Theophile Gautier
Novellen der Antike
Theophile Gautier

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Eine Nacht der Kleopatra

I

Ein prachtvoll ausgestattetes, mit den schönsten Farben bemaltes Boot schwamm den Nilstrom abwärts. Fünfzig lange, flache Ruder trieben es rasch dahin. Man hätte es für einen ungeheuren Skarabäus halten können.

Das Boot war schmal und lang, seine beiden Enden waren sichelförmig nach aufwärts gebogen, und man sah ihm seine Fahrttüchtigkeit an. Ein Widderkopf mit einer goldenen Kugel schmückte den Vorderbug und zeigte an, daß das Fahrzeug einer Person von königlichem Geblüte gehörte.

In der Mitte der Barke erhob sich eine Kabine mit flachem Dache, eine Art Naos oder Ehrenzelt, mit Gold und bunten Farben bemalt, kostbarem Schutzwerk, welches Palmenblätter vorstellte, und vier kleinen viereckigen Fenstern.

Zwei mit Hieroglyphen bedeckte Zimmer befanden sich an den beiden äußersten Enden des Schiffleins; das eine, größere, besaß ein niedriges Stockwerk, welches den bizarren Galeeren des sechzehnten Jahrhunderts, wie sie Della Bella zeichnete, glich. Das kleinere, der Aufenthaltsort des Steuermanns, endigte in einen dreieckigen Giebel.

Das Steuerruder bestand aus zwei ungeheuren Ruderstangen, die auf bunten Pfählen ruhten und sich hinter der Barke wie die Ruderfüße eines Schwans ins Wasser streckten. Der Griff dieser großen Ruderstangen war mit dem geschnitzten Kopfe des Pschent versehen, der am Kinn das allegorische Horn trug. Der Steuermann stand auf dem Dache seiner Hütte und handhabte das Steuer.

Es war ein sonnverbrannter Mann, von einer Farbe wie Bronze, mit bläulichschillerndem Glanze, mit bemalten Augenlidern, tief schwarzen Haaren, die in dünne Schnürchen geflochten waren, geöffnetem Munde, vorspringenden Backenknochen, vom Schädel weit abstehenden Ohren, der unverfälschte Typus des Ägypters. Ein enganliegender Negerschurz, der seine Lenden bedeckte, und fünf oder sechs Kettchen aus Glasperlen und Amuletten bildeten seine ganze Kleidung.

Er schien der einzige Bewohner des Kahns, denn die Ruderer, die über ihre Ruderstangen gebeugt dasaßen und unter dem Verdeck verborgen waren, verrieten ihre Anwesenheit bloß durch die symmetrische Bewegung der Ruder, die sich zu beiden Seiten der Barke fächerförmig ausstreckten und rhythmisch in das Wasser tauchten und wieder emporkamen.

Kein Lufthauch ließ die Atmosphäre erzittern, und das große dreieckige Segel des Kahns, das an einer Seidenschnur schlaff am Maste hing, zeigte, daß man jede Hoffnung auf einen günstigen Wind aufgegeben hatte.

Die Mittagssonne schoß ihre bleiernen Pfeile auf die Erde hinab; die aschfarbenen Schlammtümpel an den Flußufern warfen das Licht grell zurück. Der azurblaue Himmel schien zu glühen wie Metall im Schmelzofen. Der Horizont dampfte in rötlichen Schwaden. Nicht ein Wölkchen trübte die Einfärbigkeit des Himmels, der unverändert und schweigend wie die Ewigkeit über dem Lande lag.

Das trübe und dunkle Wasser des Nils schien während des Dahinströmens zu schlafen und wälzte sich träge, wie zähes, geschmolzenes Blei, fort. Kein Windhauch kräuselte seine Oberfläche, still standen die Stengel der Lotospflanzen da, so regungslos, als ob sie gemeißelt gewesen wären. Die Ufer waren verödet; eine unendliche, feierliche Traurigkeit lastete auf diesem Lande, das seit jeher nur eine große Grabstätte war und dessen Lebende keine andere Beschäftigung zu haben schienen, als die Toten einzubalsamieren. Es war eine dürre Trauer, trocken wie Bimsstein, ohne Melancholie, ohne Verträumtheit, da man auf dem Horizont keinem einzigen perlgrauen Wölkchen folgen konnte, da es nirgends eine heimliche Quelle gab, um in ihr die bestaubten Füße zu baden; die Trauer der Sphinx, die gelangweilt in die Wüste starrt und sich von ihrem granitenen Unterbau nicht loslösen kann, in den sie seit zwei Jahrtausenden ihre Fänge schlägt.

Das Schweigen war so tief, daß man hätte sagen können, die Welt sei verstummt oder die Luft habe die Fähigkeit, den Schall fortzupflanzen, verloren. Das einzige Geräusch, welches man vernehmen konnte, war das Pfauchen und Zischen der sich sonnenden Krokodile, die sich im Schlamm wälzten, oder das Gekreisch eines Ibis, der, müde geworden, mit einem Beine im Bauchgefieder verborgen und den Hals zwischen den Schultern dazustehen, seine Unbeweglichkeit aufgab und die blaue Luft mit seinen weißen Flügeln schlagend sich auf einem Obelisk oder auf einem Palmenbaume niederließ.

Der Kahn schoß wie ein Pfeil auf dem Wasser des Stromes dahin und ließ eine silberne Furche hinter sich, die sich bald wieder schloß; bloß einige Schaumkügelchen, die am Wasserspiegel zersprangen, bezeugten die Fahrt des Kahns, der schon weit weg war.

Die Flußufer, die ganz ockergelb waren, rollten sich rasch wie Papyrusstreifen zwischen dem doppelten Azur des Himmels und des Wassers ab, die einander so gleich waren, daß die dünne Landzunge, die sie trennte, wie ein schmaler Pfad aussah, der durch einen ungeheuren See führte. Es war schwer, zu entscheiden, ob der Himmel sich im Nil widerspiegelte oder ob der Nil vom Himmel zurückgeworfen wurde.

Die Landschaft änderte fortwährend ihr Aussehen. Bald waren es gigantische Propyläen, die im Flusse ihre Mauern spiegelten, auf deren Flächen die sonderbarsten Figuren zu sehen waren; Pylonen mit sich ausbreitenden Kapitälen, Rampen mit großen Sphinxen zu beiden Seiten, welche die eigenartige Kopfbedeckung mit dem gerieften Barte trugen und ihre Tatzen aus schwarzem Basalte unter ihren spitzen Brüsten gekreuzt hatten; ungeheure, massige Paläste, deren horizontale und strenge Deckengebälkslinien sich scharf vom Horizonte abhoben; auf den Dächern öffnete die sinnbildliche Erdkugel ihre geheimnisvollen Flügel wie ein riesiger Adler; Tempelbauten mit hohen, turmähnlichen Säulen, auf deren weißem Untergrunde sich ganze Reihen von hieroglyphischen Figuren gemalt befanden, und alle anderen Wunder dieser titanischen Baukunst. Bald kamen wieder Gegenden von trostloser Dürre und Verödung; Hügel, die aus Bauschutt bestanden, Berge von jenen Granitblöcken, die den Jahrtausenden Trotz bieten; Gebirgsketten, die von der Hitze ganz wie geröstet und wie geschwärzte Trümmer einer Feuersbrunst aussahen; bucklige, mißgestaltete Grabhügel; grünlicher Mergel, roter Ocker, mehlig aussehende Tuffsteine, und ab und zu eine steile Böschung aus rosafarbenem Marmor, aus dem große Höhlungen, die vom Abbruch herrührten, gähnten.

Diese Trockenheit war durch nichts gemildert; keine belaubte Oase erquickte den Blick; grün schien in dieser Natur eine gänzlich unbekannte Farbe. Bloß eine dürre Palme ragte hie und da empor, und einige Safflorgewächse, die im Schatten eines Säulenstumpfes ein wenig Feuchtigkeit fanden, unterbrachen die allgemeine Einförmigkeit mit ihrem Rot.

Doch wir müssen nun zum Schiff zurückkehren, in die große Hütte.

Das Innere war ganz weiß bemalt, mit grünen Arabesken, roten Streifen und goldenen Blüten von phantastischen Formen; eine Binsenmatte von wunderbarer Flechtarbeit bedeckte den Boden. In einer Ecke stand ein Bett auf vier Greifenfüßen, mit einer Rücklehne wie ein moderner Diwan, ein Schemel mit vier Stufen, und ein dem Abendlande unbekanntes Gerät, nämlich ein halbkreisförmiger Bügel aus Zedernholz, der auf einem breiten Fuß ruhte. Diese Vorrichtung diente dazu, den Hals zu unterstützen und den Kopf beim Liegen freizulassen.

Auf diesem sonderbaren Kissen lag ein reizendes Haupt, dessen Blicke fast die Welt ins Verderben gestürzt hätten, ein geschmücktes, angebetetes, göttliches Haupt, das Haupt des echtesten Weibes, das je gelebt hat, ein wunderbares Haupt, das von keinem Dichter jemals entsprechend geschildert wurde. Man braucht den Namen Kleopatra nicht erst zu nennen.

Neben ihr schwang Charmion, ihre Lieblingssklavin, einen großen Wedel aus Ibisfedern; ein junges Mädchen besprengte mit einem wohlriechenden Wasser die kleinen Fensterläden aus Schilfrohr, damit die Luft frisch und duftend ins Gemach dringe.

Neben dem Ruhebett stand eine Vase aus Alabaster mit schlankem Halse und schön geschweiftem Bauche; darin stak ein Strauß von Lotusblüten, die einen himmelblau, die anderen rosig, wie die Fingerspitzen der großen Göttin Isis.

Kleopatra war an diesem Tage, war es aus Laune oder aus Politik, nicht auf griechische Art gekleidet. Sie hatte einem Opferfeste beigewohnt und kehrte zu Schiff in ihren Sommerpalast zurück, in ägyptischer Tracht.

Diese ägyptische Kleidung bestand aus folgenden Teilen. Ihr Haupt war von einer Art luftigen goldenen Helmes bedeckt, der den Leib und die Flügel des heiligen Sperbers nachbildete; die Flügel, die fächerförmig zu beiden Seiten des Kopfes hinabfielen, reichten über die Schläfen und gingen fast bis zum Halse hinab, ließen aber das rosige, tadellos geformte Ohr frei. Der Vogelschwanz befand sich an der Stelle, wo unsere Frauen den Nackenwulst haben; der Leib, der mit dachziegelartig übereinanderliegenden Federn bedeckt und mit buntem Schmelz belegt war, hüllte den Scheitel ein, und der Hals des Vogels, der anmutig zur Stirne hin gebogen war, bildete mit dem Kopf eine Art edelsteinfunkelndes Horn. Ein symbolischer Helmstutz von der Gestalt eines Turmes vervollständigte diese elegante, seltsame Kopfbedeckung. Nachtschwarze Haare sahen unter diesem Helme hervor und ringelten sich über die weißen Schultern, die von einem mit mehreren Reihen von Schlangenstein, Azerodrach und Chrysoberyll geschmückten Ringkragen größtenteils verhüllt waren. Ein Leinenkleid wogte über den schönen Leib und ließ seine Umrisse ahnen. Dieses Kleid hatte kurze Ärmel, und man konnte den wundervollen Arm und die vollendete Hand sehen. Den Arm umpreßten sechs Goldreifen und die Hand trug einen Ring, der einen Skarabäus darstellte. Ein Gürtel, dessen ineinander verknotete Enden vorne herabfielen, bezeichnete die Mitte dieser leichten, wogenden Tunika. Ein mit Fransen besticktes Mäntelchen vollendete den Aufzug, und falls die barbarischen Worte heutigen Ohren nicht wehe tun, sei hinzugefügt, daß dieses Kleid schenti und das Mäntelchen kalasiris hieß.

Nicht vergessen mag sein, daß die Königin Kleopatra sehr leichte Sandalen trug, die an der Spitze zurückgebogen waren und den Schnabelschuhen des Mittelalters ähnelten.

Kleopatra sah indes keineswegs so zufrieden aus wie ein Weib, das seiner vollkommenen Schönheit gewiß ist. Sie drehte und wand sich und warf sich auf ihrem Ruhelager hin und her und ihre heftigen Bewegungen zerstörten fortwährend die Falten ihres Gazekonopeums, welches Charmion mit unerschöpflicher Geduld immer wieder in Ordnung brachte, ohne aufzuhören, ihren Wedel zu schwingen.

»Man erstickt in diesem Gelaß,« sagte Kleopatra; »hätte Phtha, der Feuergott, hier seine Esse, es könnte nicht heißer sein.« Und sie benetzte ihre Lippen mit ihrer Zungenspitze, dann streckte sie die Hand aus wie ein Kranker, der nach einem Becher tastet.

Charmion, stets aufmerksam, klatschte in die Hände. Ein schwarzer Sklave, mit einem faltigen Lendenschurz und einem Pantherfell um die Schultern trat geräuschlos wie ein Gespenst ein und brachte auf seiner linken Hand eine Platte, auf der Tassen, Gläser, Melonenschnitten waren, und in der rechten hielt er eine lange Vase mit engem Halse.

Der Sklave goß aus dieser Vase in eine Schale eine erfrischende Flüssigkeit und überreichte sie kniend der Königin.

Kleopatra nippte daran und stellte das Gefäß neben sich hin. Dann wandte sie ihre schönen, dunklen Augen Charmion zu und seufzte:

»O Charmion! ich langweile mich.«

 


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