Theophile Gautier
Novellen der Antike
Theophile Gautier

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Die goldene Kette der Bakchis

Plango, die Milesierin, war zu ihrer Zeit eine der bekanntesten Frauen Athens. In der ganzen Stadt sprach man von niemand als von ihr; Priester, Archonten, Generale, Statthalter, Stutzer, junge Patrizier, Söhne aus den besten Familien, alles schwärmte für sie. Ihre Schönheit – die es mit der der trojanischen Helena aufnahm – erregte die Bewunderung und die Begierden aller grämlichen Greise, die sich die alten Zeiten zurückwünschten. Und wirklich gab es nichts Schöneres als Plango, und es ist nicht zu ergründen, weshalb Venus, die auf Psyche eifersüchtig war, es auf die Milesierin nicht wurde. Mag sein, daß die zahllosen Rosen- und Lindenkränze, die Opfer an Tauben und Sperlingen, die Weinspenden, die Plango darbrachte, den Zorn der gefallsüchtigen Göttin besänftigten. Jedenfalls hatte niemand mehr Glück in der Liebe denn Plango, die Milesierin, die auch Pasiphile genannt wurde.

Einzig der Meißel eines Kleomenes oder der Pinsel eines Apelles hätten von der seltenen Vollkommenheit der Formen Plangos eine Vorstellung zu geben vermocht. Wer könnte sie schildern? Die schöne ovale Linie ihres Gesichtes, die niedere, spiegelglatte Stirn, die gerade Nase, der runde, kleine Mund, das stolze Kinn, das dabei so sanft geschwungen war, die pfirsichfarbenen Wangen, die Augen mit den verlängerten Winkeln, die wie ein Zwillingsgestirn unter zarten, geschwungenen Augenbrauen und zwischen langen Wimpern hervorblitzten, wer könnte sie malen? Womit sollte man die gekräuselten Wellen ihres Haares vergleichen, wenn nicht mit dem Golde, dem Könige der Metalle, oder mit der Sonne, zu der Stunde, da der Brustriemen ihrer Rosse schon in das feuchte Bett des Weltmeers taucht? Welche Sterbliche hatte jemals so vollkommene Füße? Thetis selber, der der alte Melesigenes den Beinamen der silberfüßigen verliehen hat, hätte den Vergleich mit ihrer Kleinheit und Weiße nicht aushalten können. Ihre Arme waren rund und rein wie die Hebes, der Göttin mit den Schneearmen; die Schale, in welcher Hebe den Göttern die Ambrosia kredenzt, hätte als Vorbild für ihren Hals dienen können, und die so, vielfach gerühmten Hände Auroras glichen neben den ihren den Händen irgendeiner zu schweren Arbeiten verwendeten Sklavin.

Man wird demnach nicht überrascht sein, zu erfahren, daß Plangos Schwelle umdrängter war als der Altar einer Göttin; allnächtlich kamen jammernde Liebhaber, um die Türpfosten mit Öl zu salben und die Marmorstufen mit den kostbarsten Essenzen einzureiben. Blumenkränze, Bandschleifen, Papyrusrollen und Wachstäfelchen mit Distichen, Elegien und Epigrammen wurden vor der Türe aufgehäuft und mußten allmorgendlich mit einem Besen weggekehrt werden, damit Plango ins Freie gelangen konnte, sowie man in der Skythen Land den Schnee von den Schwellen der Häuser fegt.

Unter den zahllosen Anbetern wählte Plango die reichsten und die schönsten, besonders gerne die schönsten. Ein Archont dauerte acht Tage, ein Oberpriester vierzehn; man mußte schon ein König, ein Satrap oder ein Tyrann sein, um sich einen Monat lang zu behaupten. Hatte sie genug von ihnen, dann ließ sie sie bei den Schultern hinauswerfen, und die meisten waren dann ebenso rattenkahl und dürftig wie zynische Philosophen. Denn Plango – das habe ich bisher zu sagen vergessen, war keine edle und keusche Matrone, noch weniger ein junges unberührtes Mädchen, das beim Feste der Diana tanzte, sondern nichts anderes denn eine Freigelassene, die den Beruf einer Hetäre ausübte.

Seit einiger Zeit zeigte sich Plango weniger bei den öffentlichen Aufzügen, Festen und auf Spazierwegen. Sie verlegte sich nicht mehr mit solchem Eifer darauf, Satrapen zugrunde zu richten, und die Dareiken der Pharnabazes, Artabanes und Tissaphernes wunderten sich gemach, in den Schränken ihrer Herren zu verbleiben. Plango verließ ihr Haus nur mehr, um sich ins Bad zu begeben, und zwar in geschlossener Sänfte, sorgfältig verschleiert, wie eine anständige Frau. Plango besuchte nicht mehr die Gelage der jungen Lebemänner und sang keine Hymnen an Bakchus mehr, den Vater der Freude. Sie spielte nicht mehr die Leier. Ja, kürzlich hatte sie eine Einladung zu Alkibiades ausgeschlagen. Ganz Athen redete davon. Was! Plango, die schöne Plango, unser Liebling, unser Idol, die Königin der Orgien; Plango, die zum Klange des Beckens und der Schellen so gut zu tanzen und ihre reizenden Hüften mit soviel Anmut und Wollüstigkeit im Scheine der festlichen Lampen zu winden versteht; Plango, die süßlächelnde, die eine so schlagfertige, scharfe Zunge besitzt; Plango, das Auge, die Blüte, die Perle aller Freudenmädchen, Plango, die Milesierin beginnt anständig zu werden, hat nur drei Liebhaber auf einmal, bleibt zu Hause und befleißigt sich der Tugend wie ein häßliches Weib! Beim Herkules! Das ist sonderbar und männiglich zerbricht sich den Kopf darüber. Und wer soll denn an ihre Stelle treten, wer den Ton angeben, wer über die Mode entscheiden? Unsterbliche Götter! Ja, wer in aller Welt könnte denn die junge, tolle, reizende Plango jemals ersetzen?

Die Stutzer Athens sprachen so, wenn sie in den Propyläen lustwandelten oder nachlässig auf der Marmorbrüstung der Akropolis saßen.

»Was euch am meisten in Verwunderung setzt, meine lieben atheniensischen Stutzer, meine hochverehrten Satrapen mit den wohlgepflegten Bärten, das ist ganz einfach: Plango langweilt sich mit euch ebenso sehr, als ihr euch mit ihr ergötzt; sie hat es satt, euch Liebe und Freude für schnödes Gold zu geben. Sie kommt dabei schlecht weg; Plango will nichts mehr von euch wissen. Wenn ihr die Dareiken und Talente amphoraweise brächtet, ihre Türe wäre eurem Flehen verschlossen. Alkibiades, Axiochos, Kallimachos, die größten, die berühmtesten Modehelden der Stadt, würden abziehen müssen. Gelüstet euch nach Buhlerinnen, geht zu Archenassa, Flora, oder zu Lamia. Plango ist keine Hetäre mehr. Sie ist verliebt.«

»Verliebt? In wen denn? Das müßten wir doch wissen. Wir sind doch stets schon acht Tage vorher über den Herzenszustand dieser Damen unterrichtet. Ja, sitzen wir auf den Ohren oder sind uns die Augen verbunden?«

»Verehrte Herren, sie liebt keinen von euch, seid davon überzeugt. Dazu kennt sie euch zu gut. Weder du bist es, verführerischer Kleon; sie weiß wohl, daß du nur lakonische Hunde, Schmarotzer, Flötenspieler, Eunuchen, Zwerge und indische Papageien gerne hast; noch du, Hipparchos, der du von nichts anderem zu schwatzen verstehst als von deinem weißen Viergespann und von den Preisen, die deine Wagenlenker bei den olympischen Spielen davongetragen haben; Plango hat wenig Vorliebe für all diese Stallgeschichten, die dir so wichtig scheinen. Auch du bist es nicht, weichlicher Thrasyllos; die Farben, die du auf deine Augenbrauen aufträgst, die Schminke auf deinen Wangen, das Öl und die Essenzen, mit denen du dich überschüttest, all diese Salben und Pomaden, die dein Gesicht einem Geschwür ähnlicher machen als einem menschlichen Antlitz, begeistern Plango höchst mäßig; sie ist für deine Eleganz kaum empfänglich und vergebens staubst du dir deinen blonden Bart, um ihr zu gefallen, mit Goldpulver und Flitter ein, vergebens läßt du deine Fingernägel ins Maßlose wachsen, vergebens trägst du bis zum Boden herabhängende persische Ärmel. Ebensowenig hat Timandros, der Patrizier mit der Gestalt eines Lastträgers, noch der schwächliche Glaukion Plangos Herz bezaubert.«

Liebenswürdige Vertreter der Eleganz und Kultur Athens, junge Sieger, reizende Triumphatoren, ich schwöre es euch, nie hat Plango einen von euch geliebt, und ich verrate euch außerdem, daß ihr Geliebter kein Athlet, kein buckliger Zwerg, kein Philosoph und auch kein Neger ist, wie Axiochos wissen will.

Ich gebe zu, es ist traurig, zu sehen, wie die schönste Athenienserin in der Zurückgezogenheit lebt, wie eine Jungfrau, die sich auf die Einweihung in die eleusischen Mysterien vorbereitet, und ich glaube auch gerne, daß es euch leid tut, jenes Haus nicht mehr besuchen zu dürfen, in dem ihr die Zeit so angenehm mit Würfelspiel, mit Knöchelchenspiel verbrachtet, wobei ihr gegeneinander um eure Affen, eure Geliebten, eure Häuser, eure Grammatiker und eure Dichter gewettet habt. Es war reizend, die schlanken Afrikanerinnen mit ihren grellen Zimbeln tanzen zu sehen, einen jungen Sklaven die zweirohrige Flöte blasen zu hören. Da lagt ihr, efeubekränzt, weichlich auf schwellenden Pfühlen und tränket schluckweise vorzüglichen Zypernwein, der in schneegefüllten Kübeln dastand.

Es beliebt Plango, der Milesierin, keine Frau von euren Gnaden mehr zu sein; sie hat sich vorgenommen, ein wenig nach ihrem Geschmack zu leben; sie will lachen oder traurig sein, schlafen oder auf sein, wann sie Lust hat. Nur allzu viel hat sie euch von ihrem Leben gegeben. Könnte sie euch das Lächeln, die guten Worte, die zärtlichen Blicke, die Küsse, die sie an euch verschwendet hat, sie, die sorglose Hetäre, wieder abnehmen, sie täte es. Was gäbe sie darum, könnte sie die Erinnerung an den Glanz ihrer Augen, an die blendende Weiße ihrer Schultern, an die Rundung ihrer Arme, euren täglichen Gesprächsstoff, aus euren Hirnen streichen! Was täte sie nicht, um von euch nie gekannt worden zu sein! Wie beneidet sie jene armen Geschöpfe, die im Schatten ihrer Mütter schüchtern verblühen! Bedauert sie, es ist ihre erste Liebe. Erst jetzt hat sie Jungfräulichkeit und Scham begreifen gelernt.

Sie hat Pharnabazes den Laufpaß gegeben, dem Obersatrapen, obzwar sie ihm erst eine einzige Provinz verzehrt hat, und hat Klearchos, einem jungen schönen Manne, der eben erst eine große Erbschaft gemacht, glatt einen Korb gegeben.

Die ganze noble Welt von Athen ist über diese aufdringliche und unnatürliche Tugendhaftigkeit empört. Axiochos fragt schon besorgt, was denn aus den Söhnen der guten Familien werden und wie sie es anstellen sollen, sich zugrunde zu richten. Alkibiades will Plangos Haus in Brand stecken und sie selbst lebend oder tot entführen, dem selbstsüchtigen Drachen zum Trotz, der sie für sich allein besitzen will. Kleon ruft den Zorn der Venus Pandemos auf ihre ungetreue Priesterin herab, und Thrasyllos ist so verzweifelt, daß er sich nur mehr zweimal des Tags frisieren läßt.

Der Geliebte Plangos ist ein junger Mann, fast noch ein Knabe, von solcher Schönheit, daß man ihn für Hyakinthos, Apollons Freund halten könnte. Eine göttliche Anmut begleitet alle seine Bewegungen, wie der Klang einer Leier; seine schwarzen, gelockten Haare fließen in leuchtenden Wellen über seine glänzend weißen Schultern, die dem parischen Marmor gleichen, und hängen ihm wie reife Trauben ins Gesicht. Ein feines Leinenkleid umgibt seine Gestalt in schmiegsamen, leichten Falten. Seine runden, nervigen Beine sind mit weißen, goldfädendurchzogenen Bändern umwickelt, Beine, um die ihn Diana, die schlanke Jägerin, beneiden mag.

Er steht über Plangos Lehnstuhl gestützt da. Plango ist beim Ankleiden. Schwarzbraune Sklaven fahren ihr mit fein gezähnten Buchsbaumkämmen durch die Haare, während einige junge Knaben vor ihr knien und ihr die Fersen mit Bimsstein abreiben, und die Nägel mit Wolfszahn glänzend machen. Eine Umhüllung aus weißer Wolle, die nachlässig um ihren schönen Leib geworfen ist, trinkt die letzten Perlen, die die Najade des Bades an ihren Armen hat haften lassen. Goldene Dosen, Schalen und Fläschchen aus Silber, von Kallimachos und Myro ziseliert, stehen auf Tischchen aus afrikanischem Porphyr. Sie enthalten alle zu ihrer Toilette notwendigen Utensilien: Wohlgerüche, Essenzen, Salben, Brenneisen, Nadeln, Enthaarungspulver und kleine goldene Scheren. In der Mitte des Gemachs speit ein Bronzedelphin, auf dem ein Kupido reitet, durch seine mit Widerhaken versehenen Nasenlöcher zwei Strahlen aus, der eine kaltes, der andere warmes Wasser, und sie plätschern in zwei Becken aus orientalischem Alabaster, in welche die bedienenden Weiber abwechselnd ihre großen Schwämme tauchen. Durch die Fenster, deren purpurne Vorhänge ein lichter Zephyr schwellt, erblickt man einen lapisblauen Himmel und die Spitzen großer Lorbeerrosen, die am Fuße der Mauer wachsen.

Plango dreht sich, trotz der schüchternen Einwendungen ihrer Sklavinnen, auf die Gefahr hin, das schon nahezu fertige Gebäude ihrer Haartracht von Grund auf zu zerstören, von Zeit zu Zeit um und neigt sich nach rückwärts, um den Jüngling zu umarmen. Es ist eine Gruppe von anbetungswürdiger Anmut, die den Meißel des Bildhauers herausfordert.

Ach! Plango, schöne Plango, dein Glück wird kaum von Dauer sein. Glaubst du denn, daß deine Freundinnen Archenassa, ThaÏs, Flora und wie sie alle heißen, dulden werden, daß du ihnen zum Trotz glücklich bist? Du irrst dich, Plango; dieser Knabe, den du aller Augen entziehen und ganz deiner Liebe bewahren willst, der wird dir womöglich entführt werden. Beim Styx! Es ist auch mehr als unklug von dir, Plango, auf deine Art glücklich sein zu wollen und der Stadt das Ärgernis einer echten Leidenschaft zu geben.

Ein Sklave hebt den Teppichvorhang auf, kommt schüchtern auf Plango zu und flüstert ihr ins Ohr, daß Lamia und Archenassa sie besuchen kämen und ihm auf den Fersen seien.

»Geh, mein Freund,« sagte Plango zu dem Jungen. »Ich will nicht, daß diese Frauen dich sehen. Ich will nicht, daß man mir etwas von deiner Schönheit stiehlt, nicht einmal mit den Augen; ich leide entsetzlich, wenn ein Weib dich anblickt.«

Der Knabe gehorchte; aber er konnte nicht so rasch verschwinden, daß Lamia, die in demselben Augenblick mit Archenassa eintrat, und giftigen Blickes in alle Winkel spähte, ihn nicht gesehen und erkannt hätte.

»O guten Tag, meine schöne Taube; wie geht es dir mit der Gesundheit, Teuerste? Du siehst vortrefflich aus, niemand würde es wagen, zu behaupten, daß du eine böse Krankheit überstanden hast, die dich so mitgenommen hat, daß deine Schönheit darunter gelitten hat. Du bist schön wie immer!« sagte Lamia, indem sie Plango mit übertriebener Herzlichkeit umarmte.

»Thrasyllos hat das behauptet,« sagte Archenassa, »und ich bitte dich ihn damit zu bestrafen, daß du ihn noch verliebter in dich machst, als er schon ist, und ihm nie die geringste Gunst gewährst. Aber was soll ich dir sagen? Du lebst in der Einsamkeit wie ein Weiser, der das Weltsystem zu erforschen strebt. Du kümmerst dich gar nicht mehr um das, was da draußen vorgeht.«

»Wer hätte geahnt, daß Plango unter die Philosophen gehen wird?«

»Oh, oh! Das hindert uns kaum, Amor und den Grazien zu opfern. Unsere Philosophie hat keinen Bart, nicht wahr, Plango? und ich habe soeben festgestellt, wer sich da in Gestalt eines hübschen Knaben fortstahl. Wenn ich mich nicht irre, ist es Ktesias aus Kolophon. Du weißt, was ich sagen will, Lamia, der Geliebte der Bakchis aus Samos.«

Plango verfärbte sich, stützte sich auf die Lehne ihres Elfenbeinstuhles und fiel in eine Ohnmacht.

Die beiden Freundinnen zogen sich lachend zurück, zufrieden damit, in das Glück Plangos einen Kieselstein geworfen zu haben, der seine klare Oberfläche auf lange Zeit hinaus trüben würde.

Durch das Geschrei der Frauen, die sich alle um ihre Gebieterin bemühten, angelockt, trat Ktesias wieder in das Zimmer und sein Erstaunen war groß, ein Weib ohnmächtig anzutreffen, das er lächelnd und heiter eben verlassen hatte. Er benetzte ihr die Schläfen mit kaltem Wasser, gab ihr leichte Schläge auf die Handflächen, verbrannte eine Fasanenfeder unter ihrer Nase, und brachte sie endlich ins Bewußtsein zurück. Sie aber rief, sobald sie ihn erblickte, mit einer Geste des Ekels:

»Geh, Elender, geh, und möge ich dich nie wiedersehen!«

Ktesias, höchlichst überrascht über diese harten Worte, durchaus ahnungslos, was er verschuldet habe, warf sich ihr zu Füßen, umschlug ihre Knie und bat sie, ihm zu sagen, was er verbrochen.

Plango, deren vorhin bleiches Antlitz purpurrot geworden war und deren Lippen vor Zorn bebten, entzog sich der leidenschaftlichen Umklammerung ihres Geliebten und warf ihm die grausamen Worte noch einmal hin.

Da Ktesias, von Schmerz überwältigt, sich nicht von der Stelle rührte, sondern auf den Knien liegen blieb, ließ sie zwei skythische Sklaven hereinkommen, zwei Ungeheuer mit roten Haaren und graugrünen Augen und befahl ihnen mit gebieterischer Handbewegung:

»Werft mir diesen Mann vor die Tür.«

Die beiden Riesen hoben das Kind auf ihre haarigen Arme, als ob es eine Feder gewesen wäre, trugen es durch einen dunklen Vorraum bis an die äußere Einfriedigung und setzten es dort behutsam auf den Boden nieder. Als Ktesias sich umwandte, befand er sich dicht vor einer schönen Zederntür, die mit Eisennägeln beschlagen war.

Ktesias' Erstaunen war der heftigsten Wut gewichen; er warf sich wie ein Wahnsinniger oder wie ein wildes Tier gegen die Tür; aber er hätte ein Sturmbock sein müssen, um sie einzurennen, und seine zarte weiße Schulter, die unter Küssen weicher Frauenlippen rot wurde, war sehr bald von den herausstehenden Nagelköpfen mörderlich zugerichtet. Er mußte davon abstehen, auf diese Art ins Haus zurückzugelangen.

Das Benehmen Plangos erschien ungeheuerlich und brachte ihn derart in Verzweiflung, daß er ein Gebrüll ausstieß wie ein verwundeter Panther, und sich große Haarbüschel ausraufte. Weinet, Kupido und Venus!

Endlich hob er, im höchsten Paroxysmus der Wut, Steine auf und schleuderte sie gegen das Haus der Hetäre, indem er gegen die Fensteröffnungen zielte und den unterirdischen Göttern hundert schwarze Kühe gelobte, wenn einer dieser Steine Plangos Schläfe träfe.

Anteros hatte sein Herz mit einem seiner bleiernen Pfeile durchbohrt, und er haßte die, die er so geliebt hatte, mehr als den Tod: eine gewöhnliche Wirkung der Ungerechtigkeit bei edelmütigen Menschen.

Da er jedoch sah, daß das Haus unempfindlich und stumm blieb, und daß die Vorübergehenden, über sein Treiben erstaunt, sich zusammenzurotten, ihm die Zunge zu zeigen und lange Nasen zu drehen begannen, entfernte er sich langsam und mietete sich in einem Kämmerlein, nicht weit von Plangos Palast ein.

Er warf sich auf ein elendes Lager, das aus einer sehr dünnen Matratze und einer löcherigen Decke bestand, und weinte bittere Tränen.

Tausend Gedanken, einer verrückter als der andere, gingen ihm durch den Kopf; er wollte Plango auflauern und sie erdolchen; einen Augenblick lang dachte er daran, nach Kolophon zurückzukehren, seine Sklaven zu bewaffnen und sie gewaltsam zu entführen, nicht ohne vorher ihr Haus in Brand gesteckt zu haben.

Nach einer schlimm verbrachten Nacht, in der Morpheus, dieser blasse Bruder des Todes, es verschmäht hatte, seine Lider mit der Spitze seines Zauberstabes zu berühren, wußte Ktesias, daß er Plango mehr denn je liebte und daß es ihm unmöglich sei, ohne sie zu leben. Vergebens zermarterte er sein Hirn, um zu erraten, was er ihr getan habe. Er konnte nichts finden, was das Benehmen Plangos zu erklären vermocht hätte.

Seit dem Tage, da er sie kannte, hing er an ihr wie ihr Schatten, ging er nicht mehr ins Bad, noch ins Gymnasium oder gar auf die Jagd, und schon gar nicht zu den nächtlichen Orgien, die seine Altersgenossen veranstalteten. Er hatte seither kein anderes Weib angesehen und nur seiner Liebe gelebt. Keine reine, makellose Jungfrau war jemals mehr angebetet worden als die Hetäre Plango. Welchem Umstande sollte er diese plötzliche Sinnesänderung, diesen so völligen Umschwung, der so unerwartet gekommen war, zuschreiben? Stak irgendeine Treulosigkeit Archenassas und Lamias dahinter, oder war es einfach eine Laune Plangos? Was mochten ihr denn diese Weiber erzählt haben, daß die zärtlichste Liebe sich anscheinend grundlos in Haß und Ekel umwandelte? Der Jüngling verirrte sich in einem Wirrsal von Vermutungen, ohne daß er sich irgendwie klar wurde. Aber aus diesem Chaos von Gedanken, aus diesem Hin und Her von Gefühlen und Stimmungen erhob sich wie eine traurige, blasse Statue diese eine Überzeugung: »Plango muß mir wieder ihre Liebe schenken oder ich muß mich töten.«

Plango war nicht minder unglücklich. Sie wußte nicht mehr, wozu sie lebte; mit Ktesias war ihre Seele von ihr gegangen, sie hatte mit eigener Hand die Sonne ihres Himmels verlöscht. Betreffs Bakchis hatte sie Erkundigungen eingezogen und erfahren, daß Ktesias sie während des Jahres, welches er in Samos verbracht hatte, bis zur Raserei geliebt hatte.

Sie glaubte, Ktesias' erste Liebe zu sein und ihn in die süßen Geheimnisse eingeführt zu haben. Was sie an diesem Kinde so entzückt hatte, das war seine Unschuld und Reinheit; sie fand bei ihm die jungfräuliche Arglosigkeit wieder, die sie lange nicht mehr besaß. Er war für sie etwas ganz Besonderes, etwas Keusches und Heiliges, ein unbekannter Altar, auf welchem sie die Düfte ihrer Seele darbrachte. Ein Wort hatte diese Freude zerstört; der Reiz war verflogen, es war eine Liebe wie jede andere, eine gewöhnliche, banale Liebe. Die entzückenden Liebesworte, die göttlichen und schamhaften Zärtlichkeiten und Liebkosungen, die sie als erste zu genießen vermeinte, sie alle waren schon einer anderen gespendet worden, sie waren nichts als ein zweifellos abgeschwächtes Echo anderer gleichartiger Worte und Handlungen, eine Gewohnheit, eine auswendig gelernte Papageienrolle. Plango war aus der einzigen Illusion, die sie je gehabt hatte, herausgerissen, und wie eine Statue, die man von ihrem Sockel stößt, war sie beim Falle zerbrochen. In ihrem Zorne wütete sie grausam gegen eine wundervolle Figur der Aphrodite, der sie einen kleinen weißen Marmortempel in einer Ecke ihres Gartens hatte erbauen lassen, zur Erinnerung an ihre große Leidenschaft. Aber die Göttin begriff ihre Verzweiflung und trug ihr nichts nach. Jede andere Gottheit hätte sich an Plango für eine solche Freveltat fürchterlich gerächt.

Allnächtlich ging Ktesias zu Plangos Schwelle, um sich dort auszuweinen, wie ein treuer Hund, der etwas verbrochen hat und, vom Herrn aus dem Hause gejagt, wieder zurückkehren möchte. Er küßte die Steinfließen, auf welchen Plangos reizender Fuß geruht hatte. Er sprach zur Türe und hielt ihr die zärtlichsten Reden, um sie zu rühren; aber seine Beredsamkeit nützte ihm nichts, die Tür war stumm und taub.

Endlich gelang es ihm, einen von den Türstehern zu bestechen und sich ins Haus einzuschleichen. Sofort lief er in das Zimmer Plangos, wo er sie auf ihrem Ruhebett vorfand, mit müdem, blassen Gesichte, herabhängenden Armen, in einer trostlosen Verfassung.

Dies machte ihm einige Hoffnung. Er sagte sich: »Sie leidet, sie liebt mich also noch?«

Er ging auf sie zu und kniete vor ihrem Bette nieder. Plango, die ihn nicht hatte eintreten hören, machte eine Bewegung äußerster Überraschung, als sie ihn sah, und erhob sich halb, wie um hinauszueilen; indes versagten ihr die Beine den Gehorsam und sie fiel wieder zurück, schloß die Augen und gab kein Lebenszeichen mehr von sich.

»Du mein Leben! Du meine Wonne! Was habe ich dir getan, daß du mich so von dir gestoßen?« Mit diesen Worten küßte Ktesias ihre kalten Arme und ihre schönen Hände und benetzte sie mit heißen Tränen. Plango ließ ihn gewähren, als ob sie seine Anwesenheit überhaupt nicht bemerkt hätte.

»Plango, meine liebe, meine schöne Plango! Wenn du willst, daß ich nicht sterbe, schenk mir deine Gunst wieder, liebe mich wie früher. Ich schwöre dir, o Plango! Ich werde mich vor deinen Augen umbringen, wenn du mir nicht ein gutes Wort, ein Lächeln oder einen Kuß gibst. Womit kann ich deine Verzeihung erlangen, Unversöhnliche? Ich bin reich; ich werde dir ziselierte Vasen, zweimal in Purpur getauchte Gewänder, schwarze und weiße Sklaven, goldene Armbänder, Perlenschnüre geben. Sprich! Wie kann ich ein Verbrechen sühnen, welches ich nicht begangen habe?«

»Das alles will ich nicht; bringe mir die Goldkette der Bakchis aus Samos,« sagte Plango mit unaussprechlicher Bitterkeit, »und ich gehöre wieder dir.«

Als sie diese Worte gesprochen hatte, stand sie langsam auf, durchschritt das Zimmer und verschwand wie eine Geistererscheinung hinter einem Vorhang.

Die Kette der Samierin Bakchis war keineswegs, wie man vielleicht anzunehmen Lust hätte, ein einfaches Halsband, das zwei oder dreimal um den Nacken zu schlingen ging, oder etwa eine Arbeit von besonderer Feinheit und Vollendung. Nein, es war eine wirkliche Kette, so wie sie von den Gefangenen in den Bergwerken getragen wird, mehrere Ellen lang, nur daß sie aus reinem Golde bestand.

Bakchis fügte jeden Monat einige neue Ringe an diese Kette; wenn sie irgendeinen kleinasiatischen König, irgendeinen persischen Würdenträger, oder irgendeinen reichen athenischen Privatmann zugrunde gerichtet hatte, ließ sie das Gold, welches sie ihnen abgezapft hatte, einschmelzen und verlängerte ihre kostbare Kette.

Diese Kette sollte dereinst ihren Lebensunterhalt bestreiten, wenn sie alt geworden wäre, und ihre Liebhaber, über sich zeigende Falten, über ein weißes Haar in einer schwarzen Flechte erschreckt und entsetzt, ihre Begierden und ihre Sesterzen irgendeiner weniger berühmten, aber jüngeren und frischeren Hetäre zuwenden würden. Gleich einer fürsorglichen Ameise denkt Bakchis mitten in ihrem zügellosen Genußleben daran, daß der Winter nicht ausbleiben wird und so sammelt sie Goldkörner für die schlechte Jahreszeit. Sie weiß nur allzu gut, daß die Liebhaber, die ihr heute Hexameter und Pentameter vor der Haustüre vordeklamieren, sie hinauswerfen und von ihren Sklaven obendrein noch durchprügeln lassen würden, wenn sie, alt und vom Elend gebeugt, an ihre Schwelle betteln käme oder beim Hausaltar um Schutz bäte. Aber mit ihrer Kette, von der sie alljährlich eine gewisse Anzahl von Ringen ablösen wird, wird sie frei und unabhängig, still und zurückgezogen in irgendeinem versteckten Winkel leben, in Ruhe sterben und sogar noch sich ein anständiges Begräbnis und der Venus, ihrer Schutzpatronin, eine Stiftung leisten können. So klug baute die Hetäre Bakchis der Zukunft vor und wollte sich ein von Not und Leiden verschontes Alter sichern. Denn eine Buhlerin hat keine Kinder, keine Verwandten, keine Freunde, niemand, der sich ihrer annimmt, und sie muß sich gewissermaßen die Augen selbst zudrücken.

Die Kette der Bakchis verlangen, das hieß soviel wie irgend etwas Unmögliches fordern, zum Beispiel das Meer in einem Sieb herbeiholen. Plango hätte ebensogut einen goldenen Apfel aus dem Garten der Hesperiden verlangen können. Das rachsüchtige Weib wußte dies nur allzu gut; wie hätte sie denn ernstlich annehmen können, Bakchis würde sich zugunsten einer Nebenbuhlerin der Frucht der Ersparnisse ihres ganzen Lebens, ihres einzigen Schatzes, ihrer einzigen Hilfsquelle in bösen Zeiten entäußern? So war es also der endgültige Abschied, den Plango unserem Kinde gegeben hatte, und sie rechnete darauf, ihn nie mehr zu sehen.

Ktesias aber konnte sich über den Verlust Plangos nicht hinwegsetzen. Alle Bemühungen, sie noch ein zweites Mal zu sehen, mit ihr zu sprechen, waren umsonst gewesen, und er konnte es nicht lassen, wie ein Schatten um das Haus herumzuirren, wobei ihm die Sklaven Spottlieder entgegenheulten und mit Töpfen voll Unrats und schmutzigen Wassers nach ihm warfen.

Endlich beschloß er, das Äußerste zu wagen. Er ging zum Piräus hinunter und erblickte eine Trireme, die nach Samos bestimmt war. Eilends begab er sich zum Kapitän und fragte ihn, ob er ihn nicht an Bord nehmen wolle. Der gute Mann, den sein kummervolles Gesicht, noch mehr aber die drei schönen Goldstücke, die er angeboten erhielt, rührten, ließ sich bald erweichen.

Die Anker lichteten sich, die nackten, öltriefenden Ruderknechte legten sich in die Riemen und das Schiff setzte sich in Bewegung.

Es war ein wunderschönes Fahrzeug und trug den stolzen Namen Argo; ganz aus Zedernholz hergestellt, konnte es niemals faulen. Der Hauptmast war aus einer Fichte vom Berge Ida geschnitten worden; er trug zwei große Segel aus ägyptischem Leinen, das eine vier- und das andere dreieckig. Der ganze Schiffsrumpf war mit Wachsmalerei geschmückt und auf den Schiffsplanken hatte man miteinander spielende Nereiden und Tritonen dargestellt, die aussahen, als ob sie lebten. Es war das Werk eines später sehr berühmt gewordenen Malers, der damit begonnen hatte, Schiffe zu bemalen.

Die Neugierigen kamen oft, die Schiffsplanken der Argo zu betrachten und die Meisterwerke des Malers mit seinen Erstlingen zu vergleichen; aber wiewohl Ktesias ein großer Liebhaber dieser Kunst war und selbst eine hübsche Sammlung von Gemälden besaß, warf er jetzt nicht einmal einen Blick auf die Malereien der Argo. Er wußte zwar von ihrem Vorhandensein, aber in seinem Hirn lebte nur ein einziger Gedanke, und alles, was nicht war, war für ihn nicht da.

Das blaue Wasser, von den Rudern zerschnitten und aufgewühlt, schäumte gegen die glatten Seitenflächen der Trireme. Die unklaren Umrisse einiger Inseln zeichneten sich in der Ferne ab und verflüchtigten sich bald hinter dem Fahrzeug. Ein frischer Wind sprang auf, man hißte die Segel, die einige Augenblicke unsicher hin und her schlugen und sich dann blähten und aufbliesen, wie eine milchstrotzende Brust. Die keuchenden Ruderer legten sich unter ihre Bänke in den Schatten und auf dem Verdeck blieben nur zwei Menschen, der Steuermann und Ktesias, der am Fuße des Mastbaumes saß. Unter dem Arme hielt er eine kleine Kassette, worin sich drei Beutel Gold und zwei frisch geschliffene Dolche befanden, sein letztes Auskunftsmittel, wenn ihm sein verzweifeltes Vorhaben fehlschlüge.

Das Kind hatte aber folgendes vor. Ktesias wollte sich Bakchis zu Füßen werfen, ihre schönen Hände mit seinen Tränen benetzen und sie bei allen Göttern des Himmels und der Unterwelt, bei der Liebe, die sie einst für ihn gehegt, bei dem Mitleid für seine alte Mutter, die sein Tod umbringen würde, bei allem, was die Beredsamkeit der Leidenschaft Rührendes und Überzeugendes vorzubringen vermöchte, beschwören, ihm die goldene Kette zu geben, welche Plango als ein verhängnisvolles Unterpfand ihrer Versöhnung mit ihm begehrte.

Man denkt gewiß, Ktesias von Kolophon hätte vollständig den Verstand verloren. Immerhin hing sein ganzes Geschick an dem dünnen Faden dieser Hoffnung. Schlug ihm dieses Unternehmen fehl, dann blieb ihm nichts mehr übrig, als sich mit dem spitzeren seiner beiden Dolche eine rote Wunde auf seiner weißen Brust zu machen und den kalten Kuß der Parze zu erwarten.

Während der Knabe all diese Möglichkeiten erwog, schoß das Schiff immer rascher dahin und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne spielten noch auf dem blanken Erz der am Hinterteil aufgehängten Schiffe, als der Steuermann ausrief: »Land! Land!«

Man war in der Bucht von Samos angelangt.

Kaum hatte die blonde Aurora die Vorhänge ihres safrangelben Bettes mit dem Finger gelüftet, da ging der Knabe langsamen Schrittes zur Wohnung der Bakchis. Sonderbar genug: er hatte die allzu langsam dahinschleichende Nacht verflucht und hätte gerne mit eigener Hand die Räder ihres Wagens auf dem Himmelsgewölbe angetrieben, und jetzt hatte er geradezu Angst davor, zu Bakchis zu gehen und schlug den längsten Weg ein, den er ganz langsam zurücklegte. Er fürchtete sich, auch um seine letzte Hoffnung betrogen zu werden und wollte das Äußerste so lange als möglich hinausschieben. Ihm blieb nur noch dieser eine Schub mit den Würfeln übrig; er hielt den Becher in der Hand und wagte ihn nicht zu leeren.

Indes kam er doch zum Hause der Hetäre und als er auf der Schwelle stand, versprach er dem Merkur, dem Gotte der Beredtsamkeit, zwanzig weiße Färsen mit vergoldeten Hörnern, und der Venus, die die Herzen bezwingt, hundert Paar Turteltauben.

Eine alte Sklavin der Bakchis erkannte ihn.

»Ei, du bist es, Ktesias? Weshalb ruht die Blässe des Todes auf deinem Angesichte? Deine Haare hängen in Unordnung herab; deine Schultern haben schon lange keine Essenzen gefühlt, dein Mantel liegt ganz falsch auf deiner Gestalt, deine Arme und Beine sind nicht enthaart. Du bist so vernachlässigt wie der Sohn eines Landmannes oder wie höchstens ein lyrischer Dichter. In welches Elend bist du geraten? Welches Unglück ist dir zugestoßen? Ehedem warst du das Vorbild aller Eleganz. Die Götter mögen mir verzeihen! Deine Tunika hat zwei Löcher!«

»Eriphile, ich bin nicht ins Elend geraten, aber ich bin trotzdem elend und unglücklich. Nimm diese Börse und bewirke, daß ich sofort mit deiner Gebieterin sprechen kann.«

Die alte Sklavin, die die Amme der Bakchis gewesen war, und deshalb die Vergünstigung hatte, zu jeder Tageszeit in ihr Zimmer dringen zu dürfen, eilte sogleich zu ihrer Herrin, nachdem sie Ktesias warten geheißen hatte.

»Nun, Eriphile?« sagte Bakchis, als die Alte eilig eintrat und eine wichtige und zugleich demütige Miene zeigte.

»Ein Mann, der dich sehr geliebt hat, wünscht dich zu sehen, und er ist so ungeduldig, den Glanz deiner Augen zu genießen, daß er mir diese Börse gegeben hat, um die Verhandlungen zu beschleunigen.«

»Ein Mann, der mich sehr geliebt hat?« sagte Bakchis und schien gerührt. »Bah! Das sagen sie alle. Ktesias der Kolophonier allein hat mich wirklich geliebt.«

»Er ist es selbst.«

»Ktesias, sagst du? Ktesias, mein vielgeliebter Ktesias! Er wünscht mich zu sehen? Geh, lauf, so schnell dich deine wankenden Beine tragen mögen und führe ihn unverzüglich zu mir.«

Eriphile stürzte rascher hinaus, als man ihr zugetraut hätte.

Bakchis von Samos ist eine Schönheit ganz anderen Schlages als Plango; sie ist groß, schlank, gut gebaut; ihre Augen und Haare sind schwarz, ihr üppiger Mund öffnet sich zu einem entzückenden Lächeln. Ihr Blick hat einen feuchten Glanz, der Klang ihrer Stimme ist bezaubernd. Die runden, kräftigen Arme zeigen vollkommene Hände. Ihre Haut ist dunkel, fast hellbraun und weist blonde Töne auf wie der Hals der Ceres nach der Ernte. Ihr Hals ist stolz und rein. Sie trägt eine schöne Tunika aus feinem Byssus.

Plango und Bakchis sind ohne Widerspruch die beiden entzückendsten Hetären von ganz Griechenland, und man muß zugeben, daß Ktesias, der beider Geliebter gewesen ist, ein von den Göttern besonders bevorzugter Sterblicher war.

Eriphile kehrte mit Ktesias zurück.

Der Knabe schritt bis an das Ruhebett, auf welchem Bakchis lag. Beim Anblick seiner Geliebten fühlte Ktesias eine sonderbare Bewegtheit; ein Sturm von heftigen Empfindungen wallte in seinem Herzen, und schwach wie er war, vom vielen Weinen erschöpft, von den schlaflosen Nächten, dem Sehnen nach dem Verlorenen und der Besorgtheit in betreff der Zukunft aufgerieben, vermochte er dieser Versuchung nicht zu widerstehen. Er fiel kraftlos auf die Knie und ließ den Kopf vornüber fallen, die Arme zu Boden hängen. Die Augen schloß er, und es sah aus, als ob er sterben wollte.

Bakchis hob, sehr erschrocken, mit Hilfe der Amme das Kind auf und legte es auf ihr Bett.

Als Ktesias, der tatsächlich fast ohnmächtig gewesen war, die Augen wieder aufschlug, fühlte er auf seiner Stirn die feuchte Wärme von Bakchis' Lippen; das Mädchen selbst neigte sich mit dem Ausdrucke zärtlichster Besorgnis über ihn.

»Wie befindest du dich, meine teure Seele?« sagte Bakchis, welche die Ohnmachtsanwandlung des Jünglings der Freude des Wiedersehens zuschrieb.

»O Bakchis! Ich muß sterben«, sagte das Kind mit schwacher Stimme, indem es den Hals der Hetäre mit seinen abgemagerten Armen umschlang.

»Sterben, mein Junge, und weshalb denn? Bist du nicht schön, bist du nicht jung, wirst du nicht geliebt? Ach, welches Weib würde dich nicht lieben? Weshalb also vom Sterben sprechen? Das ist ein Wort, das aus einem so schönen Munde nicht kommen sollte. Welche Hoffnung hat dich enttäuscht? Welches Unglück ist dir zugestoßen? Ist deine Mutter gestorben? Hat Ceres die goldenen Augen von deinen Ernten abgewendet? Hat Bakchos die unreifen Trauben deiner Weinberge mit zornigen Füßen getreten? Das ist unmöglich; Fortuna, die doch ein Weib ist, kann dir nicht übel wollen.«

»Bakchis, du allein kannst mich retten, du, die beste und edelmütigste aller Frauen; aber ich wage es nicht, dir alles zu sagen. Es ist etwas so Unsinniges, daß du mich für einen Erznarren halten müßtest.«

»Sprich nur, mein Kind; du, den ich so sehr geliebt habe, den ich noch immer liebe – obgleich du mich einer anderen wegen verraten hast (möge Venus die Schale ihres Zornes über sie ausgießen!) –- was könntest du von mir verlangen, was ich dir nicht auf der Stelle gewähren müßte, und wäre es auch mein Leben?«

»Bakchis, ich muß deine goldene Kette haben«, sagte Ktesias in fast unhörbarem Tone.

»Du willst meine Kette, Kind und wozu? Willst du deswegen sterben, und was soll dieses Opfer bedeuten?« erwiderte Bakchis überrascht.

»Höre, meine schöne Bakchis! und sei gut zu mir, wie du es immer warst. Ich liebe Plango die Milesierin, ich liebe sie bis zur Raserei, Bakchis. Ein Blick von ihr gilt mir mehr als das Gold der Könige, mehr als der Thron der Götter, mehr als das Leben selbst. Ohne sie bin ich ein toter Mann; ich muß sie haben, sie ist mir so notwendig wie das Blut meiner Adern, wie das Mark in meinen Knochen. Ich kann keine andere Luft atmen, als die, die ihren Lippen entströmt. Für mich ist alles dunkel, wo sie nicht ist; ich habe keine andere Sonne als ihre Augen. Irgendeine thessalische Zauberin hat mich ohne Zweifel behext. Ach! Was rede ich? Der einzige magische Reiz ist ihre Schönheit, die auf der Welt ihresgleichen sucht, die deinige ausgenommen. Ich besaß sie, ich sah sie alle Tage, ich berauschte mich an ihrer angebeteten Gegenwart wie an einem himmlischen Nektar. Sie liebte mich, wie du mich geliebt hast, Bakchis. Aber dieses Glück war zu groß, um dauerhaft zu sein. Die Götter waren eifersüchtig auf mich. Plango hat mir den Laufpaß gegeben. Ich bin ihr wie ein Hund zu Füßen gekrochen, aber es hat nichts genützt. Plango, die Flamme meines Lebens, meine Seele, mein Gut, Plango haßt mich, Plango verabscheut mich. Sie wäre imstande, die Pferde ihres Wagens über meinen vor ihrer Schwelle hingestreckten Leib zu treiben. Ach! Wie bin ich unglücklich!«

Ktesias begann heftig zu schluchzen und lehnte sich an Bakchis' Schulter.

»Ach! Ich hätte dir niemals solchen Kummer bereitet«, sagte Bakchis, indem sie ihre Tränen mit jenen ihres ehemaligen Geliebten vermischte. »Aber was kann ich für dich tun, mein armer verzweifelter Junge, und was habe ich mit jener abscheulichen Plango zu schaffen?«

»Ich weiß nicht,« fuhr Ktesias fort, »wer sie über unsere Liebe unterichtet hat, jedenfalls weiß sie es. Es muß, die giftgeschwollene Archenassa sein, die unter ihren honigsüßen Worten einen galligeren Stachel verbirgt, als die giftigsten Vipern und Drachen. Sie geriet, als sie es erfuhr, in eine derartige Wut, daß sie mich nicht einmal mehr anhören wollte. Sie ist schrecklich eifersüchtig auf dich, Bakchis, und kommt nicht darüber hinweg, daß du mich vor ihr geliebt hast. Sie glaubte, in meinem Herzen die erste zu sein, und ihre verletzte Eitelkeit hat ihre Liebe ertötet. Alles, was ich versucht habe, um sie zu erweichen, war umsonst. Sie hat mir nur das eine erwidert: »Bringe mir die Goldkette der Bakchis von Samos, und ich will wiederum dir gehören. Aber wage dich nicht ohne sie vor meine Augen, denn meine Sklaven haben Auftrag, meine lakonischen Fleischerhunde auf dich loszulassen, und ich sähe ruhig zu, wie sie dich zerrissen.« Das war ihre Antwort auf meine flehentlichsten Bitten, auf meine Zerknirschung. Plango ist unversöhnlich. Ich habe ihr entgegnet, daß ich mich töten werde, wenn sie nicht wieder mein sein wolle.«

Mit diesen Worten zog das Kind aus der Falte seiner Tunika einen Dolch mit achatenem Griffe und machte Miene, sich zu erstechen. Bakchis erbleichte und packte ihn in dem Augenblick am Arme, als die blinkende Spitze der Klinge in die glatte und glänzende Haut des Kindes eindringen wollte.

Sie entwand ihm die Waffe und warf sie ins Meer, welches unter dem Fenster ihres Zimmers rauschte. Dann umarmte sie Ktesias leidenschaftlich und flüsterte ihm zu:

»Du Licht meiner Augen, du sollst deine Plango wiedersehen; obzwar deine Erzählung mir großes Leid verursacht, verzeihe ich dir. Denn Eros ist stärker als der Wille der einfältigen Sterblichen und niemand kann seinem Herzen gebieten. Ich gebe dir meine Kette, bringe sie deiner erzürnten Herrin; sei glücklich mit ihr und denke manchmal an Bakchis von Samos, der du einst geschworen, sie stets zu lieben.«

Ktesias, von soviel Großmut hingewiesen, bedeckte die Hetäre mit Küssen, und behauptete, entschlossen zu sein, bei ihr zu bleiben und Plango niemals wiedersehen zu wollen. Aber er fühlte gar bald, daß er nicht die Kraft hätte, dieses Opfer zu bringen, und obgleich er sich in seinem Innern des schwärzesten Undankes anklagte, verließ er Samos, die Kette der Bakchis mit sich entführend.

Sobald er im Piräus gelandet war, nahm er zwei Träger, und ohne sich Zeit zu gönnen, den Staub von den Füßen zu schütteln, eilte er zu Plango.

Als die skythischen Sklaven ihn erblickten, begannen sie, ihre ungeheuren Hunde von den Ketten loszumachen. Aber Ktesias besänftigte sie, indem er ihnen versicherte, daß er die berühmte Kette der Samierin Bakchis mitbringe.

»Führ mich zu deiner Gebieterin«, befahl er dann einer Sklavin Plangos.

Die Sklavin ließ ihn mit seinen zwei Trägern ins Haus ein.

»Plango,« sagte Ktesias auf der Türschwelle zu der stirnrunzelnden Hetäre, »gerate nicht wieder in Wut und verjage mich nicht von neuem. Ich habe deinen Auftrag ausgeführt und bringe dir die goldene Kette der Bakchis.«

Er öffnete die Kiste und zog mit Anstrengung die goldene Kette hervor, die erstaunlich lang und schwer war.

»Wirst du mich noch von deinen Hunden zerfleischen und von deinen Skythen verprügeln lassen, undankbare, grausame Plango?«

Plango sprang auf, stürzte auf ihn zu und preßte ihn an ihre Brust.

»Ach, wie grausam, wie hart, wie erbarmungslos ich war! Du hast meinetwegen so leiden müssen! Du mein Liebling, ich weiß nicht, wie ich mich für so viel Bosheit bestrafen kann. Du liebtest Bakchis, und du hattest recht, denn sie ist besser als ich. Was sie getan hat, das wäre ich niemals imstande gewesen. Sie ist eine große Seele, eine edle Seele in einem schönen Körper! Du solltest sie wirklich anbeten!« Und eine leichte Röte, die letzte Spur der erlöschenden Eifersucht, überzog Plangos Antlitz.

Ktesias hatte also sein Versprechen eingelöst und trat wieder in den Vollgenuß seiner Rechte. Er lebte wieder mit Plango, zum großen Ärgernis aller atheniensischen Lebemänner.

Plango war hingebender denn je und schien sich zu bemühen, sogar die Erinnerung an das Geschehene aus seinem Gehirn zu tilgen. Von Bakchis sprach sie nie. Allein sie ging verträumter als sonst umher und man mochte glauben, daß etwas Besonderes in ihr vorgehe.

Eines Morgens griff sie nach ihren wachsüberzogenen Schreibtäfelchen aus Sykomorenholz, schrieb einige Zeilen mit dem Stilus darauf, rief einen Boten und übergab ihm den Brief, mit dem Auftrag, ihn so rasch wie möglich der Hetäre Bakchis in Samos zuzustellen.

Wenige Tage später empfing Bakchis diese Botschaft, die nebst zwei prachtvollen Perlen in einem kostbaren Holzkästchen lag.

Der Inhalt des Schreibens aber war folgender:

»Plango die Milesierin bietet Heil und Gruß der Bakchis, von Samos.«

»Du hast Ktesias von Kolophon die goldene Kette überlassen, die dein ganzes Vermögen ist, und dies, um die Laune einer Nebenbuhlerin zu befriedigen. Diese Tat hat mich dermaßen gerührt, daß sich der Haß, den ich dir nachtrug, in Freundschaft gekehrt hat. Du hast mir ein sehr kostbares Geschenk gemacht. Ich will dir ein noch viel wertvolleres machen. Du liebst Ktesias; verkaufe dein Haus, komm nach Athen. Mein Palast soll der deine sein, meine Sklaven werden dir gehorchen, wir wollen alles teilen, Ktesias nicht ausgenommen. Er gehört dir ebenso sehr wie mir; wir können beide ohne ihn nicht leben; so leben wir denn beide mit ihm. Freue dich und sei schön. Ich harre dein.«

Nach Ablauf eines Monats trat eines schönen Tages die Samierin Bakchis bei Plango ein. Vor dem Hause hielten zwei mit Schätzen beladene Maultiere.

Plango küßte sie auf die Stirn, ergriff sie bei der Hand und führte sie zu Ktesias.

»Ktesias,« sagte sie mit zärtlicher Stimme, »ich bringe dir eine Freundin.«

Ktesias drehte sich um. Als er Bakchis erblickte, geriet er in maßloses Erstaunen.

»Nun,« sagte Plango, »kennst du Bakchis nicht mehr? Bist du so vergeßlich? Umarme sie doch; man könnte fast glauben, du hättest sie nie in deinem Leben gesehen.« Und sie stieß ihn sanft, aber ebenso entschieden an Bakchis' Busen.

Dann klärte man Ktesias auf, der nicht wenig entzückt war, denn er hatte nie aufgehört, Bakchis zu lieben und die Erinnerung an sie war ein dauernder Schatten in seinem Glück. So schön seine gegenwärtige Liebe auch war, er konnte die einstige nie vergessen, und der Gedanke, ein Weib wie Bakchis unglücklich gemacht zu haben, betrübte seine Seele gar sehr.

So lebten denn Ktesias, Bakchis und Plango in vollkommenster Eintracht, und führten in ihrem Palaste ein elysiches Dasein, um das sie die Götter beneiden mochten. Niemand hätte sagen können, welche der beiden Freundinnen Ktesias teurer war, und es wäre ebenso schwierig gewesen, anzugeben, ob Plango ihn mehr liebte denn Bakchis, oder Bakchis ihm anhänglicher war als Plango.

Die Statue der Aphrodite wurde wieder in ihr kleines Gartenheiligtum gesetzt, nachdem sie ausgebessert worden war. Die zwanzig weißen Färsen mit den vergoldeten Hörnern wurden dem Merkur, dem Gotte der Beredtsamkeit, und die hundert Paare Turteltauben der Venus, die die Herzen bezwingt, geopfert, wie es Ktesias gelobt hatte.

Diese Begebenheit erregte Aufsehen, und die Griechen, die Plangos Benehmen bewunderten, fügten ihrem Namen noch den der Pasiphile hinzu.

Das ist die Geschichte der Milesierin Plango, wie sie zur Zeit des Perikles in Athen bei den Gastmählern herumerzählt wurde. Man verzeihe es dem Berichterstatter, wenn etwas nicht der Wahrheit entsprechen sollte.

 


 


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