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V.

Juancho hatte sich bei der Stimme des Nachtwächters entfernt, ohne sich zu überzeugen, ob Andreas todt sei oder nur verwundet. Er glaubte ihn getödtet zu haben, so sicher hielt er sich seines Stoßes. Der Kampf war ehrlich gewesen und er fühlte keine Reue. Die finstere Freude, sich seines Nebenbuhlers entledigt zu haben, beherrschte bei ihm jede andere Rücksicht.

Die Besorgniß Militona's während dieses Kampfes, dessen dumpfer Lärm sie an das Fenster gelockt hatte, läßt sich nicht beschreiben; sie wollte schreien, aber ihre Zunge klebte am Gaumen; der Schreck schnürte ihr die Gurgel mit eiserner Hand zu; taumelnd, außer sich, halb wahnsinnig, eilte sie die Treppe hinab, oder ließ sich vielmehr wie einen leblosen Körper hinabgleiten. Sie kam unten in eben dem Augenblicke an, als Andreas fiel und die Thür durch seinen Körper aufsprengte.

Zum Glück sah Juancho nicht die Bewegung voll Verzweiflung und Leidenschaft, mit welcher das junge Mädchen sich über Andreas warf, denn statt eines Mordes würde er sonst zwei begangen haben.

Sie legte die Hände auf Don Andreas Herz und glaubte dessen leise Schläge zu fühlen; der Sereno ging vorüber und wiederholte seinen eintönigen Ruf; Militona rief ihn zu ihrem Beistand. Der rechtschaffene Gallego eilte herbei, hielt seine Laterne über das Gesicht des Verwundeten und sagte: »Ei sieh, das ist der junge Mann, dem ich meine Laterne borgte, um einen Brief zu lesen!« – Dann bückte er sich, um zu sehen, ob er todt oder lebend sei.

Der Sereno, der ein sehr charakteristisches Gesicht hatte, scharfe, aber gutmüthige Züge; das junge Mädchen, welches wachsbleich war und dessen schwarze Augenbrauen ihre tödtliche Blässe noch mehr hervorhoben; der leblose Körper, dessen Kopf sie auf ihren Knien hielt, bildeten eine Gruppe, welche den Pinsel eines Rembrandt hätte reizen können. Das gelbliche Licht der Laterne beschien auf eigenthümliche Weise die drei Gestalten und bildete im Mittelpunkt des Auftrittes jenen hellen Punkt, den der holländische Maler auf seinen finstern Gemälden glänzen zu lassen liebte. Vielleicht aber wäre ein reinerer und gewandterer Pinsel, wie der seinige, nöthig gewesen, um die seltene Schönheit Militona's wiederzugeben, die einer Bildsäule des Schmerzes, kniend neben einem Grabe, glich.

»Er athmet,« sagte der Sereno nach einigen Augenblicken der Prüfung; »sehen wir nach seiner Wunde.« Damit öffnete er die Kleider Andreas', der noch immer ohnmächtig war. »Ha, ein schöner Stoß,« rief er mit einer Art bewundernden Staunens; »von unten nach oben geführt, nach allen Regeln; das ist gut gearbeitet. Täusche ich mich nicht, so ist dies das Werk eines sevillanischen Helden. Ich verstehe mich auf Messerstöße; ich habe so viele gesehen! Aber was machen wir nun mit dem jungen Menschen? Er kann nicht fortgeschafft werden und wohin sollten wir ihn auch bringen? Er kann uns seine Adresse nicht geben.«

»Tragen wir ihn zu mir hinauf,« sagte Militona; »da ich die Erste war, ihm beizustehen – gehört er mir.«

Der Sereno rief durch den Sammelschrei einen seiner Genossen zu Hülfe und Beide stiegen vorsichtig die steile Treppe hinauf. Militona folgte ihnen, den Körper mit ihren kleinen Händen stützend, und versuchte dabei dem armen Verwundeten, der sanft auf ihr jungfräuliches Bett gelegt wurde, jeden Stoß zu ersparen.

Einer der Serenos holte einen Wundarzt und während Militona etwas Leinen zerriß, um Verbände und Charpie zu machen, betastete der andere Andreas Taschen, um zu sehen, ob sich darin nicht irgend eine Karte oder ein Brief fände, der dessen Persönlichkeit feststellte. Er fand Nichts. Das Stückchen Papier, auf welchem Militona Andreas von der ihm drohenden Gefahr unterrichtete, war während des Kampfes aus seiner Tasche gefallen und der Wind hatte es weit fortgetragen; so konnte also, bis der Verwundete zum Leben zurückkehrte, kein Anzeichen die Polizei auf den richtigen Weg bringen.

Militona erzählte, sie hätte den Lärm eines Streites vernommen und dann den Menschen fallen hören; weiter sagte sie Nichts. Obgleich sie Juancho nicht liebte, hätte sie ihn doch nicht wegen eines Verbrechens angezeigt, dessen unwillkürliche Ursache sie selbst war. Die Gewaltthaten des Torero erschreckten sie zwar, bewiesen aber doch eine grenzenlose Leidenschaft und selbst, wenn man eine solche nicht theilt, fühlt man sich ins Geheim immer dadurch geschmeichelt, sie einzuflößen.

Endlich kam der Wundarzt; er untersuchte die Wunde und fand sie nicht sehr ernst; die Klinge war an einer Rippe abgeglitten. Die Gewalt des Stoßes, vereint mit dem Fall und dem Blutverlust, hatten Andreas betäubt und er kehrte zum Leben zurück, sobald die Sonde die Wundränder berührte. Das Erste, was er bemerkte, indem er die Augen öffnete, war Militona, die dem Chirurg einen Verband reichte. Die Tia Aldonza, die auf den Lärm herbeigeeilt war, stand an der andern Seite des Lagers und murmelte mit leiser Stimme Aeußerungen des Mitleids.

Nachdem der Wundarzt seinen Verband beendigt hatte, ging er, indem er versprach, am nächsten Tag wiederzukommen.

Andreas, dessen Gedanken klar zu werden begannen, ließ seinen noch unsichern Blick rings umherschweifen, erstaunt, sich in diesem weißen Zimmer, auf dem keuschen Lager, zwischen einem Engel und einer Hexe zu erblicken; seine Ohnmacht bildete eine Lücke in seinen Erinnerungen und er wußte sich nicht zu erklären, wie er hierher von der Straße gekommen sei, wo er sich noch so eben gegen die Navaja Juancho's vertheidigte.

»Ich hatte Dir doch gesagt, daß Juancho irgend ein Unglück anrichten würde. Welchen wüthenden Blick schleuderte er uns zu! Das konnte gar nicht fehlen. Jetzt stecken wir in schönem Tuch! Und wenn er nun erfährt, daß Du den jungen Menschen in Deiner Stube aufgenommen hast?« meinte Tia Aldonza.

»Konnte ich ihn an meiner Thür sterben lassen?« erwiderte das junge Mädchen, »ich, die ich die Ursache seines Unglücks bin? Und überdies wird Juancho nichts sagen; er hat genug zu thun, um der verdienten Strafe zu entgehen!«

»Der Kranke kommt zu sich,« sagte die Alte; »sieh, seine Augen öffnen sich und es ist etwas Röthe auf seine Wangen zurückgekehrt.«

»Versuchen Sie nicht, zu sprechen; der Wundarzt hat es verboten,« sagte das junge Mädchen, als es sah, daß Andreas einige Worte stammeln wollte. Und mit dem Wesen der Herrschaft, welches die Krankenwärterinnen anzunehmen pflegen, legte sie ihre Hände auf die bleichen Lippen des jungen Mannes.

Als die Morgenröthe, begrüßt von dem Gesange der Nachtigall und der Grille, ihre rosigen Strahlen in das Stübchen fallen ließ, beobachtete sie ein Bild, über welches Juancho vor Zorn gewüthet haben würde: Militona, die bis zum Morgen an dem Kopfende von dem Lager des Verwundeten gewacht hatte, war, erschöpft durch die Anstrengung und die Aufregung der Nacht, eingeschlafen; ihr Kopf hatte unwillkürlich auf der Ecke des Kissens, auf welchem Andreas ruhte, einen Stützpunkt gesucht. Ihr schönes Haar war aufgegangen und verbreitete sich in schwarzen Wellen über das weiße Bettzeug und Andreas, der nicht schlief, rollte eine Locke davon um seine Finger.

Die Wunde des jungen Mannes und die Anwesenheit der Tia Aldonza, welche an der andern Seite des Stübchens schnarchte, daß es dem Pedale der Orgel von Notre-Dame in Sevilla Neid hätte einflößen können, hinderte allerdings jede üble Auslegung.

Hätte Juancho geahnt, daß er, statt seinen Nebenbuhler zu tödten, ihm das Mittel verschaffte, zu Militona zu gelangen und auf das Bett gelegt zu werden, das er selbst nur bebend und erblassend ansah und daß er die Nacht in dem Zimmer zubringen durfte, in welches er, der Mann mit dem steinernen Herzen und dem eisernen Arm, kaum am Tage Einlaß bekam, so würde er sich sicher vor Wuth die Brust mit den Nägeln zerfleischt haben.

Andreas, der sich Militona zu nähern suchte, hatte in seinem Sinne an dies Mittel nicht gedacht.

Das junge Mädchen erwachte, ordnete ganz beschämt ihr Haar und fragte den Kranken, wie er sich befinde.

»Gut,« erwiderte er, indem er auf das schöne Kind einen Blick voll Liebe und Dankbarkeit heftete.

Als die Diener des Don Andreas ihren Herrn nicht zurückkehren sahen, glaubten sie, er hätte in irgend einer lustigen Gesellschaft zu Abend gegessen und beunruhigten sich nicht weiter um ihn.

Feliciana erwartete vergebens den gewöhnlichen Besuch. Andreas erschien nicht. Das Piano litt darunter. Feliciana, die über das Ausbleiben ihres Verlobten verdrossen war, schlug mit heftigen krampfhaften Bewegungen auf die Tasten; denn in Spanien seine Novia nicht zu der bestimmten Zeit zu besuchen, ist ein sehr großer Fehler, für den man undankbar und treulos genannt wird. Nicht etwa, daß Feliciana heftig in Don Andreas verliebt gewesen wäre; die Leidenschaft lag nicht in ihrer Natur und erschien ihr als etwas Unpassendes; aber sie hatte die Gewohnheit, ihn zu sehen und als seine künftige Gemahlin betrachtete sie ihn schon als ihr Eigenthum. Sie ging zwanzigmal von dem Piano zu dem Balkon, und im Widerspruche zu der Mode Englands, welche nicht gestattet, daß eine Dame zum Fenster hinaussieht, beugte sie sich auf die Straße, um zu sehen, ob Don Andreas noch nicht käme.

»Ich werde ihn ohne Zweifel diesen Abend im Prado sehen,« dachte Feliciana, um sich zu trösten, »und ich werde ihm dann eine tüchtige Strafpredigt halten.«

Der Prado ist um sieben Uhr Abends im Sommer zuverlässig einer der schönsten Spaziergänge der Welt. Man kann zwar anderwärts ebenso frischen Schatten, eine ebenso malerische Lage finden, aber nirgend besteht ein so reges Leben, eine so heitere Bewegung der Bevölkerung.

Der Prado erstreckt sich von dem Thore der Recollecten bis nach dem Thore von Atocha, allein er wird nur in dem Theile besucht, der zwischen der Straße von Alcala und der Straße San-Geronimo liegt. Dieser Ort heißt der Salon. Ein Name, der für einen öffentlichen Spaziergang nicht sehr ländlich ist. Reihen gedrungener Bäume, die man zwingt, ihr Laubwerk auszubreiten, gewähren den Spaziergängern einen geizigen Schatten.

Die für die Wagen bestimmte Chaussee ist mit Stühlen besetzt und mit Kandelabern im Geschmacke derer des Concordiaplatzes in Paris.

Auf dieser Chaussee brüsten sich die Wagen aus London und Brüssel, Tilburys, Landauer mit Wappen geschmückten Thüren und zuweilen auch die alte spanische Karosse, gezogen von vier wohlgenährten und glänzenden Maulthieren.

Die Elegants reiten auf ihren englischen Harttrabern oder lassen ihre hübschen andalusischen Pferde mit der roth durchflochtenen Mähne, mit dem vollen Halse und der Taubenbrust, mit den wellenförmigen Bewegungen wie die Hüften einer arabischen Tänzerin, gallopiren. Von Zeit zu Zeit sprengt ein prachtvoller Berber von Cordova vorüber, schwarz wie Ebenholz und würdig die Gerste aus einer Krippe von Alabaster in den Ställen der Califen zu fressen, oder man erblickt ein Wunder der Schönheit, eine Jungfrau Murillos, die aus ihrem Rahmen hervorzutreten scheint und in ihrem Wagen thront, mit einem Hute von Beaudrand als Heiligenschein auf dem Kopfe.

In dem eigentlich sogenannten Salon wimmelt eine stets sich erneuende Menge, ein lebendiger Strom mit entgegengesetzten Strömungen, Wellen und Wirbeln, der sich zwischen Mauern von sitzenden Menschen bewegt.

Die Mantillen von weißen oder schwarzen Spitzen, umgeben mit ihren leichten Falten die hübschesten Gesichter, die man sich denken kann. Die Häßlichkeit ist ein sehr seltener Fall. Im Prado sind die Damen nur hübsch; die Fächer öffnen und schließen sich mit einem raschen Pfeifen und die Agurs (Guten Tag) – die ihnen vorübergehend zugeworfen werden, begleiten anmuthiges Lächeln oder ein kleines Zeichen der Hand; es ist hier wie in dem Foyer der Oper im Carnaval, wie ein Maskenball mit unverhülltem Gesicht.

Auf der andern Seite, unter den Alleen die an dem Artilleriepark und dem Malermuseum sich hinziehen, wandeln kaum einige menschenfeindliche Raucher, die der Hitze und dem Tumult der Menge die Frische und die Träumerei des Abends vorziehen.

Feliciana, die im offenen Wagen an der Seite des Don Geronimo, ihres Vaters, fuhr, suchte vergebens ihren Verlobten unter den Gruppen der jungen Cavaliere; er kam nicht, um seinen Gewohnheiten nach neben dem Wege herzugaloppiren. Die Beobachter wunderten sich, die Kalesche der Donna Feliciana Vasquez de los Rios viermal die ganze Länge der Chaussee ohne ihre gewöhnliche Begleitung zurücklegen zu sehen.

Als Feliciana nach einiger Zeit Don Andreas nicht unter den Reitern sah, glaubte sie, er wäre vielleicht zu Fuß in dem Salon und sagte zu ihrem Vater, sie wünschte etwas zu gehen.

Drei oder vier Gänge durch den Salon und die Seitenallee desselben überzeugten sie von der Abwesenheit des Don Andreas.

Ein junger Engländer, welcher Don Geronimo empfohlen war, grüßte sie und begann eines jener mühsamen Gespräche, welche zu verfolgen nur die Bewohner Großbrittaniens die Ausdauer besitzen.

Feliciana, welche so ziemlich den Vicar of Wakefield verstand, kam dem jungen Engländer mit einer liebenswürdigen Gefälligkeit zu Hülfe und antwortete dem Kauderwälsch desselben durch das freundlichste Lächeln.

Im Theater del Circo, wohin sie sich dann begab, erklärte sie der Engländerin das Ballet und gab ihr die Namen der Logenbesitzer an. – Andreas zeigte sich auch hier nicht.

Nach Hause zurückgekehrt, sagte Feliciana zu ihrem Vater:

»Man hat Andreas heute nicht gesehen.«

»Das ist wahr,« sagte Geronimo, »ich werde zu ihm schicken. Er muß krank sein.«

Der Bediente kam nach einer halben Stunde zurück und meldete:

»Don Andreas de Salzedo ist seit gestern nicht nach Hause gekommen.«


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