Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Sonntag des Schulmannes.

Eidyllion.

Es schlägt sechs Uhr. Der Kon - Pro - Sub- oder simple Rektor ist schon wach, blinzelt seelenvergnügt die Nachtlampe an – es ist just Winter – und harrt nun schelmisch auf die Zitation seiner Gattin: »Aber wirst Du denn nicht aufstehen, Alter, es ist schon spät!« bloß um im Gefühle trotziger Sicherheit erwidern zu können: »Schatz, heute ist Sonntag, da kann unsereins sich dreist, ohne die Schulglocke zu verpassen, noch einmal aufs Ohr legen!« – Er thut's auch wirklich, schließt aber nur zum Schein, als Widerspiel des mit offenen Lichtern schnarchenden Hasen, die Augen, um in wachenden Träumen die bevorstehenden Festfreuden die Revue passieren zu lassen und einzeln durchzukosten. Montaigne ließ sich aus dem Schlafe wecken, um die Süßigkeit des Wiedereinschlafens zu schmecken. Ein mir bekannter wackerer Kavallerie-Offizier ließ sich täglich nach seiner Verabschiedung mit dienstlichen Meldungen von seinem Keil alarmieren: Der Wachtmeister stehe draußen zum Rapport – es sei schon zum Futtern geblasen, oder gar zum Aufsitzen, – lediglich um das Vergnügen zu haben, den Erdragoner mit dem Bemerken, er sei ja nicht mehr im Dienste, zu allen Teufeln zu jagen und dann ruhig weiter zu schlafen. Unser Schulmann will dieses aber nicht, sondern mir das Recht der sonntäglichen halben Respit-Stunde nicht verjähren lassen, und kitzelt sich dabei innerlich mit dem Genuß dieser eisten Sonntags- Glückseligkeit.

Die Frau weiß dieses aber schon längst – weil diese Widersetzlichkeit der Fest- und Feiertage halber sich wiederholt – wundert sich auch deshalb nicht im allergeringsten, und wacht nur darüber, daß der heraussgegebene Kaffee dem eignen Liebsten, nicht dem der Köchin zu gute kommt.

Mit Mühe nur vermag es der Pädagog über sich, mit seinem vor Seligkeit überquellenden Herzen die reservierte halbe Stunde im Lohkasten des Bettes auszuharren. Endlich erlöst ihn der Weiser der auf dem Stuhle liegenden Uhr, und mit beiden Füßen zugleich springt er heraus und in die Pantoffeln, statt wie sonst die engen kältenden Stiefeln, für ihn wahre Spanische, anpressen zu müssen.

Frau und Kaffee, beide von gewohnter Güte, harren seiner schon im Nebenzimmer – erstere auf den für beides lohnenden Morgenkuß. Er wird ihr, – Der Schulmann darf sich jetzt auf den weichen Sofa, statt auf das hölzerne Katheder setzen, und eine Privatissimum, nämlich die Lobrede des Kaffees, statt der Erasmischen Lobrede der Narrheit, oder eigener Strafrede derselben, mit der er wohl sonst den Tag beginnt, durchnehmen. Er lobt aber noch mehr, nicht das Podagra mit Pirchheimerius sondern die weichen Socken, die dieses abwehren: nicht die Hölle wie Mussa, sondern den weit angenehmer wärmenden Ofen; auch nicht gleich Linguet den Nero, sondern nur den gleichnamigen Pudel, oder den Teufel wie Bruno, sondern den Teufel und dessen Großmutter – mit einem Worte, er lobt alles, und da in diesem All sein Individuum mit einbegriffen ist, so preist er auch sich selber nach Verdiensten. Und das kann ich ihm am wenigsten verargen. Ja, er wirft sogar, und darin ist er ein wahrer Epikuräer und Schlemmer, außer dem gewohnten großen Stücke Zucker noch ein kleineres in die Tasse, nicht der Süßigkeit, sondern – nur des Sonntags wegen.

Mitten in diesen Freudentaumel plumpt der Stiefelwichser, der die schimmernden Stiefelpaare des Schulmannes, gleich wie der Skis im Tarock seine Bratwürste, an einen Stock geöhrt hat; außerdem bringt er aber noch die sieben Pfeifen meines Helden, welche er die sonnabendliche Schlammkur hat gebrauchen lassen, aus denen er den alten Adam mit Federkielen und Borstenpinseln gejagt, die er als Wiedertäufer durch kaltes und laues Wasser getrieben, denen er alle ersinnliche Lustbäder verordnet hat. Der Ephor erprobt sie nach der Reihe – der Ton dieser Blasinstrumente ist voll, rein, harmonisch.

»Nun, lieber Mann?« fragt ihn die Hausfrau. Der Flauto- Pendulist versteht vollkommen dieses liebreiche, gedehnte »nun?« und springt mit der »Sonntag« gestempelten Dampfmaschine zum bleiernen Tabakskasten. Die Gattin hält ihm sogar den Wachsstock, dem Wiederkehrenden, dem Seligen! –

Wäre es auch nicht das verjüngte haarbefreite Gesicht des Stiefelputzers gewesen, so hätte ihn schon die gerötete Wange der Frau daran erinnern müssen, daß sein Bart steche, und heute Sonntag sei. Er folgt dieser Mahnung baldigst und freut sich, seine Messer recht con amore und nicht so über Hals und Kopf streichen, und den Schaum zur gehörigen Dichtigkeit steifen lassen zu können. Während er vor dem Rasierspiegel Gesichter schneidet, fällt ihm ein, er könne dem seinigen durch Anlegung einer Backenbart- Schonung ein gediegneres männlich-ernsteres Ansehen verleihen. Er traziert hierauf die Grundlinien auf das genaueste, eröffnet die Parallelen, schont und dezimiert, wie es der Riß vorschreibt, und befragt dann triumphierend die Frau: »Weib, erschrickst Du nicht vor mir?« – Sie schüttelt schweigend den Kopf. – »Seh' ich nicht aus wie ein zweiter Ambrosius, ein anderer Holzschuher, dessen Bart bis auf die Erde reichte, und zurück bis an den Gürtel?« – Sie thut ihm den Gefallen und nickt bedeutend. – Schade nur ist es, daß er am folgenden Dienstag, in der Furcht die Klasse zu versäumen, das ganze Schonungssystem rein vergessen hat, und Winter- und Sommerkorn zugleich abmäht. »Den nächsten Sonntag also!« meint er.

»Es ist noch lange nicht acht Uhr,« spricht er laut für sich, »noch fehlen gute dreiviertel Stunden. Und am Ende sehe ich nicht ab, weshalb ich diese Zeit über nicht dem edlen Müßiggange so gut wie ein Spanischer Grande vom schönsten blauen Blute fröhnen soll? Und heute zumal, wo Sonntag ist; – wird man doch ohnehin seines Lebens kaum froh.« – Diesen Plan führt er auch ziemlich konsequent durch, und spaziert, künstliche blaue Tabaksringel erschaffend, auf der Diagonale seines Zimmers leidlich gelassen auf und ab, wobei er nur seltene Blicke dem ihm vom Pulte zuwinkenden Exerzitienstoße zuwirft, – seiner Pandorabüchse, in der alle mögliche Fehler hecken, und im Hintergrunde nur die einzige Hoffnung, daß die Korrektur doch auch ihr Ende haben müsse. Ja, er besitzt Selbstbeherrschung genug, prophetisch auszurechnen, wieviel Wochen, Tage, Stunden noch verfließen müßten, ehe die Hundstage die Hundetage ablösten, oder wann die Antwort des Stuttgarter Buchhändlers, dem er ein Programm über die Streitfrage, ob die Schulmänner der Alten mit der rechten oder linken Hand zu peitschen pflegten, zusandte, wohl zurück sein könne. – Mit der Findung dieses x schlägt es aber acht und nun behauptet er geradezu: es wäre rein sündlich und gottvergessen, dem lieben Herrgott länger den Tag zu stehlen, um so mehr, da es schon heller, lichter sei, – und setzt sich auf den kritischen Dreifuß.

Er beginnt aber methodisch bei der untersten Stufe der Eselsbänkelsänger, um dergestalt von der Hölle ins Fegefeuer, von dort in den limbus infantum, und aus ihm successive in den Himmel, nämlich ins specimen seines grundgescheiten Primus aufzufahren, und durch das Diminuendo des Ärgers ihn wie eine Dzondische Merkurialkur besser verdauen zu können. Anfänglich muß er freilich gewaltig rouge et noir spielen, und fast zu gleichen Teilen sein encaustum mit der Schwarzkünstelei der Schlingel mischen. Eine Freude jedoch genießt er dabei, die nämlich, einem Saussüreschen Cyanometer gleich, vom dunkelsten Schwarz allmählich durch Übergänge zum Königsweiß zu gelangen, und demzufolge, auch seinen Scharfsinn durch Variation aller erdenkbaren Subsubdivisionen von Zensuren zu erproben – denn jeder Schüler bekommt eine verschiedene, und er haßt das stolze aphoristische: gut! schlecht! mit allem Recht. – Gradatim geht er vom offnen Tadel zum negativen Lobe über, zu Elogen, wie nach Champollion die bildlichen Aussprüche der Totenrichter beim König Rhamses waren: er fluchte nie, besoff sich nicht und dergl. Vom negativen gelangt er zum positiven Lobe, und endlich zum Ribban, oder wie es im Sanskrit heißt: nirvana; ein Wort, welches gewöhnlich durch »Nichts« übersetzt wird, aber nach Colebroocke »vollkommene Ruhe im Schoße der Gottheit« bedeutet – ich meine, er komme zum dux gregis inter oves, zur Duodez-Ausgabe seines Selbstes, zu seinem Chargé d´Affaires und interimistischen Lieutenant (in den Zwischenstunden), zu seinem Primus nämlich.

Mit ihm kommt aber auch seine sonntäglich geschmückte Frau und lugt anfänglich bloß durch die Nebenthür. »Gleich! gleich!« antwortet er mit Shakespeare's Küferjungen, und spritzt die Feder aus, »Es hat schon zweimal geläutet!« lispelt sie. – »Gleich, gleich!« und fährt in den Oberrock. – »Spute Dich ja, lieber Mann,« fährt sie fort, sich selbst als zu trassierender Sola-Wechsel präsentierend. – »Gleich, gleich!« ripostiert er zum dritten Male. »Aber die Halsbinde, die Weste, das Vorhemdchen, aberrrrr –« »Ist Alles hier, Alter. Warte, ich helfe Dir,« tönt ihr Pianissimo. – Sie thut's, und giebt ihm in drei Minuten die Versicherung: nun tonne er sich dreist zeigen. – »Ja, mein Kind, das wollen wir auch mit Gottes Hilfe,« –

Unser Pädagog versäumt keine sonntägliche Vormittags-Predigt, Nicht etwa dem Sprichworte zufolge: Not lehrt beten, – denn obgleich er oft genug seine liebe Not hat, und die schwere noch obendrein bekommen möchte, so führt ihn doch nur der Grund, daß eben Sonntag sei, ins Gotteshaus.

Der noch weit triftigere, daß die Predigt beendigt ist, führt ihn wieder hinaus, und in seine Wohnung. Schmunzelnd, händereibend, schnippchenschlagend geht er in der köstlich warmen Stube nun auf und ab, und haucht wohl auch an die mit Eisblumen bekränzten Fensterscheiben, um sich ein Guckloch zu pusten, durch welches er das Myriorama des großen Guckkastens, der Straße, und deren hastig laufende Kirchengänger, Braten tragende Köchinnen und auf Posten ziehende Wachtmannschaften beäugeln könne. »Arme Schelme,« seufzt er mitleidig, »warum könnt ihr es nicht so gut haben, als ich?« –

Der älteste Sohn seines Kollegen bringt ihm – ich habe mir da eine recht einfältige Rute aufgebunden, indem ich meinem Helden keinen akademischen Charakter, als wie Doktor, Konrektor, Tertius, oder dergl., ja nicht einmal einen Namen beilegte, und mich nun fortwährend mit dem Prädikat, der Schulmann, der Pädagog, oder gar mit dem noch nüchternen »Er« - behelfen muß; – ich wollte also berichten, wie der älteste Sohn seines Kollegen eine schöne Empfehlung vom Vater und, was noch schöner ist, das in der Woche gesammelte Volumen Zeitungen bringt. Der Empfänger giebt die Empfehlung eben so schön zurück, wie er sie erhalten, lohnt auch die poste aux ânes mit dem Briefporto eines Borsdorfer Apfels, und setzt sich gemächlich in dem Sofa zurecht – um doch auch mit der Zeit fortzuschreiten, wie er es nennt. Vorher erhebt sich aber ein kleiner freundschaftlicher Streit zwischen ihm und der Gattin, wem zunächst die Zeitung, und wem die Beilage zu teil werden solle. Beide wollen nämlich die letztere; sie der Ankündigungen von geschlissenen Bettfedern, Kapern und Drillichen halber, er der Anzeigen neuer Bücher. Sie ist jedoch eine viel zu gute Frau, um nicht den Wünschen des Eheherrn nachzugeben, um so mehr, da sie notwendiger Weise in die Küche muß. »Denn wer kann,« seufzte sie im Abtreten von der Bühne des ehelichen Liebhabertheaters, »wer kann sich in jetziger Zeit auf Dienstboten verlassen? Keine Seele!«

Der Schul- und Ehemann gewinnt nun die schönste Zeit, aus den Annoncen Titel, Verleger und Preise gewichtiger Werke mit Bleistift zu exzerpieren. Zwar weiß er mit Bestimmtheit vorher, daß er auch nicht ein Blatt jemals kaufen werde – indessen, es wäre im Fall, daß –

Bei Tische lachen dem Überraschten heute lauter Leibgerichte entgegen, deren Bereitung an und für sich nicht gar zu schwierig ist, indem er keine andern als eben Leibgerichte kennt, und sein Gaumen das Axiom: es gebe nur Einen Superlativ, verwirft. – »Ei sieh einmal, Frauchen,« lächelt er, »das nenne ich eine Schmauserei,« – »Es ist ja Sonntag,« erwidert sie begütigend. – »Ja, das mein' ich auch.« Zur Belohnung liefert er ihr eine gedrängte Eutropische Übersicht der Welthändel, und erläutert dabei den Unterschied zwischen Whigs und Tories, den die Gute seit dem verwichenen Sonntag schon wieder vergessen hat, und den sie sich mit gutem Gewissen den nächstfolgenden abermals ausbitten kann – denn sie wird ihn nie behalten. Und das schadet auch weiter nichts, so lange ihr zweibeiniges, dienstwilliges Hübner'sches Zeitungs-Lexikon ihr nur zur Seite steht.

»Heute kann ja wohl ein vernünftiger Mensch ein halbes Stündchen nicken?« votiert er. Die Schlafbill geht einstimmig durch, weil es nur einer Stimme zu deren Sanktion, zum calculo Minervae bedarf. Ich weiß wirklich nicht, ob der Held meiner Idylle mehr zu beneiden wäre, wenn er wirklich schlafen könnte, oder wenn er, was er auch thut, nur so thäte, als ob. Für das Zweite spricht mancherlei; denn erstens kann er, was er unter anderen Umständen sich nie gestatten würde, unter der Maske eines Schlafenden sich bequem auf den Sofa strecken; sodann kann er auch die anmutigsten Träume ganz ad libitum zitieren, und ist nicht angewiesen, wie im ernstlichen Schlummer, seine Traum-Portion von Morpheus sich vorschneiden zu lassen; endlich kann er seine Schein-Ohnmacht gerade so weit verlängern, bis der Kaffee kommt – nicht früher und nicht später braucht er aufzuspringen und sich zu schütteln – und hat auch noch zum Überschwange nur Freude, keinen Schlaf in den Augen.

Die wohlthuende Wintersonne lockt zu einem Spaziergange – und nicht vergeblich. Geputzte Schüler, an der Seite ihrer nicht minder geputzten Eltern, stoßen dem lustwandelnden Ehepaare dutzendweise auf, und rücken ehrerbietig aus weiter Entfernung schon den Deckel. Dieser oder jener Vater raunt wohl im Vorbeigehen dem Schulherrn noch einen mündlichen Gruß zu, und wagt es, nicht unverständige Worte über das schöne Wetter auf's Tapet zu bringen. Liebreich werden sie aufgenommen und nicht minder erwidert, und die Range will vor Verwunderung aus der Haut fahren, daß der sonst so ernste Baccalaureus – was er von Bakel ableitet – auch lächeln und scherzen könne. Nicht geringer staunt die Frau, als ihr Gatte während des Promenierens erzählt: wie nach Mathäus Chyträus die Prager Professoren zu Johannes Huß und Hieronymus Zeiten. nach zwanzigjährigem Vortrage die Titel: Grafen, Herzoge und Erlaucht erhalten hätten, während Grafen und Herzoge von Geburt sich mit dem Titel Hochachtbar hätten begnügen müssen. Sie erkundigt sich begierig nach den mit den Titeln verbundenen Dotationen, und erfährt zu ihrem Leidwesen, daß diese nur Bistümer in partibus infidelium gewesen. – Indessen auch der Titel, äußert sie, wäre nicht zu verachten, und sie nähm´ es gewiß nicht übel, wenn man sie »Frau Herzogin« nennte. – Mehr aber noch erstaunt sie, als ihr der Gelehrte erzählt: wie in früherer Zeit sogar Frauen die Lehrstühle bestiegen. »Unter ihnen,« erzählt er, »ist Bitiscia Gozzadini zu merken, welche 1286 zu Bologna Doktor wurde, über Institutionen las und nur in Mannskleidern ging,« – »Pfui! pfui!« entgegnet die Frau,

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen sind sie bis an die Schwelle des Kaffeehauses gelangt. Ein sehnsüchtiger Seitenblick des Mannes verrät der gewandten Frau die ganze Folgereihe seiner Ideen und Wünsche. »Ich dächte, Alterchen, Du trätest ein Stündchen ein. Was meinst Du?« – »Ja, komm, wir wollen –« Ich nicht, Lieber, um keinen Preis, ich muß zurück. Denke nur an den fürchterlichen Tabaksqualm, und an die Arbeit zu Hause, wo heute keine Seele ist, seitdem das Mädchen ausging. Für unsereine giebt es keinen Sonntag. Nein, geh' nur und amüsiere Dich, und bleibe nicht lange.« – Der Mann gelobt es hoch und teuer, geht und beklagt innerlich die arme gequälte Frau,

Im Belustigungs-Orte findet der Schulmann schon ein reges Leben. Grüngeschürzte Marköre fahren hurtig wie Goethe's Lazerten durch die wogende Menge. Ergraute L'hombre-Spieler sagen trotzig gewagte Solos an, und bringen sie zur Verwunderung der maulaufsperrenden Umgebung glücklich durch. Billardspieler schwenken ihre Lanzen ritterlich in der Luft, oder legen drohende Bresche- Batterieen von Elfenbeinkugeln, welche mehr auf der Diele als auf dem grünen Tische rollen, an. Feine Politiker stecken die Köpfe zusammen und schütteln sie bedenklich; andre schöpfen erst hastig aus dem löschpapierenen Wahrheitsquell, und riechen Lunten. Junge Offiziere lärmen und toben – als wären sie alte. Das ganze Kaffeehaus wogt in Nebelwolken, wie eine Morgenlandschaft von Friedrich – kaum daß unser Freund sie durchblicken kann, um die seiner harrenden Kollegen ausfindig zu machen, die sich ernsthaft über eine Variante des Famblichus streiten und an sein Urteil appellieren. Er rührt den bestellten Punsch zwei – dreimal um, nippt mit der Miene eines Kenners, und entscheidet zur allgemeinen Zufriedenheit. Kommen dann nicht jetzt besorgte Väter zu halben Schocken auf unsern Schulmann zugeströmt, und konsultieren ihn über ihren mißratenen Deszendenten-Flor? Und verlängern sie ihm nicht freundschaftlichst den prächtigen Sonntags-Nachmittag, indem sie ihm furchtbare Langeweile machen? Er kann den Trefflichen für die zarte Aufmerksamkeit nicht genug Dank zollen, und muß sich ordentlich mit Gewalt losreißen, um nur zu der mit dem Thee harrenden Frau zu rechter Zeit zurück zu kehren.

Unter der sprudelnden Theemaschine und dem Zuckerbrote liegt aber ein noch weit süßeres, eine ganze Ostindische Handlungs- Kompagnie der geistigsten Schätze, eine Alexandrinische, Vatikanische, Göttingische Bibliothek in nuce – mit einem Worte, ein ganzer Stoß frisch aus dem Lesezirkel angelangter Litteratur-Zeitungen. Für weniges Lumpengeld hält nämlich unser Schulmann in allen Haupt- und Universitätsstädten Deutschlands seine Packesel von Litteraten, die für ihn Schofel und Fein-fein durchschmökern und exzerpieren, und indem sie ihm freimütig schreiben, was an dem Zeuge sei, ihn aller Mühe überheben. Daß er Personal-Chroniken, Ordens-Verleihungen, Gehalts-Zulagen, Versetzungen, und deshalb Gersdorfs Repertorium am liebsten und zuerst liest, wird ihm wohl niemand verargen. »Endlich kommt«, so denkt er nicht ohne judicium, »doch wohl auch die Reihe an mich.« Auch grobe Stellen liest er gern.

Die Frau umschleicht ihn während seines Entzückens leise wie ein Kätzchen, macht ihm den Thee mund- und die Lampe augenrecht, erinnert ihn zuweilen, daß die Pfeife verloschen, und zuletzt, daß der Nachtwächter schon geblasen habe. Der Gatte fährt verdutzt auf: »Schon? – Na, das nenne ich mir« und klappt die Jenaische zusammen, »einen Sonntag, wie er im Buche steht. Und nur sechs Tagereisen zu einer gleich blühenden Oasis, der herrlichen Laub- und Wiesenpartieen der Mittwoch- und Sonnabend-Nachmittage nicht einmal zu gedenken!«

Der Glückliche!


 << zurück weiter >>