Theophile Gautier
Novellen der Antike
Theophile Gautier

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III

Wer ist dieser junge Mann, der, auf einem kleinen Floß aus Baumrinde stehend, dem königlichen Kahne nachfolgt, und es mit fünfzig Ruderknechten aus dem Lande Kusch, die bis an den Gürtel nackt und mit Palmenöl gesalbt sind, an Schnelligkeit aufnimmt? Welches Interesse treibt ihn an, der Königin nachzufahren?

Es ist vielleicht nicht sehr leicht, ausfindig zu machen, was sich vor etwa zweitausend Jahren ein junger Mann aus dem Lande Kem dachte, der der Barke Kleopatras, der Königin und Göttin Euergetes, nachfuhr. Indes wollen wir es versuchen.

Meiamun, der Sohn des Manduschopsch, war ein junger Mann von ganz eigenartiger Veranlagung. Nichts von alledem, was einem gewöhnlichen Sterblichen nahegeht, machte Eindruck auf ihn. Er schien einem höheren Geschlechte anzugehören, und man hätte ihn für den Sproß irgendeines göttlichen Ehebruchs halten können. Sein Blick hatte den Glanz und die Festigkeit des Sperberauges, und heitere Majestät thronte auf seiner Stirn, Der Ausdruck edler Verachtung kräuselte seine Oberlippe und blähte seine Nüstern wie die eines feurigen Rosses. Obgleich er fast die zarte Anmut eines jungen Mädchens besaß, und Dionysus selbst, der verweichlichte Gott, keine so runde, glatte Brust hatte, verbarg er unter dieser weibischen Hülle stählerne Nerven und herkulische Kräfte. Es war der besondere, einzigdastehende Vorzug mancher antiker Naturen, Frauenschönheit mit Manneskraft zu vereinen.

Seine Hautfarbe war orangengelb, eine Farbe, die allerdings unserer Vorstellung einer schönen Haut, die weiß und rosig sein muß, wenig entspricht. Trotzdem aber war er ein auffallend schöner Jüngling, dem alle Arten von Frauen, gelbe, rote, kupferbraune, goldbraune, dunkelfarbige, ja sogar auch weiße Griechinnen, eifrig nachstellten.

Und dennoch glaube man ja nicht, daß Meiamun ein Frauenjäger war. Die Asche des alten Priamus, der Schnee des Hippolytus selbst war nicht unempfindlicher und kälter. Kein junger Neophyte in weißer Tunika, der sich auf die Einweihung in den Isisdienst vorbereitet, konnte ein keuscheres Leben führen als er; kein junges Mädchen, das noch nicht dem Schutze der Mutter entwichen ist, hatte seine schamerfüllte Reinheit.

Die Genüsse Meiamuns waren ganz anderer Art, als man seinem Äußeren zutrauen mochte. Frühmorgens ritt er aus, mit einem kleinen Schild aus Nilpferdleder, einem krummen Schwerte, einem dreieckigen Bogen und einem Köcher aus Schlangenhaut, in welchem einige gefiederte Pfeile staken, bewaffnet. So ausgerüstet drang er in die Wüste ein und ließ sein Roß mit trockenen Beinen, aufgerichtetem Kopfe, fliegender Mähne dahinstürmen, bis er die Spur einer Löwin fand. Es bereitete ihm ein besonderes Vergnügen, ihr die Jungen unter dem Leibe wegzunehmen. Bei allen Dingen suchte und liebte er nur das Gefährliche und Unmögliche; es reizte ihn, die unwegsamsten Pfade aufzusuchen, die tosendsten Wirbel zu durchschwimmen, und er hätte am liebsten, um ein Bad im Nil zu nehmen, sich in die Katarakte gestürzt: der Abgrund lockte ihn.

Das war Meiamun, der Sohn des Manduschopsch.

Seit einiger Zeit hatte sein Wagemut womöglich noch zugenommen. Monatelang hielt er sich in den Sandwüsten auf und kam höchst selten in bewohnte Gegenden. Seine besorgte Mutter spähte vergebens von ihrem Dache ins Weite und suchte mit unermüdlichen Blicken die Landschaft ab. Endlich, nach langem Harren, wirbelte eine kleine Staubwolke am Horizonte auf; bald zerteilte sie sich und ließ Meiamun sehen, sandgeschwärzt, auf dem abgemagerten Pferde hängend, das die Augen blutunterlaufen, die Schnauze schaumbedeckt hatte und in den Flanken Narben aufwies, die nicht von den Sporen herrührten.

Nachdem er in seiner Kammer irgendein Hyänen- oder Löwenfell aufgehängt hatte, verschwand er wieder.

Und dennoch hätte niemand glücklicher sein können als Meiamun; denn Nephte, die Tochter des Priesters Afonnitis, das schönste Weib der Landschaft Arsinoitis, liebte ihn. Nur ein Mensch wie Meiamun war imstande, zu übersehen, daß Nephte zwei wundervolle, einen Ausdruck schmachtender Wollust verratende Augen, einen Mund, auf dem ein rosiges Lächeln erzitterte, weiße Perlenzähne, runde Arme und vollkommenere Füße als die der Isisstatue hatte; in ganz Ägypten gab es sicherlich keine kleinere Hand, noch längere Haare. Nur Kleopatra konnte es mit ihren Reizen aufnehmen. Aber wer durfte daran denken, Kleopatra zu lieben? Ixion, der Juno begehrte, umarmte bloß eine Wolke und dreht dafür ewiglich sein Rad in der Unterwelt.

Meiamun aber liebte Kleopatra!

Er hatte zuerst versucht, gegen diese unsinnige Leidenschaft anzukämpfen; er hatte heldenmütig mit ihr gekämpft, aber man erwürgt die Liebe nicht, wie man einen Löwen erwürgt, und die stärksten Athleten sind ihr gegenüber ohnmächtig. Der Pfeil stak in der Wunde und er schleppte ihn überall mit sich herum. Das strahlende, leuchtende Bild Kleopatras unter ihrem goldglänzenden Diadem, wie sie allein in ihrem Herrscherpurpur vor dem zu Boden gesunkenen Volke dastand, erschien ihm im Schlafen und im Wachen. Wie ein Tor, der allzu lange in die Sonne geblickt hat und nun stets einen unfaßbaren Fleck vor seinen Augen flimmern sieht, sah Meiamun immer Kleopatra vor sich. Nur Adler können die Sonne betrachten, ohne geblendet zu werden, aber welcher diamantene Augapfel dürfte sich ungestraft auf ein schönes Weib, auf eine schöne Königin richten?

Und nun bestand sein Leben darin, um den Königspalast umherzuirren, um dieselbe Luft mit Kleopatra zu atmen, um auf dem Sande – wie selten ward ihm dies Glück zuteil! – die halb verwischte Spur ihres Fußes zu küssen; er drängte sich zu allen heiligen Festen und Aufzügen, in der Hoffnung, einen Blick von ihr zu erhaschen, im Vorbeigehen ihre Schönheit in sich zu saugen. Manchmal übermannte ihn die Scham über diesen sinnlosen Lebenswandel; er verlegte sich dann mit doppelter Wut auf die Jagd und versuchte, durch Erschöpfung die Glut seines Blutes und den Aufruhr seiner Sinne zu dämpfen.

Heute hatte er der Hermonthisprozession beigewohnt und in der unbestimmten Hoffnung, die Königin einen Augenblick lang zu sehen, wenn sie beim Sommerpalaste ans Land stieg, war er ihrem Schiff in seinem Kahn gefolgt, ohne sich um die grausamen Pfeile der Sonne zu kümmern, die eine solche Hitze ausstrahlte, daß die Sphinxe auf ihren rötlichen Sockeln fast erstickten.

Und dann ward es ihm klar, daß er vor einem entscheidenden Moment seines Lebens stünde und daß er sein Geheimnis nicht mit sich ins Grab nehmen könnte.

Es ist eine ganz eigenartige Sache, eine Königin zu lieben. Es ist dasselbe, als ob man einen Stern liebt. Aber das Gestirn kommt wenigstens allnächtlich an den Himmelssaum, um zu leuchten; es ist gleichsam ein geheimniserfülltes Wiedersehen. Man erblickt den Stern stets aufs neue und er läßt sich ungestraft anstarren. O Unheil! Arm, unbekannt, unberühmt zu sein, auf der untersten Sprosse der menschlichen Stufenleiter zu stehen und das Herz vor Liebe zu irgendeinem funkelnden, strahlenden Sonnending, zu einem Weib, dessen letzte Sklavin nichts von einem wissen wollte, überströmen zu fühlen! Das Auge beständig auf jemand richten zu müssen, der einen gar nicht sieht, der einen nie und nimmer bemerken wird, für den man nichts ist denn einer von den vielen und den man hunderte Male trifft, ohne erkannt zu werden! Und kommt gar etwa die Gelegenheit, zu sprechen, nichts geben zu können, kein dichterisches Feuer, keine große Tat, keine überirdische Eigenschaft, bloß Liebesverlangen! Für Schönheit, Adel, Macht, für allen Glanz, von dem man träumt, nichts bieten zu können, als Leidenschaft und Jugend! Wie grausam!

Diese Gedanken zermalmten Meiamun. Er lag in den Sand hingestreckt, die Hände vor das Gesicht geschlagen, und ließ sich von nimmer rastenden Traumwogen dahintreiben; tausend Pläne, einer sinnloser als der andere, fluteten durch sein Gehirn. Er fühlte wohl, daß er einem unerreichbaren Ziel zustrebte, aber dennoch brachte er nicht den Mut und die Kraft auf, zu verzichten, und eine trügerische Hoffnung flüsterte ihm wahnwitzige Verheißungen ins Ohr.

»Hathor, mächtige Göttin,« murmelte er, »was habe ich dir getan, daß du mich so unglücklich machst? Rächst du dich an mir für die Verschmähung, die ich der Nephte, der Tochter des Priesters Afonnitis, zuteil werden ließ? Grollst du mir, weil ich Lamia, die athenische Hetäre, oder Flora, die römische Buhlerin, zurückgewiesen habe? Ist es meine Schuld, daß mein Herz nur für die Schönheit Kleopatras, deiner Nebenbuhlerin, empfänglich ist? Weshalb hast du den Giftpfeil unstillbarer Sehnsucht in mein Herz gesendet? Welches Opfer, welche Buße forderst du? Soll ich dir eine Kapelle aus syenischem Rosenmarmor mit vergoldeten Säulenknaufen, einem Deckengewölbe aus einem einzigen Stück und von den besten Meistern von Memphis oder Theben gemeißelten Hieroglyphen errichten lassen? Antworte mir.«

Hathor schwieg, wie alle Götter und Göttinnen, die man anruft. Meiamun wollte schier verzweifeln.

Auch Kleopatra flehte zur Göttin Hathor. Sie erbat von ihr eine neue Lust, ein noch unbekanntes Vergnügen; auf ihrem Lager vor Langeweile verschmachtend, dachte sie daran, daß die Anzahl der Sinne begrenzt sei, daß die ausgesuchtesten Genüsse bald nur mehr Ekel erzeugen, und daß eine Königin wirklich genug daran hat, den Tag auszufüllen. Gifte an Sklaven ausprobieren, Menschen mit Tigern oder Gladiatoren miteinander kämpfen zu lassen, geschmolzene Perlen trinken, eine ganze Provinz bei einem Gastmahle verzehren, all das ist alltäglich und gemein!

Charmion wußte sich mit ihrer Gebieterin nicht mehr zu helfen.

Plötzlich ließ sich ein Zischen vernehmen und ein Pfeil fuhr herein und blieb zitternd in der Zedernverkleidung der Wand haften.

Kleopatra fiel vor Schreck fast in Ohnmacht. Charmion sah zum Fenster hinaus, bemerkte aber nichts als eine Schaumflocke auf dem Wasserspiegel. Eine Papyrusrolle umgab den Pfeilschaft. Sie enthielt drei Worte in demotischer Schrift: »Ich liebe dich!«

 


 << zurück weiter >>