Theophile Gautier
Novellen der Antike
Theophile Gautier

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V

Statire, hinter der Gyges einherschritt, kam zu einer kleinen Tür, deren Verschluß sie öffnete, indem sie einen an einem ledernen Bande befestigten silbernen Ring verschob, hierauf ging sie eine Treppe mit ziemlich steilen Stufen empor, die in das Gemäuer selbst eingelassen war. Am oberen Ende dieser Treppe befand sich wieder eine Türe, die sie mittels eines aus Elfenbein und Kupfer bestehenden Hakens aufsperrte. Sobald Gyges das dahinter liegende Gemach betreten hatte, verschwand sie, ohne etwas anderes zu sagen, als daß er hier erwartet werde.

Gyges' Neugierde war nicht ohne Besorgnis; er ahnte so ziemlich, was diese geheimnisvolle Botschaft zu bedeuten hatte. Er schien in der Botin eine der Frauen Nyssias zu erkennen, und der Weg, den sie ihn geführt hatte, war der in die Gemächer der Königin. Mit Schrecken fragte er sich, ob er in seinem Versteck bemerkt worden sei oder ob ihn Kandaules verraten habe, denn nur diese beiden Möglichkeiten konnte er annehmen.

Bei dem Gedanken, daß Nyssia alles wußte, trat ihm der Angstschweiß auf die Stirn; er versuchte zu entfliehen, aber die Türe war hinter ihm von Statira verschlossen worden, jede Flucht war ihm abgeschnitten. So ging er denn in dem durch dichte Purpurvorhänge verdunkelten Zimmer auf und ab. Da hörte er eine Seitentüre knarren und plötzlich stand ihm Nyssia unverschleierten Antlitzes gegenüber. Er vermeinte eine Statue zu sehen, so bleich war sie. Die Farben des Lebens waren aus ihrem Gesichte gewichen, bloß ihre Lippen zeigten noch ein ganz schwaches Rot; auf ihren Schläfen woben einige kaum merkbare Adern ihr bläuliches Netz. Ihre Augenlider waren vom Weinen etwas angeschwollen und tiefe Schatten bedeckten ihre Wangen und zogen sich bis unter die Augen. Die Chrysopraslichter ihrer Augäpfel hatten ihren Glanz eingebüßt. Sie sah in diesem Zustande noch schöner und rührender aus. Der Schmerz hatte ihrer marmorgleichen Schönheit die Seele eingehaucht.

Ihr in Unordnung geratenes Kleid, das lose um ihre Schulter hing, ließ ihre nackten Arme, ihre Brust und ihren gänzlich blutleeren, bleichen Hals sehen. Wie ein im ersten Kampfe besiegter Krieger hatte ihre Schamhaftigkeit die Waffen gestreckt. Wozu hätte sie jetzt auch noch Tücher und sorgfältig angelegte Tuniken zum Verhüllen ihrer Gestalt und ihres Gesichtes not gehabt? Gyges hatte sie ja doch schon gesehen. Wozu das noch verteidigen, was schon von vorneherein verloren war?

Sie ging langsam auf Gyges zu, und indem sie ihn ruhig, aber ebenso durchdringend ansah, sprach sie kurz und entschieden:

»Lüge nicht, suche keine eitlen und nichtigen Ausflüchte, sei wenigstens würdig und mutig genug, dein Verbrechen einzugestehen; ich weiß alles, ich habe dich gesehen! – Kein Wort der Entschuldigung, ich würde es nicht hören. – Kandaules selbst hat dich hinter der Türe versteckt. Nicht wahr, so hat es sich zugetragen? Und du scheinst zu glauben, daß die Sache damit erledigt ist? Unglücklicherweise bin ich kein griechisches Weib, das der Phantasie und der Laune von Künstlern und Lüstlingen dienstbar ist. Nyssia will niemandes Spielball sein. Es gibt jetzt zwei Männer in dieser Stadt, von denen einer überflüssig auf der Welt ist. Einer von beiden muß verschwinden! Wenn er nicht stirbt, kann ich nicht leben. Und das wirst entweder du sein oder Kandaules, ich stelle dir die Wahl anheim. Töte ihn, räche mich und erringe durch diesen Mord meine Hand und damit den Thron Lydiens, oder es wird ein rascher Tod dich verhindern, hinfort das zu sehen, was zu sehen dir nicht zukam. Derjenige, der den Befehl gegeben hat, ist schuldiger als der, welcher bloß gehorcht hat. Und wenn du mein Gatte wirst, so wird mich niemand gesehen haben, der nicht das Recht dazu hatte. Aber entscheide dich augenblicklich, denn zwei von den vier Augen, in denen sich meine Nacktheit wiedergespiegelt hat, müssen bis heute nacht erloschen sein.«

Diese seltsame Wahl, vor die Gyges da ganz grausam und kaltblütig gestellt wurde, und die – das fühlte er wohl – unabänderlich war, erschreckte ihn derartig, daß er, der auf Vorwürfe, Drohungen, auf eine heftige Szene gefaßt gewesen war, einige Minuten wie erstarrt und stumm blieb. Alles Blut wich aus seinem Haupte und er wurde so bleich wie ein Schatten, der an dem Strome in der Unterwelt auf und nieder irrt.

»Ich meine Hände in das Blut meines Herren tauchen! O Königin, verlangst du eine so schreckliche, so grauenhafte Buße von mir? Ich begreife deinen ganzen Unwillen, ich finde ihn gerecht; aber es lag nicht an mir, diesem Frevel auszuweichen, denn du weißt, die Könige sind mächtig, sie stammen von einem göttlichen Geschlechte her. Unsere Geschicke ruhen in ihrem erhabenen Schoße, und wir armen Sterblichen haben nicht die Kraft, uns ihren Anordnungen zu widersetzen. Ihr Wille steigt über den unseren hinweg, wie ein Strom die Dämme überflutet. Bei deinen Füßen, die ich umschlinge, bei deinem Kleide, das ich bittend berühre, beschwöre ich dich, laß Nachsicht walten! Vergiß diesen Schimpf, um den niemand weiß und der auf immer in Schatten und Schweigen begraben bleiben wird. Kandaules liebt dich, betet dich an, und sein Vergehen entspringt nur einem Übermaß an Liebe.«

»Und sprächst du zu einer granitenen Sphinx in den dürren, unfruchtbaren Sandwüsten Ägyptens, du hättest mehr Aussicht, sie zu erweichen, als mich. Zu mir könntest du ein Jahr lang die schönsten, die rührendsten Worte sprechen, du würdest mich keinen Augenblick in meinem Entschlusse schwankend machen. Ein erzenes Herz wohnt in meiner Marmorbrust . . . Stirb oder töte! – Wenn der Strahl der Sonne, der sich dort durch die Vorhangritze drängt, den Fuß dieses Tisches erreicht haben wird, sei deine Wahl getroffen . . . Ich warte.«

Und Nyssia verschränkte die Arme über dem Busen und stand in düsterer Majestät vor Gyges.

Wenn man sie so unbeweglich und blaß dastehen sah, mit starrem Blicke, zusammengezogenen Augenbrauen, wild herabhängenden Haaren, den Fuß heftig gegen die Steinfliesen gestemmt, mochte man sie für die von ihrem Greif herabgestiegene Nemesis halten, die auf die Stunde harrte, einen Schuldigen zu bestrafen.

»Die dunklen Tiefen der Unterwelt sucht niemand gerne auf,« erwiderte Gyges; »besser ist es jedenfalls, sich des schönen Tageslichtes zu erfreuen, und sogar die Halbgötter, die die Inseln der Seligen bewohnen, würden ihnen ihr Vaterland vorziehen. Jedes Geschöpf hat den Trieb der Selbsterhaltung, und wenn schon Blut fließen muß, so fließe es lieber aus fremden denn aus meinen Adern.«

So sprach Gyges mit der Offenheit seiner Zeit. Aber es bewegten ihn außer diesen eingestandenen Gefühlen noch andere, edlere, von denen er nichts äußerte. Er war in Nyssia wahnsinnig verliebt und auf Kandaules entsetzlich eifersüchtig. Es war demnach nicht Todesfurcht allein, die ihn auf diesen blutigen Antrag eingehen ließ. Der Gedanke, Kandaules könne noch weiter Nyssias Herr und Besitzer bleiben, war ihm unerträglich, und außerdem wirkte der Gang der Ereignisse auf ihn ein. Durch eine Folge von ganz eigenartigen, entsetzlichen Umständen sah er sich der Erfüllung seiner kühnsten Träume geradezu entgegengetrieben; eine mächtige Strömung riß ihn mit sich fort, er war willenlos. Nyssia selbst streckte ihm die Hand entgegen, um ihn die Stufen des königlichen Throns erklimmen zu lassen; all dies ließ ihn vergessen, daß Kandaules sein Gebieter und Wohltäter war. Denn niemand kann seinem Schicksale entgehen, und die eiserne Notwendigkeit geht ihren Gang, die eine Hand mit Nägeln, die andere mit einer Peitsche bewaffnet, um einen zum Stehen oder zum Vorwärtsstürmen zu zwingen.

»Gut,« sprach Nyssia, »hier hast du das Werkzeug zum Strafvollzug.« – Und sie zog aus ihrer Busenfalte einen baktrischen Dolch mit schöner, goldbeschlagener Jadeklinge.

»Diese Klinge ist nicht aus Erz, sondern aus einer besonderen Eisenart, die in Wasser und Feuer bereitet wurde. Hephaistos selbst könnte keine spitzere und schärfere herstellen. Sie würde die dicksten Brustpanzer und die stärksten mit Drachenleder überzogenen Schilde wie ein dünnes Papyrusblatt durchbohren.«

»Der Zeitpunkt«, fuhr sie ebenso kalt und gemessen fort, »wird der seines Schlafes sein. Er wird einschlafen und nie wieder erwachen!«

Ihr Mithelfer Gyges hörte ihr mit starrem Staunen zu, denn er hätte niemals erwartet, eine solche Entschlossenheit bei einem Weibe zu finden, das es nicht über sich bringen konnte, den Schleier abzulegen.

»Dein Hinterhalt wird derselbe Platz sein, wo dich der Elende versteckt hat, um mich deinen Blicken preiszugeben. Sobald die Dunkelheit hereingebrochen ist, werde ich den Türflügel zurückschlagen, um dich zu decken, dann werde ich mich entkleiden, zu Bette gehen, und sobald er eingeschlafen ist, gebe ich dir ein Zeichen . . . Hüte dich davor, zu zaudern, oder schwach zu werden, und deine Hand möge nicht zittern, wenn es gilt, zuzustoßen! Jetzt aber muß ich mich, damit du nicht etwa deinen Entschluß änderst, deiner Person bis zur verhängnisvollen Stunde versichern. Du könntest versuchen, dich davon zu machen, oder deinen Herrn zu warnen: das will ich jedenfalls vereiteln.«

Sie stieß einen eigentümlichen Ruf aus und daraufhin kamen hinter einem Perservorhang vier dunkelhäutige Riesen hervor, die farbig gestreiftes Zeug am Leibe trugen; ihre Arme waren muskulös wie die der Zentauren und glichen Eichenstämmen. Die großen, wulstigen Lippen, die Goldreifen, die durch ihre Nasenscheidewand gingen, die Zähne, die so spitz waren wie diejenigen der Wölfe, der stumpfsinnig-knechtische Ausdruck, der auf ihren Gesichtern lag, dies alles machte sie scheußlich anzusehen.

Die Königin sprach einige Worte in einer Gyges unbekannten Sprache – es war sicherlich baktrisch – und daraufhin warfen sich die vier Sklaven auf den jungen Mann, ergriffen ihn und schleppten ihn fort.

Welches waren nun die allerinnersten, echtesten Gedanken Nyssias? Hatte sie Gyges damals unter den Mauern von Baktra wirklich bemerkt und dem jungen Hauptmanne in einem Winkel ihrer Seele eine Erinnerung bewahrt, was selbst bei den anständigsten Frauen nichts Unerhörtes ist? Wurde ihre Rachgier um ihres verletzten Schamgefühls willen von irgendeinem uneingestandenen Wunsche angestachelt, und hätte sie, wäre Gyges nicht der schönste Mann Asiens gewesen, denselben Eifer entwickelt, Kandaules für die Verletzung der Heiligkeit der Ehe büßen zu lassen? Diese Fragen sind kaum zu beantworten, und nicht zum wenigsten deshalb, weil das Ereignis fast dreitausend Jahre zurückliegt, und sich auch bei Herodot, Hephästion, Platon, Dositheus, Archilochos von Paros, Hesych, Ptolemäus, Euphorion und vielen anderen, die ein Langes und Breites über Nyssia, Kandaules und Gyges erzählt haben, nichts Gewisses darüber findet.

Sicher ist, daß Nyssias Entschluß unerschütterlich war. Dieser Mord schien ihr die Erfüllung einer heiligen Pflicht. Bei den barbarischen Völkern wird jeder Mann, der ein Weib überrascht, vom Leben zum Tode befördert. Die Königin glaubte sich in ihrem Rechte; bloß daß sie sich, da die Unbill insgeheim geschehen war, auch ihre Rache wählte, wie sie vermochte. Der Mitschuldige an dem Frevel wurde der Henker des Anstifters, und die Strafe entsprang dem Verbrechen selbst. Die Hand züchtigte den Kopf.

Die dunkelfarbigen Ungeheuer sperrten Gyges in ein dunkles Verließ im Palaste, von wo er unmöglich entkommen konnte und wo auch sein Schreien ungehört verhallt wäre.

Dort verbrachte er den Rest des Tages in einer grauenhaften Angst, indem er die Zeit anklagte, daß sie zu schnell dahineile. Das Verbrechen, das er begehen sollte, erschien seinem Geiste, obgleich er ja nur in gewissem Sinne das Werkzeug war und einem unwiderstehlichen Einfluß nachgab, in den düstersten Farben. Ginge der Stoß infolge irgendeines jener Umstände, die niemand voraussehen kann, fehl, oder empörte sich das Volk von Sardes und wollte den Tod seines Königs rächen, was dann? Dies waren die Gedanken, die er sich ausmalte, und die gar nicht unberechtigt, aber ganz nutzlos waren, während er wartete, daß man käme, um ihn aus dem Gefängnis an den Ort zu führen, den er erst wieder verlassen durfte, um den König, seinen Herrn, zu morden.

Endlich entfaltete die Nacht ihren Sternenmantel, und tiefe Schatten ließen sich auf die Stadt und den Palast nieder. Ein leichter Schritt wurde hörbar und eine verschleierte Frauengestalt betrat das Gemach, ergriff Gyges bei der Hand und führte ihn durch dunkle Gänge und auf Umwegen mit der gleichen Sicherheit, als wenn ihr ein Sklave mit einer Leuchte in der Hand vorangeschritten wäre.

Die Hand, welche Gyges' Hand gefaßt hielt, war kalt, weich und klein; aber die Finger dieser Hand preßten ihn so, als ob es die Finger einer durch ein Wunder lebendig gewordenen erzenen Statue gewesen wären. Die Stärke und Festigkeit eines unbeugsamen Willens sprach aus diesem immer gleichbleibenden Drucke, der einer Zange glich, die kein Erbarmen mit dem Opfer kennt, das zwischen ihre Teile gerät. Gyges gab, besiegt, unterworfen, vernichtet, dieser herrischen Gewalt widerstands- und willenlos nach, als ob er sich dem übermächtigen Arm des Schicksals selbst überliefert hätte.

Ach! so hatte er sich die erste Berührung dieser schönen königlichen Hand, die ihm den Dolch hinhielt und ihn zum Morde führte, nicht vorgestellt; denn es war Nyssia selbst, die gekommen war, Gyges zu holen, um ihn seinen Lauerort beziehen zu lassen.

Kein Wort fiel während des Ganges ins Schlafgemach.

Die Königin entknotete die Riemen, hob die Querstange vor der Türe ab, und Gyges stellte sich wie am Abend vorher hinter den Türflügel an die Wand. Diese Wiederholung desselben Vorganges, aber unter so verschiedenen Umständen, hatte einen grauenhaften, schickalsschwangeren Charakter. Diesmal setzte die Rache ihren Fuß auf jede Spur des Frevels; Züchtigung und Verbrechen gingen beide den gleichen Weg. Gestern war Kandaules der Täter, heute Nyssia, und Gyges, der Mitschuldige des Frevels, war es auch bei der Buße. Er hatte dem Könige gedient, um die Königin zu entehren, er half nun der Königin, den König zu töten.

Die Tochter des Megabazes schien eine wilde Freude, eine grausame Lust daran zu haben, nur solche Mittel anzuwenden, die ihr Gatte gebraucht hatte und die Vorsichtsmaßregeln, die jener getroffen, nun zu seinem Untergange zu kehren.

»Du wirst mich heute wieder diese Kleider ablegen sehen, die Kandaules so mißfallen. Dieses Schauspiel wird dir schon lästig sein,« sagte die Königin mit bitterem Hohne, als sie bereits auf der Schwelle des Zimmers stand, »und bald werde ich dir häßlich erscheinen.« Und ein sardonisches Lächeln zitterte einen Augenblick auf ihrem leichenblassen Antlitz. Aber gleich darauf gewann sie ihren strengen, starren Ausdruck wieder:

»Denke nicht, diesmal so zu entkommen wie gestern. Du weißt, mein Blick dringt überallhin. Bei der geringsten Bewegung deinerseits werde ich Kandaules wecken, und du verstehst wohl, daß es dir nicht leicht fallen dürfte, zu erklären, was du mit einem Dolch in der Hand im königlichen Schlafzimmer suchst. Übrigens bewachen meine Baktrersklaven, die kupferbraunen Stummen, die dich heute in Verwahrung genommen, alle Ausgänge des Palastes und haben Befehl, dich zu töten, wenn du hinaus willst. Laß dich also nicht von eitlen Gewissensbissen quälen. Denk lieber daran, daß ich dich zum König von Sardes machen und daß ich dich . . . lieben werde, wenn du meine Rache vollziehst. Kandaules' Blut wird dein Purpur sein und sein Tod räumt dir den Platz in diesem Bette ein.«

Die Sklaven kamen wie allabendlich, um das Becken in den Dreifüßen zu wechseln, Öl in die Lampen zu gießen, das königliche Lager mit Teppichen und Tierfellen zu belegen, und Nyssia beeilte sich, das Gemach aufzusuchen, sobald sie ihre Schritte in der Ferne verhallen hörte.

Nach einiger Zeit kam Kandaules. Er war in sehr heiterer Stimmung. Denn er hatte das Bett des Ikmalius käuflich erworben und äußerte die Absicht, es hier im Zimmer anstatt des Bettes im orientalischen Stil, das ihm niemals besonders gefallen habe, aufzustellen. Auch freute es ihn sichtlich, Nyssia bereits im Schlafgemach anzutreffen.

»Das Sticken, Spinnen und Nähen bereitet dir anscheinend nicht mehr dasselbe Vergnügen wie bisher? Es ist aber auch tatsächlich eintönig, ewig und immer einen Faden zwischen anderen hindurchlaufen zu lassen, und ich wunderte mich oft genug, daß du einen solchen Gefallen daran finden mochtest. Ich muß dir aber gestehen, ich hatte Angst, Pallas Athene könnte eines schönen Tages aus Eifersucht über deine Geschicklichkeit ihr Weberschiffchen an deinem Kopfe zerschmettern, wie sie es an der armen Arachne tat.«

»Herr, ich habe mich heute abends ein wenig müde gefühlt, deshalb bin ich etwas früher als sonst heruntergekommen. Hast du Lust, vor dem Einschlafen einen Becher schwarzen Samierweines mit echtem Hymettushonig vermengt zu trinken?«

Und sie goß aus einer goldenen Urne das dickflüssige, dunkelfarbige Getränk, in welches sie heimlich den betäubenden Saft der Nepenthespflanze gedrückt hatte, in einen schönen Becher.

Kandaules ergriff ihn und trank ihn bis zur Neige aus; aber der junge Heraklide hatte ein starkes Gehirn und in halb liegender Stellung, auf seine Kissen gestützt, sah er Nyssia beim Entkleiden zu, ohne daß ihn allzubald der Schlaf übermannte.

Nyssia entknotete wie tags zuvor ihr Haar und ließ die blonde Fülle auf ihre Schultern hinabfluten. Gyges kam es in seinem Versteck vor, als ob die Haare sich gelblich färbten, dann rote und violette Streiflichter zeigten, und als ob die Locken wie Schlangen auf den Häuptern der Gorgo und Medusa wild hin und her züngelten.

Diese so einfache und so anmutige Handlung erhielt von den schrecklichen Dingen, die sich bald abspielen sollten, ein entsetzliches, verhängnisvolles Gepräge, welches den versteckten Meuchelmörder vor Grauen erbeben ließ.

Nyssia machte dann ihre Armbänder los, aber ihre nervös und krampfhaft zuckenden Finger nestelten zu heftig daran herum. So zerriß sie die Schnur eines Kettchens mit vergoldeten Ambrakügelchen und diese rollten allesamt auf den Fußboden, so daß Kandaules, der schon zu entschlummern begonnen hatte, die Augen wieder aufschlug.

Der Fall jedes dieser Ambrakörner tönte in Gyges' Ohren wie der Fall schwerer Bleiklumpen.

Die Königin band ihre Schuhe auf und warf ihre erste Tunika auf die Lehne des Elfenbeinstuhls. – Diese so hergestellte Verkleidung übte auf Gyges die Wirkung jener traurig gefalteten Leinentücher aus, in die man die Toten hüllt, um sie auf den Scheiterhaufen zu tragen. Alles in diesem Raume, den er am vorhergehenden Abend so einladend und prächtig gefunden hatte, kam ihm jetzt fahl, düster und drohend vor. Die Basaltstatuen rollten die Augen und grinsten fratzenhaft. Die Lampe knisterte und ihr Licht strömte in roten, blutigen Strahlenbündeln, die Kometenschweifen glichen, von ihr. In den kaum erhellten Winkeln blähten sich unbestimmte, ungeheuerliche Gestalten von Larven und Lemuren. Die an den Wandgestellen hängenden Mäntel begannen, lebendig zu werden und Menschenform anzunehmen, und als Nyssia nach Abwerfen ihres letzten Schleiers weiß und nackt wie ein Schatten auf das Bett zuging, da glaubte Gyges, der Tod habe die Diamantfesseln zerrissen, mit denen ihn einst Herakles an die Pforten der Hölle geschmiedet hatte, als er Alkestis befreite, und käme selbst herbei, um Kandaules zu holen.

Der König, durch die Kraft des Nepenthessaftes besiegt, war fast eingeschlafen. Nyssia gab Gyges ein Zeichen, sein Versteck zu verlassen, und indem sie mit dem Finger auf die Brust des Opfers wies, warf sie ihrem Helfer einen so feuchten, glänzenden, schmachtenden, betäubend-verheißungsvollen Blick zu, daß Gyges halb besinnungslos, fieberhaft glühend, seinen Schlupfwinkel verließ und wie ein Tiger, der hinter einem Felsblock hervorstürzt, mit einem Sprunge durchs Zimmer setzte und den Baktrerdolch bis ans Heft in das Herz des letzten Heraklessprosses stieß. Nyssias Schimpf war gerächt, Gyges' Traum in Erfüllung gegangen.

So endete die Dynastie der Herakliden nach fünfhundertjähriger Herrschaft und es begann mit Gyges, dem Sohne des Daskylos, die der Mermnaden.

Die Sardier, über den Tod Kandaules' entrüstet, zeigten Lust, sich zu empören. Aber das delphische Orakel, dem Gyges eine stattliche Zahl von Silbervasen und sechs Mischkrüge voll Gold im Gewichte von dreißig Talenten geschickt hatte, erklärte sich für ihn und so erhielt sich der neue König auf dem lydischen Throne, den er lange Jahre innehatte, lebte glücklich und ließ seine Frau von niemand sehen, da er nur allzu gut wußte, was ihm das eintragen würde.

 


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