Theophile Gautier
Novellen der Antike
Theophile Gautier

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II

In unserer Eigenschaft als Dichter haben wir das Recht, den safrangelben Schleier zu lüften, der die junge Gattin umgab – darin glücklicher als die Sardier, die, nachdem sie einen ganzen Tag gewartet hatten, gezwungen waren, heimzukehren und wie bisher auf bloße Vermutungen angewiesen waren.

Nyssia übertraf wahrhaftig noch ihren Ruf, so groß er auch sein mochte. Es schien, als hätte sich die Natur bei ihrer Erschaffung vorgenommen, bis an die Grenzen ihrer Allmacht zu gehen und etwas durchaus Vollkommenes, Tadelloses hervorzubringen. Man hätte sagen können, sie habe in einem Anfalle von Eifersucht auf die wundervollen Meisterwerke griechischer Kunst zeigen wollen, daß sie immer noch mehr imstande sei als jene.

Das Weiß des Schnees, der glänzende Glimmer des parischen Marmors, das leuchtende Fruchtfleisch der Balsaminblüten könnten bloß eine schwache Vorstellung von der idealen Substanz geben, aus der Nyssia gebildet war. Dieses so feine, zarte Fleisch ließ das Tageslicht durchschimmern und besaß so harmonische Umrisse, so sanfte Linien, daß man an Musik erinnert wurde. Je nach der Beleuchtung färbte sie sich gleich der Sonne oder purpurn, wie der Wohlgeruch verbreitende Leib einer Gottheit, und schien Licht und Leben auszustrahlen. Das Übermaß an Vollkommenheit, welches das edle Oval ihres keuschen Antlitzes aufwies, könnte niemand wiedergeben, weder der Bildhauer mit seinem Meißel, noch der Pinsel des Malers, noch weniger die Feder des Dichters, sei es nun Praxiteles, oder Apelles, oder Mimnermos. Auf ihrer glatten, von Wogen rötlichblonden Haares umwallten Stirn saß, wie auf einem Jaspisthrone, die unveränderliche ernste Hoheit der vollendeten Schönheit.

Ihre Augen waren ganz eigenartig und seltsam – freilich nicht in der Art, wie es ihnen der Aberglaube des Volkes nachsagte: braune Augenbrauen, deren äußerste Enden anmutig wie die Spitzen des Bogens Eros' ausliefen, und die nach asiatischer Gewohnheit mit Henna etwas verstärkt waren, lange Augenwimpern mit seidenweichen Schatten, bildeten einen lebhaften Gegensatz zu den beiden Saphirsternen, die auf einem Silberhimmel, der ihnen als Augapfel diente, eingelassen waren. Diese Augäpfel, deren Pupille schwärzer als Atrament waren, hatten in der Iris ganz sonderbare Farbenschattierungen; bald schillerten sie saphir-, bald türkisenartig, gingen dann in Aquamarin und von da in Ambragelb über und ließen bisweilen, wie ein klarer See, dessen Grund mit Kieselsteinen besät ist, in grundlose Tiefen blicken, die von Gold- und Diamantenstaub erglänzten und auf denen grüne Wurzelfäserchen wie smaragdene Schlangen hin und her züngelten. In diese Kreise mit phosphoreszierenden Streiflichtern schienen die Strahlen erloschener Sonnen, die Herrlichkeiten verschwundener Monde, die Frachten vergangener Welten ihren Abglanz geworfen zu haben. Wenn man sie ansah, gedachte man der Ewigkeit, und ein Schwindelgefühl erfaßte einen, als ob man sich über den Rand eines unendlichen Abgrunds neigte.

Der Ausdruck dieser außergewöhnlichen Augen war nicht weniger veränderlich als ihre Färbung. Bald öffneten sich die Lider wie die Pforten himmlischer Wohnsitze, gemahnten einen an Paradiese von Licht, Azur und unsagbaren Glücks, und verhießen die Verwirklichung aller Träume von unerhörter Seligkeit, als ob sie die geheimsten Gedanken der Seele errieten; bald schienen sie undurchdringlich wie aus sieben aufeinandergelegten Metallplatten bestehende Schilde und ließen den Blick wie stumpfe, kraftlose Pfeile abprallen. Eine leichte Beugung der Augenbrauen, eine einzige Wendung der Augäpfel stürzte einen, stärker als der Blitzstrahl des Zeus, von der Höhe der ehrgeizigsten Träume in den tiefsten Schlund des Elends, in eine solche Vernichtung, daß man sich nie wieder daraus erheben konnte. Typhon selber, der sich unter dem Ätna windet und krümmt, hätte die Berge von Verachtung, mit denen einen diese Augen überschütteten, nicht ertragen können. Man ahnte, daß man, lebte man auch tausend Olympiaden lang, mit der Schönheit des blonden Sohnes der Leto, dem Genius des Orpheus, der grenzenlosen Macht eines assyrischen Königs, den Schützen der Kabiren, Teichinen und Daktylen, der Götter aller unterirdischen Reichtümer, keinen milderen Ausdruck in ihnen mehr erzeugen würde.

Zu anderen Zeiten blickten diese Augen so schmachtend, so feucht und so überredend, entsandten solche Ströme von Licht und Wärme, daß alles Eis beider Pole vor ihnen hätte schmelzen müssen wie das Wachs an den Flügeln des Ikarus, als er sich dem himmlischen Feuer allzusehr näherte. Für einen dieser Blicke hätte man die Hand in das Blut seines Gastes getaucht, die Asche des eigenen Vaters in alle vier Winde zerstreut, die heiligen Bildsäulen der Götter umgestürzt und das ewige Feuer des Himmels entwendet, wie einst Prometheus, der erhabene Dieb.

Der gewöhnlichste Ausdruck dieser Augen war indes – man muß es sagen – der einer hoffnungslosen Keuschheit, einer unirdischen Kälte, einer Unwissenheit jeder Möglichkeit menschlicher Leidenschaft; neben ihnen hätten die mondklaren Augen der Diana und die meergrünen Sterne der Athene verheißender, herausfordernder, heißer geblickt als diejenigen eines jungen babylonischen Mädchens, das der Göttin Mylitta Opfer brachte. Ihre unbesiegbare Jungfräulichkeit schien der Liebe Trotz zu bieten.

Die Wangen Nyssias, die kein menschlicher Blick, ausgenommen der des Gyges, je entehrt hatte, hatten bei Tag, wenn kein Schleier sie verbarg, eine Jugendblüte, eine zarte Blässe, eine Feinheit der Haut und des Flaumes, wie sie auf den Gesichtern unserer Frauen, die beständig der Luft und der Sonne ausgesetzt sind, niemals auch nur annähernd zu finden sind. Die Scham ließ rosige Wölkchen auf ihnen aufkeimen, gleich denen, die ein Tropfen einer roten Tinktur in einer Schale Milch erzeugen würde, und wenn keine innere Bewegung sie verfärbte, nahmen sie silberglänzende, weiche Lichter an, wie von innen heraus beleuchteter Alabaster. Die Lampe war ihre bezaubernde Seele, die durch die Durchsichtigkeit ihres Fleisches zu ahnen war.

An ihren Mund hätte sich eine Biene verirren können, so vollendet war seine Form, so wunderbar geschwungen die Winkel, so lebhaft und frisch seine Farbe. Die Götter wären von ihren olympischen Wohnstätten herabgestiegen, um ihre unsterblichen Lippen mit diesen irdischen zu messen, hätte sie nicht die Eifersucht der Göttinnen daran gehindert. Glücklich die Luft, die durch diesen Purpur und diese Perlen hindurchging, die diese so fein geschnittenen und ganz rosig gefärbten Nasenflügel leicht erbeben ließen.

So sah Nyssia aus, wenn man nach einer so beiläufigen Schilderung ihres Gesichtes sich dieser Worte bedienen darf. Hätten unsere rauhen nordischen Sprachen die Wärme, die Beweglichkeit, die Glut und den Reichtum eines Werkes wie zum Beispiel des Hohenliedes, so wären wir vielleicht imstande, durch Vergleiche, durch Bilder aus dem Reiche der Blumen, Düfte, der Musik und der Sonne, eine annähernde Vorstellung von Nyssias Schönheit zu geben. Aber nur einem Salomo ist es erlaubt, die Nase eines schönen Weibes mit einem Turm auf dem Libanongebirge zu vergleichen. Und was ist denn wichtiger auf der Welt als die Nase eines schönen Weibes? Hätte Helena, die weiße Tyndareustochter, eine Stumpfnase gehabt, der trojanische Krieg wäre wahrscheinlich nicht gewesen. Und wenn Semiramis kein so vollkommen regelmäßiges Profil gehabt hätte, hätte sie wohl kaum den alten Beherrscher von Niniveh berückt und ihre Stirn mit der Perlenmitra, dem Zeichen der höchsten Gewalt, bekränzt.

Kandaules war, obgleich er die schönsten Sklavinnen von Syrien, Askalon, Sogdiana, aus dem Sakerlande, die berühmtesten Buhlerinnen aus Ephesus, Pergamon, Smyrna und Zypern in seinen Palästen hatte, von Nyssias Reizen ganz und gar bezaubert. Er hatte bis dahin auch nicht einmal das Vorhandensein einer solchen Vollkommenheit geahnt.

Als Gatte stand es ja in seiner Macht, sich in die Betrachtung dieser Schönheit zu versenken, aber er fühlte geradezu Bestürzung und Schwindel, wie jemand, der sich über einen Abgrund beugt oder in die Sonne starrt; er empfand eine Art Fieber des Besitzes, gleich einem Priester, der seines Gottes voll ist. Jeder andere Gedanke schwand aus seiner Seele, und das Weltall erschien ihm nur mehr als ein unbestimmter Nebel, in welchem die glänzende Gestalt Nyssias der Mittelpunkt war. Sein Glück grenzte an Ekstase und seine Liebe an Verrücktheit. Bisweilen hatte er Angst vor dem Übermaß an Seligkeit. Er war doch bloß ein elender König, bloß der entfernte Nachkomme eines infolge seiner Taten vergöttlichten Helden, ein gewöhnlicher, aus Fleisch und Blut bestehender Mensch, und er hatte gar nichts getan, um sein Glück zu verdienen, hatte nicht, gleich seinem Ahnherrn, irgendeine furchtbare Hydra oder einen gräßlichen Löwen erwürgt, und doch genoß er ein Glück, dessen Zeus, der Gott mit den ambrosischen Locken, der Herr des ganzen Olymps, kaum würdig gewesen wäre! Kandaules schämte sich sozusagen, einen solchen Schatz ganz für sich allein zu bewahren, der Welt dieses Wunder zu entziehen, der beschuppte und eisenklauige Drache zu sein, der das lebende Ideal aller Liebenden, aller Bildhauer und Dichter behütete. Alles, wovon jene in ihren hochfliegendsten Bestrebungen geträumt hatten, ihre Schwermut und ihre Verzweiflung, dies alles besaß er, Kandaules, der armselige Tyrann von Sardes, der kaum einige elende Kisten voll Perlen, einige Zisternen voll Goldstücken und dreißig oder vierzigtausend durch Kauf oder Kampf errungene Sklaven hatte!

Das Glück war für Kandaules zu groß, und die Kraft, die er zweifelsohne aufgebracht hätte, um das Unglück zu ertragen, fehlte ihm für das Glück. Seine Freude überschwemmte seine Seele, wie das Wasser eines auf dem Feuer stehenden Topfes überschäumt, und bei aller Verzückung und Bewunderung für Nyssia wünschte er dennoch, sie wäre weniger scheu und weniger schamhaft, denn es kam ihm sehr schwer an, das Geheimnis einer solchen Schönheit für sich allein zu behalten.

»Oh!« sagte er zu sich während der tiefen Träumereien, in die er versank, wenn er nicht bei der Königin weilte, »welch seltsames Los ist mir doch beschieden! Ich bin darüber unglücklich, worüber jeder andere Gatte glücklich wäre. Nyssia will den Schatten des Gynäkeums nicht verlassen und weigert sich in ihrem Barbarenstolz, vor jedem anderen als vor mir ihren Schleier abzulegen. Wie würde es mir schmeicheln, könnte meine Liebe sie strahlend und erhaben, hoch oben auf der königlichen Treppe, thronen sehen, mein Volk ihr zu Füßen; und wie vor der Morgenröte müßten alle blassen Sterne, die sich während der Nacht für Sonnen hielten, vor ihr vergehen! Hochmütige Lydierinnen, die ihr euch schön dünket, ihr seid es nur, weil Nyssia sich niemand zeigt, denn sonst würdet ihr euren Liebhabern noch häßlicher vorkommen als die Sklavinnen von Mahasi und Kusch mit den schiefen Augen und den dicken, wulstigen Lippen. Ginge Nyssia nur ein einziges Mal mit entblößtem Antlitze durch die Straßen von Sardes, dann könntet ihr eure Anbeter vergebens beim Zipfel ihrer Tunika packen, keiner von ihnen würde sich mehr nach euch umdrehen, oder wenn er es täte, müßte er euch um euren Namen fragen, so gänzlich würde er euch vergessen haben. Sie würden sich vor die silbernen Räder ihres Wagens werfen, um die Wollust zu genießen, von ihr zermalmt zu werden, wie jene frommen Indier, die den Weg ihres Götzen mit ihren Leibern pflastern. Und auch von euch, o Göttinnen, denen Paris einst als Schiedsrichter stand, auch von euch hätte keine den Apfel bekommen, nicht einmal Aphrodite, trotz ihres Gürtels und ihres Versprechens, dem Schäfer das schönste Weib der Welt zu verschaffen, wäre nur Nyssia mit dabei gewesen!«

»Und denken zu müssen, daß eine solche Schönheit nicht unsterblich ist! und daß die Jahre diese göttlichen Linien, diesen bewunderungswürdigen Hymnus der Formen, dieses Gedicht, dessen Strophen die Umrisse sind, und welches niemand auf der Welt außer mir gelesen hat und lesen darf, zerstören werden. Der einzige Nutznießer eines so prächtigen Schatzes zu sein! Könnte ich wenigstens mit Hilfe der Linien und Farben dieses Spiel von Licht und Schatten nachahmen und einen Abglanz dieses himmlischen Angesichtes auf das Holz bannen! Wäre der parische oder pentelische Marmor meinem Meißel gefügig, ich würde ein Ebenbild ihres reizvollen Körpers herstellen, daß alle Statuen der hochmütigen Göttinnen vor Neid von ihren Postamenten stürzen müßten! Und wenn später, unter dem Schutt von Jahrtausenden, unter den Trümmern versunkener Städte, die Menschen kommender Zeiten irgendein Stück dieses versteinerten Schattens Nyssias fänden, müßten sie sprechen: ›Wohl, so sahen die Frauen dieser verschwundenen Welt aus!‹ Und sie würden diesem göttlichen Bruchstück einen Tempel errichten. Ich aber kann nur stumpfsinnig bewundern und unsinnig lieben! Als einziger Anbeter einer unbekannten Gottheit besitze ich kein Mittel, ihren Kultus über die Erde zu verbreiten!«

So hatte in Kandaules die Begeisterung des Künstlers über die Eifersucht des Gatten den Sieg davongetragen. Die Bewunderung war größer und stärker als die Leidenschaft. Hätte er an Stelle Nyssias, der Tochter des Satrapen Megabazes, die mit allen orientalischen Vorurteilen vollgepfropft war, irgendeine Griechin aus Athen oder Korinth geheiratet, er hätte ganz gewiß die geschicktesten Maler und Bildhauer an seinen Hof berufen und ihnen einzig und allein die Königin zum Modell gegeben, wie es später Alexander der Große mit seiner Geliebten Kampaspe machte, die er einem Apelles nackt hinstellte. Und ein solches Ansinnen hätte auch bei einem Weibe aus jenem Lande, wo die Keuschesten sich rühmten, mit dem Rücken oder dem Busen zur Vollendung irgendeiner berühmten Statue beigetragen zu haben, keinerlei Widerstand begegnet. Nyssia aber, die Barbarin, legte im verschwiegenen Schatten des ehelichen Schlafgemaches mit schwerer Mühe ihre Schleier ab, und die Eilfertigkeit des Königs bereitete ihr dabei mehr Qual als Vergnügen. Bloß der Gedanke von der Pflicht und Unterwürfigkeit des Weibes gegenüber dem Gatten ließ sie bisweilen das ertragen, was sie Kandaules' Launen nannte.

Oft bat er sie, die Wogen ihres Haares, die einem Strome puren Goldes glichen, über ihre Schultern fließen zu lassen, auf ihre Stirn einen Efeukranz zu setzen, wie eine Bacchantin, und sich, mit einem ganz feinen, durchsichtigen Gewebe kaum bedeckt, auf ein Tigerfell mit silbernen Zähnen und Rubinaugen niederzulassen, oder sich in eine große Perlmuschel zu stellen.

Dann suchte er einen möglichst günstigen Standplatz und versank in stumme Betrachtung; seine Hand beschrieb in der Luft unbestimmte Konturen und schien irgendein Bild zu zeichnen, und er wäre imstande gewesen, Stunden lang so zu verbringen, hätte ihn nicht Nyssia, die ihrer Rolle als Modell bald müde wurde, kalten und fast verächtlichen Tones darauf aufmerksam gemacht, daß derartige Zerstreuungen der königlichen Majestät unwürdig und den heiligen Gesetzen der Ehe zuwider seien. »So behandelt man«, sagte sie, »eine Buhlerin und nicht eine anständige Frau aus edlem Geschlechte.« Darauf hüllte sie sich bis an die Augen in dichte Tücher und zog sich in den dunkelsten Winkel ihres Gemachs zurück.

Diese weisen Ermahnungen fruchteten indes bei Kandaules nichts, und seine Leidenschaft nahm um so mehr zu, mit je größerer Kälte ihm die Königin entgegenkam. Und es kam so weit mit ihm, daß er die keuschen Geheimnisse des ehelichen Lagers nicht mehr für sich behalten konnte. Er brauchte einen Vertrauten gleich einem Prinzen in der neueren Tragödie. Jedoch suchte er sich keineswegs, wie man vielleicht glauben könnte, irgendeinen abstoßenden Philosophen, mit gerunzelter Stirn, grauem, ungepflegtem Barte und zerrissenem Mantel, noch auch einen Krieger, der nur von Wurfmaschinen, Sichelwagen und derartigem zu reden wußte, noch weniger einen schönrednerischen Adeligen, der voll von Weisheit und Politik war – sondern er dachte an Gyges, den sein Ruf für einen Kenner in bezug auf Frauen und Frauenschönheit gelten ließ.

Eines Abends legte er ihm vertraulicher und herzlicher als sonst die Hand auf die Schulter, warf ihm einen bedeutsamen Blick zu, trat dann einige Schritte von der Schar der Höflinge, inmitten welcher er stand, zurück und sprach mit lauter Stimme:

»Gyges, komme mit mir; ich möchte deine Meinung über mein Bildnis hören, welches die sikyonischen Künstler eben vollendet haben. Es befindet sich in der Halle, in der all meine Vorfahren abgebildet sind.«

»O König! dein Kunstverständnis steht hoch über dem deines demütigen Knechtes, und ich weiß nicht, wieso ich zu der Ehre komme, von dir einer Meinungsäußerung für würdig erachtet zu werden«, erwiderte Gyges ehrerbietig.

Kandaules und sein Günstling schritten durch mehrere ganz in hellenischem Geschmack gehaltene Säle, wo der korinthische Akanthus, die jonische Schnecke an den Säulenkapitälen blühten und sich ringelten, wo die Friese von Figuren in plastischer, polychromer Arbeit erfüllt waren und Aufzüge und Opferhandlungen zeigte; endlich gelangten sie in einen etwas abgelegenen Teil des alten Palastes, dessen Mauern aus roh zubehauenen, ganz nach zyklopischer Art ohne Mörtel einfach aufeinandergetürmten Steinen bestanden. Diese alte Bauart hatte ungeheure Maße und war geeignet, geradezu furchterregend zu wirken. Der entfesselte Genius der altorientalischen Kultur war hier deutlicher als irgendwo zu erkennen und man mußte sich an die Granit- und Ziegelriesen Ägyptens und Assyriens erinnern. Ein Rest des Geistes der alten Baumeister des Turmes von Lylak lebte noch in diesen stämmigen Pfeilern mit den tiefen gewundenen Kannelüren, deren Kapitäl aus vier Köpfen trotzbietender Stiere bestand, die miteinander durch Schlangenknoten verbunden waren. Die Rachen der Schlangen waren aufgerissen, als ob sie die Stierhäupter verschlingen wollten – ein dunkles kosmogonisches Symbol, dessen Bedeutung schon damals nicht mehr verständlich und wohl nur den Hierophanten verflossener Zeiten bekannt war. Die Türen waren weder viereckig noch rund, sondern sie beschrieben eine Art Spitzbogen, der der Mitra der Magier ziemlieh ähnlich war. Diese Eigenheit trug noch dazu bei, den auffallenden Charakter des Bauwerkes zu erhöhen.

Dieser Teil des Palastes bildete eine Art säulengangumgebenen Hofes, dessen Architrav die halb erhaben gearbeiteten Darstellungen der Ahnen bildeten, deren Kandaules Erwähnung getan hatte.

In der Mitte sah man Herkules, fast ganz nackt, auf einem Throne sitzend, die Füße auf einem Schemel, ganz in der Art, wie göttliche Wesen dargestellt werden. Seine kolossalischen Dimensionen hätten einen übrigens über seine Apotheose nicht im Zweifel gelassen. Die Roheit und Grobheit der Arbeit, der ganz uraltertümliche Stil, der dem Meißel irgendeines primitiven Künstlers entstammte, verliehen ihm das Aussehen einer barbarischen Majestät, einer wilden Größe und Unbändigkeit, die vielleicht dem Charakter dieses Ungeheuervertilgers eher entsprachen, als es das Werk eines in seiner Kunst besser ausgebildeten Bildhauers getan hätte.

Zur rechten Seite des Thrones erblickte man Alkäus, den Sohn des Halbgottes mit der Omphale, dann Ninus, Belus, Argon, die ersten Könige aus der Dynastie der Herakliden, und hierauf die ganze Reihe der folgenden Herrscher, deren letzte Ardys, Alyattes, Meles oder Myrsus, Kandaules' Vater waren. Als allerletzter kam Kandaules selbst.

Alle diese Figuren schienen mit ihren in Schnürchen geflochtenen Haaren, ihren spiralig eingedrehten Bärten, den schiefen Augen, der eckigen Haltung, den gezwungenen, unfreien Bewegungen, eine Art künstlichen Lebens zu haben, welches sie den Strahlen der untergehenden Sonne und der rötlichen Farbe, mit der die Zeit den Marmor in den heißen Gegenden überzieht; verdankten. Die in altertümlichen Schriftzeichen und Sprachen gehaltenen Inschriften bei jedem Bildwerke vermehrten noch die geheimnisvolle Eigenart dieser langen Reihe von Figuren mit ihrem barbarischen, überladenen Aufputz.

Was Gyges auffallen mußte, das war der Umstand, daß die Statue des Kandaules durch einen Zufall gerade den Rest des verfügbaren Raumes zur Linken Herakles' einnahm, so daß der dynastische Kreis geschlossen schien. Um die etwaigen Nachkommen des Kandaules unterzubringen, hätte man unbedingt eine neue Säulenhalle errichten und eine neue Ahnenreihe aufstellen müssen.

Kandaules, dessen Arm auf Gyges' Schulter ruhte, ging schweigend durch die Halle; er schien zu zaudern, auf den eigentlichen Gegenstand seines Vorhabens zu kommen, ja es sah aus, als ob er ganz und gar daran vergessen hätte, zu welchem Zwecke er seinen Leibwacheobersten an diesen einsamen Ort geführt hatte.

»Was tätest du, Gyges,« begann er endlich, indem er das für beide drückende Schweigen brach, »was tätest du, wärest du ein Taucher und fändest auf dem grünlichen Grunde des Meeres eine vollkommene Perle von unvergleichlichem Glanz und tadelloser Reinheit, eine Perle, die mit ihrem Werte die reichste Schatzkammer aufzuwiegen vermöchte?«

»Ich sperrte sie«, entgegnete Gyges, ein wenig überrascht über diese ganz unvermittelt gestellte Frage, »in ein metallbeschlagenes Zedernholzkästchen und verbärge sie an einem abgelegenen Orte, unter einem Felsblocke, und ab und zu, wenn ich sicher wäre, von niemand gesehen zu werden, ginge ich hin, mein kostbares Juwel zu betrachten und die sich in ihm spiegelnden Farben des Himmels zu bewundern.«

»Und ich,« rief Kandaules mit blitzenden Augen und voll Begeisterung, »wenn ich ein solches Kleinod besäße, ich würde es meinem Diadem einfügen, es den Blicken Aller offen darbieten, es den Strahlen der Sonne aussetzen, mich in seinem Glanze baden und vor Stolz lächeln, wenn man sagte: Niemals hat ein assyrischer oder babylonischer König, niemals ein griechischer oder trinakrischer Tyrann eine Perle von so reinem Glanze besessen wie Kandaules, der Sohn des Myrsus und Nachkomme des Herakles, König von Sardes und von Lydien! Neben ihm ist Midas, der alles in Gold verwandelte, nur ein so armer Bettler wie Irus.«

Gyges vernahm mit Erstaunen die Reden des Königs und suchte den verborgenen Sinn dieser lyrischen Ergüsse zu ergründen. Kandaules schien sich in einem Zustande außergewöhnlicher Erregung zu befinden; seine Augen blitzten vor Begeisterung, ein lebhaftes Rot überzog seine Wangen, und seine Nasenflügel bebten heftig.

»Nun wohl, Gyges!« fuhr Kandaules fort, ohne die unruhige Miene seines Günstlings bemerken zu wollen, »ich bin dieser Taucher. In diesem düsteren Menschenmeer, in welchem soviel schlecht erzeugte und halb oder gar nicht gelungene Wesen, so viele unvollkommene oder verkrüppelte Formen durcheinanderwogen und herumzappeln, so viele entsetzliche häßliche Larven und mißlungene Versuche und Verirrungen der Natur unser Auge beleidigen, in diesem abgründlichen Ozean habe ich die reine, strahlende, makellose, untadelige Schönheit, das Fleisch gewordene Ideal, die Erfüllung des Traumes, eine Form, die niemals ein Maler auf die Leinwand gebracht oder ein Bildhauer in den Marmor gemeißelt hat, gefunden: Nyssia!«

»Obzwar die Königin die furchterfüllte Schamhaftigkeit der orientalischen Frauen besitzt, und kein Mann, ihren Gatten ausgenommen, ihre Gesichtszüge kennt, ist doch ihr Ruhm überallhin gedrungen und wird in hundert Sprachen gepriesen«, sagte Gyges, indem er sich ehrfurchtsvoll verneigte.

»Unbestimmte, nichtssagende Gerüchte. Man sagt ihr, wie allen Frauen, die nicht ausgesprochen häßlich sind, nach, sie sei schöner denn Aphrodite oder Helena. Aber niemand kann auch nur im entferntesten ahnen, wie vollendet ihre Schönheit ist. Vergebens habe ich Nyssia angefleht, bei irgendeiner feierlichen Gelegenheit ohne Schleier zu erscheinen, etwa bei einem großen Opferfest, oder sich einen Augenblick auf der königlichen Terrasse zu zeigen und dem Volke die Wohltat ihres Anblickes zu gönnen. Sie will darauf nicht eingehen. – Es ist eine sonderbare Sache, die ich dir nur errötend gestehe, Gyges: früher war ich eifersüchtig. Ich wollte meine Liebe vor aller Augen verbergen, keine Finsternis war mir schwarz, kein Geheimnis unergründlich genug. Jetzt kenne ich mich selbst nicht mehr, ich habe weder die Gefühle eines Verliebten noch eines Gatten mehr. Meine Liebe hat sich in Anbetung aufgelöst, wie leichtes Wachs über einem glühenden Becken zerschmilzt. Alle armseligen Ansprüche der Eifersucht oder des Besitzes sind verflogen. Nein, das vollendetste Werk, welches der Himmel seit dem Tage, da Prometheus die Flamme in der linken Brust der Tonstatue herabbrachte, der Erde schenkte, kann, darf nicht so im eisigen Schatten des Gynäkeums dahinwelken! Und wenn ich stürbe, dann bliebe das Geheimnis dieser Schönheit auf immer unter dunklen Witwentüchern vergraben! Indem ich Nyssia verberge, fühle ich mich schuldig, wie wenn ich die Sonne bei mir hätte und sie verhinderte, der ganzen Welt ihr Licht zu spenden. Und wenn ich an diese harmonischen Linien, an diese göttlichen Formen denke, auf die ich kaum einen schüchternen Kuß zu hauchen wage, so fühle ich, wie mir das Herz bersten will; ich wünschte, ein Freundesauge könnte mein Glück teilen und wie ein strenger Richter, dem man ein Bildnis gezeigt hat, nach aufmerksamer Musterung erklären, daß es wirklich makellos ist und daß der Besitzer sich nicht durch seine Begeisterung hat täuschen lassen. Ja, oft fühle ich mich sogar versucht, mit verwegener Hand diese neidischen Schleier hinwegzureißen; aber Nyssia könnte mir das in ihrer unbändigen Keuschheit nie verzeihen. Allein ich kann dieses große Glück nicht länger allein ertragen, ich brauche einen Vertrauten für meine Entzückung, ein Echo, das meinen Ausrufen der Bewunderung nachhallt – und das wirst du sein!«

Als Kandaules diese Worte gesprochen hatte, verschwand er plötzlich durch einen geheimen Seitengang.

Gyges, allein zurückgeblieben, konnte nicht umhin, das Zusammentreffen von Ereignissen, die ihn immer wieder in Nyssias Weg führten, festzustellen. Ein Zufall hatte ihm ihre sonst niemand bekannte Schönheit offenbart, unter so vielen Herrschern und Satrapen hatte sie gerade den Kandaules, den König, dem er diente, zum Gatten genommen, und durch eine seltsame, ja, er fühlte es, verhängnisvolle Laune getrieben, wählte der König wiederum ihn, Gyges, um ihm Geständnisse über dieses geheimnisvolle Geschöpf zu machen, dem niemand nahekommen durfte, wollte er durchaus das Werk des Nordwindes in der Ebene von Baktra vollenden. War in all diesen Umständen nicht die Hand der Götter sichtbar? Führte ihn dieser Schönheitsgeist, dessen Schleier sich, wie um ihn zu erhitzen, nach und nach lüftete, nicht unversehens zur Erfüllung irgendeines großen Geschicks?

Solche Gedanken durchwogten Gyges' Herz. Da er aber nicht die Gabe besaß, die Zukunft vorauszusehen, beschloß er, die Ereignisse ihren Gang gehen zu lassen und verließ den Hof, in welchem die Bildwerke waren, und in welchem dichte Schatten bereits alle Winkel auszufüllen begannen und die Gesichter der Ahnen Kandaules' drohend und seltsam verzerrten.

War es ein einfaches Spiel des Lichtes oder eine durch jene unbestimmte Unruhe, welche den beherztesten Menschen das Herannahen der Dunkelheit inmitten aller Statuen und Bilder verursacht, hervorgerufene Täuschung? In dem Augenblick, da Gyges die Schwelle überschritt, glaubte er ein tiefes Stöhnen aus den steinernen Lippen der Heraklesstatue zu vernehmen, und als er sich noch einmal umsah, schien der Halbgott ohnmächtige Anstrengungen zu machen, um seine granitene Keule aus dem Gefüge zu lösen.

 


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