Theophile Gautier
Novellen der Antike
Theophile Gautier

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VI

Unsere Welt ist im Vergleich mit der antiken sehr klein, unsere Feste sind armselig neben dem Luxus römischer Patrizier und asiatischer Fürsten; ihre gewöhnlichen Mahlzeiten würden heutzutage als zügellose Orgien gelten, und eine ganze heutige Stadt könnte acht Tage lang davon leben, was Lukullus mit seinen Freunden zum Nachtisch verzehrte. Wir begreifen in unserer fürchterlichen Nüchternheit und Kargheit kaum jene Menschen, die alles in die Tat umsetzten, was ihre Einbildungskraft nur auszudenken vermochte. Unsere Paläste sind Ställe, in denen ein Caligula nicht einmal seine Pferde hätte unterbringen mögen; der reichste unserer konstitutionellen Könige führt noch nicht die Hofhaltung eines kleinen Satrapen oder eines römischen Prokonsuls. Die strahlenden Sonnen, die die Erde beschienen, sind auf immer in dem Nichts der Gleichförmigkeit erloschen; auf dem schwarzen Ameisenhaufen der Menschen erheben sich nicht mehr jene titanischen Gestalten, die die Welt gleich den Pferden Homers in drei Schritten durchmaßen. Es gibt keinen Turm von Lylak mehr, kein ungeheures Babel, das den Himmel ersteigt, keine maßlosen Tempelbauten, zu deren Material Gebirge abgetragen werden mußten, keine königlichen Terrassen, an denen ganze Jahrhunderte und Völker bauten, keine jener Städte, die den Wohnstätten eines Geschlechtes von Riesen und Zyklopen gleichen, mit ihren abgrundtiefen Umschanzungen, ihren blutopferfordernden Zirkussen, ihren von Leviathanen und Walfischen bevölkerten Wasserreservoiren, ihren kolossalen Rampen, ihren aufeinandergetürmten Terrassen, ihren in die Wolken reichenden Türmen, ihren Riesenpalästen, ihren Wasserleitungen, ihren Theatern und finsteren Katakomben! Ach! nichts mehr als Bienenstöcke aus Gips auf einem Schachbrett aus Pflastersteinen!

Man muß sich wirklich wundern, daß die Menschen sich gegen diese Entziehung aller Reichtümer und aller lebenden Kräfte zum Besten einiger weniger Bevorzugten nicht aufgelehnt haben, und daß so übertriebene Phantasien auf ihrem blutigen Wege nicht fortwährend aufgehalten wurden. Das kam daher, weil diese erstaunlichen Existenzen die tatsächliche Verwirklichung der Träume waren, die jeder hatte, – Personifikationen des allgemeinen Denkens, die mit Flammenlettern in die Geschichte eingegraben wurden. Heutzutage langweilt sich die Welt zum Verzweifeln, da sie dieses blendenden Schauspiels des allmächtigen Willens, dieser erhabenen Betrachtung einer menschlichen Seele, deren geringster Wunsch sich in unerhörte Taten umsetzt, in Ungeheuerlichkeiten aus Granit oder Erz ausdrückt, beraubt ist. Der Aufflug der menschlichen Phantasie ist vorbei für immer.

Die Geschichte, die hier erzählt wird, und der große Name Kleopatras, der mit ihr verknüpft ist, hat diese für heutige Ohren schlecht klingenden Erwägungen erzeugt. Aber das Schauspiel der antiken Welt ist etwas so Erdrückendes, so Entmutigendes für die entfesselte Phantasie, die heute an den engen Schranken der Außenwelt zugrunde geht, daß wir unseren Schmerz und unser Bedauern nicht verbergen können, nicht zur Zeit Sardanapals, Tiglath Pilesers, Kleopatras, oder wenigstens Heliogabals, römischen Kaisers und Priesters der Sonne, gelebt zu haben.

Und nun gilt es, eine wilde Orgie, ein Fest, welches Belsazars Feste in den Schatten stellte, eine Nacht der Kleopatra zu beschreiben. Doch es ist zu befürchten, daß unsere heutige arme, mönchisch-keusche Sprache nicht fähig ist, dieses frenetische Rasen, dieses gewaltige, mächtige Schwelgen, das nicht davor zurückbebt, Blut und Wein zu vermischen, diese Ausbrüche titanischer Begierden, dieses Aufschäumen und Toben aller Sinne wiederzugeben.

Die verheißene Nacht mußte prächtig sein. Es sollten alle möglichen Freuden eines Menschenlebens in ein paar Stunden zusammengedrängt werden. Meiamuns Leben mußte zu einem starken Elixir werden, das er mit einem einzigen Zug leeren konnte und sollte. Kleopatra wollte ihr Opfer blenden und in einen Strudel unerhörter, ungekannter Wonnen stürzen, es berauschen, es im Weine der Orgie die Vernunft verlieren lassen, so daß der Tod, obwohl von vorneherein ausbedungen, herankäme, ohne bemerkt und gefühlt zu werden.

Versetzen wir uns in den Festsaal.

Unsere heutige Baukunst bietet wenig Vergleichspunkte mit jenen ungeheuerlichen Bauten, deren Ruinen eher Bergstürzen als Resten von Bauwerken gleichen. Es wäre die ganze Übertreibung des antiken Lebens nötig, um diese überladenen Paläste, deren Säle so groß waren, daß sie keine andere Decke als den Himmel haben konnten, zu beleben und zu erfüllen.

Der Festsaal hatte riesige, geradezu babylonische Dimensionen. Das Auge vermochte seine unergründliche Tiefe nicht zu durchdringen. Massige, kurze, stämmige Säulen, die das Himmelsgewölbe hätten tragen können, ruhten auf einem hieroglyphenverzierten Unterbau und unterstützten mit ihren bauchigen Kapitälen gigantische granitene Schwibbögen, die schichtenweise wie umgekehrte Stufen sich vorschoben. Zwischen je zwei Pfeilern war eine große basaltene Sphinx, die mit ihrem Kopfe mit den schiefen Augen und dem vorspringenden Kinne in den Saal hineinragte und starr und geheimnisvoll dreinsah. Im zweiten Stockwerk, das gegen das erste zurückwich, waren die Kapitäle der bereits stark verjüngten Säulen durch vier mit den Gesichtern nach außen gekehrte Frauenköpfe mit den ägyptischen gerieften Bärten und Haarflechten ersetzt; anstatt der Sphinxe saßen Götzen mit Stierköpfen auf steinernen Sitzen und starrten wie geduldige Gäste, die den Beginn des Festes erwarten, auf die nächtlichen Ausschweifungen hinab.

Ein drittes Stockwerk, wiederum anders angelegt, mit bronzenen Elefanten, die wohlriechendes Wasser aus ihren Rüsseln schleuderten, krönte den Bau; oben öffnete sich der Himmel wie ein blauer Schlund und die neugierigen Sterne lugten über den Fries.

Wundervolle Porphyrstufen, die so glatt waren, daß sie die Körper wie Spiegelflächen zurückwarfen, liefen nach allen Seiten empor und verbanden diese großen Architekturmassen miteinander.

Wir geben hier nur eine flüchtige Skizze, um die Anordnung dieser gewaltigen Konstruktion mit ihren ungeheuren Verhältnissen zu veranschaulichen. Es wäre der Pinsel eines Martin, des großen Malers der verschwundenen Ungeheuerlichkeiten, nötig, und die Feder ist ein schlechter Ersatz für den Pinsel, um die apokalyptische Tiefe jenes düsteren Stils wiederzugeben. Die Einbildungskraft muß hier genügen. Weniger glücklich als der Maler und der Musiker, können wir die Gegenstände nur nacheinander schildern. Dabei mußten wir uns auf den Festsaal beschränken und auf die Aufzählung der Teilnehmer an dem Gelage verzichten.

Kleopatra und Meiamun betraten den Saal.

Meiamun trug eine mit Sternen besäte leinene Tunika, einen Purpurmantel und bändergeschmückte Haare wie ein orientalischer König. Kleopatra trug ein meergrünes, seitlich geschlitztes, von goldenen Bienen zusammengerafftes Kleid. Um ihre nackten Arme wanden sich zwei Reihen großer Perlen. Auf ihrem Haupte strahlte die Krone mit dem goldenen Knaufe. Trotz des Lächelns ihres Mundes beschattete eine Wolke der Zerstreutheit ihre schöne Stirn, und ihre Augenbrauen zogen sich manchmal leicht zusammen. Was mochte die große Königin quälen?

Meiamun hatte die glühende, erregungfiebernde Gesichtsfarbe eines Menschen, der in Ekstase ist oder in eine andere Welt schaut; sein Haupt schien von einem goldenen Glorienschein umstrahlt, wie einer der zwölf großen Olympier.

Eine ernste und tiefe Freude prägte sich in seinen Zügen aus. Er hatte seine Chimäre mit den unruhigen, unstäten Flügeln umarmt, ohne daß sie ihm davonflog; er hatte das Ziel seines Lebens erreicht. Und würde er so alt wie Nestor und Priamus, bedeckten sich seine Schläfen mit weißen Haaren, wie sie der Ammonspriester hatte, nichts Neues könnte er mehr empfinden, nichts mehr erleben. Er hat seine tollsten Hoffnungen in solchem Maße erfüllt bekommen, daß ihm die Welt nichts mehr zu bieten vermag.

Kleopatra ließ ihn an ihrer Seite auf einem von zwei goldenen Greifen bewachten Throne niedersitzen und klatschte in die Hände. Plötzlich zeichneten Feuerlinien, funkelnde Schnüre alle Hervorragungen der Architektur scharf ab; die Augen der Sphinx schleuderten Blitzstrahlen, ein feuriger Atem drang aus dem Munde der Götzen. Die Elefantenrüssel sprühten anstatt des wohlriechenden Wassers rote Garben. Aus dem Gemäuer wuchsen bronzene Arme mit fackelbewehrten Fäusten drohend heraus; in den Herzen der steinernen Lotusblüten erglühten bläuliche Lichter.

Große Flammen züngelten in wechselnden Farben auf erzenen Dreifüßen, Riesenleuchter dampften in rötlichen Schwaden. Alles funkelte und glitzerte. Die prismatischen Regenbogenfarben kreuzten und brachen sich in der Luft. Die Facetten der Gläser, die Kanten der Marmor- und Jaspisgegenstände, die Beschläge der Vasen, alles glimmte, glühte, blitzte. Durch dieses Lichtmeer hindurch schienen sich die übergroßen Figuren der Tiere und Götzen, die Hieroglyphen und Karyatiden zu beleben und zu bewegen.

Die Orgie näherte sich ihrem Höhepunkte. Gerichte aus Nachtigallenzungen und Papageienfischlebern, Muränen, die mit Menschenfleisch gefüttert worden waren, Pfauenhirne, mit lebenden Vögeln ausgestopfte Eber, alle Wunder der antiken Schwelgereien häuften sich in vervielfachten Massen auf den drei Teilen des gigantischen Trikliniums. Kreter-, Massiker- und Falernerweine schäumten in goldenen, rosenbekränzten Mischkrügen, und asiatische Pagen, deren schöne wallende Haare den Gästen zum Abwischen der Hände dienten, liefen hin und her. Der Lärm von Sistren, Tympanen, Zimbeln und Harfen kam von oben herunter und vermischte sich mit dem Rauschen des Gelages.

Meiamun, das Haupt an Kleopatras Schulter gelehnt, fühlte, wie ihm die Vernunft schwand. Der Festsaal drehte sich um ihn wie ein ungeheurer Kreisel; er sah unendliche Reihen von Säulen vor sich, immer neue Stockwerke türmten sich aufeinander und verloren sich in nebelhafter Höhe. Hätte er nicht Kleopatras weiche, kühle Hand in der seinen gefühlt, er hätte geglaubt, in eine fremde, andere Welt gebannt zu sein.

Gegen Ende des Mahles führten bucklige Zwerge und Krüppel einen grotesken Tanz auf. Dann traten ägyptische und griechische Tänzerinnen auf und wanden anmutig-wollüstig ihre nackten Leiber.

Und dann erhob sich Kleopatra selbst von ihrem Throne, warf ihren Königsmantel ab, ersetzte ihre Sternenkrone durch einen Blütenkranz, nahm goldene Klappern in die Alabasterhände und begann vor Meiamun, dem das Herz vor Entzücken fast barst, zu tanzen. Ihre schönen runden Arme, die den Henkeln einer Marmorvase glichen, handhabten immer heftiger die Klappern. Auf der rosigen Spitze ihrer kleinen Füße stehend, schwebte sie rasch zu Meiamun und hauchte einen Kuß auf seine Stirn, dann entschwand sie blitzschnell und wirbelte in wechselnden Stellungen und Haltungen um ihn herum; bald schloß sie die Augen, ließ das Haupt sinken, die Arme wie tot herabhängen, und sah aus wie eine von ihrem Gotte berauschte, weissagende Priesterin. Bald war sie wieder lebendig, lachend, rasch, schmetterlinggleich, und ihr Tanz drückte die Liebe des Herzens, die Lust der Sinne, die Glut der Leidenschaft, die unerschöpfliche Kraft der Jugend, die Verheißung nahen Glückes aus. Die keuschen Sterne sahen nicht mehr zu, ihre silbernen Augen vermochten einen solchen Anblick nicht mehr zu ertragen. Der Himmel hatte sich verfinstert und eine einzige glühende Dampfwolke bedeckte den Saal.

Kleopatra nahm wieder neben Meiamun Platz. Die Nacht ging ihrem Ende entgegen, ein bläulicher Schimmer brach von Osten herein, die obersten Säulenknaufe nahmen hellere, fahle Streiflichter an: der Tag kam.

Meiamun ergriff einen Becher, den ihm ein ganz schwarzer äthiopischer Sklave darbot. Es war ein äußerst starkes Gift. Meiamun warf seiner Geliebten in einem letzten Blicke sein Leben hin, dann führte er die Schale, in welcher der vergiftete Trank brodelte und schäumte, an seine Lippen.

Kleopatra erbleichte und legte ihre Hand auf den Arm Meiamuns, um ihn zurückzuhalten. Sein Mut rührte sie. Sie wollte ihm schon sagen: »Lebe noch, um mich zu lieben, ich will es . . .« als plötzlich ein Hornstoß vernehmbar wurde. Vier bewaffnete Herolde ritten in den Saal; es waren Offiziere Mark Antons, denen ihr Herr auf dem Fuße folgte. Schweigend ließ Kleopatra Meiamuns Arm los. Ein Sonnenstrahl spielte auf ihrer Stirn, gleichsam als wollte er die fehlende Krone ersetzen.

»Du siehst, der Augenblick ist gekommen; es ist Tag, der Traum zu Ende«, sagte Meiamun. Dann leerte er auf einen Zug den Todesbecher und stürzte wie vom Blitz getroffen die Stufen des Thrones hinab. Kleopatra ließ den Kopf sinken, und eine heiße Träne, die einzige, die sie je im Leben vergossen, fiel in ihren Becher.

»Beim Herkules! meine schöne Königin, ich sehe, ich beeilte mich ganz umsonst, denn ich bin dennoch zu spät gekommen,« sprach Mark Anton, als er die Halle betrat; »das Mahl ist zu Ende. Aber was soll dieser Leichnam hier?«

»O, nichts«, sagte Kleopatra lächelnd. »Ich habe ein Gift ausprobiert, dessen ich mich bedienen werde, wenn Augustus mich gefangennehmen will. Beliebt es dir, mein teuerster Herr, an meiner Seite Platz zu nehmen und dem Tanze meiner griechischen Narren zuzusehen?«

 


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