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VI.

Der nächste Tag verfloß, ohne Nachrichten von Don Andreas zu bringen. Man ging zu allen seinen Freunden. Niemand hatte ihn seit zwei Tagen gesehen.

Die Sache begann unfreundlich zu werden. Man vermuthete irgend eine plötzliche Reise in einer wichtigen Angelegenheit. Die Bedienten, welche durch Don Geronimo befragt wurden, antworteten: ihr junger Herr sei den zweiten Tag zuvor um sechs Uhr Abends ausgegangen, nachdem er wie gewöhnlich gespeist hätte und ohne irgend eine Vorbereitung zu treffen; auch ließe sonst nichts eine Reise vermuthen. Er hatte einen schwarzen Rock, eine gelbe Piquéweste und weiße Beinkleider getragen, wie um nach dem Prado zu gehen.

Don Geronimo, der durch diese Nachrichten sehr verwirrt war, sagte, man müßte das Zimmer des Don Andreas durchsuchen, um zu sehen, ob er nicht irgendwo einen Brief zurückgelassen hätte, der sein Verschwinden erklärte. Man fand bei Andreas kein anderes Papier, als das zur Fabrikation von Cigaretten.

Wie ließ sich nun diese unbegreifliche Abwesenheit erklären?

Durch einen Selbstmord?

Andreas hatte weder Liebeskummer, noch Geldsorgen. Denn er sollte bald Die heirathen, die er liebte und genoß eines vollkommen gesicherten Einkommens von hunderttausend Realen. Wie sollte man sich übrigens auch im Monat Juni im Manzanarez ertränken, ohne in demselben einen Brunnen zu graben?

Durch einen Hinterhalt?

Andreas hatte keine Feinde, oder man wußte wenigstens von keinen. Seine Sanftmuth und seine Mäßigung ließen den Gedanken eines Duells oder eines Streites, in dem er erlegen wäre, verwerfen; überdieß würde dann auch das Ereigniß bekannt geworden sein und man hätte Andreas todt oder lebend nach seiner Wohnung gebracht.

Es lag also in der Sache ein Geheimniß, welches nur die Polizei allein aufklären konnte.

Geronimo glaubte mit der Unbefangenheit rechtschaffener Leute an die Allwissenheit und Unfehlbarkeit der Polizei; er nahm ihre Hülfe in Anspruch.

Die Polizei, welche durch den Alcaden des Stadtviertels vertreten war, setzte ihre Brille auf die Nase, zog ihre Register zu Rathe und fand in denselben, von dem Abend, an welchem Andreas verschwunden war, nichts, was sich auf ihn hätte beziehen können. Die Nacht war durchaus ruhig in der sehr edlen und sehr heldenmüthigen Stadt Madrid gewesen. Ausgenommen einige Einbrüche, einigen Lärm an schlechten Orten, einigen Streitigkeiten zwischen Trunkenbolden in den Cabarets, stand Alles ganz vortrefflich.

»Es hat freilich,« sagte der ernste Beamte, ehe er sein Buch wieder schloß, »einen kleinen Mordversuch in der Gegend des Lavapiezplatzes gegeben.«

»Ach, mein Herr,« entgegnete Geronimo, schon ganz erschreckt, »können Sie mir darüber etwas Näheres sagen?«

»Welche Kleidung trug Don Andreas de Salzedo das letztemal, als er seine Wohnung verließ?« fragte der Polizeibeamte mit dem Wesen ernsten Nachdenkens.

»Einen schwarzen Rock,« erwiederte Geronimo voll Besorgniß.

»Können Sie versichern,« fuhr der Alcade fort, »daß er bestimmt schwarz war und nicht etwa dunkelgrün, oder dunkelbraun? Die Farbe ist sehr wichtig.«

»Er war schwarz; ich bin davon überzeugt, und ich kann das auf meine Ehre versichern. Ja bei Gott und den Menschen, der Rock meines zukünftigen Schwiegersohnes war von dieser ausgezeichneten Farbe – wie meine Tochter Feliciana sagt.«

»Ihre Antworten verrathen eine sehr sorgfältige Erziehung,« fügte der Beamte, wie nebenbei gesprochen, hinzu. »Sie sind also überzeugt, daß der Rock schwarz war?«

»Ja, würdiger Alcade, schwarz; das ist meine Ueberzeugung und Niemand soll mich von derselben abbringen.«

»Das Opfer trug eine runde Jacke, eine sogenannte Marseillaiser Jacke, und von Spaniolfarbe. Streng genommen könnte in der Nacht ein schwarzer Rock für eine jener Jacken gehalten werden,« dachte der Beamte, indem er mit sich selbst zu Rathe zu gehen schien. Don Geronimo, greifen Ihre Erinnerungen so weit, daß Sie sich der Weste entsinnen, welche Don Andreas an jenem Abend trug?«

»Eine gelbe Piquéweste.«

»Der Verwundete hatte eine blaue Weste mit Filigranknöpfen; gelb und blau haben nicht viel Aehnlichkeit mit einander; das stimmt nicht sonderlich überein. Und das Beinkleid?«

»Weiß, mit Fußstegen und über dem Stiefel anschließend. Ich habe diese nähern Angaben von dem Kammerdiener, der Don Andreas an dem verhängnißvollen Tage anzog.«

»Das Protocoll spricht von weiten Beinkleidern von grauem Tuch und weißen Schuhen von Kalbleder. Das ist also nicht unsere Sache. Dies Kleid ist das eines Majo, eines Stutzers aus der Klasse des Volkes, der den bösen Stoß in Folge irgend eines Kampfes zu Ehren einer Donna mit kurzem Rock empfangen haben wird. Ungeachtet des besten Willens von der Welt können wir Don Andreas in diesem Menschen nicht erkennen. Hier ist übrigens das Signal des Verwundeten, wie es der Serenno mit vieler Genauigkeit aufnahm: Länglich-rundes Gesicht, rundes Kinn, gewöhnliche Stirn, mittlere Nase, keine besonderen Kennzeichen. Erkennen Sie Don Salzedo in diesem Bilde?«

»Nicht im Geringsten,« erwiederte mit voller Ueberzeugung Don Geronimo. – Aber wie sollen wir die Spur des Don Andreas auffinden?«

»Beunruhigen Sie sich deßhalb nicht; die Polizei wacht über die Bürger; sie hört Alles, sie sieht Alles, sie ist überall, nichts entgeht ihr; Argus hatte nur hundert Augen, die Polizei hat tausend. Und diese lassen sich durch keine Flöte einschläfern. Wir werden Don Andreas wiederfinden, sollte er auch im Abgrunde der Hölle sein. Ich werde zwei Beamte aussenden, die feinsten Spürnasen, die es jemals gab, Argamasilla und Covachuelo und binnen 24 Stunden werden wir wissen, woran wir uns zu halten haben.«

Don Geronimo dankte, grüßte und entfernte sich voll Vertrauen. Er kehrte nach Hause zurück und theilte das Gespräch, welches er mit der Polizei gehabt hatte, seiner Tochter mit, die nicht einen Augenblick auf den Gedanken kam, daß der verwundete Manolo der Straße del Povar ihr Verlobter sein könnte.

Feliciana beweinte den Verlust ihres Novio mit der Zurückhaltung einer wohlerzogenen Dame; denn es wäre unanständig für ein junges Mädchen, einen Mann zu lebhaft zu beklagen. Von Zeit zu Zeit drückte sie ihr mit Spitzen besetztes Taschentuch an die Augen, um eine Thräne zu trocknen, die mühsam in ihrem Augenwinkel zusammenlief.

Die aufgegebenen Duette ruhten melancholisch auf dem geschlossenen Piano; ein Zeichen großer moralischer Niedergeschlagenheit bei Feliciana. Don Geronimo wartete mit Ungeduld auf den Verlauf der vierundzwanzig Stunden, um den triumphirenden Rapport von Cavachuelo und Argamasilla zu erfahren.

Die beiden geistreichen Polizeimänner gingen zunächst nach dem Hause des Don Andreas und brachten geschickt die Diener dahin, über die Gewohnheiten ihres Herren zu plaudern.

Sie erfuhren, daß Don Andreas Morgens Chocolade trank, Mittags die Siesta hielt, sich um drei Uhr ankleidete, zu Donna Feliciana Vasquez de los Rios ging, um sechs Uhr zu Mittag speiste und gegen Mitternacht nach Hause kam, um sich schlafen zu legen, nachdem er die Promenade oder das Schauspiel besucht hatte, und das Alles gab den beiden Policisten reichen Stoff zum Nachdenken. Sie erfuhren auch, daß Don Andreas, als er sein Haus verließ, die Straße Alcala bis zu der Straße Peligros hinabgegangen sei. Diese wichtige Angabe machte ihnen ein asturischer Lastträger, der gewöhnlich an der Thür stand. Sie begaben sich nach der Straße Peligros und entdeckten hier, daß Andreas in der That den zweiten Tag zuvor um sechs Uhr und einige Minuten durch dieselbe gegangen war; es sprach viel für die Annahme, daß er von hier seinen Weg durch die Straße de la Cruz fortgesetzt haben könnte.

Als dieses wichtige Resultat erlangt war, traten die beiden Polizeimänner, ermüdet durch die gewaltige Anstrengung, die es ihnen verursacht hatte, so viel zu erfahren, in eine Eremitage, (so nennt man die Cabarets in Madrid) und unterhielten sich hier, indem sie eine Flasche Manzanillawein leerten, mit Kartenspiel. Die Partie dauerte bis zum Morgen.

Nach einem kurzen Schlafe nahmen sie ihre Nachforschungen wieder auf und es gelang ihnen, Andreas bis in die Gegend des Rastro zu folgen; hier verloren sie seine Spur. Niemand konnte ihnen Auskunft über einen jungen Mann im schwarzen Rock, gelber Weste und weißen Beinkleidern geben. Gänzliche Verdunstung! Alle hatten ihn gehen, Niemand zurückkehren sehen. – Sie wußten nicht, was sie davon denken sollten. Andreas konnte indeß doch nicht am hellen lichten Tage in einem der volkreichsten Theile von Madrid escamotirt worden sein; es müßte sich denn eine geheime Thür unter seinen Füßen geöffnet und sogleich wieder geschlossen haben, und es gab durchaus kein Mittel, dieses Verschwinden einer Person zu erklären.

Sie irrten lange in der Umgegend des Rastro umher, befragten einige Trödler und konnten weiter Nichts erfahren. Sie wendeten sich selbst an die Bude, in welcher Andreas sich umgezogen hatte; aber es war die Frau, welche sie empfing, und es war der Mann gewesen, der die Kleider verkauft hatte; sie konnte ihnen daher keine Weisung ertheilen und begriff überhaupt nichts von den zweideutigen Fragen, die an sie gerichtet wurden. Nach ihrem Aussehen hielt sie die Polizisten für Spitzbuben, obgleich sie gerade das Gegentheil waren, und schlug ihnen ziemlich mürrisch die Thür vor der Nase zu, nachdem sie sich sorgfältig umgesehen hatte, ob ihr auch nichts von ihren Sachen fehlte.

Dies war das Resultat des Tages. Don Geronimo kehrte zur Polizei zurück, welche ihm ernsthaft mittheilte, man wäre auf der Spur der Schuldigen. Allein man dürfte durch zu große Uebereilung nichts gefährden. Von Bewunderung erfüllt, wiederholte der ehrliche Geronimo die Antwort der Polizei seiner Tochter Feliciana, welche die Augen zum Himmel erhob, einen Seufzer ausstieß und nicht glaubte, sich eine zu kräftige Aeußerung zu gestatten, indem sie sagte: »Armer Andreas!«

Ein eigenthümliches Ereigniß verwickelte die finstere Geschichte noch mehr; ein junger Bursche von ungefähr fünfzehn Jahren hatte in dem Hause des Don Andreas ein ziemlich großes Päckchen abgegeben und sich dann rasch entfernt, indem er rief: »Zur Uebergabe an Don Salcedo.«

Diese scheinbar so einfachen Worte erschienen wie ein höllischer Spott, als man das Paquet öffnete. Es enthielt – man errathe, was? – den schwarzen Ueberrock, die gelbe Weste und die weißen Beinkleider des unglücklichen Don Andreas, sowie dessen schöne glanzlederne Stiefel mit den rothen Maroquinschäften. Man hatte den Spott so weit getrieben, seine Pariser Handschuhe sorgfältig in einander zu rollen. Diese auffallende und beispiellose Thatsache in den Annalen des Verbrechens machte Argamasilla und Covachuelo ganz verdutzt; der Eine erhob den Arm zum Himmel, der Andere ließ ihn an seinen Hüften matt herabhängen, und der Erste rief: » O tempora!« – der Zweite aber: » O mores!«

Man wundere sich nicht darüber, zwei Alguazils lateinisch sprechen zu hören: Argamasilla hatte Theologie studirt und Covachuelo Jura; aber Beide hatten Unglück gehabt. Wer hat keines?

Die Kleider des Opfers nach seiner Wohnung zu schicken, sorgfältig zusammengelegt und gebunden, war das nicht ein Beweis seltener Verderbtheit? Den Hohn noch dem Verbrechen hinzuzufügen, welch einen schönen Text bot das für die Rede des Fiscals!

Indeß machte die Besichtigung der überbrachten Kleider die würdigen Agenten der Polizei noch verwirrter.

Das Tuch des Ueberrockes war vollkommen unverletzt; kein dreieckiges oder rundes Loch, welches von einer Klinge oder einer Kugel hätte herrühren können, zeigte sich daran. Vielleicht war das Opfer erstickt worden. Dann mußte ein Kampf stattgefunden haben; die Weste und die Beinkleider würden dann nicht so frisch gewesen sein; sie wären zerdrückt, beschmuzt, vielleicht zerrissen gewesen; denn man konnte nicht annehmen, daß Don Andreas de Salcedo sich selbst vorsichtig vor der Vollbringung des Verbrechens entkleidet und ganz nackt den Dolchen der Mörder überliefert hatte, um seine Kleider zu schonen; das wäre kleinlich gewesen! Es war in der That um stärkere Köpfe, als die von Argamasilla und Covachuelo, gegen die Mauer zu rennen.

Covachuelo, welcher der beste Logiker von Beiden war, hielt sich eine Viertelstunde lang die Schläfe mit beiden Händen, um zu verhindern, daß sein scharfes Nachdenken seine glorreiche Stirne sprengte; dann ließ er den triumphirenden Gedanken los:

»Wenn Don Andreas de Salcedo nicht todt ist, so muß er noch leben. Denn dies sind die beiden Arten, auf welche der Mensch existirt; eine dritte kenne ich nicht.«

Argamasilla gab mit dem Kopfe ein Zeichen der Zustimmung.

»Wenn er lebt, wovon ich überzeugt bin, wird er nicht ohne Kleider herumgehen, More ferarum. Er hatte kein Päckchen bei sich, als er ausging, und da dies seine Kleider sind, muß er nothwendigerweise andere gekauft haben. Denn es läßt sich bei der vorgerückten Civilisation nicht annehmen, daß ein Mensch sich mit dem adamitischen Gewande begnügt.«

Die Augen traten Argamasilla aus dem Kopfe, mit so großer Aufmerksamkeit hörte er das weise Urtheil seines Freundes Covachuelo an-

»Ich glaube nicht, daß Don Andreas im Voraus die Kleider machen ließ, deren er sich später in einem Hause des Stadtviertels, in welchem wir seine Spur verloren, bediente; er muß also getragene Kleider bei irgend einem Trödler gekauft haben, nachdem er seinen eigenen Anzug zurückgeschickt hatte.«

»Du bist ein Genie, ein Gott,« sagte Argamasilla, indem er Covachuelo an sein Herz schloß; »erlaube mir, Dich zu umarmen; von diesem Tage an bin ich nicht mehr Dein Freund, sondern Dein Seïde, Dein Hund, Dein Mameluck. Verfüge über mich, großer Mann. Ich werde Dir in Allem folgen. Ha, wenn die Regierung gerecht wäre, so müßtest Du statt eines einfachen Polizeiagenten politischer Chef in einer der wichtigsten Städte des Königreichs sein. Aber die Regierungen sind niemals gerecht!«

»Wir wollen alle Läden der Trödler und der Kleiderhändler in der ganzen Stadt durchsuchen; wir prüfen ihre Verkaufsregister und erfahren auf diese Weise das neue Signalement des Don Salcedo. Wenn der Portier den klugen Gedanken gehabt hätte, den Burschen zu verhaften, oder verhaften zu lassen, der das Packet überbrachte, so würden wir durch ihn erfahren haben, wer ihn schickte und von wo er kam. Aber die Leute, die nicht zu der Polizei gehören, denken an Nichts, und Niemand konnte diesen Umstand voraussehen. Auf, Argamasilla, Du wirst bei den Schneidern von Calle-Mayor nachsuchen; ich bringe die Trödler des Rastro zur Beichte.«

Nach Verlauf einiger Stunden erstatteten die beiden Freunde dem Alcaden ihren Rapport.

Argamasilla erzählte umständlich und genau die Resultate seiner Nachforschungen. Ein Individuum, welches als Mayo gekleidet war und sehr gereizt aussah, hatte, ohne irgend eine Bemerkung über den Preis (das Zeichen einer großen moralischen Unruhe), einen schwarzen Frack mit Pantalons bei einem der ersten Schneider unter den Säulenhallen der Calle-Mayor gekauft und baar bezahlt.

Covachuelo berichtete, daß ein Trödler des Rastro die Jacke, die Weste und den Gürtel eines Manolo an einen Mann mit schwarzem Rock und weißen Beinkleidern verkauft hätte, der, aller Wahrscheinlichkeit nach, Niemand anderes gewesen wäre, als Don Andreas de Salcedo in eigener Person.

Beide Männer hatten sich in dem Gewölbe umgekleidet, und waren in ihrem neuen Anzuge fortgegangen, welcher in Betracht der Klasse, der sie augenscheinlich angehörten, als eine Verkleidung betrachtet werden mußte. In welcher Absicht konnte an demselben Tage und beinahe zu derselben Stunde ein junger Mann der höhern Stände die Jacke eines Mayo, und ein Mayo den Frack eines Mannes der höhern Stände angelegt haben?

Das vermochten die schwachen Mittel so untergeordneter Beamten, wie der arme Argamasilla und der nicht minder arme Covachuelo, nicht zu entscheiden, aber der Scharfsinn des höhern Beamten, zu dem zu sprechen sie die Ehre hatten, mußte das Unfehlbare ermitteln.

Was sie betrifft, so dachten sie in Ermangelung einer besseren Ansicht, daß dieses geheimnißvolle Verschwinden, dieses eigenthümliche Zusammentreffen auffallender Verkleidungen, jene Art von Herausforderung durch zurückgeschickte Kleider, kurz alle diese Dinge von unerklärlicher Eigenthümlichkeit, mit einer großen Verschwörung zusammenhängen müßten, die zum Zweck hätte, Espartero oder den Grafen von Montemolin auf den Thron zu setzen. In diesen ihnen nicht gewöhnlichen Kleidern waren die Strafbaren ohne Zweifel aufgebrochen, um in Aragonien oder Catalonien zu irgend einer carlistischen Verbindung oder irgend einem Rest der Guerilla zu stoßen, der sich wieder zu organisiren beabsichtigte. Spanien tanzt auf einem Vulcane, aber wenn man ihnen eine Gratification gewähren wollte, so würden sie Beide, Argamasilla und Covachuelo, es übernehmen, den Vulcan auszulöschen, die Strafbaren zu hindern, zu ihren Mitschuldigen zu gelangen, und sie gaben dabei das Versprechen, binnen acht Tagen die Liste der Verschworenen und die Pläne des Complotts auszuliefern.

Der Alcade hörte diesen bemerkenswerthen Rapport mit der ganzen Aufmerksamkeit an, die er verdiente, und sagte dann zu den beiden Agenten: »Haben Sie Nachrichten über die Schritte, welche diese beiden Individuen nach ihrer Verkleidung unternahmen?«

»Der als Weltmann gekleidete Mayo ist in den Salon des Prado gegangen, in das Theater del Circo eingetreten und hat in dem Caffee der Börse ein Gefrorenes gegessen,« erwiederte Argamasilla.

»Der als Mayo gekleidete Weltmann ist mehrmals über den Lavapiezplatz gegangen, hat die anstoßenden Straßen durchstreift und mit der Lorgnette nach den Manolas an den Fenstern gesehen; dann hat er eine gefrorene Limonade in einer Orchateria de Churfas zu sich genommen,« sagte Covachuelo aus.

»Jeder hat den Charakter seiner Kleidung angenommen, mit einer tiefen Verstellungskunst, mit einer höllischen Gewandheit,« sagte der Alcade; »der Eine wollte sich populär machen und die Gesinnungen der niederen Klassen erforschen; der Andere wollte die höheren Stände von der Sympathie und der Mitwirkung des Volkes versichern. Aber wir sind noch da und wachen! Wir werden Euch mit der Hand in der Tasche fassen, ihr Herren Verschwörer, Carlisten oder Ayacuchos, Progressisten oder Retardalisten. Ha! ha! ha! Argus hatte hundert Augen, aber die Polizei hat tausend, die nicht schlafen.«

Dieser Spruch war der Endsatz des würdigen Mannes, sein Dada, sein Lilla Burrello. Er fand mit gutem Grund, daß er auf eine majestätische Weise eine Idee vertrat, wenn es ihm an einer solchen mangelte.

»Argamasilla und Covachuelo, Ihr sollt Eure Gratificationen haben. Aber wisset Ihr nicht, was aus Euern beiden Verbrechern (denn das sind sie) geworden ist, nachdem sie zu ihren verderblichen Plänen so hin und her gingen?«

»Das wissen wir nicht, denn es wurde schon dunkel, und da wir über diese äußeren Schritte und Gänge nur Augenzeugen vernahmen, haben wir ihre Spur von Mitternacht an verloren.«

»Der Teufel, das ist ärgerlich!« entgegnete der Alcade.

»Oh, wir werden sie wiederfinden!« riefen die beiden Freunde voll Enthusiasmus.

Don Geronimo fragte im Laufe des Tages wieder nach, ob es etwas Neues gäbe.

Der Beamte empfing ihn ziemlich trocken, und da Don Geronimo Vasquez sich in Entschuldigungen erschöpfte und um Verzeihung bat, lästig gewesen zu sein, sagte er zu ihm:

»Sie sollten sich nicht so offen für Don Andreas de Salcedo interessiren; er ist in eine umfassende Verschwörung verwickelt, deren Fäden aufzufinden wir auf dem Punkte stehen.«

»Andreas ein Verschwörer!« rief Don Geronimo aus. »Er!«

»Er!« wiederholte mit gebieterischem Ton der Polizeibeamte.

»Ein so sanfter, so ruhiger, so heiterer, so harmloser Mensch!«

»Er erheuchelte die Sanftmuth, wie Brutus den Blödsinn; das war ein Mittel, sein Spiel zu verbergen und die Aufmerksamkeit abzuwenden. Wir kennen das, wir alten Füchse. Was ihm Bestes geschehen könnte, wäre, daß man ihn nicht wiederfände. Wünschen Sie ihm das!«

Der arme Geronimo zog sich sehr betrübt zurück und sehr beschämt über seinen geringen Scharfsinn. Er, der Andreas seit seiner Kindheit kannte und ihn ganz klein auf seinen Knieen geschaukelt hatte, er zweifelte nicht im Geringsten daran, daß er in sein Haus einen Verschwörer der gefährlichsten Art aufgenommen hatte. Er bewunderte voll Schreck den entsetzlichen Scharfsinn der Polizei, welche in so kurzer Zeit ein Geheimniß entdeckte, das er selbst nie ahnete, er, der doch gleichwohl alle Tage den Verbrecher sah und der denselben so ganz verkannte, daß er ihn zu seinen Schwiegersohn machen wollte.

Das Staunen Feliciana's erreichte den höchsten Gipfel, als sie erfuhr, daß das Oberhaupt einer carlistischen weit verzweigten Verschwörung ihr mit solchem Eifer den Hof gemacht hatte. Welche Seelenstärke mußte Don Andreas besitzen, um von seinen wichtigen politischen Plänen Nichts durchblicken zu lassen, um mit solcher Ruhe die Duette Bellini's zu singen. Da traue man noch dem gesetzten Wesen, der stillen Miene, den heiteren Augen, dem lächelnden Munde. Wer hätte gesagt, daß Don Andreas, der nur für die Stierkämpfe in Feuer gerieth und keine andere Meinung zu haben schien, als daß er Sevilla dem Rodriguez, Chiclanero dem Arjona vorzog, so umfassende Gedanken unter dieser scheinbaren Frivolität verbarg.

Die beiden Polizisten überließen sich neuen Nachforschungen und entdeckten, daß der junge verwundete und von Militona aufgenommene Mann derselbe sei, der die Kleider in dem Rastro gekauft hatte. Die Aussagen des Sereno und die des Trödlers stimmten vollkommen überein. Chokoladefarbige Jacke, blaue Weste, rother Gürtel – dabei konnte man sich nicht täuschen.

Dieser Umstand störte ein Wenig die Hoffnungen Argamasilla's und Covachuelo's in Beziehung auf die Verschwörung. Das Verschwinden Don Andreas wäre ihnen bequemer gewesen. Die Sache schien sich auf eine einfache Liebesintrigue beschränken zu wollen, auf einen unschuldigen Streit, zwischen Nebenbuhlern, auf einfachen und gewöhnlichen Mord, das Unbedeutendste, was es auf der Welt geben kann. Die Nachbarn hatten die Serenade gehört und Alles erklärte sich daher.

Cavachuelo sagte seufzend:

»Ich habe doch auch nie Glück!«

Argamasilla entgegnete mit kläglichem Ton:

»Ich bin unter einem schlimmen Stern geboren!«

Arme Freunde! Eine Verschwörung zu wittern und Nichts zu finden, als einen boshaften kleinen Streit, dem Nichts folgte, als eine ernste Verwundung! Das war betrübend.

Kehren wir zu Juancho zurück, den wir seit seinem Messerkampfe gegen Andreas verloren haben. Eine Stunde später war er mit verstohlenen Schritten auf den Schauplatz zurückgekehrt und zu seiner großen Ueberraschung hatte er die Leiche nicht an der Stelle gefunden, an welcher er seinen Gegner fallen sah. Hatte dieser sich emporgerafft und in dem Todeskampfe weitergeschleppt? War er von den Serenos aufgehoben worden? Das konnte er nicht wissen. Sollte er selbst, Juancho, bleiben oder fliehen? Seine Flucht würde ihn angeklagt haben und überdies war ihm der Gedanke, sich von Militona zu entfernen und dieser die Freiheit zu lassen, nach ihrer Laune zu handeln, bei seiner Eifersucht unerträglich. Die Nacht war finster, die Straße öde, Niemand hatte ihn gesehen. Wer konnte ihn anklagen?

Indeß hatte der Kampf so lange gedauert, daß sein Gegner ihn erkannt haben mußte (denn die Toreros sind gleich den Schauspielern bekannte Gesichter), und wenn der Streich ihn nicht getödtet hatte, wie er dies annehmen konnte, so war er vielleicht angeklagt worden. Juancho, der mit der Polizei wegen seiner Messerstöße nicht sehr gut stand, lief Gefahr, wenn er ergriffen würde, einige Sommer auf den spanischen Besitzungen in Afrika, in Ceuta oder Melilla, zuzubringen.

Er ging daher nach Hause zurück, holte sein Pferd von Cordova aus dem Stall, warf ihm eine bunte Decke über den Rücken und sprengte im Galopp davon.

Hätte ein Maler diesen kräftigen Reiter des großen schwarzen Pferdes mit den fliegenden Mähnen und flatterndem Schweif durch die Straßen sprengen sehen, wie es dem ungleichen Pflaster sprühende Funken entlockte und wie es auf die weißen Mauern seinen finsteren Schatten warf, so hätte er ein Bild von der mächtigsten Wirkung danach malen können; denn dieser lärmende Galopp durch die schweigenden Straßen, diese Hast in der friedlichen Nacht, waren ein ganzes Drama; die Maler schliefen indeß.

Juancho erreichte bald die Straße von Caravanchel, ritt über die Brücke von Segovia und jagte hinab in die finstere und schweigende Ebene.

Schon war er über vier Stunden von Madrid entfernt, als der Gedanke an Militona so lebhaft in ihm erwachte, daß er sich unfähig fühlte, weiter zu reiten. Er glaubte, sein Stoß wäre nicht tödtlich gewesen und sein Nebenbuhler hätte nur eine leichte Wunde davongetragen; er dachte sich ihn geheilt zu den Füßen der lächelnden Militona.

Kalter Schweiß badete seine Stirn; seine Zähne preßten sich so ineinander, daß er sie nicht zu öffnen vermochte; seine Kniee drückten sich krampfhaft so gewaltig an die Seite seines Pferdes, daß dem edlen Thiere der Athem ausging und es stehen blieb. Juancho litt, als hätte man ihm glühend heiße Nadeln in das Herz gestoßen.

Er wandte sein Pferd und ritt wie ein Sturmwind wieder der Stadt entgegen. Als er sie erreichte, war sein schwarzes Pferd weiß von Schaum. Es schlug eben drei Uhr Morgens; Juancho eilte nach der Straße del Povar. Die Lampe Militona's brannte noch; ein keuscher, zitternder Stern. Der Torero versuchte es, die Hausthür zu sprengen, aber seiner ungeheuren Kraft ungeachtet, gelang es ihm nicht. Militona hatte im Innern sorgfältig die Eisenstange vorgelegt. Juancho ging nach Hause, erschöpft und so unglücklich, um Mitleid einzuflößen und in der fürchterlichsten Ungewißheit; denn er hatte zwei Schatten auf dem Fenstervorhang Militona's gesehen.

Sollte er sich etwa in seinem Opfer getäuscht haben?

Als es heller Tag war, lauschte der Torero, in seinen Mantel gehüllt und den Hut über die Augen gezogen, auf die verschiedenen Gerüchte, die in der Nachbarschaft über das nächtliche Ereigniß im Umlaufe waren; er erfuhr, daß der junge Mann nicht todt sei, und daß er, da er nicht fortgeschafft werden konnte, in dem Zimmer Militona's läge, die ihn aufgenommen hätte, eine Handlung der Barmherzigkeit, wegen welcher die Klatschgevattern des Stadtviertels sie sehr lobten.

Seiner Kraft ungeachtet fühlte er seine Kniee brechen und mußte sich an eine Mauer stützen: Sein Nebenbuhler in dem Zimmer, auf dem Bette Militona's! Der neunte Kreis der Hölle hätte für ihn keine entsetzlichere Marter erfinden können.

Einen gewaltigen Entschluß fassend, trat er in das Haus und ging mit schwerfälligem Schritt die Treppe hinauf.


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