe gänzlich. Unser hoher und niederer Adel kann, was Betheiligung an dem wissenschaftlichen und literarischen Leben der Nation betrifft, nicht entfernt den Vergleich mit der Nobility und Gentry von England aushalten. Unsere Aristokratie war litterarisch gebildet nur im Mittelalter. Seit der Reformation sind beinahe alle irgend bedeutenden Schriftsteller Deutschlands aus den Reihen des Bürger- und Bauernstandes hervorgegangen. Die einzelnen Edelleute, welche die Feder geführt haben, verschwinden gänzlich gegen die Milchstraße bürgerlicher Gestirne an unserem Himmel. Man kann alle »Herren,« bis auf drei oder vier, aus unserer Literaturgeschichte hinwegstreichen, ohne daß man ihre Abwesenheit bemerken würde. Und die wenigen Bedeutenderen unter ihnen, die Kleist, die Stolberg, die Haller, sind mehr zu den Bürgern herabgestiegen, als daß sie diese zu den Höhen der Gesellschaft hinaufgezogen hätten. Sie wußten wohl, wie öde es auf diesen Höhen aussieht. Die deutschen Aristokraten aber, welche als solche in der Literatur sich geltend machen wollten, haben es nur zu geckenhafter Glätte, nicht zu gediegenem Glanze gebracht.

Man blicke dagegen nach England. Von Lord Bacon bis auf Lord Macaulay herunter, welche Fülle vornehmer Männer in den Reihen der geistigen Heroen des Volks, – wie viele Minister, hohe Beamte, Prälaten, Generale, welche wissenschaftliche Werke ersten Ranges oder ausgezeichnete Beiträge zu der schönen Litteratur ihres Landes geliefert haben! Schon die Lords, also diejenigen, welche unserem hohen Adel gleichstehen, nehmen einen bedeutenden Platz in der britischen Ruhmeshalle ein, und manche von ihnen, wie Bacon und Byron, den höchsten; unzählbar aber ist das literarische und gelehrte Kontingent, welches die edlen Grafschaftsgeschlechter, die Gentry, der niedere Adel, wenn man den Ausdruck anwenden darf, gestellt haben und fortwährend stellen. Da drängt ein berühmter Name den anderen. Und abgesehen von der Herkunft, wie zahlreich sind die ausgezeichneten Männer auf diesem Gebiete, welche zugleich hervorragende Mitglieder des Staates, der Kirche, der Armee, der Flotte waren oder doch eine anerkannte Stellung in der besten Gesellschaft des Landes einnahmen. Namen wie Raleigh, Locke, Addison, Swift, Gibbon, Sheridan, Canning, Shelley, Scott drängen sich von selbst auf, derer nicht zu gedenken, welche durch Reden, staatsmännische Schriften oder Memoiren geglänzt, oder der anderen, welche die strenge Wissenschaft bereichert haben. Noch unter den jetzt lebenden Staatsmännern finden wir litterarische Celebritäten dutzendweise. Lord John Russell, Lord Brougham, Lord Campbell, der Herzog von Newcastle, Gladstone, Lewis, Bulwer, Disraeli, – alle haben, mit mehr oder weniger Erfolg, ihre Muße zu schriftstellerischer Thätigkeit verwandt, manche von ihnen mit glänzendem Erfolge.

Wollte man von diesem Gesichtspunkte aus eine Statistik der englischen Litteratur, der ernsten wie der belletristischen, zusammenstellen, man würde finden, daß die Namen von »guter Familie« beinahe ebenso häufig sind wie die Namen, welche den Mittelklassen und den unteren Ständen angehören. Man wird ferner finden, daß die irgend Hervorragenden unter diesen letzteren fast immer solchen Männern angehören, die im Verlaufe ihres Lebens auch zu socialer Bedeutung, häufig zu Reichthum gelangten, die gewissermaßen »geadelt« wurden, d. h. welche die vornehme Gesellschaft (nicht zu verwechseln mit der fashionablen) unbefangen und zwanglos in ihre Kreise aufnahm.

Daß der Verkehr in Lebenskreisen, wie die englische Aristokratie sie darbietet, unter Männern, welche Reiche regieren, Kolonien verwalten, Heere und Flotten befehligen, unter großen Feudalherren, unter reichen Gutsbesitzern, denen sich die Fürsten des Handels und der Industrie zugesellen, – daß ein solcher Verkehr nicht ohne nachhaltigen und tiefen Einfluß auf den Gelehrten, den Denker, den Dichter und den Künstler bleiben kann, bedarf nicht des Nachweises. Die Einseitigkeit der Beobachtung, die Enge des Blicks, die Unbeholfenheit der Form, – dies und manches andere schleift sich ab in der steten Reibung mit den gewaltigen Interessen, welche dem Forscher und dem Darsteller entgegentreten. Er sieht die Dinge selbst, von denen der deutsche Gelehrte und Schriftsteller oft nur liest, (wenn er ja davon liest), und er lernt das Publikum, zu welchem er dereinst reden soll, gleichsam von Angesicht zu Angesicht kennen. Der deutsche Schriftsteller denkt meistens nur an sein Thema, der englische denkt auch an sein Publikum, an jene vielbeschäftigten, unnachsichtigen, imponirenden Kritiker, die von ihm verlangen, daß er, wenn er zu ihnen sprechen will, gut, angenehm und klar spreche. Die vornehmen Deutschen lesen wenig oder gar nicht; man macht an den deutschen Schriftsteller gar nicht den Anspruch, daß er auch äußerlich, auch im Stile, die höchste Bildung seiner Nation vertrete, und der deutsche Schriftsteller macht es sich bequem und steht im Schlafrock und niedergetretenen Pantoffel vor den Säulenhallen der Wahrheit und der Schönheit.

Er hat auch kaum die Zeit dazu, seine Muse mit würdigem Gewande zu bekleiden. Er ist fast immer Schriftsteller von Profession. Er schreibt um das liebe Brot. Oder er geht so in seinem Schriftstellerthume auf, daß er für die anderen Beziehungen des Lebens Sinn und Blick verliert. Namentlich die für ein allgemeines Publikum berechnete Litteratur liegt bei uns vorwiegend in der Hand des »abstracten Litteratenthums,« – eines Instituts, welches in England zwar auch existirt, aber dort fast nur die kleinere und ephemere Tagelöhnerarbeit der Presse wahrnimmt. Schon die Dichter zur Zeit der Königin Anna hielten sich und die ihnen ebenbürtigen Prosaiker strenge geschieden von jenen um Brot und Leben schreibenden Proletariern der Litteratur, den »Grubstreet«-Männern, welche ohne Stellung im wirklichen Leben, in rastloser Angstarbeit von den Producten einer stofflosen Phantasie und einer unkultivirten Geistreichigkeit ihr kümmerliches Dasein fristeten. Wollte »Grubstreet« einmal sich in die Kreise der ernsthaften, nationalen Litteratur eindrängen, so ward es alsbald mit Verachtung und Spott in seine Mansarden und schmutzigen Hinterstuben zurückgegeißelt. Es entspricht durchaus den englischen Litteraturzuständen und den englischen Anschauungen, wenn Byron sagt:

»One hates an author that's all author,«

und er trifft ganz genau den charakteristischen Punkt, wenn er dem abstracten Litteratenthum die besseren Schriftsteller seiner Nation gegenüberstellt, als

»Men of the world, who know the world like men,
Who think of something else besides the pen.«

Eine große freie Lebensstellung und eine sorgsame, hastlose Kultur, das ist – um von diesem zu lang gerathenen Excurse zurückzukehren, – aus Macaulays schriftstellerischer Existenz nicht hinweg zu denken. Er ist der Sohn einer begüterten »guten« Familie, schon der Vater im öffentlichen Leben angesehen und würdig beschäftigt; der Knabe aufwachsend mit den jungen Gentlemen der besten Gesellschaft; der Jüngling, frei von den Sorgen des Alltaglebens, für die Laufbahn des Staatsmannes in den klassischen Schatten von Cambridge sich vorbereitend. Die seltenen Gaben seines Geistes werden von Anfang an mit consequenter Methode erzogen, und ein reicher Schatz des Wissens, systematisch geordnet, von außergewöhnlicher Mannigfaltigkeit, aber ohne Zersplitterung, wird als künftiges Betriebscapital für sein Darstellungs- und Erörterungstalent aufgeschichtet. Reisen durch die Länder uralter Kultur bereichern seine Anschauungen und veredeln seinen Geschmack; in Frankreich lernt er an dem Gegensatze einer glänzenden, fremdartigen Nationalität die Eigenartigkeit britischen Wesens deutlicher empfinden; in Italien erfüllt sich sein Auge mit den Wundern der bildenden Kunst und dem Zauber der klassischen Landschaften. Zum Manne herangereift, findet er den großen Senat des britischen Reichs seinem Eintritte geöffnet; die mächtigsten Männer des Landes würdigen ihn ihrer Freundschaft und ihres Vertrauens; er wird in die eleusinischen Mysterien der großen Staatsactionen eingeweiht; bedeutende Staatsämter, ohne ihn unter der Last der Geschäfte zu erdrücken, fordern seine Kräfte zu neuer Uebung heraus und schützen ihn vor einseitiger Beschaulichkeit und litterarischer Verweichlichung. Dann wird er nach Indien geschickt, um unter einem fabelhaften Himmel als Gesetzgeber zu wirken; er durchdringt sich dort mit neuen Erfahrungen und Anschauungen und kehrt mit Schätzen des Geistes zurück, welche er in den beiden unvergleichlichen Essays über Lord Clive und Warren Hastings zu Kunstwerken ausprägt; er nimmt seine englische Existenz wieder auf, als eine anerkannte Celebrität seiner Nation, als eine Zierde seiner Partei, umgeben von allen Privilegien eines leitenden Staatsmanns, ohne daß man ihm zumuthet, dessen mühevolle Tagesarbeit zu theilen. Seine Muße, das räumen alle ein, ist kostbarer als die Werktage der anderen sind. Ihm öffnen sich die Bibliotheken die Archive, die Familienpapiere der großen Geschlechter; ihm stehen Wellington, Guizot, Palmerston, Peel Rede und Antwort, wenn er Aufklärung über einen dunklen Punkt zeitgenössischer Geschichte wünscht; die größesten Männer der Wissenschaft rechnen es sich zur Ehre an, ihm die Belehrungen zuzutragen, deren er bedarf. Fast nur eine äußerliche Schlußdecoration in einem so glücklich durchgeführten Leben ist es, wenn den alternden Mann die Pairs des Reichs, den Todten die berühmten Gräber der Westminster-Abtei in ihrer Mitte aufnehmen.

III.

Macaulay gehörte zu den kenntnißreichsten Leuten unserer Zeit. Seine Belesenheit umfaßte Gebiete, von denen jedes einzelne das Studium eines Menschenlebens in Anspruch nehmen kann. Außer einer genauen Bekanntschaft mit der Litteratur des Alterthums hatte er sich eine ungewöhnliche Kunde selbst der entlegneren Schrifttümer des Mittelalters und der neueren Zeit angeeignet, so weit sie irgend von Interesse für die Erforschung menschlicher Kulturentwickelung sind. Die Litteratur des 18. und des 19. Jahrhunderts vollends überblickte er wie nur wenige. Was England, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Amerika an bemerkenswerthen Werken auf dem Gebiete der Geschichte, der Staatswissenschaften, der Memoiren, der Reisebeschreibungen und Ethnographie, der Kunstwissenschaften, der philosophischen und religiösen Polemik, der Dichtung hervorgebracht hatten, war ihm bekannt, theils hinreichend, um ihm jederzeit eine rasche Orientirung zu ermöglichen, theils so genau, daß er im Stande war, augenblickliche Rechenschaft darüber abzulegen. In Kenntniß der englischen Geschichte stand ihm, was einfache Bekanntschaft mit den Quellen und den Thatsachen anlangt, vielleicht keiner der Mitlebenden gleich. Die Chroniken und die Historiker ganz außer Rechnung gelassen, war das Studium, welches er den Urkunden, den Staatsschriften, den Familienpapieren, den Manuskripten der Bibliotheken, den litterarischen Denkmälern aller und jeder Art, bis zu heraldischen und alchymistischen Raritäten herab, zugewandt hatte, von wahrhaft schwindelerregender Ausdehnung. Die halbverschütteten Ruinen waren ihm ebenso genau bekannt, wie die unversehrten Prachtbauten; die Zinsrollen einer alten Abtei, die Bänkelsängerlieder über irgend eine Cause célèbre des 17. Jahrhunderts, die Stammtafeln verschollener Grafschaftsfamilien unterwarf er ebenso sorgfältig seiner Prüfung, wie die Journale des Hauses der Gemeinen oder die Protokolle des Königlichen Geheimen Rathes. Ein fabelhaftes Gedächtniß kam diesen Studien zu Hülfe und machte sie überhaupt möglich. Daß Macaulay, wie der ältere Scaliger, im Stande war, die Ilias und die Odyssee, von irgend einem beliebigen Verse an, aus dem Kopfe zu recitiren, daß die meisten lateinischen und griechischen Dichter ihm zu steten schlagfertigen Citaten zu Diensten standen, ist das geringste. Er hielt, was er einmal gelesen hatte, so fest, daß er es nie wieder vergaß. Er citirte wörtlich Stellen, oft ganze Seiten aus prosaischen Schriften, an die er vielleicht seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Ohne Vorbereitung vermochte er den genauen Text einer Stelle im Diodorus Siculus oder einer Schilderung der Frau von Staël, einer Betrachtung des heiligen Augustinus oder einer Voltaireschen Diatribe anzuführen. Er brauchte kein Buch nachzuschlagen, um das Sterbejahr irgend eines beliebigen Erzbischofs von Canterbury oder eines Reichskanzlers von England mit Sicherheit angeben zu können. Die chronologische Aufeinanderfolge der kleinsten Begebenheiten im Kriege der beiden Rosen, in der Regierungszeit der Tudors, in den Schicksalen der Stuarts stand so klar vor seinem Gedächtnisse wie die Stellung der 320 Figuren auf den zehn Schachbrettern vor den verbundenen Augen des Herrn Murphy steht.

Das beseelende Interesse, welches diesen unermeßlichen Studien Leben einhaucht, ist einmal eine warme Theilnahme an der Kulturentwickelung zunächst der englischen, dann aber auch der europäischen Menschheit, und zweitens die Freude an der historischen Wiederbelebung des zusammengetragenen Stoffes zu solchen Bildern voll Farbe, Ausdruck und Bewegung, daß sich in ihnen irgend ein wesentliches Moment jener nationalen oder europäischen Entwickelung widerspiegele. Ersteres ist das Interesse des Gelehrten, letzteres das Interesse des Künstlers. Ohne das eine würde ein solcher Reichthum von Stoff nicht zusammengetragen worden sein, ohne das andere würde die Welt von diesem Reichthum wenig zu Gesichte bekommen haben. Macaulay hatte eine künstlerische Phantasie, welche ihn drängte, aus den fragmentarischen Spuren einer Vergangenheit, sei es einer ganzen Periode, sei es einzelner Menschen, sich ein Bild des Ganzen herzustellen, und er hatte eine künstlerische Begabung, welche ihn befähigte, dies Bild, wie es sich in seinem Inneren vollendet hatte, anderen so anschaulich zu machen, als hätte ihre eigene Phantasie es geschaffen. Oder er entdeckte, indem er forschend dem Gange menschlicher Entwickelung folgte, plötzlich ein auffallendes psychologisches Problem, ein Räthsel, das nur dem Tieferblickenden sich löst, und er schickte sofort sich an, aus dem Schatze seines Wissens, seines Nachdenkens alles herbeizuholen, was dazu dienen konnte, auch dem Publikum dies Räthsel klar, dies Problem durchsichtig zu machen. Und hier zeigt seine Kunst sich am größesten. Die subtilsten Fragen werden unter seinen Händen einfach und greifbar, und seine Antworten, nicht minder subtil als die Fragen, werden so kunstvoll beleuchtet, daß jeder Verstand sie begreifen kann. Schlag auf Schlag folgen da die bahnbrechenden Sätze, die fein ausführenden Bemerkungen, die treffenden Gleichnisse, die spannenden Wechselreden zwischen Zweifel und Ueberzeugung. Es ist nicht immer ausgemacht, daß die historischen Bilder, welche so entstehen, eine vollständige Portraitwahrheit haben; es ist nicht ausgemacht, daß in diesen Erörterungen geschichtlicher, philosophischer, litterarischer Probleme jederzeit das letzte erschöpfende Wort gesagt ist, aber man fühlt sich gleichwohl durch die innere Lebenskraft der Schilderung stets im großen und ganzen auf historischem Boden festgehalten, mag auch hie und da die Zeichnung mehr den Künstler als den Portraitmaler, das Colorit hin und wieder mehr den liberalen Whig des 19. Jahrhunderts als den Verwalter des Richteramts der Geschichte verrathen. Man fühlt sich von den Argumenten des Verfassers, wenn auch nicht immer überzeugt, doch allemal gefesselt, weil sie in so vollendeter Gruppirung und Beleuchtung auftreten, allemal angeregt, weil sie stets, auch wo sie das Ziel nicht erreichen oder am Ziele vorbeigehen, scharf und geflügelt einherklirren.

Der berühmte Essay über Machiavelli (Edinburgh Review, März 1827), bietet vielleicht die beste Probe von der Art und Weise, wie Macaulay darstellt und wie er argumentirt. Machiavelli ist ein psychologisches Räthsel, an dessen Lösung sich der Scharfsinn von drei Jahrhunderten versucht hat. Dies Räthsel zu erklären ist die Aufgabe, welche der sechsundzwanzigjährige Reviewer sich setzt. Die erste Bedingung eines guten Essay ist die, den Leser sogleich zu interessiren, ihn festzubannen, daß er zuhören muß, was du ihm zu sagen hast. Was ist ihm an Machiavel und alten florentinischen Geschichten gelegen? Er hat keine Lust, gründliche Untersuchungen über die Moral eines Mannes zu lesen, dessen Leib längst in Asche zerfallen ist und dessen Bücher zwar berühmt, aber unbekannt sind. Macaulay hält ihn mit unwiderstehlichem Griffe fest. Er weiß, daß wir stehen bleiben, wenn jemand uns sagt: »Ich werde sogleich an einem Rasirmesser in die Höhe klettern.« Und er macht es, wie der Taschenspieler, wenn er uns auch unendlich mehr bietet als ein Stück Gaukelei. Er sagt uns zum Eingange, daß er uns beweisen wolle, was unglaublich sei.

»Für jemanden, welcher die Geschichte und die Litteratur Italiens nicht genau kennt, ist es kaum möglich, die berühmte Abhandlung Machiavellis über den Fürsten ohne Grauen und Bestürzung zu lesen. Eine solche Entfaltung von Verruchtheit, nackt und doch ohne Scham, solche kaltblütige, überlegte, gelehrte Grausamkeit scheint mehr einem Teufel als dem entartetsten Menschen anzugehören. Grundsätze, welche der verhärtetste Bösewicht kaum seinem vertrautesten Spießgesellen andeuten, kaum seinen eigenen Gedanken, ohne die Verschleierung irgend eines beschönigenden Sophisma, eingestehen würde, werden ohne die geringste Umschreibung offen ausgesprochen und als das A und O aller Staatsweisheit aufgestellt. Und wir zweifeln, ob in den zahlreichen anderen Bänden, die Machiavelli geschrieben hat, auch nur ein einziger Ausdruck zu finden ist, aus dem man schließen könnte, daß Heuchelei und Verrath ihm unehrenhaft erschienen. Danach mag es lächerlich klingen, wenn wir sagen, daß wir wenig Schriften kennen, die so viel Hoheit des Gefühls, einen so reinen und warmen Eifer für das öffentliche Wohl und eine so richtige Auffassung bürgerlicher Rechte und Pflichten zeigen wie die Schriften Machiavellis. Und doch ist es so.«

Meisterhafter kann nichts sein als diese Captatio lectoris. Meisterhafter nichts, ausgenommen die Grazie und Sicherheit, mit welcher nun die Argumentation an diesem Rasirmesser in die Höhe klettert. Sie beginnt mit einer an Kürze und Deutlichkeit unübertrefflichen Zerlegung der Charakterentwickelung des italienischen Volkes, bis zu der Zeit, wo Machiavel blühte. Es wird skizzirt, wie in Italien, während das ganze übrige Europa unter dem Drucke einer rohen Feudalaristokratie in Elend und Barbarei schmachtete, blühende städtische Republiken emporkommen konnten, die Sitze seiner Kultur, fürstlichen Reichthums, bürgerlicher Unabhängigkeit. Dann erhebt sich der Verfasser zu einer glänzenden Schilderung der mittelalterlichen Größe von Florenz, nicht um ein Prunkstück aufzuführen, sondern weil es für sein Argument von Wichtigkeit ist, daß unsere Phantasie sich recht deutlich ausmale, wie es in Italien damals aussah. Zu diesem Zwecke öffnet die antiquarische Gelehrsamkeit einem Strome goldener Beredsamkeit die Schleusen:

»Johann Villani hat uns einen ausführlichen und genauen Bericht über den Zustand von Florenz im Beginne des 14. Jahrhunderts hinterlassen. Die Einkünfte der Republik beliefen sich auf 300 000 Gulden, – eine Summe, welche, die Entwertung der edlen Metalle in Anschlag gebracht, mindestens 600 000 Pfund Sterling aufwiegt, eine größere Summe als England und Irland vor zwei Jahrhunderten der Königin Elisabeth jährlich einbrachten. Die Verarbeitung der Wolle allein beschäftigte 200 Factoreien und 30 000 Arbeiter. Das jährlich angefertigte Tuch verkaufte sich durchschnittlich zu 1 200 000 Gulden, – eine Summe, die an Tauschwerth 2½ Millionen Pfund unseres Geldes reichlich begleicht. Jährlich wurden 400 000 Gulden geprägt. Achtzig Banken leiteten den Geldverkehr nicht allein von Florenz, sondern von Europa. Die Geschäfte dieser Anstalten erreichten manchmal einen Umfang, der auch die Zeitgenossen der Barings und der Rothschilds wohl in Erstaunen setzen mag. Zwei Häuser liehen Eduard III. von England über 300 000 Mark, zu einer Zeit, wo die Mark mehr Silber als fünfzig Shilling heutigen Werthes enthielt und wo der Werth des Silbers das vierfache dessen war, was er jetzt ist. Die Stadt mit ihren Umgebungen umfaßte 170 000 Einwohner. In den verschiedenen Schulen wurden 10 000 Kinder im Lesen unterrichtet; 1200 studirten Arithmetik, 600 erhielten eine gelehrte Bildung.

»Mit dem Fortschritte der allgemeinen Wohlfahrt hielten elegante Litteratur und schöne Künste gleichen Gang. Unter den despotischen Nachfolgern des Augustus hatten alle Gefilde geistiger Bildung sich in dürre Wüsten verwandelt, noch immer mit förmlichen Grenzlinien abgesteckt, noch immer die Spuren alter Kultur bewahrend, aber weder Blumen tragend noch Früchte. Die Sündfluth der Barbarei kam. Sie fegte alle Landmarken hinweg. Sie verwischte alle Zeichen früheren Anbaus. Aber sie befruchtete, indem sie verwüstete. Als ihre Gewässer sich verliefen, war die Wildniß wie der Garten Gottes, voll Jubels überall, lachend, in die Hände klatschend, in zwangloser Fülle Glanz, Duft und Nahrung ausströmend. Eine neue Sprache, ausgezeichnet durch einfache Lieblichkeit und einfache Energie, hatte ihre Vollendung erreicht. Nie bot eine andere Zunge der Dichtung prachtvollere, lebhaftere Farben dar. Auch währte es nicht lange, bis ein Dichter erschien, der sie zu gebrauchen verstand. Frühe im vierzehnten Jahrhundert entstand die Göttliche Komödie, ohne Vergleich das größeste Werk menschlicher Einbildungskraft, welches seit den Gedichten Homers erschienen war. Das nächstfolgende Menschenalter erzeugte freilich keinen Dante: aber es ragte hervor durch allgemeine geistige Thätigkeit. Das Studium der lateinischen Schriftsteller war in Italien niemals völlig vernachlässigt worden. Aber Petrarca schuf eine tiefere, freiere, feinere Gelehrsamkeit und übertrug auf seine Landsleute jene Begeisterung für die Litteratur, die Geschichte und die Denkmäler Roms, welche sein eigenes Herz mit einer frostigen Geliebten und einer frostigeren Muse theilte. Boccaccio lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die erhabneren und anmuthreicheren Muster von Hellas.

»Wenn wir die glänzenden Schilderungen des damaligen Italiens lesen, können wir uns kaum überreden, daß wir von Zeiten vernehmen, während welcher die Annalen Englands und Frankreichs uns nichts bieten als ein entsetzliches Schauspiel der Armuth, Barbarei und Unwissenheit. Von den Gewaltthaten ungebildeter Herren und dem Elende verkümmerter Bauern wenden wir mit Entzücken uns zu den reichen, aufgeklärten Staaten Italiens, den großen prächtigen Städten, den Häfen, Arsenalen, Villas, Museen, Bibliotheken, – Märkten angefüllt mit allen Gegenständen der Bequemlichkeit und des Genusses, Factoreien wimmelnd von kunstfertigen Arbeitern, den Appenninen, welche bis zur höchsten Spitze reicher Anbau bedeckt, dem Po, welcher die lombardischen Ernten in die Speicher Venedigs hinabträgt und dafür die Seidenstoffe Bengalens und das Pelzwerk Sibiriens den Palästen von Mailand zuführt. Mit besonderer Freude verweilt das Auge auf dem schönen, dem glücklichen, dem glorreichen Florenz, den Hallen, die von dem Gelächter Pulcis ertönten, der Zelle, wo Politians mitternächtige Lampe schimmerte, den Statuen, an denen das jugendliche Auge Michel Angelos mit dem Fieber wahlverwandter Begeisterung sich weidete, den Gärten, in welchen Lorenzo funkelnde Lieder für den Maientanz der etrurischen Jungfrauen ersann. Ach, die holdselige Stadt! Ach, Geist und Gelehrsamkeit, Genius und Liebe!«

Nicht wahr, es ist ein Bild, wie mit Sonnenlicht getränkt? Aber das Bild bedeutet nichts für sich selber; es steht nur dazu da, um Machiavels geheimnißvolle Doppelnatur enträthseln zu helfen. Wir sind nun hinreichend erfüllt von dem Zauber, der sich über Italiens mittelalterliche Republiken ausbreitet, um das weitere nicht nur zu verstehen, sondern als eigenste Wahrnehmung zu empfinden. In kurzen, einleuchtenden Sätzen weist Macaulay nach, wie überall in der Geschichte das Uebergewicht städtischer Entwickelung die kriegerische Tüchtigkeit und die Lust am Kriege beeinträchtigt, namentlich in einer Zeit, wo die vorwiegende Bedeutung einer schwerbepanzerten Reiterei feldmäßige Brauchbarkeit von steter Uebung und Gewöhnung des Körpers abhängig machte. Diesseits der Alpen hatte der Adel, roh und unwissend, keinen anderen Zeitvertreib als Fehden, Jagd und Waffenspiel; die edlen Geschlechter Norditaliens hatten sich in den Städten niedergelassen, bauten Paläste, pflegten die Künste und trieben Handelsgeschäfte. Daher ward in Norditalien früher als irgendwo die Sitte allgemein, den Krieg geworbenen Söldnern zu überlassen. Und hiermit erreicht der Verfasser den entscheidenden Wendepunkt seines Arguments, den Satz, daß es zwei verschiedene Arten sittlicher Auffassung gebe, eine, welcher die kriegsgewohnten rohen Völker des Nordens huldigen, eine andere, welche in feingebildeten und verweichlichten Gemeinwesen wie Mailand und Florenz sich entwickelt. Der Nachweis selbst läßt sich nicht wohl abkürzen, und ich denke selbst diejenigen, denen der Essay bekannt ist, werden ihn mit Vergnügen noch einmal lesen.

»Wenn der Krieg das Gewerbe einer besonderen Klasse wird, so ist für eine Regierung unter allen Wegen der wenigst gefährliche der, jene Klasse in ein stehendes Heer zu verwandeln. Es ist kaum möglich, daß Menschen ihr Leben in dem Dienste eines Staates hinbringen können, ohne an seiner Größe einen gewissen Antheil zu nehmen. Seine Siege sind ihre Siege. Seine Niederlagen sind ihre Niederlagen. Der Vertrag verliert etwas von seinem geschäftsmäßigen Charakter. Die Dienstleistungen des Soldaten erscheinen als Ausfluß eines patriotischen Eifers, sein Sold als ein Tribut öffentlicher Erkenntlichkeit. Die Macht, welche ihn verwendet, zu verrathen, ja auch nur lässig in ihrem Dienst zu sein, gilt in seinen Augen als das ärgste, ehrloseste Verbrechen.

»Als die Fürsten und Republiken Italiens gemietete Truppen zu verwenden anfingen, hätten sie am weisesten gethan, besondere militärische Corps zu bilden. Unglücklicher Weise geschah dies nicht. Die Kriegssöldner der Halbinsel waren nicht an den Dienst bestimmter Mächte gefesselt, sondern wurden als Gemeingut aller angesehen. Das Verhältniß zwischen dem Staate und seinen Vertheidigern sank zu dem pursten, nacktesten Schacher herab. Der Abenteurer brachte sein Pferd, seine Waffen, seine Stärke und seine Erfahrung an den Markt. Ob der König von Neapel oder der Herzog von Mailand, ob der Papst oder die Signoria von Florenz den Handel abschloß, war ihm vollkommen gleichgültig. Er war für den höchsten Preis und den längsten Termin. War der Feldzug beendigt, für welchen er contrahirt hatte, so hinderten ihn weder Gesetz noch Ehre, auf der Stelle seine Waffen gegen seine bisherigen Herren zu kehren. Der Soldat ward gänzlich von dem Bürger und dem Unterthan geschieden.

»Die natürlichen Folgen blieben nicht aus. Unter der Führung von Leuten, welche weder ihre Beschäftige liebten, noch die Gegenüberstehenden haßten, welche oft durch stärkere Bande an das Heer, das sie bekämpften, als an den Staat, dem sie dienten, geknüpft waren, welche durch die Beendigung des Streits verloren, durch die Verlängerung gewannen, änderte der Krieg seinen Charakter ganz und gar. Jedermann betrat das Schlachtfeld mit dem Bewußtsein, daß er möglicher Weise in wenig Tagen den Sold der Macht, gegen welche er geworben war, annehmen und an der Seite seiner Feinde gegen seine Genossen fechten werde. Die mächtigsten Interessen und die mächtigsten Gefühle trafen zusammen, um die Feindseligkeit derjenigen zu mildern, welche vor Kurzem Waffenbrüder gewesen waren und nächstens Waffenbrüder wieder werden konnten. Das gemeinsame Handwerk war ein Band der Einigung, welches nicht leicht vergessen ward, selbst wenn sie streitenden Parteien dienten. Daher geschah es, daß Operationen von unerhörter Lässigkeit und Unschlüssigkeit, Märsche und Gegenmärsche, Plünderungszüge und Blokaden, unblutige Capitulationen und ebenso unblutige Gefechte beinahe zwei Jahrhunderte hindurch die ganze Kriegsgeschichte Italiens bilden. Mächtige Armeen kämpfen von Morgen bis Abend. Ein großer Sieg ist gewonnen. Tausende von Feinden sind gefangen genommen, und kaum ein Menschenleben wird verloren. Eine regelmäßige Feldschlacht scheint wirklich minder gefährlich gewesen zu sein als ein gewöhnlicher Straßenauflauf.

»Muth war nun nicht länger nothwendig, selbst nicht für militärische Ehre. Die Leute wurden alt in Feldlagern und erwarben höchsten Kriegsruhm, ohne auch nur einmal ernstlicher Gefahr die Stirn zu bieten. Die politischen Folgen sind nur zu wohl bekannt. Der reichste, gebildetste Theil der Welt war wehrlos den Angriffen jedes barbarischen Eindringlings preisgegeben, der Brutalität der Schweizer, der Unverschämtheit Frankreichs und der grimmen Raubgier Arragons. Die sittlichen Wirkungen, welche sich aus diesem Stande der Dinge ergaben, waren noch bemerkenswerther.

»Unter den rohen Völkerschaften welche diesseits der Alpen wohnten, war Tapferkeit unbedingt nothwendig. Ohne sie konnte keiner ausgezeichnet sein, wenige sicher. Feigheit ward daher naturgemäß als der ärgste Schandfleck betrachtet. Bei den verfeinerten Italienern, reich geworden durch Handel, von Gesetzen regiert, leidenschaftlich der Litteratur ergeben, kam alles durch Ueberlegenheit des Geistes zu Stande. Selbst ihre Kriege, friedlicher als der Friede ihrer Nachbarn, erheischten mehr bürgerliche als militärische Tugenden. Während daher in anderen Ländern Muth den Ehrenpunkt bildete, wurde in Italien zum Ehrenpunkte Scharfsinn.

»Aus diesen Prinzipien wurden, auf streng analogem Wege, zwei entgegengesetzte Systeme conventionaler Moral abgeleitet. In den meisten Ländern Europas sind die Laster, welche vorzugsweise schüchternen Charakteren eigen und die natürlichen Vertheidigungsmittel der Schwäche sind, Trug und Heuchelei, von je her die schimpflichsten gewesen. Die Ausschreitungen hochfahrender, kecker Naturen dagegen hat man immer mit Nachsicht, ja mit Achtung behandelt. Die Italiener beurtheilen mit entsprechender Milde solche Verbrechen, welche Selbstbeherschung und Geschick, schnelle Beobachtung, fruchtbare Erfindung und tiefe Kenntniß der menschlichen Natur erfordern.

»Ein Fürst wie unser Heinrich der Fünfte würde der Abgott des Nordens gewesen sein. Die Thorheiten seiner Jugend, die ehrgeizige Selbstsucht seines Mannesalters, die an langsamen Feuern gerösteten Lollards, die auf dem Schlachtfelde niedergemetzelten Gefangenen, das schreckliche Vermächtniß eines grundlosen und hoffnungslosen Krieges an ein Volk, welches gar kein Interesse an dem Ausgange des Kampfes hatte, – alles ist vergessen, außer der Sieg von Agincourt. Franz Sforza dagegen war das Muster eines italienischen Helden. Er machte aus seinen Dienstherren und aus seinen Nebenbuhlern seine Werkzeuge. Er überwältigte zunächst seine offnen Feinde mit Hülfe treuloser Bundesgenossen; er bewaffnete sich dann mit den Spolien seiner Feinde gegen seine Verbündeten. Durch seine unvergleichliche Geschicklichkeit erhob er sich von der abhängigen, precären Stellung eines militärischen Abenteurers auf den ersten Thron Italiens. Einem solchen Manne ward viel vergeben, hohle Freundschaft, ungroßmüthige Feindschaft, gebrochene Treue.

»Wir haben unsere Meinung durch ein Beispiel aus der Geschichte erläutert. Wir wollen der Dichtung ein anderes entlehnen. Othello ermordet sein Weib; er giebt Befehl zu Ermordung seines Lieutenants; er ermordet am Ende sich selber. Gleichwohl verliert er niemals die Achtung und die Theilnahme nordischer Leser. Sein tapferes warmes Herz macht alles gut. Das arglose Vertrauen, mit welchem er auf seinen Rathgeber hört, die Seelenqual, mit welcher er vor dem Gedanken der Schande zurückbebt, der Sturm von Leidenschaft, mit welchem er seine Verbrechen verübt, und die stolze Furchtlosigkeit, mit welcher er sie gesteht, verleihen seinem Charakter ein außerordentliches Interesse. Jago dagegen ist ein Gegenstand allgemeinen Abscheus. Viele meinen, Shakspere habe sich zu einer bei ihm ungewöhnlichen Übertreibung verleiten lassen und ein Ungeheuer gezeichnet, für welches die menschliche Natur keinen Typus darbiete. Wir vermuthen, ein italienisches Publikum im 15. Jahrhundert würde ganz anders gefühlt haben. Othello hätte ihm nichts als Widerwillen und Verachtung eingeflößt. Die Thorheit, womit er den Freundschaftsbetheuerungen eines Mannes vertraut, dessen Beförderung er gehindert hat, die Leichtgläubigkeit, mit welcher er unerwiesene Behauptungen und gewöhnliche Umstände als unwiderlegliche Beweise hinnimmt, die Heftigkeit, mit welcher er die Rechtfertigung zum Schweigen zwingt, bis die Rechtfertigung sein Elend nur verschlimmern kann, – alles das hätte die Zuschauer mit Abscheu und Ekel erfüllt. Jagos Handlungen hätten sie ganz gewiß verurtheilt, aber sie hätten ihn getadelt, wie wir Othello tadeln. In ihre Mißbilligung hätte sich ein gewisser Respect, eine gewisse Theilnahme gemischt. Die Schlagfertigkeit seines Witzes, die Klarheit seines Verstandes, die Geschicklichkeit, mit welcher er fremde Herzen enträthselt und das eigene versteckt, hätten ihm einen gewissen Grad von Achtung gesichert.

»So groß war der Unterschied zwischen den Italienern und ihren Nachbarn. Ein ähnlicher Unterschied bestand zwischen den Griechen des Jahrhunderts vor Christus und ihren Herren, den Römern. Die Sieger, tapfer und entschlossen, treu dem gegebenen Worte, beherscht von religiösen Gefühlen, waren zugleich unwissend, tyrannisch und grausam. Bei dem besiegten Volke waren alle Kunst, Wissenschaft und Litteratur der westlichen Welt. In Poesie, Philosophie, Malerei, Baukunst und Sculptur hatte es keine Nebenbuhler. Seine Sitten waren verfeinert, seine Auffassung scharf, seine Erfindung lebhaft; es war duldsam, liebenswürdig, human, aber alles Muthes und aller Aufrichtigkeit bar. Jeder rohe Centurio mochte sich für seine geistige Inferiorität mit der Bemerkung trösten, daß Wissen und Geschmack nur geeignet scheinen, Männer zu Atheisten, Memmen und Sklaven zu machen. Der Bürger eines italienischen Gemeinwesens war der Grieche der Römerzeit. Wie dieser war er zaghaft und schmiegsam, verstellt und kriechend. Aber wie dieser hatte er auch ein Vaterland, dessen Unabhängigkeit und Wohlfahrt ihm theuer waren. War sein Charakter durch einige niedrige Laster entwürdigt, so war er auf der anderen Seite geadelt durch Gemeingeist und ruhmwürdigen Ehrgeiz.

»Ein Laster, welches von der öffentlichen Meinung gutgeheißen wird, ist lediglich ein Laster. Das Unheil endet in sich selber. Ein Laster, welches die öffentliche Meinung verdammt, erzeugt verderbliche Wirkungen für den ganzen Charakter. Das erstere ist eine örtliche Krankheit, das letztere ein organisches Gift. Wenn die Ehre des Uebelthäters verloren ist, so wirft er allzu oft den ganzen Rest seiner Tugenden in Verzweiflung der Ehre nach. Der hochschottische Edelmann, der vor hundert Jahren von dem erpreßten Schutzgelde seiner Nachbarn lebte, beging das nämliche Verbrechen, für welches Wild unter dem Hurrah von zweimalhunderttausend Londonern gehenkt ward. Gleichwohl ist es ganz unzweifelhaft, daß er ein minder schlechter Mensch war als Wild. Die That für welche Frau Brownrigg am Galgen starb, verschwindet in nichts, wenn man sie mit der des Römers vergleicht, welcher das Publikum auf hundert Paar Gladiatoren tractirte. Und doch würden wir diesem Römer sehr Unrecht thun, wenn wir ihn für ebenso grausam wie Frau Brownrigg halten wollten. Bei uns zu Lande verwirkt ein Weib seine gesellschaftliche Ehre durch dasjenige, was einem Manne nur allzu gewöhnlich als ein Ruhm und schlimmsten Falles als verzeihlicher Fehltritt angerechnet wird. Die Folgen sind allbekannt. Das sittliche Leben eines Weibes wird durch eine einzige Verleugnung der Tugend allzu häufig mehr beschädigt, als das eines Mannes durch zwanzigjährige Liebeshändel.

»Diesen Satz müssen wir auf den vorliegenden Fall anwenden. Ganz gewiß, Verstellung und Lüge brandmarken einen Mann unseres Zeitalters und Landes als durchaus werthlos und verworfen. Aber es folgt nicht im mindesten, daß ein ähnliches Urtheil einem Italiener des Mittelalters gegenüber gerecht sein würde. Im Gegentheil, wir finden sehr häufig diejenigen Fehler, welche wir als sichere Anzeichen eines ganz entarteten Gemüthes zu betrachten gewohnt sind, im Vereine mit großen und guten Eigenschaften, mit Großmuth, mit Wohlwollen, mit Uneigennützigkeit ... Der Charakter des italienischen Staatsmannes scheint auf den ersten Blick eine Sammlung von Widersprüchen, ein Phantom so ungeheuerlich, wie die Pförtnerin der Hölle bei Milton, halb Gottheit, halb Schlange, schön und majestätisch oben, kriechend und giftig unten. Wir sehen einen Mann, dessen Gedanken keine Verbindung mit seinen Worten haben, der nie vor einem Eide Bedenken trägt, wenn er zu verführen sucht, dem es nie an Vorwänden gebricht, wenn er verrathen will. Seine Grausamkeiten entspringen nicht aus der Hitze des Blutes, nicht als dem Taumel schrankenloser Macht, sondern aus tiefer, kalter Ueberlegung. Seine Leidenschaften, wohlgeschulten Truppen gleich, sind ungestüm nach Regeln und vergessen auch im wildesten Stürmen keinen Augenblick die Disciplin, an die sie gewöhnt worden sind. Seine ganze Seele ist mit weitaussehenden, verwickelten Anschlägen der Ehrsucht beschäftigt, aber sein Antlitz und seine Sprache zeigen nur philosophische Ruhe. Haß und Rachsucht fressen ihm ins Herz, aber jeder seiner Blicke ist ein herzliches Lächeln, jede Geberde eine zutrauliche Liebkosung. Nie erweckt er den Argwohn seiner Widersacher durch kleinliche Aufreizungen. Sein Vorhaben enthüllt sich erst, wenn es ausgeführt ist. Seine Stirn ist entrunzelt, seine Rede ist höflich, bis die Wachsamkeit eingeschläfert, bis ein edler Theil bloßgestellt, bis ein sicheres Ziel genommen ist; – dann stößt er zu, zum ersten und zum letzten Mal! Kriegerischen Muth, das Prahlstück des einfältigen Deutschen, des leichtfertigen, schwatzhaften Franzosen, des romantischen und hoffärtigen Spaniers, besitzt er nicht, noch schätzt er ihn. Er meidet die Gefahr, nicht weil er unempfindlich gegen Schande ist, sondern weil in der Gesellschaft, in welcher er lebt, Zaghaftigkeit nicht mehr für Schande gilt. Ein Unrecht offen zu begehen, ist in seinen Augen eben so sündlich wie ein Unrecht im Geheimen zu verüben, und dabei weit weniger vortheilhaft. Das ehrenvollste Mittel ist ihm dasjenige, welches das sicherste, rascheste und stillste ist. Er faßt nicht, wie man sich ein Gewissen daraus machen könne, denjenigen zu betrügen, den zu zerstören man sich kein Gewissen macht. Er würde es für Verrücktheit halten, einem Nebenbuhler offne Fehde anzusagen, wenn man ihn in einer freundschaftlichen Umarmung erdolchen, oder mit einer geweihten Oblate vergiften kann.

»Dieser selbe Mann aber, schwarz von den Lastern, die uns als die scheußlichsten erscheinen, Verräther, Heuchler, Feigling, Meuchelmörder, war keineswegs selbst derjenigen Tugenden bar, die wir gewöhnlich als Zeichen von Charaktergröße betrachten. An bürgerlichem Muthe, an Ausdauer, an Geistesgegenwart standen jene barbarischen Krieger, die im Gefechte und in der Bresche die vordersten waren, tief unter ihm. Selbst die Gefahren, welche er mit beinahe memmenhafter Vorsicht vermied, verwirrten nie sein Beobachtungsvermögen, lähmten nie seine Erfindungsgabe, lockten nie ein Geheimniß von seiner glatten Zunge oder von seiner unerforschlichen Stirn. Obwohl ein gefährlicher Feind, und noch gefährlicher als Helfershelfer, konnte er ein gerechter und wohlthätiger Herscher sein. Bei aller Unehrlichkeit seiner Politik, lag in seinem Verstande eine außerordentliche Ehrlichkeit. Gleichgültig gegen die Wahrheit im Verkehr des Lebens, war er ihr in den Forschungen der Speculation auf das wärmste zugethan. Muthwillige Grausamkeit lag nicht in seiner Natur. Im Gegentheil, wenn kein politischer Zweck auf dem Spiele stand, war seine Gemüthsart sanft und menschlich. Die Reizbarkeit seiner Nerven und die Lebendigkeit seiner Phantasie machten ihn geneigt, mit den Gefühlen anderer zu sympathisiren und an den Barmherzigkeiten und Höflichkeiten des gesellschaftlichen Lebens Freude zu finden. Fortwährend zu Handlungen herniedersteigend, welche scheinbar einen völlig verpesteten Charakter verriethen, besaß er gleichwohl eine feine Empfänglichkeit für natürliche und sittliche Erhabenheit, für jede anmuthige und jede großartige Idee. Die Gewohnheit kleiner Ränke und Heucheleien hätte ihn vielleicht für große allgemeine Anschauungen unfähig gemacht, wenn nicht der seelenerweiternde Einfluß seiner philosophischen Studien der einengenden Richtung entgegengearbeitet hätte. Er hatte das lebhafteste Verständniß für Witz, Beredsamkeit und Poesie. Die schönen Künste zogen Vortheil zugleich aus der Strenge seines Urtheils und aus der Freigebigkeit seiner Gönnerschaft. Die Bildnisse mancher hervorragenden Italiener jener Zeiten stehen in vollem Einklänge mit dieser Schilderung. Ein breites, majestätisches Vorhaupt, die Brauen stark und dunkel, aber nicht finster, Augen, deren stiller voller Blick nichts sagt, aber alles zu merken scheint, die Wangen blaß von Gedanken und sitzender Lebensweise, die Lippen von weiblicher Feinheit, aber zusammengepreßt von mehr als männlicher Entschlossenheit, das alles bezeichnet Männer, zugleich unternehmend und zaghaft, Männer, ebenso geschickt die Pläne anderer zu entdecken wie die eigenen zu verbergen, Männer, welche gewiß furchtbare Feinde und unsichere Bundesgenossen waren, aber Männer zugleich, deren Sinn milde und gelassen war, die eine Weite und Schärfe des Verstandes besaßen, welche sie in einem thätigen wie in einem beschaulichen Leben ausgezeichnet machen und befähigen mußte, sowohl Beherscher als Lehrer der Menschen zu sein.«

Das Argument ist zu Ende. Die Anwendung auf Machiavel ergiebt sich von selbst. Ob die psychologische Erklärung gerade auf diesen einen Mann zutrifft, darüber mag man streiten, daß sie aber in sich eine wundervolle Analyse sei, wird niemand leugnen. Wer nach diesen Erörterungen nicht versteht, was der Verfasser hat sagen wollen, dem ist nicht zu helfen; wer nicht fühlt, daß die Entstehung und die Wirkungen einer conventionellen Moral lichtvoller und zugleich anziehender nicht dargestellt werden können, der ist stumpf für alles, was Vortrefflichkeit des Stiles ausmacht. »Conventionelle Moral« ist ein abstracter Begriff, der Unzähligen undeutlich bleibt; der abstracte Begriff verwandelt sich unter der Hand des großen Schriftstellers in eine handgreifliche geschichtliche Thatsache, die dem gewöhnlichsten Verstande nahe tritt. Ob Machiavel ein Engel oder ein Teufel war, ist Tausenden gleichgültig; aber Tausende folgen der Argumentation des fesselnden Stilisten mit einer Spannung, als ob ein großes dramatisches Problem vor ihren Augen sich auflöse.

Und so ist es mehr oder weniger mit allen Schriften Macaulays. Hierin liegt das große Geheimniß ihrer beispiellosen Popularität. Weitere Beispiele anzuführen, verbietet mir der Raum nicht minder als die Gerechtigkeit gegen den Künstler, der zwar in allen Einzelheiten ausgezeichnet ist, dessen Einzelheiten aber stets den größten Theil ihres Werthes verlieren, wenn man sie ihrem Zusammenhange mit dem Ganzen entzieht. Man kann die Fassung eines Diadems nicht veranschaulichen, wenn man einzelne Juwelen herausbricht.

Vielleicht habe ich in dieser Besprechung unverhältnißmäßig viel Gewicht auf die Form und allzu wenig auf den Inhalt der Macaulayschen Werke gelegt. Aber der Fehler, wenn es ein Fehler ist, hat eine Entschuldigung für sich. Der Inhalt dieser Werke, so belehrend und anregend er sein mag, ist doch nicht dasjenige, worin Macaulays litterarische Individualität wurzelt. Die Ideen welche ihn leiten, sind nicht die seinigen ausschließlich, sondern sie sind die Ideen seiner Partei, die des englischen vornehmen Liberalismus. Religiöse und bürgerliche Freiheit ist seine Losung, wie es die Losung der Fox, der Grey, der Russell war und ist. Er glaubt an die fortschreitende Veredlung des Menschengeschlechts, und er gefällt sich darin, diesen Glauben gegen die Lobredner der Vergangenheit lebhaft zu verfechten. Seine Politik ist die eines wohlwollenden, gerechten Gentleman, der Willkürherrschaft verabscheut, der dem Volke von Herzen alles gute wünscht, der aber großen Werth darauf legt, die Herrschaft den gebildeten Leuten vorbehalten zu sehen. In Sachen der Religion ist er gegen alle und jede Einmischung des Staates. Die Religion soll lediglich Sache des einzelnen sein. Von einem »protestantischen Staate« zu reden erscheint ihm ebenso absurd, als wollte man von einer »protestantischen Kochkunst« sprechen. Wie er persönlich sich zu den Dogmen der Religion verhalte, ist aus seinen Schriften nicht zu ersehen. Er berührt sie beinahe ausschließlich als Gegenstände geschichtlicher und politischer Betrachtung. Ob er selbst glaubt oder zweifelt, verräth er nicht. Er spricht immer mit Ehrfurcht von der Kirche, aber er äußert sich nicht über ein innerliches Verhältniß zu ihr. Die römische Hierarchie hat er in einem seiner glänzendsten Essays mit einer Unbefangenheit gewürdigt, welche beweist, daß seine eignen dogmatischen Ueberzeugungen ihm den Blick für fremde Entwicklungen nicht verdunkelten. Seine Wähler in Edinburgh ließen ihn bei einer Neuwahl durchfallen, weil er ihnen nicht protestantisch bigott genug war, und schickten statt seiner einen frommen Papierfabrikanten ins Parlament. Seinen politischen Freunden erschien er häufig nicht hinlänglich orthodox whigistisch, seinen politischen Gegnern natürlich stets allzu parteiisch für die liberale Seite. Aber seine geschichtlichen Gestalten, mögen sie immerhin manchmal dem Künstler mehr verdanken als dem Historiker, leben, wie er sie malte, in dem Bewußtsein des großen Publikums nicht allein seines Landes.

Macaulay, wie unser Lessing, hat darin seine große Bedeutung, daß er eine Menge der wichtigsten Fragen dem Bewußtsein weiter Kreise nahe brachte, ohne den Anforderungen strenger Wissenschaftlichkeit zu entsagen. Er ist an bahnbrechender Geisteskraft, an schöpferischer Gedankenmacht mit dem Verfasser des »Laokoon« und dem Gegner des Pastors Götz nicht zu vergleichen, aber er hatte auch nicht eine solche Herkulesarbeit zu verrichten, wie sie dem glorreichen Vater der deutschen Prosa oblag. Der Einfluß, welchen Macaulay durch sein Beispiel und seine Erfolge auf die Geschichtschreibung ausgeübt hat, ist ebenso erheblich als zu Tage liegend. Die besten unter den englischen, deutschen und französischen Historikern unserer Tage zeigen in ihrer Darstellung Vorzüge vor ihren Vorgängern, die Macaulay beinahe zu einer unerläßlichen Bedingung dieser Gattung gemacht hat. Indem er das Publikum verwöhnte, zwang er die Schriftsteller, ihm nachzueifern. Aber nicht allein auf die geschichtliche Darstellung, auch auf die geschichtliche Forschung wirkten seine Arbeiten anregend, fördernd und umgestaltend. Das künstlerische Element in ihm, welches immer nach innerer Ganzheit und Allseitigkeit drängte, nöthigte auch die Forschung zu einer entsprechenden Thätigkeit. Damit der Darsteller ein volles lebenathmendes Bild liefern könne, mußte der Historiker vielseitiger in der Herbeischaffung der Materialien werden und manche Gebiete der Vergangenheit aus dem Dunkel hervorziehen, welche die Gelehrten der alten Schule kaum eines Seitenblicks gewürdigt hatten. Den Ehrgeiz der modernen Geschichtschreibung und Geschichtsforschung, daß sie die Vorzeit nicht allein aus ihrem Grabe aufscharre, sondern sie auch wandeln und reden heiße, hat Macaulay zu erwecken und auf fruchtbare Bahnen zu leiten mächtig beigetragen. Das dritte Capitel seiner »Geschichte Englands« hat in dieser Beziehung Epoche gemacht.

Ich habe von dem Dichter Macaulay nicht gesprochen. Nicht deshalb, weil seine Poesien mir der Rede nicht werth erschienen. Sondern deshalb, weil in seinen Prosaischen Schriften allein seine dauernde Bedeutung für die Litteratur der Welt umschlossen liegt. Neben den Essays und der Geschichte Englands und den Parlamentsreden erscheinen die Lays of ancient Rome wie Shaksperes »Lucrezia« und »Adonis« neben Hamlet, Romeo und Othello. Merkwürdig aber sind diese Gedichte Macaulays gleichwohl von einem psychologischen Gesichtspunkte aus. Sie lassen uns den Organismus dieses Geistes ahnen, welcher die Theorie Niebuhrs von der Entstehung der ältesten Geschichte Roms aus Heldenliedern sofort, nachdem er sie in sich aufgenommen hatte, in verkörpernden Beispielen der Phantasie deutlich zu machen strebte. Die Muse der Dichtkunst hat die Verse geschrieben, aber die Muse der Geschichte hat sie dictirt.

Ich will zum Schlusse noch auf eine Eigentümlichkeit Macaulays aufmerksam machen, welche für die Kluft zwischen den englischen Schriftstellern seines Schlages und den Schriftstellern von Profession bezeichnend ist. Macaulay hatte eine Reihe der glänzendsten Reden gehalten, viele Dutzende klassischer Artikel für die Edinburgh Review geschrieben, ohne daß es ihm einfiel, diese Meisterwerke der Vergessenheit zu entreißen und aus den bald vergänglichen Rahmen der Zeitungen und Zeitschriften in den dauerhafteren Gewahrsam einer besonderen Sammlung zu retten. Er brauchte nur einen Wink zu geben, um seiner Nation eines der stattlichsten Denkmäler menschlichen Geistes zu schenken und seinen Ruhm über zwei Welttheile auszubreiten, aber er ließ seine Schätze unbekümmert und sorglos verstauben. Erst als amerikanische Nachdrucker seine Schriften und Reden in schlechten und ungenauen Ausgaben gesammelt herausgaben, trieb ihn der Aerger zu dem, was der Ehrgeiz nicht über ihn vermocht hatte. Die Welt verdankt der gewissenlosen Habgier speculativer Jankees eine Reihe von Bänden, welche vielleicht noch mit Entzücken werden gelesen werden, wenn, um mit einem Citate aus ihnen selbst zu schließen, »wenn irgend ein Reisender aus Neuseeland, inmitten tiefer Einsamkeit, auf einem gebrochnen Bogen der London-Brücke sich einen Platz sucht, um die Ruinen der Paulskirche zu zeichnen.«


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